Za darmo

Die Hallig

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Idalia saß noch lange auf derselben Stelle, ehe eine klare Vorstellung über das Geschehene sich aus ihren irren Gedanken und wechselnden Gefühlen losrang. Daß sie das Herz eines liebenden Mädchens gebrochen, war ihr nun zur vollen Gewißheit und ihr Mitleid im höchsten Grade rege geworden. Zugleich fühlte sie sich unangenehm in der freien Leitung ihres eigenen Herzens auf gewisse Weise dadurch beschränkt, daß es ihr eine notwendige Pflicht geworden war, eine solche Liebe, wie Maria kund gab, dem Jüngling zu ersetzen, welchen sie jener entzogen. Stimmte auch diese Pflicht mit ihren Neigungen überein, so war sie doch nun eine Fessel und darum für diese Neigung nach ihrem Charakter weniger zu einem Sporn, als zu einem Rückhalt geeignet. Auch verbarg sie vor Godber den empfangenen Ring und verschwieg ihm sorgfältig das Erscheinen Maria’s an seinem Lager. So brachte sie die Unbehaglichkeit einer Verheimlichung in ihr Verhältnis zu ihm. Sie mochte heimlich fühlen, daß ihre Liebe nicht jeder Prüfung gewachsen sei; wie konnte sie das rechte, volle Vertrauen zu seiner Liebe haben?

Maria wäre wohl kaum je dahingekommen, auf die obenerzählte Weise Idalia an sich zu erinnern, wenn nicht der Tod ihrer Mutter alle ihre Gefühle noch höher aufgeregt, als sie es schon durch die Untreue des Verlobten waren, und ihr eine Spannung gegeben hätte, die sie aus dem einfachen Geleise ihres sonstigen Ganges hinaustrieb.

Der Arzt, der um Godber’s willen die Hallig besuchte, hatte auf Hold’s Bitte auch nach der kranken Witwe gesehen, obwohl ihre Unpäßlichkeit für wenig gefährlich gehalten wurde. Wie erschrack Hold, als der Arzt ihm erklärte, daß hier alle Hülfe zu spät komme, und die Alte ihrer Auflösung rasch entgegengehe. So sollte denn Maria ganz verwaist in ihrem Schmerze dastehen? Ihr schwererkämpftes Vertrauen zu der väterlichen Führung Gottes sollte durch einen neuen Schlag erschüttert werden? Hold suchte sie auf den ihr drohenden Verlust so schonend als möglich vorzubereiten. Sie nahm zu seiner Verwunderung die allmälige Mitteilung des ärztlichen Ausspruches mit Gelassenheit auf. Konnte ihr, nach dem Schmerze, den sie überwunden, noch Etwas zu schwer zu tragen sein? Sie schien gleichsam dem Himmel trotzen zu wollen, sie noch härter zu treffen. Nur als Hold sie darauf aufmerksam machte, wie wenig eine solche Ergebung diesen Namen verdiene, wie sehr sie sich darin versündige, den Schmerz nicht fühlen zu wollen, den ihr der himmlische Vater auf’s Neue bereite; als er mit scharfem Worte diese Gelassenheit eine unchristliche, heidnische nannte, da brach sie in Thränen aus und fragte wehmütig: „Was wollen Sie denn von mir?“

„Ich will,“ antwortete Hold, „ein offenes Gemüt, wo der warme Sonnenstrahl der göttlichen Barmherzigkeit, die sich auch im Leiden offenbaret, eine fruchtbare Stätte findet; keine eisige, verschlossene Brust, an welcher die Stürme vorüberwehen, ohne sie zu berühren. Ich will kindlichen Gehorsam und nicht eigensinnigen Trotz. Ich will Leben und nicht Tod. Der Herr soll Deine Thränen sehen und Deine Seufzer hören, daß sich darin kund gebe Deine Demut und Dein Getroffensein von Seinen Schlägen. In Seinen Himmel hinauf soll Dein Gebet und Flehen dringen um Kraft und Stärke. Du sollst nicht schweigen vor Ihm, als hättest Du schon, was du bedarfst. Du sollst lernen von dem Anfänger und Vollender des Glaubens, dem es ein Geringes gewesen wäre, sich jenen kalten, harten Gleichmut anzueignen, mit dem Du tragen und dulden willst, der aber weinte und betete: „Vater ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber!“ Siehe Maria, es ist ein Geist über Dich gekommen, der nicht der rechte ist, so sehr er sich auch rühmen mag seiner Geduld und Stille. Laß uns, die wir einen Vater im Himmel haben, auch zu diesem Vater kommen in der Traurigkeit, wie in der Freude. Wir wollen traulich mit Ihm reden, mit der Kinder Offenheit und Herzlichkeit; wollen Ihn fragen, und Er soll sich verantworten und uns offenbaren, warum Er das gethan! Und gewiß, wir werden eine Antwort erhalten, wie der Heiland sie erhielt, als er rief am Kreuze zum Himmel auf: „Gott, mein Gott! warum hast Du mich verlassen?“ und die Antwort hatte, als Er im Verscheiden betete: „Vater in Deine Hände befehle ich meinen Geist!“ Geh’ in Dein Kämmerlein und weine Dich aus vor dem Vater in der Höhe, daß Deine Thränen nicht mehr wie brennende Tropfen auf eine dürre Stätte fallen, sondern zum himmlischen Tau werden, der die Wunden Deines Herzens kühlt.“

