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Die Hallig

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VIII

 
Du klagst, daß Deinen Blick umfloren
Die Schatten um der Wahrheit Thron?
Dein eigen Herz hat sie geboren;
Sie sind der Sünde Frucht und Lohn.
 

Idalia glaubte in ihrem ganzen Leben nie so glücklich gewesen zu sein, als sie jetzt sich fühlte. Diese häusliche Geschäftigkeit, der sie sich mit allem Eifer hingab, hatte, je ungewohnter sie ihr war, einen desto größeren, ja zauberischen Reiz für sie, der noch durch das Eigentümliche ihrer Lage und ihres Aufenthaltes auf einer Hallig erhöht wurde. Die Liebe löste in ihrer Brust, die früher nur Raum hatte für das flatterhafte Wesen eines eitlen Mädchens, alle Ahnungen der wahren Weiblichkeit und den Sinn für die Würde einer Hausfrau. Zugleich wußte sie ja, daß sie so gerade Dem am meisten gefalle, von welchem sie geliebt sein wollte. Sie benutzte nicht einmal alle Vorteile, welche ihr die Mittel ihres Vaters liehen, um Bedürfnisse und Annehmlichkeiten, die sonst der Hallig fremd waren, für ihren Zustand zu gewinnen; sondern gefiel sich in der Einfachheit und Genügsamkeit ihrer jetzigen Heimat, und machte tausend, fast immer unausführbare Vorschläge, um das Ganze noch mehr in die Form einer Gesner’schen Idylle zu kleiden. Den Rand des sogenannten Soods, in welchem sich das Regenwasser sammelte, umkränzte sie mit einer breiten Lage von Seemuscheln, die sie mühsam hatte am Strande zusammensuchen müssen, weil dieser in jener Gegend auch damit geizt. Der Bedarf an Trinkwasser mußte jedoch für die verwöhnten Zungen vom festen Lande herübergebracht werden. Den Schatten und die trauliche Enge einer Laube zu ersetzen, hatte sie mit Godber’s Hülfe ein Zelt von Segeltüchern auf der Werfte aufgeschlagen, und wenn das Wetter es nur zuließ, ward der Kaffee unter dem Dache desselben getrunken. Sie führte auch mit ihrem Bruder manchen Streit, indem sie das Leben auf diesem Eilande vor allen Herrlichkeiten der großen Stadt rühmte, und so oft sie eine der Eigentümlichkeiten der Hallig, wenn auch nur scherzhaft, mit den glänzendsten Lobeserhebungen anpries, fühlte sich Godber enger und enger zu ihr hingezogen und gab sich den schönsten Träumen einer goldenen Zukunft hin. Bei ihm war ja die Liebe zu seiner Heimat so mit seinem innersten Wesen verwoben, daß er Alles, was Idalia in dieser Hinsicht sagte, nur für natürliche Anerkennung der Wahrheit, für ein Zeugnis voller Uebereinstimmung ihrer Seelen nahm, und mit jedem Lobe aus ihrem Munde wuchs daher auch seine Liebe zu ihr, die allein in der Liebe für das Land seiner Geburt ein Gleichgewicht hatte, sonst alle seine andern Gedanken und Empfindungen weit überwog. Die Erinnerung an Maria trat immer weiter in den Hintergrund zurück, und kamen auch einzelne Augenblicke, die an Treu und Glauben mahnten, so übte sich Godber in der Kunst, mit seinem Gewissen sich so zu beraten, daß er Recht behielt. Was konnte er dafür, daß er jetzt erst den Stern gefunden, der ihm auf seiner Erdenwallfahrt zu leuchten bestimmt war? Daß er nun erst sich selbst ganz gefunden durch die Gemeinschaft mit einem Wesen, in welchem sein Denken und Fühlen sich wie in einem verklärenden Spiegel abmalte, so daß er selbst dadurch zu einer nie geahnten Höhe erhoben und begeistert wurde? Er erschrak jetzt vor der niedern Sphäre, in welcher sein Geist und sein Herz geblieben sein müßten, wenn nicht Idalia’s Zauberschlag an die Tiefen seiner Brust gerührt, wenn er mit der unbedeutenden Maria sein Leben hingebracht.

