BGB-Erbrecht

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c) Konsequenzen für lebzeitige Rechtsgeschäfte
aa) Grundsatz: Lebzeitige Verfügungsfreiheit

280

§ 2286 stellt klar, dass das Recht des Erblassers, über sein Vermögen durch Rechtsgeschäft unter Lebenden zu verfügen, durch den Erbvertrag nicht beschränkt wird. Der im Erbvertrag Bedachte erlangt vor Eintritt des Erbfalls weder einen künftigen Anspruch noch ein Anwartschaftsrecht, sondern lediglich eine tatsächliche Aussicht.[37] Deshalb kann z.B. ein auf einem Erbvertrag beruhendes Grundstücksvermächtnis nicht durch eine Auflassungsvormerkung gesichert werden.[38]

281

Es bleibt den Vertragsparteien aber unbenommen, zusätzlich einen schuldrechtlichen Vertrag abzuschließen, der es dem Vertragserblasser verbietet, über bestimmte Gegenstände zu verfügen (sog. Verfügungsunterlassungsvertrag). Ein solcher Vertrag entfaltet indes keine dinglichen Wirkungen (§ 137 S. 1). Seine Verletzung begründet jedoch Unterlassungs- bzw. Schadensersatzansprüche gegen den Erblasser.[39] Ansprüche gegen Dritte bestehen nur, wenn auch diese sich selbst in einer solchen Weise vertraglich verpflichtet haben.[40] Wenn der Erwerber den Erblasser zum Bruch des Verfügungsunterlassungsvertrags verleitet, so kann die Verfügung allerdings nach § 138 Abs. 1 nichtig sein.[41]

bb) Schutz vor Missbrauch
(1) Allgemeines

282

Die grundsätzliche lebzeitige Verfügungsfreiheit des Erblassers steht allerdings in einem gewissen Spannungsfeld zur erbvertraglichen Bindungswirkung gem. § 2289 Abs. 1 S. 2 (→ Rn. 277 ff.). Der Erblasser könnte versucht sein, Nachlassgegenstände schon zu Lebzeiten zu verschenken oder sonst zu veräußern oder gar zu beschädigen oder zu zerstören, um sie so dem vertragsmäßigen Erben oder Vermächtnisnehmer zu entziehen. Der Gesetzgeber hat diesen Konflikt dadurch gelöst, dass er in §§ 2287, 2288 zumindest einen partiellen Missbrauchsschutz statuiert hat. Nach heute ganz h.M. handelt es sich dabei um eine abschließende Regelung des Umgehungsschutzes.[42] Die Rspr. zur sog. Aushöhlungsnichtigkeit[43] wurde vom BGH bereits 1972 ausdrücklich aufgegeben.[44] Ferner ist § 2287 auch lex specialis gegenüber § 826, selbst im Falle eines kollusiven Zusammenwirkens von Erblasser und Drittem.[45]

(2) Beeinträchtigung des Vertragserben durch Schenkungen (§ 2287 BGB)

283

Wenn der Erblasser eine Schenkung in der Absicht macht, den Vertragserben zu beeinträchtigen, so hat dieser gem. § 2287 Abs. 1 nach dem Erbfall einen Bereicherungsanspruch gegen den Beschenkten.


Anspruch des Vertragserben gegen den Beschenkten gem. § 2287 Abs. 1 1. Schenkung i.S.d. § 516 2. Objektive Beeinträchtigung des Vertragserben 3. Beeinträchtigungsabsicht, d.h. kein lebzeitiges Eigeninteresse 4. Rechtsfolge: – grundsätzlich Herausgabe des geschenkten Gegenstands gem. §§ 818 ff. – bei unentgeltlicher Zuwendung an einen Dritten: § 822 (analog)

284

Der Begriff der Schenkung ist ebenso wie in § 516 zu verstehen.[46] Erfasst sind auch Pflicht- und Anstandsschenkungen, gemischte Schenkungen, verschleierte Schenkungen, Schenkungen unter Auflage sowie Schenkungen auf den Todesfall.[47] Nach zutr. h.M. sind darüber hinaus auch sog. ehebedingte oder unbenannte Zuwendungen unter Ehegatten oder Lebenspartnern erfasst.[48]

