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Die Hallig

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XIX

 
Reift mir auf Erden nicht Aehre noch Traube,
Bleibt mir doch immer das hoffende Herz.
Wird ihm zum Schauen auch nimmer der Glaube,
Bricht es im Tode doch himmelwärts.
 

Die Nähe des Winters erinnerte die fremden Gäste der Hallig an ihre Abreise zu denken. Ungern entschlossen sich Mander und Oswald dazu, den Tag der Entfernung von einer Stätte zu bestimmen, die ihnen zu einem Altar des Höchsten geworden war. Dieses Eiland war ja ihr Vaterland, denn hier hatten sie zuerst mit vollem Lebensgefühl den Vaternamen stammeln lernen; hier in dem Irren und Wirren ihres Geistes die Ruhe gefunden, nach der sie so lange mehr oder minder gedurstet. Hier war für sie die Nacht gewichen und der Morgenstern aufgegangen in ihrem Herzen. Beide scheuten sich, wieder in die ihnen unheimlich gewordene Welt ihres früheren Lebens hinauszutreten. Dort mußten sie sich Gäste und Fremdlinge fühlen, während sie die Hallig als eine, wenn auch neue, doch für sie segensreiche Heimat liebten. Mit Schmerz dachten sie zugleich an die Trennung von Hold und seiner Gattin. Sie verehrten in ihm den Führer zum Lichte und zum Frieden, den Mann, dessen wissenschaftliche Geistesrichtung sich mit einem so kindlichen Glauben verschmolz, den Seelsorger, welcher bei aller Vielseitigkeit seiner Bildung dennoch für seine so unbedeutende Stellung im Amte zu leben schien. Sie verehrten in ihr das liebende Gemüt, das stille Walten im häuslichen Kreise; und an Beiden die Zufriedenheit in einem mehr als bescheidenen Erdenloose, in welchem Tausende, bei solcher Kenntnis des Besseren, sich höchst unglücklich gefühlt hätten. Sie wußten nicht, daß ein Halligprediger schon als solcher wenig geehrt wird, und daß dieser Titel bei Vielen genug ist, eine halb verächtliche Miene anzunehmen; aber hätten sie dies gewußt, dann würden sie auf die Entbehrungen und Entsagungen, auf die Mühseligkeiten und Gefahren eines solchen Amtes aufmerksam gemacht haben, würden die Aermlichkeit der Einnahme, die notwendige Beschäftigung mit all’ den kleinlichen Arbeiten des Hauses und der Schafhürde, wodurch größtenteils allein jene Einnahme gewonnen wird, die Abgeschiedenheit von der Welt und allem wissenschaftlichen Verkehr haben reden lassen für Diesen und Jenen der Amtsbrüder Hold’s, dem es an geselliger Gewandtheit im Leben und an übersichtlicher Kenntnis der Fortschritte der Wissenschaft fehlen mag. „Hat der Geistliche,“ so hätte etwa ihre Verteidigung gelautet, „den Ihr bewundert wegen seiner Feinheit im Betragen und wegen seines Anstandes in vornehmen Zirkeln, den Ihr oben an setzet in der Zahl der Geistreichen, Hochgebildeten, Hochgelehrten, hat er die schönsten Jahre seiner Jugend und Manneskraft als Halligprediger verlebt? Hat er es versucht, was es heißt: aus der reichen Welt des Genusses in solche Entbehrung versetzt, mit dem warmen für die ganze Menschheit schlagenden Herzen auf solche vergessene Scholle verpflanzt, aus dem blühenden Paradiese hoffnungsvoller Jugendträume in solcher Umgebung zu erwachen, in welcher die Natur nicht weniger als der Mensch darbt, wie keine noch so kahle Haide darbt, von den Quellen des Wissens in solche für den Geist nahrungslose Oede verbannt, zu solchen niedern Arbeiten, zu solchem Betriebe eines Schafzüchters verurteilt zu werden? Hat er es versucht, was es heißt: bei einem so spärlichen, auf solche Art verdienten Lohne hauszuhalten und dabei in jeder kommenden Sturmflut den Tod vor Augen zu sehen, und wenn Weib und Kind ihn überleben, diese als Bettler in die Welt hinausgestoßen zu wissen? Fraget ihn, auf sein Gewissen, ob er dann noch der Mann geblieben wäre, als den Ihr ihn jetzt lobt und ehrt? Fraget ihn, ob er sich getraue in solcher Lage auch nur einige Jahre hindurch, – und mancher Halligprediger kommt zeitlebens nicht von seiner Scholle, – sich jene Kraft zu bewahren, die an dem innern Lohn und an dem Bewußstein von dem Segen seines Amtes genug hat, und die eben darum Geist und Herz aufrecht hält selbst in solcher Kümmerlichkeit des äußerlichen Daseins?“

