Systemisches Management in Organisationen der Sozialen Arbeit

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2.2.2Folgen für das Steuerungshandeln

Verdeutlicht man sich diese Charakteristika von sozialen Dienstleistungen und deren Folgen für die Interaktionsgestaltung, so erscheinen zwei Folgen für das Steuerungshandeln in Organisationen der Sozialen Arbeit zentral:

der hohe Grad von Unsicherheit in den Anforderungen, der in den Handlungsprogrammen der Organisation zu verarbeiten ist, und – damit einhergehend –

die Dominanz von Zweckprogrammen, die jedoch nur wenig Unsicherheit zu absorbieren vermögen.

Das Phänomen der Unsicherheit sowohl in der Interpretation der Anforderungen als auch in der Konzipierung von Bearbeitungsperspektiven resultiert vor allem daraus, dass bei sozialen Dienstleistungen mit »Personen« gearbeitet werden muss. Personen sind gemäß Klatetzki (2010, S. 13)

»zu Selbstaktivierung bzw. Selbstreferenz fähig. Damit ist gemeint, dass Individuen auf der Grundlage ihrer jeweils subjektiven Situationsinterpretation handeln und folglich in der Lage sind, Interventionen zu neutralisieren. Kurz gesagt: Personen mit einem freien Willen lassen sich nicht kausal beeinflussen.«

Es bleibt also unsicher, wie bestimmte methodische Impulse aus Handlungsprogrammen der Organisation von den Personen verarbeitet werden und ob ähnliche Impulsgebungen überhaupt bei verschiedenen Personen ähnlich ankoppelungsfähig sind und zu bedeutsamen Kommunikationen im Sinne der Programmintentionen werden. Dabei sind nicht nur die kommunikative Aufnahme und Verarbeitung der Interventionen unsicher: Bereits die Interpretation der Ausgangs- oder Problemsituation, auf die mit Interventionen geantwortet werden soll, verbleibt in der Regel bei der Hypothese. Denn was eine Ausgangssituation für welche beteiligte Person bedeutet, kann je nach Interpretation verschiedener Beteiligter und je nach »praktischer Ideologie« (zu diesem Begriff siehe Klatetzki 1998, S. 63 ff.; kurz erläutert bei Merchel 2015a, S. 121 f.), mit der Fachkräfte an die Situation herangehen und diese sich interpretativ für ihr Handeln verfügbar machen, vielfältige Varianten aufweisen.

Durch Unsicherheit geprägte Anforderungen an die Leistungserstellung stellen die Organisation vor ein zentrales Problem: Sie muss trotz der Unsicherheiten eine einigermaßen verlässliche und mit präsentierbaren positiven Wirkungen verbundene Leistungserstellung gewährleisten, und zwar als eine Organisationsleistung, welche die Umwelt und die Leistungsadressaten relativ unabhängig von personenbezogenen Zufälligkeiten und Eigenheiten des Personals erwarten können. Über Handlungsprogramme (Konzepte, methodisch strukturierte Vorgehensweisen, Verhaltensvorschriften, Standardisierungen etc., aber auch informell wirkende Regeln und Gewohnheiten, Routinen) versucht die Organisation, Unsicherheit zu absorbieren und die Leistungserstellung stärker kalkulierbar zu machen. Konditionalprogramme, bei denen ein kausaler Bezug zwischen handlungsauslösenden Ereignissen und bestimmten Folgehandlungen hergestellt wird, sind in der Regel untauglich, weil die »Auslösebedingungen des Handelns in der Vergangenheit (liegen): Für relativ bekannte Bedingungen liegen relativ erprobte Routinen für Entscheidungen vor« (Lambers 2015, S. 33). Somit verbleiben Zweckprogramme: Verfahrensweisen, bei denen ein Entscheidungsrahmen mit entsprechenden Handlungsoptionen für jeweils spezifisch zu definierende Zwecke benannt und als Orientierungskorridor gesetzt wird. Aber solche Zweckprogramme vermögen nur begrenzt Unsicherheit zu absorbieren, denn »bei ihnen liegen die Auslösebedingungen des Handelns in der Zukunft« (ebd.): Man entscheidet über den wahrscheinlich angemessenen Zweck und über darauf ausgerichtete Handlungsweisen, mit denen vermutlich oder wahrscheinlich der angezielte Zweck auch im spezifischen Einzelfall realisiert werden kann.