So war es bei ihm, und so ist es bei Allen, die Eitelkeit, die in den verschiedensten Formen und Gestalten, mit den verschiedensten Wendungen und Umkleidungen sich in unsere Selbstbetrachtungen mischend, den Dingen einen Schein leiht, der uns verblendet gegen die klare Beurteilung der Verhältnisse, gegen die offenen Forderungen des Rechtes und der Pflicht. Darum ist es dem Menschen so not, daß er sich halte an dem festen prophetischen Worte. Er soll in Stunden, die er als Scheidewege erkennt, weder blindlings folgen den von Außen gegebenen Eindrücken, noch es versuchen, durch vielseitige Ueberlegung den rechten Pfad herauszufinden. Bei solcher Ueberlegung wachen in ihm alle bösen Geister auf, als fände der Aberglaube seine Erklärung und Bestätigung, der die Kreuzwege zum Tummelplatz nächtiger Dämonen macht. Sinnlichkeit, Eigennutz, Eitelkeit werden sein Urteil irre zu führen suchen, und selbst mit dem besten Willen wird seine Prüfung nie eine gerechte Würdigung Dessen sein, was sich für die eine oder andere Seite sagen läßt. Er soll vielmehr auch in diesem Sinne seine Vernunft, die durch das Erwachen jener bösen Geister in der Abgebung eines wahrhaftigen Zeugnisses gehindert wird, gefangen geben unter den Gehorsam des Glaubens. Er soll fragen, was da sei des Herrn Wille? und die Antwort darauf nicht suchen in sich selbst, als wäre seine Brust eine Wohnung des heiligen Geistes, da doch, wenn sie das wäre, es der Frage nicht bedurft hätte; sondern er soll die Antwort suchen in den Geboten Gottes, wie sie ihm gegeben sind in der reinen und lautern Offenbarung des göttlichen Gesetzes. Ein solches in seiner festen Entschiedenheit, in seiner einfachen Hoheit dastehendes Gesetz, an dem sich nicht drehen und deuteln läßt, so viel man es auch hin- und herwenden mag, und das kein Zuthun und kein Abnehmen leidet, wenn man es nicht ganz verändern und in Widerspruch mit sich selber bringen will: ein solches Gebot ohne Ausflucht, ein solcher Wegweiser ohne Seitenarm, ein solches Ja und Nein, ohne ein Wörtchen darüber, muß allein entscheiden. Ohne einen solchen Gesetzfels kommt es dahin und ist dahin gekommen, daß jeder Mensch seine eigene Moral hat, und daß diese Moral noch dazu ein wahrer Januskopf ist mit zweierlei Gesichtern, und mit Augen, die, was sie heute grün sehen, morgen früh für grau halten und umgekehrt. Berufst Du dich auf Dein Gewissen, so ist dies ja eben nichts Anderes, wenn es den Namen verdient, den Du ihm beilegst, als der Strom lebendigen Wassers vom Felsen des Gesetzes; und ist es das nicht, so ist noch weniger Verlaß darauf als auf eine von jedem Winde bewegte Wetterfahne, die darin noch den Vorzug hat, daß sie doch wenigstens die Richtung anzeigt, woher der Wind bläst. Also das klare, lautere, gegebene, nicht erst nach den Umständen und Verhältnissen zu machende oder zu modelnde Gesetz Gottes sei Dir für Dein Wollen und Thun ein unerschütterlicher Sinai. Vor Seiner Stimme durch die Wolken müssen alle andern Stimmen schweigen; und schmeicheln sie noch so lockend als Stimmen der Wahrheit um Dich her, sie sind Lüge mehr oder minder, in dem Maße, in welchem sie sich von dem einfachen, offenen Sinn des Gesetzes entfernen. Denkst Du an die Folgen? Ein lieblicher Sonnenschein lächelt Dir entgegen, wenn Du es nur einmal nicht so streng und scharf nehmen wolltest mit den Geboten Gottes, oder sie umkleidest in eine Dir gefälligere Wahrheit. Schwere Wolken dagegen hängen herab über Deinen Pfad, bereit, ihre Gewitter und ihren Hagelschlag auf Dich und die Deinen, auf die Saat Deines Nächsten zu entladen, wenn Du ohne Weichen und Wanken beharrest in dem Worte des Gesetzes. Beharre bis in den Tod, auf daß Du das Leben gewinnest! Du sollst Deine unsterbliche Seele beraten, daß sie bestehe vor dem Richter der Lebendigen und der Toten. Für die Folgen da laß Ihn sorgen; sie stehen ja in Seiner, in des gnädigen Vaters Hand. Sie sind nicht Deine Sache. Dein ist es aber, treu erfunden zu werden! Dies sei Dir genug; wenn auch die Erfahrung Dir nicht so oft zeigte, wie unsere Berechnung der Folgen so leicht dem Irrtum unterworfen ist; wie das Licht die Nacht, und die Nacht das Licht gebiert. Immerdar müssen ja auch alle Dinge, sei’s Reichtum oder Armut, Glück oder Unglück, Leben oder Tod, zum Besten dienen dem, der da sagen kann: „Hier bin ich, Herr! Dein Wort war meines Fußes Leuchte!“