285

Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal setzt § 2287 BGB mit Blick auf das Telos der Norm weiterhin voraus, dass durch die Schenkung eine objektive Beeinträchtigung des Vertragserben erfolgt ist.[49] Denn der Schutzbereich der Norm kann nicht weiter reichen, als die vertragliche Bindung, die der Erblasser mit dem Erbvertrag eingegangen ist.[50] Folglich fehlt es an einer objektiven Beeinträchtigung, wenn der Erblasser dem Beschenkten den verschenkten Gegenstand durch Verfügung von Todes wegen hätte zukommen lassen können, ohne die erbvertraglichen Bindungen zu verletzen.[51] Dies ist z.B. der Fall, wenn der Erblasser die lebzeitige Schenkung aufgrund einer Vorbehaltsklausel als Vermächtnis hätte anordnen dürfen[52] oder wenn die Schenkung an einen Pflichtteilsberechtigten erfolgt, soweit sie zur Deckung des Pflichtteils geeignet ist (ein Anspruch aus § 2287 besteht dann ggf. nur noch insoweit, als die Schenkung den Pflichtteil übersteigt)[53]. Ferner fehlt es an einer objektiven Beeinträchtigung, wenn der Erblasser den Erbvertrag anfechten könnte und die Schenkung noch vor Ablauf der Anfechtungsfrist erfolgt (selbst wenn letztlich nicht angefochten wird).[54]

286

Ferner muss der Erblasser subjektiv in der Absicht gehandelt habe, den Vertragserben zu beeinträchtigten (Beeinträchtigungsabsicht). An dem hierfür erforderlichen Missbrauch der lebzeitigen Verfügungsbefugnis fehlt es jedoch, wenn der Erblasser ein lebzeitiges Eigeninteresse an der von ihm vorgenommenen Schenkung hatte.[55] Ein lebzeitiges Eigeninteresse ist anzunehmen, wenn die Verfügung nach dem Urteil eines objektiven Beobachters in Anbetracht der gegebenen Umstände auch unter Berücksichtigung der erbvertraglichen Bindung als billigenswert und gerechtfertigt erscheint; maßgeblich sind insoweit die Umstände des jeweiligen Einzelfalls.[56] Ein solches Interesse kommt etwa dann in Betracht, wenn es dem Erblasser im Alter um seine Versorgung und ggf. Pflege geht[57]; wenn er in Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung handelt, z.B. wenn er mit dem Geschenk einer Person, die ihm in besonderem Maße geholfen hat, danken will[58]; oder wenn er damit den Bestand und die Fortführung seines Unternehmens sichern will[59]. Im Prozess muss der Vertragserbe darlegen und beweisen, dass kein lebzeitiges Eigeninteresse vorlag.[60]

287

Wenn die Voraussetzungen des § 2287 Abs. 1 vorliegen, hat der Vertragserbe gegen den Beschenkten einen Anspruch auf Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung. Es handelt sich um eine Rechtsfolgenverweisung auf §§ 818 ff.[61] Der Anspruch geht somit grundsätzlich auf Herausgabe in natura (§ 818 Abs. 1); soweit dies nicht möglich ist, auf Wertersatz (§ 818 Abs. 2). Maßgeblich ist insoweit der Wert zur Zeit der Zuwendung unter Berücksichtigung des Kaufkraftschwunds.[62] Der Beschenkte kann sich gem. § 818 Abs. 3 auf den Wegfall der Bereicherung berufen, sofern er nicht gem. §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 verschärft haftet. Kenntnis i.S.d. § 819 liegt nach h.M. bereits dann vor, wenn der Beschenkte Kenntnis von Tatsachen hat, aus denen nach der Lebenserfahrung auf eine Beeinträchtigungsabsicht zu schließen ist.[63]