Die Folge ist, dass soziale Dienstleistungen notwendigerweise inhomogen sind – und zwar auch in gewissen Grenzen innerhalb einer Organisation –, weil durch die Unsicherheit und durch die unverzichtbare aktive Mitwirkung von Individuen mit ihrem jeweiligen Eigensinn auch bei ähnlichen Zweckprogrammen jeweils unterschiedliche Dienstleistungen entstehen – was mit dem einen Leistungsadressaten gut funktioniert, kann mit dem nächsten wiederum ins Leere gehen oder gar gegenteilige Wirkungen erzeugen (Dunkel 2011, S. 188). Soziale Dienstleistungen müssen situativ und individuell konstituiert werden und sind daher nur begrenzt standardisierbar: am ehesten in ihren administrativen Rahmenbedingungen, kaum jedoch in ihrem interaktiven Kern. Bei »front-line organizations« (Smith, zit. nach Klatetzki 2010, S. 17), bei denen das Entscheidende in den vielfältigen Interaktionen zwischen dem »Frontpersonal« und den Leistungsadressaten geschieht, das für das Leitungspersonal nicht unmittelbar, sondern vor allem über Mitteilungen des Personals zugänglich ist, sind die wesentlichen Handlungsmodalitäten bei der Leistungserstellung nur begrenzt und kaum intentional durch Managementhandeln steuerbar. Zentrale Vorgaben, z. B. über Standardisierungen mit entsprechenden Verhaltensvorschriften, stoßen an Grenzen gegenüber den sich jeweils immer wieder neu ergebenden und zu bewältigenden Situationsanforderungen, die in Abstimmungsprozessen bearbeitet werden müssen. Dies erfordert insgesamt einen Steuerungsmodus, bei dem die untere Hierarchieebene wegen ihrer Problemwahrnehmungs- und Problembearbeitungsnähe eine große Bedeutung einnimmt und die beim Management daher einbezogen werden muss.

Die zentrale Stellung nimmt das Personal ein, das durch entsprechende Maßnahmen des Personalmanagements eingeworben, qualifiziert und kompetent gehalten sowie an die Organisation gebunden werden muss: Die Leistungsfähigkeit der Organisation hängt wesentlich ab von einem Personalstamm an »Arbeitskräften, die ihre Tätigkeit wissenschaftlich, vergleichsweise autonom und im Rekurs auf einen besonderen ethischen Kontext« ausübt (I. Bode 2012, S. 153). Umgekehrt muss die Organisation »ein gewisses Maß an Vertrauen in die Kompetenzen der (angestellten) Mitglieder und in den Berufsethos der zentralen Funktionsträger« aufbauen (ebd., S. 157). Dabei darf ein solches Vertrauen nicht blind proklamiert werden, sondern muss auf einer Basis der von der Organisation geprüften und kontinuierlich entwickelten Kompetenz und Motivation des Fachpersonals (»Personalentwicklung«) erfolgen.

2.3Legitimation sozialer Dienstleistungsorganisationen

Die politische Konstituierung sozialer Dienstleistungen und die Eingebundenheit in einen sozialstaatlichen Rahmen, der mit Begriffen wie ›soziale Hilfe‹, ›Chancengerechtigkeit‹, ›Gewährleistung eines menschenwürdigen Lebens‹, ›gesellschaftliche Integration‹ etc. normativ aufgeladen ist, haben zur Folge, dass die Organisationen Sozialer Arbeit sich in besonderer Weise politisch und normativ als Organisationen legitimieren müssen. Sie müssen sich als von gesellschaftlichen und (sozial)politischen Entscheidungen unmittelbar abhängige Organisationen legitimieren

über die Art ihrer Leistungserstellung (Prozesse);

über die Effekte der von ihnen erbrachten Leistungen, wobei diese Effekte zum einen auf die Verbesserung der Lebenssituation ihrer Leistungsadressaten und auf die Erfolge der in die sozialen Hilfen eingewebten Kontrollaktivitäten bezogen sind, aber zum anderen auch darüber hinausgehen, denn es geht auch um Effekte hinsichtlich der geforderten Integrationsleistungen für das gesellschaftliche Zusammenleben (u. a. Aktivierung gesellschaftlichen Engagements und Zusammenhalts, Vermittlung und Stabilisierung von Solidaritätsnormen, Erzeugen persönlicher Nähe u. a. m.);

über die Darlegung von Prozessen und Effekten eines organisationsinternen Managements, das dem normativen Rahmen, in den die Organisation eingebettet ist, entspricht (»Corporate Governance«; Schuhen 2014).