Woher kommt denn all die Armseligkeit selbst unter den sogenannten „guten Menschen?“ Woher denn bei ihnen diese vielen „unschuldigen Schwächen,“ diese feinen, scheuen Wendungen, wenn Gott einmal ein Brandopfer wieder fordert auf dem Altar der Pflicht? Weil sie sich selbst ihre Tugend gemacht haben, um sie, gleich einem bequemen und behaglichen Kissen, bald nach der einen, bald nach der andern Seite hin ihrem Erdenschlummer unterzulegen. Weil sie um den Sinai in der Wüste einen schattenreichen Park angepflanzt haben, der ihnen den Berg aus den Augen rückt, während sie auf blumigen Pfaden über Thal und Hügel dahinwandeln, ganz zufrieden damit, wenn sie nur nicht so weit sich entfernen, daß die Mitgäste im Park sie nicht mehr als ihres Gleichen erkennen wollen. Wahrlich, es thut diesem Geschlecht der Flammenspiegel des Gesetzes not, vor dem die Spreu, die sie eine gute Saat nennen, zur Asche werden muß, nicht einmal geeignet, die dürre Stätte zu bedecken.

Es stimmt freilich wenig mit der sogenannten Aufklärung unserer Zeit, sich an ein solches festes Wort zu binden. Nein, wir wollen lieber uns selbst Gesetz sein, und reden daher viel von dem ins Herz geschriebenen Gebot, worunter wir, wenn wir die Wahrheit sagen wollten, eine weiche Wachsfläche verstehen, worin die äußeren Eindrücke allerlei Figuren malen, aus denen wir dann ein mit unsern Neigungen am besten übereinstimmendes Orakel herauslesen, um ihm als einem Götterspruch nachzufolgen. Daher haben wir es denn auch so leicht gefunden, recht gute und sittliche Menschen zu werden; weil wir, wenn unsere Neigungen nur durch glückliche Umstände, durch Erziehung und Scheu vor dem Urteil der Welt in einer gewissen Flauheit gehalten werden, die es nicht zu tobenden Ausbrüchen der Leidenschaften kommen läßt, davor bewahrt bleiben, Diebe und Mörder zu heißen. Ein bischen Hoffahrt, Weltlust, Verleumdung, Rachsucht, Betrug, ja selbst ein bischen Buhlerei mag dabei gern mit unterlaufen; es ist ja einmal das Erdenleben nicht anders, und es ist ja kein Richter in unserer Brust, der es so genau nimmt; es ist kein Gesetz da, das schärfer als ein zweischneidig Schwert teilet zwischen Gott und Welt, Recht und Unrecht, Tugend und Sünde. Wie im lauen Wasser Wärme und Kälte gemengt sind, so ist auch in unserem selbstgeschaffenen Gesetz Licht und Finsternis zu einem die Augen nicht angreifenden Nebel vereinigt. Wie die Schlangenlinie bald rechts und bald links führt, und wenn sie der einen Seite zulenkt, schon die Wendung nach der andern vorbereitet, so ist auch in unserm Wandel weder ein Fortschreiten auf dem Wege des Lebens, noch ein völliges Abirren auf den Weg des Todes. Freilich, wenn der Tag aufgehet, an welchem Gott die Völker der Erde richtet; wenn Er Rechenschaft fordert auch von jeglichem unnützen Wort, das aus unserm Munde gegangen ist; wenn von Seinem Throne das Wort niederleuchtet: „Ihr sollt heilig sein, denn Ich bin heilig!“ dann freilich wird das weiche Wachs unseres Gesetzes vor den Flammenstrahlen seines Gesetzes hinschmelzen; dann wird unser gefügiger Mittelweg offenbar werden als ein Weg des Fleisches und des Verderbens, der in seinen Windungen nur darum an den Weg des Lebens hinstreifte, auf daß wir keine Entschuldigung hätten, als wäre uns verborgen geblieben, was der Herr, unser Gott, von uns fordert. – Die Fabel vom Gewissen, wie dies Wort gewöhnlich genommen wird, muß aufhören, eher mag keine rechte Tugend gedeihen. Und eine Fabel, noch dazu mit gar schlechter Moral, ist das Gewissen; so es, wie bei den meisten Menschen, nichts weiter ist, als ein Gebräu von Lebensklugheit, Sorge für den guten Ruf, Beachtung des Anstandes, versetzt mit einem Teil natürlicher Gutmütigkeit, die eben so gut Charakterschwäche heißen mag, und einem Teil Erkenntnis des göttlichen Willen, die aber nicht recht weiß, wie sie sich mit jener Mixtur verbinden soll, und nur als Bodensatz zu dienen scheint, der, wenn das Gewissen sich einmal aufrüttelt, unstät im Ganzen