288

Wenn der Beschenkte den Gegenstand unentgeltlich einem Dritten zugewendet hat, so kann der Vertragserbe gem. § 822 von diesem die Herausgabe verlangen[64]; wenngleich die Vorschrift vielfach als eigenständiger Anspruch eingeordnet wird[65], so hat der BGH doch überzeugend dargelegt, dass sie unter Wertungsgesichtspunkten im Rahmen des § 2287 zumindest entsprechend heranzuziehen ist, weil der unentgeltliche Erwerb des Dritten weniger schutzwürdig ist als das Interesse des Vertragserben, die Erbschaft ungeschmälert von beeinträchtigenden Schenkungen zu erhalten[66].

289

Der Anspruch aus § 2287 Abs. 1 stellt einen persönlichen Anspruch des Vertragserben dar und fällt nicht in den Nachlass.[67] Er verjährt in drei Jahren (§ 195) ab dem Erbfall (§ 2287 Abs. 2). Sind mehrere Erben vertraglich berufen, so ist bei Teilbarkeit des Geschenks jeder in Höhe seiner Erbquote berechtigt (§§ 741 ff., 420), bei Unteilbarkeit sind sie Gesamtgläubiger (§ 432).[68] Wenn der Vertragserbe die Voraussetzungen für das Bestehen eines Anspruchs aus § 2287 hinreichend dargetan hat („greifbare Anhaltspunkte“), hat er gem. § 242 einen Anspruch auf Auskunftserteilung gegen den Beschenkten.[69]

 

(3) Beeinträchtigung des Vermächtnisnehmers (§ 2288 BGB)

290

Für den Schutz des vertragsmäßigen Vermächtnisnehmers findet sich eine korrespondierende Regelung in § 2288. Abs. 1 regelt die Fälle der Zerstörung, Beiseiteschaffung oder Beschädigung des Vermächtnisgegenstands durch den Erblasser; hier hat der Vermächtnisnehmer einen Wertersatzanspruch gegen den Erben. Abs. 2 regelt die Fälle der Veräußerung oder Belastung des Vermächtnisgegenstands durch den Erblasser; hier ist der Erbe verpflichtet, den Gegenstand zu verschaffen oder die Belastung zu beseitigen (S. 1); wenn die Veräußerung/Belastung schenkweise erfolgte, hat der Vermächtnisnehmer einen Anspruch aus § 2287 gegen den Beschenkten, soweit er vom Erben keinen Ersatz erlangen kann. Voraussetzung ist aber auch hier stets eine Beeinträchtigungsabsicht des Erblassers. Der Begriff ist grundsätzlich ebenso wie in § 2287 (→ Rn. 285) zu verstehen.[70] Ein lebzeitiges Eigeninteresse kann im Hinblick auf das erbvertragliche Vermächtnis jedoch nur dann bejaht werden, wenn sich das Interesse des Erblassers gerade auf die Veräußerung des Vermächtnisgegenstandes richtete und der erstrebte Zweck nicht durch andere wirtschaftliche Maßnahmen zu erreichen gewesen wäre.[71]

2. Ausnahmen von der Bindungswirkung

a) Änderungsvorbehalt

291

Als Ausfluss der Vertragsfreiheit kann sich ein Erblasser im Erbvertrag grundsätzlich das Recht vorbehalten, eine vertragsmäßige Verfügung durch spätere Verfügung von Todes wegen abändern zu dürfen (sog. Änderungsvorbehalt).[72] Die genauen Grenzen der Zulässigkeit solcher Änderungsvorbehalte sind im Detail umstritten.[73] Konsens besteht aber jedenfalls, dass ein sog. Totalvorbehalt, der alle an sich vertragsmäßigen Verfügungen erfasst, unzulässig ist, denn dann wäre der Erbvertrag „seines Wesens entkleidet“.[74]

b) Zustimmung des Vertragspartners

292

Eine formlose Zustimmung des Vertragspartners genügt nicht, um den Erblasser von der Bindungswirkung zu befreien[75]; vielmehr bedarf es hierfür eines Aufhebungs- bzw. Änderungsvertrags gem. § 2290[76].