Für Euch, seine früheren Amtsgenossen, will der Verfasser dieser Bogen, – der sich nicht schämt, daran zu erinnern, daß auch er ein Halligpriester, wie man Euch oft nennt und damit meint etwas Spöttisches gesagt zu haben, in den ersten Jahren seiner Amtsführung war, und vielleicht noch wäre, wenn ihm das Meer nicht zweimal die Kirche weggerissen, deren neuer Aufbau zuletzt unthunlich ward, – hiermit ein Wort des Ernstes wider die stolz auf Euch Niederblickenden gesagt haben. Es wird dieses Wort Euch keine Frucht bringen und keine Hand bewegen, einen Fond zu sammeln, um wenigstens für den wissenschaftlichen Bedarf zu sorgen, ohne den auch der denkendste und gelehrteste junge Geistliche bald dem Stande der Wissenschaft nicht mehr gewachsen sein wird, und ohne den es ein wahrhaft seltener Sieg über die Schwäche der menschlichen Natur sein muß, wenn nicht Mangel, Einsamkeit, Elementarunterricht, Besorgung der Wollheerde, Abhängigkeit vom Preise des von ihr gewonnenen Produkts allmälig den älteren Mann abstumpfen für die höhere Richtung des Geistes. Nur wer vor dieser Prüfung schon völlig durchgedrungen ist zum rechten Leben im Geiste, mag in ihr bewährt erfunden werden. Für Den, welchen sie vor der Reife trifft, ist die Bitte not, daß sie nicht lange währe. Wenn auch fruchtlos, sei doch für Euch mit warmem Eifer geredet ein Wort des Bruders, der über die Wasser hin Euch die Hand reicht, und dem es lange ein Bedürfnis war, für Euch zu sprechen. Kommt auch sein Wort leer zu ihm zurück von der Herzenspforte Derer, welche aus ihrer sichern und bequemen Höhe auf Euch herabsehen, Eurem Herzen wird es wolthuend sein; und es ist das erste, das öffentlich Eure gute Sache führt wider die ungerechte Beurteilung und wenige Berücksichtigung Eures Märtyrertums im Dienste der Kirche.2

