Unbändig berührt

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Z serii: Berührt #4
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»Welche Reaktion hast du dir denn gewünscht?«, hakte er nach, als Jonas nicht weitersprach, doch der zuckte nur mit den Schultern. Um ihm nicht das Gefühl zu vermitteln, bedrängt zu werden, und ihm etwas Freiraum zu geben, ließ Marek seinen Arm sinken und rückte ein wenig von ihm ab. »Okay, ich lasse dich vom Haken, aber dir muss klar sein, dass echtes BDSM auf Offenheit, Ehrlichkeit und Vertrauen beruht. Egal, was du in Pornos gesehen oder in Geschichten gelesen hast, BDSM ist weit mehr als Rumkommandieren, Verhauen und Ficken.«

Aus Jonas' Augen blickte ihm pure Unsicherheit entgegen und auch das zaghafte Nicken konnte Marek nicht davon überzeugen, dass er es wirklich verstanden hatte.

»Tut das sehr weh?«, wollte Jonas wissen und deutete auf die Bühne, wo Frank routiniert damit begann, Noahs Bauch mit Wachs zu dekorieren, und nebenbei über die richtige Kerzenwahl und Fallhöhe sprach.

Er ging auf Jonas' Themenwechsel ein, denn ihm war wichtig, dass sein Nachbar wusste, worauf er sich möglicherweise einließ. »Schon ein wenig. Aber jeder ist anders empfindlich und gerade am Bauch ist die Hitze in der Regel erträglich. Das Adrenalin hilft zusätzlich, den Schmerz in Lust zu verwandeln.« Der ausgewachsene Ständer in Noahs knappem Slip und das lustvolle Stöhnen, als Frank die Kerze nun über seine Brust bewegte, waren eindeutige Beweise für seine Worte.

Neugierig, ob Jonas aus echtem Interesse am Spiel mit Wachs gefragt hatte, warf Marek einen Blick in dessen Schritt. Die vielversprechende Beule in seiner Jeans verriet seine Erregung, im Gegensatz zu seiner Mimik, denn er schaute sich die Vorführung zwar gespannt an, wirkte aber nicht sonderlich beeindruckt von dem, was er sah.

»Heiß, hm?«

Marek blickte sich nach rechts zu der fremden Stimme um. Ein Typ, den er hier noch nie gesehen hatte, war neben sie getreten und grinste Jonas an, während der ihn wie ein Reh im Scheinwerferlicht anstarrte.

»Ähm... ja?«, brachte er hervor und tastete gleichzeitig nach der Leine, die sie immer noch miteinander verband. Als er sie in der Hand hatte, zog Marek von seiner Seite aus daran, um Jonas zu signalisieren, dass er bei ihm sicher war.

Der Typ bemerkte die Bewegung und als er erkannte, wo die Leine endete, begegneten sich ihre Blicke. »Oh, Entschuldigung. Ich hatte nur das grüne Armband gesehen.«

»Ist schon okay«, versicherte Marek, denn er war ja nicht wirklich Jonas' Dom und solche Versehen konnten passieren.

»Tut mir trotzdem leid«, wiederholte der fremde Dom und blickte von ihm zu Jonas und wieder zurück. »Scheint, als wäre ich etwas spät dran, denn die meisten Subs sind offenbar schon vergeben.«

Zu Mareks Überraschung nickte Jonas. »Der junge Mann am Eingang meinte, dass die meisten Pärchen sich bis elf Uhr finden.«

»Ja? Das wusste ich nicht. Dann muss ich nächstes Mal früher hier sein.« Der Dom lächelte. »Danke für den Tipp.«

Jonas zuckte mit den Schultern. »Dafür nicht. Ich hab's ja auch nur nachgeplappert.« Als würde er erst im Nachhinein registrieren, was er gesagt hatte, wurden seine Wangen rot und er senkte den Kopf, während er die Augen zukniff.

Verdammt, war er süß, wenn er verlegen war, und er schien echt darauf zu stehen, denn die Beule in seiner Hose zeichnete sich immer noch deutlich ab. Ohne weiter darüber nachzudenken, legte Marek wieder einen Arm um ihn und streichelte seine Taille. Der andere Dom nickte ihm noch mal zu und verschwand dann in der Menge hinter ihnen.

»Du bist nicht schon wieder kurz davor, in deine Hose zu kommen, oder?«, flüsterte Marek Jonas zu und wartete gespannt auf seine Reaktion.

»Nein«, brachte er leise und eindeutig gequält hervor, was Mareks Schwanz in Aufregung versetzte.

