Hölle in Himmel

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KAPITEL SECHS

Adler erwies sich als ein stattlicher Mann Anfang sechzig mit einer routinierten Aura der Macht. Für einen Provinzpolitiker, der bei den letzten Wahlen die meisten Stimmen auf sich hatte vereinen können, besaß er erstaunlich wenig Bauch und freundliche graue Augen, hinter denen sich eine angeborene Bauernschläue verbarg. Seinen Sekretär, einen kräftigen, untersetzten Mann mit kurzgeschorenem Haar und lauerndem Blick, hatte er selbst an diesem Samstag ins Rathaus kommen lassen; wahrscheinlich weniger, um die Etikette zu wahren, als vielmehr, um einen ihm wohlgesonnenen Zeugen anwesend zu wissen.

Mit ernster Miene gab Adler Kahlberg die Hand und begrüßte ihn, als Zeichen seiner umfassenden Informiertheit, wie aus der Pistole geschossen mit Namen. Eine unterschwellige Geringschätzung schien in seiner Stimme mitzuschwingen.

Kahlberg kamen Adlers Gesichtszüge bekannt vor, wenn er sie auch nicht mit einer Amtsstube, schon gar nicht der des Bürgermeisters, assoziieren konnte. Ein Helm, dachte er, er hatte einen Helm getragen, während Adler Scheiwe begrüßte und für einen Moment ein vertrauliches Lächeln über sein Gesicht huschte. Sie kannten sich wohl. Auch der Sekretär begrüßte die soeben Angekommenen förmlich, für einen Moment aus der etwas übertrieben vorgetragenen Rolle des feindseligen Leibwächters fallend.

»Ich bin zutiefst erschüttert.« Adler machte keine Anstalten, sich an seinen schweren Eichenschreibtisch oder die etwas deplatziert wirkende Sitzecke aus Chromstahl zu setzen, und alle blieben steif in der Mitte des Raumes stehen. »Wir waren uns natürlich nicht in allem einig, aber die Zusammenarbeit mit Rottmann erwies sich immer als konstruktiv, ein Glücksfall für Himmel.«

»Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«, wollte Kahlberg wissen.

Adler dachte einen Moment nach.

»Wohl bei der letzten Ratssitzung«, sagte er dann, wobei er sich die Zusammenkunft vor Augen zu rufen schien. »Es ging darum, wie wir der Stadt neues Leben einhauchen könnten. Ein Thema, das uns allen sehr am Herzen liegt. Rottmann, wie immer äußerst engagiert, hat mich dann noch bis in die Nacht hinein am Telefon mit Ideen bombardiert.«

»Wirkte er angetrunken?«

»Wir alle kannten sein Alkoholproblem. Er hat aber trotzdem immer volle Leistung gebracht.«

»Benahm er sich irgendwie anders?«, meldete sich Scheiwe zu Wort. »Ich meine, machte er einen depressiven Eindruck, sprach er irgendwie von Abschied?«

Adler schüttelte den Kopf. »Nein, er wirkte aufgekratzt wie immer, voller Pläne.«

»Um was für Pläne handelte es sich dabei?«, hakte Kahlberg nach.

»Ach, wissen Sie«, Adler lächelte nachsichtig, an der Grenze zur Herablassung. »Himmel ist nicht mehr das, was es mal war. Die Menschen ziehen fort, wir müssen den Ort attraktiver gestalten. Eines unserer Projekte ist, die Stadt altenfreundlicher zu machen und so wohlhabende Menschen im Ruhestand und kompetentes Pflegepersonal, eine ganze Infrastruktur, anzuziehen. Sie können sich gerne die Protokolle der Ratssitzungen ansehen, dort finden Sie alles bis ins Detail.«

»Natürlich kann ich das«, knurrte Kahlberg. »Aber ich würde lieber wissen, was Rottmann am Mühlengraben zu suchen hatte, auf einem unbeleuchteten Weg und ohne ein Bier weit und breit.«

