Die Nadel des Todes

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An einer Schule, nahe Nordenham an der Nordsee gelegen, kehrte allmählich die Vorfreude auf die großen Ferien ein und die Stimmung der Lehrer und Schüler war im Allgemeinen gut, nur die bevorstehende Ausgabe der Zeugnisse bereitete manchem Schüler noch Kopfzerbrechen. Der Unterricht wurde in lockerer Atmosphäre durchgeführt, da alle erforderlichen Prüfungen und Klausuren abgeschlossen waren und der Lehrkörper mit der Zusammenstellung der Zeugnisse beschäftigt war. Die Schüler machten Scherze und vertrieben sich in den meist etwas länger gehaltenen Pausen mit Spielen und Telefonaten mit ihren Freunden und Bekannten die Zeit. Die Jungen und Mädchen beobachteten sich und es wurden zum Teil verlockende Blicke gewechselt. Der Schulhof war nicht besonders groß, aber für die Schule ausreichend und er hatte gleichzeitig einen Spielplatz, da der Hort im gleichen Gebäude im Erdgeschoss untergebracht war. Einige größere Jungs probierten sich zum Gelächter der anderen an den Spielgeräten.

Im Lehrerzimmer waren die Lehrer mit der Ausfertigung der Zeugnisse beschäftigt, wobei die meisten ihre Arbeit bereits abgeschlossen hatten. Zum Ärger der Lehrer hatten auch dieses Jahr wieder einige Schüler das vorgegebene Klassenziel nicht erreicht und mussten die Klasse wiederholen. Die Lehrer waren sich sicher, dass es wieder zu Streitigkeiten mit den Schülern und vor allem mit deren Eltern kommen würde, denn die letzten Jahre hatten mehrmals gezeigt, dass die Eltern der Schüler deren Zeugnis nicht anerkennen wollten. Die Eltern hatten sich zum Teil sehr schlecht und überheblich aufgeführt und die Lehrer aufs Übelste beschimpft und ihnen vorgeworfen, dass das Nichterreichen des Klassenzieles ihrer Kinder auf das Versagen des Lehrkörpers zurückzuführen sei. Einige Eltern hatten sich sogar an die Schulbehörde gewendet, um das Versetzen ihres Kindes zu erzwingen, was jedoch in allen Fällen gescheitert war.

Das Schulgebäude war ein U-förmiger Klinkerbau und in gutem baulichen Zustand. Die Schüler kamen aus den umliegenden Gemeinden und wurden zum Teil mit Schulbussen zur Schule gebracht. Das Verhältnis zwischen den Schülern und dem Lehrkörper wurde allgemein als gut eingeschätzt und die Schule hatte einen guten Ruf, sodass sie bisher in keinem Jahr Probleme mit der Belegung der Klassen hatten.

Gegenüber dem Hauptgebäude befand sich der Parkplatz, welcher an Schultagen meistens nicht ausreichte, da die Mitglieder des Lehrkörpers alle mit Fahrzeugen zum Unterricht kamen und teilweise auch einige Schüler bereits ein Moped besaßen und viele mit Fahrrädern erschienen. Aus diesem Grund hatte die Schulleitung feste Plätze für den Lehrkörper festgelegt, was nicht ausreichte, sodass die Schüler meist wild parkten und ihre Fahrzeuge in der Nähe des Parkplatzes abstellten.

Auf dem Parkplatz stand ein zitronengelber Porsche, allerdings älteren Baujahres. Am Fahrzeug unterhielten sich sichtlich aufgeregt ein Mann und eine Frau, wobei der Mann einen spürbar lockeren Eindruck hinterließ, die Frau hingegen sehr erbost schien. Bei den beiden Personen handelte es sich um den Sportlehrer Hans Lohse und Elvira Kunze, die Deutsch und Biologie lehrte. Beide waren circa dreißig Jahre alt.

