Der Countertenor Jochen Kowalski

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Nur eine Woche später hatte ich mir Karten gekauft für LOHENGRIN an der Staatsoper, und dieses Erlebnis war so überwältigend, dass ich dachte: Ich werde ohnmächtig. Der Vorhang ging auf und öffnete sich für einen strahlend blauen Rundhorizont – wir befinden uns ja am Ufer der Schelde –, dazu dieser Klangrausch, und Lohengrin erschien in einem silbernen Kostüm auf einem silbernen Schwan. Und dann sang er, Kammersänger Martin Ritzmann: Das vergesse ich mein Lebtag nicht, ich wäre bereit gewesen zu sterben, wenn ich so hätte singen können. Ritzmann sang an diesem Haus übrigens alles, es war ja wirklich ein Ensembletheater, und er sang es fantastisch, auch wenn ihn im Westen kaum einer kannte.

Wie sind Sie anschließend zur Tat geschritten? Was haben Sie unternommen, um sich dem Traum einer Sängerkarriere zu nähern?

Ich hab mir als erstes den Klavierauszug von LOHENGRIN gekauft und habe die Partie dann mithilfe von Schellackplatten auswendig gelernt – Franz Völker sang darauf die Titelrolle, der große Heldentenor der Berliner Staatsoper aus der Zeit vor dem Krieg. Sein Lohengrin ist bis zum heutigen Tag nicht wieder erreicht, er brauchte keine Zuckungen und Anstrengungen zu unternehmen, der stand einfach da und hatte es perfekt drauf. Wenn ich mit ihm mitgesungen habe, dann wurde meine Stimme auch auf ganz wunderbare Weise frei. Ich habe in Antiquariaten dann alles Erdenkliche gekauft, dessen ich irgendwie habhaft werden konnte: Noten, Textbücher, Platten. Und in meiner Naivität dachte ich: Man stellt sich einfach hin und singt. Natürlich war ich da durch die Gesangsfilme der fünfziger Jahre irregeführt worden. Ich wurde jedenfalls schnell heiser, konnte gerade mal eine halbe Stunde durchhalten, aber das ist auch kein Wunder, wenn ein Siebzehn- oder Achtzehnjähriger Lohengrin schreit.

Was haben Ihre Eltern dazu gesagt?

»Der hat ’nen Knall, lass ihn mal.« Sie haben mich bis zu einem gewissen Grade sogar unterstützt, haben von einer Bekannten ein Grammofon abgekauft, weil sie wussten, wie gern ich alte Platten höre. Und ich hab dann rauf und runter die Schellacks gehört: Richard Tauber, wie er Loewe-Balladen singt, TOM DER REIMER und DIE UHR, zwanzig Mal am Tag hab ich das laufenlassen. Noch heute liebe ich es.

Und in der Schule? Wie haben Ihre Freunde reagiert? Ein Junge, der für Anneliese Rothenberger schwärmt und Balladen von Loewe hört: musste der nicht zwangsläufig ein Außenseiter sein?

Ach, die wussten, olle Jochen ist halt etwas verrückt. Irgendwie haben sie es akzeptiert. Sie haben mich sogar zum Musikverantwortlichen gemacht, wenn es um Klassenfeiern ging, und außerdem war ich in der Schule derjenige, der die Theaterbesuche organisiert hat. Dann bin ich nach Berlin gefahren und habe für alle Opernkarten gekauft, erste Reihe Staatsoper für 2 Mark 50, als einheitlicher Schülerpreis. Bis heute schmunzeln sie über mich und sagen: »Ach, du warst ja früher schon genauso verrückt.« Jedenfalls hab ich nicht darunter gelitten, dass ich mich für etwas anderes interessierte als die Mehrheit.

Für was haben Sie sich denn außer der Musik noch interessiert? Was haben Sie gemocht in der Schule und was nicht?