verschwimmt. Das wahre Gewissen ist kein Gesetzgeber, sondern nur das Auge, das geöffnet ist für das gegebene Gesetz. Es fragt nicht, wie entschieden werden soll, sondern zeigt nur, wie entschieden ist durch Den, der da sprach: Du sollst, und Du sollst nicht! es erlaubt sich kein Urteil über die Umstände und Verhältnisse; sondern erinnert Dich nur an das Urteil Gottes über den Fall, der vorliegt. Dadurch allein bewahrt es sich in seiner Freiheit wider die Anläufe böser Neigungen und Begierden, daß es sein Licht und seine Kraft nimmt aus einer Höhe, zu der diese nicht hinaufreichen. Will es selbst den Weg finden, den Du wandeln sollst, dann fällt es der Knechtschaft anheim; ist nur ein vielleicht hochmütiger, aber doch williger Diener alles ungöttlichen Wesens und der weltlichen Lüste, und trägt die Livree seiner Herren. Es ist also ein fester Pol, ein: „Gieb mir, wo ich stehe!“ dem Gewissen not, von welchem aus es die Welt überwinde. Es hat sein Licht nicht in sich selber; sondern bedarf eben so gut, wie Dein leiblich Auge das Licht von Außen her, um zu sehen. Ist denn etwa der inwendige Mensch nach seinen verschiedenen Geistes- und Seelenthätigkeiten so getrennt und gespalten, daß jede ihr eigenes Gebiet habe, welches sich frei hält von aller Berührung und Einwirkung der andern? Daß jede schaffet und waltet für sich, ohne von der Bewegung der andern sich mitbestimmen zu lassen? Also daß, während das Herz sich krümmt vor einem Opfer, das die Tugend fordert, während die Sinnlichkeit der bösen Lust zustrebt, während die Klugheit eigennützig rät, den breiten Weg zu wählen, daß nun das Gewissen, ohne einen Führer außerhalb dieser Bewegung, sich ganz frei halten sollte von dem Einfluß dieser Hausgenossenschaft? Wird es nicht bald in den verführerischen Sirenengesang mit einstimmen, oder wenigstens bald übertäubt werden, wenn ihm keine Hülfe von Außen her wird? Wenn lange Gewohnheit leichtsinnig und gleichgültig machte gegen den Weg, den wir wandeln, wenn die Geleise, die wir betreten, unserm Fuß einmal so bequem und natürlich geworden sind, daß es uns gar nicht mehr in den Sinn kommt, andere zu wählen: ist dann Dein Gewissen nicht mit Dir in gleiche Gewohnheit versunken? Wird es wachen, wenn Du schläfst? Wird es stille stehen, wenn Du fortgehst? Wird es sehen, wenn Du blind bist? Wird es reden, mahnen, strafen, anders als Du willst, als ob es kein Teil von Dir wäre, da Du es doch auf Dich selbst allein hinweisest, als auf den Quell, woraus es seine Erkenntnis nehmen soll? Damit verlangst Du ja, daß Du Dir selbst widersprechen, Du selbst Dich selbst überwinden sollst; verlangst Licht von der Finsternis, Kraft von der Ohnmacht, Antwort von der Frage. – Es muß Etwas außer uns sein, wohin wir schauen, als auf einen festen Polarstern, ein Licht, das erhaben ist über die Nebeldünste dieser Welt, ein Wegweiser, auf den wir nicht selbst den Weg malen, den wir für den richtigen halten, sondern auf dem er vorgezeichnet ist von Dem, dessen Wort unseres Fußes Leuchte ist, und ein Licht auf dunklen Wegen. Es muß ein heiliger Wille uns verkündet sein vom Vater des Lichtes. Sonst leben wir in einem revolutionären Lande, wo das alte Recht abgeschafft ist und noch kein neues wieder gegeben; wo Jeder mit seinen Ansichten und Neigungen zu Rate geht, was er thun und lassen soll, und wo der Eine mit dem besten Gewissen ein Totschläger wird und der Andere mit gleich gutem Gewissen die Beute zu sich nimmt. Nicht weil man ohne Gewissen handelte, wurden Scheiterhaufen erbaut und die Guillotine aufgerichtet, sondern weil man das Gesetz Gottes: Du sollst nicht töten! vergaß, und die eigenen Ansichten und Neigungen sich zur Gewissenssache machte. Nicht gegen sein Gewissen lebt der, welchem die Befriedigung des irdischen Gelüstens, das Treiben in zeitlichen Geschäften, der behagliche Genuß des weltlichen Friedens Alles ist; der, dem kein Blick der Andacht den Himmel öffnet, keine ernste Frage nach den göttlichen Dingen das Herz