Der junge Mann hatte dunkles, leicht gewelltes Haar und eine sehr gute sportliche Figur. Er war eine sehr imposante Erscheinung und strahlte großes Selbstbewusstsein aus. Er war circa 1,85 Meter groß und überall wo er erschien, besonders für die Frauen, ein echter Blickfang. Er war sich seiner Erscheinung bewusst und nutzte diese in vollen Zügen aus. Ihm wurden zahlreiche Verhältnisse mit Frauen nachgesagt, wobei den Gerüchten zufolge, auch verheiratete Frauen dazu gehören sollten. Er war allgemein im näheren Umkreis als der „Flotte Hans“ bekannt und wusste von diesen Gerüchten, die ihn nicht sonderlich beeindruckten. In gewissem Sinne war er sogar stolz auf seinen fragwürdigen Ruf, denn nach seinen Erfahrungen gab es Frauen, die stolz darauf waren, etwas mit ihm gehabt zu haben und sich damit brüsteten. Seine Verhältnisse mit den Frauen waren meist nur von kurzer Dauer, denn von Treue hielt Hans Lohse nicht viel. Seine Eltern, die in Berlin lebten und mit finanziellen Mitteln reichlich ausgerüstet waren, hatten ihm nach der Aufnahme seiner Tätigkeit an der Schule im nahe gelegenen Nordenham eine Eigentumswohnung geschenkt. Die Wohnung befand sich unweit des Stadtzentrums und besaß vier geräumige Zimmer, wovon er eines als Arbeits- und Sportzimmer eingerichtet hatte. Er legte viel Wert auf seine sportliche Tätigkeit, denn er war sich bewusst, dass seine blendende Erscheinung auf seine sportliche Figur zurückzuführen war.

Elvira Kunze war in einen roten, eng anliegenden Hosenanzug gekleidet, welcher ihre körperlichen Reize besonders betonte. Sie war bereits längere Zeit an der gleichen Schule wie Hans Lohse als Lehrerin tätig und als sehr seriös und zurückhaltend bekannt, wobei ihre stets sachliche Meinung im Lehrkörper immer gefragt war. Sie war verheiratet und es waren bisher nie irgendwelche außerehelichen Eskapaden von ihr bekannt geworden. Ihr Ehemann leitete das Gastronomiezentrum im Herzen von Tossens. Dieses wunderschöne Gebäude beherbergte mehrere gastronomische Einrichtungen und war zum großen Teil mit einem gewölbten Glasdach versehen, was in den warmen Sommermonaten zu erheblicher Hitzeentwicklung in der Einrichtung führte. Dem Gebäude vorgelagert war eine große Freifläche, die als Terrasse ausgebaut worden war und direkt an die Hauptstraße mündend war eine Minigolfanlage errichtet worden. Diese war durch viele kleine Wege verbunden, wobei die Erbauer vor allem die Wünsche der Kinder berücksichtigt hatten, denn viele der einzelnen Wege waren mit Kinderfiguren und Märchenfiguren gestaltet, beziehungsweise nach solchen benannt worden. Elvira war stets perfekt gekleidet und war von schlanker Gestalt, wobei sie als Kleidung immer Hosenanzüge bevorzugte, die ihre weiblichen Formen betonten. Sie hatte natürliches rotes Haar, welches sie immer offen und schulterlang trug. Ihr Blick war stets freundlich und ihren Mitbürgern gegenüber war sie aufgeschlossen und freundlich, ohne aufdringlich zu erscheinen. An der Schule war sie, außer ihrer Tätigkeit als Lehrerin, auch als Stellvertreterin der Direktorin verantwortlich. Sie war bei ihren Kolleginnen sehr beliebt und pflegte einen guten Umgang und versuchte auch private Probleme im Rahmen ihrer Möglichkeit, bezüglich Lehrplanänderungen und anderen Angelegenheiten, zu berücksichtigen. Ihr Verhältnis zu Hans Lohse war ihrer Ansicht nach nicht bekannt, denn sie hatten sich immer an geheimen Orten getroffen und zudem begann diese, für sie abenteuerliche Beziehung, erst vor knapp zwei Monaten. Sie konnte sich selbst nicht erklären, wie es dazu kommen konnte und hatte bereits seit zwei Wochen die klare Absicht es zu beenden. Von ihrer Schwangerschaft hatte sie erst seit zwei Tagen Kenntnis. Elvira war noch nicht bei ihrer Frauenärztin gewesen, aber ein von ihr durchgeführter Schwangerschaftstest hatte ein positives Ergebnis erbracht.

„Du musst dich entscheiden“, sagte Elvira mit deutlicher Stimme.

„Ich muss Garnichts“, erwiderte Hans.

