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Die Hallig

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„Gelobet sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesu Christi, der Vater der Barmherzigkeit und der Gott alles Trostes! Der uns tröstet in aller unserer Trübsal, daß wir auch trösten können, die da sind in allerlei Trübsal, mit dem Troste, damit wir selber getröstet werden von Gott. – Lobet den Herrn in allen Seinen Werken, denn alle Seine Werke sind unsträflich! Auf Sein Gebot kommen und gehen die Wasser. Er wehet das Meer an mit dem Hauche Seines Mundes, und es weichet scheu vor Ihm zurück. Er wehet das Meer an mit dem Hauche Seines Mundes, und es schwellet und wallet heran folgsam Seinem Ruf; und was Er gebeut, das geschieht zur rechten Stunde. So ist es denn auch Seine Stunde, in die wir gekommen sind. Es ist Sein Rat, der uns dies Grab bereitet; und darum leitet auch Seine Hand uns hinüber in Sein Reich. – Freuet Euch! Er hat in diesen Stunden der Angst uns gereiniget von unsern Sünden. Er hat uns hingegeben in unsere Ohnmacht, daß die letzten Trümmer unseres Dünkels niederbrächen unter Seinem Wort: „Seid stille und erkennet, daß ich der Herr bin!“ – Er hat uns hienieden schon gerichtet, und unter Seiner Heimsuchung ist unsere Schuld und Missethat über unser Haupt gewachsen, wie das Meer über unser Haupt wächst; also daß wir weit von uns geworfen haben das eitle Gewand eigner Gerechtigkeit und unsere Seele gekleidet in das hochzeitliche Kleid der Gerechtigkeit in Christo, die vor Gott gilt. – Hallelujah dem Gott der Stärke, dem Vater der Liebe! In Seiner Kraft überwinden wir die Welt, und Seine Gnade erfüllet die verzagten Herzen mit Freude und Friede. Und die da weinen um uns, – Herr, unser Gott, durch die Wolken hindurch dringt unser Gebet aus der Tiefe, und Du erhörest, erhörest uns, die wir ausschütten unser Herz vor Dir. Ja, wir bitten und zweifeln nicht: Du bist ein Helfer und Vater der Witwen und Waisen, unter dem Schatten Deiner Flügel ruhen sie. Du richtest sie auf, wo sie meinen vergehen zu müssen. Du weisest ihnen Wege, wo sie keine Wege sehen. Vater tröste sie, stärke sie, führe sie um unserer Bitte willen, wie Du verheißen: „Bittet, so wird Euch gegeben.“ – Nicht für uns bitten wir. Wir haben nur Dank, daß Du uns hast hören lassen Dein Wort zu uns mit wahrhaftigem Sinn und völligem Glauben. Wir haben allenthalben Trübsal, aber wir ängstigen uns nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. Denn Du hast einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, und unser Glaube ist schon hienieden zum Schauen geworden, also daß Dein Licht uns umleuchtet in der Finsternis, daß unsere Seelen auffahren mit Flügeln, wie Adler, aus der Tiefe, daß wir Dich loben und preisen im Sterben. – Hallelujah! Ehre und Preis unserm Gott, der uns den Sieg gegeben hat über den Tod! Hallelujah! Dem Herrn sei Dank und Preis in Einigkeit! Amen.“

