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Die Hallig

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XVIII

 
Nur Spiegel ist das Leben,
Das Herz ist die Gestalt;
Das Wort, das Du gegeben,
Tönt her nur aus dem Wald.
 

Auf der Hallig war die Absendung des Bootes und die Ursache dieser ungewöhnlichen Maßregel schnell bekannt geworden. Daher fanden die Ankommenden die ganze Gemeinde am Strande versammelt. Schon von weitem sah man, daß Niemand fehle, und die ängstliche Besorgnis der Pastorin wurde als Zeugnis ihrer Liebe zu dem Gatten gutmütig entschuldigt. Als aber nun kund ward, in welcher Gefahr die vier Männer geschwebt hatten, als deren völlige Erschöpfung diese Gefahr auf das Deutlichste bezeugte, da wandten sich Aller Augen auf die Frau, deren lebendige Ahnung sie nun als das Werkzeug des barmherzigen Gottes erscheinen ließ. Sie aber hing sprachlos im Arm des geliebten Mannes und teilte ihre seliglächelnden Blicke zwischen ihm und dem Sternenhimmel. Dahin deutete sie auch, als eine der Frauen, deren Gatte mit Hold gewesen war, ihr laut dessen Rettung zuschrieb. In ihren Häusern angekommen, fühlten die Geretteten erst ganz die körperlichen Folgen der überstandenen Gefahr. In dem Maße, wie die natürliche Aufregung des Geistes sich in der Ruhe sänftigte, nahm die leibliche Schwäche bis zur völligen Ohnmacht zu und weckte neue Besorgnisse in der Brust der Lieben. Der nächste Tag ging ihnen in einem Halbtraum hin, von dem sie kaum auf wenige Augenblicke erwachten, um die ihnen dargebotenen stärkenden Mittel zu sich zu nehmen. Hold, der dem Ansehen nach am wenigsten kraftvolle, war doch der erste, der geistig und körperlich Alles überwunden hatte. Vielleicht deswegen, weil sein Gemüt eher als die Andern die wohlthuende Richtung nach Oben nahm und in freudigem Dank gegen Gott sich ergoß. Oswald lag mehrere Tage in einem unruhigen, durch krampfhafte Erschütterungen und ängstliche Träume unterbrochenen Schlummer und bedurfte sorgfältiger ärztlicher Pflege. Erst am fünften Morgen erwachte er neugestärkt nach einem mehrstündigen, tiefen Schlaf, aber es gingen noch einige Tage hin, ehe er zum ersten Male auf längere Zeit das Bett verlassen konnte. An seines Vaters Arm wandelte er in der Stube auf und nieder und suchte im Gespräch mit demselben über das Vorgefallene schon wieder seine alten leichtsinnigen Redensarten hervor, freilich jetzt mit einem ihn oft übermannenden inneren Widerstreben. Der alte Mander aber war ernst und feierlich, und sagte endlich:

„Oswald, laß uns nicht widerstreben Gottes Fügungen. Ja, er hat uns auf dies Eiland geführt, daß wir erkennen sollen das Eine, was not thut. Er will uns retten! Auch mich hat er auf’s Neue ergriffen mit Dem, was Er über Dich verhängt in jenen schrecklichen Stunden Deines Lebens. Ich kann Ihm nicht länger widerstehen. Ich muß Ihn loben und Ihm danken, daß Seine Gnade größer gewesen ist, als meine Verblendung und meine Schuld. Ich will fortan Ihm, nur Ihm allein dienen, und möchte sagen können: ich und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen! Wie furchtbar hat Er sich Dir offenbart in Seinem Gericht, und doch zugleich auch in Seiner Gnade, die nicht will, daß Einer verloren gehe, sondern Jedermann sich zu Ihm kehre und Buße thue. Wie die Hausmutter einen Brand aus dem Feuer reißt, daß er nicht ganz verzehret werde, so reißt auch der Herr Deine Seele zu sich. Oswald, mein Sohn, widerstrebe Ihm nicht länger!“

