Systemisches Management in Organisationen der Sozialen Arbeit

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2Das Besondere von Organisationen der Sozialen Arbeit als Bedingungsfaktoren bei der Konzipierung von Management

Wenn Konzepte für Management entwickelt werden und wenn über die Angemessenheit von Managementhandeln diskutiert wird, kann dies nicht ohne Bezugnahme auf die Zwecke der jeweiligen Organisation und die Aufgaben geschehen, auf die sich die Managementbemühungen ausrichten. Um welchen »Organisationstypus« (Apelt u. Tacke 2012) es sich handelt, auf welche Zwecke eine Organisation also ausgerichtet ist, welche Produkte oder Leistungen sie erzeugt, in welchem institutionellen Umfeld sie sich bewegt, welche Interessenträger (»stakeholder«) eine spezifische Bedeutung für die Organisation erlangen, dadurch Anforderungen an die Organisation formulieren und die Organisation beeinflussen können u. a. m. Die Antworten auf diese Fragen sind elementare Gesichtspunkte, in deren Einflussfeld eine Organisation ihre Systemeigenschaften und ihre darin eingebetteten Interpretations- und Handlungslogiken herausbildet. Die Managementanforderungen und die Konstellationen, in denen sich Managementhandeln herausbilden muss, sind z. B. in einem Krankenhaus anders als in einem Kulturbetrieb (z. B. Theater), bei der Stiftung einer politischen Partei unterschiedlich zu denen bei einer länderübergreifend arbeitenden Menschenrechtsorganisation, bei einem Kunstmuseum anders als in einer Naturschutzorganisation und wiederum verschieden gegenüber denen in einer Einrichtung der Sozialen Arbeit. Zwar handelt es sich bei allen diesen Organisationen um Organisationen, die – ökonomisch gedacht – »Dienstleistungen« erbringen und deren Gemeinsamkeit darin liegt, dass sie – anders als Wirtschaftsunternehmen – nicht primär auf das Erzielen von Gewinn ausgerichtet sind und daher in der Kategorie der »Nonprofit-Organisationen« (NPO) zusammengefasst werden (Simsa, Meyer u. Badelt 2013).

Die generalisierende Rede vom »Nonprofit-Management« (u. a. Helmig u. Purtschert 2006) oder vom »Management in Nonprofit-Organisationen« (Lichtsteiner et al. 2015; Stöger u. Salcher 2006) oder gar »Management der Nonprofit-Organisation« (Eschenbach et al. 2015) suggeriert, dass das Merkmal einer Nonprofit-Ausrichtung, das die in dieser Sammelkategorie zusammengefassten Organisationen von den auf das Formalziel »Gewinn« ausgerichteten Wirtschaftsunternehmen unterscheidet, den zentralen Tatbestand markiert, von dem aus Spezifika eines Managementhandelns in solchen Organisationen ausreichend erklärt werden könnten. Jedoch vermag diese Sammelkategorie nur sehr bedingt Aussagekraft zu vermitteln für die Frage, welche spezifischen Managementanforderungen sich in einem bestimmten Organisationstypus ergeben und zu bewältigen sind. Der Begriff der Nonprofit-Organisation ist dafür eine zu grobe Kategorie, weil darin sehr verschiedenartige Organisationstypen zusammengefasst werden, deren Unterschiede so weit im »Nonprofit-Etikett« verschwimmen, dass man bei der Lektüre der entsprechenden Veröffentlichungen häufig nicht mehr weiß, auf welche Organisationen bzw. Organisationstypen sich die Autoren bei ihren Managementableitungen eigentlich beziehen: Mitgliederverbände oder professionelle Dienstleistungsorganisationen, zivilgesellschaftlich geprägte Organisationen oder halbstaatlich konturierte Organisationen, durch ehrenamtliche oder hauptberufliche Akteure geprägte bzw. dominierte Organisationen, in verschiedenen Bereichen (Sport, Kultur, soziale Hilfen, Gesundheit, Menschenrechte, Naturschutz, Verbraucherberatung, …) angesiedelte Organisationen etc. Alles wird eingeordnet unter das große Dach des »Nonprofit-Bereichs«, dem ein für diesen Bereich zugeordnetes Management entsprechen soll.