Maria’s Thränen flossen stärker, und sie sagte endlich: „Ich verstehe es nun an mir selber, was es heißt: Herr, ich glaube! hilf meinem Unglauben!“

„Ja, so ist es,“ erwiderte Hold. „Das Verständnis der Schrift geht uns immer erst allmälig auf. Sie würde uns stets ein Buch mit sieben Siegeln bleiben, wenn die Erfahrungen unseres Lebens nicht hinzukämen und uns offenbarten die Offenbarungen Gottes in ihrer Fülle, als Worte der Wahrheit und des Heils. Wir leben uns in die Schrift hinein, und dadurch wird sie uns wieder zu Licht und Leben. Das bloße Hineinlesen läßt uns vielfach in der Dunkelheit selbst da, wo wir meinen, klar zu sehen. So klopfe auch Du nur mit Deinen Erfahrungen, und mit Allem, was Dir noch bevorstehen mag, an diese heilige Pforte an und sie wird Dir aufgethan werden. Ein reicher Schatz des Trostes wird Dir offen liegen, und eine Ergebung in den Willen des himmlischen Vaters wird Dein werden, die da traurig ist und doch fröhlich, die da zaget und doch überwindet, die da schmerzlich fühlt, was genommen, und doch selig ruhet in Gott, der es genommen.“

Maria’s Mutter starb, wie sie gelebt, still und fromm. Sie empfing das heilige Mahl, nicht zu einem bis auf die Todesstunde vorbehaltenen Ruhekissen des wunden Gewissens, sondern als letzte Versiegelung eines Glaubens, in welchem sie treu beharret bis ans Ende. Ihr Alter machte sie unfähig, die Tiefe der Wunde zu beurtheilen, an welcher ihre Tochter blutete. Weil am Rande des Grabes ihre Gedanken abgelenkt waren von den irdischen Dingen, und die Eitelkeit unserer zeitlichen Wünsche und Hoffnungen in solcher Nähe der ewigen Heimat ihr klarer vorstand, vermochte sie sich nicht mehr in die Gefühle eines jugendlichen Herzens hineinzuversetzen, das seine Ansprüche auf das Glück dieser Welt nicht so leicht aufgiebt. Daher fürchtete sie auch nichts für ihre Tochter, um so mehr, da sie in dem religiösen Sinn derselben eine sichere Gewähr sah, daß ihr der Trost aus der Höhe nicht fehlen werde, Alles zu überwinden. Ihr letztes Wort an Maria war die Ermahnung: „Bleibe fromm und halte Dich recht, denn solchen wird es zuletzt wohlgehen!“ und sie verschied mit dem Ausruf: „Herr Jesu, nimm meinen Geist auf!“

So endete eine Frau, die manches Herbe in ihrem Leben erfahren, aber ihren festen Glauben und innern Frieden nie verloren. Sie schied aus einer Welt, in der sie nur gar Wenige gekannt hatten, und in der sie fast allein von ihrer Tochter vermißt wurde; und doch möchte Mancher, dessen Leben Millionen bewunderten und dessen Nachruhm Millionen feiern, diese an Geist und Gut arme und in ihrem kleinen Kreise bald vergessene Witwe um ihren Platz am Throne Gottes beneiden. Wen sein Beruf oft an Sterbelager führte, und wem da Gelegenheit ward, ein einfach christliches Gemüt in der Abschiedsstunde von einem ebenso einfach stillen Leben zu beobachten, dem ist jeder Prunk irdischer Größe widerlich, selbst da, wo er wahres Verdienst zur Folie hat, und wo dies Verdienst fehlt, kostet es ihm Mühe, sein Mitleid nicht in Verachtung übergehen zu lassen.