bewegt, keine Heiligung des Sinnnes und Wandels als Lebensaufgabe vorliegt. Er merkt vielmehr in sich gar keinen Widerspruch gegen solche Weise, weil er es nicht gelernt oder wieder verlernt hat, sein Leben im Spiegel des göttlichen Gesetzes zu betrachten; und hat nichts destoweniger auch seine Ehrenpunkte, die sein Gewissen ihm nicht zu verletzen erlaubt. Der Ton, der vielleicht auch bei ihm in einzelnen Stunden wie aus einer höheren Welt anschlägt, ist nur ein Nachklang des früher erkannten göttlichen Gesetzes, oder ein Anklang desselben, durch Gottes Schickungen hervorgerufen. Das Gewissen aber in seiner Wahrheit und Klarheit ist nichts mehr und nichts weniger, als ein Abglanz der Herrlichkeit des göttlichen Gesetzes. Ein Spiegel ist es, in welchem wir den Willen des Ewigen erkennen, wenn wir diesen Willen davor halten. Wollen wir aber nur unser eigenes Bild davor hinstellen, so sehen wir eben auch nur unser eigenes Bild, und unser Wollen und Thun wird auch nichts Anderes sein, als eine Nachäffung dieses Bildes; kein Wollen und Vollbringen dessen, was der Herr, unser Gott, von uns fordert. Der Pilger, der kein Ziel vor sich hat, nach dem er strebt, oder keine Anweisung, wie und wohin er wandern soll, richtet sich nach der Munterkeit oder Müdigkeit seiner Glieder, nach der Annehmlichkeit oder Beschwerde des Weges, nach dem Sonnenschein oder Regenwetter des Tages. So auch die Wallfahrt durch’s Leben ohne Gesetz von Außen her. Wo aber dies als Machtgebot des Richters der Lebendigen und der Toten uns vorleuchtet, da gilt kein Säumen und kein Wanken, da gilt kein Fürchten und kein Gefallen, da gilt kein Leben und kein Sterben, da gilt allein das strenge, unerbittliche Wort, das kein Drehen und kein Deuteln zuläßt, das keine Vorwände und Entschuldigungen annimmt, das keine Verführungen und Versuchungen anerkennt, das Gehorsam, nur Gehorsam will. Ohne ein solches Wort der Zucht und der Kraft, das ganz über unser Klügeln und Mäkeln hinausgehoben ist, werden wir nie die Sünde überwinden, nie wandeln in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit. Darum soll unser Gewissen nie etwas Anderes sein, als ein Merken und Erwägen dieses Wortes; und redeten auch tausend Stimmen dagegen und spräche auch die ganze Welt ihr Anathema aus gegen dessen Ausspruch, und flehten auch alle Seufzer und Thränen Deines Herzens gegen seine Erfüllung, und gelte es auch den letzten Brosamen unseres irdischen Glückes, die letzte Hoffnung unseres zeitlichen Daseins: laß fahren dahin, Du hast nur ein Gesetz, das Gesetz des Herrn! und darin beharre bis an’s Ende! Das Reich Gottes muß Dir doch bleiben. Godber war in der Furcht Gottes und in der Zucht des Gesetzes erzogen. Es war ihm darum nicht so leicht, sein Gewissen, das wenigstens mit einem Fuße noch auf dem Boden stand, zu seinen jetzigen Ansichten hinzudrängen. Wenn er eben glaubte, daß es mit ihm ruhig auf dem Wege fortwandle, welchen er fortan als den für ihn notwendigen, durch die Fügungen des Geschicks ihm vorgezeichneten Lebensweg zu betrachten sich zu gewöhnen suchte, dann trat es eigensinnig aus dem Geleise und stand wieder wie eingewurzelt auf der Stelle der Schrift: „Laß Dich nicht einen jeglichen Wind führen, und folge nicht einem jeglichen Wege, wie die unbeständigen Herzen thun; sondern sei fest in Deinem Gemüt und bleibe bei einerlei Rede!“ Doch wir sind nie schlauer und gewandter, als da, wo es darauf ankommt, uns selbst zu betrügen; und so förderte sich auch Godber immer weiter in der Kunst, aus der ehernen Gesetztafel eine wächserne zu machen, und das störrige Roß seines Gewissens in ein folgsames Paradepferd umzuwandeln. Der Herr aber in der Höhe wollte ihm zeigen, wie eitel solche Kunst sei und wie wenig haltbar der Zügel, an dem sie ein Gewissen, das einmal eine andere Führung gewohnt war, zu leiten sucht. Gott sprach durch den Mund der Toten, und – vor das Paradies, in das Godber ruhig einzugehen meinte, trat der Engel mit dem feurigen Schwert.