Auf die beiden Männer der Hallig machten diese begeisterten Worte ihres Pastors den entschiedensten Eindruck. Sie hatten eben noch seine Seufzer und Klagen gehört, ihn die Schwäche und Trostlosigkeit seiner Leidensgenossen teilen sehen, und nun erhob er sich auf einmal zu solcher Höhe des Glaubens und der Todesfreudigkeit, daß sie seinen Zuspruch, obwohl dieser sich ganz in den Grenzen ihres geistigen Gebiets hielt, aufnahmen als eine Stimme von Oben, als die Sprache eines weltüberwindenden Geistes, der wie im Sturm den Geist der Furcht und des Zagens ausgetrieben, und dessen Stätte eingenommen in der Brust ihres vorher mit ihnen verzagten Seelsorgers. Daß fast jedes Wort seiner Tröstung an einen Bibelspruch erinnerte, gab ihr für Diejenigen, welche von Kindheit an die heilige Schrift als Gotteswort geehrt hatten, den vollen Stempel der Untrüglichkeit und daher noch gewisseren Einfluß auf die Gemüter. Für Oswald jedoch war jede Tröstung verloren. Während Jene lobten und dankten, als sei die Todesstunde ein Fest geworden, klang ihm dies Zeugnis der Glaubensfreudigkeit wie ein Hohn über die Oede seines Herzens. Oft versuchte er es, ein Wort des Glaubens und der Hoffnung seinen Gefährten nachzusprechen; aber er wußte nicht einmal, ob es über seine Zunge ging, wenigstens kam es ganz leer zu ihm zurück und fand in seiner von Todesängsten gemarterten Brust keine Stätte, um auch nur einen Augenblick zu haften. Er glaubte zu jammern und zu schreien, um so irgend eine Macht zum Mitleid zu bewegen, aber dies Jammern und Schreien war nur in ihm, seine Lippen fieberten nur, ohne daß ein Laut über dieselben kam; er glaubte mit aller Macht zu kämpfen wider die umdrängende Flut, aber seine Nerven zuckten nur krampfhaft, alle Muskelkraft war aus den erschlafften Gliedern entschwunden. So bot er das vollendete Bild eines Menschen dar, der an seinem Unglauben und seiner Gottvergessenheit zum Märtyrer geworden ist.

Die Wasser aber rauschen heran, heran; eine Woge legt sich über die andere hin und mit jeder kommenden Woge läuft eine Sekunde ab von der kurzen, den Opfern des Meeres noch zugemessenen Viertelstunde.

XVII

 
Alles wollen sie begreifen,
Alles wollen sie verstehn;
Alles schneiden sie in Streifen,
Um – zusammen sie zu nähn;
Und was wider ihre Lehren
Ist wahrhaftiglich geschehn,
Soll das offne Ohr nicht hören,
Nicht das offne Auge sehn.
 

Nicht allein mit den obenstehenden Versen möchten wir die zunächst folgende Erzählung einer bis zur Erscheinung gesteigerten Einwirkung der Seele auf die Seele einleiten. Mit der bloßen Behauptung oder Verwerfung einer Ansicht oder Erfahrung, die von der gewöhnlichen Meinung, von dem alltäglichen Gange der Dinge abweichen, ist Nichts gewonnen. Auch von den Gründen, welche unsere Erfahrung einer solchen Einwirkung in eine leere Täuschung aufzulösen streben, müssen wir bekennen, daß sie ihre Kraft bisher noch nicht an uns bewiesen haben, so zweifelnd-prüfend wir uns auch auf diesem dunkeln Felde der höheren Seelenkunde bewegen. Hold’s Versuch, sich eine nicht abzuleugnende Thatsache für seinen Glauben annehmlicher zu machen, teilt die gewöhnliche Eigenschaft solcher Versuche, er ist Grau in Grau gemalt, erklärt das Wunderbare durch das Wunderbare. Doch benutzen wir ihn gern, wenn auch nur zu einer bescheidenen Einleitung in dieses Kapitel.

