Unsere heimischen Göttinnen neu entdecken

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Die Tore zwischen den Welten

Die Nacht von Samhain, die Nacht vom 31. Oktober auf den ersten November, ist eine Zeit außerhalb der Zeit: Bei Sonnenuntergang stirbt das alte Jahr, das neue Jahr wird erst zum Sonnenaufgang geboren. In der Dunkelheit der Nacht gedenken wir unserer Verstorbenen. Es heißt, dass sich in dieser Nacht die Schleier zwischen den Welten heben, die Tore sich öffnen und wir in die Anderswelt reisen können. Die Seelen unserer Vorfahrinnen und Vorfahren können uns besuchen. Wir stellen Kerzen in die Fenster, die unseren Verstorbenen den Weg weisen sollen, und decken beim Essen ein Gedeck mehr auf. Wir dekorieren Kürbislaternen mit dem Gesicht der Greisin und zünden Ahnenlichter an für diejenigen, die im vergangenen Jahr gestorben sind und sich nun auf die Reise in die Anderswelt machen.

Samhain ist eine gute Zeit, um das, was uns nicht länger dient, in den Schoß der Greisin, in den Kessel der Göttin zu geben, damit es gewandelt wird. Es ist eine gute Zeit, um Intentionen für das kommende Jahr zu säen, die den Winter über in der Dunkelheit ruhen und befruchtet werden, um im Frühjahr aufzulaufen, im Sommer zu reifen und im Herbst geerntet zu werden.

Die Greisin verehren

Zu Samhain besuche Matronas Tempel in der Eifel, ihre Weihesteine in Köln und Bonn und die Blanke Helle in Berlin, bete zur Greisin und bringe ihr Weihegaben. Besuche Höhlen und verbringe Zeit in der Dunkelheit in Meditation. Mach weitere Orte von Matrona, Hel und Baba Yaga ausfindig. Entzünde Ahnenlichter auf den Gräbern der Verstorbenen oder in deinem Garten. Fühle ihre Nähe und bedanke dich für alles, was du von ihnen bekommen hast. In einem feuerfesten Kessel entzünde ein Feuer und übergib den Flammen alles, was in deinem Leben überholt ist und dir nicht mehr dient. Feiere den stillen Beginn eines neuen Jahres.


Kinder haben eine ganz eigene Offenheit der Göttin gegenüber und gehen an ihren Orten ganz natürlich mit ihr in Verbindung.


DIE MUTTER DER LUFT

Die Mutter der Luft ist Perchta, die Göttin der Wintersonnenwende, Anführerin der Wilden Jagd und stilles Auge des Wirbelsturms. Sie ist das Mysterium der Mitternacht, der Moment zwischen Ausatmen und Einatmen. Sie ist das Alte Winterweib, das Land, das im Winter unter Eis und Frost still daliegt. Sie ist die Knochenfrau, die Todesgöttin Ana, die die Toten hält und die Weisheit der Ahnen bringt, die Steinfrau und die Vogelfrau. Ihre Gaben an uns sind Stille, Klarheit und Vision.


An einem klaren Wintertag ruht das Land gehüllt in eine Decke aus funkelnden Eiskristallen, darüber erstreckt sich der Himmel.

Zu Mittwinter nimmt die Göttin ihre Gestalt als Mutter der Luft an. Sie ist der Atem des Lebens, der wilde Wintersturm und die milde Brise. Perchtas Farben sind das Grau von Steinen, des Winterhimmels und der gefrorenen Erde und das Silber der Sterne und des Eises. Ihre Himmelsrichtung ist der Norden, ihre Tiere Greifvögel wie Eule, Falke und Bussard, aber auch das Rotkehlchen, Meise und Fink und die anderen Singvögel, die im Winter nicht nach Süden ziehen, sondern bei uns bleiben und die wir füttern. Die mythologischen Geschöpfe der Mutter der Luft sind die Luftdrachen, ihre Symbole sind Steine, Knochen und Federn. Sie ist die Efeufrau und Hülsefrau: Die immergrünen Winterhölzer sind ihre Pflanzen. Manchmal bleiben die leuchtenden roten Beeren von Eibe, Weißdorn und Hülse (Stechpalme) bis tief in den Dezember an den Zweigen wie Tropfen des Lebensblutes der Göttin, mitten im Tod. Sie ist die Alte Winterfrau, die zur Wintersonnenwende in Grau und Silber erscheint, den Farben von Frost, Eis und Rauhreif. Ihre langen weißen Haare wehen im Wind, wenn sie über das Land schreitet, das tief in der Winterruhe daliegt. Sie hat nicht nur einen Feiertag sondern eine ganze Festzeit: die Wintersonnenwende, die in der Regel um den 21. Dezember herum liegt, und die Rauhnächte (die zwölf Tage und Nächte zwischen der Mütternacht am 24. Dezember und der Perchtnacht vom 5. auf den 6. Januar) sind ihre heilige Zeit, mit besonderer Betonung der Mütternacht und der Perchtnacht (Hollenacht in Norddeutschland).


