Roland Emmerich

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Interview mit Roland Emmerich:

„Manchmal packt mich die Wut“

Was reizt Sie am phantastischen Kino?

RE: Ich drehe gerne im Studio. Und wenn man das macht, ist der Schritt zum Science-Fiction- oder Phantastik-Genre nicht allzu weit. Leider ist es so, dass gerade diese Genres in Deutschland ziemlich in den Hintergrund getreten sind. Es ist aber eine Gattung, in der man eigentlich alles machen kann. Im Rahmen der Science Fiction kann man Liebesgeschichte, Thriller oder Horror-Story erzählen. Star Wars zum Beispiel ist eine Art Rittermärchen, Alien ein klassischer Horrorfilm.

Eigentlich haben alle guten Science-Fiction-Filme mit Science Fiction relativ wenig zu tun. Das Genre ist nur eine Hülle, in die man jede Art von Dramaturgie stecken kann.

Wie haben Ihre drei bisherigen Filme, Das Arche Noah Prinzip, Joey und Hollywood Monster mit ihrem phantastischen Inhalt auf Publikum, Kritiker und Kollegen Ihrer Meinung nach gewirkt?

RE: Ich bemerke immer mehr, dass dieser Begriff sich langsam abzunutzen beginnt. Am Anfang sagten die Leute zu mir: „Toll, endlich mal was anderes.“ Dann drehte ich weiter Filme dieses Genres und dieselben Leute meinen jetzt: „Oh, jetzt macht der wieder das Gleiche.“ Science-Fiction-Filme ähneln sich nun einmal. Natürlich versucht man immer, etwas anderes zu machen, aber der Grundcharakter eines Regisseurs bleibt bestehen. Komischerweise wird das aber immer nur bei Genre-Filmen als Argument ins Feld geführt. Wenn Wim Wenders stets ähnliche Geschichten erzählt, wird das als absolutes Plus angesehen. Wenn einer aber immer Krimis macht, ist das ein Minus. Ich denke jedoch, dass sich ein guter Regisseur dadurch auszeichnet, dass er sich einem Genre ganz hingibt und dieses über Jahre hinweg pflegt. Ich habe ganz bestimmte Interessen und Vorlieben und ich sehe nicht ein, dass ich etwas Neues inszeniere, nur weil gewisse Leute das vielleicht von mir erwarten.

In Ihren Filmen weisen Sie sich aber nicht nur als Genre-Regisseur aus, sondern auch als jemand, der gern Filme über das Kino macht.

RE: Joey und Hollywood Monster handelten tatsächlich von der Welt des Films. Das Arche Noah Prinzip war aber anders gestrickt und handelte durchaus von Gegenwarts-Problemen. Jetzt habe ich neue Interessen. Ich will einen Film über ein anderes Thema realisieren, zeigen, wie Menschen auf kalt berechnende Art aus Gründen der Profitgier benutzt und für kriegerische Auseinandersetzungen missbraucht werden.

Die Geschichte ist doch aber bestimmt erneut im Science-Fiction-Genre angesiedelt?

RE: Es mag komisch klingen, aber das Science-Fiction-Genre, in dem ich die Geschichte platziere, ist nur eine Steigerung der Mittel. Ich muss sie in einen Kontext setzen, der völlig außerhalb unserer Welt liegt. Dadurch kommt die Story stärker zum Tragen. Ich könnte natürlich auch einen total realistischen Film inszenieren, in dem ich zeige, wie sieben Jungs in Kambodscha zu Dschungel-Kämpfern werden. Ich bevorzuge es aber, wenn Geschichten in einem luftleeren Raum spielen und als Parabel funktionieren. Auch in der Literatur mag ich solche Storys am liebsten.