„Ist nicht so Vieles in unserm Geiste,“ sagte er, „das über die gewöhnlichen Gesetze des Denkens und Empfindens hinaus ist? Oeffnet die Andacht nicht Tiefen in unserer Brust, die wir ohne sie ganz übersehen? und sind die Perlen und Edelsteine, die sie aus diesen Tiefen zieht, nicht von einer Art, daß unser Wissen und Verstehen jede Schätzung aufgeben muß? Die Andacht aber ist in ihrer höchsten Blüte Einswerden mit Gott, ein Verschmelzen unseres Geistes mit Seinem Geiste, also, daß wir absterben unserm früheren selbsteigenen Geistesleben, und in Gott leben, weben und sind, wodurch wir fähig werden, zu denken, zu fühlen und zu handeln über unsere sonstige Kraft weit hinaus, weil die Kraft Gottes in dem Schwachen mächtig ist. Wie nun die Liebe zu Gott solches Wandeln auf Höhen, zu denen unsere gewöhnlichen Gaben nicht hinaufreichen, möglich macht, so auch öffnet die irdische Liebe uns Wege vom Herzen zum Herzen, auf die kein uns ohne diese Liebe bekanntes Seelenvermögen hinweist. Es gibt auch hier eine Sprache und Mitteilung, die eben wie die Andacht nur in einzelnen Momenten ihre Hieroglyphe in das Buch unseres Lebens hineinschreibt. In Augenblicken, in welchen wir uns selbst ganz vergessen, und all’ unser Denken und Empfinden in die Seele des geliebten Gegenstandes hineinversenken, wird die Ferne zur Nähe und die Trennung zur Gemeinschaft; und unsere Bitten, Warnungen, Seufzer und Grüße werden Gedanken und Empfindungen der geliebten Seele, und damit sie nicht als eigene Träume unbeachtet bleiben, kleiden sie sich auch wohl in das Gewand sichtbarer Gestalten, hörbarer Worte, die aber nur eine Abspiegelung der auf solche Art geweckten Vorstellungen sind, daher nicht in die Sinne der diesen fremden Personen fallen. Es sind Erkennungen, denen ähnlich, mit welchen wir uns droben in den ewigen Hütten wiedererkennen, wenn die Seele mit dem neuen Leibe überkleidet wird, von dem unsere irdische Hülle nur der gröbere Schatten ist. Doch werden diese Wechselwirkungen der Seelen auf einander wohl nur da möglich sein, wo eine Liebe ist, nicht allein der vollsten Hingebung fähig, sondern auch in derselben durch langes Erkennen und innige Verschmelzung der Gedanken und Empfindungen erprobt und bewährt.“

Nun zu unserer Erzählung.

Godber und Idalia saßen in der Abenddämmerung dieses Tages, der für die Hallig ein Tag der schmerzensreichsten Trauer zu werden drohte, neben einander in der Stube ihrer Wohnung. Das Gespräch zwischen ihnen stockte oft, eben weil Beide sich Mühe gaben, es zu unterhalten.

So geschieht es immer, wenn zwei Menschen zusammen sind, die Etwas auf dem Herzen haben, worüber eine gegenseitige Erklärung notwendig ist, diese Notwendigkeit auch erkannt, aber die offene Erklärung vermieden wird, weil man von ihr ein Resultat fürchtet, das noch unangenehmer die Seele berührt, als die drückende Empfindung der Ungewißheit und Unentschiedenheit es thut.

Idalia verbarg ihre Verstimmung nur wenig, während Godber sich ernstlich anstrengte, alle mögliche Weichheit und Zärtlichkeit in seine Worte und sein Benehmen zu legen. Getrennt waren die Herzen schon. Erloschen war fast ganz das Feuer der Liebe; nur daß Beide sich noch nicht überwinden konnten, dies einander oder auch sich selbst nur recht zu gestehen; Idalia nicht, weil ein gewisses Mitleid mit dem Jüngling, der sein Leben für sie gewagt und ihr die Verlobte geopfert, noch in ihrer Brust sich regte, und dies Gefühl dem schwachen Rest ihrer Neigung ein Gewicht lieh, das er eben nur durch diese fremdartige Zugabe noch hatte. Godber wagte nicht, über seine Empfindung klar zu denken, weil er das Kleinod, für welches er so viel gegeben, nicht fahren lassen wollte, obgleich er eingesehen, daß es ihn nicht glücklich mache, und weil ihm graute vor der Leere eines Herzens, das zwischen der weggeworfenen und der zur Täuschung gewordenen Lebenshoffnung in der Mitte stände.

 

Als eben wieder eine lange Pause eingetreten war, öffnete sich plötzlich die Thüre, und die Pastorin, eine ganz unerwartete Erscheinung in diesem Hause, stand bleich und bebend vor den Erstaunten.

„Godber,“ sagte sie hastig, „Godber! ich beschwöre Dich, nimm Dein Boot und fahre dem Schiff entgegen. Sie sind in Gefahr, mein Gatte ist in Gefahr. Um eines armen unglücklichen Weibes willen, erbarme Dich, Godber, und fahre hinaus.“

Dabei hatte sie seine Hand ergriffen mit dem flehendsten Ausdruck der furchtbarsten Angst, und war im Begriff, vor ihm niederzusinken, als Godber aufsprang und die halb ohnmächtige Frau auf seinen Stuhl sich setzen ließ.