Idalia fand es, da der Tag der Abreise bestimmt ward, durchaus notwendig, mit Godber offen zu reden. Gern hätte sie das ganze Verhältnis sich ohne eine solche Entwicklung lösen sehen. Sie war mit ihren Gedanken schon der Abreise vorausgeeilt und sah sich wieder in der glänzenden Umgebung der Vaterstadt, in allen Genüssen eines reichbewegten Lebens. Dort hoffte sie auch, würden ihr Vater und ihr Bruder von den wunderlichen Grillen, welchen nur die Einsamkeit und die Gespräche mit Hold Nahrung geben konnten, bald wieder genesen. Ihre Abneigung gegen den mystischen Anstrich, wie sie es nannte, verleidete ihr die Hallig nun ganz, und ihr Mißfallen an dieser erstreckte sich auch auf ihr Verhältnis zu Godber, der ja mit seiner Hallig so völlig eins war, daß er zu schwanken schien, ob er dieser oder seiner Liebe entsagen solle. Freilich sprach sich in Godber’s Benehmen noch immer die alte Zärtlichkeit aus; aber sie wußte ja doch, daß er nicht ohne Bedenken die Heimat um ihretwillen verlassen würde, und seine Weichheit und Hingebung kam ihr jetzt, da in ihrem Herzen seine Neigung keinen gleichen Anklang mehr fand, unmännlich und kindisch vor. Sie konnte nicht begreifen, wie sie früher an ein engeres Verhältnis mit ihm habe denken können. Sie wußte nicht mehr, was sie Ungewöhnliches und Anziehendes an ihm gefunden, und schalt sich eine Thörin, daß sie sich von der Dankbarkeit für ihre Lebensrettung habe so weit führen lassen. Sie fürchtete nun im Ernst, daß er sich noch entschließen möchte, ihr zu folgen, und machte sich allerlei Pläne, wie sie ihn, wenn er mit nach Hamburg kommen sollte, allmälig nötigen wollte, sich so in den Hintergrund zu ziehen, daß er jede Hoffnung auf ihren Besitz aufgeben müsse. Aber fragen mußte sie ihn doch nun erst, denn er schien ja nicht reden zu wollen, obgleich sie schon durch Ablegung der Kleidung der Hallig ihm ihre Meinung deutlich genug offenbart, und vergebens auch suchte sie durch Kälte und Verschlossenheit ihn zu reizen; es war, als ob er nur desto magnetischer zu ihr hingezogen würde, je mehr sie ihn zurückstieß. Wol mußte er merken, daß seine Liebe nicht mehr wie früher erwidert ward, wol war auch seine Leidenschaft für sie erkaltet, doch kettete ihn das Bedürfnis, einen Gegenstand zu haben, über den er sich selbst vergessen könnte, an Idalia. Er sah ihre peinliche Frage voraus, sah die Stunde der Entscheidung immer näher kommen, und wich doch ängstlich jeder Hindeutung auf dieselbe aus.

An einem heitern Novembertage stand er am Ufer des Meeres und blickte auf das Spiel der Wellen zu seinen Füßen. Eine wehmütige Rührung breitete ihren weichen Schleier immer weiter über seine Gedanken und Gefühle und sänftigte sie, wie die Mutter das unruhige Kind, wenn sie es in ihr Gewand hüllt und an die warme Liebesbrust drückt. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft flossen ihm wie in eine Thräne zusammen, in welcher all’ sein Träumen und Sehnen sich zu dem lieblichen Bilde eines friedlichen Stilllebens ausmalte; aber ob vom aufgehenden Morgenstrahl oder vom scheidenden Abendrot dies Bild beleuchtet werde, das wußte er nicht; nur daß es ein Bild nicht der Wirklichkeit, sondern nur der Sehnsucht sei, erinnerte ihn die feuchte Perle, die über seine Wangen niederrollte. Lange stand er so da, in dem Vergessen, das doch wieder kein Vergessen ist, indem um die Schwinge des schönsten Traumes immer noch der Flor der Trauer weht, und das Herz zu keiner stolzen Höhe voll Licht und Seligkeit zu erheben vermag. In solcher Stimmung erschien ihm seine Hallig als der einzige Fleck der Erde, der ihm zusagen konnte, als die Stätte, auf der allein die Wunden seiner Brust Heilung finden würden; es war ihm unmöglich sich in den Verkehr der Welt hineinzudenken, und er schauderte vor der furchtbaren Einsamkeit und Verlassenheit unter den Menschen, die sich in dem lauten Treiben des Lebens bewegten.