XII

 
Ach! du gleißest, ohne je zu laben!
Oede Weisheit einen Augenblick
Gieb mir nur den Glaubenstraum des Knaben,
Gieb mein Herz, mein kindlich Herz zurück!
 

Es möchte vielen Menschen, denen das stille Kämmerlein im Hause fehlt, und auch den Meisten, welchen es nicht fehlt, recht gut sein, wenn sie Gelegenheit hätten, auf längere oder kürzere Zeit einmal ganz aus dem Kreise ihrer bisherigen Umgebung und Thätigkeit herauszutreten, und sie in einem mußereichen Stillleben sich allein auf sich selbst zurückgewiesen sähen. Da wird Manches laut, was in dem Gewirre des täglichen Verkehrs übertäubt wurde, Manches kommt ans Licht, was im Dunkel des Herzens verborgen schlief, manche Blume keimt hervor, der es früher an dem ihr willkommenen Boden, an der ihr zusagenden Luft mangelte, wie zugleich auch in mancher glänzenden Frucht der Wurm offenbar wird. Wir sind mehr oder minder auch geistig Sklaven unseres Erdenberufs und des Kreises, in dem wir leben. In den Ketten und Banden, mit welchen unsere Stellung in der Welt uns umschlingt, verlieren wir gar leicht Sinn und Kraft für ein freies Um- und Aufschauen aus dem uns von ihr angewiesenen Gesichtskreise hinaus. Die Anforderungen und die Genüsse, ja die Vorurtheile des Standes, dem wir angehören, und des Verhältnisses, in welchem wir zu Andern stehen, üben eine unmerkliche Herrschaft über unsere Gedanken und Empfindungen und sind eben so viel Hemmketten für eine reinmenschliche Auffassung unseres Standes in der Schöpfung und im Reiche Gottes.

Das erkannte Mander auf der Hallig. Es war ihm, als habe er das Kleid ausgezogen, das er beständig getragen, und wollte er es nun auch wieder fest um sich wickeln, so blieb doch immer eine Oeffnung, durch welche ein Geist ihn anwehte, der das alte Gewand nicht duldete. Seither hatte er geglaubt, er werde endlich einmal in der Philosophie, welcher er alle seine Nebenstunden widmete, das reine Sonnenbad finden, das ihn zu dem vollen, freien, übersichtlichen Blick über Göttliches und Menschliches, Bleibendes und Vergängliches befähige, obwohl er sich gestehen mußte, daß er es zu dieser Stunde noch nicht weiter gebracht, als bis zu den Flügelschlägen des seinem Neste noch nicht entwachsenen Vogels, und daß zwischen dem Suchen nach dem Altarlicht, von dem alle Erleuchtung ausgeht, und der Verklärung durch dasselbe und in demselben eine weite Kluft befestigt sei. Jetzt drängte sich ihm nun gar die Frage auf, ob es der Philosophie überhaupt möglich sei, den Staub der niedern Welt, über welcher sie richtend thronen wolle, je ganz von sich abzuschütteln? ob nicht auch auf den scharfsinnigsten Denker seine Zeit, sein Volk, seine Lebensverhältnisse, seine ererbten Gewohnheiten, die Irrtümer seiner Vorgänger einen nie völlig zu beseitigenden Einfluß üben mußten? Die Erfahrung schien diese Frage bejahend zu beantworten. Denn die vermeintlich höchste Stufe war ja immer nur der Anfang einer höheren gewesen, und die Philosophie mit ihren wechselnden Systemen glich einer ewig sich häutenden Schlange. So glänzend auch die neue Haut anfangs erscheinen mochte, konnte sie doch nicht dem Geschick entgehen, bald als dunkle abgestreifte Hülle einer andern zur bloßen Folie zur dienen.

 

Diese Betrachtungen führten Mander zu manchen ernsten Unterredungen mit dem Pastor, in welchen, wenn Oswald nicht dabei gegenwärtig war, er jenen allmälig einen offenen Blick in sein in religiöser Hinsicht unbefriedigtes Herz thun ließ.