Organisationen der Sozialen Arbeit sind aufgrund ihrer spezifischen gesellschaftlichen und politischen Umweltkonstellationen gefordert, im Hinblick auf unterschiedliche Interessenträger und hinsichtlich dieser drei Faktorenbündel Legitimation zu erzeugen und aufrechtzuerhalten sowie dadurch die eigene Organisation mit einem tragfähigen Vertrauenspotenzial ihrer Umwelt auszustatten. Die besondere Angewiesenheit sozialer Dienstleistungsorganisationen auf die Legitimation gegenüber ihrer Umwelt macht auf zwei für das Management relevante Mechanismen aufmerksam:

Kongruenz zwischen Außendarstellung und Innenleben der Organisation: Organisationen der Sozialen Arbeit müssen in besonderer Weise Wert legen auf das, was Kühl die »Schauseite« der Organisation nennt (Kühl 2011, S. 136 ff.): Das Schaufenster, in dem die Organisation von außen betrachtet werden kann, darf nicht vernachlässigt werden. Zwischen der nach außen gerichteten Fassade, mit der zu Legitimationszwecken ein Bild von der Organisation gezeichnet und vermittelt wird, und der in der Organisation wahrnehmbaren Realität wird in der Regel keine vollständige Deckungsgleichheit herrschen. Jedoch muss die Organisation bemüht sein, die Entkoppelung von Fassade und realer Erlebbarkeit nicht allzu groß werden zu lassen. Denn wenn die relevanten Akteure aus der Umwelt die Fassade als »scheinheilig« (ebd.) erkennen, verliert das Schaufenster drastisch an Legitimationspotenzial. Insofern muss das Management für ein legitimationsfähiges Schaufenster sorgen und darauf auch entsprechende Sorgfalt aufwenden. Doch der Nutzen schöner Fassaden (u. a. Verbergen interner Konflikte und Unzulänglichkeiten, Ausbalancieren widersprüchlicher Anforderungen) darf nicht so in den Mittelpunkt rücken und damit »überzogen« werden, dass die Kommunikationsangebote des Schaufensters sich als nicht mehr ausreichend anschlussfähig erweisen an das wahrnehmbare Geschehen in der Organisation. Die Folge wäre ein Verfall von Glaubwürdigkeit, also das genaue Gegenteil der mit dem schönen Schaufenster beabsichtigten Legitimation.

 

