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Die Hallig

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„Ja, gewiß.“

„Nun, dann thun Sie, was diese Sprüche sagen. – Wie würden Sie einen Menschen nennen, der an einer mit köstlichen Speisen reichbesetzten Tafel deswegen vorüberginge, weil er ein Gericht bemerkt, an dem er keinen Geschmack finden kann?“

„Ich werde mich wol hüten,“ lachte Oswald, diesen Menschen einen Narren zu heißen; sonst schickten Sie mich mit der Extrapost meines eigenen Wortes in’s Tollhaus. Aber Sie werden doch auch zugeben, daß Ihre verfängliche Frage eben nur ein Ausweichen und kein Antworten ist.“

„Lassen Sie mich bei dem Bilde bleiben,“ entgegnete Hold. „Der Gast, der sich an die für ihn bereitete Tafel setzt und seinen Hunger und Durst an den Speisen, die er loben muß, stillet, der mag wol fragen, was es mit der einen Speise bedeute, die ihm geschmacklos vorkommt. Wer aber um ihretwillen alle andern auch verschmäht, der hat kein Recht zur Frage.“

„Abgeführt!“ rief Oswald, drehte sich auf dem Absatz herum und entfernte sich mit seinem Vater.

XIII

 
Um zu nehmen, mußt Du geben.
Siehst Du auf Dich selbst zurück,
Flieht Dich das gehoffte Glück.
Nur für Opfer zahlt das Leben.
 
 
Kindlein in des Meeres Wiege,
Eiland an der Wellen Brust!
Scholle Du im Weltgebiete,
Meine Heimat, meine Lust!
 
 
Keine Waldung Dich verhüllet,
Dich kein Felsengürtel hält,
Rings umher die Wasserfülle,
Ueber Dir des Himmels Zelt:
 
 
Legst Du offen Dein Gelände
Hin vor Gottes Angesicht,
Kennst im Kampf der Elemente
Andre Wehr und Waffe nicht.
 
 
Friede wohnt in Deinen Hütten,
Deine Armut ist Dein Glück;
Treu blieb hier der Väter Sitte
In der Enkel Kreis zurück.
 
 
Frömmigkeit und Tugend heimen
Gern an Deinem stillen Herd,
Wo kein Gut, das Andre neiden,
Wo kein Herz, das Mehr begehrt.
 
 
Kindlein in des Meeres Wiege,
Eiland an der Wellen Brust!
Menschen schiffen kalt vorüber;
Doch der Engel weilt mit Lust!
 

Diese Verse fand Godber auf einem losen Zettel, der als Merkzeichen in einem der Bücher diente, welche Mander von Hold geliehen. Es mußte ihn dieses einfache Lied mächtig ergreifen, weil der Inhalt so ganz aus seinem Herzen genommen war. Er las es fast nie ohne Thränen, und hätte gern gegen den Pastor, der es allein verfaßt haben konnte, seinen innigsten Dank für dasselbe ausgesprochen, wenn ihm nicht dieser bei jedem zufälligen Zusammentreffen eine Scheu eingeflößt, wie die des Schuldbewußten vor seinem Verkläger. Den Schluß der Verse: „Doch der Engel weilt mit Lust!“ wandte er auf Idalia an, und sie ließ sich auch dies gefallen, weil seine Liebe ihr die Tage wirklich recht angenehm machte, und sie ja wußte, daß die Zeit ihres Aufenthalts auf der Hallig nicht mehr so lange dauern würde. Sie konnte daher auch auf seine Darstellungen von dem künftigen Zusammenleben auf seinem heimatlichen Eilande auf eine Weise eingehen, die es ihm lange verbarg, wie sie nur Träume in diesen Gemälden eines so genügsamen und weltverachtenden Glückes sah. Hätte sie es im Geringsten nur für möglich halten können, daß Godber bei der Wahl zwischen ihrem Besitz und dem Verlust der Heimat im Ernst schwanken würde, dann würde sie sich stolz, ja verächtlich, wenn auch mit wundem Herzen, von ihm zurückgezogen haben. Fühlte sie sich auch auf dieser öden Flur glücklicher, als je früher im Glanz der Welt, so dankte sie dieses Glück ja doch keineswegs dieser ärmlichen Scholle, sondern der hingebenden Liebe des Jünglings, von dem sie annahm, daß ihm außer ihr Alles gleichgültig sei. Gefiel sie sich auch in der Lebensweise, die sie jetzt führte, so war es doch nur der augenblickliche Reiz des Ungewohnten, des von ihren sonstigen Verhältnissen gänzlich Abstechenden und das Anziehende der hausfräulichen Sorge. Für die Unterhaltung weniger Wochen war dies Leben gut genug, mochte immerhin als eine neue Art von Badereisen gelten; aber für immer auf diesem Fleck zu bleiben, der Entbehrung und Entsagung aller Lebensgenüsse von seinen Bewohnern fordert, wo das Leben selbst immer auf der Spitze der Gefahr schwebt: das war ein Gedanke, der ihr zu fern stand, als daß sie ihn in der Seele eines Andern vermuten konnte, dem ein Tausch möglich war, und noch dazu ein Tausch, der alles Glück, das Liebe, Reichtum, Weltverkehr geben konnte, in die Wagschale legte.