Sie haben hier in Deutschland in Sachen Visual Effects Pionierarbeit geleistet …

RE: … und das hat uns sehr geholfen, weil wir dadurch für unsere Filme viel mehr Aufmerksamkeit als üblich bekamen. Aber jetzt will ich weg von diesem Image, denn die Presse schreibt nur noch darüber, was wir im Trickstudio machen, und erkennt gar nicht, was sonst noch läuft. Es macht mich manchmal wirklich wahnsinnig, wenn ich hören oder lesen muss: „Hollywood in Sindelfingen.“ Hier ist nicht Hollywood und mit Sindelfingen hat das Ganze auch nichts zu tun, denn alle meine Filme wurden in einem anderen Dorf gedreht, kein einziger jedoch in Sindelfingen. Übrigens: Diese Art des Filmemachens, wie wir es hier praktizieren, wird auf der ganzen Welt praktiziert. Auch in Amerika! Die meisten Filme, die mit Hollywood identifiziert werden, wurden dort gar nicht gedreht! Das Etikett „Pinewood in Sindelfingen“ wäre mir jedenfalls lieber. Auch hasse ich den Spruch: „Die Bastler haben wieder zugeschlagen“, denn es gibt auf der Welt wohl keinen Menschen, der Basteln mehr hasst als ich. Ich mache es nur, weil ich es für meine Arbeit brauche. Es gehört dazu wie das Drehbuchschreiben oder das Casting. Manchmal packt mich angesichts solcher Phrasen so sehr die Wut, dass ich damit drohe, keine SF-Filme mehr zu drehen. Aber ich mag dieses Genre nun mal, weshalb ich diese Kritiker-Schlagzeilen einfach wegstecken muss. Solange ich das Geld nicht für Visual-Effects-Meister wie Brian Johnson oder Richard Edlund ausgeben kann, muss ich mich eben mit einer eigenen Crew darum kümmern.

Sehen Sie sich selbst als Visual-Effects-Spezialisten?

RE: Ich weiß inzwischen sehr viel darüber und bin deshalb so etwas wie ein Trickspezialist. Aber eigentlich bin ich das eher zwangsläufig geworden, aus dem Wunsch heraus zu beweisen, dass es möglich ist, in Deutschland Science-Fiction-Filme zu drehen, und wir das Potential besitzen, solche Tricks herzustellen. Eigentlich wollte ich jedoch schon beim Arche Noah Prinzip nicht allzu sehr in die Effekt-Arbeit involviert werden. Aber da dies damals ohne mich nicht geklappt hätte, habe ich mich einfach eingemischt und mitgeholfen. Am Ende bin ich dann eben selbst im Studio gestanden und hab die Tricks gemacht. Aber eigentlich wollte ich das nicht.

Wieso drehen Sie so gern im Studio?

RE: Am Anfang gab es dafür einen ganz praktischen Grund: Ich wollte einen Science-Fiction-Film drehen und das konnte ich nun mal schlecht an Original-Schauplätzen im All machen. Während dieser Arbeit bemerkte ich darüber hinaus, dass sich im Studio alles, was einem vorschwebt, ganz genau festlegen und realisieren lässt. Und das nicht nur von der ästhetischen, sondern auch von der schauspielerischen Seite her. Beim Dreh an Original-Schauplätzen muss man wesentlich mehr improvisieren. Plötzlich stimmt das Licht nicht mehr oder es gibt Schwierigkeiten mit dem Straßenlärm. Dann muss alles umgebaut werden. Für mich ist es am schönsten, wenn ich einen Film inszenieren kann, ohne dass mir etwas dazwischenkommt oder mich aufhält.

Moon 44:

Sprungbrett nach Amerika

Wir schreiben das Jahr 2038: Die Menschheit hat ihre natürlichen Rohstofflager ausgeschöpft, weshalb auf fremden Planeten danach geschürft wird. Felix Stone (Michael Paré) ist Agent der Galactic Mining Corporation und erhält den Auftrag, herauszufinden, warum auf dem verwüsteten Himmelsgestirn Moon 44 ständig Förderroboter verschwinden. Die Zustände auf dem Planeten sind so schrecklich, dass nur Strafgefangene dort leben.

Stone lässt sich also in eine Gruppe von Häftlingen einschleusen, die als Testpiloten eingesetzt werden sollen – und findet sich wieder in der dichotomischen Welt der „Muscles“ und „Brains“: Die Muskelprotze werden als Piloten eingesetzt, die Intellektuellen als deren Navigatoren. Zwischen den beiden Gruppen brechen immer wieder Konflikte aus und Stone gerät in den brodelnden Schmelztiegel täglicher Gewalt. Mit List und Tücke gelingt es ihm jedoch, die zerstrittenen Parteien zu einen, zumal ein mörderischer Kampf mit einem verfeindeten Riesen-Raumschiff bevorsteht, das alle zu vernichten droht.