Ruhig und geheimnisvoll liegt das Megalithgrab von Stöckheim (Sachsen-Anhalt) in den Rauhnächten in der grau-silbernen Landschaft der Alten Winterfrau (fotografiert bei Sonnenuntergang Silvester 2008).


Die eisige Berührung der Winterfrau

Zur Wintersonnenwende feiern wir die Wiedergeburt des Lichts aus der tiefsten Dunkelheit. Der kürzeste Tag und die längste Nacht sind heute erst der Beginn des Winters, und es liegen noch lange, sehr kalte Monate vor uns. Doch jeden Tag ist es von nun an wieder einige Minuten länger hell. Wir schmücken unser Heim mit immergrünen Zweigen und roten Beeren, der Farbe des Lebensblutes der Göttin, die uns daran erinnern, dass aus dem Tod das Leben entsteht.

Perchta

Perchta ist die Königin des Himmels, die über Wolken und Wind gebietet. Manchmal wird sie Berchta, Bertha oder die Percht genannt. Ihr Name bedeutet die Glänzende, Leuchtende, und auch die Perchtnacht wird manchmal die glänzende Nacht genannt. Auf dem Jahresrad ist dies nun die Zeit des Winterschlafes. Perchta verkörpert die Stille, den Zeitpunkt, in dem nichts geschieht; wenn wir nichts tun müssen, nur sein dürfen. Perchtas Zeit ist die Mitternacht, wenn der alte Tag vergangen und der neue noch nicht begonnen hat. Der Zeitpunkt zwischen zwei Leben, vor der nächsten Inkarnation. Sie ist das leuchtende Mysterium der Sterne am Nachthimmel, das wir ahnen aber nie ganz begreifen können. Ihr Sternbild ist die Corona Borealis, ihre Krone des Nordens.

Sie ist auch die Anführerin der Wilden Jagd: In den Rauhnächten reitet sie einem Zug wilder Gestalten voran, die mit Rasseln, Schreien, Heulen und Johlen über den Nachthimmel ziehen. Wenn Winterstürme in die kahlen Baumkronen fahren, ist Perchta in diesem Wilden Heer das stille Zentrum des Sturms. Einerseits ist dies eine Beschreibung der Kraft der Natur, die sich in wilden Winterstürmen in dunklen Nächten entlädt, andererseits wussten die Menschen früher durchaus um die wohlmeinende Kraft der Göttin darin. Bei Jacob Grimm heißt es: »Fruchtbar wird das jahr, wenn es in den zwölften durch die luft rauscht.«15 Diese wilde Fahrt bringt Segen, und wer die Percht sieht, wirft sich nieder, um der Göttin Ehre zu erweisen.

In manchen Geschichten wird das Wilde Heer vom Wilden Jäger angeführt, der mit seinen Gefährten in den Rauhnächten vor Sehnsucht nach der Lichtfrau, also nach der Glänzenden Perchta, die Erde durchsucht.16

Als Todesgöttin hat Perchta einen Gänse- oder Schwanenfuß. Der Schwan ist ein Tier, das nicht nur zwischen den Welten reisen kann, sondern auch zwischen Diesseits und Jenseits.17