Wenn wir aber Godber mit dem Gedanken hätten vertraut werden lassen, für jenes Glück seine Heimat aufzugeben, dann würde in ihm kein echter Halligbewohner gezeichnet sein.

Wir haben die Hallig, welche der Schauplatz unserer Erzählung ist, in einer Zeit gesehen, als die eine Hälfte der Wohnungen von den Fluten in Trümmerhaufen an den Deichen des festen Landes aufgedämmt und die andere Hälfte, nur noch bloße Pfahlgerippe darstellend, allein an dem Dache als gewesene Wohnungen kenntlich war; als ein einziges Haus auf der durchlöcherten Werfte kaum noch so weit stand, daß es zu einer Zuflucht der dem Wellentode Entronnenen dienen konnte; als die Aussicht auf die nächste Hallig nur einen kahlen Fleck zeigte, von dem Werfte, Häuser, Herden und Menschen in einer Nacht hinweggespült waren, ohne eine Spur ihres Daseins zu lassen. Wir haben Die, denen das nackte Leben kaum eine dankenswerte Gabe heißen konnte, mitten in der grausen Zerstörung, worin sie Alles eingebüßt, in der vollen Lebendigkeit der Schreckenserinnerung an die furchtbare Nacht, mit dem Eindruck, den Frost, Hunger, Nässe auf den Körper und durch ihn auf die Seele machen; wir haben sie in diesem Zustande gesprochen, wir haben es ihnen vorgehalten, wie die nächste Nacht die Verwüstung in dem Untergange Aller vollenden könne, und konnten nur zwei hochbejahrte Leute, die allein standen und zu schwach waren, sich ein Bretterdach aufzuschlagen, dazu überreden, ein sicheres Asyl anzunehmen. Alle andern blieben, und bauten, als später die wahrhaft christliche Mildthätigkeit der Hohen und Niedrigen, der Reichen und Armen im Lande es erlaubte, sich auf der geliebten Scholle wieder an. Sie hätten Wohnungen haben können, wo sie es wünschten, so reichlich flossen die Unterstützungen; aber sie fühlten wol, daß Heimweh ihnen den Tod bringen würde auch auf den gesegnetsten Fluren. Sie sprachen sogar den Wunsch aus, daß wir für immer bei ihnen bleiben möchten, und in ihrer Vorliebe für ihre Heimat meinten sie nicht, damit ein Opfer zu verlangen, wogegen sich unsere Ansprüche an das Leben sträuben könnten; denn für sie war eine Hallig, selbst nach den neuesten Erfahrungen, doch eine Stätte, die alle Wünsche befriedige.

Dies mußten wir hier einschalten, um es dem Leser begreiflich werden zu lassen, wie Godber dem Gedanken so fern stand, die Hallig wieder zu verlassen, und wie er sich schmeicheln konnte, Idalia werde diese Heimat gern mit ihm teilen. Lange konnte freilich diese Täuschung nicht währen, und Oswald war der erste, der dem Träumer die Augen öffnete.

„Wenn man hier nur eine alte Mähre herüberbringen könnte!“ äußerte Jener einmal bei Tische. „Es geht gar zu langsam mit dem Transport der Güter. Sollen wir ebenso langsam in die Frachtschiffe einschleppen, wie wir aus dem Wrack herausgeschleppt haben, so kann der Winter kommen und uns mit diesem „Kindlein in des Meeres Wiege“ in Eis und Schnee einwindeln bis zum Frühling. Auch wäre es gut, wenn mein künftiger Herr Schwager sich ein bißchen in der Reitkunst üben könnte.“

„Hier bedarf es keiner Reitkunst, und hier werd’ ich künftig an der Seite meiner Idalia leben, hier sterben,“ erwiderte Godber.

Oswald sah erstaunt bald auf ihn, bald auf Idalia, die auch in dem Tone, mit welchem Godber sprach, nicht den Scherz finden konnte, der doch notwendig in seinen Worten liegen mußte.

