Malagash

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

>_

Manchmal höre ich mir die Stimme meines Vaters an, um mich zu beruhigen. Aber das ist nicht der Grund, warum ich ihn aufnehme.

Ich nehme ihn auf, weil ich ein Computervirus schreibe. Ich schreibe ein Computervirus auf der Basis der Worte meines Vaters. Basierend auf seinen Witzen und seinem Lachen. Basierend auf seinen Geschichten. Das Virus wird in die Welt hinausgehen und es wird für immer auf den Festplatten von Fremden leben. Es wird sich unter allem verstecken, und in der Dunkelheit wird es sehr leise Dinge wiederholen, die mein Vater gesagt hat. Jedes Wort, das ich aufgenommen habe.

Es wird nichts laut sagen. Es wird nicht mit der echten Stimme meines Vaters sprechen. Teilweise, weil die Tondateien zu groß sind, um sie in das Virus aufzunehmen. Teilweise, weil sein Überleben davon abhängen wird, nicht gehört zu werden. Nicht entdeckt zu werden. Also wird das Virus die Worte meines Vaters für ihn sprechen; es wird sie in Datenspeicher kopieren. In die weiten Strecken ungenutzten Speicherplatzes. Wie ein Echo in einem leeren Raum. Wie die Worte auf der Rückseite eines alten Fotos, versteckt vom Rahmen. Wie ein Geist.

Und obwohl die Aufnahmen zu groß sind, um sie vollständig zu integrieren, ist seine Stimme doch wichtig. Also habe ich mit der Konfiguration von quelloffener Spracherkennungssoftware herumgespielt. Ich stellte sie ein, Datei für Datei für Datei zu analysieren. Miteinander zu vergleichen und zu kontrastieren. Ich fütterte sie mit Lachen. Witzen. Ich fütterte sie mit jeder stillen Frage, jeder trockenen Beobachtung. Ich ließ alles durchlaufen, und die Software gab mir eine kurze Ziffernfolge. Bloß ein Fragment eines Fingerabdrucks. Ein Muster.

Und dieses Muster kam in den Quellcode des Virus. Streng genommen nicht notwendig, aber wichtig für mich.

Sein Lachen wurde ein Teil des Musters, das das Virus benutzt, um sich selbst zu erkennen. Es wurde Teil des Codes, das das Virus nutzt, um zu mutieren, um die Klartextzitate meines Vaters vor Anti-Virus-Software zu verstecken, die nach ihm suchen könnte. Überall, wo ich es benutzt habe, verringerte das Muster die Zufälligkeit des Verhaltens des Virus. Anstatt pseudo-zufällig auszuwählen, welche Veränderungen es an einem infizierten System vornehmen könnte, entscheidet es sich, sich entsprechend dieser einen Zahl zu verhalten. Nicht überall und immer natürlich. Aber an einigen Orten – in einigen Momenten – wird das Virus, statt eine Münze zu werfen, einfach tun, was es möchte. Es wird es selbst sein.

Das ist nicht die effizienteste Art, es zu machen. Es ist auch nicht die klügste.

Aber es fühlt sich richtig an.

>_

Mein Vater hat wohlgemerkt keine Ahnung von dem Virus. Er würde kein Wort verstehen. Vielleicht würde er die grundlegende Idee davon verstehen, aber die grundlegende Idee davon ist etwas, das ich ihm jeden Tag sage. Ich will nicht, dass mein Vater stirbt. Er weiß es. Jeden Tag weiß er es.

Mom ist die Programmiererin, nicht Dad. Ja, Dad ist sehr stolz, wenn ich Programmierwettbewerbe gewinne, aber er lächelt bloß, wenn es zu technisch wird. Er hat Computer nie verstanden. Begriff nie den Sinn. „Schau doch, wie schön es draußen ist“, sagt er immer. Selbst an den hässlichsten Tagen.

Als ich vor zwei Jahren wegen Hackens von der Schule suspendiert wurde, war meine Mutter rasend vor Wut. Nicht wegen mir, sondern wegen der stellvertretenden Schulleiterin, die mich nach Hause geschickt hatte. Mein Vater und ich saßen am Küchentisch und hörten ihr beim Telefonieren zu. Ihre Stimme wurde lauter und lauter.

„Nein, ich verstehe ganz genau, was sie getan hat“, sagte meine Mom. „Tun Sie es?“ Sie hörte zu. „Damit wir uns richtig verstehen. Private E-Mails und Daten, die meinen Kindern und hunderten von anderen Kindern gehören, waren mehr als ein Jahr lang unnötig in Gefahr, weil Sie Geld sparen wollten, indem Sie eigene Server benutzt haben? Und Sie suspendieren meine Tochter, weil sie Sie darauf hingewiesen hat? Sie haben nicht mal einen richtigen IT-Mitarbeiter. Meine Tochter wollte helfen.“

Was nicht exakt meiner Motivation entsprach, wenn ich ehrlich bin, aber es hörte sich auf jeden Fall gut an. Mein Vater aber saß nur da und lächelte.