Legitimität über Verarbeitung von Erwartungen der Umwelt: Organisationen der Sozialen Arbeit müssen besonders sensibel diejenigen an sie gerichteten Anforderungen wahrnehmen und im Hinblick auf Markierungen für das Management interpretieren, die in dem jeweiligen gesellschaftlichen Sektor explizit formuliert und implizit kommuniziert werden, dem sie angehören. Sie müssen ihre inneren Strukturen und Verfahrensweisen nicht allein im Hinblick auf eine innere Systemdynamik interpretieren und herausbilden, sondern diese gleichermaßen konzipieren in der Verarbeitung von »Ansprüchen und Erwartungen seitens der institutionalisierten Umwelt« (Drepper 2010, S. 138). Das Erzeugen von Legitimität über die Aufnahme von spezifischen Handlungserwartungen der Umwelt wird ein zentrales Motiv für Organisationshandeln und Strukturbildung. Dabei muss nicht jedes Organisationshandeln einer internen Handlungslogik entsprechen. Organisationsprogramme können vielmehr mit dem übrigen Organisationsgeschehen lediglich lose verkoppelt sein; sie werden dann auf eine Art in das Organisationsgeschehen hineingenommen, dass sie intern »zumindest nicht allzu sehr stören«, aber nach außen eine Übereinstimmung mit Erwartungen aus der Umwelt signalisieren und daher legitimationsbedeutsam sind. Ein Beispiel ist hier »Qualitätsmanagement«: Der hohen legitimatorischen Bedeutung der Qualitätsformel und der damit einhergehenden Anforderung, »Qualitätsmanagement« zu betreiben, kann sich kaum eine Organisation der Sozialen Arbeit entziehen. Sie ist also legitimatorisch zur Übernahme dieser Anforderung verpflichtet; ob, in welcher Weise und Intensität aber intern Prozesse des Qualitätsmanagements realisiert werden, bleibt mit der Übernahme der Legitimationsanforderung höchst unklar und führt zu erheblichen Unterschieden, wie ein Blick in verschiedene Organisationen der Sozialen Arbeit zeigt. Die Anpassung an Regeln, die im jeweiligen organisationalen Sektor oder Umfeld institutionalisiert sind, beeinflusst das Entscheidungsverhalten der Organisation im Hinblick auf Ziele, Mittel, Theorieverwendung, Methodenkonstruktion etc. und sorgt für eine Angleichung an die Bedingungen und Erwartungen im institutionalisierten Feld. Das führt einerseits zu Phänomenen des »Isomorphismus« (Drepper 2010, S. 139 f.): Die Organisationen im Feld werden einander ähnlicher. Dadurch gewinnen sie andererseits wieder an Legitimität, da sie sich nicht nur über die Aspekte »Effektivität« und »Wirtschaftlichkeit« legitimieren können, sondern gleichermaßen über die »Aufnahme institutionalisierter Erwartungen, sichtbar in der Ähnlichkeit zu anderen Organisationen«, indem also die Kommunizierbarkeit der Vorgänge und Strukturen in der Organisation anschlussfähig gemacht werden an die Relevanzkriterien in der Umwelt. Ein Beispiel für solche Phänomene des Isomorphismus sind die Normen, die für Fallbearbeitungen in Jugendämtern (bzw. im Allgemeinen Sozialen Dienst, ASD) bestehen: Kaum ein ASD-Team kann es sich ohne Legitimationsverlust noch leisten, keine kollegiale Beratung durchzuführen, dabei kein Genogramm anzuwenden, nicht nach Ressourcen im sozialen Umfeld des Klienten (»Sozialraum«) gefragt zu haben, keine Form von »sozialpädagogischer Diagnostik« auf dem Arbeitsplan zu haben. Die Übernahme institutionalisierter Erwartungen aus der Umwelt und die Angleichung von Organisationen (»Isomorphismus«) bedeutet keinen Profilverlust der jeweiligen Organisation. Sie verarbeiten die aus der Umwelt entnommenen »Vorlagen« für ihre Strukturbildung (staatliche Vorgaben, Professionsstandards, Strukturmodelle vergleichbarer Organisationen, theoretische und methodische Entwicklungsimpulse und Anforderungen etc.) in einer organisationsspezifischen Weise, die den in der jeweiligen Organisation herausgebildeten Gegebenheiten und Dynamiken, ihrer jeweiligen Entstehungsgeschichte und Organisationslogik entspricht (Drepper u. Tacke 2010, S. 255).

2.4Soziale Dienstleistungsorganisationen im Spannungsfeld verschiedenartiger Anforderungen und Handlungslogiken