„Wie oft,“ sagte Mander, „habe ich mich auf ein neu angekündigtes System der Weltweisheit, wie ein Kind auf die Weihnachtsgabe, gefreut, und wenn ich durch die schwere Sprache mich zum Verständnis durchgearbeitet, fand ich nur neue Fragen ohne Antwort, neue Rätsel ohne Auflösung; wohl tiefe Blicke ins Herz, aber keine Nahrung für das Herz; wohl geistreiche Untersuchungen, aber keinen lohnenden Fund. Die Philosophen kamen mir vor wie Schatzgräber, die nach einem Schatz graben, dessen hohler Klang sie zu immer neuen Anstrengungen reizt, während neckische Geister ihn immer tiefer vor ihnen versenken.“

„Lassen Sie uns,“ erwiderte Hold, „bei einem scheinbaren Nebenumstande stehen bleiben, bei der schweren Sprache der Philosophen. Im Worte liegt eine wunderbare Macht. Indem der Mensch einem Dinge einen Namen gibt, macht er sich dadurch gleichsam zum Herrscher desselben. Es ist nun kein unbestimmtes Etwas mehr, das seine Gedanken verwirrt und sich denselben jeden Augenblick frei entziehen kann; nein, es ist gebunden unter dem Gehorsam seines geistigen Anschauens und muß ihm Rede stehen, sobald er es bei seinem Namen ruft. Es liegt ein tiefer Sinn darin, wenn nach der biblischen Schöpfungsgeschichte Gott dem Menschen die Tiere vorführt und ihn sie nennen läßt. Damit war diesem eine feste Herrschaft über sie gegeben, weil nun mit dem Worte sogleich ihre Gestalt, ihre Eigenschaften, ihre Triebe in einem Gesammteindrucke vor die Seele traten, und er nun ihre Aehnlichkeit und Unähnlichkeit, ihre Nützlichkeit oder Schädlichkeit mit einem Blicke übersehen konnte. So sind wir auch dann erst einer Vorstellung wirklich mächtig geworden, wenn wir für sie das entsprechende Wort gefunden. Unser Denken ist Sprechen, sei es nun allein ein Sprechen in uns, oder auch zugleich für unser Ohr. Um nun Gottes mächtig zu werden, wie die Philosophie es will, welche die göttlichen Dinge in den Bereich des menschlichen Wissens herunterzieht, müßten wir auch eine Sprache haben, die Seiner mächtig wäre. Fehlt aber diese Sprache uns, und ich meine die hohle, geschraubte, die gleich einem lebendig Begrabenen unter dem Leichensteine sich windende Sprache der bisherigen Philosophie gibt uns sattsam Kunde, daß sie uns fehle, so dürfen wir auch von dieser Philosophie keine Aufschlüsse über die göttlichen Dinge erwarten.“ – „Und dürfen gar keine erwarten!“ seufzte Mander; „denn jeder Aufschluß muß uns doch durch eine Sprache zukommen?“

„Mit keiner Menschensprache,“ entgegnete Hold, „wohl aber mit der Gottessprache, mit dem Glauben.“

Mander schüttelte schweigend den Kopf.

„Halten Sie es für so wunderbar,“ fuhr Hold fort, „daß Gott, der Unsichtbare und Unendliche, einen andern Weg nimmt, sich uns zu offenbaren, als auf welchem die sichtbaren und endlichen Dinge zu unserer Vorstellung kommen? Diese können wir besprechen, dies Wort zugleich im Sinne des Schlangenbeschwörers genommen, wir können sie ergreifen, umfassen, uns ihrer bemächtigen mit dem Vermögen des Geistes, das seinen Ausgang und die Spitze seiner Kraft im Worte hat. Sollte dies Vermögen, dessen Entwickelung und Vollendung von der Sprache bedingt wird, auch darum hinreichen, Gott eine Stätte in unserm Staube zu bereiten, daß wir ihn betrachten, haben und halten, als einen mit der Meßrute unserer Vorstellungen zu messenden, in den Banden unserer Begriffe zu fesselnden, als einen zu besprechenden Gegenstand? Dürfen wir nicht vielmehr schon im Voraus erwarten, daß wenn Er von uns erkannt sein und unser werden will, Er auf einem andern Wege erkannt und unser wird? Der Glaube ist nun die Art und Weise, wie Gott zu uns kommt und wir zu Ihm kommen; er ist die Sprache, in der sich Himmel und Erde allein verstehen, und wir heben dies Verständnis zwischen Beiden auf, und verlernen, uns selbst und Andern verständlich zu reden, wenn wir in der Sprache, mit welcher wir uns das Irdische gleichsam zur Anschauung bringen, ein Mittel zur Anschauung Gottes zu haben glauben.“

„Reden Sie aber auch nicht als Prediger von Seinem Wesen, Seinen Eigenschaften, Seinem Walten?“