„Ein wenig schulfreie Zeit, was?“, sagte er zu mir. „Das ist toll!“

>_

Zuerst gefällt mir die Art, wie sie sich kleidet. Einfache schwarze Kleidung. Straffe, schwarze Haare. Es gefällt mir, weil es die Art ist, wie ich versuche, mich zu kleiden. Es ist die Art, wie ich mich selbst sehen möchte. Ich möchte so undekoriert wie möglich sein. Eine Chiffre. Ich möchte nicht, dass meine Kleidung irgendetwas darüber verrät, was in mir vorgeht. Ein schwarzes Loch, aus dem keine Information entkommen soll.

Ihr weißer Laborkittel passt nicht zum Rest ihres Outfits. Es ist ein bewusster Fehler, das ist beinahe sicher. Nicht praktisch. Der Laborkittel ist ein Zugeständnis, der eine Teil des Doktorkostüms, den sie trägt. Ein Requisit. Aber abgesehen davon? Simpel. Also ja, ich mag die Art, wie sie sich kleidet. Aber es ist schwer, jemanden zu mögen, dessen Arbeit es ist, dich wie ein Kind zu behandeln.

Sie ist eine Psychiaterin, habe ich herausgefunden. Sie hat es mir noch nicht gesagt. Sie geht einfach voran. Einen langen Krankenhausflur nach dem anderen. Sie sagt auch nicht, wohin wir gehen, aber es gibt farbige Streifen auf dem Boden. Sie führen in verschiedene Richtungen. Farben kommen und Farben gehen, aber eine bleibt immer unter unseren Füßen. Blau, was eine Legende an der Wand für mich als „Kinderpsychiatrie“ dechiffriert.

Unser Ziel ist ein Raum, der eindeutig für Kinder gedacht ist. Kinder-Kinder, meine ich. Dinger im Hungerhaken-Alter. Aber ich bin hier, also schätze ich, ist er auch für mich gedacht. Offenbar gibt es keine institutionelle Unterscheidung zwischen mir und dem Hungerhaken. Zwei Eier, eins wie das andere, obwohl er halb so alt ist wie ich.

Trotzdem ist der Unterschied zwischen mir und meinem Bruder noch so groß, dass sie beschlossen haben, sich getrennt um uns zu kümmern. Er ist noch im Krankenzimmer und wartet darauf, dass er an der Reihe ist. Die Ärztin zieht einen Stuhl für mich und einen für sich heraus. Überall sind Plüschkreaturen, ein weicher Alligator, wuschelig und dunkelgrün, ein Nilpferd hängt auf einer Box mit Latexhandschuhen, ein ausgestopfter Adler, seine Flügel ausgestreckt und sein Schnabel verfilzt.

„Ich wurde gebeten, dir zu helfen, dich vorzubereiten“, sagt die Ärztin. Ich brauche das nicht. Ich weiß, dass mein Vater im Sterben liegt, und ich weiß, was ich tun muss. Der Hungerhaken ist derjenige, der hier sein sollte. Er würde sich perfekt einfügen. Ich kann ihn mir vorstellen, wie er einen liebenswerten Raubvogel umarmt, sein Gesichtsausdruck so leer wie eh und je.

Wir sind zurück in der Stadt für einen Scan, den sie nur in einem richtigen Krankenhaus machen können. Niemand hat große Hoffnungen. Ich frage mich, ob diese Ärztin die Idee meiner Mutter war. Aber das ist gemein von mir. Meine Mutter ist nicht gehässig. Und sie ist auch nicht geschmacklos. Meine Mutter ist besser als das.

Die Ärztin redet und redet. Sie redet nicht annähernd so effizient, wie sie sich kleidet.

Menschen sind so repetitiv. Warum? Die Art, wie sie reden, ist nutzlos. All die Information ist in den Kontext und jene wenigen, ersten Worte gepackt. Der Rest ist Wiederholung, Redundanz, Betonung. Zeitverschwendung. So reden jetzt alle. Hör sie dir an. Werden alle Gespräche so sein? Für den Rest meines Lebens? Ich hasse das.

Und schau dir diese Spielzeuge an. Keine dieser Kreaturen ist in der wirklichen Welt weich. Perversionen von Gefahr, verdrehte, liebenswerte Schatten des Todes, umarmbar gemacht. Bedeckt von Schnee.

„Eine Last wird sich heben“, möchte ich sagen.

„Dein Vater wird sterben. Er hat große Angst“, sagt die Ärztin.