 

IX

 
Die Stunde kommt, von Gott gesendet,
Das sinnentrunkne Herz wird wach,
Und jedes dunkle Blatt, es wendet
Zurück sich an den hellen Tag.
 

Die Leichen der mit dem Schiffe Verunglückten wurden gefunden. Godber hatte auf der alten Kirchwerfte einen Stein, in der Form eines großen Taufbeckens, bemerkt und war auf Idalias Wunsch hinausgegangen, um zu sehen, ob derselbe sich nicht für ihre Absicht gebrauchen ließe, seiner Werfte eine neue Zier zu geben. Da lag vor ihm die Leiche seines Schiffsherrn, und später fanden sich, noch im Tode getreu, nicht weit davon die beiden andern Seeleute. Sie hatten zusammen in den Höhlungen des frühern, jetzt fast ganz dem Meere anheimgefallenen Friedhofs, der aber noch durch manches vom Wellenschlag wieder ans Licht gebrachte Gebein von seiner ehemaligen Bestimmung zeugte, ihre Ruhestätte gefunden, nachdem sie lange ein Spiel der Wogen gewesen waren.

„Haben die Toten da in den halboffnen und verwitterten Särgen,“ sagte Hold, als er bald darauf herbeigerufen wurde, um die nötigen Anordnungen wegen der Beerdigung zu treffen, „nicht, gleichsam mitleidig ihre Arme ausgestreckt, um diese Leichen neben sich zu betten? Ach! wie bald wird auch der Platz, wohin wir sie bringen, ausgewaschen werden von der Flut, und die Welle ihr Spiel erneuen mit den ruhelosen Gebeinen!“

Die Abgeschiedenheit, in welcher die Halligen oft Wochen lang durch den Wind und Wetter oder Eisgang gehalten werden, nötigt den Hausvater, auch daran zu denken, daß ein Sarg vorrätig sei. Unter seinem übrigen Gerät darf auch dies memento mori nicht fehlen, so schwer und so ungern man sich auch sonst anderswo daran gewöhnen möchte, tagtäglich mit seinem Blick die enge Bretterkammer zu messen, die für einen unserer Lieben oder für uns selbst bestimmt ist. An Särgen zur notwendig schnellen Beerdigung der aufgefundenen Leichen fehlte es daher nicht, und diese wurde auf den folgenden Tag, einen Sonntag, festgesetzt.