»Bist du dir sicher?«, hakte er nach, denn der Dom in ihm wollte sehen, wie weit er gehen konnte. »Erinnerst du dich an dein Safeword für heute Abend?«

»Ja«, hauchte Jonas und ein Teil seiner Anspannung ließ spürbar nach.

»Sehr gut.« Marek verstärkte seinen Griff und lehnte sich noch etwas weiter zu ihm, sodass er direkt in Jonas' Ohr sprechen konnte. »Tief durchatmen. Hier stehen so viele Leute um uns herum. Einige von ihnen würden es sicher mitkriegen, wenn du deine Unterwäsche zum zweiten Mal heute Abend einsaust.«

Jonas' Atmung beschleunigte sich und er begann zu zittern. »Fuck.«

Auch wenn hier niemand mit der Wimper zucken würde, wenn er vor versammelter Mannschaft kam, wollte Marek Jonas ohne sein ausdrückliches Okay nicht so weit treiben, daher gab er ihm einen Moment, um sich wieder unter Kontrolle zu kriegen. Das Spiel mit seinem Schamgefühl war unfassbar reizvoll, aber er wusste nicht, wo Jonas' Grenze lag, was es gleichzeitig extrem gefährlich machte. Sich darauf zu verlassen, dass er tatsächlich sein Safeword sagte, war Marek ebenfalls zu unsicher.

Als Jonas wieder ruhiger atmete und seine Muskeln sich etwas entspannten, streichelte Marek ihn sanft. »So ist es gut. Schön tief durchatmen. Du willst Noah doch nicht die Schau stehlen, hm? Sieh nur, wie wundervoll er leidet.«

»Ja«, flüsterte Jonas und starrte wie hypnotisiert zur Bühne.

»Er hat Frank vollkommen die Kontrolle übergeben, hat ihm erlaubt, ihn zu fesseln und ihm Schmerzen zuzufügen. Und er liebt jede Sekunde, in der er seinem Dom ausgeliefert ist«, erklärte Marek, denn vorhin hatte Jonas ja daran gezweifelt, dass Noah ein Sub war. »Könnte dir das auch gefallen?«

»Ich würde es zumindest versuchen«, erwiderte Jonas nach kurzem Zögern. »Ich weiß aber nicht, ob ich Schmerzen so gut ertragen würde. Das letzte Mal ist eine Ewigkeit her.«

»Das letzte Mal, dass du Schmerzen hattest?«

Er schüttelte den Kopf und blickte dann zu Marek auf. »Das letzte Mal, dass mir jemand welche zugefügt hat.«

Überrascht hob er die Augenbrauen, denn damit hatte er nicht gerechnet. »Wann war das denn und auf welche Weise?«

»Im Studium«, antwortete Jonas leise und blickte sich kurz um. »Ein One-Night-Stand. Er hat mir beim Sex ein paarmal einen Klaps auf den Hintern gegeben. Wenn ich mich richtig erinnere, fand ich das gut.«

Gut. Na, das klang definitiv ausbaufähig. »Bist du offen bi?«, wollte Marek wissen, denn er hatte das Gefühl, dass Jonas sich vor seiner Antwort hatte vergewissern wollen, dass ihnen niemand zuhörte.

»Nicht wirklich«, meinte der schulterzuckend. »Früher war mir das Geschlecht egal, ich wollte irgendwie alles mal ausprobieren. Es war nie etwas Festes, sondern einfach nur Stressabbau. Und es war nun nicht so, als hätte ich meiner Familie beim Sonntagskaffee von meinen Sexabenteuern erzählt. Und dann kam Anja. Ich hatte nie einen Grund, mich als bi zu outen.«

Das war definitiv die zweite Warnung, sich nicht auf ihn einzulassen. Trotzdem ließ Marek seinen Arm um Jonas' Taille geschlungen, versuchte, seinen steinharten Schwanz zu ignorieren, und genoss es, als sein Nachbar den Kopf an seine Schulter lehnte, während sie beobachteten, wie Frank die letzte Kerze auspustete und sich bei seinem Sub vergewisserte, dass alles in Ordnung war. Noah war vollkommen selig, so wie er grinste und sich Frank entgegenwölbte, als dieser ihm einen Kuss gab.

»Das da«, flüsterte Jonas so leise, dass Marek ihn kaum hörte, doch als er seinem Fingerzeig zur Bühne folgte, wusste er genau, was Jonas meinte.