„Aber, Vater,“ erwiderte Oswald, ebenso verlegen, als bewegt bei Mander’s sichtbarer Rührung, „soll ich denn meine Jugend einem finstern, freudenlosen Ernst opfern?“

„Nein, nicht opfern,“ rief Mander, „heiligen, verklären sollst Du sie und Dein ganzes Leben bis an’s Ende mit einer Freude, die mehr ist und reicher giebt, als Alles, was Du bisher an Lust und Genuß gekannt hast. Eine innere sichere Freudigkeit sollst Du gewinnen, die selbst Stunden der Angst, wie die, welche Dich für immer gezeichnet haben, überwinden lehrt.“

Oswald hatte, in Verwunderung über die Worte: „welche Dich für immer gezeichnet haben,“ einen Blick in den Spiegel geworfen, und blieb voll starren Entsetzens vor demselben stehen. „Im grauen Haar,“ hatte er spottend zu Hold gesagt, „wolle auch er an seine Bekehrung denken,“ und siehe! nun hatte die eine schreckliche Nacht sein Haar grau gefärbt; er war ein Greis geworden in der Blüte der Jugend. Lange blieb er bebend an allen Gliedern, mit der Blässe des Todes übergossen, lautlos in seiner Stellung, dann sank er mit dem Ausruf: „Gott, ich erkenne Dich!“ seinem Vater ohnmächtig in die Arme.

Als er wieder zu sich selbst kam, verlangte er nach einem Spiegel, den er aber nach dem ersten Blick in denselben sogleich wieder schaudernd und stöhnend von sich wies. Auf alles Zureden, sich zu beruhigen, antwortete er nur mit abgebrochenen Lauten, welche bald die von allen Schrecken der Verzweiflung gemarterte Seele, bald das nach dem Trost aus der Höhe lechzende Herz verkündeten.

„Laßt ihn allein!“ sagte Hold, an den Mander sich gewandt hatte. „Es ist genug, wenn er still beobachtet wird; merken muß er es nicht. Der Herr hat ihn ergriffen und will einen Kampf mit ihm ausringen, in welchem jede menschliche Hülfe eine unnütze, ja gefährliche Zuthat ist. Oswald muß noch Stunden erfahren und durchleben, furchtbarer als die in der See, und es ist nicht gut, wenn ihm das rettende Boot zu früh entgegengeführt wird. Er möchte es dann bald wieder verlassen.“

Und der besorgte Vater sah und hörte, wie Oswald sich vom Lager aufriß, mit hastigen Schritten trotz seiner früheren Mattigkeit in der Stube auf- und abeilte, jetzt mit beiden Händen die Augen bedeckte und am Rande seines Bettes das Gesicht in die Kissen begrub, wie er nun zu beten versuchte, nun sich alle Hoffnung auf Gott absprach, bald wieder mehr wie ein unruhig Träumender, als wie ein Schlafender lautlos dalag. Erst gegen Abend hörte man ihn auf seinem Bette still schluchzen und weinen, und in diesem Zustande nahm er schwach und willenlos die leibliche Erquickung an, die sein Vater ihm darbot. Auf dessen Frage aber nach seinem Befinden, ergriff er die Hände desselben, benetzte sie mit heißen Thränen und flehte:

„Vater, Vater, vergieb mir!“

„Laß uns Beide Gott bitten, uns zu vergeben, mein Kind,“ erwiderte Mander weich, und seine Thränen mischten sich mit denen seines Sohnes.

Doch der Gedanke an die Notwendigkeit der göttlichen Vergebung regte alle Schrecken der letzten Stunden wieder auf in Oswald’s Brust, und Mander hatte eine Nacht am Lager seines Sohnes, von der er nachher selbst gestand, daß sie eine Schule der strengsten, aber zugleich heilsamsten Zucht auch für ihn gewesen sei.