Ana
Die Todesgöttin

Ana ist einer der ältesten Namen der Großen Göttin überhaupt. Ihr Name bedeutet Luft. Wo die Greisin die Todesbotin ist, ist Ana der Tod selbst. In der Wilden Jagd fahren die Seelen durch die Luft, kehren zur Göttin zurück. Ana hält die Seelen und die Gebeine unserer Verstorbenen, und sie ist es, die uns die Verbindung mit unseren Ahnen ermöglicht, uneingeschränkt weit in die Vergangenheit zurück. Nach Marija Gimbutas stellten sich die vor-indoeuropäischen Völker Mittel- und Südosteuropas die Todesgöttin als steife, weiße Dame vor, vermutlich in Anlehnung an die weiße Farbe ausgebleichter Knochen – und in zahlreichen Gräbern finden sich weiße Göttinfigurinen.18 Regine Leisner nennt die Todesgöttin daher in ihrem Roman »Die Rabenfrau«19 die bleiche Ana, ein wunderbarer, bewegender Titel, der bei jedem von uns sofort mit Erkennen, Verstehen und Erinnerung widerhallt. Ana nimmt die Verstorbenen in sich auf, in ihrem »träumenden Bauch« sind sie gehalten und bereiten sich auf die nächste Inkarnation vor.

Ana ist auch die Knochenfrau, die Skelettfrau, die den Kern der Dinge enthüllt. Alles Fleisch ist von den Knochen abgelöst. Im Winter, wenn die Bäume ihr Laub verloren haben, wird ihr Skelett, die Form ihrer Äste und Zweige, sichtbar. Der Blick ist klar: Alles was Äußerlichkeit war, was vom Wesentlichen abgelenkt hat, ist fort.

Ana bringt uns den Segen unserer Vorfahren; wie ein Flüstern im Wind können wir ihre Stimmen, ihre Ratschläge hören, die uns die Kraft und den Mut und die Anleitung geben, um unsere Visionen zu verwirklichen.

 

Luft
Das Element der Spiritualität und der Vision

Luft symbolisiert unsere spirituelle Natur. Luft verbindet uns miteinander, wir alle atmen dieselbe Luft. Wir können uns mit der Mutter der Luft durch unsere Atmung und durch Klang verbinden. Alles, was existiert, beginnt als Idee – irgendwo im Energiefeld der Göttin. Gesang ist die magische Kraft der Göttin, durch Gesang wird die Idee manifestiert. Durch Klang und Gesang ist die Welt entstanden und durch sie bleibt sie am Leben. Diese Vorstellung ist nicht fremd, sondern war elementarer Teil der nordischen und germanischen Weltsicht.20

Heilzeremonien sind immer von Gesang und Musik begleitet, denn Musik und Gesang sind schöpferisch, und in der Heilzeremonie wird gleichsam der Moment der Schöpfung wiederholt, und es ist die Schöpfungskraft des Gesangs, die wirkt. Tod und Schöpfung durch Gesang liegen somit beide bei der Mutter der Luft. Aus dem Tod entsteht das Leben.21

Die Namen der Göttin zu tönen und zu singen ist eine kraftvolle Weise, sich mit der Göttin zu verbinden, laut gesprochene Gebete sind eine weitere. Weit verbreitet ist der Brauch, an heiligen Orten ein biologisch abbaubares Band, begleitet von einem Gebet, in einen Baum zu knoten. Der Wind trägt unsere Gebete zum Ohr der Göttin.


Mittwinterzeremonie mit den Kindern auf der Görresburg: Gebetsbänder anbringen.

Durch konzentriertes Atmen schaffen wir Raum, die Göttin wirklich hören zu können. Zähle einfach zwanzig Atemzüge und achte auf deine Atmung. Zwing dich nicht, achte einfach auf deine Atmung und spüre, wie du ruhig wirst. In diesem Zustand können wir die Göttin wahrnehmen.

Oft spricht die Göttin auch im Traum zu uns und im halbwachen Zustand beim Einschlafen oder Aufwachen.

Während der Wintermonate, wenn Eis, Kälte und die Todesgöttin das Land im Griff halten, ruhen wir in Perchtas träumendem Bauch. Hier empfangen wir unsere Vision, gestärkt und genährt durch Gesang und Klang. Zu Imbolc, wenn das Jahresrad sich weiterdreht, beginnt die Vision, Gestalt anzunehmen.

Perchta als Luftgöttin eröffnet unseren Zugang zur spirituellen Welt jeden Tag und im Tod ganz konkret. In manchen Regionen heißt das Wilde Heer der Perchta auch das Wütende Heer. Dies ist ein Missverständnis dessen, was eigentlich gemeint ist: Laut Vera Zingsem leitet sich wütendes Heer von watandes Heer ab, was übersetzt mit Geist, Spirit in Verbindung steht. Es ist kein gefährliches, tobendes Treiben, sondern das spirituelle Heer der Seelen, die von ihren Körpern gelöst unter Perchtas Leitung in die Anderswelt ziehen, zu Ana, zurück zur Quelle, der Großen Göttin. Zum Zug gehören Pferde und Hunde, und die Toten – Männer, Frauen und Kinder –, die Perchta in die Anderswelt führt, damit sie dort vor ihrer nächsten Inkarnation ruhen können.