Die Szene war wirklich rührend. Mit einem Blick voller Liebe, Hingabe und Stolz stand Frank über Noah gebeugt, der restlos glücklich über das ganze Gesicht strahlte. Beide schienen das immer lauter werdende Gemurmel überhaupt nicht zu registrieren, während sie diesen intimen Moment und das Gefühlshoch ihres gelungenen Spiels noch ein wenig auskosteten.

Jonas räusperte sich. »Das will ich.«

Wehmütig lächelnd fuhr Marek ihm durch die Haare und drückte behutsam Jonas' Kopf an seine Schulter zurück. Nur mit Mühe konnte er ein Seufzen unterdrücken, als ihn die Sehnsucht nach einem festen Partner überrollte.

Als er Frank nach dem Umzug aus seiner Heimat hierher kennengelernt hatte, hatten sie beide das Singleleben und die Freiheit in vollen Zügen genossen. Sie hatten keine Party und keine Erfahrung ausgelassen. Vermutlich hatte Marek deswegen das Studium nicht gepackt, aber er bereute keine Minute davon.

Jetzt, zehn Jahre später, wurden die Abstände zwischen den Momenten kürzer, in denen er von seinem Singledasein die Nase voll hatte. Und ein wenig fürchtete er sich davor, dass aus der vermeintlichen Freiheit schneller permanente Einsamkeit werden würde, als ihm lieb war.

Der um sie herum aufbrausende Applaus holte ihn aus seinen düsteren Gedanken und er nahm die Hand von Jonas' Schulter, um seinen Freunden, die mittlerweile Hand in Hand auf der Bühne standen und sich verbeugten, ebenfalls Beifall zu zollen. Noah sonnte sich sichtlich in der Aufmerksamkeit, während Frank versuchte, sich seine Verlegenheit nicht anmerken zu lassen.

Wenn Marek daran zurückdachte, welchen Eiertanz sein bester Freund damals um die Beziehung gemacht hatte und wie viel Schiss er davor gehabt hatte, Noah dauerhaft nicht zu reichen, konnte er nur schmunzeln. Die beiden passten einfach perfekt zusammen und brauchten einander wie die Luft zum Atmen.

Jonas prustete los und beugte sich zu ihm herüber. »Er will gar nicht gehen, hm?«

Marek musste ebenfalls lachen, als er beobachtete, wie Frank Noah förmlich von der Bühne zerren musste. »Ja. Er liebt große Auftritte.«

Ein paar Augenblicke später standen die beiden auch schon vor ihnen. »Wir waren toll, oder?«, wollte Noah völlig aufgedreht wissen.

»Absolut fantastisch, słoneczko«, versicherte Marek und drückte ihn an sich, als Noah auch schon die Arme um seine Taille schlang und mit einem durch und durch seligen Seufzen die Wange an seine Brust schmiegte.

 

Marek grinste Frank an, der nur die Augen verdrehte und den Kopf schüttelte. Er hatte keine Ahnung, wie oft er Noah schon im Arm gehabt hatte. Sein Kumpel war mittlerweile wie ein kleiner Bruder für ihn. Deswegen durfte er ihn auch Sonnenschein nennen, ohne dass sein sonst eher besitzergreifender Dom ihm gleich an die Gurgel ging. Das Privileg hatte Marek sich allerdings auch verdient, denn Noah hatte sich damals immer bei ihm ausgeheult, bis Frank endlich seine Eier gefunden hatte. Es war hart gewesen, den beiden dabei zuzusehen, wie sie sich selbst das Leben schwer machten, statt ihre nicht ganz unberechtigten Bedenken über Bord zu werfen und das Risiko einfach einzugehen. Erst als Noah kurz davor gewesen war aufzugeben, hatten sie die Kurve doch noch gekriegt.

Mareks Blick fiel auf Jonas, der in seinen Augen verdammt mutig war. Er hatte sein Leben völlig umgekrempelt, um sich selbst zu finden und der zu sein, der er tief im Inneren war. Auch wenn er die Details erst noch herausfinden musste. Hierherzukommen war ein wichtiger Schritt gewesen und auch wenn Marek daran keinen Anteil hatte, spürte er, dass er stolz auf ihn war.

Als Jonas zu ihm hochsah, lächelte er, doch es wirkte aufgesetzt. Marek löste sich von Noah und beglückwünschte auch Frank noch mal, dann verschwanden die beiden in Richtung Spielbereich. Er war sich sicher, dass Frank seinen Sub gleich noch ausgiebig belohnen würde.