„Wie ich vom Geiste rede,“ sagte Hold; „nur immer in Rücksicht auf körperliche Dinge; von seiner Unsichtbarkeit, Unteilbarkeit und in Rücksicht auf sein Hervortreten im Glauben. Nie kann es mir einfallen, ihn davon gesondert, als einen nackten Begriff in das Wissen meiner Zuhörer einführen zu wollen. So auch mit Gott. Die Predigt nennt Ihn Schöpfer, Erhalter und Regierer; sie weiset Ihn nach in allen Seinen Zeugnissen, in der Natur, in den Fügungen des Erdengeschicks, im Glauben, im Gewissen der Menschen, in der Offenbarung; aber auf diese Weise ebnet sie Ihm nur die Wege zum Menschenherzen, will nicht selbst dieser Weg sein; ja wäre nicht Gott schon vor ihr die Straße gewandelt, dann würde ihr Ebnen und Bahnen Ihn nicht des Weges führen. Darin, meine ich, versieht es nun eben die Philosophie. Sie stellt sich hin als Weg zu Gott; sie greift dem heiligen Geist ins Amt und verwaltet es gar schlecht, weil sie Sein Werkzeug, den Glauben, entweder gar nicht, oder nur als Notbehelf benutzt, nicht als alleinige Himmelsleiter, nicht als das alleinige Bindemittel zwischen dem, was droben ist, und dem, was unten ist.“

„Spricht aber der Glaube klar und deutlich genug in Aller Herzen?“ entgegnete Mander. „Muß nicht die Philosophie das Heer der Irrtümer bekämpfen, das sich in die Vorstellungen von Gott hineindrängt? Muß sie nicht fortwährend an einem Damm gegen den Aberglauben bauen, der gleich einem drängenden Meer immer von Neuem die Menschheit zu überfluten droht? Hat sie darum nicht immer die Anstrengungen der edelsten Männer beseelt?“

„Lassen Sie mich,“ war Hold’s Erwiderung, „auf das Letzte zuerst antworten. War in der Rede der Propheten: „Der Herr spricht!“ war in dem Worte Jesu Christi: „Meine Rede ist nicht mein, sondern Deß, der mich gesandt hat!“ Philosophie? Ja, ist selbst nur des Sokrates Dämon, oder ist in Platon’s Mythen Philosophie? Ist nicht vielmehr in diesem Allen der Rede von Gott das Sprechen Gottes als vorausgegangen angegeben? Liegt darin nicht die Weisung für unsere Philosophen, daß Verstandeserzeugnisse keine Offenbarungen von den Tiefen der Gottheit geben, die Niemand erforscht, denn der Geist Gottes, und wem Er es offenbaren will? Was Sie aber von der Philosophie als Damm gegen den Aberglauben sagen, so hat ja Der, welcher in die Welt kam, das Licht der Welt zu sein, und dessen Lehre, Sie mögen von seiner Person denken, was Sie wollen, der mächtigste Damm wider den Aberglauben gewesen ist, mächtiger, kräftiger wehrend, als alle Schulsysteme zusammen, weder in Hörsälen gelernt und gelehrt, noch die dunkle und verschrobene Sprache der Hörsäle geredet. Er hat ja immer bezeugt, daß Er nicht aus sich selber rede, sondern nur verkünde, was Gott ihm gegeben zu verkünden. Was aber die Irrtümer betrifft, welche die Philosophie bekämpft, so müssen Sie gestehen, daß sie, wie die sich einander bekämpfenden Philosopheme schon zeigen, in ihrem Kampfe gegen diese Irrtümer selbst die Wahrheit noch nicht gefunden hat, und oft Irrtümer hervorruft, die noch schädlicher sein würden, als die bestrittenen, wenn das Gift nicht eben in der schweren Zunge der geistigen Giftmischer sein Gegengift fände. Wenigstens haben Sie selbst schon gestanden, daß die Philosophie Ihnen den Frieden zu geben nicht fähig sei und also für Sie ihren Zweck verfehle.“

„Das eben ist es, was mich so sehr verstimmt,“ sagte Mander. „Ich kann nicht hinleben und mich wie ein Maulwurf in die Erde hineingraben. Ich werde von einer ruhelosen Gewalt aus diesem kleinlichen Zeittreiben, aus diesem eklen Sinnengenuß, aus dieser niedern Weltsorge herausgetrieben und muß immer wieder fragen und seufzen: was ist Wahrheit? und immer wieder ausschauen und mich sehnen nach dem Licht, das wie ein Irrlicht mich auf falsche Wege führt, nach dem Frieden, der mich lockt und mich flieht.“