»Man merkt, Sie sind in punkto Himmel nicht ganz auf dem Laufenden, Kahlberg.« Adlers Lippen zuckten spöttisch. »Einige der Schrebergartenhütten unten am Mühlengraben sind regelrechte Kneipen. Rottmann hat wohl einige seiner Wähler betreut.«

Kahlberg sah Scheiwe fragend an. »Ist das da unten so?«

»Wir schauen weg, so gut es geht.«

Das konnte sich Kahlberg denken. Sie schauten hier so gut weg, dass es Scheiwe nicht einmal für nötig befunden hatte, ihm gegenüber die Schrebergärten als Rottmanns möglichen letzten Aufenthaltsort zu erwähnen.

»Dann ist es wohl an der Zeit, endlich mal ein Auge auf diese ach so geheimen Orte zu werfen«, sagte Kahlberg und blickte Scheiwe übertrieben freundlich an. »Da Wochenende ist, kommen wir bestimmt auf unsere Kosten.«

»Warum nicht?«, entgegnete sie scheinbar unbekümmert. Doch ihre leicht verzogenen Mundwinkel verrieten, dass Kahlbergs Vorwurf angekommen war.

Zum Abschied gab man sich erneut die Hand.

»Gut, dass aus Ihnen noch was geworden ist, Kahlberg.« Adlers Lächeln wirkte nun beinahe drohend.

Kahlberg überspielte den unverhohlenen Hinweis auf seine Vergangenheit mit einem betont unbekümmerten Grinsen. Zu gerne hätte er gewusst, woher er Adlers Gesicht kannte, zog es aber vor, ihm nach dem vergifteten Kompliment nicht durch Nachfragen weitere Angriffsflächen zu bieten.

Der Sekretär, der die ganze Zeit geschwiegen hatte, fiel erneut aus der Rolle des Leibwächters, eine leichte, ungelenke Verbeugung andeutend.

Alle atmeten erleichtert auf, als das Treffen vorbei war.

KAPITEL SIEBEN

Kahlberg und Scheiwe liefen über einen schmalen Pfad, der zwischen hohen Hecken die Schrebergartensiedlung durchzog. Ihre Schuhe knirschten im Kies, der schwere Geruch von feuchtem Laub stieg in ihre Nasen. Deutschlandfahnen hingen schlaff im Regen. Ein Mann mit einem Hund kam ihnen entgegen und zwängte sich grußlos vorbei, Tier und Herr in der gleichen geduckten Haltung. Es begann, dunkel zu werden.

»Warum haben Sie mir nicht gleich hiervon erzählt?«, fragte Kahlberg.

Scheiwe wand sich einen Moment, bevor sie antwortete:

»Wir schauen hier weg und kümmern uns um Wichtigeres«, sagte sie. »Das ist mir wohl schon zur Gewohnheit geworden.«

Kahlberg blieb stehen und sie tat es ihm nach. Er musterte sie missbilligend.

Sie machte eine rechtfertigende Geste. »Schließlich sind wir nicht das Gewerbeaufsichtsamt.«

»Ich auch nicht.«

»Ich weiß.« Ihr Blick tastete suchend, wie der eines Kindes, das nach einem Fehler die richtige Antwort geben will. »Kommt nicht wieder vor.«

Natürlich sollte diese Floskel ihn, den Eindringling, bloß abspeisen. Trotzdem ließ er es darauf beruhen und wandte sich wieder zum Gehen.

»Wieso haben Sie eigentlich bei uns angefangen?« Er lächelte verbindlich, damit sie die Frage als Friedensangebot verstand und nicht als sarkastische Kritik.