Marek wandte sich zu seinem Nachbarn um, der traurig aussah. »Hey, alles klar?«

Erneut bekam er nur ein Fake-Lächeln. »Ja, natürlich. Aber ich denke, ich fahre nach Hause.«

»Sicher?«, hakte er nach, denn er wollte nicht, dass Jonas die Party mit einem unguten Gefühl verließ. »Wir können noch was trinken und reden, falls du noch Fragen hast.«

»Habe ich«, antwortete er und diesmal war sein Lachen echt. »Aber ich muss... na ja, das alles hier erst mal sacken lassen und mich sortieren.«

Marek nickte, denn er konnte absolut nachvollziehen, dass Jonas einiges zu verarbeiten hatte. »Okay. Du kannst jederzeit hochkommen, wenn du Redebedarf hast, ja?«

»Danke. Mache ich vielleicht. Bestimmt. Mal sehen.« Kurz zögerte Jonas, dann trat er dichter an Marek heran. »Danke, dass du auf mich aufgepasst hast.«

Er hatte etwas mehr getan, als nur auf ihn aufgepasst, aber er ließ es ihm durchgehen, schlang seine Arme um Jonas' Mitte und drückte ihn an sich. »Komm gut nach Hause, mały.«

Er erwiderte die Umarmung sofort und Marek bildete sich ein, ein leises Seufzen zu hören. »Du später auch.«

Als sie sich voneinander lösten und er die Leine von Jonas' Hose entfernte, breitete sich wieder diese klaustrophobische Schwermut in Marek aus. Es wäre so einfach gewesen. Bestimmt hätte es nicht viel gebraucht, um Jonas davon zu überzeugen, mit ihm die ersten Schritte als Sub zu machen und damit gleichzeitig Mareks Einsamkeit entgegenzuwirken. Aber dauerhaft hätte das wohl keinem von ihnen gereicht. Außerdem wollte Marek kein Experiment sein. Schon gar kein schmutziges Geheimnis.

Trotzdem konnte er das Gefühl, genau das Falsche zu tun, nicht abschütteln, als sie sich verabschiedeten und er Jonas nachblickte, als der schnellen Schrittes die Halle durchquerte und durch die Tür ins Foyer schlüpfte.

Ein Seufzen unterdrückend, wandte Marek sich um und sah in zwei neugierige Gesichter. Er hatte gedacht, die beiden wären in den Spielbereich gegangen.

»Was?«, fragte er angesichts der fast schon mitleidigen Blicke.

Noah schüttelte den Kopf und tätschelte seinen Rücken, während er ihn zur Bar schob. »Ach, nichts. Wir haben nur gerade festgestellt, dass es Zeit wird, etwas zurückzugeben.«

Marek sah verwirrt zu Frank rüber. »Was? Wovon redet er?«

Sein bester Freund lachte leise. »Ein Sub auf einer Mission. Versuch gar nicht erst, dich dagegen zu wehren.«

Mit einer bösen Vorahnung ließ er sich auf einen freien Barhocker fallen und harrte der Dinge, die Noah da ausheckte.

Kapitel 9

Jonas

Zwei Wochen war es mittlerweile her, aber er konnte immer noch nicht glauben, dass es tatsächlich passiert war. Dass er auf einer öffentlichen Veranstaltung in den Armen seines Nachbarn einen verdammten Orgasmus gehabt hatte.

Am Morgen nach der Party hatte Jonas sich gerade erfolgreich eingeredet, dass alles nur ein böser Traum gewesen war, bis es an der Tür geklingelt und Marek vor ihm gestanden hatte. Er hatte sich vergewissern wollen, dass es Jonas gut ging, und mehrmals nachgehakt, ob er noch Fragen hatte oder ihm sonst was auf der Seele brannte.

Die ganze Sache war ihm sowieso schon peinlich genug – und das nicht auf die erregende Art –, daher war er froh gewesen, als Marek nach zehn Minuten zurück in seine Wohnung gegangen war, ihm aber ein paar Empfehlungen für Bücher und seriöse Internetseiten dagelassen hatte.

Seitdem konnte nur die Arbeit Jonas vom Lesen abhalten. Zum Glück saß gerade der letzte Patient für diese Woche auf seinem Stuhl.

»Dr. Bender? Ihre Frau ist hier.«

Überrascht sah er zur Azubine auf, die jedoch den Blick auf die andere Seite des Behandlungsstuhls gerichtet hatte. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie seine Helferin eilig den Kopf schüttelte.