Längst hat Felix Stone da schon herausgefunden, dass sowohl der Trainings-Sergeant (Leon Rippy) als auch der Stationskommandant (Malcolm McDowell) für den Diebstahl der Förderroboter verantwortlich sind und mit dem Gegner schmutzige Geschäfte machen …

Mit Moon 44 wollte Emmerich einen „unsciencefictionmäßigen“ Science-Fiction-Film inszenieren. Ihm gefiel die Ausgangssituation: 24 Rekruten befinden sich auf einem weit entfernten Rohstoff-Mond und geraten in einen Krieg, den sie nur gewinnen können, wenn sie alle zusammenhalten. Ihm schwebte damit eine Art Das dreckige Dutzend im Weltraum vor. Die ersten Story-Entwürfe diskutierte er mit seinem Mitarbeiter Oliver Eberle. Parallel dazu wurde mit dem amerikanischen Produzenten und Drehbuchautor Dean Heyde weiter an der Story gefeilt. Das Team zog sich dann nach Mexiko zurück und entwickelte das Treatment, das später noch mehrfach überarbeitet und von US-Drehbuchspezialisten gecheckt wurde. Weil Moon 44 sehr viele Visual Effects erforderte, mussten neben dem Drehbuch auch Storyboards gefertigt werden, kleine Zeichnungen, die darstellen, was in welcher Filmszene geschieht und aus welchem Blickwinkel es gefilmt werden soll. Ohne ein solches Storyboard wären zahlreiche Effekte nicht herzustellen, schließlich müssen die Trickspezialisten stets exakt wissen, welches Modell, welcher Hintergrund, welcher Effekt für welche Einstellung gebraucht wird. Das komplette Storyboard von Moon 44 bestand aus insgesamt 1.400 Zeichnungen. „Es diente nicht nur als Orientierungshilfe für die Crew“, wie Designer Michael Meier sich erinnert, sondern war auch notwendig, „um die Produzenten und Geldgeber, denen ein Eindruck des Films vermittelt werden soll, zu überzeugen. Je besser die Zeichnungen, desto mehr Knete".

Emmerich drehte seinen vierten Film abermals in der Nähe seiner Heimatstadt Sindelfingen. Während die Trick-Hexenküche in einer Halle in Magstadt brodelte, fand der Haupt-Dreh mit den Schauspielern im wenige Kilometer entfernten Renningen statt. Weil auch Moon 44 für den internationalen Markt konzipiert war und deshalb in Englisch gedreht werden sollte, wurden wiederum amerikanische Schauspieler engagiert. Während Emmerich es bei Joey und Hollywood Monster aber zum größten Teil mit Kindern und recht jungen, unerfahrenen Schauspielern zu tun hatte, konnte er diesmal mit routinierten Akteuren drehen. Weil er den Löwenanteil des Budgets jedoch in die Tricks investieren musste, war es ihm freilich nicht möglich, teure Weltstars zu verpflichten. Immerhin reichte das Geld jedoch für namhafte Hollywood-Akteure wie Michael Paré, der die Hauptrolle des Helden Felix Stone übernahm und in der Branche bereits durch Walter Hills furioses Action-Musical Straßen in Flammen von sich reden gemacht hatte. Die Rolle des verräterischen Schurken ging an Malcolm McDowell, der den ultra-brutalen Alex in Stanley Kubricks Kino-Meilenstein Uhrwerk Orange verkörpert hatte und durch Flucht in die Zukunft, Katzenmenschen, Britannia Hospital oder Oh Lucky Man! seine Popularität noch auszubauen verstand. Für den Part von Stones Adlatus Tyler engagierte Emmerich den gänzlich unbekannten Dean Devlin. Dessen Vater, Don Devlin, hatte sich allerdings im Hollywood-Geschäft längst als Produzent einen Namen gemacht, spätestens seit dem Erfolg von Die Hexen von Eastwick. Devlin, der ohne die Hilfe seiner Eltern die Traumfabrik-Karriereleiter erklimmen wollte, hatte sich in seinen Anfangsjahren durch Gelegenheitsjobs in der Filmszene über Wasser gehalten. So arbeitete er unter anderem als Chauffeur für Weltstar Al Pacino, der ihn, als er von den Ambitionen des jungen Mannes hörte, entließ und zum Schauspielunterricht schickte.