„Ei, so wirf denn einmal weg, was Du weißt und nicht weißt!“ rief Hold eifrig. „Hinweg mit dem alten Gewande all’ Deines Forschens und Grübelns! Gieb einmal wieder hin dem Vater im Himmel ein kindlich offenes Herz, das Nichts will, als empfangen. Tauch einmal wieder empor mit freiem Geist aus den Abgründen, in die Du Dich versenkst, und schäme Dich des Flehens und der Thränen nicht, und wahrlich! auch Du wirst es erfahren, daß die Sterne Augen und Thränen haben für solch ein suchendes, sehnendes Menschenherz, daß noch immerdar Tau vom Hermon fällt auf die Berge Zions! – Glauben Sie mir, Mander, wir sollen nur fernhalten, was hindert und wehret, sollen nur nicht das Glas über die Blume setzen und meinen, daß ihre Ausdünstung sich wieder zum erquickenden Tau für sie bilde. Nein, wir sollen die Blume hinstellen unter Gottes freien Himmel, und die Erquickung wird ihr nicht fehlen.“

Mander fühlte sich von der begeisterten Rede des Pastors getroffen, in seinem Auge zitterte eine Thräne, und die Rührung der Pastorin, die ihrem Gatten die Hand drückte und sich nach einem Blick der vollsten Liebe an dessen Brust neigte, erhöhte noch seine Gefühle. Er konnte nicht gleich antworten, und nur als die Pastorin, wie zwischen den beiden Männern vermittelnd, sagte:

„Es möchte dem Manne nicht immer so leicht sein, als es dem weicheren Frauengeschlecht ist, sich und sein Wissen zu vergessen und die Selbstthätigkeit des Geistes in die Empfänglichkeit des Herzens aufgehen zu lassen,“ erwiderte er:

„Nein, glauben Sie mir, nie sind meinem Leben solche Stunden ganz fremd geworden, in denen alle Zweifel und Fragen überwältigt wurden vom religiösen Gefühl, und ich habe nie aufgehört, sie als Feierstunden meines Lebens zu lieben und zurück zu wünschen. Doch, daß sie eben nur Feierstunden in den langen Werktagen, nur Strahlen in die Nacht hinein, nicht die Morgenröte einer schönen Zukunft waren, das ist es, was mich betrübt, ja, mich mißtrauisch gegen sie macht. Wie denn auch diese dunkeln, unbestimmten Gefühle, die wir nicht leiten und ordnen können, die uns vielmehr wie eine fremde Macht fortreißen, uns unmöglich ein auch für ruhigere Betrachtung befriedigendes Gottesbewußtsein geben können.“

Hold’s Antwort hierauf war:

„Warum nennen Sie auch Das, was in solchen Feierstunden Sie bewegt, Gefühl? Ich würde es viel lieber eine Pfingstpredigt nennen, die der Herr Himmels und der Erden in seinem Erbarmen über Ihren schwachen Glauben Ihnen hält. Das Wort Gefühl läßt uns schon von vornherein an Dunkelheit, Unbestimmtheit, Unverläßlichkeit denken; wir deuten es als etwas uns Eigenes, ja Sinnliches. Doch erinnern Sie sich dessen, was ich vorhin sagte von der Sprache, in der Gott seinen Kindern im Staube offenbar wird. Nehmen Sie jene religiöse Erregung, jene andächtige Feier in Ihrem Innern, als diese Sprache Gottes, wie Sie selbst ihren Eindruck mit einer fremden Macht vergleichen, und Sie werden ihr mehr Vertrauen schenken. Wenn die Brust aufwallt, wie von einem neuen, frischen Lebensodem gehoben, wenn ein Beben durch die Gebeine geht, als spürten auch sie die Geisternähe mit empfänglichem Sinn, wenn die Thräne in’s Auge heraufquillt aus dem innersten Herzen, wenn die Seele von einer Fülle überströmt wird, in der sie sich so reich und so selig fühlt, wenn der Geist frei und rein aufatmet, als sei er aller Schranken und Schlacken bar, warum wollen wir es in solchen Augenblicken leugnen und nicht bekennen: Der Herr spricht! Wie soll denn der ewige Geist sich dem endlichen Geiste anders ankündigen, als durch ein solches Insichaufnehmen, das mit einer Ueberwältigung der Staubeshülle verbunden sein muß und daher ganz andere Empfindung erzeugt, als dieser sonst eigen sind. Der zweideutige Ausdruck: religiöses Gefühl, nimmt solchem Nahen und Walten des heiligen Geistes den Wert für uns und den Einfluß auf uns zur Erleuchtung, Heiligung und Beseligung.“