Vogelfrau, Steinfrau

In ihren Sagen wird auffällig häufig Perchtas große Nase betont. Diese deutet auf einen Vogelschnabel hin und weist auf einen weiteren Aspekt der Mutter der Luft hin: die Vogelfrau. Zum einen schenkt sie uns konkret die klare Sicht: Ihre Augen sind scharf wie die des Falken, der die Bewegung einer Maus aus großer Entfernung wahrnimmt. Wie die Skelettfrau hilft uns die Vogelfrau, das Wesen der Dinge wahrzunehmen: Mit ihren scharfen Krallen und ihrem scharfen Schnabel pickt und reißt sie das Fleisch von den Knochen und enthüllt die Essenz der Dinge. In ihrer Jahreszeit, dem Winter, schneidet ihre eisige Winterluft in unser Gesicht wie Rasierklingen und entfernt alles, was äußerer Schein ist, Masken und Verkleidung. Perchta hilft uns, die Dinge eben so klar zu sehen, wie durch ihre scharfen Vogelaugen.

Zum anderen zeigt sich hier die schamanische Kraft der Vögel: die Fähigkeit zwischen den Welten hin und her zu fliegen. Die Schamanin legt ein Vogelkostüm an und reist in Vogelgestalt in die andere Welt, um der Göttin, Ahnen oder Guides zu begegnen und Antworten mit zurückzubringen. Die klare Sicht der Vogelfrau bringt uns unsere spirituelle Vision. Ihre Gaben an uns sind Wahrheit – die tiefe Wahrheit im Inneren, das wahre Wesen der Dinge und der Menschen – und Klarheit, der klare, scharfe ehrliche Blick.


Anas Zeitlosigkeit ist im Steingrab im Wötz, Sachsen-Anhalt, fühlbar.

Die Steinfrau ist die Mutter der Luft in ihrem harten Winteraspekt, Ana in ihrer Unvermeidbarkeit. Sie erscheint uns hart und unnahbar, uralt und gleichzeitig jenseits von Alter. Seit Jahrtausenden stehen ihre Steinkreise und -reihen, aufgestellt von unseren Ahnen, und trotzen Kälte, Regen und Sturm. Hart und ungeschönt ist die Steinfrau, das Skelett des Alten Winterweibes, unzerstörbar und stark. Sie ist Zeugin allen Tuns der Menschen hier auf der Erde, durch die Jahrhunderte hinweg, größer als wir, gelassen und teilnahmslos. Sie war vor uns da, und sie wird noch lange nach uns da sein.

Die Steinfrau ist.

Mütternacht

Die Mütternacht wird regional unterschiedlich gefeiert, entweder zur Wintersonnenwende oder in der ersten Rauhnacht vom 24. auf den 25. Dezember. Der Name geht zurück auf das angelsächsische Fest modraniht, von dem der Mönch Beda Venerabilis im 8. Jahrhundert berichtet.22 Zur Wintersonnenwende zeigt sich wieder, dass aus dem Tod das Leben geboren wird, denn aus dieser größten Dunkelheit gebiert die Göttin das Licht. In der alten Zeit wurde beim Sonnenuntergang vor der Mittwinternacht zeremoniell das Herdfeuer, das sonst ununterbrochen gehütet werden musste, gelöscht. Um Mitternacht oder beim ersten Licht des neuen Morgens wurde dann, wieder begleitet von Gesängen und Zeremonie, das neue Feuer entzündet.

In manchen modernen heidnischen Gruppen feiert man in dieser Nacht die Wiedergeburt des Sonnengottes. Das bekannteste Lichtkind ist in Deutschland wohl Jesus, dessen Geburt viele Christen kurz nach der Wintersonnenwende in der Mütternacht, der Heiligen Nacht am 24. Dezember feiern. Der Termin des Weihnachtsfestes wurde erst im vierten Jahrhundert fest auf den 25. Dezember gelegt. Die Symbolik passte einfach am besten in die Mittwinterzeit; außerdem konnte man auf die Weise gut die Heiligkeit der Mütter überlagern und dem Vergessen anheimgeben.