»Nicht Frau«, korrigierte sich die Azubine, eindeutig unsicher, was das Kopfschütteln ihr sagen sollte. »Exfrau? Noch nicht Exfrau?«

»Das Letzte. Das nehmen wir«, unterbrach er ihr Stottern und musste sich das Lachen verkneifen, als er in die vor Belustigung funkelnden Augen seines Patienten blickte und dann dessen neue Füllung fertig polierte. »Hat sie einen Termin?«

»Nein, es ist wohl etwas Privates. Aber sie meinte, sie hat Zeit, und sitzt jetzt im Wartezimmer. Soll ich sie wegschicken?«

»Würden Sie das denn tun?«, fragte er gespannt, wie die Azubine reagieren würde, und sah sich zu ihr um.

Sie fühlte sich sichtbar unbehaglich. »Wenn es sein muss.«

Amüsiert schüttelte er den Kopf. »Ist schon okay, aber Hut ab vor Ihrem Mut.«

Mit einem stolzen Grinsen im Gesicht huschte die Azubine wieder aus dem Zimmer. Jonas mochte die Kleine und sollte sie nach dem Abschluss wirklich übernehmen. Er beendete seine Arbeit und belehrte seinen Patienten darüber, dass er erst nach Abklingen der Betäubung essen und trinken durfte, bevor er Handschuhe und Mundschutz auszog und ihn aus dem Behandlungsraum begleitete.

Nachdem sie einen Vorsorgetermin ausgemacht hatten, verabschiedete Jonas sich und warf dann einen Blick ins Wartezimmer. Anja blätterte in der Zeitschrift auf ihrem Schoß, schaute jedoch auf, als sie sich offenbar beobachtet fühlte. Sie hatte ein bisschen zugenommen, wirkte dadurch aber gesünder. Ihre braunen Locken trug sie immer noch lang und über einer Schulter, wobei sie sich mittlerweile einen Pony hatte schneiden lassen. Früher hatte sie immer behauptet, nicht die richtige Gesichtsform dafür zu haben. Offenbar probierte sie jetzt Neues aus, was Jonas super fand.

»Hey.« Er ging zu ihr und hob etwas unbeholfen die Hand. Es war immer noch seltsam, sie nicht zu küssen, wenn sie sich begrüßten. Generell war das Küssen etwas, das er tierisch vermisste, seit er Single war.

Sie lächelte, legte die Zeitschrift weg und erhob sich. »Selber hey.« Eindeutig ebenfalls unsicher, schob sie sich eine verirrte Strähne hinters Ohr und strich ihren Rock glatt. Sie musste direkt aus dem Büro in seine Praxis gekommen sein.

»Ist was mit Thea?« Er hatte zwar gestern Nachmittag mit ihr geschrieben, trotzdem war das seine dringendste Sorge.

Anja schüttelte sofort den Kopf. »Oh nein, es geht ihr gut. Sie kommt nach der Schule mit einer Freundin nach Hause. Für morgen ist eine Party geplant, daher wollen sie über das richtige Outfit beraten.«

»Die finden in letzter Zeit ziemlich häufig statt«, bemerkte er, denn auch wenn er ihrer Tochter den Spaß gönnen wollte, gefiel es ihm nicht wirklich, dass sie ständig feiern ging, immerhin war sie erst sechzehn.

»Ja, das passt mir auch nicht so richtig. Aber die morgen findet bei Judit statt. Siebzehnter Geburtstag.«

»Okay.« Judit war eine Kindergartenfreundin von Thea und wohnte zwei Straßen von ihrem ehemals gemeinsamen Haus entfernt. »Was führt dich dann hierher?«

Sie blickte an ihm vorbei zur Rezeption, an der es verdächtig still geworden war, wie ihm gerade auffiel. »Das besprechen wir lieber beim Kaffee. Hast du Zeit?«

»Ähm... ja, klar. Gib mir ein paar Minuten zum Umziehen, dann können wir zu dem Café an der Ecke gehen.«

Anja nickte und ließ sich wieder auf den Stuhl fallen, bevor sie die Zeitschrift noch mal in die Hand nahm. »Nur keine Eile.«

Er kam tatsächlich nicht so schnell weg, wie es ihm lieb gewesen wäre, aber eine halbe Stunde später betraten sie das kleine Café, in dem er sich morgens immer einen Kaffee holte.

»Was möchtest du?«, wollte er wissen und deutete auf den einzigen freien Tisch am Fenster. »Sicherst du uns einen Platz?«

»Einen Cappuccino, bitte.«

»Und eine Nussecke?«

Sichtlich hin- und hergerissen betrachtete Anja die Auslage. »Ich wollte die Süßigkeiten eigentlich ein bisschen reduzieren...«

Jonas fand zwar nicht, dass das nötig war, aber er hatte aufgehört zu versuchen, Frauen in dieser Hinsicht zu verstehen, daher zuckte er nur mit den Schultern und gab ihre Getränkebestellung auf.