„Ich habe dir gesagt, dass ich schwanger bin und du willst das mit einem schnöden Lächeln abtun.“

„Ich habe dir bereits gesagt, dass ich von dem Kind nichts wissen will“, erwiderte Hans Lohse zornig.

„Entschuldige bitte, es ist dein Kind.“

„Bist du dir dessen sicher?“

„Was erlaubst du dir. Denkst du ich gehe mit jedem ins Bett?“

„Warum nicht, du bist eine sehr schöne Frau.“

„Ich habe dich völlig falsch eingeschätzt“, sprach Elvira Kunze.

„Jetzt bereust du unser Verhältnis.“ Hans Lohse lächelte.

„Für dich ist unsere Beziehung anscheinend bereits beendet.“

„Das schätzt du richtig ein.“

„Ich weiß, dass du ein Verhältnis mit einer Schülerin hast“, sagte die Lehrerin.

„Wer behauptet solche Unwahrheiten?“, schnauzte Hans Elvira an.

„Du kannst es nicht abstreiten. Ich habe euch beide gestern Abend zusammen gesehen.“

„Du beobachtest mich heimlich?“, staunte Hans.

„Ich muss wissen, mit wem es der Vater meines noch ungeborenen Kindes treibt.“

„Ich habe dir bereits vergangene Woche gesagt, dass es für uns beide keine gemeinsame Zukunft gibt und ich hatte gehofft, dass du die Situation begriffen hast“, entgegnete der Sportlehrer.

„Ich kann es nicht glauben, dass du unsere Beziehung so einfach wegwirfst, schließlich hast du mir vor noch nicht langer Zeit gesagt, dass du mich liebst.“

„Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt habe ich dich auch geliebt.“

„Dieser Zeitpunkt ist jetzt vorbei oder wie soll ich deine Worte verstehen?“

„Ja.“

„Was habe ich falsch gemacht?“, fragte Elvira.

„Du hast nichts falsch gemacht, meine Liebe ist einfach verflogen.“

„So einfach ist das bei dir. Wie lange geht dein Verhältnis mit der Schülerin bereits. Ich denke sie ist der Anlass für deinen Sinneswandel mir gegenüber.“

„Seit wann hast du Kenntnis von dieser Liaison?“, erkundigte sich Hans.

„Das wird dich nicht echt interessieren, du hast nur Angst, dass andere davon erfahren.“

„Du hast Recht, aber es ist nichts Ernsthaftes.“

„Du spielst demnach mit dem Mädchen, so wie du mit mir nur gespielt hast.“

„Nenne es, wie du willst, für mich ist das Gespräch beendet“, wollte Hans die Aussprache beenden.

„So einfach kommst du mir nicht davon, schließlich bekommen wir ein gemeinsames Kind“, sagte Elvira Kunze mit entschlossener Stimme und bestimmten Blick.

„Du bekommst ein Kind, nicht ich.“

„Was soll das heißen, willst du dich nicht zu dem Kind bekennen?“

 

„Endlich hast du mich verstanden. Das Kind ist deine Angelegenheit, nicht meine. Ich schlage vor, du lässt es abtreiben oder schiebst es deinem Mann unter, das dürfte dir nicht schwerfallen“, schmunzelte Hans Lohse und sah seine ehemalige Geliebte mit einem heuchlerischen Lächeln an.

„Ich kann es nicht fassen, was du sagst, wie konnte ich mich nur dermaßen in dir täuschen. Ich hatte auf eine gemeinsame Zukunft mit dir gehofft und jetzt lässt du mich fallen, als hätte es unsere zärtlichen Stunden nie gegeben.“ Die hübsche Elvira war den Tränen nahe.

„Hast du jemand von meinem gestrigen Treffen mit Nicole erzählt?“, fragte Hans.

„Du hast Angst, dass dein Verhältnis aufgedeckt wird. Du weißt, dass du von der Schule fliegst, wenn die Behörde davon erfährt. Ich würde dafür sorgen, dass du keinen Fuß mehr in ein Schulgebäude setzt, zumindest als Lehrer nicht.“

„Ich hoffe, du wirst nichts weiter erzählen. Ich kann dich noch immer gut leiden“, versuchte Hans die Situation mit Schmeicheln zu retten.

„Das ist von deinem weiteren Verhalten abhängig“, versuchte Elvira ihren ehemaligen Geliebten wieder für sich zu gewinnen.