 

Hold, in welchem gerade entgegengesetzte Wünsche durch den Verkehr mit den Fremden, durch die aufregenden Gespräche, durch die Erneuerung des geistigen Austausches, durch die Erinnerung an das lebendige Treiben der Welt rege geworden waren, und der, öfter als sonst, jetzt sehnsüchtig über die Wogen hinschaute die ihn vom festen Lande und dessen geistiger und politischer Lebensfülle trennten, überraschte Godber in seinen Träumen. – Sie waren bald in ihrem Gespräch bei dem, was Beiden, Jedem auf seine Weise, nahe lag: bei der Abreise der Fremden.

„Du wirst uns,“ fragte Hold, „nun wol verlassen?“

„Nein, nein,“ rief Godber heftig, „ich verlasse meine Heimat nicht.“

„Und Idalia bliebe hier?“ war die verwunderte Gegenfrage.

„Ich weiß es nicht,“ erwiderte Jener leise mit unsicherem Tone.

„Du weißt es nicht?“ und dabei sah Hold den Jüngling, der schweigend und gesenkten Auges vor ihm stand, prüfend an.

„Du weißt es nicht? Godber, hast Du Dich selbst, hast Du das Rechte wiedergefunden?“ und als Godber noch immer nicht antwortete, fuhr er lebhaft fort: „Gewiß, Du kannst nicht glücklich werden in der großen Stadt, in dem rauschenden Leben und Treiben, unter Menschen, die jeder Thräne, wie sie ja noch in Deinem Auge hängt, nur spotten. Du mit Deinem einfachen stillen Wesen würdest Dich unheimlich fühlen müssen in ihren glänzenden Kreisen. Für den Sohn der Hallig ist nur die Hallig der Boden, wo sein Leben gedeihlich wurzelt, nirgends sonst kann es ihm wol werden. Und Idalia? Die Neigung, die sie Dir zugewandt, ist wol nur Regung der Dankbarkeit, Folge der ungewohnten Einsamkeit, Ausfüllung müßiger Stunden, höchstens Aufwallung leidenschaftlicher Gefühle, in denen sie wechselt wie mit ihren Modekleidern.“

Godber errötete bei diesen Worten vor Scham, und Hold, der es bemerkte, ergriff seine Hand und sagte:

„Es kränkt Deinen Stolz, daß ich Dir dies sage; es thut Dir wehe, daß ein Anderer von Dir weiß, Du habest mehr zu gelten geglaubt, als Du giltst. Aber es würde Deinen Stolz ja noch mehr empören müssen, dies an ihrer Seite erst dann zu lernen, wenn kein Rückschritt mehr möglich, wenn Du durch ein heiliges Band in den Zauberkreis ihres blendenden Schimmers gebunden bist, und, wie Du selbst Dich darin unbehaglich fühlst, sie auch es fühlen ließest, daß Du ihr ein unbehaglicher Schatten bist. Und es ist ja nicht Deine Schuld, daß Du vertrautest ihrer süßen Rede und ihrem schmeichelnden Benehmen. Es ist ja vielmehr Deine Ehre, daß Du dadurch getäuscht werden konntest. Der Mensch, der sagen könnte: ich bin nie getäuscht worden, der hat sich selber sein Urteil damit gesprochen, und ich würde mich vor seiner Freundschaft ebenso sehr hüten, wie ich mich dränge zu Dem, dessen Herz blutet von den Wunden, welche das getäuschte Vertrauen schlug. Ja, Godber, darum und weil ich mir es gelobte in dem rettenden Boote, in welchem Du mich zu meiner Gattin und zu meinem Kinde zurückbrachtest, drängte ich mich an Dich und bitte um Dein offenes Vertrauen. Ich werde es nicht täuschen, so lange ich des Augenblicks gedenke, als Dein und Deiner Gefährten Ruf über die Wasser scholl, die um mein Haupt spülten.“

Godber widerstand nicht länger; ein Blick, in welchem der glänzende Tau einer dankbaren Thräne perlte, und ein fester warmer Händedruck bezeugten es dem Pastor, daß die Zurückhaltung, die jener immer gegen ihn beobachtet, nun einer herzlichen Annäherung gewichen sei.