Der fast unerhörte Fall auf der Hallig: drei Leichen an einem Tage, die außerordentlichen Umstände, welche dies Ereignis herbeigeführt, die besondere Rettung der Andern vom Schiffe, dies Alles bestimmte Hold, die ganze Feier des Tages daran zu knüpfen. Es wurden also zur Kirchzeit die drei Särge vor die Kirchthüre gesetzt, da der innere Raum zu beschränkt war, sie und die Gemeinde aufzunehmen. Die Predigt nach Vorlesen des Evangeliums für jenen Tag, den 13. Sonntag Trinitatis, Lukas 17, 11 – 19, nahm die Frage: „Wo sind aber die Neun?“ als Thema aus dem Schrifttext heraus, und die bloße Ankündigung dieses Themas mußte, so wenig auch nach den Regeln der Homiletik ein solches Herausgreifen eines einzelnen Wortes oder Nebenumstandes gerechtfertigt werden kann, erschütternd wirken, da gerade auch neun Personen in dem Schiffe zusammengewesen waren. Diese einzige Frage stellte die Geretteten und Verunglückten neben einander, führte die Gedanken zurück auf ihre frühere Gemeinschaft, hin auf den jetzt so verschiedenen Zustand, und drängte die Betrachtung auf: wie, wenn die Loose nun vertauscht worden wären? „Wo sind aber die Neun?“ für die Fremden war dies Wort genug zu einer unvergeßlichen Predigt. Es schien auch, als habe Hold durch Hervorhebung dieser Frage nur einen kurzen, aber eindringlichen Schlag auf die Herzen der anwesenden Fremden führen wollen, denn in der Beantwortung redete er weit weniger, als Viele seiner Zuhörer erwarten mochten, in Beziehung auf den vorliegenden Fall; machte von dem Besonderen sogleich allgemeine Anwendungen und vergaß über die Einzelnen nicht die Gemeinde. Vielleicht aber gerade deswegen fanden seine Worte Eingang auch bei diesen Einzelnen. Sie hatten nun nicht die Unannehmlichkeit, alle Blicke und Gedanken auf sich gerichtet zu sehen und nur von und für sich reden zu hören. Sie konnten nun mit voller Aufmerksamkeit dem Worte folgen, da ihre Phantasie nicht immer wieder auf die erlebten Schreckensscenen zurückgeführt wurde. Sie fanden sich nun nicht gestört durch falsche Zeichnung der Umstände ihrer Gefahr und Rettung, durch Andichtung von Empfindungen, die sie nie gehabt, durch Zuschreibung von Wünschen oder Gelübden, die nie in ihre Gedanken gekommen waren. – Nach der Predigt wurden die Särge auf den Gottesacker, der eine kurze Strecke von der Kirche entfernt war, in drei verschiedenen Gängen getragen, da der Mangel an Trägern es nicht erlaubte, sie mit einander hinzubringen. Aber eine Gruft nahm die drei Toten auf, und die große Flagge des Schiffs, dem ihre letzten Dienste im Leben gewidmet waren, sollte über die Särge hingesenkt werden. Godber hatte diese Flagge, die mit schwarzem Flor umhangen war, vorgetragen; aber als er sie hinabsenken wollte in die Gruft, entglitt sie seinen zitternden Händen und von dem Fall ihrer Stange dröhnten die Särge mit hohlem Klang. Godber aber sank totenbleich und an allen Gliedern bebend auf die Umstehenden zurück.

 

Doch müssen wir hier wohl erst ein wenig wieder zurückgehen, um Godber’s innere Kämpfe bis zu diesem Augenblick zu verfolgen. Mit der Auffindung der ertrunkenen Gefährten war über sein Gemüt eine düstere Wolke gezogen, die er mit der größten Anstrengung zu verscheuchen, oder wenigstens vor Andern zu verbergen strebte. Die starren, strengen Züge im Antlitz seines Kapitäns, als er neben der Leiche desselben am Ufer unter den zerrissenen Grüften stand, schienen ihn zu fragen: „warum hat mein Steuermann vor mir das Schiff verlassen?“ und als er den Blick verstört zurückwandte, ging Maria eben mit langsamem Schritt auf ihre Werfte hinauf, und er glaubte ihren Seufzer zu hören: „warum hast Du Deine Braut verlassen, Godber?“ Da ward es ihm finster vor den Augen, da krampfte eine eisige Hand sich um sein Herz, da gellte es ihm wie Hohngelächter in die Ohren: „Du doppelt Meineidiger!“ Er eilte wie vom Fluch gejagt hinweg von dieser grauenvollen Stätte und stand, ehe er noch wieder zur Besinnung kam, vor Idalia. Wäre diese ihm mit Thränen in den Augen, oder auch gar mit Zorn und Schelten entgegengetreten, er würde an ihren Hals geflogen sein, und an ihrem Busen sein von Wehmut und Bitterkeit gleich erfülltes Herz ausgeweint haben. Sie aber kam mit ihrem gewöhnlichen holden Lächeln auf ihn zu, mit dem Lächeln, das so oft ihn wie mit magischer Gewalt hingerissen hatte; jetzt aber in der Stimmung, worin er war, wirkte es nur zurückstoßend auf ihn; es widersprach zu sehr allen seinen Empfindungen, und es fiel ihm gar nicht ein, daß sie, noch unbekannt mit Dem, was er eben gesehen, auch keine Trauer über das Geschick der Umgekommenen zeigen könne. Er mußte, anstatt zu ihr sich hinzuneigen, scheu zurückweichen. Er mußte, während er seinen Blick starr auf sie heftete, sich selber fragen: „ist dies herzlose, spottende Zauberbild eines doppelten Treubruchs wert?“