Solche Differenzen zwischen Organisationstypen jenseits einer generalisierenden Zuordnung zu einem »Nonprofit-Bereich« sind jedoch bedeutsam, wenn es um die Erörterung von Managementanforderungen und Managementhandeln geht. Denn die Systemeigenschaften und -logiken, die Organisationen herausbilden, entfalten sich immer auch unter dem Einfluss der jeweils spezifischen Zwecksetzungen der Organisationen und des jeweils für die Organisation relevanten Umfelds, für das die Organisation Leistungen erbringt oder das Erwartungen an die Organisation setzt, denen sie sich ohne Gefährdung ihrer Legitimation nicht ohne Weiteres entziehen kann. Mit der Wahl ihrer Programm- und Personalstrukturen begrenzen Organisationen die Breite der für ihr operatives Handeln relevanten Umwelten. Und gleichzeitig nimmt die Umwelt, in der sich eine Organisation »niederlässt«, Einfluss auf die Relevanzstrukturen und die Handlungsoptionen einer Organisation; die Organisation muss sich auf Vorgaben und einschränkende Anforderungen der Umwelt einlassen (vgl. Drepper u. Tacke 2010, S. 276). Zwecke, Organisationsprogramme, Organisationskulturen, Personal mit den Eigenheiten, Wissensbeständen und Kommunikationsmodi der an der Leistungserbringung beteiligten Professionen sowie Modi des Austauschs mit der Umwelt und der Legitimation gegenüber der Umwelt sind als bedeutsame Faktoren in Überlegungen zur Gestaltung von Managementhandeln und in Reflexionen zum Managementhandeln einzubeziehen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Formel »Nonprofit-Organisation« zur Herausarbeitung von managementrelevanten Systemfaktoren deutlich zu grob.

Damit stellt sich Frage, welche Spezifika im Handlungsfeld »Soziale Arbeit« bzw. für den Typus »Organisationen der sozialen Hilfe« (I. Bode 2012) zu identifizieren sind, die einen markanten Unterschied konturieren zu anderen Managementfeldern bzw. Organisationsbereichen. Es sei zugestanden, dass auch die Rede von Sozialer Arbeit als »einem Handlungsfeld« eine Abstrahierung darstellt: Auch hier kann man zu Recht geltend machen, dass die Managementanforderungen in einer größeren Komplexeinrichtung der Erziehungshilfe (mit ambulanten, teilstationären und differenzierten stationären Angeboten) anders sind als in einer Drogenberatungsstelle mit einem überschaubaren Umfang an Angeboten und Mitarbeitern oder einer Kindertageseinrichtung oder einem Jugendamt oder einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung oder einem Verein, in dessen Zentrum die gesetzliche Betreuung steht, u. a. m. Insofern ist es sicherlich nicht unproblematisch, von »Organisationen der sozialen Hilfe« oder »Organisationen der Sozialen Arbeit« zu sprechen, darauf bezogene Managementanforderungen zu analysieren und dabei einige bedeutsame Spezifika des Handlungsfeldes und Charakteristika der Organisationsformen zu übergehen. Jedoch sind gewisse Abstrahierungen erforderlich, um einen Organisationstypus und die damit verkoppelten Managementanforderungen in den Blick zu nehmen. Eine solche Abstrahierung ist insofern zu rechtfertigen, als sich – trotz weiterer Differenzierungen auf der Mesoebene der Analyse – ein Bündel von Ähnlichkeiten herausgebildet hat, das handlungsfeldübergreifend spezifische Anforderungen und Fragestellungen im Management bei Organisationen der Sozialen Arbeit prägt (Lambers 2015; Merchel 2015a; Bieker u. Vomberg 2012).

Organisationen der Sozialen Arbeit erbringen soziale Dienstleistungen. Es sind »Gebilde, die Zustände von Personen bearbeiten, die sich im ›normalen‹ sozialen Leben nicht hinreichend ›selbst helfen‹ bzw. funktionstüchtig sein können« (I. Bode 2012, S. 152); sie übersetzen die zum Teil diffusen Probleme der Hilfebedürftigkeit oder der Normabweichung in spezifischere Handlungsanforderungen und organisieren dafür möglichst zielentsprechende Veränderungsinterventionen. Soziale Dienstleistungen haben einen interaktiven Charakter; sie ereignen sich in Vorgängen der Betreuung, der Pflege, der personenbezogenen Förderung und Unterstützung, der Beratung, der Erziehung. Die reine Erbringung materieller Transferleistungen aufgrund von Versicherungsansprüchen (u. a. Arbeitslosengeld) oder wegen materieller Bedürftigkeit (Arbeitslosengeld II, Grundsicherung im Alter) wird nicht zu sozialen Dienstleistungen gerechnet; allerdings wird der Erbringung materieller Transferleistungen bisweilen ein interaktives Element der Beratung oder der Betreuung angekoppelt, wodurch im Vorgang der Leistungserbringung sowohl materielle als auch soziale Elemente zum Tragen kommen. Die rechtliche Kodifizierung der zu organisierenden und zu gestaltenden Dienstleistungen erfolgt weitgehend in den (derzeit) dreizehn Teilen des deutschen Sozialgesetzbuches (SGB I–XII, XIV; von Boetticher u. Münder 2011). Für die Steuerung des politischen Rahmens zur Definition gesellschaftlich gewünschter und zur Erbringung sozialer Dienstleistungen hat sich ein Feld der »sozialen Dienstleistungspolitik« herausgebildet (Dahme u. Wohlfahrt 2015). In diesem rechtlichen und politischen Rahmen haben Organisationen der Sozialen Arbeit sich mit Bedingungen auseinanderzusetzen, die sie bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen verarbeiten müssen und aufgrund derer sie organisationale Charakteristika herausbilden, die ihnen ein auf Effektivität und Wirtschaftlichkeit ausgerichtetes Managementhandeln ermöglichen. Solche Merkmale von Organisationen der Sozialen Arbeit, die sich als bedeutsame Bedingungsfaktoren für das Herausbilden von Managementhandeln erweisen, sind Gegenstand der Ausführungen in diesem Kapitel.