Offen sprach jetzt Godber über seine ganze Lage und Stimmung. Er verschwieg nicht, wie Idalia’s Benehmen in der letzten Zeit ihn gekränkt, und ihm fast die Gewißheit gegeben, sie wünsche das Verhältnis mit ihm gelöst zu sehen.

„Laß fahren dahin!“ rief Hold. „Scheide, was schon längst geschieden ist und sich entgegensteht wie Süd und Nord. Und will Dein Herz noch bluten, so wirf es mit all’ seinen Wunden an’s große Vaterherz dort oben; Gott wird es zu heilen wissen, daß es aus dem schweren Kampfe hervorgehet, ein Held, für den seine Narben zeugen, daß man sich verlassen darf auf seine Kraft und Treue.“

Hold vertraute der Zukunft mehr, als Godber, denn nur dieser kannte ja ganz die Gewissensunruhe, die ihn bei jedem ernsten Gedanken über sich selbst folterte. Nur eine scheinbare Kraft lieh ihm den Entschluß, ein letztes, entscheidendes Wort mit Idalia zu reden. Der Grund seiner Schwäche lag tiefer, als in der Trauer der unerwiderten Liebe, denn dann wäre ihm jetzt die Rückkehr zur vollen Freiheit des Geistes nahe gewesen, da er im Begriff stand, eine Fessel zu lösen, die ihn bisher von dem Glücke zurückgehalten, für welches er jahrelang in Geduld und Hoffnung gearbeitet, und das selbst durch die Flammen der neuen Leidenschaft oft noch als ein milder, freundlicher Stern hindurchgeblickt. Doch wäre seine Liebe zu Idalia auch fortan für ihn nichts weiter gewesen als ein Traum, der bei unserm Erwachen kaum in kurzer Erinnerung fortlebt, konnte er damit auch vergessen, daß um ihretwillen er vor der letzten Planke das Schiff verlassen, dessen Steuer ihm anvertraut gewesen, daß er um ihretwillen seinen Gelübden gegen Maria untreu geworden war? Wenn diese ihm auch verzeihen wollte, konnte er sich selber verzeihen? Nur so lange er noch hoffen durfte, die zu besitzen, für welche er so viel geopfert, hatte dieses Opfer noch eine lichte Seite, hatte noch einen, wenn auch zu teuer erkauften Vorteil, hatte einen Altar, auf dem es dargebracht war; nun, da er selbst es erfolglos zu machen im Begriff stand, fiel es auf sein Herz zurück wie eine dunkle, schwere Wolke, durch die kein Streif des Morgenrotes brechen konnte, die Aussicht in die kommenden Tage zu erhellen. Nur das Eine, was die Gegenwart von ihm forderte, die Trennung von Idalia, blieb ihm klar; jede Zukunft war für ihn Nacht und Finsternis, während Hold einer frohen Entwickelung des Geschicks der durch frühe Gelübde Verbundenen, oder vielmehr einer ruhigen Rückkehr in das ebene Geleis ihrer Vereinigung für’s Leben mit freudiger Teilnahme entgegensah.

„Du wirst mit Deinem Vater reisen?“ sagte Godber am andern Morgen zu Idalia, mit einem Tone, dessen Frage wie gewisse Voraussetzung klang, nachdem ihn die Ueberlegungen einer schlaflosen Nacht noch entschiedener in dem Entschluß gemacht hatten, mit dem Mute der vollendeten Hoffnungslosigkeit sich ganz in das dunkle Gewand eines unausweichlichen Geschicks zu hüllen.

Idalia erbebte sichtbar. War es die letzte Regung für den Jüngling, war es die plötzliche Nähe der längst gewünschten Entscheidungsstunde, wodurch sie so heftig bewegt wurde? Sie vermochte nicht gleich etwas zu erwidern. Sie sann auf eine Antwort, die, indem sie ihm jede Hoffnung auf ihren Besitz abschnitt, dennoch so wenig als möglich ihn verletzen sollte, und, wie es gewöhnlich in solchen Fällen geht, sie verwundete ihn gerade auf’s Tiefste mit ihrer Erwiderung.