 

Interview mit Malcolm McDowell:

„Man darf sich Fehler leisten“

Sie mussten bei Moon 44 viele Szenen mehrmals spielen. Gehören solche Wiederholungen für Sie zum Schauspieler-Alltag?

MM: Das ist wirklich nichts Besonderes. Bei Uhrwerk Orange wurde ich abgehärtet. Stanley Kubrick ließ unablässig wiederholen. Da musste ich eine Szene 50 Mal spielen!

Worin bestehen die Unterschiede in der Arbeitsweise bei einem europäischen Film wie Moon 44 und bei einer amerikanischen Kinoproduktion?

MM: Wenn Sie in einem Hollywood-Film mitspielen, dann können Sie zwar eine Menge Geld verdienen, doch Sie sind dabei nicht mehr als ein Produkt. Hier geht es wesentlich menschlicher, freundlicher zu, weil alles in wesentlich kleinerem Maßstab verbleibt. Hier wird nicht so viel verschwendet und hier nimmt man auch nicht alles so wahnsinnig wichtig. Man darf sich Fehler leisten. Wenn Sie sich in Amerika einen Fehler leisten, das heißt, wenn Ihr Film kein Geld einspielt, dann ist das ganz, ganz schlecht. Dort wird alles vom mächtigen Dollar regiert. In Europa hingegen wird man zu Fehlern ermutigt.

Wie bereiten Sie sich auf Ihre Rollen vor? Sind Sie auch ein Anhänger des Method Acting wie Al Pacino oder Robert De Niro und gehen mit Leib und Seele in Ihrer Rolle auf?

MM: Ich bin kein Method Actor. Mich interessiert es nicht, was ein Charakter zum Frühstück essen würde, sondern das, was im Drehbuch steht, das, was das Publikum letztendlich sehen soll. Es geht mir um die Herstellung einer Illusion. Ich glaube nicht, dass es nötig ist, für einen Film 30 Kilo zuzunehmen, um eine Figur überzeugend darstellen zu können. De Niro hat das für seine Rolle in Wie ein wilder Stier gemacht. Ich denke, mein Job ist es, die Illusion eines Charakters zu erzeugen, im Falle von Moon 44 die eines Mannes, der am Boden zerstört ist und deshalb schlimme Dinge anstellt. Das darzustellen, ist doch sehr interessant. Aber wenn ich jetzt eine Unmenge Kuchen esse, um 30 Kilo zuzunehmen, was hat das mit Schauspielerei zu tun? Trotzdem bewundere ich natürlich Darsteller wie De Niro. Mein Gott, Sie könnten mir drei Millionen Dollar zahlen, ich würde mir nicht mal drei Kilo anfressen.

Besuch in der Trick-Hexenküche:

Hinter den Kulisssen von Moon 44

Am Set herrscht ein wildes Chaos aus Styropor, Holz und Plastik. Überall, auf dem Boden, auf Tischen oder Stühlen, liegen durcheinandergewirbelt Modellbaukästen von Flugzeugen, Häusern, Autos und Raumschiffen. Ein ohrenbetäubender Lärm erfüllt die Halle. Dutzende von Handwerkern zersägen Holzbalken- oder -platten, hämmern auf sie ein oder verkleistern sie. Die Kulissenbauer orientieren sich bei ihrer Arbeit an den aufwendigen Skizzen und Gemälden von Production Designer Oliver Scholl, die detailliert mit dem Regisseur abgesprochen wurden. „Eine solche Skizze legt fest“, so der Design-Künstler, „welche Richtung weiterverfolgt wird. Zum Beispiel bei den Helikoptern. Es wird entschieden, ob diese nun drei oder vier Flügel haben oder ob es Militär- oder Zivilmaschinen sind.“

Im Eingangsbereich der Lagerhalle in Magstadt prangt ein großes Signet aus Styropor und verkündet: Stan Gordon Pictures. Das Firmenzeichen spielte eine wichtige Rolle in Emmerichs vorherigem Film Hollywood Monster, der in derselben Halle gedreht wurde. Der Gang führt dann am Büro des Visual Effects Supervisor vorbei, an dessen Tür eine Tafel mit der Aufschrift hängt: „Es ist nicht nur ein Job, es ist ein Abenteuer.“ Weiter geht es zum Büro der Produktionsleitung, ganz hinten residieren die Designer und Modellbauer.