Der Morgen kam, und mit ihm kam für Oswald das schöpferische Werde mit seinem Siegesruf: „das Alte ist vergangen, und siehe! Alles ist neu geworden!“ Der Sturm des Aufruhrs in seiner Brust schwieg, das Meer lag still und eben, und Gottes Sterne spiegelten sich in seinen friedvollen Tiefen. Dieser Uebergang aus der qualvollsten Unruhe zur seligsten Ruhe glich nicht dem langsamen Sinken der Wellen, wenn der Flügelschlag der Windsbraut immer matter und matter wird, sondern jener wunderbaren Wandlung, als der Herr hörte die Bitte Seiner Jünger: „Herr, hilf uns! wir verderben!“ und stand auf und bedräuete Wind und Meer. Da ward es ganz stille. Auf gleiche Weise hatte auch hier das angstvolle: „Herr, hilf uns! wir verderben!“ die rechte Zeit und Stunde gefunden, und aus der tobendsten Wetternacht trat plötzlich die Sonne siegstrahlend und friedebringend hervor. So hat oft die Stunde der geistigen Wiedergeburt in der Stunde der leiblichen Geburt ihr Gleichnis. Wie dort die schwersten Wehen mit einem Augenblick in die Seligkeit aufgehen, daß das Kindlein geboren ist, so fühlt hier sich die Seele auf einmal aller Zweifel und Schrecken, aller Banden und Kämpfe entlastet und ruht gläubig selig am Vaterherzen. Und haben nicht alle Stunden der Andacht, wenn sie nicht ein bloses Anklopfen bleiben sollen ohne Eingang zum Vater, solche Momente, in denen das Gefühl der Gottesnähe und die Freude der Gemeinschaft mit ihm das Herz überwallen ohne allmälige Entwicklung, ohne spätere Steigerung?“ – Oswald war wie ein Kind, das aus dem ängstlichen Traum erwacht und – den hellen Glanz der Weihnachtsfreuden vor sich ausgebreitet sieht. Kein Gedanke an die Schrecken, die noch eben seine Seele durchschauerten, störte das Hosianna des neuen Lebens.

Mander’s Empfindungen waren mehr nur ein Nachklang der Gefühle Oswald’s und seine Freude darüber, daß dieser den Frieden gefunden, ließ es bei ihm nicht gleich zur vollen Anerkennung dessen kommen, was er selbst in dieser Nacht gewonnen.

Hold fand ihn in der Frühe dieses Tages auf den Knieen am Lager des Sohnes. Beider Hände waren in einander geschlungen zum gemeinschaftlichen. Gebet. Beider Augen, in denen noch die letzten Thränen schwammen, verloren im Aufschauen zu Dem, der ihnen Seine heilsame Gnade hatte widerfahren lassen.

Das Werk des heiligen Geistes war vollbracht. Daher sprach Hold nur wenig. Sein Wort berührte keine Vergangenheit, gab keine Mahnung für die Zukunft, sondern war mehr nur der Segen zum Schlusse, das letzte nachtönende Hallelujah der Friedensfeier.

Erst am zweiten und dritten Tage ließ Hold sich auf eine längere Unterredung ein und fand den jungen Mander so empfänglich für alle Segnungen und Verheißungen des Evangeliums, so bereit und willig, in alle Tiefen des Glaubens zu folgen, ja nach der ersten Hinleitung und Anweisung so klar und entschieden in seinem Verständnis der Offenbarungen Gottes, daß er voll Verwunderung ausrief:

„Seit wann haben Sie das Alles gelernt?“

„Gelernt?“ antwortete Oswald. „Weiß ich’s doch selbst nicht, wann und wie? Jene qualvollen Stunden in der See kommen mir vor wie Hammerschläge, die nur das Golderz an das Tageslicht bringen, das lange harrte der Erlösung von den Schlacken. Wie schrecklich mir auch jene und die nachfolgenden Stunden waren, jetzt ist es mir, als hätte ich Nichts erduldet für den Frieden der nun mein Teil ist; als müßte ich einen noch viel herberen Kelch trinken, um nur einigermaßen den Gnadenreichtum aufzuwiegen, der seine Fülle über mich ausgeschüttet. O, wie ist Gott so voll Liebe, Güte und Barmherzigkeit, weit, weit über unser Wissen und Verstehen! Und ich konnte Ihn so lange verkennen! Wie vielfach hat Er mich geladen. Ich sehe Ihn nun so sorgsam um meine Seele bemüht von Anfang an; verstehe nun jede Stimme an mein Herz, die früher mir unbeachtet verhallte. Ja, mein ganzes vergangenes Leben liegt vor mir als eine ununterbrochene Kette von Ansprüchen an mein Herz, von Mahnungen für mein Gewissen, von Hinweisungen auf den rechten Weg, von Erinnerungen an Sein Gericht. Wie konnte ich doch nur so taub und verblendet sein?“