Soziale Dienstleistungsorganisationen sind angesichts ihrer spezifischen gesellschaftlichen und sozialpolitischen Eingebundenheit einer Vielzahl von Stakeholdern mit unterschiedlichen Erwartungen und Anforderungen ausgesetzt, denen gegenüber sie sich als anschlussfähig erweisen müssen. Die jeweiligen politischen Konstellationen mit ihren jeweils aktuellen und wechselnden Akteuren markieren ebenso Erwartungskonstellationen wie die (realen und potenziellen) Leistungsadressaten und die Organisationen, zu denen im Sinne einer adäquaten Leistungserbringung tragfähige interorganisationale Kooperationsbezüge hergestellt werden müssen. Das jeweilige Organisationssystem bewegt sich in einem komplexen Netz unterschiedlicher Akteure. Diese artikulieren sich in einem um die Organisation herum wirksamen Systemgebilde als Interessenträger. Deren als Erwartungen formulierte Kommunikationsimpulse dürfen nicht negiert, sondern müssen von der Organisation in den elementaren Programmmodi und situativ verarbeitet werden. Die interorganisationalen Bezüge richten sich nicht nur auf Kooperationen mit Organisationen in ähnlichen Handlungsfeldern, mit denen man in Fachgremien (regionale psychosoziale Arbeitsgemeinschaften, Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII, Fachverbände u. a. m.) oder in regelmäßigen einzelfallbezogenen Kontakten (z. B. Jugendämter, Sozialämter, Krankenkassen u. a.) kooperiert. Es bedarf auch der Kooperationen mit solchen Organisationen in anderen Arbeitsbereichen, die Berührungspunkte zu den eigenen Organisationszwecken aufweisen und zu denen – trotz verschiedenartiger Handlungslogiken – einigermaßen tragfähige Arbeitsbezüge aufgebaut und aufrechterhalten werden müssen (z. B. bei Einrichtungen der Erziehungshilfe: Arbeitsbezüge zu Jugendgerichten, Schulen, Arbeitsverwaltung, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Polizei, Jugendfreizeiteinrichtungen, …).

Die spezifische Angewiesenheit von Organisationen Sozialer Arbeit auf gesellschaftliche und (sozial)politische Akteure und auf mannigfache Interorganisationsbeziehungen findet u. a. ihren Niederschlag in einer umfassenden Verwendung des Begriffs »Netzwerk« in der Sozialen Arbeit und in den umfangreichen Debatten, solche Netzwerke strategisch sowohl für methodisches Handeln als auch im Rahmen sozialpolitischer Aktivitäten einzusetzen und somit »Netzwerke« zu einem bedeutsamen Bezugspunkt für Management in Organisationen Sozialer Arbeit zu machen (u. a. Bauer u. Otto 2005; Dahme u. Wohlfahrt 2000; Fischer u. Koselleck 2013; Schubert 2008). Die Stakeholder- und Erwartungsvielfalt, der sich soziale Dienstleistungsorganisationen ausgesetzt sehen, kann als spezifisches Merkmal der Umwelt von Organisationen in diesem gesellschaftlichen Bereich markiert werden.

Die Heterogenität von Stakeholdern und von damit einhergehenden Erwartungen und Anforderungen stellt Organisationen der Sozialen Arbeit vor die Aufgabe, sich in verschiedenen Handlungslogiken und Erwartungsbündeln zu bewegen, die in Spannungen zueinander stehen können und zum Teil widersprüchliche Appelle an die Organisation transportieren. Bei der Leistungskonzipierung und -erbringung stoßen verschiedene Logiken aufeinander, so u. a.:

die Logik der Ökonomie: Wirtschaftliche Verwendung von Ressourcen, wettbewerbliche Mechanismen der Ressourcenzuteilung, Preis-Leistungs-Konkurrenz zwischen Trägern etc.;

die Logik der Politik: Orientierung am politisch definierten »Bedarf«, Normwahrung, Verfolgung spezifischer lokaler Interessen etc.;

die Logik der Lebenswelt der Adressaten: Ausreichende Versorgung mit Hilfen, flexible Versorgung, eine an individuellen Bedürfnissen ausgerichtete Versorgung;

die Logik der Profession: Fachliche Qualitätsmaßstäbe, in der Profession verankerte und legitimierte methodische Vorgehensweisen, professionsethische Maßstäbe etc.;

die Logik anderer Professionen, mit deren Organisationen Kooperationsbezüge existieren: z. B. Soziale Arbeit und Gesundheitswesen (Medizin), Soziale Arbeit und formale Bildung (Schulen, berufliche Bildung);

die aus der Geschichte und der Dynamik entstehende innere Logik der eigenen Organisation, einschließlich der Eingebundenheit der Organisation in ein spezifisches normatives bzw. ethisch geprägtes Feld (z. B. bei Einrichtungen aus konfessionellen Wohlfahrtsverbänden oder bei anthroposophischen Organisationen).