Und dann sagt sie es noch eine halbe Stunde lang.

>_

Auf dem Flur spiele ich einen Teil der Aufnahme ab.

„Dein Vater wird sterben. Er hat große Angst“, sagt die Ärztin.

Das ist eine Verschwendung meines Telefonspeicherplatzes. Ich lösche jede Sekunde von ihr.

Sie ist für immer fort.

>_

Als ich hineinkomme, ist keine Zeit für einen Witz über die Kuscheltiere. Meine Mutter steht bereits, und sie nimmt mich in den Arm, bevor ich ein Wort sagen kann. Ich umarme sie auch und vergesse meinen sorgfältig formulierten Witz. Ich drücke sie fest, weil es unerwartet ist. Weil es warm ist und ich sie liebe, und weil sie uns wirklich nie in den Arm nimmt. Egal aber, wie fest ich zudrücke, sie drückt fester. Es ist sehr schwierig, nicht zu weinen anzufangen.

Ich kann meinen Vater jetzt noch nicht anschauen. Stattdessen schaue ich über die Schulter meiner Mutter zu Simon. Er starrt uns ausdruckslos an.

Hinter uns taucht die Ärztin wieder auf. Ganz in Schwarz, überhaupt nicht wie ich. Sie klopft an der Tür mit demselben gespielt-zaghaften Klopfen wie bei ihrem ersten Besuch. Meine Mutter lässt mich los und nimmt den Hungerhaken bei der Hand.

„Hallo Simon“, sagt die Ärztin zu ihm. Sie dreht sich um und geht voran. Meine Mutter und mein Bruder verschwinden im Flur, sie folgen der blauen Linie auf dem Boden. Ihre Runde im Schutzgebiet für entkrallte Raubvögel.

Auf dem Nachttisch meines Vaters stapeln sich Bücher. Taschenbücher und gebundene. Bücher aus der Bibliothek und brandneue Anschaffungen. Thriller. Harte, skrupellose, kaltherzige Macher, die trotzdem am Ende das Richtige tun. Ich habe versucht, sie zu lesen. Ich habe es wirklich versucht. Es hätte etwas sein können, das ich mit ihm teilen könnte. Aber sie geben mir nichts. Sie fühlen sich leer an.

 

Mein Vater hat eine Schwäche für sie. Sein Wort: Schwäche. Schwäche scheint aber nicht ganz korrekt zu sein.

Eine Schwäche dafür, überhaupt keine Schwächen zu haben? Eine Schwachstelle für Gewalt und Happy Ends? Eine Schwäche dafür, dass alles jedes Mal gut ausgeht? Gemäß dem Plot-Twist natürlich. Eine Schwachstelle für den Plot-Twist.

„Wie ist es gelaufen?“, fragt mein Vater.

Ich bin immer noch etwas zittrig von der Umarmung meiner Mutter. Die Bücher wirken wie die perfekte Ablenkung. Ich zeige darauf.

„Echt?“, sage ich. „Mehr?“

Er zuckt mit den Schultern.

„Sterben heilt Langeweile nicht“, sagt er. Er schaut mich immer noch an und denkt über die Psychiaterin nach.

„Sie haben mir gesagt, dass du sterben wirst, und dass du große Angst hast“, sage ich zu ihm. „Sie haben mir gesagt, dass ich für uns beide tapfer sein muss.“

„Wie im Fernsehen?“, sagt mein Vater.

„Wie im Fernsehen“, sage ich. Ich liebe sein Lächeln.

>_

In diesen letzten Tagen seines Lebens ist etwas hinter den Schmerzen meines Vaters und hinter den Witzen meines Vaters gewachsen. Es ist nicht die Angst, die zu erwarten ich instruiert wurde. Die ist natürlich da. Es gibt Augenblicke, in denen mein Vater ängstlich aussieht. Immer, wenn meine Mutter hier ist, als wäre er ihr zuliebe ängstlich. Oder vielleicht ist er mir zuliebe stark. Aber das meine ich nicht. Das ist nicht das, was ich hinter seinen Augen wachsen sehe. Es ist auch keine Tapferkeit. Es ist etwas komplett anderes. Eine Ruhe und eine Zuversicht haben in ihm Wurzeln geschlagen.

Ich sollte nicht „diese wenigen letzten Tage seines Lebens“ sagen. Meine Mutter verkrampft sich, wenn ich solche Dinge in Simons Gegenwart sage. Wenn ich zu nahe an eine ehrliche Einschätzung komme. Ich muss so reden, wie sie redet, dem Hungerhaken zuliebe. Ich muss vorsichtig sein. Niemals lügen, aber die Wahrheit nicht herausrutschen lassen. Er wird schmelzen, wenn die Wahrheit ihn berührt. Entsprechend sprießt die Hoffnung in der Gegenwart meines Bruders ewiglich. Es gibt immer Hoffnung. Ohne Hoffnung sind wir verloren. Hoffnung ist ein strahlendes Licht in der Dunkelheit dessen, was wirklich passiert, und solange wir meinen kleinen Bruder gut beleuchtet halten, wird niemals etwas Schlimmes passieren und alles wird am Ende gut werden.