Deutsch und Geschichte waren meine Lieblingsfächer, Mathematik und Physik habe ich dagegen gehasst – es ist sicher kein Zufall, dass ich bis zum heutigen Tage nicht gut rechnen kann. Auch Staatsbürgerkunde war überhaupt nicht mein Fall, das war mir zu sehr politisch indoktriniert. Wir hatten einen ganz unerschrockenen Mitschüler, Uwe Wulsche, der nie gelogen hat, wenn wir Aufsätze schreiben mussten, über sozialistischen Realismus etwa oder über Romane wie Nikolai Ostrowskis WIE DER STAHL GEHÄRTET WURDE. Das war ja alles so voraussehbar: »Wie muss sich Pawel Kortschagin« – das war der Held – »in dieser oder jener Situation verhalten?«, wurde da gefragt. Und wir wussten genau, was die Lehrer hören wollten. Uwe aber hat das alles in Frage gestellt, was unglaublich mutig war – er wurde später übrigens katholischer Priester. Damals wurde er leider übel denunziert und fast von der Schule geworfen, sein Vater hat deshalb sogar seinen Job verloren – es galt die Sippenhaft. Rückblickend muss ich sagen: Er war eigentlich der Held in unserer Klasse, er war freier als wir alle.

Einschulung 1961 © Privatarchiv Jochen Kowalski

Haben Sie über solche Vorgänge mit Ihren Eltern sprechen können?

Ja, das haben wir schon. Sie haben mir allerdings gesagt: »Du mit deiner großen Klappe, sei lieber ruhig, denk an deine Zukunft.« Sie wollten zwar keine Duckmäuserei – mein Vater erklärte: »Und wenn du auch nur Straßenfeger bist – Hauptsache ist, du machst deinen Job gut.« Aber sie waren andererseits realistisch genug, um zu wissen, wie dieses System funktionierte, und dass man hier Konzessionen machen musste. Das kannten sie ja noch aus der Hitlerzeit, die für meinen Vater als Polen auch alles andere als einfach war. Mein Vater hat das Ende der DDR leider nicht mehr erlebt, er starb 1985; aber meine Mutter, die bis 1990 lebte, sagte mir noch im Herbst 1989: »Jetzt müsste man noch einmal zwanzig Jahre jünger sein, und dann los!«

Wissen Sie, ob Ihre Eltern jemals überlegt haben, Wachow und die DDR zu verlassen?

Soweit ich weiß, haben sie das nie in Erwägung gezogen. Dabei stand meine Mutter wohl auf so einer Art Schwarzen Liste, meine großen Brüder haben mir später erzählt, dass die Stasi Stammgast unter unserem Fenster war. Kein Wunder, denn meine Mutter war ja in der Kirche engagiert, und sie hat nie ein Blatt vor den Mund genommen. Als ich in der ersten Schulklasse in die Pionierorganisation »Ernst Thälmann« eintreten sollte, hat sie gesagt: »Das unterschreib ich nicht, da gehst du mir nicht rein.« Ich wäre dann der einzige in meiner Klasse gewesen, der da nicht mitgemacht hätte, und das wäre ganz furchtbar für mich gewesen – ich wollte doch auch dazugehören. Also hab ich so lange gejammert, bis mein Vater am Ende unterschrieben hat, aber meine Mutter war so was von sauer … Jedenfalls bin ich dann öfter direkt vom Pioniernachmittag in die Christenlehre gegangen, ein fliegender Wechsel. Ohnehin bin ich zweigleisig gefahren, ich hab den ganzen staatlichen Zirkus mitgemacht, auch die Jugendweihe, und bin zugleich religiös erzogen worden. Der Pfarrer hatte auch nichts dagegen, er sagte nur: »Wichtig ist, dass die Konfirmation nach der Jugendweihe stattfindet und sie dadurch außer Kraft setzt.«

Porträtaufnahme von 1961 © Privatarchiv Jochen Kowalski

Und wo waren Sie lieber: bei den Pionieren oder in der Kirche?

Na, bei den Pionieren haben wir einfach mehr unternommen: Schnitzeljagden, Ausflüge, Theaterbesuche … In der Kirche dagegen musste man immer stillsitzen und anständig sein, aber das wollten wir Kinder doch gar nicht. Ich jedenfalls nicht.

Als Sie in die Pubertät kamen, als Vierzehnjähriger im Jahr 1968, ereigneten sich gesellschaftlich und politisch einige markante Entwicklungen: Im Westen beherrschte die Studentenbewegung die Schlagzeilen, im Osten bildete die Niederschlagung des Prager Frühlings einen Einschnitt. Wie viel haben Sie von dem einen oder dem anderen Ereignis mitbekommen?

Die Studentenrevolte hat mich damals nicht die Bohne interessiert. An den Prager Frühling kann ich mich allerdings erinnern. Wir hörten beim Frühstück immer den RIAS, und ich entsinne mich, dass damals, als die Nachricht vom Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts kam, eine extrem bedrückte Stimmung herrschte. Allerdings haben meine Eltern in Gegenwart der Kinder nicht darüber gesprochen, wir wurden dann rausgeschickt in unsere Zimmer. Und manchmal, wenn wir ins Wohnzimmer kamen, verstummten auch ihre Gespräche.