 

„Wir taufen die Kinder mit Wasser,“ sagte Hold für sich; „aber Gott wählet Seine Stunde, sie mit Geist zu taufen. Und sollen wir denn die Gnade richten, wenn wir meinen, unsere Bereitung zu dieser Taufe sei länger und schmerzlicher gewesen, und die Taufe selber doch nicht gabenreicher, als die des andern Kindes, das Gott bestimmt hat zu einem Zeugnis Seiner wunderbaren Liebesmacht?“

War dies Selbstgespräch Hold’s, der erst nach schweren Kämpfen und auf weiten Umwegen durchgedrungen war zu der Glaubenshöhe, auf der er stand, eine Anwandlung von Neid, oder ein kluges Mißtrauen in die Wiedergeburt des früher so gottentfremdeten Jünglings? Vielleicht kam das Erstere zum Letzteren mit hinzu, ohne daß Hold selbst das Eine von dem Andern in seinen Gedanken klar unterschied.

Am folgenden Morgen gab Oswald seinen Entschluß zu erkennen, sich zum Missionar vorzubereiten.

„Ich muß,“ rief er, „hinaus unter die Heiden! Ich möchte meine Arme ausstrecken nach Allen, die noch wandeln in der Finsternis, und ihnen zurufen; Gehet ein zu Eures Herrn Friede! Es wird die Liebe, die ich erfahren, mir zur Last und Bürde, wenn ich Nichts dafür thun und leiden kann. Sie wird zu einer Flamme, die mich verzehrt, wenn ich nicht Andern von ihrer Glut mittheilen soll.“

Hold bekämpfte diesen Entschluß; anfangs damit, daß er den Rat gab, nicht bei der ersten Aufwallung der Begeisterung auf die Beharrlichkeit zu rechnen, die dem Apostel nötig sei. Als aber Oswald die gänzliche Umwandlung seines Wesens und Charakters versicherte, als er es für seinen künftigen Frieden durchaus notwendig erklärte, für das Evangelium in Not und Tod zu gehen, da erinnerte Hold mit einer Strenge, die in seinen vorhin angedeuteten Gedanken über Oswald’s Umwandlung ihre Erklärung findet:

„Wie schwer lernen wir es, wahrhaft demütigen Herzens zu sein! Wie sehr sträuben wir uns noch immer gegen das Empfangen und wollen nehmen, wollen uns selber geben, wenigstens nach Möglichkeit abverdienen, was wir dem Herrn verdanken. So wollen auch Sie jetzt kämpfen, tragen und dulden, um sich doch am Ende noch ein wenig eigen Verdienst zurechnen zu können bei der reinen Gnadenthat des Vaters im Himmel.“

„O, gewiß nicht!“ rief Oswald. „Ich fühl’ es so ganz, daß Nichts mein ist, daß Alles Sein ist, daß nur Sein warmer Frühlingsodem die kalte Winternacht weggehaucht hat von der Wüste meines Lebens. Mir ist so wunderbar neu zu Mute, wie die Erde, wenn sie eine Seele hätte, fühlen müßte in den Tagen des Lenzes, vor dessen Blick die lange erstarrten Ströme niederschmelzen und alle Quellen wieder rieseln, auf dessen Gang die Keime wieder erwachen zum Leben und zu Blüten und Düften aufschwellen im Sonnenlicht. Ich will ja weiter Nichts, als dies Blühen und Duften hinaustragen in die Wüste, wo noch der Winter lagert. Ich will ja nur eine Seele suchen, die mit mir erwacht zum Leben, mit mir den Vater preist, der so Großes an uns gethan.“