»Ich hatte es nicht so eilig wegzukommen wie die Meisten, ich war ziemlich verliebt. Und unter den Jobs, die sich hier anboten, schien mir der hier noch der spannendste. Ich fuhr also täglich mit dem Zug zur Polizeischule nach Hagen. Drei Jahre später war ich Bulle auf Lebenszeit. Und Single.«

Sie lachten beide. Das Leben spielte bei niemandem mit, wie es sollte. Scheiwe kehrte sich eine blonde Strähne aus der Stirn und zuckte mit dem linken Unterlid, was ihren Augen einen besonderen Glanz verlieh. »Und Sie?«

»Nach meinem Psychologiestudium verstand ich die Welt keinen Deut besser als vorher und wollte dem Ungeheuer ins Auge sehen.« In Wahrheit hatte er sich aus Gleichgültigkeit beworben und zu seinem Erstaunen die Zulassung zum Studium erhalten. Da erst war ihm bewusst geworden, dass sein vorheriges Leben keine Spuren in den Akten hinterlassen hatte und die Menschen ihn nach dem Eindruck beurteilten, den er damals hinterließ. Den eines intelligenten jungen Mannes.

Scheiwe blieb vor einem Gartentor stehen. Hinter einem Gemüsebeet und einem Stück Rasen stand ein solider kleiner Bungalow.

»Wir sind da, das Ungeheuer erwartet Sie.«

Als sie eintraten, richteten sich alle Blicke auf Scheiwe oder vielmehr ihre Uniform und jede Konversation erstarb. Drinnen saß man dicht gedrängt zwischen Zigarettenschwaden und trank Bier. Auf einem Flachbildschirm lief die Liveübertragung der Partie BVB gegen Hertha. Die schwarz-gelben Schals der Anwesenden ließen keinen Zweifel daran aufkommen, auf wessen Seite sie standen.

Während der Moderator das Spiel in die Stille hinein kommentierte, schloss Kahlberg, der den Bungalow hinter Scheiwe betreten hatte, die Tür. Das kurze Eindringen frischer Luft hatte den vorhandenen Dunst nicht vertrieben, es roch nach Tabak, Alkohol und Schweiß. Er zählte neun Männer und zwei Frauen. Die Frauen roch man nicht.

»Kahle, Alter!«, brüllte plötzlich jemand und zeigte beim Grinsen seine Zahnlücke. »Kennste mich nicht mehr?«

Natürlich kannte Kahlberg ihn noch. Der ewige Sid-Vicious- Haarschnitt, die abgewetzte Lederjacke, eine Selbstgedrehte auf der Lippe. Die Zahnlücke schien aufs Doppelte gewachsen.

»Hallo Richie, lange nicht gesehen«, sagte Kahlberg, und leise zu Scheiwe: »Wie haben Sie gewusst, dass er mich erwartet?«

Ein korpulenter Mann über fünfzig stand auf und baute seine Boxernase vor ihnen auf. Wahrscheinlich der Besitzer.

»Gibt’s irgendein Problem?«, fragte er mit gedämpfter, wenn auch drohender Stimme.

Kahlberg hielt dem festen Blick des Mannes stand. »Kennen Sie Rottmann?«

»Den Politiker?«

»Er wurde heute Morgen tot aufgefunden.«

»Rottmann? Tot?« Der abweisende Gesichtsausdruck des Mannes wich ehrlicher Betroffenheit. »Gestern war er noch hier und dann sowas. Wie ist denn das passiert?«

»Man hat ihn tot aus dem Mühlengraben gezogen.«

Im Raum herrschte betretenes Schweigen. Der BVB schoss ein Tor, doch jemand stellte den Ton ab.

»Er war ganz schön voll«, sagte Richie an Kahlberg gewandt. Die Zahnlücke lag nun hinter den Lippen verborgen und sein noch immer dunkles Haar wirkte auf einmal nicht mehr frech toupiert, sondern schlicht ungekämmt. »Voller als sonst, und er rannte ständig raus, um zu telefonieren.«

»Weißt du worüber?« Kahlberg gab sich Mühe, nicht in einen Verhörton zu fallen.

»Keine Ahnung. Er pumpte ab, nahm sein Handy, rannte raus, kam wieder zurück auf’n Bier und so weiter.«

 

»Er war schon komisch«, sagte der vermeintliche Besitzer. »Eigentlich hätte er langsam mal Wahlkampf machen müssen. Runden schmeißen und so.«

Kahlberg wechselte mit Scheiwe die Art von Blicken, die man bei Verhören lernt. Sie nickte ihm fast unmerklich zu. Er wandte sich erneut an die Anwesenden.