„Wirst du sterben?“, fragt der Hungerhaken meinen Vater heute. Niemand hat mir gesagt, wie seine Sitzung mit der Psychiaterin lief.

„Wir wissen es nicht mit Sicherheit“, sagt meine Mutter, obwohl wir es tun. Wir wissen es mit Sicherheit.

„Hoffnung sprießt ewiglich“, sage ich ernst.

Meine Mutter wirft mir einen drohenden Blick zu. Ich schaue unverwandt zurück.

„Was bedeutet das?“ Mein Bruder schaut jetzt mich an, er ist verwirrt.

„Ohne Hoffnung sind wir verloren“, sage ich. „Es gibt immer Hoffnung. Hoffnung ist das strahlende Licht in der tiefsten Dunkelheit.“

Ich versuche, eine todernste Miene aufzusetzen, so, wie mein Vater es tut.

„Sunday“, warnt meine Mutter.

Der Hungerhaken ist so verwirrt, dass er anfängt zu weinen.

>_

Ich habe jetzt alle drei Computer in meinem Schrank aufgebaut, sie laufen ununterbrochen. Meine Großmutter hat ein langes, oranges Verlängerungskabel für mich gefunden, und ich habe mir von meiner Mutter eine Steckdosenleiste in Truro besorgen lassen. Groß genug für alle drei Netzteile und meine externe Festplatte. Auf dem Dachboden habe ich einen alten Nachttisch gefunden. Ein Computer steht darunter, es ist gerade genug Platz, dass er aufgeklappt bleiben kann. Der andere steht offen darauf. Der dritte befindet sich auf meinem Schoß, wenn ich im Schrank bin. Auf dem Boden, wenn ich es nicht bin.

„Meine Güte!“, sagte meine Großmutter, als sie die Kabel sah, die sich überall herumwanden, die Laptops, offen und flackernd, einer über dem anderen. „Pass auf, dass du sie dir nicht um den Hals wickelst! Du würdest dich erwürgen!“

Es wirkt wie etwas, was nur jemand Verrücktes sagen würde.

Simon ist wieder allein unterwegs.

Dieser surrende, überhitzte kleine Raum gehört mir und mir allein.

Zwei der Laptops sind nicht mit dem Internet, dafür aber miteinander verbunden. Jeder läuft auf einem anderen Betriebssystem, für Testzwecke. Ich habe gebräuchliche, aber leicht veraltete Versionen der beliebtesten Betriebssysteme ausgewählt. Verwundbar, aber überall zu finden.

Das ist der Ort, an dem der Geist meines Vaters wartet.

Er ist noch nicht bereit. Ein Computer infiziert den anderen, manchmal, mit der Erinnerung an meinen Vater. Sein Geist schlüpft zwischen ihnen hin und her. Aber noch nicht perfekt. Und nicht so oft, wie er sollte. Es funktioniert nur manchmal, und ich weiß noch nicht warum.

Und wenn es hier nur manchmal funktioniert – auf einem System, das ich kontrolliere, mit Software, die ich kenne und verstehe –, wie kann ich erwarten, dass sein Geist draußen in der Welt überlebt, mit Dutzenden von Betriebssystemen? Millionen von Kombinationen von Software und Hardware! Nein. Das Virus ist noch nicht bereit. Noch nicht widerstandsfähig genug. Ich muss ein besseres Spektrum von Schwachstellen finden, die ich ausnutzen kann. Einen stärkeren Satz von Infektionsvektoren. Ich brauche auch Backup-Exploits, Wege, auf denen sich das Virus ausbreiten kann, wenn die erste Methode scheitert.

Ich habe mich zu sehr auf seine Worte konzentriert und den Code selbst vernachlässigt. Den Virus-Teil dieses Virus. Aber die Worte sind wichtig. Mein lebender Vater hat immer noch mehr zu sagen. Ich möchte, dass es so viele von seinen Witzen und Freundlichkeiten wie möglich in die Software schaffen, bevor ich seinen Geist auf den dritten Computer lade, den ich mit Stenciltechnik grau und schwarz angesprüht habe, mit einem nur halb als Witz gemeinten Ouija-Brett.

Wenn alles bereit ist, wird es egal sein, was für ein schöner Tag draußen ist. Ich werde die Toten beschwören.

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?