„Beruhigen Sie sich, Frau Pastorin!“ rief er. „Ich will Alles thun, was Sie wünschen. Ist irgend eine Nachricht da?“

Auch Mander, der jetzt aus dem Nebenzimmer trat, in welchem er bei den Büchern, die ihm Licht geben sollten in der Dämmerung seines Glaubens, geweilt hatte, fragte erschreckt über die Angst der Pastorin, woher sie von der Gefahr des Schiffes wisse?

„O Ihr fragt, ihr glaubt nicht!“ klagte diese händeringend, „und unterdessen versinkt mein Gatte in den Fluten. Ihr saht ihn nicht, wie ich ihn sah. An mein Fenster klopfte sein Finger. Ich eilte freudig vor die Hausthür. Er stand da. Ich sah sein Gesicht so hell im Nebel. Ich wollte ihn umarmen und in’s Haus führen. Aber da flossen seine Züge auseinander, und wie sie verschwammen, hörte ich den Seufzer: „mein armes, armes Weib!“ O Godber, hab’ Erbarmen und fahre hinaus. Ich will mit Dir, ich bin stark genug zum Rudern. Du weißt nicht, wie stark die Frau und Mutter ist, die für den Gatten kämpft.“

Vergebens bemühte sich Mander, die Verstörte auf die Macht der Einbildungskraft hinzuweisen, und wie natürlich es sei, daß ihre Liebe, die jede Abwesenheit des geliebten Mannes so schwer ertrüge, ihr allerlei schreckhafte Bilder vorgaukele, die ihren Grund nur in ihrer Sehnsucht nach dem Abwesenden hätten, und in dem vielleicht in der Einsamkeit zu weit verfolgten Gedanken: wie, wenn er einmal von solcher Reise nicht wiederkehrte? Vergebens sprach Godber zu ihr vom Winde, vom Wetter, von der Flut, wie durchaus keine Gefahr denkbar sei, aber eine Verzögerung notwendig hätte eintreten müssen. Die Pastorin setzte diesem Allem immer wieder die ihr gewordene Erscheinung entgegen. Sie gab genau an, was sie vorher bis zu dem Augenblick dieses Gesichtes gedacht und gethan, sie erklärte, gerade in jenem Momente nur ein heiteres Bild der Heimkehr vor der Seele gehabt zu haben, und sprach mit solcher Sicherheit der Ueberzeugung und solcher bestimmten Ausmalung der kleinsten Umstände, daß wenigstens der offene Widerspruch verstummte. Ja Godber, der mit den meisten Seeleuten die Empfänglichkeit für den Glauben an geheimnisvolle Einwirkungen und wunderbare Vorbedeutungen teilte, hatte kaum noch einen Zweifel daran, daß hier etwas dergleichen sich kund gebe. Als daher bei der Pastorin die Angst um den Gatten wie eine für kurze Zeit mühsam zurückgehaltene Flut wieder alle ihre Gedanken und Empfindungen überwogte und sie mit den herzzerreissendsten Jammertönen ihn anflehte: „Godber, rett’ ihn, rett’ ihn!“ beeilte er sich, ihren Bitten zu willfahren. Mander und Idalia begleiteten aber die von der Sorge um ihren Gatten gequälte Frau, bei der nun, da sie ihren Zweck erreicht hatte, eine Erschöpfung aller Kräfte eintrat, und die doch nicht länger von ihrem Kinde entfernt bleiben wollte, nach Hause, während Godber mit den beiden Seeleuten, seinen früheren Schiffsgenossen, an den Strand ging und sein Boot bestieg. Glücklicherweise lag dieses, da es am nächsten Morgen zur Ueberführung einiger Kisten von der geborgenen Ladung auf ein Frachtschiff gebraucht werden sollte, auf einer Stelle, von der sie, wiewohl die Flut eben erst das Gestade benetzte, gleich fortrudern konnten; und obschon der Nebel noch wenig gesunken war, fanden sie doch das Schiff, das sie suchten, bald auf, da der Eine der Matrosen es kurz vor dem Eintritt der hohlen Ebbe hatte vor Anker gehen sehen. Als ihr lauter, mit kurzen Unterbrechungen vom ersten Gewahren des Schiffes an fortgesetzter Ruf unbeantwortet blieb; als sie auf das Verdeck, in die Kajüte hinabstiegen und keine Seele antrafen, da blieb kein Zweifel übrig, daß die Unglücklichen, die auf dem Fahrzeuge gewesen waren, irgendwo auf dem Schlick umherirrten, oder vielleicht schon dem anschwellenden Meere zur Beute geworden waren. Wo sie suchen? Nach welcher Gegend hin das Boot wenden? Godber stand eben mit diesen Fragen auf dem Verdeck, sah mit dem angestrengtesten Blick, als könnte er die dichten Dünste mit seinem Auge durchspähen, rings umher und hörte das Plätschern der Wellen um den Kiel mit einem Grausen, als stände er, selber ein ratloses Opfer, mitten in den andrängenden Fluten; da – „Horch! was war das?“ riefen alle drei Männer auf einmal. Es kam durch den Nebel hin wie ein pfeifender Schrei aus weiter, weiter Ferne her. Wir wissen, daß es Oswald’s gellender Angstruf war, und auch jene glaubten darin einen Hülferuf der Gesuchten zu hören. Sie wurden freilich wieder zweifelhaft, als ihr vereintes Geschrei keine Antwort brachte, obwohl sie es mehrmals wiederholten. Doch da jede Richtung, die sie hätten einschlagen können, gleich ungewiß war, so zogen sie die Richtung vor, von welcher sie jenen Ton vernommen. Rasch ruderten sie vorwärts, wechselten oft, um immer mit gleicher Kraft den Lauf des Bootes zu beschleunigen, hielten nur zuweilen einige Augenblicke an, um auf eine Antwort auf ihren Ruf zu horchen. Da diese aber immer ausblieb, da die Flut schon so hoch gestiegen war, daß in der Gegend, wo sie sich befanden, es kaum noch denkbar schien, die Unglücklichen, wenn sie sich hieher verirrt hätten, am Leben zu finden, und da, obgleich der Nebel nicht mehr die Aussicht hinderte, die Fläche des Meeres, so weit sie übersehen werden konnte, nur das ununterbrochene Spiel der Wellen im Sternenlicht zeigte, so beschlossen sie, noch einmal alle Kraft zu einem gemeinsamen Ruf zu vereinen, und dann eine andere Richtung zu nehmen.