Auf halbem Weg stößt man auf eine gläserne Schwingtür, hinter der sich das Filmstudio verbirgt. Sobald sie geöffnet wird, glaubt sich der Besucher in einer fremden, geheimnisvollen Zukunftswelt. Dichter Nebel und blau fluoreszierendes Licht verstärken den Eindruck von einer anderen Sphäre. Wild zerklüftete Mondlandschaften, monströse Raumschiffe, gigantische Weltraumstationen und geheimnisvolle High-Tech-Helikopter warten in diesem Teil der Halle auf ihren filmischen Einsatz. Dies alles existiert freilich nur im Miniatur-Format. Zwischen den Pappmaché-Felsformationen stehen, sitzen und knien Techniker, Kameramänner und Trick-Experten. Ein dichtes Gedränge. Auch ihre Gesichter wirken wie Landschaften, durch die sich Wildbäche aus Schweiß winden. Es ist heiß, unerträglich heiß, die Luft stickig. Beinahe so wie in der Raumstation, auf der dieser Film spielen soll.

Wie bereits bei Hollywood Monster lässt Emmerich auch im Falle von Moon 44 seine Trick-Crew lange vor den Haupt-Dreharbeiten mit ihrer Arbeit beginnen. Diese Methode hat sich für ihn als sehr effizient herausgestellt. Sie ermöglicht dem Regisseur in einer frühen Phase der Vorproduktion, eine exakte Vorstellung von dem zu bekommen, was sich mit seinem Budget tricktechnisch realisieren lässt und an welchen Stellen Kompromisse zu machen sind. Somit weiß er bereits zu Beginn des Haupt-Drehs, welche Szenen wie geändert und gefilmt werden müssen, damit sie mit den Effektaufnahmen harmonisch verschmelzen können. Ein weiterer Vorteil: Die Schauspieler können sich die Tricks vorab anschauen und ein klareres Bild vom filmischen Endprodukt bekommen. Würden die Visual Effects erst zu einem späteren Zeitpunkt gefilmt, hätten die Akteure nicht die leiseste Vorstellung davon, wie die Raumstation, in der der Film spielt, überhaupt aussieht. Schließlich wurde ihre Außenfassade nur in Miniatur gebaut. Die Trick-Crew ist somit bereits im Sommer 1988 damit beschäftigt, die Modelle des Films zu bauen.

Als Chef der Visual-Effects-Abteilung engagierte Emmerich keinen Profi, sondern einen jungen filmbegeisterten Kunststudenten, der sich eines Tages in seinem Stuttgarter Büro vorstellte. Er führte dem Regisseur verschiedene Super-8-Filme vor, die er in jahrelanger Knochenarbeit gedreht hatte und in denen er sein tricktechnisches Know-how demonstrierte. Emmerich war begeistert von den hochkomplizierten Stop-Motion- und Mehrfachbelichtungs-Tricks, mit denen der junge Filmfan Modell-Raumschiffe zum Fliegen brachte. Der Bewerber wurde stante pede engagiert, denn Emmerich hielt ihn erstens für begabt und zweitens für verrückt genug, um den Job des Visual Effects Supervisor zu bewältigen. Der Hobby-Trickser avancierte so von einem Tag auf den anderen zum professionellen Kino-Illusionisten. Der Name des jungen Talents: Volker Engel. Jahre später würde er als Visual Effects Supervisor von Emmerichs Independence Day einen Academy Award erhalten.

„Roland“, so erinnert sich der spätere Oscar-Gewinner, „schmiss mich einfach ins kalte Wasser. Er bestellte mir eine ARRI-Kamera und ich begann sofort mit Testaufnahmen.“ Bei Moon 44, seinem ersten Profi-Job, kontrollierte Engel als Supervisor nicht nur die Arbeit der anderen Effekt-Spezialisten, sondern war selbst ununterbrochen am Basteln und Experimentieren. Besondere Fleißarbeit erforderte eine Sequenz, die im Film nur etwa zehn Sekunden dauert: eine Total-Aufnahme des Moon 44 Galactic Mining Headquarters.