„Vergessen Sie nicht,“ erwiderte Hold, „daß noch genug Stunden kommen werden in Ihrem Leben, in welchen Sie Ihre Armut für sich selber fühlen, obgleich Sie sich nun reich genug dünken, Andern mittheilen zu können. Und dann möchte ich wenigstens für die Heiden lieber Männer einfachen Sinnes von Jugend auf, wie die ersten Apostel es waren; Männer, die unverwirrt und unverirrt ein empfängliches, offenes Herz dem Herrn darbrachten von Anfang an; Männer, deren Rückblick in die Vergangenheit weniger von Reue verfinstert wird, und die daher das Amt der Verkündigung nur aus reiner Liebe, nicht mit dem Nebengedanken, ein Bußopfer zu bringen, übernehmen. Deren Predigt wird einfacher sein, weniger berechnend, weniger aus dem Eigenen schöpfend, allein mehr gebend, was sie empfangen vom Herrn und von Ihm haben in Seinem Worte. Sie wird nicht so sehr das Ausreuten des Verkehrten zu ihrem Geschäft machen, als vielmehr nur darreichen, was dienet zur Erleuchtung, Heiligung und Beseligung. Sie wird den Boden der Heidenwelt nicht so ausschließlich als ein Feld betrachten, das zubereitet werden muß für die Saat; sondern sie wird den Samen streuen in Hoffnung und sein Gedeihen dem Tau und Sonnenschein von Oben überlassen; und ich glaube, das ist die rechte apostolische Weise, von der aber gar zu leicht derjenige abgeht, dessen Herz selbst lange ein Feld voll Unkraut war, ehe der Weizen Raum finden konnte.“

„Ach! daß Sie auch immer Recht haben müssen,“ seufzte Oswald. „Aber unmöglich kann ich wieder zurückkehren zu jenen trocknen, nur für irdische Genüsse arbeitenden Geschäften meines früheren Berufs; unmöglich wieder heimatlich werden in der mir jetzt widerlichen Welt meiner Vaterstadt.“

„Der Glaube verklärt Alles,“ sagte Hold, „all’ unser Lieben, Wirken, Leiden und Hoffen. Haben Sie bisher im Kaufmannsstande nur ein Wirken für irdische Genüsse gesehen, so werden Sie ihn jetzt in einem neuen Lichte betrachten. Er ist es, der alle natürlichen und künstlichen Grenzen zwischen den Völkern der Erde niederbricht. Er sendet sein Banner hinüber über die weite Ebene des Oceans, treibt sein Rad die Felsengebirge hinauf und hinab, zieht das Saumtier durch Wüsten und Einöden. Ihn schreckt keine Mühe und keine Gefahr. Er trotzt dem versengenden Mittagsstrahl und dem Eis des mitternächtlichen Pols.“

„Ja,“ fiel Mander hier in die Rede, „auch wir dienen der geistigen Entwickelung der Menschheit. Ich habe erst, seit ich mir dies recht vergegenwärtigt von der Lectüre der Schriften, die den Geist emportrugen über alles Eitle und Weltliche, ohne Murren aufstehen und an die Börse gehen können. Wir fördern die allmälige Verbrüderung und höhere Reife der Völker, indem wir ihre Entfremdung von einander rastlos bekämpfen und dadurch auch die Folgen derselben: Mißtrauen, Feindseligkeit, Verachtung, Einseitigkeit und Unwissenheit. Denn der Handel ist ein über den Erdboden sich hinstreckendes, lebendiges, ewig bewegliches Gewebe, dessen Fäden über alle Scheidungen hinweg die Völker an einander ziehen, sich gegenseitig von einander abhängig machen und dadurch sie sich einander achten und lieben lehren. Er ist der Träger eines nie ruhenden Umtausches, nicht allein irdischer Güter, sondern auch geistiger Fortschritte. Mit seinen Frachtbriefen sendet er Wissenschaft, Kunst, Cultur den entferntesten Nationen zu; macht durch seine Ballen zum Gemeingut Aller nicht allein die Produkte jeder Zone, sondern auch die Geistesflamme, die ohne seine weltumfassende Thätigkeit nur einem kleinen Fleck der Erde gestrahlt hätte. Er mindert die Kriege, weil seine Interessen, die bei jedem Kriege so hart verletzt werden, immer schwerer in die Wagschale fallen. Er schafft, daß die Erde ein Vaterland und die Menschheit ein Volk werde, das, so verschieden an Sprachen und Sitten, doch im gegenseitigen Verkehr sich befreundet, das, so oft auch entflammt in Zwietracht, doch nach dem ersten Friedensblatt sogleich wieder verbunden ist durch brüderlichen Austausch.“