Wir kehren jetzt zu Denen zurück, die wir in der äußersten Todesgefahr verließen. Ihre Kraft, dem immer höher anschwellenden Meere zu widerstehen und sich gegen die wogende Flut aufrecht zu halten, nahm mehr und mehr ab. Wäre der Wind nicht so ganz still gewesen, dann würden sie schon längst ihren Tod gefunden haben. Die Begeisterung, welche Hold und durch seine Ansprache auch die beiden Männer von der Hallig über die Not des Augenblickes emporgetragen, war in eine schweigende, fast bewußtlose Ergebung übergegangen, während in Oswald’s Brust bei völliger Erstarrung des Körpers alle Schrecken des kommenden Gerichts forttobten, und das vergebliche Ringen nach irgend einem Gnadenworte ihn bis zur wahnsinnigen Verzweiflung hinaufmarterte. Wohl hatte er in seinen früheren Lebensverhältnissen zu Denen gehört, welche sich in den Gesetzen äußerlicher Ehrbarkeit bewegen, wenn sie auch die Grenzen dieser äußerlichen Ehrbarkeit so weit stecken, daß allerlei sogenannte natürliche Schwachheitssünden mit hineinpassen; wohl hatte er in dem ihm nie versagten Titel eines liebenswürdigen, gefälligen, unterhaltenden jungen Mannes das Ziel aller Forderungen, die an ihn gemacht werden könnten, erreicht geglaubt, und dennoch – jetzt diese schreckliche Leere und Blöße im Angesicht der Einigkeit! Warum ließ ihn denn das „gute Herz,“ dessen er sich doch in allen einzelnen ernsteren Augenblicken sonst so wohl zu getrösten wußte, nun so ganz ohne Trost und Hoffen? Seine Freundlichkeit gegen Jedermann, seine Teilnahme für Anderer Wohl und Wehe, seine Bereitwilligkeit, ihr Bestes zu fördern, sein Fleiß in seinem Berufe, ja selbst seine Rührung in, früher wenigstens, nicht so ganz seltenen Momenten beim Aufblick zum Sternenhimmel, beim Lesen schöner Stellen in Dichterwerken, wodurch er sein weiches, empfängliches Gemüt bekundet, konnte ihm solcher Ruhm jetzt nicht helfen in der Nähe des Todes? Warum wich dies Alles so scheu nun aus seinem Gedächtnis hinweg, daß er es herzerren mußte in seine Erinnerung, und es dennoch, wenn er darauf haften wollte, gleich einem flüchtigen Schatten wieder entschwunden merkte? Warum lag trotz diesem Allen sein Leben vor ihm wie eine nackte, dürre Haide, auf der kein Blümchen sich pflücken ließ für die Ernte, die jetzt nach seiner Aussaat fragte? Waren doch Tausende noch lange nicht wert, ihm gleichgestellt zu werden, und Tausende so tief versunken in Sünde und Schande, daß er gegen sie noch ein Heiliger genannt werden konnte; und doch – warum wendete der Herzenskündiger, den ja die Frommen als den Gott der Liebe und der Gnade bezeichnen, nicht das Flammenschwert des Gerichtes von ihm ab, das ihm die Seele durchschnitt und das innerste Mark seiner Kraft verzehrte? Warum rollte, ein immer näher kommender Donner, vor seinem Ohr das furchtbare: Verloren! Verloren!?