„Idalia hier!“ rief Oswald aus, als er wieder Worte fand für seine Verwunderung. „Hier, auf dieser einsam treibenden Rübe im weiten Kessel des Oceans! Hier auf dieser Amphibie, von der man nicht weiß, ob sie ein Landtier oder ein Seebutt ist! Hier in dieser Stube voll Himmelblau und Purpurrot! Hier bei dem ewigen Theetopf und seinen treuen Gevattern: Schafskäse und Schwarzbrot! Hier Idalia die Königin der Bälle! die Herrscherin im Herzgebiete der Männerwelt! die Entzückung und Verzweiflung von hundert Anbetern! die unbestrittene Siegerin im Kreise der Modedamen! Das war ein köstlicher Gedanke von Dir, Godber, über den ich in acht Tagen mich nicht ausgelacht habe.“

Godber wandte sich vor Unwillen errötend von ihm, und zuversichtlich Idalia’s Hand ergreifend wiederholte er ihr mit dem zärtlichsten Ausdruck ihres eigenen Liedes:

 
„Giebt’s für Dein Gebilde
Eine andre Welt,
Wo Dein Schöpferwille
Es nicht trägt und hält?“
 

Es blieb den Worten nach zweifelhaft, ob er darin seine Bereitwilligkeit, ihr überall zu folgen, oder ihre Gesinnung mit ihrem eigenen Ausdruck darlegen wollte. Er glaubte in ihrer Seele zu reden, da er ja auch nur ihre Sprache gebrauchte, die ihn so oft als Bestätigung seines höchsten Wunsches entzückt hatte. Sie aber, – ob ganz ohne Ahnung, daß es im Widerspruch mit seiner Meinung sei, wollen wir nicht entscheiden, – nahm die Worte für die Sprache seines Herzens, und noch ohne dies ganz offen auszusprechen, sagte sie:

„Unsere Liebe wird uns jeden Fleck der Erde zur angenehmen Heimat machen, so mir, wie Dir.“ Die scharfe Betonung des: „wie Dir“, traf Godber’s Herz wie ein Schmerzensstich, in seine Wangen stieg eine dunkle Röte auf, und mit einer Frage auf den Lippen haftete sein Blick lange und ernst auf Idalia. Das Wort aber blieb auf seiner Zunge und scheute sich hervorzutreten, gleichsam im bangen Vorgefühl des verletzenden Widerspruchs, den es finden würde. Sie hielt seinen Blick lächelnd aus, und eine leichte Berührung seiner Lippen mit ihrer Hand drängte seine Frage ganz zurück. Oswald dagegen ließ das Gespräch nicht so schnell fallen.

 

„Das klingt wie ein Schäferroman,“ lachte er; „und ich habe eben Nichts dagegen, obgleich ich kein Myrtill bin und eine Daphne anbete; wenn nur nicht von einer Hallig die Rede wäre, die kaum ein liebendes Seehundspaar wohnlich finden würde.“

Mander, der bisher dem Gespräch wie einem Scherz zugehört, erinnerte seinen Sohn, daß sie gar keine Ursache hätten, von diesem Eilande verächtlich zu reden, dem sie nächst Gottes Hülfe und Godber’s Mut und Geschicklichkeit ihre Rettung verdankten, wo der Friede, dem Tausende in großen Städten bis an ihr Ende vergeblich nachjagten, bei allen Bewohnern von der Wiege bis in’s Grab heimisch zu sein schiene.

Godber ergriff freudig das Lob seiner Heimat. „Nicht wahr,“ rief er, „ist das Leben hier nicht schön? Gerade diese mannigfachen Entbehrungen, diese Abgeschiedenheit von der Welt, dieser Mangel an äußern Reizen führen den Menschen auf sich selbst zurück und lehren ihn in seiner eigenen Brust, in seinem kleinen häuslichen Kreise sein Glück finden, das eben darum ein sicheres, dauerndes ist, weil es unabhängig von Außendingen seinen Grund und Boden, wie seine Nahrung in dem Menschen selber hat. Selbst die Gefahren, die mit diesem Aufenthalt verbunden sind, dienen nur dazu, den kindlich demütigen und gläubig ergebenen Sinn in uns zu erhalten, aus welchem Vertrauen und Zuversicht, und freudiges Aufschauen zum Vater in der Höhe hervorgehen. Hier wird der Mensch wieder Mensch und streift all’ die bunten Flitter ab, die ihm doch am Ende mehr Sorge als Freude machen. Hier ist er frei von den Ketten, die ihm die große Welt da draußen schmiedet durch tausend Bedürfnisse und Gewohnheiten, von denen sein Herz nichts weiß und nichts zu wissen braucht, um glücklich zu sein; ja die er selbst nur zu oft als Hemmketten fühlte, ohne vor der Welt es wagen zu dürfen sich ihrer zu entledigen. Hier ist er, was er ist; nicht Das, wozu ihn die Sitte macht und was er um Anderer willen sein muß. Hier kann er sich freuen und weinen, thätig sein und ruhen, lieben und meiden, wann, wie und wen er will. Er hat nur sich zum Herrn, und Keiner darf ihm darein reden. Nicht um aller Schätze der Erde willen ließe ich mich wieder spannen in das Joch der verkehrten Welt, die da ruft Friede, Friede! und ist kein Friede, sondern eitel Zwietracht, Mißgunst und Haschen und Jagen nach einem Ziel, das weit hinter ihr liegt; die da rennet mit verblendetem Auge nach Lust und Freude, und nie sie findet, sondern nur Ekel, Ueberdruß, Uebersättigung ohne Genuß; die heute auf Eiern schleicht, morgen auf Leichen tritt; die mit dem süßesten Lächeln die Giftschale darreicht und zugleich sich selbst in ihrem Unverstande den Becher des Lebens vergiftet.“