Die unterschiedlichen Normierungen und Handlungslogiken müssen von Organisationen der Sozialen Arbeit so ausbalanciert werden, dass tragfähige Zuordnungen und Ausgleiche zwischen verschiedenen Anforderungen entstehen und eine in verschiedenen Logiken legitimierbare Leistungserstellung möglich wird. Es müssen Kommunikationsmodi gefunden werden, die für unterschiedliche Relevanzen und Handlungslogiken anschlussfähig sind. Dies schließt sprachliche Aspekte ein: Sprachliche Muster, die aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen und damit einhergehenden Organisationskulturen resultieren, müssen so zueinander geführt werden, dass die aus sprachlichen Differenzen entstehende Fremdheit bearbeitbar bleibt oder die damit einhergehende Irritation nicht zu Abwehr führt, so z. B. die Sprache der Ökonomie (Unternehmen, Produkte, Kunden, Businessplan etc.) mit der Sprache der Sozialen Arbeit (Lebenswelt, Beziehung, Hilfe etc.) oder mit der Sprache der medizinischen Profession (Diagnose, Störung, Krankheit, Behandlung etc.) (Mautner 2013). Da jede Balance bedroht ist und daher nicht von Dauer sein kann, wird das Ausbalancieren zu einer Anforderung, die eine permanente Beobachtung und Bewertung von Störungen erfordert und daher die Managementbemühungen kontinuierlich prägt.

Gerade in der Sozialen Arbeit sind die an die Organisationen herangetragenen Anforderungen bisweilen sehr widersprüchlich:

»Erfolgsmessung: Messt und dokumentiert eure Erfolge, aber orientiert euch dabei nicht (allein; Anm. S. G./J. M.) an messbaren Größen.«

»Betriebswirtschaftliche Professionalisierung: Werdet wie Wirtschaftsunternehmen, aber bewahrt eure Besonderheit!«

»Trefft klare Entscheidungen, aber bleibt immer dabei harmonisch!« (Simsa u. Patak 2008, S. 33 ff.; vgl. auch Jäger u. Beyes 2008.)

Oder: Haltet das ethische Profil eurer Einrichtung aufrecht, aber macht euch mit den anderen Organisationen im Handlungsfeld vergleichbar und nehmt keine Sonderrolle ein!

Oder: Richtet euch flexibel am individuellen Hilfebedarf aus, aber macht eure Arbeit kalkulierbar!

Solche Widersprüche (»Paradoxien«) und die Heterogenität vielfältiger Interessenträger prägen das Organisationsgeschehen in der Sozialen Arbeit in besonderer Weise und stellen das Management bei sozialen Dienstleistungsorganisationen vor besondere Herausforderungen (Meyer u. Simsa 2013; Beyes u. Jäger 2005).

Dass Organisationen der Sozialen Arbeit sich balancierend in und zwischen verschiedenen Handlungslogiken bewegen müssen und dass entsprechend eine elementare Aufgabe von Management darin besteht, verschiedene Handlungslogiken zusammenzuführen und daraus entstehende Paradoxien zu bewältigen, wird in einigen Veröffentlichungen mit dem Begriff »hybride Organisation« gekennzeichnet. Als »hybrid« werden solche Organisationen charakterisiert, »die bei ihren Strategien und Dienstleistungen Merkmale kombinieren, die normalerweise eindeutig dem Staat, dem Markt oder dem Dritten Sektor zugeschrieben werden« (Wasel u. Haas 2012, S. 588; vgl. auch Evers u. Ewert 2010; Glänzel u. Schmitz 2012). Die Organisationen werden gefordert und entwickeln die Fähigkeit, zwischen den Logiken der drei Sektoren je nach Aufgabenstellung und situativen Anforderungen zu wechseln und in den Sektoren unterschiedliche Bindungen einzugehen. »Je nach Anforderung können sich hybride Organisationen als Marktakteur gewinnmaximierend verhalten und zu einem anderen Zeitpunkt gemeinwohlorientiert.« (Wasel u. Haas 2012, S. 588.) Dies schafft einerseits Flexibilität, ist jedoch andererseits mit einer fragilen Identitätsbildung der Organisation und damit einhergehenden Problemen in der Verarbeitung interner Widersprüche und in der Präsentation nach außen verbunden.