2.1Politische Konstituierung sozialer Dienstleistungen

Soziale Dienstleistungen entstehen vor dem Hintergrund einer (sozial)politischen Entscheidung; an ihnen besteht ein öffentliches Interesse. Organisationen der Sozialen Arbeit bewegen sich also in einer besonderen Nähe zum (sozial)politischen System: Ihre Existenz ist unmittelbar abhängig von sozialpolitischen Entscheidungen – und dies sowohl hinsichtlich der elementaren Existenzmöglichkeiten (Finanzierung) als auch hinsichtlich der politisch gesetzten Bedingungen für die Leistungserbringung. Das sozialstaatlich begründete öffentliche Interesse hat zur Folge, dass für das Erlangen einer solchen Leistung der »normale« Marktmechanismus, durch den man an eine Leistung gelangt (nämlich durch Kauf), zu einem beachtlichen Teil außer Kraft gesetzt wird (Cremer, Goldschmidt u. Höfer 2013, S. 11):

 

»In einem durch politische Entscheidungen definierten Umfang haben auch Menschen Zugang zu sozialen Diensten, die aufgrund fehlenden Einkommens oder fehlender privater Vorsorge über Versicherungen ohne Unterstützung den Zugang nicht erhielten.«

Unter anderem dadurch werden Dienstleistungen zu solchen, die man als »sozial« kennzeichnet. Die Abkoppelung von der Zahlungsfähigkeit und Zahlungsbereitschaft als Kriterium für den Zugang zum Markt mündet in staatliche Regelungen zu Bedarfslagen, die einen Zugang zu den Dienstleistungen ermöglichen (konkretisiert im Leistungsrecht), sowie in Regelungen zu Bedingungen der Leistungserbringung und zu Spezifika der Finanzierung (Leistungserbringungsrecht).

Soziale Dienstleistungsorganisationen sind gekoppelt an einen politisch konstituierten Bedarf, der von den Bedürfnissen von realen und potenziellen Leistungsadressaten zu differenzieren ist. Soziale Dienstleistungen müssen als »öffentliche Güter« (Grunow 2011) politisch legitimiert werden: im Hinblick auf bestimmte, als durch die Gesellschaft unterstützungswürdig angesehene Lebenslagen (z. B. Alter oder Behinderung) oder im Hinblick auf krisenhafte individuelle Lebenssituationen (z. B. bei Hilfen zur Erziehung) oder im Hinblick auf normgerechtes soziales Verhalten (z. B. bei Straffälligkeit) oder in der Verkoppelung dieser Aspekte. Die Bedürfnisse von Leistungsadressaten, an die Interaktionen anknüpfen und zu Koproduktionen herausgebildet werden können, liefern einen Ansatzpunkt, aber sie bilden nicht den allein maßgeblichen Bezugspunkt für das Dienstleistungshandeln. Das Management sozialer Dienstleistungen vollzieht sich immer »im Spannungsverhältnis zwischen personenbezogener Bedürfnisbefriedigung und sozialer Problemdefinition und Ressourcenfreigabe, was sich (u. a.; Anm. S. G./J. M.) in der Finanzierungsstruktur niederschlägt« (Langer 2014, S. 484). Individuelle Bedürfnisse werden für die Organisationen Sozialer Arbeit dann relevant, wenn sie mit einem gesellschaftlich definierten Bedarf einhergehen bzw. in entsprechende politische Bedarfsentscheidungen eingegangen sind oder wenn sie sich durch politische Aktivitäten der Organisationen in eine solche Bedarfsentscheidung transferieren lassen.