Zwischen den rekonstruierten Palisaden von Goseck, Sachsen-Anhalt, entlangzugehen, gibt uns ein Gefühl von Verbundenheit mit den Menschen vor 7000 Jahren und erfüllt uns mit derselben Demut und Dankbarkeit über die Wiedergeburt des Lichts wie sie.

Viele vorgeschichtliche Bodendenkmäler zeugen von der Verbundenheit unserer Ahnen mit der Göttin und ihrem großen Wissen und einem tiefen Verständnis von ihren heiligen Rhythmen. Im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt wurde 2002 – 2004 eine große Kreis-Graben-Anlage ausgegraben und rekonstruiert, in der vor 7000 Jahren Zeremonien zur Wintersonnenwende gefeiert wurden. Zwei konzentrische Holzpalisaden weisen drei Unterbrechungen auf. Vom Mittelpunkt der Anlage aus zeigt eine genau nach Norden, während die beiden südlicheren Eingänge auf den Sonnenauf- und Sonnenuntergang zur Wintersonnenwende ausgerichtet sind.23 Vom Inneren dieses kreisrunden Tempels aus konnte das beeindruckende astronomische Ereignis zu dieser magischen Zeit beobachtet und gefeiert werden.


Das Licht der Sonne fällt durch das Tor der Palisade.

In der Mütternacht, in der Nacht der Schöpfungskraft, erleben wir, dass es selbst im größten und tiefsten Dunkel Licht gibt, selbst im Tod gibt es Leben. Diese tiefste, längste und dunkelste Nacht gilt als Mutter aller Nächte. Während die Natur im Winter ruht und Laubbäume kahl sind und die Erde gefroren und unfruchtbar ist, erinnern wir uns an die Lebenskraft der Göttin im Tod, indem wir immergrüne Zweige von Nadelhölzern, Efeu und Hülse in unsere Häuser bringen und zu Kränzen und Girlanden binden.

Wir stellen am 4. Dezember Weidenzweige oder Forsythien in eine Vase, die in der Mütternacht blühen. Wir zünden Kerzen für unsere Mütter an, Kerzen, die Perchtas glänzendes Licht in unser Haus bringen, und Kerzen, die die Wiedergeburt des Lichts in tiefster Dunkelheit symbolisieren. Der christliche Weihnachtsbaum und Adventskranz, in dessen Ringform das zyklische Weltbild wiedergegeben wird, haben mit ihren immergrünen Zweigen und leuchtenden Kerzen ebenfalls die Symbolkraft der Göttin übernommen. In der tiefsten Dunkelheit schließlich erscheint Perchta als Lichtfrau und bringt das Licht zurück.24

In der Nacht, in der das Licht wiedergeboren wird, feiern wir unsere Mutterlinie. Nicht das Lichtkind steht im Mittelpunkt, sondern die Lebenskraft, die Fähigkeit der Mütter, Leben zu schenken. Wir alle sind Teil der Kette des Lebens. Aus diesem Grund ist es besonders schön, gemeinsam mit Kindern zusammen diese Bräuche zu pflegen. Wir verbinden uns mit unseren Ahninnen und gedenken unserer Mütter, unsere biologischen Linie und unserer Herzenslinie. Wir gedenken unserer Mütter und Großmütter und wieder ihrer Mütter und Vormütter, gedenken aber auch der Frauen unseres Umfeldes, die uns geprägt und beeinflusst haben wie mütterliche Freundinnen, Lehrerinnen, Mentorinnen, und wir gedenken der unbekannten Mütter, wie Frauenrechtlerinnen, Suffragetten und anderer Frauen, die wir nicht persönlich kannten, und denen wir doch dankbar sind.

Wenn unsere Beziehung zu unseren leiblichen Müttern keine gute sein sollte, so haben sie uns doch das Leben geschenkt, und es ist bestärkend zu erkennen, dass alles, was in unserem Leben geschehen ist, uns dahin gebracht hat, wo wir jetzt sind.

Rauhnächte

Die Bezeichnung Rauhnächte geht auf Rauchnächte zurück, und auf den alten Brauch, in diesen Zwölfen täglich im Haus und den Ställen zu räuchern, um den Hof und die Familie und alle, die dort leben, vor Unheil zu bewahren. Dieser Brauch ist sehr alt, was sich wieder an der Benennung dieser heiligen Zeit nach Nächten ablesen lässt (anstelle von »Rauhtagen«).