„Ich lasse mich auf keinen Fall von dir erpressen.“

„Ich frage dich noch einmal, wie du zu unserem Kind stehst.“

„Daran hat sich nichts geändert, das Kind ist nicht von mir“, beharrte Hans.

„Ich kann einen Vaterschaftstest beantragen.“

„Wenn du dich unbedingt blamieren willst.“

„Warum sollte ich mich blamieren?“, fragte Elvira verdutzt.

„Wenn du einen solchen Test beantragst, werde ich allen erzählen, dass du mich verführt hast und ich an dem ganzen Geschehen unschuldig bin“, lächelte Hans.

„Das würdest du tun?“

„Worauf du dich verlassen kannst. Ich rate dir, wie ich schon sagte, das Kind deinem Mann unterzujubeln. Wie ich ihn einschätze, wird er sich über das Kind freuen und mit dir glücklich werden.“

„Du bist ein Schuft“, sprach Elvira und konnte die Worte von Hans nicht begreifen.

„Zwischen uns ist alles gesagt und ich gebe dir den gutgemeinten Rat, dich nicht mit mir anzulegen, du weißt der Arm meines Vaters ist sehr weit reichend“, drohte nun Hans.

Hans Lohse schaute Elvira nochmals mit wütendem Blick an, stieg in seinen gelben Porsche und raste davon. Elvira stand wütend auf dem Parkplatz und wirkte sehr einsam und verlassen. Sie hatte das Gespräch noch nicht restlos verarbeitet und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Sie wollte zurück zur Schule gehen, als sie von einem Kollegen angesprochen wurde. „Hattest du Ärger mit dem Kotzbrocken?“, wurde sie gefragt. Hinter ihr stand Peter Nicolai, ebenfalls Lehrer an der Schule. Er unterrichtete Mathematik und Physik und war an der Schule nicht besonders gut angesehen, aber für seine unbestechliche Haltung bekannt.

„Wie kommst du darauf?“, fragte Elvira überrascht.

„Eure Unterhaltung schien nicht sehr freundlich.“

„Du kennst Hans, er kann sehr verletzend sein.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, wieso er dich verletzen kann. Hat es etwas mit unserer Arbeit an der Schule zu tun?“, fragte Peter Nicolai gespannt.

„Ich möchte jetzt nicht darüber sprechen“, antwortete Elvira.

„Du weißt, dass du mit mir über alles sprechen kannst. Ich bin immer für dich da und werde dich immer unterstützen, gleichgültig, welche Probleme du hast.“

„Ich habe keine Probleme.“

„Dann kannst du mir auch sagen, worüber du mit Hans gestritten hast“, beharrte Peter weiter, der schon immer eine Schwäche für Elvira hatte.

„Lass uns in die Schule gehen, der Unterricht wird gleich beginnen“, wollte Elvira das für sie unangenehme Gespräch beenden.

„Ich hoffe, du steckst nicht in Schwierigkeiten.“

„Wenn ich Schwierigkeiten hätte, müsste ich allein damit klarkommen.“

„Für solche Fälle gibt es gute Freunde und ich bin dein Freund.“

„Ich weiß, dass du mir jederzeit helfen würdest, aber es gibt Angelegenheiten die muss jeder für sich selbst klären“, sprach Elvira.

„Hast du Probleme mit deinem Mann. Du weißt ich bin kein Fan von ihm.“

„Ich habe keine Eheprobleme und mir ist bekannt, dass du meinem Mann nicht positiv gegenüber stehst. Warum eigentlich, Peter?“, fragte Elvira nun leicht erzürnt.

„Ich halte ihn für hochnäsig und habe den Eindruck, er bildet sich ein, etwas Besseres als eine Lehrerin verdient zu haben“, gestand Peter.

„Wie kommst du zu solch einer Meinung?“, fragte die immer wütender werdende Elvira.

„Mit dieser Meinung stehe ich nicht allein. Zu unseren Zusammenkünften erweckt er einen überheblichen Eindruck und ist nicht zu offenen Gesprächen bereit. Er spricht selten mit uns und bewacht dich wie sein Eigentum, wenn du mit jemanden tanzt, lässt er dich nicht aus den Augen.“

„Das ist ein Zeichen, dass er mich liebt.“

„Lass uns zu einem anderen Zeitpunkt weiterreden. Ich bin mir sicher, dass du ein Problem hast und ich dir meine Hilfe nur anbieten und dir meine Verschwiegenheit garantieren kann“, sagte Peter Nicolai mit einem Lächeln und nahm Elvira am Arm und führte sie Richtung Schule. Die verstörte Elvira ließ es geschehen und in diesem Augenblick war sich Peter Nicolai sicher, dass sie ein Verhältnis mit Hans Lohse hat oder gehabt hatte.