„Wie vielen Dank bin ich Dir, schuldig, Godber. Ohne Dich hätte ich meine Vaterstadt, nach der ich mich jetzt so sehne, nie wiedergesehen. Nie,“ dabei ergriff sie seine Hand und drückte sie innig, „nie werde ich es vergessen, wie Du mir nachsprangst in die rollende See. Nie wird meine Dankbarkeit, nie werden meine Wünsche für Dein Glück aufhören! Und, nicht wahr? wir haben ein freundliches, liebliches Spiel mit einander gehabt auf diesem Eilande, woran wir uns immer gern erinnern werden, als an eine im Leben so seltene, kindliche Vergessenheit.“

Godber erglühte vor Scham und Zorn. Also ein Spiel durfte sie nennen, was ihn und die arme Maria um das Glück des Lebens betrogen! Er preßte die Lippen zusammen und stand eine Zeit lang da, wie Einer, der zweifelhaft ist, ob er die innere Wut bezähmen oder auslassen soll.

Idalia wurde immer unruhiger, je länger sein Schweigen währte. Sie wollte ihren Stolz zusammenraffen und sich kurz von ihm wenden; aber das Gefühl ihres Unrechts, nicht ohne eine Beimischung von Furcht vor dem so tief gekränkten Jüngling, überwog, und sie sagte mit schmeichelnden Tönen:

„Welch ein Festtag wird es für mich werden, wenn Du uns einmal in Hamburg besuchst! Dann wollen wir wieder plaudern von den alten Zeiten, und Du wirst sehen, wie treu mein Gedächtnis auch die kleinsten Umstände unseres Zusammenlebens auf diesem Eilande bewahrt haben wird.“

Godber hatte diese letzteren Worte ganz überhört; aber der zornige Aufruhr seiner Seele ging plötzlich in eine Wehmut über, die seine Augen mit Thränen füllte. Ein gewöhnlicher Uebergang der Empfindungen in seinem Gemüt, dessen Schwäche einer heftigen Bewegung nicht lange gewachsen ist. Die Spannung, in seinen Zügen wie in seiner Stellung löste sich in eine Schlaffheit auf, vor der sich Idalia fast noch mehr scheute, als vor dem Ausbruch des Zorns, da sie davon eine rührende Scene fürchtete, die sie um jeden Preis vermeiden wollte, weil diese doch zu Nichts führen konnte, und weil sie bei der tiefen Erschütterung Godber’s zugleich fühlte, daß sie ihres Herzens noch nicht so vollkommen Meister sei, wie sie es geglaubt hatte.

Doch Godber besann sich, daß Alles ja doch nur so gekommen sei, wie es kommen mußte, daß er selber Entscheidung gewünscht, ja daß diese Entscheidung schon längst da gewesen, und ihr nur das Wort gefehlt habe. Er wandte sich rasch um und eilte fort, ohne nur einen Blick des Abschieds auf Idalia zu werfen. Diese hätte gern eine freundlichere Trennung gesehen. Sie schwankte einen Augenblick, ob sie ihm nicht nachfolgen und noch ein paar herzlichere Worte mit ihm reden sollte; aber ehe sie sich darüber besonnen, war es zu spät. Godber eilte die Werfte hinab, und bald trieb sein Boot mit ihm einsam auf den Fluten. Erst nach der Abreise der Fremden fand er sich auf der Hallig wieder ein.

Auch wir können von Idalia hier Abschied nehmen, indem wir einen flüchtigen Blick in ihre Zukunft werfen. Hätte sie es verstanden, ihre Neigung für Godber zur wahren weiblichen Liebe zu erheben, sie würde vielleicht selbst seine Abneigung, der Heimat untreu zu werden, überwunden haben, und er hätte an ihrem Herzen wohl vergessen, wie teuer er das Glück an ihrer Seite erkauft. Da sie aber nun einmal solche Hingebung erfahren und von sich gestoßen, durfte sie erwarten, je wieder ein Herz zu finden, das nur in ihrer Liebe alle Sehnsucht erfüllt sah?