c) Zustimmung des Bedachten

293

Ebenso wenig genügt die formlose Zustimmung des Bedachten.[77] Er muss vielmehr ggf. einen Erbverzichtsvertrag gem. § 2352 S. 2 und 3 i.V.m. § 2348 (→ Rn. 523 ff.) schließen.[78] Nach dem Erbfall kann er ggf. ausschlagen (§§ 1944 ff., 2180).[79] In Ausnahmefällen kann eine formlose Zustimmung jedoch den Arglisteinwand (§ 242) begründen.[80]

d) Beschränkung in guter Absicht

294

Wenn der Bedachte ein pflichtteilsberechtigter Abkömmling des Erblasser ist, so kann der Erblasser gem. § 2289 Abs. 2 durch eine spätere letztwillige Verfügung unter den Voraussetzungen des § 2338 die dort genannten Anordnungen treffen (sog. Beschränkung in guter Absicht, → Rn. 719).

3. Aufhebung der Bindungswirkung

295

Die Bindungswirkung eines Erbvertrags kann durch Aufhebung (→ Rn. 296 ff.), Rücktritt (→ Rn. 303 ff.) oder Anfechtung (→ Rn. 314, 428 ff.) beseitigt werden.

a) Aufhebung durch die Vertragsparteien
aa) Aufhebungsvertrag, § 2290

296

Gem. § 2290 Abs. 1 S. 1 kann ein Erbvertrag (oder auch nur eine einzelne vertragsmäßige Verfügung) von den Vertragsschließenden[81] durch einen Aufhebungsvertrag aufgehoben werden. Als actus contrarius bedarf der Aufhebungsvertrag gem. § 2290 Abs. 4 der in § 2276 für den Erbvertrag vorgeschriebenen Form (→ Rn. 269). Wenn die Vertragsparteien einen neuen, widersprechenden Erbvertrag schließen, so liegt darin eine konkludente Aufhebung (§ 2258 Abs. 1 analog).[82] Ein Aufhebungsvertrag kann nur geschlossen werden, solange alle Erblasser des Erbvertrags noch leben (§ 2290 Abs. 1 S. 2). Wenn nicht alle vertragsmäßigen Verfügungen aufgehoben werden, sind die Konsequenzen für einseitige Verfügungen nach § 2085 (→ Rn. 477) zu beurteilen[83] (bei Aufhebung des gesamten Erbvertrags gilt aber § 2299 Abs. 3, → Rn. 317).

297

Wer im Erbvertrag als Erblasser fungierte, kann den Aufhebungsvertrag nur persönlich schließen (§ 2290 Abs. 2). Ein Vertragsschließender, der nicht als Erblasser fungierte, kann sich hingegen beim Abschluss des Aufhebungsvertrags vertreten lassen (argumentum e contrario e § 2290 Abs. 2). Wenn für ihn ein Betreuer bestellt und die Aufhebung vom Aufgabenkreis des Betreuers umfasst ist, ist gem. § 2290 Abs. 3 die Genehmigung des Betreuungsgerichts erforderlich.

298

Ein Aufhebungsvertrag kann wiederum selbst durch einen Aufhebungsvertrag aufgehoben werden; dann gelten wieder die ursprünglichen erbvertraglichen Verfügungen.[84] Ferner kommt eine Anfechtung in Betracht, wobei allerdings streitig ist, ob insoweit die §§ 2078 ff., 2281 ff. oder die §§ 119 ff. gelten. Da es sich beim Aufhebungsvertrag um den actus contrarius zum Erbvertrag handelt, erscheint es konsequent, auch die erbrechtlichen Vorschriften der §§ 2281, 2078 ff. anzuwenden; ein Rekurs auf §§ 119 ff. kommt nur für den Fall in Betracht, dass ein nicht vertragsmäßig Verfügender nicht zum Kreis der nach § 2080 Anfechtungsberechtigten gehört.[85]