 

„Könnte nicht jene Aufregung und Erhebung der Andacht auch Täuschung sein, eine Folge unserer aus der Kindheit herübergenommenen, vielleicht falschen Vorstellungen von Gott.“

„Ist es Menschenwerk,“ antwortete Hold, „unser Selbstwerk, das uns treibt in solchen Stunden, woher denn die über alle unsere sonstigen Sinne und Gefühle weit hinausgehende Erhebung? Nur uns Aehnliches können wir erzeugen, nur steigern, was wir haben, nur einen Schritt weiter uns fortbewegen auf unserm Geleise; nicht die Tiefe überspringen, nicht das Neue schaffen. Ich frage aber Sie, ich frage Jeden, dem einmal solche Andachtsfeier aufging, ob er nicht ein ganz Anderer war denn zuvor? ob der alte Mensch nicht zurücksank wie ein Gewand, und ein Neues in ihm geboren wurde, wodurch er selbst eine neue Creatur ward voll Licht und Leben, so lange, bis die vorige Finsternis wieder über ihn kam, und er sich wieder erkannte in dem alten Gewande? Wer kann aber solch Neues schaffen, als der alleinige Schöpfer?“

„Dieses Alles zugegeben,“ sagte Mander: „so ist damit noch keine Frage beantwortet. Auch bei mangelhaften religiösen Vorstellungen mögen solche Momente der Weihe nicht fehlen. Sie sind vielleicht eine Offenbarung der Gottheit; aber eine Offenbarung, wodurch für das Wissen von Gott Nichts gewonnen ist.“

„Es ist wenigstens Freude, Friede, Seligkeit für Augenblicke gewonnen, und die Gewißheit, daß Gott Wege hat zum Menschenherzen, die nicht wie unsere Wege zu Ihm voll von Steinen des Anstoßes sind. Es ist das Vertrauen gewonnen, daß Er Sein Kind im Staube nicht lassen wird in Irrtum und Verblendung, sondern aus Seiner Fülle geben wird, was demselben zu wissen not ist, um der rechten Empfänglichkeit für Seinen heiligen Geist nicht zu ermangeln, um aus jenen Weihestunden die rechte Frucht mit in’s Leben hineinzunehmen. Ja, Seine freie Gabe soll es sein, was wir von Ihm wissen, nicht das zweifelhafte, schwankende, trügliche Ergebnis unserer Forschungen.“

„Ist aber nicht auch die Vernunft Gottes Gabe?“ bemerkte Mander. „Und wenn wir sie als das Mittel unserer Erkenntnisse von Gott annehmen, so leiten wir damit ja all’ unser Wissen in den göttlichen Dingen, wenn auch nicht unmittelbar, doch am Ende nur aus einer und derselben Quelle mit den Offenbarungsgläubigen ab.“

„Dem Licht des Tages,“ entgegnete Hold, „dankt unser Auge das Vermögen zu sehen; will es aber in die Sonne schauen, dann sinkt es geblendet zurück. Es war vorzüglich unserer Zeit vorbehalten, eine Offenbarung Gottes an die Menschen außerhalb der Grenzen der Vernunft zu leugnen. Wir treffen das: Der Herr spricht! sonst in allen Religionen der Erde. Wollen Sie mir dagegen bemerken, das komme daher, weil die ungebildete Vernunft über ihren selbstgemachten Gewinn erstaunt und sich nicht selbst die Ehre zuzuschreiben wagt, oder weil die einzelnen Weisen meinten, eine göttliche Autorität erlügen zu müssen, um Leiter des blinden Volkes zu werden, so kann ich ebenso wahrscheinlich sagen: es kommt daher, weil man eben wußte, eine göttliche Offenbarung empfangen zu haben. – Doch warum reden wir denn über diese Dinge? Ist es nicht, weil Sie die Höhen und Tiefen, die Länge, Weite und Breite des Gebiets der Vernunft durchwandert haben und nun kommen und fragen: was ist Wahrheit?“

„Wandeln aber nicht so Viele in Frieden ihren Weg und halten sich an die Vernunftreligion?“