Aufgrund des damit konstituierten öffentlichen Interesses wird der Dienstleistungsarbeit und den sie leistenden Organisationen auch ein gewisses Maß an Normalisierungs- und Überwachungsfunktionen zugewiesen, das sich sowohl in präventiven Tätigkeiten (vorsorgliche Vermeidung des Auftretens von Normverletzungen) als auch in Bemühungen zur Beseitigung manifester Normverletzungen (markant z. B. in der Erziehungshilfe oder in der Drogenhilfe) zeigen kann. Die den Bedarf konstituierenden Faktoren können sowohl auf der Ebene der bedürftigen Individuen begründet sein (gesellschaftlich und politisch anerkannte individuelle Bedürftigkeit) als auch in einem gesellschaftlichen Interesse an Normwahrung und Regelung eines normkonformen Zusammenlebens und des sozialen Friedens. Soziale Dienstleistungen weisen daher im Grundsatz zwei Zielperspektiven auf, die auch bei markanten Spannungen in Einzelfällen und in einigen Handlungsfeldern verfolgt werden müssen: »eine auf die Verbesserung von individuellen Lebensbedingungen gerichtete sowie eine am gesellschaftlichen Integrationsbedarf orientierte« (Heinze u. Schneiders 2013, S. 8).

Die politische Konstituierung des Bedarfs und die damit einhergehende notwendige Ankoppelung des Managements in Organisationen der Sozialen Arbeit an die Mechanismen und Vorgaben politischer Aushandlungen und Entscheidungen haben auf der Ebene der Leistungsadressaten eine eingeschränkte »Konsumentensouveränität« zu Folge. Während bei Marktverhältnissen den Konsumenten aufgrund der Zahlungsfähigkeit von Käufern ein souveräner Status zugesprochen wird – unabhängig davon, ob sie über sachlich ausreichende Kenntnisse zum Gebrauch oder zum Vergleich verschiedener Güter verfügen –, wird ein solcher Status der Leistungsadressaten bei sozialen Dienstleistungen nicht erreicht: Diese bleiben im Status eines »Leistungsempfängers«, für dessen Leistungsempfang Dritte einen Teil der oder gar die gesamten Kosten übernehmen. Die Leistungsnehmer befinden sich nicht in der Stellung eines im Rahmen von direkten Tauschbeziehungen mächtigen Marktteilnehmers. Darüber hinaus ist die Nutzersouveränität durch den Grad der Hilfebedürftigkeit eingeschränkt. Insbesondere bei stationären Einrichtungen (z. B. Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen, Pflegeeinrichtungen der Altenhilfe, aber auch Einrichtungen der Heimerziehung) besteht ein hohes Abhängigkeitsverhältnis gegenüber dem einmal gewählten Leistungserbringer, sodass hier der Staat über Regelsetzung und Kontrolle im Rahmen der Betriebserlaubnis und Heimaufsicht einen Schutz für die Nutzer gewährleisten muss (Cremer 2013, S. 64 f.). Die eingeschränkte Nutzersouveränität ist verkoppelt mit einem – je nach Handlungsfeld mehr oder weniger intensiv wirkenden – Abhängigkeitsverhältnis des Leistungsnehmers von der leistungserstellenden Organisation. Personen, die auf Hilfe angewiesen sind oder die sich in einem durch Kontrollintentionen überlagerten Verhältnis zu einer Organisation der Sozialen Arbeit befinden, stehen in einer Situation des Machtungleichgewichts.

2.2Interaktion als Kern sozialer Dienstleistungen

Im Zentrum der von Organisationen der Sozialen Arbeit zu gestaltenden sozialen Dienstleistungen stehen Interaktionen: Die Organisationen sind darauf ausgerichtet, das Personal und die Leistungsadressaten so in ankoppelungsfähige Relationen zu bringen, dass zeitlich begrenzte koproduktive Arbeitsbündnisse entstehen, aufgrund derer die Leistungsadressaten in die Lage versetzt werden und sich in die Lage versetzen können, die ihrer je individuellen Lage entsprechenden Lösungs- und Bewältigungsstrategien zu finden und diese zur Verbesserung ihrer Lebenssituation zu realisieren.