Als er zum Tisch kam und ihre Tassen abstellte, schob Anja ihm das Geld für ihr Getränk über den Tisch, was ebenfalls gewöhnungsbedürftig war. Kommentarlos steckte er es ein und lehnte sich dann zurück, gespannt darauf, was sie mit ihm besprechen wollte. Eigentlich regelten sie alles, was die Scheidung betraf, der Einfachheit halber über ihre Anwälte. Zwar waren sie sich in den wesentlichen Punkten, was Thea, das Haus und ihr gemeinsames Vermögen anging, einig, aber ohne Anwalt konnte man sich ja nicht scheiden lassen, daher konnten sie die Leute auch genauso gut für ihr Geld arbeiten lassen.

»Wie geht es dir?«, eröffnete Anja schließlich das Gespräch.

»Gut. Sehr gut. Ich habe mich eingelebt und an den Lärm gewöhnt. Es gefällt mir eigentlich ganz gut, in der Stadt zu wohnen.« Dass sein Nachbar in den letzten Wochen einen wesentlichen Teil zu seinem Wohlbefinden beigetragen hatte, verschwieg er lieber.

Anja lächelte liebevoll. »Das freut mich. Wenn du noch Möbel oder irgendwas anderes aus dem Haus brauchst, sag Bescheid, ja?«

Es war nett gemeint, aber da er vor über vier Monaten ausgezogen war, hatte er mittlerweile alles angeschafft, was noch gefehlt hatte. »Ich habe alles, aber danke.«

»Gut. Gut. Hast du noch Kontakt zu den anderen Männern? Volker oder David?«

»Nein, gar nicht. Ihre Frauen sind auf deiner Seite und da kuschen die beiden wohl lieber. Der Rest, den du mit in die Ehe gebracht hast, sowieso«, sagte er nur halb im Scherz, denn es störte ihn in der Tat, dass selbst die Leute, die er seit dem Studium kannte, ihm nach der Trennung den Rücken gekehrt hatten.

Anja seufzte. »Das ist Schwachsinn. Ich meine, wir haben doch nie irgendjemanden gebeten, Partei zu ergreifen.«

Er zuckte mit den Schultern und nahm seine Kaffeetasse. »Es ist, wie es ist.« Nachdenklich legte er den Kopf schief. »Machst du dir Sorgen um mein Sozialleben?«

Sie lachte leise. »Nein.«

»Warum sind wir dann hier?«, wollte er nun doch ziemlich neugierig wissen, woraufhin ihr Lächeln augenblicklich einer unbehaglichen Miene wich, was ihn wiederum nervös machte. »Los, raus damit.«

»Betty hat mich gestern angerufen. Volker hat dich angeblich vor zwei Wochen gesehen, wie du aus einer alten Lagerhalle im Industriegebiet gekommen bist. Er arbeitet doch da als Wachdienst und war wohl auf seiner Runde, als du zu deinem Auto gegangen bist.«

Oh Scheiße. Er war sich sicher, dass ihn sein Gesicht verriet, daher versuchte er gar nicht erst, es zu leugnen. Da er aber nicht abschätzen konnte, wie viel Volker und somit seine Frau und Anja wussten, tat er unbeeindruckt. »Ja, und?«

»Er ist wohl neugierig geworden und hat sich umgehört, was du da gewollt haben könntest.«

Fuck.

Anja runzelte die Stirn und blickte ihm fest in die Augen, während sie sich vorbeugte und die Stimme senkte. »Warst du wirklich auf einer Sadomaso-Sexparty?«

Fuck, fuck, fuck. »Ist es das, was Betty dir erzählt hat?«

»Das ist das, was ihr Mann offenbar jedem erzählt.«

»Was?« Entsetzt starrte er Anja an, die resigniert nickte. »Wie kommt er dazu, so was rumzuerzählen?«

 

»Keine Ahnung«, antwortete sie kopfschüttelnd. »Ich habe Betty gesagt, dass sie ihn zurückpfeifen soll, aber ich weiß nicht, ob sie es schafft. Vielleicht kannst du Volker anrufen und es richtigstellen.«

»Als würden sich Gerüchte aufhalten lassen, wenn sie erst mal im Umlauf sind«, sagte er spöttisch. Ganz davon abgesehen, dass er es eigentlich gar nicht richtigstellen konnte, sondern würde lügen müssen. »Aber wenn es für dich und Thea zum Problem wird, rede ich mit ihm.«