„Nennen Sie diese unbestimmten Ideen von Gott, Freiheit des Willens und Unsterblichkeit Vernunftreligion, so vergessen Sie nicht, daß es eben noch ausgemacht werden soll, ob diese Ideen denn Gaben der Vernunft sind, und nicht vielmehr ein Raub an der Offenbarung begangen. Und woher denn der Friede dieser Vielen? Eben weil sie gar keine weitere Nahrung suchen über diese zufällig aufgerafften Brosamen hinaus, oder weil sie ihre Vernunft, die nach hellerem Lichte aus dem Halbdunkel hinausstrebt, ängstlich in Zügel halten, als wäre sie ein scheues Roß, das mit seinem Vorwärtsrennen den Reiter in einen Abgrund stürzen könnte. Wie oft hört man das Wort: ‚Darüber muß man nicht weiter nachdenken, sonst könnte man den Verstand verlieren.‘ O, du gerechter Himmel! Ueber das Band, das mich halten soll in der Gemeinschaft mit dem Ewigen, über das Licht, das mein Leben auf Erden verklären soll zu einem Wandel der Kinder Gottes, über den Pfad, der mir die Brücke bauen soll über der Zeit Vergänglichkeit und des Todes Verwesung hinweg zum ewigen, seligen Leben: darüber sollte ich mich scheuen, weiter zu denken? in diesen Dingen klar zu schauen mich fürchten? vor tieferem Aufschluß mich ängstlich zurückziehen? Wo es sich um die Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit handelt, wo mein eigentliches Sein, meine Zuversicht im Leben und im Sterben, mein Heil in Zeit und Ewigkeit in Frage steht: da sollte ich mir das Schicksal der Mücken zur Warnung dienen lassen, die ihre Flügel an den Flammen versengen?“

„Aber ist dies nicht oft das Schicksal Derer geworden, die weiter forschten?“ meinte Mander. „Wenn sie es auch nicht selbst empfunden haben in der Leidenschaft für ihre glänzenden Systeme, so spricht es sich doch aus in dem schnellen Wechsel derselben, in den Widersprüchen, die darin offenbar werden, in dem geringen Einfluß ihrer Weisheit, die kaum in wenigen Jüngern fortlebt und sich in denen schon anders gestaltet, als sie aus dem Haupte des Meisters, eine scheinbar so wol gerüstete Minerva, hervorging.“

„Was bedürfen wir weiter Zeugnis?“ erwiderte Hold. „Sind wir nicht zu der Notwendigkeit einer göttlichen Offenbarung gekommen?“

Vielleicht hätte das Gespräch noch bis tief in die Nacht hinein gedauert, wenn nicht Oswald gekommen wäre, um seinen Vater abzuholen, da es schon sehr spät geworden war. Die Pastorin gestand, daß sie sich freue, die Fortsetzung einer solchen Unterhaltung verschoben zu sehen, da sie nicht lassen könne, zuzuhorchen und doch merke, wie solche Untersuchungen erkältend auf ihr Herz wirkten.

Oswald sagte lachend: „Gewiß läßt mein Vater sich noch von Ihnen bekehren, Herr Pastor. Aber ehe ich vor Bileams Esel meine Kniee beuge, müßte mein Haar so grau werden, wie die Haut des Esels vermutlich war.“

Sein Vater warf ihm einen unwilligen Blick zu und hätte ihm mit hartem Wort seinen unziemlichen Spott verwiesen, wenn nicht Hold rasch das Wort genommen:

„Halten Sie Ihrem Sohn ein wenig Derbheit zu Gute. Er giebt nur auf seine Art wieder, was er in meiner Art davon bei unserer letzten Unterredung hat erfahren müssen. Uebrigens möchte ich,“ fuhr er, zu dem über diese Anspielung lächelnden, aber doch errötenden Oswald gewendet, fort, „daß Ihr Haar recht bald so grau würde, wie Sie es haben wollen, um Ihr Knie zu beugen, wenn auch nicht vor Bileams Esel, doch vor Dem, den ein gleiches Tier trug, als Er einzog in Jerusalem, keinen gezwungenen, sondern einen freiwilligen Segen zu bringen, nicht einem Volke, sondern allem Volke.“

„Verzeihen Sie, Herr Pastor,“ erwiderte Oswald, „wenn ich mich zu hart ausdrückte. Aber es ist mir immer unbegreiflich gewesen, wie vernünftige Menschen keinen Anstoß an solchen Erzählungen im sogenannten Worte Gottes finden.“

Hold antwortete: „Halten Sie den Spruch: ‚Du sollst lieben den Herrn, Deinen Gott, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte;‘ oder den andern: ‚Was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was keusch, was lieblich, was wollautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob: dem denket nach,‘ für gute und reine Lehre?“