„Und,“ fuhr Hold fort, „öffnet nicht das Kaufschiff dem Boten des Evangeliums die sonst feindlich verschlossene Küste? Baut nicht der Handelsverkehr die Brücke von Land zu Land, von Volk zu Volk dem Worte Gottes? Nehmen Sie den Stand des Kaufmannes hinweg, wie fern würde dann noch die Zeit sein, von der es heißen soll: Eine Heerde unter Einem Hirten, Ein Herr, Ein Glaube, Eine Taufe, Ein Gott und Vater Aller!? Wir können nicht Alle unmittelbar, aber Alle mittelbar wirken für das Reich Gottes. Und wollen wir uns unser Wirken, das scheinbar allein dem Nächsten, dem irdischen Wolergehen dienet, verklären, so müssen wir ihm jene Beziehung auf das Eine, was not thut, auf die Erhebung der Kinder des Staubes zu Kindern Gottes zu geben wissen. Es ist dem Arzt eine Freude, wenn er den Kranken von der Nähe des Grabes durch seine Kunst zurückgerufen hat zum Genuß des Lebens. Seine Freude wird aber höher, himmlischer, wenn er dabei bedenkt, daß Gott durch ihn einer Unsterblichen Seele eine längere Frist bereitet hat, für die Ewigkeit zu reifen, daß Gott durch ihn dem Sünder noch Raum gab zur Buße, dem Glaubensschwachen noch Gelegenheit zum höheren Verständnis, dem Frommen zur weitern Vollendung. So auch der Kaufmann. Er sorgt für Bedürfnisse und Genüsse, die vielleicht nur die niedere sinnliche Natur des Menschen befriedigen, und er ist ein Werkzeug in der Hand Gottes, die Wege zu ebnen und die Bahnen zu brechen den Segnungen und Verheißungen, die Freude und Friede bringen in Zeit und Ewigkeit. In solchem Bewußtsein treibt er freudig sein Geschäft. Es ist ein Werk Gottes für ihn geworden. Er beneidet nicht mehr den Priester um sein den göttlichen Dingen allein geweihtes Amt. Er ist, wie dieser, ein Diener des Herrn, der da will, daß Allen geholfen werde an allen Enden der Erde.“

„Nun lerne ich mehr verstehen,“ bemerkte Mander, „was Sie früher einmal sagten, daß Sie alle Bestrebungen der Menschheit nur in Beziehung auf ihren Dienst für die eine Wahrheit würdigten.“

„Aber,“ entgegnete Oswald, „sind nicht gerade große Handelsplätze die Stätten der größten Entfremdung von den göttlichen Dingen? Führt nicht das Streben nach Erwerb und Gewinn am leichtesten von dem Ringen nach den wahren Gütern des Lebens ab?“