„Auch mir würdest Du in diese verkehrte Welt nicht folgen?“ fragte Idalia mit dem freundlichsten Blick, während Mander und Oswald über die grauenvolle Beschreibung ihrer Welt scherzten.

„Dir?“ sagte Godber, wie erschreckt von einem plötzlichen Lichtstrahl. Sich selbst beruhigend setzte er aber sogleich hinzu: „Darum eben kettet sich ja meine Seele so fest an Dich, darum bist Du mir die köstliche Perle im Ocean, weil Dein reiner Lichtglanz keine Färbung angenommen von der früheren Umgebung; weil Du, in der dunklen Wiege eingeschlossen, dennoch den keuschen Sinn Dir empfänglich gehalten hast für das wahre Glück, von dem jene Welt Nichts weiß.“

Idalia fand nicht gleich eine Antwort auf diese Worte, und ihr Blick, in welchem sich Erstaunen und Verlegenheit malten, goß eine eisige Kälte über Godber’s Begeisterung. Oswald aber sagte mit tragikomischem Pathos:

„Leb’ wohl, Idalia! In tiefer Bewunderung beuge ich mich vor der künftigen Primadonna im grünen Mieder und bunten Rock; aber um Deines Ruhmes willen muß ich Dich verlassen. Ein geflügelter Bote will ich eintreten in die Theezirkel Deiner trauernden Vaterstadt, ein Verkünder Deines seligen Martertums auf diesem meerumflossenen Altar der Liebe. Dein Name soll glänzen an dem, in den letzten Zeiten etwas bleich gewordenen Sternenhimmel weltüberwindender Liebesmacht. Postfrei will ich Dir jede Woche hundert klangvolle Sonnette und fünfzig schwungreiche Oden übersenden, die von Lippen armer, unter der Last ihrer Körbe seufzender Poeten ertönen zur Feier Deines weltverachtenden Herzens. Eine feurige Kohle sollst Du jeder Jungfrau werden, die nicht Deinem Vorbilde nachfolgen will.

 
Eine Hütte, eine Scholle,
Einen Mann und einen Hund,
Eines Schafes grobe Wolle,
Thee und Schwarzbrot für den Mund;
Die von andern Dingen spricht,
Kennt Idalia’s Liebe nicht!“
 

Idalia bemerkte freilich, daß, wenn der Herr Bruder künftig noch einmal wieder Verse auf sie machen sollte, sie hoffe, diese würden dann an Inhalt und Form etwas zierlicher und feiner ausfallen; aber dabei lachte sie doch über Oswald’s Späße, und der Schmerz Godber’s über dies Lachen drängte den auflodernden Zorn zurück und erstickte die harte Rede, die auf seiner Zunge lag. Mander bemerkte die Blässe auf Godber’s Gesicht und das Zittern, das dessen Glieder überflog; er sagte daher lächelnd:

„Unser Freund kann besser scherzen, als Scherz vertragen!“ und setzte ernster hinzu: „Ich möchte auch nie so verächtlich reden von einem Fleck, der uns einmal so willkommen war. Es wird Godber schwer werden, seine Heimat zu verlassen; denn die Liebe zu derselben scheint ja zur andern Natur Aller zu gehören, die hier geboren sind. Er ist aber zugleich zu vernünftig, als daß er die Heimatliebe, die ihn selbst beseelt, nicht auch bei Idalia voraussetzen sollte, und daher wird er ja von ihr kein Opfer verlangen, das selbst zu bringen er sich nicht fähig hielte; besonders wenn er zugestehen muß, daß der Hallig den Vorzug vor Hamburg zu geben nur eben einem Eingeborenen dieses Eilandes möglich ist.“