3

In der Gaststätte „Rondell“, welche sich direkt am Strand von Tossens befand, war zur späten Nachmittagsstunde wenig Betrieb und der Inhaber hatte sich an einen Tisch auf der Terrasse vor der Gaststätte gesetzt. Der stets gut gelaunte und immer freundliche Inhaber der Gaststätte liebte es, sich mit seinen Gästen zu unterhalten und damit eine positive Atmosphäre zu schaffen. Viele der Gäste waren direkt am Strand und damit in Gaststättennähe campierende Urlauber. Der Campingplatz war riesig und zu neunzig Prozent mit Wohnwagen belegt. Die Atmosphäre der Camper untereinander war sehr gut und es bildeten sich viele Freundschaften, was auch die stetige Hilfsbereitschaft bewies. Der Campingplatz besaß einen großzügigen Toilettenbereich inklusive Duschanlagen und wurde trotz der Möglichkeiten der Wohnwagenbesitzer zur Nutzung ihrer eigenen Toilette gut besucht und war stets in sehr sauberem Zustand. Für die Kinder war ein Spielplatz mit verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten erbaut worden und wurde von diesen auch gern angenommen. Für die erwachsenen Urlauber boten sich viele Möglichkeiten der individuellen Freizeitgestaltung, die sich im Wesentlichen auf den sportlichen Bereich bezogen. Viele der Urlauber nutzten sehr gern die im Ort befindliche, direkt an der Hauptstraße gelegene Minigolfanlage, die an den Gastronomiebereich angegliedert war und somit den kulinarischen Genuss und den sportlichen Ausgleich miteinander verbanden.

Am gegenüberliegenden Ende des Campingplatzes am Rande der Einzäunung auf dem höchsten Punkt der Düne war gleichfalls eine Gaststätte mit großem Außenbereich. Der Inhaber dieser Gaststätte kannte den Besitzer der Gaststätte „Rondell“ und beide standen nicht im Wettbewerb, sondern waren fast gut befreundet. Bei guter Auslastung des Campingplatzes, der prinzipiell immer gewährleistet war, verteilten sich die Gäste auf beide Lokale, sodass beide Einrichtungen ihr gutes Einkommen hatten. Die Gaststätte auf der Düne hatte im Vergleich zum „Rondell“ ein reichhaltigeres Speisenangebot und war für seine gute Küche bekannt, was besonders für die einheimischen Bewohner von Bedeutung war. Das „Rondell“ hatte im Innenbereich ein großes Fernsehgerät installieren lassen, was sich besonders bei der Übertragung von Fußballspielen rentierte.

Der Strand zog sich sehr lang, wobei der Sand nicht mit dem Ostseesand vergleichbar war, denn er war bedeutend grober und steinig. Der Uferbereich war sehr flach und durch die Gezeiten konnte man bei Ebbe Wattwanderungen durchführen, die zu bestimmten Zeiten auch von einheimischen Bewohnern angeboten wurden, wobei sich das Tragen von Wattschuhen anbot, denn in dem morastigen Wattuntergrund verbargen sich zum Teil sehr scharfe Muscheln, die bei Hautverletzungen zu heftigen Entzündungen führen konnten. Zur anderen Seite des Strandes, Richtung Ortschaft, befand sich die grasbewachsene circa vier Meter schräg auslaufende Düne, welche die Urlauber und Gäste des Ortes oft zum Ausruhen nutzten. Die Grasfläche wurde regelmäßig beschnitten, sodass die Gäste ihre mitgebrachten Decken und andere Ruhemöglichkeiten ausbreiten konnten. Abgelegen von dem eingezäunten Urlauberbereich weiteten die Schafe der Einwohner, für welche die Schafzucht ein nicht unerheblicher einträglicher Erwerbszweig war. Sie standen den gesamten Sommer über auf den Dünen und waren damit für die Sauberkeit und kurz gewachsenen Rasen zuständig.