„Alle großen Städte sind jetzt hierin gleich,“ war Hold’s Antwort. „Doch ist Irreligiosität keineswegs eine natürliche Zugabe des Handelsverkehrs. Im Mittelalter waren die großen Kaufstädte, – denken Sie an Augsburg mit seinen edlen Geschlechtern: Fugger und Welser, – an Frömmigkeit, Tugend und Ehrbarkeit reicher, als viele andere Städte, deren Ruhm sich nur auf einen Bischofssitz oder auf ein Residenzschloß gründete. – Kehren Sie zurück zu ihrem frühern Beruf. Zeugen Sie inmitten der Verderbnis vom Reiche Gottes. Stellen Sie in Sinn und Wandel einen Handelsherrn dar, der seinen rechten Schatz im Himmel weiß, der wach und thätig in seinem Weltberufe, diesen verkläret durch das Bewußtsein seines höhern Berufes. Schämen Sie sich auch unter den Spöttern nicht des Evangeliums von Christo, geben Sie Rede und Antwort über Ihren Glauben vor Jedermann, erwerben Sie ihm Achtung auch von Denen, die ihn nicht teilen; und Sie sind, was Sie vorher zu werden wünschten, Sie sind ein Arbeiter im Weinberge des Herrn; und vielleicht gesegneter in Ihrer Ernte für Sein Reich, als wenn Sie die Stätten aufsuchten, die noch völlig brach liegen.“

„Sie eröffnen mir eine Aussicht,“ erwiderte Oswald, „deren Reiz ich nicht verkenne; aber Sie senden mich zurück in einen Kampf, dem ich schon einmal nicht gewachsen war.“

„Doch nun angethan mit den Waffen des Lichtes, doch nun gerüstet mit dem Schwert des Glaubens und gedeckt von seinem Schilde! Wol aber ist Ihnen sorgsame Vorsicht, strenge Aufmerksamkeit not. Was der Herr auch Großes an Ihnen gethan, Sie sind, Oswald, doch noch eine junge Blüte im Glauben, die der Entwickelung und Ausbildung auch noch ferner sehr bedarf, ehe sie Andere erfreuen mag mit ihren Düften und Früchten. Bitten Sie Gott, daß Er Sie kräftige und vollbereite. So wird Er Sie darstellen zum Zeugnis, ohne daß Sie sich dazu drängen, ein Zeuge zu sein.“

Oswald wagte keine weitere Gegenrede, doch fühlte er sich verletzt durch das wenig verhehlte Mißtrauen in seine völlige Umwandlung zu einem neuen Menschen und hätte daran wol am besten erkennen können, wie gerecht dies Mißtrauen sei.

Zur weiteren Durchbildung und gleichsam Wurzelung im Heil wäre ein längerer Aufenthalt auf der Hallig und Hold’s Anleitung und Anregung gewiß nützlich gewesen, und Oswald’s Siegesfreude ging mehr allein aus dem Rückblick auf die Vergangenheit hervor, als daß sie von einem ernsten Aufschauen auf den Anfänger und Vollender des Glaubens begleitet war.

Vielleicht mochte auch Hold zu wenig auf die Macht des lebendigmachenden Glaubens rechnen, und eine Umwandlung, wie die vorliegende, nicht ganz zu würdigen wissen, weil sie als eine für ihn neue Erscheinung auftrat. Außerdem beurteilte er früher den jungen Mander nur nach Dem, was dieser selbst von sich erkennen ließ, und verborgen war ihm die leise Arbeit, wodurch der Geist Gottes, der die Herzen lenkt wie Wasserbäche, diesen scheinbar so dürren Boden schon lange empfänglich gemacht; wie ja auch Oswald diese stille Bereitung nicht verstanden, und darin nur Regungen kindischer Schwäche gesehen, die er bekämpfen, und, um den vermeinten Ruhm eines starken Geistes nicht zu verlieren, sorgfältig verbergen zu müssen glaubte. Und wer konnte zeugen von der furchtbaren Qual der Läuterung in jenen Stunden, als jede kommende Woge zu einem Boten ward, der das immer gleiche Wort wiederholte: „dem Menschen ist es gesetzt zu sterben, und darnach das Gericht!?“ wer zeugen von seinen spätern schweren Kämpfen, bis der Morgenstern aufging in seinem Herzen?