»Danke. Das war’s erst mal.«

Er nickte in die Runde, winkte einen unvermeidlichen Gruß Richtung Richie und machte Anstalten, Scheiwe zu folgen, die bereits dabei war hinauszutreten, als sein alter Kumpel noch einmal den Mund aufmachte:

»Ich habe dich bei dem Konzert ankommen sehen. Geile Karre. Wollte dich gerade begrüßen, aber die da war schneller.« Seine Augen wanderten spöttisch zu Scheiwe und zurück zu Kahlberg, die geräumige Zahnlücke gut sichtbar im immer breiter werdenden Grinsen. »Also bist du jetzt ein …«

»Bulle?« Kahlberg sah ihn herausfordernd an. In Richie steckte seit jeher ein Kläffer.

Doch der hielt seinem Blick stand und hob sein Bier. »Vergiss nicht, wo du herkommst.«

Doch genau das wollte Kahlberg vergessen. Er sah ein letztes Mal in Richies herausfordernd blitzende Augen und befand sich auch schon draußen neben Scheiwe.

Als sie zum Gartentor gingen, hörten sie, wie die Partie wieder laut gestellt wurde. Der BVB vergab eine Großchance. Aus den Kehlen im Bungalow drang ein Schrei der Enttäuschung.

Während sie den Pfad zurückstapften, fiel der Regen zunehmend heftiger. Diesmal bogen sie am Ende des Weges nicht ab, sondern traten ans Ufer des Mühlengrabens. Niedergetrampeltes Gras, zahllose Zigarettenstummel. Die Stelle hätte als öffentliches Pissoir ausgewiesen werden können.

Kahlberg beugte sich über den ausgeleierten niedrigen Zaun, der das dunkle Wasser abgrenzte. Darunter verlief die brüchige Befestigungsmauer des Grabens. In den mit Gras bewachsenen Fugen zwischen den Natursteinen klaffte eine frisch gerissene Lücke. »Hier muss es passiert sein.«

Scheiwe beugte sich neben ihm über den Zaun, wobei sie sich leicht auf seine Schulter stützte.

»Ist möglich«, pflichtete sie bei.

»Ein Fall für die Taucher«, schloss Kahlberg und richtete sich auf.

»Aber es war doch ein Unfall«, wandte Scheiwe ein.

»Dachte ich auch, bis sich diese Leute so verwundert über sein aufgedrehtes Verhalten in der Todesnacht geäußert haben.«

»Er hing halt an der Flasche.«

»Er hatte seinen Pegel intus. Das war’s nicht.«

Kahlberg zog sein Handy aus der Tasche und rief eine Nummer an. Jemand meldete sich am anderen Ende mit müder Stimme und nach einigem Hin und Her war klar, dass die Taucher erst am nächsten Morgen zur Verfügung stehen würden.

Kahlberg legte auf und fluchte. Verbrechen und Wasser ergaben eine Kombination, die zur Zeit in Mode zu sein schien. Er würde die Nacht in Himmel verbringen müssen.

KAPITEL ACHT

Wie so ziemlich alles in Himmel hatte auch das Hotel seine beste Zeit bereits hinter sich. Nur noch der großzügige Eingangsbereich kündete von jenen Jahren, als distinguierte Herren und wohl auch Damen auf der Durchreise mit Vorliebe hier übernachteten. Seitdem hatte sich beim Interieur das typische Stilgemisch billiger Absteigen gebildet, welches der jetzige Besitzer nur halbherzig kaschierte und womöglich vom nun frequenten holländischen Publikum wohlwollend mit provinzieller Gemütlichkeit assoziiert wurde.

Was über das Hotel gesagt werden konnte, galt auch für den in die Jahre gekommenen Portier, dessen Jugend sich, wohl durch Mangel an Ereignissen, in einer pergamentenen, faltenfreien Haut verewigt hatte. Bekleidet mit einem strahlend weißen, aber gänzlich aus der Mode gekommenen Hemd und schwarzer Hose, starrte er in Kahlbergs Ausweis.