2.2.1Charakteristika sozialer Dienstleistungen

Soziale Dienstleistungen weisen einige Charakteristika auf, die in den Handlungsprogrammen der Organisationen zu verarbeiten sind und somit managementrelevante Rahmenbedingungen markieren (vgl. Arnold 2014a; Cremer, Goldschmidt u. Höfer 2013, S. 5 ff.):

Immaterialität/Intangibilität

Unteilbarkeit und Nichtspeicherbarkeit

Einbeziehung des Nachfragers/Nutzers in die Dienstleistungserstellung

Individualität

Immaterialität/Intangibilität

Die Kernleistung bei Dienstleistungen, das zwischen den Personen ablaufende eigentliche Interaktionsgeschehen, ist weder sichtbar noch greifbar. Zwar werden auch Sachleistungen als Voraussetzung zur Erbringung von Dienstleistungen einbezogen, jedoch ist das zentrale Element der Dienstleistung nicht gegenständlich. Das hat zur Folge, dass der Nachfrager sich von der angebotenen Leistung und deren Nutzen zwar eine Vorstellung macht, die Leistung jedoch vor ihrer Erstellung nicht genau kennt. Der Nutzer kann sie, anders als bei Sachgütern, nicht im Vorhinein prüfen oder von anderen prüfen lassen. Auch wenn man sich z. B. vor der Kontaktaufnahme zu einer Beratungsstelle von anderen Personen berichten lässt, die diese Beratungsstelle aufgesucht haben, weiß man nicht, ob die Erfahrungen der anderen Personen bei der eigenen, spezifischen Problems ebenfalls zutreffen werden. Bei sozialen Dienstleistungen handelt es sich um Vertrauensgüter: Es bedarf einer gewissen Zuversicht, die jeweilige Leistung in Anspruch nehmen zu wollen.

Unteilbarkeit und Nichtspeicherbarkeit

Bei sozialen Dienstleistungen fallen Produktion und Konsum zusammen, was traditionell als »Uno-actu-Prinzip« genannt wird. »Der Zeitpunkt der Leistungserstellung und der Leistungsabgabe sind bei Dienstleistungen identisch, Produktion und Konsumption erfolgen somit synchron.« (Cremer, Goldschmidt u. Höfer 2013, S. 6.) Für die meisten personenbezogenen Dienstleistungen ist die Präsenz der Kunden unerlässlich. Damit verbunden ist in der Regel die Standortgebundenheit der Dienstleistung: Bis auf wenige Ausnahmen, bei denen die Distanz technisch überbrückt wird (insbesondere: Onlineberatung), ist eine Anwesenheit von Leistungserbringer und Leistungsnutzer an einem Ort erforderlich. Soziale Dienstleister müssen daher Maßnahmen ergreifen, um die räumliche Distanz zwischen dem Nachfrager und dem Anbieter zu überwinden.

Einbeziehung des Nachfragers/Nutzers in die Dienstleistungserstellung

In der Sozialen Arbeit sind die Kunden bzw. Nutzer Mitproduzenten der Dienstleistung; die Erstellung der Dienstleistung erfolgt koproduktiv. Beteiligen die Nutzer sich nicht in einem gewissen Maß aktiv, kann die Leistungserbringung nicht gelingen; sie läuft ins Leere. Eine reine Anwesenheit des Klienten und sonstige Passivität bei einer Beratung oder Therapie führt weder zu einem Beratungsprozess noch zu einem Erfolg; nur bei aktiver Beteiligung des Leistungsadressaten kommt die Dienstleistung tatsächlich zustande. Es geht also nicht nur um das Herstellen einer gewissen räumlichen Nähe, sondern insbesondere um die Überwindung einer sozialen Distanz – dies zumindest so weit, dass anknüpfungsfähige Kommunikationen entstehen, die das notwendige Maß an Koproduktionsbereitschaft aufseiten des Nutzers entstehen lassen. Da die Bereitschaft und die Fähigkeit des Leistungsadressaten zur Koproduktion nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden kann, bedarf es besonderer Bemühungen zur Herstellung einer Bereitschaft und Aktivierung einer koproduktiven Haltung aufseiten der »Leistungsempfänger«.

Individualität

Soziale Dienstleistungen sind nur begrenzt standardisierbar. Sie müssen variabel sein für die unterschiedlichen Bedürfnisse der Nachfrager und weisen daher in ihrer Ausführung individuelle Qualitäten auf. Eine »Leistung von der Stange« ist nicht möglich bzw. wenn eine solche Orientierung in einer Organisation Platz greift, wäre dies mit erheblichen Qualitätsdefiziten verbunden. Damit geht eine Unsicherheit der Nachfrager einher, ob bzw. in welcher Weise die angebotene Dienstleistung ihren Erwartungen entspricht, was wiederum auf den Faktor »Vertrauensgut« verweist. Aus der Individualität sozialer Dienstleistungen resultiert die Erfordernis, eine flexible Leistungserstellung zu ermöglichen und die weitgehende Dysfunktionalität von Standardprogrammen zu berücksichtigen.