Engel baute dafür eine futuristische Wolkenkratzer-Stadt aus verschiedenen ein Meter hohen Plexiglas-Röhren. Diese wurden schwarz bemalt und bestückt mit Teilen aus Modellbausätzen. Die Arbeit daran dauerte zwei Wochen. Als die Wolkenkratzer-City endlich fertiggestellt war, musste Engel kleine Punkte in die Röhren kratzen, die im Film von innen beleuchtete Fenster darstellen. Und weil der Eindruck eines gigantischen verglasten Bauwerks erzielt werden sollte, musste der Effekt-Tüftler 70.000 Punkte von Hand einritzen, was insgesamt 40 Stunden dauerte. Er selbst nahm es jedoch gelassen: „Es ist halt wichtig für die Atmosphäre.“

Auch die zahlreichen Helikopter- und Raumschiff-Duelle, die sich die verfeindeten Parteien in Moon 44 liefern, erforderten von den Tricktechnikern ein Höchstmaß an Engagement. „Man braucht unwahrscheinlich viele Leute“, so der Visual Effects Supervisor, „die koordiniert werden müssen, damit ein Rädchen ins andere greift.“

Sämtliche Aufnahmen dieser Art wurden selbstverständlich in Miniatur gedreht, in ca. eineinhalb Meter hohen Felsschluchten aus Schaumstoff, Styropor und Gips. Zwischen diesen künstlichen Schluchten hatten die Helikopter- und Raumgleiter ihre Flugmanöver zu absolvieren. Die Visual-Effects-Crew stellte die Luftkämpfe mit Hilfe einer längst vergessen geglaubten Trick-Methode her, die sehr erfolgreich in dem 1950er-Jahre-Klassiker Kampf der Welten angewandt worden war: Um die Raumschiff-Modelle zum Fliegen zu bringen, wurden sie an Drähten und Fäden befestigt, die wiederum mit einem Stativ oder einer Spezial-Angel verbunden waren. Für unkomplizierte Einstellungen und für Modelle der Federgewichts-Klasse wurden Nylonfäden verwendet, bei Schwergewichts-Helikoptern und Explosionen, bei denen Nylonfäden durchgebrannt wären, kamen Mandolinen-Saiten zum Einsatz.

So eindrucksvoll diese Aufnahmen im fertigen Film wirken, so viel Arbeit, Zeit und Nerven erfordern sie aber auch, um die Illusion perfekt zu machen. Stets müssen Crew-Mitglieder die Modelle bewegen und absichern, damit sie nicht mit den künstlichen Felsen kollidieren und Schaden nehmen. Auch für den Kunst-Nebel und -Regen, der in allen Aufnahmen benötigt wird, um den Trickbildern eine dramatischere Atmosphäre zu verleihen und die Modelle realistischer wirken zu lassen, werden zahlreiche Mitarbeiter gebraucht. Sie erzeugen diese Wetter-Effekte mit Spritzpumpen oder Nebelmaschinen. Bei all dem hat die Visual Effects Crew ständig gegen die wie im Fluge verrinnende Zeit zu kämpfen und muss zudem darauf achten, dass das Budget nicht überschritten wird.

Aber bekanntlich macht Not erfinderisch, weswegen ihrem Einfallsreichtum keine Grenzen gesetzt zu sein scheinen. Um Explosionen herzustellen, füllten die Trickspezialisten Kondome mit einem speziellen Benzingemisch. Als dies nicht wie geplant funktionierte, wurde so lange herumexperimentiert, bis der zündende Funke übersprang und eine neue Bomben-Mixtur gefunden war, mit der sich eine überzeugende Detonation produzieren ließ.

Ein Trickgerät der besonderen Art ist das sogenannte Karussell. Es besteht aus einer runden Holzplatte, auf der die im Film zu sehenden Felsen kreisförmig montiert sind. Mittels Kugellager kann das Konstrukt bewegt werden. Damit ist es möglich, im Film den Eindruck zu vermitteln, die Kamera rase mit Hochgeschwindigkeit durch die Schluchten. In Wirklichkeit werden diese Sequenzen mit einer stillstehenden Kamera gefilmt. Das Einzige, was von den Tricktechnikern bewegt wird, ist das Karussell, das um die Kamera und die Helikopter-Modelle rotiert. Durchschnittlich schafft die Crew drei bis vier Trick-Einstellungen täglich. Volker Engel erinnert sich nur mit Grauen an das Effekt-Gerät: „Es war eine echte Foltermaschine!“