 

Das Konstrukt der »hybriden Organisation« steht in Verbindung mit der Aufteilung der Dienstleistungserbringung und -steuerung in drei Sektoren: Staat, Markt und gemeinwohlorientierter »Dritter Sektor«. Es ist fraglich, ob die Ausrichtung der Tatsache, dass Organisationen sich in verschiedenartigen Feldern und Handlungslogiken bewegen müssen und die damit einhergehenden Spannungen und Paradoxien bewältigen müssen, zu einem eigenen Organisationstypus (»hybride Organisation«) einen Erkenntnisgewinn erzeugt. Jede Organisation der Sozialen Arbeit muss sich im Spannungsfeld zwischen Sozialpolitik, Fachlichkeit/Profession, Wirtschaft/Ökonomie/Markt und normativer Ausrichtung (zur Bedeutung von Ethik als Bezugssystem in Organisationen der Sozialen Arbeit siehe Eurich et al. 2005) bewegen, und die daraus entstehenden Kommunikations- und Entscheidungsanforderungen gestalten sich entsprechend den spezifischen Umwelten und den herausgebildeten internen Systemdynamiken immer wieder anders und neu. Die Proklamierung eines »Organisationstypus der Hybridität« ist verbunden mit der Anforderung an die Organisationen, sich die unterschiedlichen Interessenträger, Widersprüche, Spannungsfelder für eine Organisation genau anzusehen, sie in ihrer Veränderungsdynamik im Hinblick auf Managementhandeln immer wieder neu, also kontinuierlich zu bewerten.

Kritisch wird in der Sozialen Arbeit an vielen Stellen vermerkt, im Zeitraum der letzten 15 bis 20 Jahre habe sich ein »Ökonomisierungsschub« ergeben, die Handlungslogiken der Ökonomie hätten also eine immer größere Bedeutung erlangt, seien bisweilen sogar in eine dominante Position gekommen. Abseits einer bestimmten Verwendung und normativen Deutung der Vokabel »Ökonomisierung« in der sozialpolitischen Auseinandersetzung, bei der die Relevanz wirtschaftlicher Steuerungsmechanismen politisch diskreditiert und der Stellenwert der betriebswirtschaftlichen Steuerung für Organisationen der Sozialen Arbeit in Zweifel gezogen werden soll (z. B. Brombach 2010), meint »Ökonomisierung« eine zunehmende Durchdringung der Sozialen Arbeit mit ökonomischen oder aus der Ökonomie entlehnten Handlungsrationalitäten: Kostenbewusstsein, Gewinnerzielung, Wettbewerb, Preisbildung, Konzipierung der Dienstleistungsadressaten als »Kunden« (Buestrich et al. 2008; Heinze u. Schneiders 2014), bis hin zur Ausrichtung der organisationsinternen Handlungsprogramme und der Legitimationskategorien an managementwissenschaftlichen Leitbildern (im BWL-Sinne) (»Managerialismus«; Messmer u. Schnurr 2013; Otto u. Ziegler 2015). Der Hinweis auf eine zunehmende Ökonomisierung der Sozialen Arbeit markiert dreierlei:

zum einen eine wachsende Bedeutung ökonomisch geprägter Anforderungen und Denkweisen, die aus dem Umfeld an Organisationen Sozialer Arbeit herangetragen werden und möglicherweise die Balancierungsanforderungen im Hinblick auf intensivierte Widersprüche zwischen verschiedenen Logiken verstärken (Erweiterung von Systemkomplexität),

zum anderen die Notwendigkeit, dass sich Organisationen Sozialer Arbeit sozialpolitisch stärker im Hinblick auf ökonomische Kategorien legitimieren und somit die Kommunikationsangebote in ihrem »Schaufenster« mit anderen Relevanzkategorien unterlegen;

und zum Dritten bleibt selbstverständlich die Anforderung einer kritischen Beobachtung des sozialpolitischen und kulturellen Rahmens, in den Organisationen der Sozialen Arbeit sich und ihre Leistungserstellung positionieren müssen, im Hinblick auf folgende Fragen:

–Können Balancen zwischen verschiedenen Handlungslogiken gehalten werden?

–An welchen Stellen kann eigenes sozialpolitisches Engagement der allmählichen Verschiebung von Balancen zuungunsten der Leistungsadressaten und/oder der professionellen Handlungsmaßstäbe entgegenwirken und Einfluss auf die umgreifende Systemdynamik nehmen?