Die Rauhnächte sind, wie die Nacht von Samhain, eine Zeit außerhalb der Zeit. Deswegen ist der Ausdruck, mit dem wir sie im Rheinland noch immer ganz natürlich im alltäglichen Sprachgebrauch bezeichnen zwischen den Jahren. In dieser Zeit sind die Schleier zwischen den Welten wieder dünn, und so haben die Träume in den Rauhnächten prophetische Kraft: Was in der ersten Nacht geträumt wird, deutet auf den kommenden Januar hin, der Traum der zweiten Rauhnacht auf den Februar, und so weiter. Reste davon haben sich auch im Brauch des Bleigießens in der Silvesternacht erhalten, was für viele Menschen heute dazugehört, auch wenn sie sich des Ursprungs dieses Brauches überhaupt nicht bewusst sind.


Der alte heilige Brauch des Räucherns in den Rauhnächten

In der letzten Nacht, der Perchtnacht, wird Perchta traditionell im Freien ein Tisch gedeckt, damit sie sich bei ihrer Umfahrt mit ihrem Seelenheer stärken kann. Sie möchte dabei aber keinesfalls beobachtet werden. Der Göttin aufzulauern und einen Blick auf sie zu stehlen, wäre Hybris. – Die Göttin zeigt sich denjenigen, denen sie sich zeigen will. Während der Rauhnächte gelten noch weitere strenge Regeln. So darf in den Rauhnächten nicht gearbeitet und vor allem keine Wäsche gewaschen werden. Und der Spinnrocken muss abgesponnen sein! Später hat man diese Regeln nicht mehr verstanden und Perchta als strafende Göttin dargestellt, die die Faulen straft. Die Bedeutung der Regeln ist aber eine ganz andere: Perchtas Zeit ist eine heilige Zeit, eine besondere Zeit, die sich vom Rest des Jahres abhebt. Es ist eine Zeit des Überganges vom alten ins neue Kalenderjahr. Übergänge sind immer ungewiss und werden deshalb begleitet von Schutzriten und -zaubern. Die vielen Regeln und Gesetze der Göttin in dieser Zeit helfen, den Übergang glatt zu meistern, und ihren Segen für das Neue zu erhalten.25

 

Die Frau, die spinnt, ist Priesterin der Göttin, hat Teil an der schöpferischen Magie der Großen Göttin, die das Schicksal spinnt und die Fäden miteinander verwebt. In den Rauhnächten, als Zwischenzeitraum, als Zeit außerhalb der Zeit, liegt das Schicksal allein in den Händen der Göttin.26

Die Priesterinnen kennen und achten die Regeln der Göttin. Diese Regeln dienen nicht dazu, Frauen als fleißig oder faul zu bewerten, sondern geben Hinweis darauf, dass diese Zeit heilig ist, ganz der Macht Perchtas untersteht. Viele Frauen geben heute deswegen in der ersten Rauhnacht symbolisch ihre Spindel der Göttin, indem sie eine Spindel auf ihren Altar legen und sie während der Rauhnächte nicht anrühren.27

Auch die Rute, die man heute dem Weihnachtsmann oder Nikolaus zuschreibt, mit der er die Kinder straft, die unartig waren, war ursprünglich ein Symbol der Göttin, das vom Patriarchat verformt wurde. Als Lebensrute brachte Perchta in den Rauhnächten einen immergrünen Zweig ins Haus, um den Kindern ihren Segen zu geben. Vom Christentum wurde die Percht über Jahrhunderte hinweg verdammt und ihre Verehrung verboten. Viele überlieferte Sagen, in denen die Percht als grausam strafende Gestalt auftritt, die den Menschen Angst einjagt, die Bäuche aufschneidet und Ähnliches, stammen aus dieser Zeit. Den Menschen wurde die machtvolle Göttin genommen. Aus einer Winter- und Todesgöttin, die durch Winterstürme, das Ruhen und das Tod-Ähnliche in die zyklische Natur des Jahreskreises eingebunden ist, wurde eine Dämonin gemacht. Das heutige Perchtenlaufen der Alpenregionen bezieht sich auf eine verwandelte Form der ursprünglichen Göttin: Die Perchten heute sind wilde Naturgeister mit gruseligen Gesichtern, Hörnern und zotteligem Fell, die im Alpenraum in den Winternächten mit Fackeln umherlaufen und die Menschen erschrecken. Dennoch scheint hier trotz aller Verformung noch die ursprüngliche ungebremste Kraft der Göttin durch.

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