Anja winkte ab. »Mach dir um uns keine Gedanken. Ich bin nicht wegen mir hier, sondern damit dein Ruf nicht geschädigt wird. Vielleicht dramatisiere ich es auch zu sehr, denn ich weiß nicht, ob die Leute Volker überhaupt glauben, aber ich dachte, ich sag dir sicherheitshalber Bescheid.«

»Das ist nett, aber ich würde es lieber ignorieren«, beschloss er, denn egal, wie er reagierte, die Lage beruhigte sich sicher am ehesten, wenn er schwieg und Gras darüber wachsen ließ. »Spielt doch am Ende keine Rolle, was ich dazu sage. Die Leute glauben eh das, was sie glauben wollen.«

Seufzend nickte Anja. »Ja, da hast du recht.« Sie nippte an ihrem Cappuccino, bevor sie wieder aufblickte. Der Schalk blitzte in ihren Augen, was Jonas zeigte, dass ihm ihre nächsten Worte vermutlich nicht gefallen würden. »Nur so unter uns: Warst du auf einer SM-Party?« Da er nicht sofort verneinte und obendrein seine Wangen zu glühen begannen, wurden ihre Augen riesig. »Oh mein Gott, wirklich?« Sie schnappte nach Luft. »Du schaffst es immer noch, mich zu überraschen. Wie war es?«

»Anja«, stöhnte er gequält, denn er wusste wirklich nicht, ob er diese Unterhaltung mit ihr führen wollte.

Sie hob sofort die Hände. »Das geht mich nichts an, ich weiß.« Sie schaffte es ganze drei Sekunden, dann grinste sie. »Aber ich bin so neugierig! Komm schon, gib mir was. Irgendwas.«

»Was willst du denn hören?«, entgegnete er und verdrehte die Augen. »Es war nicht viel los. Kein wildes Rumvögeln vor Publikum. Es war eher eine... Informationsveranstaltung. Im weitesten Sinne. Und ich war auch nicht so lange da. Knapp zwei Stunden.«

»Und...« Sie versuchte es wirklich, aber es gelang ihr nicht, ihre Neugierde unter Kontrolle zu halten. »Hattest du...? Du weißt schon«, flüsterte sie.

»Ich hatte keinen Sex in einer alten Lagerhalle«, zischte er zurück, denn ein unkontrollierter Orgasmus zählte nicht. »Seit wann bist du überhaupt sensationsgeil, sag mal?«

»Seit wann gehst du auf Sexpartys?«

Touché.

Weil er sich sicher war, dass sie nicht wirklich eine Antwort erwartete, griff er nach seiner Kaffeetasse und trank einen großen Schluck. Mareks verdammt leckeren polnischen Wodka hätte er im Moment aber definitiv vorgezogen. Beim Gedanken an seinen Nachbarn und die Party fiel Jonas ein, dass er ihn gefragt hatte, ob er offen bi war. Er sah zu Anja rüber, die ihn immer noch abwartend betrachtete.

Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er sich ihr gegenüber hätte outen müssen. Bevor sie geheiratet hatten. Eigentlich schon, als klar gewesen war, dass das mit ihnen etwas Ernstes werden würde, denn auch wenn es nicht wirklich relevant gewesen war, war er nicht ganz ehrlich in die Beziehung gegangen.

Er glaubte nicht, dass sie jetzt noch sauer auf ihn sein würde, trotzdem begann es in seinem Magen zu kribbeln, als er den Entschluss fasste, sein Outing nachzuholen. Besser spät als nie. Außerdem würde es eine Generalprobe für eventuell zukünftige Gespräche dieser Art sein und Übung machte bekanntlich den Meister.

Nach einem tiefen Atemzug, der Anja erwartungsvoll die Augenbrauen heben ließ, klammerte sich Jonas an seine Kaffeetasse und lehnte sich vor. »Ich muss dir was erzählen. Ich hätte es schon viel früher machen müssen, aber es war nie relevant, daher habe ich es nicht für nötig gehalten und irgendwie auch verdrängt.«

»Okay...« Anja beugte sich ebenfalls vor und als sie sah, wie nervös er plötzlich war und nach Worten suchte, lächelte sie aufmunternd und tätschelte seine Hand. »Los, einfach raus damit. Es wird nur schlimmer, je länger du zögerst.«

»Ich bin bi«, brachte er hervor. Viel zu leise und als wäre es etwas, wofür er sich schämen müsste, aber immerhin war es raus. Vorsichtig blickte er auf und atmete teils erleichtert, teils gespannt tief durch, während Anja verdutzt blinzelte.