Gab es in Ihrer Jugend eine Zeit, die man als Phase der Politisierung bezeichnen könnte? Mit siebzehn Jahren sind Sie ja in die damalige Blockpartei CDU eingetreten. Warum?

Weil man mich in der erweiterten Goethe-Oberschule für eine Mitgliedschaft in der SED und die Offizierslaufbahn werben wollte. Ich, ein Offizier! Das ist allein schon ein ziemlicher Witz! Da dachte ich: Na wartet, jetzt bin ich mal eine Spur schneller als ihr! Die CDU-Tante aus Wachow wohnte genau bei uns gegenüber, ich bin zu ihr gegangen und habe sie einfach gefragt: »Kann ich nicht in der CDU mitmachen?« Und von dem Tag an hatte ich meine Ruhe. Es war also eine Schutzmaßnahme und kein Akt der Überzeugung. Die Ost-CDU hat sich bei mir danach erst wieder gemeldet, als sich meine ersten Erfolge einstellten: Da kam dann plötzlich ein Glückwünsch-Telegramm vom Vorsitzenden der Partei, Gerald Götting, voller Stolz auf dieses Mitglied: »Lieber Unions-Freund Kowalski …«

Wann haben Sie sich aus der Partei wieder verabschiedet?

Nach der Wende, als wir vereinigt wurden. Das wollte ich nun nicht mehr.

In der DDR galt die allgemeine Wehrpflicht. Wie ist es Ihnen diesbezüglich ergangen?

Das hat meine Mutter in ihre Hand genommen, sie war klasse in dieser Hinsicht. Mit vierzehn hatte ich nämlich eine Hirnhautentzündung, und sie zeigte sich ganz sicher: »Da machen wir was draus.« Sie ist deshalb mit mir von Arzt zu Arzt gezogen und hat es irgendwie geschafft, dass ich ausgemustert wurde. Ich sehe mich noch in Nauen bei der Nationalen Volksarmee sitzen, ein Offizier erscheint und erklärt: »Es tut uns wirklich sehr leid, dass wir Sie nicht aufnehmen können. Das ist zu gefährlich.« Und ich Trottel hab ihm geantwortet: »Ach, kann ich nicht wenigstens für sechs Wochen kommen?« Meine Mutter behauptete daraufhin: »Irgendwie ist bei dir tatsächlich etwas zurückgeblieben, du hast eine ziemliche Macke.«

Aber dadurch waren Sie mit achtzehn Jahren frei und konnten gleich Ihr Erwachsenenleben beginnen …

 

Ja, ich war frei und hatte sogar schon einen Studienplatz, es war alles geregelt und organisiert in der DDR. Ich wurde nach Leipzig geschickt, wo ich Binnenhandel studieren sollte, das war mir zugeteilt worden, obwohl ich es überhaupt nicht wollte. Und da ich ein großer Liebhaber der Deutschen Staatsoper Berlin war, habe ich mich lieber der staatlichen Vorsehung entzogen und fing im August 1972 dort als Requisiteur an.

Intermezzo 1
»Entweder singen oder saufen«

Der Sängerberuf: ein Traum und seine Tücken

Lieber Herr Kowalski, zwischen die einzelnen Kapitel Ihrer Lebensgeschichte möchte ich gerne Intermezzi einschieben, die um bestimmte zeitlose Aspekte Ihres Berufs und Werdegangs kreisen. Als erstes würde ich mit Ihnen gerne ein Gedankenspiel unternehmen. Sie haben gerade erzählt, dass Sie als Teenager keine Ahnung davon hatten, wie Sie Ihren Traum, einmal Sänger zu werden, verwirklichen könnten – weshalb Sie zunächst ja auch versucht hatten, sich bei der Komischen Oper für eine Ausbildung anzumelden. Stellen Sie sich also einmal vor, Sie wären ein Berufsberater für angehende Sänger oder für solche naiven Träumer, wie der junge Jochen einer war. Und versuchen Sie dann aus dieser Perspektive, ein paar Fragen zu beantworten.

Die erste lautet, aus gegebenem Anlass: Woran erkennt man eigentlich, welche Stimmlage man hat?