Godber fand sich tief getroffen durch diese Bemerkung. Es war ihm noch gar nicht eingefallen, daß, wie er nur in seiner Heimat sich glücklich fühlen könne, auch Idalia nur in ihrer Vaterstadt ihr Glück finden würde; daß dasselbe Recht, welches er für sich in Anspruch nahm, ein Halligbewohner bleiben zu dürfen, er ihr nicht verweigern könne, wenn sie eine Großstädterin bleiben wolle. Fühlte er, daß selbst an ihrer Seite ihn in der Fremde Heimweh verzehren würde, wie durfte er ihr denn an seiner Seite auf der Hallig Heimweh verargen? Diese Betrachtung hielt ihn stumm. Tiefe Schwermut lagerte sich wie eine bange Last über seine Seele. Er verlor sich in Gedanken, die an seine Untreue gegen Maria nahe genug hinstreiften, um eine Empfindung wie Reue zu wecken.

Oswald unterbrach die verlegene Pause, indem er das Glas erhob, um auf einen frohen Verein in Hamburg anzustoßen. Mechanisch ergriff auch Godber sein Glas und stieß mit an, aber er setzte es wieder hin ohne zu trinken.

Mit diesem Tage trat eine gewisse Spannung zwischen den Liebenden ein. Idalia ward ernster, nachdenklicher, zurückhaltender, und obwohl sie nicht zweifelte, daß Godber seine Grille fahren lassen würde, war es ihr doch unangenehm, daß er sie genährt hatte, daß er sie wenigstens nicht sogleich habe vergessen können, als er ihre Abneigung bemerkte, eine Halligfrau zu werden. Er dagegen war traurig bewegt; dabei jedoch so hingebend, so achtsam, so besorgt, immer die vollste Liebe zu zeigen, als nähre er noch eine geheime Hoffnung, sie zu dem Opfer bewegen zu können, von welchem das Glück seines Lebens abhing. Beide vermieden es, auch nur mit dem leisesten Worte jene Verschiedenheit ihrer Ansprüche an die Zukunft zu berühren.

Die verwaiste Maria war unterdessen in Hold’s Familie aufgenommen und dadurch der Wohnung Godber’s näher gebracht. Es konnte nicht fehlen, sie mußten sich von jetzt an öfter sehen, wenn auch nur aus der Ferne. Ja, es geschah auch wohl, daß ihre Wege neben einander vorbeiführten, so sehr sie auch jede Begegnung zu vermeiden suchten. Doch eines Tages trafen sie sich am Steg und waren, gedankenvoll hinwandelnd, sich schon zu nahe, um ohne Gruß vorübergehen zu können. Sie standen vor einander, Beide die Augen zu Boden schlagend; Maria die Hand auf die beklemmte Brust gepreßt, Godber mit bebenden Lippen, ohne eines Wortes mächtig zu sein. Endlich faßte er ihre Hand und sagte leise:

„Maria, es mußte so sein!“

Sie blickte auf, und eine Thräne zitterte in ihrem Auge.

„Der Herr hat es so gewollt!“ seufzte sie. „Er mache Dich glücklich.“

„Und Dich, Marie!“ antwortete er.

Sie aber schlug den Blick gen Himmel, und es brach wie ein Lichtglanz durch ihre Thränen:

„Seine Kraft ist in dem Schwachen mächtig.“

„Maria,“ rief Godber, und drückte ihre Hand fester, „kannst Du mir vergeben?“

„Als ich den Ring von Deinem Finger zog,“ antwortete sie, „da habe ich Dir vergeben!“

Godber ließ ihre Hand fahren und sah nach seinem Ringe. Zum ersten Mal bemerkte er, daß dieser ihm fehle. Er starrte auf die Stelle, wo er ihn getragen, konnte nicht begreifen, wann das Pfand der Treue von seiner Hand gekommen, und es war ihm, als sei nun erst seine Untreue vollendet, als sei nun erst jede Rückkehr unmöglich geworden. Er hätte in diesem Augenblick viel darum gegeben, den Ring noch zu haben; er hätte ihn in diesem Augenblick um keinen Preis fahren lassen. Der Gedanke, daß er ihn nicht mehr habe, dehnte eine Kluft vor ihm aus, die ihn auf ewig von Maria trennte. Nun erst war sie für ihn verloren, unwiederbringlich verloren, als wenn nicht schon längst sie von einander geschieden gewesen wären. Als er wieder aufsah, war Maria verschwunden.