Der Betreiber der Gaststätte „Rondell“ war Ulf Lohse, der Bruder des Sportlehrers der Schule Hans Lohse. Er hatte sich an einen runden Tisch gesetzt, an dem Dorfbewohner zum nachmittäglichen Plausch Platz genommen hatten.

„Bei der Hitze werden heute nicht viele Gäste kommen“, orakelte einer der Gäste.

„Das kann man nie genau einschätzen, aber ich bin mit dem Zulauf zufrieden“, antwortete Ulf Lohse.

„Ist für deine Küche sicher nicht einfach, alles bereitzuhalten.“

„Bei den heutigen Kücheneinrichtungen kein Problem.“

„Aber du kannst nicht immer frische Ware anbieten.“

„Ich versuche immer, frische Ware angeliefert zu bekommen.“

„Wie lange bleibt heute deine Kneipe offen?“, wollte einer wissen.

„Du weißt doch, dass ich mich nach den Gästen richte und da heute ein Fußballspiel übertragen wird, schätze ich, dass es sehr spät wird.“

„Da kommt bestimmt auch dein Bruder zum Schauen?“, fragte einer.

„Weiß nicht, er hat noch nicht Bescheid gesagt, aber es ist anzunehmen. Ich würde mich freuen, denn ich habe ihn bereits einige Wochen nicht zu Gesicht bekommen“, antwortete Ulf Lohse.

„Wenn er nicht wieder eine Biene aufgerissen hat.“

„Du weißt, ich kann es nicht leiden, wenn ihr abfällig über Hans redet.“

„Du kannst doch nicht leugnen, dass er dem weiblichen Geschlecht sehr zugetan ist.“

„Das kann ich nicht leugnen.“

„Du hängst sehr an ihm und verzeihst ihm vieles.“

„Ja, er ist immerhin zwölf Jahre jünger als ich und ein sogenannter Nachzügler. Er ist das Nesthäkchen und wurde von unseren Eltern immer bevorzugt, aber er ist keinesfalls ein schlechter Mensch und hat auch seine guten Seiten, dass müsstest du eigentlich wissen, bist ja Hausmeister an seiner Schule“, erwiderte Ulf Lohse und sah seinen Freund Mike Lichte an.

„Gut, dass du nicht alles von deinem Bruder weißt“, erwiderte Mike.

„Was sollen diese Andeutungen?“

„Dein Bruder ist ständig mit irgendwelchen Gerüchten im Gespräch.“

„Kannst du bitte konkreter werden“, bat Ulf Lohse.

„Vorige Woche gab es auf den Schulhof eine Schlägerei zwischen drei Jungen, weil einer behauptet hatte, dass dessen Freundin eine Affäre mit deinem Bruder hat.“

„Hans hat doch keine Affäre mit einer Schülerin, so etwas würde er nie tun, schließlich liebt er seinen Beruf und ist sich bestimmt bewusst, was solch eine Affäre für seinen Schuldienst bedeuten würde.“

„Deinem Bruder werden ständig Affären mit irgendwelchen Frauen nachgesagt, aber ich glaube auch nicht, dass an dieser Aussage des Jungen etwas Wahres ist.“

„Hans ist sicher kein Kostverächter und ich weiß, dass er auch vor verheirateten Frauen nicht Halt macht und sich wenig um deren echte Gefühle kümmert. Seine Beziehungen halten meistens nur wenige Wochen und ich weiß nicht, was der Grund dafür ist und was ihn ständig in die Arme anderer Frauen treibt. Vielleicht liegt es daran, dass ihm bei seiner Erziehung zu viel Freiraum gegeben wurde. Unsere Eltern haben ihm jeden erdenklichen Wunsch erfüllt, sodass er sich der Ernsthaftigkeit des Lebens nicht bewusst ist. Zudem kommt aus meiner Sicht hinzu, dass ihm die Frauen ihre Eroberung nicht schwer machen. Finanziell hat er keine Sorgen, denn unsere Eltern unterstützen ihn mit einem monatlichen Beitrag, sodass es ihm leicht fällt, die Geliebten zusätzlich mit wertvollen Geschenken zu beeindrucken. Ich habe mich vor einiger Zeit sehr intensiv mit ihm unterhalten, besonders über sein Privatleben und seine ständigen Frauengeschichten und war über seine Auffassung sehr überrascht.“

„Du hast ihm ins Gewissen geredet?“

„Nein, er fing über die Frauengeschichten von allein an.“

„Da staune ich“, sprach Mike.