Ich erkenne das meistens schon, wenn jemand zur Tür hereinkommt: an seinem Körperbau, an der Art, wie er geht, an seiner Größe und Statur – das gibt erste Orientierungswerte. Natürlich muss ich einräumen, dass man sich dabei auch täuschen kann … Jeder einzelne kann es für sich selbst dadurch ermitteln, in welcher Stimmlage er sich am wohlsten fühlt. Wenn jetzt eine junge Frau oder ein junger Mann mit dieser Frage zu mir käme, dann würde ich mit ihnen ans Klavier gehen und mir was vorsingen lassen. Und dann würde ich merken, in welcher Lage was passiert – ob die Stimme zur Tiefe hin tendiert oder zur strahlenden Höhe. Sicher, man kann beide Richtungen etwas ausbauen, aber es gibt schon natürliche Grenzen. Und das gilt auch für Countertenöre.

Was nun mein Stimmfach angeht, so muss ich zugeben, dass es oft Zufälle sind, die am Beginn der Karriere stehen: Ich selbst hatte anfangs nur aus Spaß in der hohen Lage gesungen und ahnte gar nicht, dass man daraus einen Beruf machen könnte. Inzwischen aber sind doch viele meinem Beispiel gefolgt. Neulich sprach ein junger Mann aus Georgien, aus Tiflis, bei mir vor, der mit seiner Musikgruppe zwei Tage in Berlin war und mir am Rande einer Probe die Arie LASCIA CH’IO PIANGA vorsang: auf ein Zuspielband mit einem schrecklich kitschig gespielten Orchesterpart. Aber es ging ja um die Stimme, und da war ich wirklich platt, wie schön das klang. Ich habe ihm gesagt, dass er dringend versuchen sollte, diese Stimme an einer Fachakademie wie der Schola Cantorum Basiliensis ausbilden zu lassen. Denn noch war es die reine Natur, die ich zu hören bekam, ein Rohdiamant, und der muss nun geschliffen werden.

Wie kann man feststellen, ob man für den Sängerberuf wirklich begabt ist?

Oh, das wird man erst im Beruf feststellen. Man muss die Ausbildung wagen und braucht dabei einen langen Atem. Mit der Einstellung »Ich will jetzt Karriere machen« läuft jedenfalls gar nichts. Auch darf man sich von Rückschlägen nicht entmutigen lassen, die sind unausbleiblich. Und natürlich braucht man eine gute Portion Glück: Man muss die richtigen Leute zur richtigen Zeit treffen, ob Lehrer oder Agenten oder Leute vom Theater. Manchmal ist es so, dass eine Tür zugeht und sich eine andere dafür öffnet. Ob Wettbewerbserfolge tatsächlich aussagekräftig sind, wenn es um die Befähigung für den Beruf geht, wage ich übrigens zu bezweifeln: Von vielen dieser Preisträger hört man nämlich später gar nichts mehr. Ich finde es viel besser, wenn sich jemand in Ruhe entwickelt und sich nicht beirren lässt.

Wie würden Sie die Gewichtung zwischen Begabung und Ausbildung quantifizieren? Überspitzt gesagt: Könnte jeder, der ein bisschen Stimme hat und fleißig genug ist, Sänger werden?

Sicher nicht. Die echte Begabung ist das A und O, und sie setzt sich durch, selbst wenn die Ausbildung an der einen oder anderen Stelle zu wünschen übrig lässt. Wenn jemand wirklich das Sänger-Gen in sich hat – die meisten allerdings landen doch sowieso im Chor –, dann wird er sich auch trotz Widrigkeiten behaupten. Freilich gibt es leider auch Lehrer, die Talente völlig zerstören und fehlleiten können: Die Zahl der Scharlatane unter den Pädagogen und selbst an den großen Musikhochschulen ist nicht zu unterschätzen. Das ist ein heißes Thema.

Woran merkt man, ob man beim richtigen oder ob man beim falschen Lehrer gelandet ist?

Zum Beispiel daran, ob man nach dem Unterricht immer heiser ist. Man sollte sich auch nicht von Lehrern zu irgendwelchen Übungen bequatschen lassen, die einen nicht weiterbringen. Und man wird rasch merken, ob man in technischer Hinsicht von seinem Lehrer profitiert. Wenn das nicht der Fall ist, sollte man sich umorientieren. Ich selbst habe mich leider viel zu lange als Medium und Aushängeschild benutzen lassen – richtig singen gelernt habe ich erst bei meiner heutigen Lehrerin Jutta Vulpius, die mich seit zehn Jahren unterrichtet. Wenn ich die von Anfang an gehabt hätte – nicht auszudenken, was dann aus mir geworden wäre …

Welche Rolle spielen Charisma und Nervenstärke für den Erfolg?