Die Aufhebung unterfällt hingegen aufgrund ihrer höchstpersönlichen Natur nicht der Insolvenzanfechtung.[86]

bb) Gemeinschaftliches Aufhebungstestament, § 2292

299

Für Ehegatten statuiert § 2292 eine Formerleichterung (die gem. § 10 Abs. 4 S. 1 LPartG auch für Lebenspartner gilt): Danach genügt zur Aufhebung eines zwischen ihnen geschlossenen Erbvertrags ein gemeinschaftliches Testament. Den Wortlaut des § 2292 könnte man zwar so verstehen, dass die Vertragsparteien schon bei Abschluss des Erbvertrags miteinander verheiratet gewesen sein mussten; nach Sinn und Zweck der Vorschrift genügt es jedoch, wenn sie erst nach Abschluss des Erbvertrags eine Ehe bzw. eine Lebenspartnerschaft eingegangen sind und diese im Zeitpunkt des gemeinschaftlichen Aufhebungstestaments wirksam besteht.[87]

300

Um das gemeinschaftliche Aufhebungstestament zu beseitigen und den ursprünglichen Erbvertrag wiederaufleben zu lassen, genügt ein einseitiger Widerruf nicht[88]; vielmehr bedarf es hierfür einer gleichwertigen Rechtshandlung in Form eines Erbvertrags, Aufhebungsvertrags gem. § 2290, Aufhebungstestaments mit Zustimmung des anderen gem. § 2291 oder eines neuen gemeinschaftlichen Aufhebungstestaments gem. § 2292.[89]

cc) Aufhebungstestament mit Zustimmung des anderen, § 2291

301

Gem. § 2291 Abs. 1 kann eine vertragsmäßige Verfügung, durch die ein Vermächtnis oder eine Auflage angeordnet ist, von dem Erblasser durch Testament aufgehoben werden, wenn der andere Vertragschließende dem zustimmt. Die Zustimmungserklärung bedarf der notariellen Beurkundung und ist unwiderruflich (§ 2291 Abs. 2). Ein Wiederaufleben des Erbvertrags ist nach Erteilung der Zustimmung nur mit (erneuter) Zustimmung des Vertragsgegners gem. § 2291 Abs. 2 zu einem Widerrufstestament möglich.[90]

dd) Aufhebung durch Rücknahme aus amtlicher oder notarieller Verwahrung, § 2300 Abs. 2

302

Nach § 2300 Abs. 2 S. 1 und 2 kann ein Erbvertrag aus der amtlichen oder notariellen Verfügung zurückgenommen und an alle Vertragsschließenden gemeinschaftlich zurückgegeben werden; damit gilt er gem. §§ 2300 Abs. 2 S. 3, 2256 Abs. 1 als widerrufen. Dies gilt allerdings nur für Erbverträge, die ausschließlich Verfügungen von Todes wegen enthalten (sog. isolierte Erbverträge).

b) Aufhebung durch Rücktritt eines Vertragserblassers

303

Die §§ 2293 ff. enthalten Sondervorschriften für den Rücktritt eines Vertragserblassers vom Erbvertrag; §§ 346 ff. sind insoweit nicht anwendbar[91]. Voraussetzung für einen wirksamen Rücktritt ist eine Rücktrittserklärung (→ Rn. 304 f.) und das Bestehen eines Rücktrittsrechts (→ Rn. 306 ff.).

Sofern im Zusammenhang mit der Erbvertrag ein schuldrechtlicher Vertrag geschlossen wurde, in dem sich der Vertragspartner z.B. zu einer Gegenleistung für die vertragsmäßige Zuwendung verpflichtet, so gelten insoweit die allgemeinen schuldrechtlichen Rücktrittsvorschriften; insb. kann darin ggf. auch ein vertragliches Rücktrittsrecht des Vertragspartners für den Fall des Rücktritts des Erblassers vom Erbvertrag vorgesehen werden.[92]