Idalia trat stolz zurück. Sie war zu sehr an eine allvergessende Huldigung gewöhnt, als daß sie sich hätte entschließen können, ihn teilnehmend zu fragen: was ihm fehle? Mochte auch Liebe für ihn eben so dringend, als Neugierde, sie antreiben, den völlig Verstörten, der sich, mit beiden Händen die Augen bedeckend, auf einen Stuhl geworfen hatte, um Aufschluß über sein Benehmen zu bitten, so trug doch ihre Empfindlichkeit den Sieg davon. Sie setzte sich grollend in eine andere Ecke, stützte ihren Kopf mit dem Arm, und, die kleinen Lippen hoch aufwerfend, die Augen, wie feucht von einer Thräne, mit dem Schnupftuch trocknend, nur dann und wann einen flüchtigen und verstohlenen Blick auf Godber werfend, spielte sie eben so sehr die Rolle einer Uebellaunigen, als sie es wirklich war. Denn wenigstens das war ihr klar geworden, daß sie nicht so ganz allein herrsche in seinem Herzen, daß es noch Etwas gebe in der Welt, was ihn unempfindlich machen könne gegen die Macht ihrer Reize; daß daher ihr Sieg noch gar nicht so vollständig sei, wie sie bisher geglaubt. Und hatte seine Verstimmung wohl gar allein ihren Grund in einem Zusammentreffen mit Maria? Wenn dieser Gedanke ihrer Liebe, die nicht weniger abgöttische Verehrung, als ausschließliche Hingebung des Herzens von dem Geliebten forderte, vielleicht Eintrag that, so weckte er doch auch wieder ihren Stolz, und durch diesen den Entschluß, ihn mit allen Mitteln ganz zu fesseln. Sie selbst urteilte freilich nicht so klar über ihre Empfindungen und rechnete auch der Liebe einen nicht kleinen Anteil zu an diesem Entschlusse.

Godber aber schien völlig abwesend zu sein mit seinem Geiste. Er brütete bald mit dumpfem Schweigen in sich hinein, bald kündeten einzelne Seufzer und zuckende Bewegungen die tiefe Aufregung seines Innern. Idalia wußte sich in der Spannung zwischen Neugierde und Aerger kaum mehr zu lassen. Selbst ihr Schluchzen hatte der Unempfindliche überhört. Zu ihrer Freude kam endlich ihr Vater, und aus dessen theilnehmenden und tröstenden Worten an Godber, der sich bei dem Eintritte Mander’s emporraffte und ruhiger zu erscheinen strebte, erfuhr sie nun die Auffindung der Leichen. War ihr auch der Schmerz Godber’s über das Geschick der schon längst verloren gegebenen Gefährten unbegreiflich, fühlte sie sich auch noch mehr beleidigt, wie eine ihr so gering dünkende Ursache ihn zu einem solchen Betragen gegen sie verleiten konnte, so hatte sie das doch wenigstens gewonnen, daß nicht mehr die Eifersucht sich in ihre Betrachtungen über sein Benehmen mischte. Sie mußte mit einem Blick in den Spiegel über sich selbst lächeln, daß sie nur einen Augenblick hatte daran denken können, daß ein Halligmädchen ihr den Rang streitig mache. Doch sollte Godber ernsthaft bestraft werden; zu ihren Füßen sollte er Verzeihung betteln, und erst nach langem Flehen wollte sie ihm die Hand zum Kusse als Anfang der Versöhnung reichen; die rechte Versöhnung sollte noch mehrere Tage weiter hinausgeschoben werden, damit es ihm nie wieder einfallen möge, zu vergessen, wie sein Glück allein von ihrer Liebe abhänge, und wie dieses Glück mit voller Hingebung und Vergessenheit erkauft werden müsse.

Und das nennen sie Liebe!

Für heute schien Godber keinen Anfang zur reuigen Rückkehr machen zu wollen, denn, ohne nur mit einem Blicke nach Idalia zu sehen, ging er mit Mander zu dem Pastor, um Verabredungen wegen der Beerdigung zu treffen. Hold nannte die Hausväter, die wohl passende Särge haben würden, und Godber ging zu diesen. Als er später wieder zum Pastorat zurückkam, war Mander schon fortgegangen, und Hold hatte nun Gelegenheit, ein Wort über Godber’s Verhältnisse zu Maria und Idalia zu reden. Kaum aber begann er darauf hinzudeuten, als Godber mit dem Ausruf, der aber keineswegs wie trotzige Abweisung, sondern eher wie ein Schrei der Verzweiflung klang: „Ich weiß Alles, was Sie sagen wollen!“ ihn unterbrach und aus dem Hause stürzte.