 

Doch in seinen spätern Jahren machte auch Oswald noch manche trübe Erfahrungen, wie er sich im ersten Augenblick der Begeisterung zu viel zugetraut, wie auch unter dem Morgenrot der Gnadensonne noch Wolken und Stürme nicht fehlen, wie oft wir in einzelnen Momenten Höhen überstiegen, die wir nachher erst wieder mit Mühe erklimmen müssen. Die Kämpfe blieben für ihn nicht aus. Der Umwege wurden noch viele. Nur Das hatte er gewonnen, daß seine Augen aufgethan waren für das rechte Ziel, und daß er darum sich immer wieder auf den rechten Weg zurückfand, und daß die Thränen seiner Reue gesegnet waren mir dem Troste: „Freude ist im Himmel über einen Sünder, der Buße thut!“

Und mehr gewinnen ja auch die Meisten nicht vom Glauben an das Evangelium. Ihrer guten Werke sind vielleicht nicht mehr, als die Derer, welche das Heil in Christo verschmähen; aber sie wissen, daß diese Werke ohne Verdienst und Gerechtigkeit sind, und halten darum um derentwillen Nichts von sich selber, sondern bekennen in Demut ihr Zurückbleiben in der Nachfolge des Herrn. Sie sind vielleicht nicht stärker in der Versuchung als Jene; aber sie fühlen ihre Unwürdigkeit und kehren bald um in Reue und Buße und tragen Leid über ihre Sündhaftigkeit. Daher, wenn auch Beide wenig unterschieden sind nach ihrer äußerlichen Erscheinung, ist doch im Innern ein völliger Gegensatz. Hier Demut; dort Eitelkeit. Hier Betrübnis über den Mangel an Heiligung und immer tiefer gefühltes Bedürfnis der Erlösung; dort leichtsinniges Entschuldigen und Vergessen und Vertrauen auf das sogenannte „gute Herz“ und auf die einzelnen löblichen Bestrebungen, als ausreichend zur Befriedigung der Forderungen des göttlichen Gesetzes.

Wir sagen: die Meisten gewinnen kaum mehr von ihrem Glauben an das Evangelium, und bekennen gern, daß sie schon damit unendlich Viel gewonnen haben; keineswegs aber wollen wir dieser Halbheit irgend einen Vorschub leisten; sondern stellen das Ziel der Vollendung auf, wonach wir unermüdlich ringen sollen mit Gebet und Flehen, mit Seufzern und Thränen, mit Wachen und Streiten, mit Treiben und Drängen, mit Sorgen und Hoffen: die völlige Erneuerung im Geiste des Gemütes, die Verklärung des inwendigen Menschen, die sich abspiegelt in allen Gedanken und Gefühlen, in allen Worten und Werken, die alles ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste austreibt, wie vor der Sonne die Nebel und Schatten schwinden; die Wiedergeburt, wodurch das Erdengeschöpf in seinem Wesen und Thun zu einem Kinde Gottes, und der Wandel auf Erden zu einem Wandel im Himmel wird, wodurch die Welt selbst dem also Wiedergeborenen auch zu einer neuen Schöpfung sich umwandelt, deren Freuden und Leiden nur Zeugnisse sind, daß sie Gottes Welt ist. Mit dem Glauben an die Erlösung tritt erst die Möglichkeit einer solchen Wiedergeburt ein, weil durch ihn im Menschen die Liebe, die reinste und stärkste Triebkraft im Himmel und auf Erden, auf das Göttliche gelenkt wird; aber dieser Glaube ist nicht die Wiedergeburt selbst, wie unsere Halbheit sich oft gern überreden möchte, er ist nur die notwendige Bedingung dazu und bleibt ein totes Erz und eine klingende Schelle, wenn er nicht in der Liebe thätig ist, in der Liebe, die da schaffet und wirket zur Heiligung des Sinnes und Wandels.

Aber – wer darf dann auf Erden ein Wiedergeborner heißen? —

Laßt uns den Vater bitten, daß er uns unsere Schwachheit vergebe doch wehe uns, wenn wir sie uns selbst verzeihen!