 

aa) Rücktrittserklärung

304

Der Rücktritt muss gem. § 2296 persönlich durch Erklärung gegenüber dem/den anderen Vertragsschließenden erfolgen und bedarf der notariellen Beurkundung. Dem/den Vertragspartner(n) muss die Urschrift oder eine Ausfertigung der notariellen Urkunde zugehen; eine beglaubigte Abschrift genügt nicht.[93] Aufgrund des Erfordernisses der höchstpersönlichen Erklärung (§ 2296 Abs. 1) kann ein geschäftsunfähig gewordener Erblasser nicht vom Erbvertrag zurücktreten.[94]

305

Wenn der andere Vertragsschließende vorverstorben ist, kann der Erblasser eine vertragsmäßige Verfügung – sofern er zum Rücktritt (noch) berechtigt ist (vgl. § 2298 Abs. 2 S. 2, → Rn. 308) – gem. § 2297 S. 1 durch Testament aufheben. Im Falle eines Rücktritts gem. § 2294 wegen Verfehlung des Bedachten (→ Rn. 309) gelten gem. § 2297 S. 2 die § 2336 Abs. 2 und 3, d.h. der Grund für die Entziehung muss zur Zeit der Testamentserrichtung bestehen und im Testament angegeben werden.

bb) Rücktrittsrecht

306

Ein Rücktrittsrecht des Erblassers kann sich aus dem Erbvertrag ergeben (→ Rn. 307 f.) oder kraft Gesetzes bestehen (→ Rn. 309 ff.).

(1) Vertragliches Rücktrittsrecht, § 2293

307

§ 2293 stellt klar, dass sich jeder Vertragserblasser im Erbvertrag ein (vertragliches) Rücktrittsrecht vorbehalten kann. Der Rücktrittsvorbehalt ist streng zu trennen vom sog. Änderungsvorbehalt, der es erlaubt, vom Erbvertrag abweichende letztwillige Verfügungen zu errichten und damit im Umfang des Vorbehalts von vornherein keine Bindung erzeugt (→ Rn. 291). Ein Rücktrittsvorbehalt kann sich auf alle oder auch nur auf einzelne vertragsmäßige Verfügungen beziehen; er kann zudem auch bedingt oder befristet ausgestaltet sein.[95] Im Einzelfall kann die Abgrenzung zum auflösend bedingt geschlossenen Erbvertrag (§ 158 Abs. 2) schwierig sein, so z.B. bei Wiederverheiratungsklauseln.[96]

308

Bei zwei- und mehrseitigen[97] Erbverträgen erlischt der Rücktrittsvorbehalt gem. § 2298 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 im Zweifel mit dem Tode des anderen Vertragsschließenden. Sofern sich kein gegenteiliger Wille der Vertragsparteien anzunehmen ist[98], können die vertragsmäßigen Verfügungen dann aber gem. § 2298 Abs. 2 S. 3 trotzdem noch durch Testament aufgehoben werden, wenn der Überlebende das ihm durch Vertrag Zugewendete ausschlägt (denn dann setzt er sich nicht mehr dem Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens aus). Erforderlich ist nach dem Telos der Norm die Ausschlagung aller ihm zugedachten vertragsmäßigen Verfügung (Zuwendungen aus einseitigen Verfügungen brauchen hingegen nicht ausgeschlagen zu werden).[99]

(2) Gesetzliches Rücktrittsrecht bei Verfehlungen des Bedachten gem. § 2294

309

Gem. § 2294 kann der Erblasser von einer vertragsmäßigen Verfügung zurücktreten, wenn sich der Bedachte einer Verfehlung schuldig macht, die den Erblasser zur Entziehung des Pflichtteils berechtigt oder zu der Entziehung berechtigen würde, wenn der Bedachte ein Abkömmling des Erblassers wäre. Der zur Pflichtteilsentziehung berechtigende Tatbestand (→ Rn. 715 ff.) muss nach Vertragsschluss erfüllt worden sein.[100] Frühere tatbestandsmäßige Verfehlungen, die dem Erblasser unbekannt waren, können aber ggf. ein Anfechtungsrecht gem. § 2281 i.V.m. § 2078 begründen.[101]