„Er wünscht sich eine Familie und Kinder.“

 

„Das glaube ich nicht.“

„Er hat es mir gesagt. Es ist sein Wunsch eine Familie aufzubauen und er hat, was ich selbst nicht wusste, eine feste Beziehung. Die Frau arbeitet und wohnt in Berlin. Die beiden lieben sich, geben sich jedoch alle Freiheiten. Er fährt häufig an den Wochenenden zu ihr.“

„Jetzt wird mir auch klar, weshalb er nie an Feierlichkeiten des Lehrkörpers teilnimmt, die an Wochenenden stattfinden. Die Lehrer wundern sich seit Langem, warum er stets versucht die Feierlichkeiten auf einen Wochentag, meistens freitags, zu verlegen.“

„Er liebt diese Frau seiner Aussage nach sehr, aber das Beklemmende an der Beziehung ist, dass diese Frau keine Kinder möchte, sie ist sehr strebsam und stellt ihre Karriere in den Vordergrund.“

„Vielleicht wird doch noch ein ordentlicher Mensch aus Hans“, erwiderte lächelnd der Hausmeister.

„Er hat meine volle Unterstützung und ich werde ihm immer beistehen“, sagte Ulf mit fester Stimme und Nachdruck.

„Gibt es sonst Neuigkeiten an der Schule?“, erkundigte sich ein anderer Mann am Tisch.

„Ich möchte nicht schon wieder von Hans sprechen“, sagte der Hausmeister.

„Sprich, ich kann die Wahrheit vertragen“, entgegnete Ulf.

„Es wird über ein Verhältnis von Hans mit unserer Deutschlehrerin und stellvertretenden Direktorin gemunkelt und ich habe beide in letzter Zeit oft miteinander gesehen.“

„Mit Frau Kunze. Sie ist eine sehr freundliche und zuvorkommende Frau.“

„Ja, aber auch verheiratet“, antwortete Mike.

Mike Lichte war von großer, stattlicher Figur. Im Rahmen seiner Tätigkeit war er für die Aufrechterhaltung der Lehreinrichtung betreffs ihrer Ausstattung und der baulichen Gegebenheiten, was die Elektrik und die Sanitäreinrichtungen betrifft, verantwortlich, hatte jedoch keinen Abschluss als Elektromeister. Er hatte eine gute fachliche Ausbildung was die Elektronik betrifft und die Erledigung der anderen anfallenden Arbeiten hatte er sich im Laufe der Zeit angeeignet. Er war in der Schule sehr beliebt, sowohl bei dem Lehrpersonal als auch bei den Schülern, was im Wesentlichen auf seine ruhige und besonnene Art zurückzuführen war. Er wirkte niemals aufdringlich und war dennoch immer freundlich und den Problemen gegenüber offen, was dazu führte, dass viele Lehrer beziehungsweise Schüler ihn oft nach seiner Meinung fragten. Bei solchen Gesprächen hielt er sich mit festen Meinungen stets zurück und äußerte nur seine persönliche Meinung, ohne dem Gesprächspartner direkte, sogenannte gute Ratschläge zu erteilen. Er vertrat immer die Auffassung, dass jeder seine eigenen Erfahrungen sammeln muss und danach die entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen sollte. Mike Lichte wollte niemals als guter Ratgeber für persönliche Probleme verstanden werden, da er seiner Meinung nach selbst einige Fehler in seinem privaten wie beruflichen Leben gemacht hatte. Er hatte eine gute Ehe geführt und war seiner Frau stets treu geblieben, obwohl er beim weiblichen Geschlecht immer gern gesehen war und es von einigen Frauen mehr oder weniger deutliche Hinweise für ein näheres Kennenlernen gegeben hat. Seine Ehefrau war vor zwei Jahren an den Folgen eines Verkehrsunfalles, an dem sie selbst keine Schuld hatte, verstorben, obwohl die Ärzte mehrere Tage um ihr Leben gekämpft hatten. Die folgende Zeit war für ihn sehr schwer gewesen, da er ziemlich allein blieb. Ihre Kinder waren bereits vor einigen Jahren aus dem Elternhaus ausgezogen und hatten sich mit ihren Männern in der Nähe von Hamburg eine eigene Existenz aufgebaut. Das Verhältnis zu seinen Kindern war gut, aber die Entfernung und das beruflichen Leben, indem seine Kinder eingebunden waren, ermöglichte leider zum Bedauern beider Seiten nur ein seltenes Treffen, sodass er viel Zeit allein zu Hause auf dem Grundstück verbrachte. Das Grundstück war circa 350 Quadratmeter groß und mit Bäumen und zahlreiche Sträuchern bepflanzt. Seine Frau hatte sich mit viel Liebe und großem Aufwand um den Garten und dessen Bepflanzung gekümmert, während er sich um die bauliche Substanz des Hauses kümmerte. In den zurückliegenden Monaten hatten einige Frauen versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen, aber er hatte sie bisher immer freundlich aber bestimmt abgewiesen, da er sich nicht wieder binden wollte, obwohl er erst Mitte Fünfzig war. Die Abende allein zu Haus fielen ihm nicht immer leicht, weshalb er sich in letzter Zeit immer öfter Freunden am Stammtisch im „Rondell“ anschloss und die gemeinsamen Stunden genoss. Auf dem Grundstück waren die meisten Arbeiten, außer Rasen mähen und ähnliches, erledigt, sodass er Zeit für schöne Stunden hatte, wenn nicht dringende Arbeiten in der Schule zu erledigen waren.