Sie fand sich in Hamburg bald wieder in all’ die Zerstreuungen, in welchen sie früher gelebt, und heiratete zuletzt einen Mann, dessen Vermögen und Neigung es ihr erlaubte, auch als Gattin in den Thorheiten zu glänzen, welche die Zeit ausfüllen, ohne das Herz zu befriedigen, vielmehr dasselbe zu einer wahren Parforcejagd nach immer neuen Befriedigungen der Eitelkeit und der Weltlust stacheln. Was ihre Seele bewegte, welche Erinnerungen aus der Vergangenheit auftauchten, wenn sie in den doch nicht ganz zu vermeidenden einsamen Stunden ihrer kinderlosen Ehe, den Kopf auf die Hand gestützt, die Stickerei vergessend auf dem Schooße ruhen lassend, mit halbgeschlossenen Augen wie in die Leere hinausstarrend, oft lange dasaß, so lange, bis sie erschreckt von einer heißen Thräne, die auf ihren Arm fiel, aufsprang, hastig die Laute ergriff und die Saiten stürmen ließ, als sollten die wilden Töne gewaltsam eine Lust aufregen, von der das Herz nichts wissen wollte, das mögen Die beurteilen, welche folgende Verse verstehen:

 
Einen Maitag hat das Leben,
Einen Schöpfer-Augenblick;
Läßt Du ihn vorüberschweben,
Kehrt er nimmer Dir zurück.
 
 
Einmal kommt das Glück Dir nahe,
Winket Dir mit offner Hand;
Wer es einmal scheiden sahe,
Hat es ewig fortgebannt,
 
 
Und dann ruft es keine Zähre,
Wieder hin in Deine Spur!
Treibe bis zum fernsten Meere.
Pilgre bis zur fernsten Flur.
 
 
Breit’ der Erde Güter alle
Um Dich her in weiten Reih’n,
Führ’ in Deine reiche Halle
Jede Lebensfreude ein,
 
 
Schlürfe tief aus voller Schale: —
Ach! Du seufzest im Genuß;
Denn es fehlt dem Feiermahle
Der verscherzte Weihekuß;
 
 
Denn es fehlet Deinen Kränzen
Das verschmähte Immergrün;
Deine Blumen, wie sie glänzen,
Blühen nur, um zu verblühn.
 
 
Einmal durftest kühn Du hoffen,
Bräutlich grüßte das Geschick;
Einmal sahst Du Eden offen —
Hoff’ auf keinen zweiten Blick.
 
2Durch obige Worte veranlaßt, haben einige edle Frauen in Kopenhagen einen Versuch gemacht, die Lage der Halligprediger zu verbessern. So wenig nun auch das Resultat ihren Wünschen entsprach, so wollte ich doch nicht ihre Bemühungen mit Stillschweigen übergehen. Die Zinsen des zusammengebrachten Kapitals werden wenigstens dazu dienen, in der Zukunft einer etwaigen Witwe eines Halligpredigers einen kleinen Zuschuß zu dem dürftigen Witwengehalt zu geben, und so wird auch diesem Scherflein der Dank nicht fehlen. Auch ich, dem von einer dänischen Insel her das einzige Zeugnis ward, daß mein Wort für die Halligprediger nicht ganz ohne Anklang geblieben sei, nehme meinen Gruß an diese Insel, freilich in Erwartung eines reicheren Ausfalls damals dargebracht, nicht zurück und setze den letzten Vers dieses Grußes noch mit ebenso warmem Herzen hierher, wie ich ihn zuerst niederschrieb: Hilfer hoit, i Gaedestoner,Den, hvor i Kamp og RaadBorgerdyd hver Tinding kroner;Taarer fandt jeg der og – Daad.