Idalia hatte diesen Auftritt von weitem angesehen, und ohne ein Wort darüber zu verlieren, ward sie nur immer kälter und fremder gegen Godber. Er aber hing sich mit seiner Liebe ihr desto fester und fester an. Sie war gleichsam das Anker, das ihn halten sollte im Sturm der widersprechenden Gefühle, in dem Kampf der sich unter einander verklagenden Gedanken. Er fühlte, daß wenn sie ihn aufgebe, die Kraft seines Lebens gebrochen wäre, daß ihm dann das Bewußtsein ausginge, warum denn Alles so gekommen sei, daß er dann in der Wüste des Meeres umhertaumele, wie ein Leichnam, der von der felsigen Küste ringsum immer wieder in die Wogen zurückgeworfen wird.

XIV

 
Gabe ist, was Licht und Leben,
Gnade ist, was Frieden gab!
Sollen Engel niederschweben,
Du kannst nicht die Leiter heben,
Engel senken sie herab.
 

Mander würde vielleicht die Liebenden aufmerksamer beobachtet und so bald die Pflicht des Vaters erkannt haben, ein Verhältnis, das bei dem gänzlichen Mangel an Uebereinstimmung in den Wünschen und Hoffnungen für’s Leben unmöglich glücklich enden konnte, bei Zeiten zu lösen, wenn er nicht zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen wäre. Er mochte keinen Versuch mehr wagen, aus sich selbst heraus die Himmelsleiter zu erbauen, und doch scheute sein Geist vor dem Gedanken zurück, daß Gott sie in seiner Barmherzigkeit und Liebe längst herabgelassen habe.

„Wie mögen Sie doch nur annehmen,“ sagte er in seinen Unterredungen mit dem Pastor über die Offenbarung, „daß Gott, der mehr Welten regiert, als das Alter der Erde Sekunden zählt, als der Ocean Tropfen, als die Wüste Staubkörner hat, daß dieser Gott so große Dinge thun sollte, um dieses winzigen Menschengeschlechts willen, dessen mächtigste Geister, von bloßen Gewalthabern gar nicht einmal zu reden, wie Mücken sind, die im Sonnenstrahl spielen?“

„Und dessen große und kleine Geister doch meinen,“ sprach Hold, „sich den Gott, den sie anzubeten berufen sind, auf das weiße Blatt ihres Weltsystems hinsetzen zu können wie einen Tintenfleck, den man mit dem Löschpapier auftrocknet, um darüber hinzuschreiben!“

„Lassen wir Das!“ fiel ihm Mander in die Rede. „Ich merke wohl, hier auf dieser flachen Scholle, den Himmel so weit über sich, das Meer so weit um sich, fast ohne einen Gegenstand, der an kleinliche Menschenarbeit erinnert, weitet sich das Herz, und die Gedanken wollen sich nicht mehr zügeln und gängeln lassen in Begriffen und Schlüssen, sondern schweifen frei in die Unendlichkeit aus, als wären sie einem Kerker entflohen. Als ich gestern Abend auf dem Taufstein am alten Kirchhof saß und nur Meer und Sternenhimmel sah, da kam ich mir vor, als schwimme auch ich im Weltocean, selbst eine kleine Welt, bewegt von Gottes Odem, getragen von Gottes Macht, verklärt von Gottes Geist, friedlich und selig, wie die andern Sterne, feiernd wie sie den Schöpfer, Erhalter und Regierer. Und es ist mir noch jetzt, als könnte ich, seit ich einmal so reich war, nie wieder in der Zukunft so arm werden an Glauben und Glaubensfreudigkeit, wie ich früher es gewesen.“