»Björn Kahlberg? Der Kahlberg?« Er blickte sein Gegenüber, so gut das bei der Maskenhaftigkeit seines Gesichtes ging, überrascht an. »Was machen Sie denn hier?«

»Atmen. Ist doch ein Luftkurort.«

»Gewiss.« Eilig zog sich der Portier in den leeren, schmucklosen Warteraum seiner Seele zurück, der von ihm wohl meistbesuchte Ort seines Lebens, und händigte Kahlberg scheu einen Schlüssel aus. »Zimmer dreiundzwanzig, zweiter Stock, dritte Tür.«

Immerhin passte die Schlüsselnummer noch zum ursprünglichen Entwurf des Hotels. Kahlberg nickte dem Portier knapp zu und stieg die Treppe hinauf. Er fand sein Zimmer sofort.

Mindestens dreißig Jahre alte lasierte Kiefernmöbel empfingen ihn, aufgefrischt mit Nachttischen und Lampen aus jenem von ihm verabscheuten skandinavischen Möbelhaus. An der Wand hing eine verblichene Fotografie der Altstadt. Asphalt bedeckte die nun wieder mit Kopfsteinpflaster auf historisch getrimmte Hauptstraße, die auf den in der Bildmitte aufragenden Glockenturm zustrebte.

Ausgerechnet der, dachte Kahlberg und warf seine Tasche aufs Bett. Die Luft des Zimmers schien ihm unerträglich. Er öffnete das Erkerfenster. Sein Blick fiel auf das Schieferdach des Nachbarhauses und ein Stück sternenlosen Nachthimmels. Von der Straße drang Lachen zu ihm hinauf. Beim Betreten des Hotels hatte er gegenüber einen Irish Pub gesehen. Er warf einen Blick auf seine Uhr. Zeit, ihn sich näher anzuschauen.

Trotz des schlechten Wetters standen zwei junge Männer im Eingang und rauchten mit hochgezogenen Schultern. Als er die Stufen zur Kneipentür hinaufging, erstarb ihre Konversation, und er spürte, wie sie ihn aus den Augenwinkeln musterten.

Drinnen scholl ihm nicht mehr ganz frischer irischer Folkrock entgegen. Zu dieser frühen Stunde bevölkerten trotz des Wochenendes nur wenige Gäste den Raum. Kahlberg setzte sich an den Tresen und bestellte ein Bier und einen Whisky. Der Wirt schob ihm beides rüber, fast ohne den Blick vom Fußballspiel zu lösen, das im Fernseher lief. Premier League. So etwas konnte sich ein Ire doch nur anschauen, wenn er auf der Seite derjenigen Briten stand, die verloren. Aber wer weiß, schließlich machten heutzutage ja auch Holländer Urlaub in Himmel. Kahlberg nahm einen Schluck vom Whisky. Eindeutig Scotch, kein billiger Fusel. Einer der wenigen Gäste sprach den Wirt auf Englisch an und der antwortete mit schottischem Akzent. Kahlberg tippte auf Inverness. Die Welt bevölkerten allenthalben bunte Hunde, die mit dem Schwanz bellten.

Drei Bier und zwei Whisky später begann Kahlberg, sich gut zu fühlen. Zwei Bier und einen Whisky darauf war er in seinem Element. Zahlreiche Gäste füllten mittlerweile den Pub, meist junge Menschen, die wohl noch in Himmel zur Schule gingen, bevor sie das Weite in den großen Städten suchen würden. Der Wirt bemühte sich derweil um irische Identität. Mit den Undertones.