Na, wer Charisma hat, der hat schon viel gewonnen. Ich kannte dieses Wort lange Zeit gar nicht und bin erst darauf gestoßen, als ich in einer westdeutschen Tageszeitung nach der Premiere von Händels BELSAZAR in Hamburg zu lesen bekam: »der charismatische Daniel des Jochen Kowalski …« Ich dachte: Was, um Himmels willen, ist denn das nun schon wieder? Harald Stamm, mein lieber Kollege, hat mir dann erklärt, dass es sich dabei um etwas ganz Wunderbares handele und nicht etwa um eine Krankheit … Also, wer Charisma hat, genießt große Vorteile. Und wenn dann noch Nervenstärke dazukommt, dann ist das ein Geschenk vom lieben Gott! Aber über die passende Stimme muss man natürlich auch verfügen – Charisma und Nervenstärke tun es allein dann doch noch nicht.

Welche Einschränkungen bringt der Sängerberuf mit sich? Worauf muss ein Sänger verzichten?

Der Sängerberuf ist eine einzige Lebenseinschränkung. Man muss auf vieles verzichten, was andere Leute gerne machen: Herr Kowalski kann auf keine Fanmeile gehen, er muss große Partys bis tief in die Nacht meiden, er sollte nicht zu viel sprechen, er darf nicht viel Alkohol trinken, und manchmal muss er auch die zwischenmenschlichen Beziehungen einschränken. Von morgens bis abends geht es immer nur um die Stimmbänder, um diese beiden kleinen Dingerchen. An die denkt man doch ständig und achtet darauf, dass sie bloß funktionieren. Aber ich habe das nie als wirkliche Belastung empfunden, sondern mir gesagt: entweder singen oder saufen – das ist wie beim Sportler.

Sie haben das Rauchen noch gar nicht erwähnt: Wie steht es mit dem Tabakkonsum bei Sängern?

Rauchende Sänger – das gibt’s. Enrico Caruso zum Beispiel hat permanent geraucht; wie er es dabei geschafft hat, seine Stimme in Ordnung zu halten, ist allerdings sein Geheimnis. Vielleicht hat er ja auch nur gepafft, um seine Nervosität in den Griff zu bekommen. Raucher findet man übrigens öfter unter den Bässen, die überhaupt viel gelassener sind. Denken Sie nur an Kurt Moll und Harald Stamm: Diesen beiden ist es zum Beispiel auch gelungen, mir die Angst vor dem Beruf zu nehmen. Vielleicht prägt das Stimmfach ja auch den Charakter. Bässe zum Beispiel sind in der Regel gesetzter und ruhiger vom Naturell her, Baritone sind schon aufbrausender und rebellischer, und Countertenöre haben überhaupt einen Knall – ich staune manchmal, was ich in Interviews meiner jungen Kollegen zu lesen bekomme. Sie werden zurzeit gerne in so eine Glamour-Ecke gerückt, und das gefällt mir gar nicht.

Wie bekämpft man am besten Lampenfieber?

Die beste Methode, Lampenfieber zu bekämpfen, ist nach wie vor, seinen Part 110-prozentig zu beherrschen. Also üben, üben, üben. Und danach kann man dann gelassener sein und sich sagen: Ich habe alles, was möglich war, gemacht; es klappt alles, ich brauche keine Angst vor technischen Problemen zu haben. Ich kann den Text, ich beherrsche die Noten und muss mich vor nichts fürchten. Von irgendwelchen Tricks, sich zu beruhigen, halte ich wenig. Als es mir stimmlich einmal nicht so gut ging, hat man mir geraten, Bachblüten zu nehmen oder immer irgendwelche Notfalltropfen dabei zu haben. Aber das ist alles Quatsch! Wenn man wirklich ein Problem hat, hilft es nur zu arbeiten, bis die Schwierigkeiten überwunden sind. Dann ist die Aufregung vielleicht immer noch da, aber man kann damit besser umgehen. Übrigens habe ich, wenn ich erst mal auf der Bühne stehe, kein Lampenfieber mehr – vor dem Auftritt dagegen ist es furchtbar, dann male ich mir nämlich immer aus, was alles schiefgehen könnte.