„Nun,“ sprach Hold wie segnend, „so möge denn Ihnen immerdar leuchten der Morgenstern, der aufgegangen ist in Ihrem Herzen. Muß es denn nicht ein liebevoller Gott sein, der solche Stunden dem Menschen giebt? Sollten wir leugnen, daß in solcher Feier Gottes Sprache ist, dies leugnen, weil unsere Sprache keine Worte hat, sie nachzustammeln? Aber sie fragten, wie Gott für das winzige Menschengeschlecht so große Dinge thun sollte, sich ihm zu offenbaren in Seiner Herrlichkeit, und ihm Licht zu bringen in der Finsterniß, Frieden in der Zwietracht, auf eine solche Weise, wie das Evangelium von Christo aussagt. Ich gehe noch weiter. Nicht allein ein winziges, schwaches, ohnmächtiges, vergängliches Geschlecht nenne ich die Menschen, sondern auch ein durch Selbstverschuldung verblendetes und sündiges. Es ist Keiner, auch nicht Einer, der vor Gott gerecht erfunden wäre. Es ist der Spiegel unseres Herzens befleckt mit unheiligem Wesen, und unser Wandel Trägheit zu allem Guten und Ungehorsam gegen Gottes Gesetz. Jeder Gedanke an Gott, den heiligen und gerechten Richter der Lebendigen und der Toten, muß eine Beichte sein und ein Flehen um Gnade, wodurch auch der leiseste Vorbehalt von eigenem Verdienst und eigener Gerechtigkeit hinweggenommen wird, wie Gottes Sonnenstrahl den Regentropfen wegnimmt, der auf einem Grabstein liegt. Doch nicht um dies winzige Geschlecht allein auf einem Staubkorn Seiner Welt, auch um dies durch eigne Schuld verderbte und täglich neue Schuld häufende Geschlecht hat Gott so große Dinge gethan; denn das ist Seine Liebe. Und wäre auf diesem Erdboden auch nur eine Seele unter allen Millionen gewesen, empfänglich für Seine Segnungen und Verheißungen, für diese eine Seele würde Er Himmel und Erde bewegt haben in ihren Axen, diese Eine an Sein Vaterherz zu ziehen; denn das ist Seine Liebe! Und wäre diese eine Seele siebenmal siebzigmal wieder zurückgefallen in ihre Finsternis und ihr Verderben, Er würde siebenmal siebzigmal Himmel und Erde bewegt haben in ihren Axen, diese Eine wieder heimzuführen in das Reich der Gerechtigkeit, der Freude und des Friedens; denn das ist Seine Liebe! Wir reden von Seiner Allmacht und Weisheit, die die Unermeßlichkeit füllen mit ihren Zeugnissen; wir sehen den kleinsten Wurm im Staube so fein und künstlich gebildet und sein gedacht, wie des Seraphs, dessen Hallelujah durch die Himmel rauschet; und Gottes Liebe sollte nicht eben so vollkommen sein, wie alle Seine andern Eigenschaften? Sie sollte eine Begrenzung, Beschränkung, einen Rückhalt kennen, wovon Seine Allmacht und Seine Weisheit nichts weiß? Es kann und darf nie gefragt werden, sollte Gott je so gnädig und barmherzig sein wollen, wie das Evangelium Ihn verkündet in der Lehre vom Versöhner? Denn das ist eine Frage, die ihm eine Vollkommenheit abspricht; eine Vollkommenheit gerade im Herrlichsten, was Himmel und Erde kennen, in der Liebe. Es ist nur eine Frage: thut es dem Menschen not zu seiner rechten Heiligung im Geiste des Gemüts, zu seinem Frieden im Leben und im Sterben, daß sich Gott ihm offenbare als Weg, Wahrheit und Leben, als Heiland, Versöhner, Erlöser, Friedensfürst? Muß sich der Mensch diese Frage mit ‚Ja‘ beantworten, wenn er aufrichtig prüfet sein Wissen, sein Wesen und seinen Wandel, wenn er es gelernt hat, Halbheit und Lauheit im Denken, Wollen und Thun zu verschmähen und zu verachten, dann kann er mit kühner Hand in die Wolken greifen, dann kann er freudig miteinstimmen: „also hat Gott die Welt geliebt!“ Dann darf er nicht weiter fragen: wie mag solches zugehen? Denn wie alles Wesen über des Menschen Wissen und Verstehen ist, wie sollte denn nicht auch die Liebe Gottes über sein Wissen und Verstehen sein?“

 

„Sie haben einen Glauben, der im Stande wäre, Berge zu versetzen!“ sagte Mander tief bewegt.

„Ich wollte, ich hätte ihn,“ erwiderte Hold, „dann würden wir bald eines Glaubens sein.“

„Ich möchte fragen, was muß ich thun, daß ich das ewige Leben erbe?“ sprach Mander mehr in sich hinein, als zu Hold gewandt.