Another girl in the neighbourhood Wish she was mine, she looks so good I wanna hold you, wanna hold her tight Get teenage kicks right through the night

Das Lied trug Kahlberg zu den Anfängen seines Außenseiterdaseins, als er begann, sich Dinge zu erlauben, die andere nicht wagten, und Freiheit an den unwahrscheinlichsten Orten fand. Mit überhöhter Geschwindigkeit und ohne Führerschein auf einer Landstraße, in den Armen einer zehn Jahre älteren Frau, auf den Trips, die sie aus Amsterdam in Audiokassetten über die Grenze geschmuggelt hatten.

»Na, ganz der Alte, wie ich sehe«, grüßte ihn eine Stimme.

Ein einziger Blick reichte, um die Herablassung in seinem Gegenüber zu sehen, ein weiterer Blick, um sich an den längst vergessen geglaubten Namen zu erinnern. Er hatte sich immer durchgeschlängelt, hier geleckt und dort getreten und so, wie er jetzt blickte, Augenhöhe vorgebend, schien er damit erfolgreich gewesen zu sein. »Hallo Becker.«

Beckers rundes, selbstgefälliges Gesicht, welches von einem nur mäßig erhaltenen Igel gekrönt wurde, überzog ein breites Grinsen. »Was hat einen denn plötzlich nach Himmel verschlagen?«

Kahlberg kippte seelenruhig den Rest seines Whiskys runter. Typisch Becker, geschwollen parlieren, um das »Du« zu vermeiden und das »Sie« zu entziehen.

»Die gute Luft. Aber sie stinkt.«

Für einen Augenblick knisterte es. Der Mann, der an Beckers Seite den Pub betreten hatte, Anzug nach Feierabend, so eierköpfig und steif, als hätte man ihm einen Stock mit Nachdruck durch den Arsch bis unter die Schädeldecke geschoben, stand plötzlich noch gerader.

Aber Becker ließ sich nicht darauf ein, natürlich nicht.

»Na dann«, säuselte er und hob die Hand salopp zum Gruß. »Viel Spaß beim Atmen.«

Im Vorübergehen warf der Eierkopf Kahlberg noch einen entrüsteten Blick zu, dann verkroch er sich mit Becker in eine Nische, wo sie begannen, mit wichtiger Miene hinter Bierkrügen gute Laune vorzuschützen.

Kahlberg ging hinaus, um zu rauchen. Auf dem überdachten Absatz des Eingangs traf er den Gast, der zuvor mit dem Wirt auf Englisch unterhalten hatte. Sie kamen ein wenig ins Gespräch. Sein Gegenüber kam aus Irland, doch die Liebe fesselte ihn schon seit geraumer Zeit an Himmel, wo er Vater und Kranführer geworden war.

»That’s life«, sagte der Ire und grinste gelassen in den dunklen Abend. Er machte keinen unglücklichen Eindruck.

Sie standen noch eine Weile schweigend da und rauchten. Dann gingen sie wieder hinein.

Kahlberg bestellte sich noch einen Whisky. Während er ihn in kleinen Dosen die Kehle herunterrinnen ließ, dachte er nicht ohne Neid an seine Chefin Hahne, die gewiss gerade mit rheinischem Frohsinn die nicht ganz knappen Möglichkeiten ihres Beamtengehaltes genoss. Als sie vor seinem inneren Auge lasziv zu lächeln begann, leerte er den Whisky in seiner Hand mit einem letzten, entschlossenen Schluck.

KAPITEL NEUN

Der Kater erwies sich als einer von der unangenehmen Sorte, nicht wegen der Kopfschmerzen, sondern weil er jeden Nerv, jede Faser von Kahlbergs Körper in eine Antenne verwandelte für Dinge, die er nicht unbedingt empfangen wollte. Dazu gehörte die missmutige Laune des Tauchkommandos, welches, um das ersehnte Wochenende geprellt, ihn bereits im Morgengrauen aus dem Bett geschellt hatte.

Seitdem stand Kahlberg am Ufer des Mühlengrabens und beobachtete wortkarg mit Scheiwe die träge vom Grund aufsteigenden Luftblasen.

»Meinen Sie wirklich, das macht Sinn?«, fragte sie und zog die Schultern in der Morgenkälte noch höher.