Könnten auch Dir vielleicht, lieber Leser, wenn Gott ähnliche Schreckensstunden über Dich verhängte, gleiche Fragen den letzten Kampf schwer machen?

Dieser Kampf schien für die von den Fluten fast Bedeckten gekommen.

„Herr, in Deine Hände!“ rief Hold, und glaubte das letzte Wort für sich und seine Gefährten gesprochen zu haben; da – da scholl ein mächtiger Ruf über die Wasser hin und zuckte durch die Seelen Derer, die schon jede Lebenshoffnung aufgegeben, wie ein Auferstehungsgruß. Aber eine lange Minute voll Entzücken und voll Angst ging darüber hin, ehe sie zu antworten vermochten. Die ersten Laute waren kaum mehr, als ein bloßes Aufatmen aus den Tiefen der Brust und dienten nur dazu, die Furcht zu wecken, daß ihre Stimme gar nicht hörbar werden würde. Zugleich war jene schwer errungene Ergebung in Gottes Willen plötzlich mit jenem Ruf von ihnen gewichen, und das volle Gefühl ihrer schrecklichen Lage, das Gedächtnis der Lieben, die ihr Tod in Gram und Herzeleid versenken würde, wieder in seiner ganzen Stärke zurückgekehrt. Endlich riß sich mit der furchtbarsten Anstrengung aus jeder Brust ein Schrei los, der weithin gellte, und der, da das Band der Zunge einmal gelöst war, fast ununterbrochen fortdauerte, ja immer stärker wurde, je näher die Antworten tönten. Und nun hob es sich dort wie eine schwarze Woge und rauschte heran ein Boot, getrieben von starken Ruderschlägen, welche die im Sternenlicht blitzenden Wassertropfen wie ein Feuerregen von sich sprühten. Ein wirres Jauchzen klang herüber, hinüber. Schauer des höchsten Entzückens rieselten durch die Gebeine der dem Leben Wiedergegebenen. In sehnsüchtiger Erwartung streckten sie schon von fern ihre Arme dem Nachen entgegen, der, von der begeisterten Kraft seiner Ruderer getrieben, je näher dem Ziel mit desto rascherem Fluge durch die Wellen schäumte. Jetzt war er bei ihnen. Der Freudenruf der Retter verschmolz mit dem Jubel der Geretteten, und bald trug das eben im letzten Augenblick Erlösung bringende Boot froh die dem Meere entrissenen Opfer dem heimatlichen Heerde zu.