„Fragen Sie die Schrift, die von Christo zeuget. Lassen Sie vor Allem erst Ihr Nachdenken weilen beim Gesetze. Prüfen Sie all’ Ihr Wesen und Thun mit unerbittlicher Strenge an den Geboten Gottes und an dem Vorbilde des Herrn. Machen Sie keine Sünde zur Schwachheit, keine Unlauterkeit zur Natur des Staubes, keine Versuchung zu einer unüberwindlichen Macht, keine Vergleichung mit Andern zur Entschuldigung für sich. Malen Sie sich keine Liebe Gottes aus, die nachsichtig, begütigend, vergeßlich ist, wie die kränkelnde Liebe der Menschen, sondern eine Liebe die mit der strengsten Gerechtigkeit Hand in Hand gehet; auf daß der Wetterstrahl des Gerichtes Sie durchleuchte und durchflamme, auf daß Sie hingeschmettert werden in den Staub und Ihre vermeinte Tugend und Ehrbarkeit, wie Splitter und Spreu, von Ihnen fliege; auf daß Sie zittern und zagen lernen vor Dem, der Rechenschaft fordert auch von jeglichem unnützen Worte, das aus unserm Mund gegangen ist; und Ihre Seele, so wenig sie auch noch jetzt glauben mag, daß es dahin mit ihr kommen könne, zu kommen brauche, in Reu und Leid zage unter dem Licht und Gericht des göttlichen Gesetzes. Nur durch Traurigkeit zur Freude! Nur durch’s Gericht zur Gnade! Nur durch Zwietracht zum Frieden! Nur durch Tod zum Leben! Nur die Niedrigen werden erhöht und die Demütigen angenommen! So lange wir uns vor Gott noch dünken, Etwas zu sein, sind wir Nichts. Hineinpredigen aber läßt sich solche schmerzensreiche Buße nicht. Die muß von Oben kommen, als Liebesgabe und göttliche Gnade. Nur raten kann mein Wort dazu; nur an dem Bollwerk rütteln, das hindert; nur leise rütteln an des Herzens Thoren, daß ihre Angeln leichter sich umwenden, wenn der Herr kommt zum Gericht! Gehen Sie in eine einsame Stunde und treten Sie Ihren Dornenpfad an.“

„Sind Sie auf demselben Dornenpfade zur Glaubensfreudigkeit gekommen?“ fragte Mander leise.

„Ich gehe diesen Weg noch täglich und bin doch froh und selig im Herrn!“ erwiderte Hold.

„Das ist wunderbar!“

„Nicht so wunderbar wie der Bund der göttlichen, versöhnenden Liebe und der strengrichterlichen Gerechtigkeit mit einander. Nicht so wunderbar, wie Christi Zagen vor dem Kreuze und doch Hingebung an’s Kreuz. Darüber aber gebe ich Ihnen keine Erklärung, bis Sie in die Stunde gekommen sind, die ich zuerst von Ihnen fordern muß, die Gott von Ihnen fordert, weil Er Sie derselben so nahe gebracht hat; wenn Sie dann noch nach einer Erklärung fragen sollten.“

Es war aber keineswegs so leicht, Mander auf den Dornenweg zu bringen, wo seine Selbstzufriedenheit bluten sollte. Mancher Abend ging noch in lebhaften Unterredungen hin, in welchen Hold vorzüglich Mander’s erwachende Neigung bekämpfte, sich eine Art von philosophischem Christentum zu construiren.

„Sind aber nicht alle Materialien dazu gegeben, in der Schrift, wie in den sonstigen Zeugnissen Gottes?“ verteidigte sich Mander.

„Materialien für Sie übergenug,“ entgegnete Hold; „aber der Mörtel fehlt noch, das Herzblut, das die Reue erpreßte, und die Thränenflut, welche die Sehnsucht nach einem Frieden, wie ihn die Welt und die Weltweisheit nicht geben kann, aufquellen ließ. Sie sind in Gefahr, in der Halbheit zu bleiben, weil Sie anfangen, die Baustücke an einander zu passen, ehe das Gebäude in seiner Höhe und Tiefe, in seiner Länge und Breite vor Ihrer Seele steht.“

„Es möchte aber der Weg zum Glauben nicht für Alle derselbe sein,“ meinte Mander.

„Ohne die Demut kommt Keiner in diesen Weg hinein; und ohne die tiefe, durchdringende, ja zermalmende Erkenntnis der Sündhaftigkeit vor Gott, ohne das laute, aufrichtige, in Reu’ und Leid ringende Bekenntnis derselben ist keine Rückkehr für den, der, wie Sie, in den Irrpfaden der geistigen Selbstanbetung sich erging. Daß Sie jetzt schon Baumeister sein wollen, ehe Sie selbst wahrhaft erbauet sind, oder jedenfalls noch in der ersten Frühlingslust der beseligenden Erbauung leben sollten, scheint mir anzudeuten, daß Sie noch unter der Knechtschaft Ihres eigenen Geistes gefangen und nicht durchgedrungen sind zur Freiheit der Kinder Gottes, deren Glaube keine dorische oder korinthische Säulenordnung, sondern eine kühn aufstrebende Säule ist, deren fester Fuß in den Tiefen des Herzens steht und deren Spitze der Regenbogen der Verheißung kränzt.“