»Wow«, meinte sie schließlich lediglich und zog die Hand zurück, bevor sie sich fasste. »Also, ich habe kein Problem mit Männern, die... du weißt schon, aber damit habe ich jetzt nicht gerechnet. Ich dachte, du erzählst mir, dass du eine Neue hast. Oh! Du hast einen Freund?«

»Nein, habe ich nicht«, antwortete er kopfschüttelnd und musterte sie. »Du?«

Sie verdrehte die Augen. »Nein. Ich denke nicht, dass ich schon so weit bin.«

»Ja, geht mir auch so.«

Schweigend tranken sie ihren Kaffee und ein bisschen war es wie früher. Jonas hatte es schon immer toll gefunden, wie gut er mit ihr schweigen konnte. Sie mussten kein Gespräch führen, wenn es nichts zu sagen gab oder sie einfach nur ihren Gedanken nachhängen wollten.

Je länger sie zusammensaßen, desto deutlicher wurde ihm jedoch auch bewusst, dass er sich schon vor einiger Zeit von ihr entliebt hatte. Und sie sich von ihm. Keiner von ihnen war in den letzten Jahren unglücklich gewesen, aber da war kein Kribbeln mehr gewesen. Kein Vermissen, wenn sie mal wegen einer Geschäftsreise oder Weiterbildung ein paar Tage getrennt gewesen waren. Keine Dates, keine spontanen Tänze in der Küche, keine Abwechslung im Bett, kaum noch Leidenschaft. Nur die Gewohnheit und ihre Freundschaft hatten sie zusammenbleiben lassen.

»Jonas? Kennst du den Typen da drüben? Er starrt die ganze Zeit hier rüber.«

Er blickte sich im Café um und als er sah, wen sie meinte, hob er die Hand und lächelte Noah an, der mit einem rundlichen Kerl in seinem Alter ein paar Tische entfernt auf einem der Sofas saß und tatsächlich wie gebannt zu ihnen rüberblickte. Er nickte ihm zu, aber da war nicht mal der Anflug eines freundlichen Lächelns.

»Wer ist das?«, wollte Anja wissen.

»Ein Freund meines Nachbarn. Keine Ahnung, warum er so grimmig guckt«, antwortete Jonas schulterzuckend. Allerdings wollte er ihm damit vielleicht signalisieren, dass er nicht geoutet werden wollte. Was hinter geschlossenen Türen passierte, blieb auch dort, das war laut Internetrecherche eine der unausgesprochenen Regeln für BDSMler. Nicht, dass er vorgehabt hätte, irgendetwas zu verraten.

»Ist das der Nachbar mit dem Plakatpapier? Der heiße Nachbar?«

»Anja!« Fassungslos starrte er sie an, bis ihm dämmerte, woher sie ihre Informationen hatte. »Oh Gott, jetzt sag nicht, unsere Tochter findet ihn heiß.«

Sie lachte. »Nein, aber ihre Freundinnen offenbar. Maria hat neulich bei uns übernachtet. Sie hat regelrecht von ihm geschwärmt.«

»Oh Mann.«

Anja kicherte. »Keine Sorge, unsere Tochter fand Marias Schwärmerei eher peinlich. Aber ich gehe davon aus, dass er der Grund ist, warum du mir erzählt hast, dass du bi bist?«

Der Wodka wäre ihm jetzt wirklich sehr gelegen gekommen.

»Du müsstest mal dein Gesicht sehen. Herrlich.«

»Wieso ist mir nie aufgefallen, wie fies du sein kannst?«, fragte er mit heißen Wangen. Insgeheim war er froh, dass sie nicht eifersüchtig war oder ihm eine Szene machte, aber sie amüsierte sich gerade viel zu sehr auf seine Kosten.

»Ich bin nicht fies«, entgegnete Anja entrüstet, bevor sie wieder grinste. »Aber du warst schon immer schlecht im Lügen.«

»Hey, ich hab dich nie belogen!«, stellte Jonas klar.

»Nein, so war das auch nicht gemeint«, ruderte sie schnell zurück. »Tut mir leid. Ich wollte dir nichts unterstellen.«

»Okay«, lenkte er ein, denn er glaubte ihr. »Du reagierst ziemlich cool. Ich weiß nicht, ob ich so gelassen wäre, wenn du mir von einem neuen Partner erzählen würdest. Nicht, dass ich mit Marek zusammen bin oder so. Wir sind wirklich nur Freunde.«

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