An diesem Sonntagmorgen trug sie Zivil; eine kurze Wolljacke zur sandfarbenen Hose sowie lederne Stiefeletten mit spitzen Absätzen, die Kahlberg in Düsseldorf keines Blickes gewürdigt hätte, aber bei einer Frau, die er bisher nur in Uniform kannte, durchaus gut aussahen.

»Natürlich«, erwiderte er mit aufgesetzter Gewissheit. Seine Antennen sendeten Scheiwes Zweifel wie Stromstöße durch seinen Körper. Der Einsatzleiter des Tauchkommandos hielt betont Abstand zu ihnen und würdigte sie keines Blickes, während er sich am Ufer eine Zigarette nach der anderen ansteckte.

Kahlberg war nicht nach Rauchen. Gedämpft zischte er zu Scheiwe: »Im schlimmsten Fall wissen wir mit Sicherheit, dass es hier nichts zu finden gibt.«

Sie verfielen wieder in Schweigen. An Stelle eines allmählich aufhellenden Tagesanbruchs zog sich der Himmel weiter zu und erneut legte sich Dämmerung über das Tal. Zu dem eisigen Wind gesellten sich vereinzelt Regentropfen. Unten im Graben ging es den Tauchern in ihren dicken Neoprenanzügen wahrscheinlich besser als ihnen hier an der Luft. Trotzdem beneidete Kahlberg sie nicht. Sie mussten bei weniger als einem halben Meter Sicht im Schlamm wühlen. Sollten sie nicht bald fündig werden – niemand wusste im Geringsten, auf was man stoßen wollte –, würde er den Einsatzleiter auffordern, den Schlammsauger einzusetzen, was weitere Stunden sinkender Laune in Kahlbergs Umgebung mit sich brächte.

»Sie können ganz schön beharrlich sein«, sagte Scheiwe auf einmal und lächelte, wohl um keinen weiteren Tiefpunkt zu provozieren.

»Stur wäre das bessere Wort«, erwiderte Kahlberg. »Man sagt, die Eigenschaft hätte ich von hier mitgenommen.« Er erwiderte ihr Lächeln, es fiel ihm erstaunlich leicht. Scheiwes Gegenwart behagte ihm allmählich.

»Und wann sind Sie zuletzt zurückgekommen?«

»Niemals.«

»Ehrlich gesagt, ich kann’s verstehen.«

Sie sahen einander an und für einen Augenblick empfingen Kahlbergs überreizte Nerven einen angenehmen Impuls.

Das Wasser begann zu brodeln, als wäre am Grund eine heiße Quelle ausgebrochen, dann erschien ein Taucher an der Oberfläche und nahm den Atemregler aus dem Mund.

»Ich glaube, ich hab hier was.« Er winkte mit der Rechten, in der er einen winzigen Gegenstand hielt.

 

Eilig kniete Kahlberg am Ufer nieder und nahm das Objekt entgegen. Es handelte sich um ein glänzendes, metallenes Abzeichen zum Anstecken, ohne jede Spur von Rost. Lange konnte es noch nicht dort unten gelegen haben. Der Kopf des Abzeichens trug ein von Eichenlaubornamenten umkränztes Akronym.

Kahlberg zeigte es Scheiwe. »Kennen Sie das?«

Sie betrachtete den kleinen Gegenstand kurz und nickte.

»Eine Anstecknadel des Wandervereins.«

»Haben Sie eine Ahnung, ob Rottmann Mitglied war?«

Scheiwe zögerte. »Ich denke nicht. Zumindest habe ich ihn nie mit denen in der Zeitung gesehen.«

»Vielleicht tauchte er ja nur als Karteileiche auf.«

»Ich werde das überprüfen. Aber es war einfach nicht sein Revier, da gab es nichts zu wildern für ihn und seine Partei.«

»Also ist es möglich, dass jemand dabei war, als er ins Wasser gestürzt ist.«

Die Dinge begannen, interessant zu werden. Kahlberg verspürte plötzlich doch Lust auf eine Zigarette.

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