„Ist in der Schule noch alles in Ordnung?“, fragte der Elektromeister des Ortes. Er hatte im letzten Jahr die gesamte Elektroanlage der Schule, die zum damaligen Zeitpunkt noch auf DDR-Niveau war, neuninstalliert.

„Ja, alles bestens“, antwortet Mike.

„Der Umbau war dringend erforderlich“, sagte der Elektromeister.

„Vor der Zeugnisausgabe ist bestimmt Hektik in der Schule“, wollte ein anderer wissen.

„Ja, das ist jedes Jahr das gleiche. Die Aufregung ist groß und zugleich die Vorfreude auf die bevorstehenden Ferien“, erwiderte Mike.

„Erzähl von der Schlägerei, die du erwähnt hast“, wurde er aufgefordert.

„Ich halte mich grundsätzlich aus wilden Spekulationen raus.“

„Die Schlägerei ist aber Tatsache.“

„Gewisse Rangeleien kommen zwischen den Schülern schon vor, das war in eurer Schulzeit sicherlich nicht anders oder seid ihr alle Musterschüler gewesen?“, schmunzelte Mike Lichte.

„Mit Sicherheit nicht“, gestanden die Stammtischbrüder.

„Für die Schlägerei muss es einen Anlass gegeben haben“, bohrte der Elektromeister weiter.

„Wie ich schon sagte, es ging um ein angebliches Verhältnis von Hans mit einer Schülerin, die eigentlich mit einem Mitschüler enger befreundet war.“

„Ist an dem Gerücht etwas Wahres dran?“

„Woher soll ich das wissen.“

„Mit dir reden die Schüler wie mit einem Beichtvater.“

„In privaten Angelegenheiten versuche ich mich zurückzuhalten.“

„Musst du heute nochmals in die Schule?“, fragte ein anderer?“

„Ich hoffe nicht, wenn im Hort nicht noch Unvorhergesehenes geschieht.“

„Mit dem Hort hast du sicherlich viel Arbeit.“

„Ja, aber das ist normal, bei den kleinen Rackern geht immer etwas kaputt, aber sie zerstören nicht mit Absicht, sondern es geschieht beim Spielen.“

„Deine Arbeit macht dir Freude, wenn man dich reden hört.“

„Ja, ich liebe meine Arbeit, sie bringt zudem ständig Abwechslung.“ Mike Lichte lächelte seine Stammtischbrüder an und hob das Glas.

„Ich gebe eine Runde aus“, sagte der Elektromeister.

„Spitze, das kann ein sehr gemütlicher Abend werden“, lachten die Freunde.

Einer der Kellner trat an den Tisch: „Herr Lohse, die neuen Gäste am Tisch drei hätten sie gern gesprochen.“

„Ich komme sofort. Wenn ihr länger bleibt, gebe ich noch eine Runde aus“, sagte Ulf Lohse und erhob sich, um sich zu den Gästen zu begeben. Die Stammtischbrüder stießen mit einem Glas Bier an und der Abend verlief noch sehr feuchtfröhlich.