Während der Arbeit an Moon 44 lernt der Trick-Neuling auch zwei deutsche Altmeister der Special und Visual Effects kennen. Zum einen den Explosions-Spezialisten Charlie „Bumm Bumm“ Baumgärtner, zum anderen Theo Nischwitz. Letzterer übernimmt die Aufnahmen mit Frontprojektions-Technik, bei der sich die Schauspieler vor eine leere Wand stellen, auf die Hintergrundbilder des Weltraums projiziert werden. Damit lässt sich der Eindruck erwecken, als blickten die Akteure aus ihrem Raumschiff ins All. Für Engel ist Nischwitz ein Idol, „schließlich war ich schon immer ein Fan der TV-Kultserie Raumpatrouille und fand die Tricks, die er seinerseits entwickelte, enorm“. (Von dieser siebenteiligen Science-Fiction-Reihe ist der junge Visual Effects Supervisor noch immer so begeistert, dass er 1997 zusammen mit Emmerich und Devlin versuchte, das Raumschiff Orion noch einmal starten und neue TV-Missionen erleben zu lassen. Doch das Projekt blieb im Stadium der Verhandlungen mit einer deutschen Sendeanstalt stecken.)

 

Moon 44 war Emmerichs bis dahin teuerste Produktion. Die Kosten beliefen sich am Ende auf 7,5 Millionen Mark. Dabei war es für ihn der erste Film, bei dem er komplett ohne Fördergelder ausgekommen war und die Finanzierung vollständig von seiner hauseigenen Firma Centropolis Entertainment übernommen wurde. Nachdem die Haupt-Dreharbeiten abgeschlossen waren, zeigte sich der Regisseur mit dem Ergebnis jedoch nicht zufrieden und drehte einige Szenen nach, die es ihm ermöglichten, die Story in eine andere Richtung zu lenken. Im Original-Script spielte etwa die Liebesgeschichte zwischen Stone und seiner Freundin Terry (Lisa Eichhorn), die ebenfalls auf Moon 44 stationiert ist, eine zentrale Rolle. Am Schneidetisch stellte sich jedoch heraus, dass zwischen den beiden der Funke nicht recht überspringen wollte. So wurde die Romanze kurzerhand auf ein Minimum reduziert, die Action dafür gestärkt. Bei seinem ersten Kino-Einsatz war dem Film dennoch kein großer Erfolg beschieden. Sein Geld spielte er erst durch die Videoverwertung ein.

Obwohl Moon 44 dem Regisseur noch nicht den großen Durchbruch im deutschen Kinogeschäft, sondern nur die gewohnte Kritikerschelte einbrachte, war er in vielerlei Hinsicht der bis dahin wichtigste Film seiner Karriere. Er erwies sich sogar im Nachhinein als der große Einschnitt in seinem bisherigen Berufsleben. Dank seines untrüglichen Gespürs für junge Kinotalente hatte er bei dieser Produktion Volker Engel kennengelernt, den er erst zu einem Visual-Effects-Profi und später durch Independence Day zum Oscar-Preisträger machte. Seit Moon 44 sind die beiden miteinander befreundet und versuchen nach dem Motto „Never change a winning team“ so oft wie möglich zusammenzuarbeiten.

Auch Dean Devlin, der sich bei dieser Produktion noch als Schauspieler versuchte, bildet später mit Emmerich lange Zeit ein erfolgreiches Duo, das gemeinsam Stoffe entwickelt, Drehbücher schreibt und Filme wie Stargate, Independence Day oder Godzilla produziert. Für die größte Veränderung in Emmerichs bisherigem Leben sorgte jedoch etwas, das, hätte es in einem Drehbuch gestanden, von Kritikern als einfach zu klischeehaft abgetan worden wäre: der legendäre „Anruf aus Hollywood“! Der einflussreiche US-Produzent Mario Kassar, der u.a. Silvester Stallones Rambo-Filme produziert hatte, war von Moon 44 so begeistert, dass er den inzwischen 34-jährigen Regisseur sofort engagieren wollte. Und so sollte Emmerich seinen deutschen Kollegen schon bald die ersten „picture postcards from L.A.“ schicken.

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