Sollte jemand den Sängerberuf ergreifen, der überhaupt kein schauspielerisches Talent besitzt?

Ach, dafür gibt es doch viele Beispiele … Die stehen da auf der Bühne rum und stellen ihre tolle Stimme aus, ohne sich überhaupt nur zu bewegen. Solche Fälle existierten schon in den zwanziger und den dreißiger Jahren: Leute, die schauspielerisch null Begabung hatten, aber mit einer göttlichen Stimme gesegnet waren. Und denen kann man ja nicht den Beruf verwehren. Auch wenn mir das persönlich nicht gefällt, denn ich finde, dass zumindest Opernsänger beides brauchen: Spiel und Stimme.

Ein junger Sänger steht oft vor schwierigen Entscheidungen: Soll er sich an ein Ensemble binden oder lieber seine Unabhängigkeit bewahren? Soll er an einem mittleren Haus große Partien singen oder an einem berühmten Haus kleine? Soll er in der Provinz beginnen oder gleich die Nähe der Prominenz anstreben?

Ich glaube, man kann dafür kein Patentrezept nennen – es gibt ganz viele Wege, die zum Ziel führen. Bei mir war es zum Beispiel so, dass ich direkt von der Hochschule an ein großes Haus, an die Komische Oper Berlin, kam und dort mit einer kleinen Partie angefangen habe. Und ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich mich an einem kleinen Haus in der Provinz wohlgefühlt hätte. Trotzdem: Wenn es heute noch eine richtige Ensemblepflege gäbe, dann würde ich jedem jungen Sänger empfehlen, sich zunächst einmal ein Festengagement in seinem solchen Ensemble zu suchen. Aber es gibt ja leider kaum mehr diese Kapellmeister, die einen jungen Sänger mit Bedacht aufbauen, oder die Ensembles, die einen echten Schutzraum bilden und somit die Möglichkeit bieten, dass sich Talente in Ruhe entwickeln können. Heute verlangt man von den Nachwuchskünstlern, dass sie von Null auf Hundert kommen – das war schon zu meinen Zeiten schlimm, aber dieser Erwartungsdruck hat sich mittlerweile noch erheblich verschärft. Ein guter Weg ist ohne Frage, die Laufbahn in einem Opernstudio zu beginnen – leider gibt es davon viel zu wenige.

Ist es unvermeidlich, sich einer Agentur anzuvertrauen? Worauf muss man dabei achten – und wovor sollte man gewarnt sein?

Ohne Agentur kommt man heute nicht mehr aus. Aber die passende Agentur für sich zu finden ist ähnlich schwierig, wie einen guten Lehrer zu entdecken. Die versprechen einem oft das Blaue vom Himmel, und solange man gut ist und alles läuft, mag das auch okay sein, aber sobald die erste Krise oder der erste Rückschlag eintritt, lassen sie einen hängen. Bei der Wahl der Agentur sollte man also unbedingt darauf achten, wie seriös sie arbeitet – oft können einem dabei auch die Erfahrungen von Kollegen helfen.

Viele junge Künstler, nicht nur Sänger, klagen, dass sie frühzeitig verheizt werden durch ein Übermaß an Reisen und Terminen, glauben aber, gar keine andere Wahl zu haben. In etwa nach dem Motto: alles oder nichts. Ist das eine verständliche oder eine übertriebene Befürchtung?

Man muss lernen, auch einmal etwas abzusagen. Aber wie das heutzutage ist: Jeder will eine CD einspielen, jeder will schnell Karriere machen, jeder will in den bunten Seiten der Opernmagazine erscheinen und über sich lesen: Soundso ist die neue Callas … Der eigene Ehrgeiz und der Medienerfolg stehen der Vernunft allzu oft im Weg. In den dreißig Jahren meiner Sängerkarriere habe ich so viele Kollegen kennengelernt, die regelrecht hochgeschossen wurden – und an die sich heute keiner mehr erinnert. Der Verschleiß ist riesig. Wer länger als ein paar Jahre überdauern will, darf sich nicht allen Erwartungen und Ansprüchen fügen, sondern muss für sich die richtige und gesunde Mischung finden.

 

Welche Fehler sollte man also auf jeden Fall vermeiden?

Man darf den Verlockungen des Berufes nicht zu sehr nachgeben. Das Zauberwort für die nachhaltige Karriere heißt Nein.

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