Bon - Der letzte Highway

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Hell Ain’t A Bad Place To Be

In einem Pressetext seiner Band The Valentines aus dem Jahr 1969 erklärte Bon, dass seine Liebe vor allem seinen Eltern und seiner Crater Critter gelte. Bei Letzterem handelte es sich um ein Plastikspielzeug, das im Jahr 1968 in Australien den Frühstücksflocken von Kellogg’s beilag. Außerdem begeisterte er sich für rot ausgemalte Räume, Duschen, Schwimmen, langmähnige Blondinen und Sex. Hingegen hasste er es, „beim Denken gestört zu werden“, zu waschen und zu bügeln. Gleichzeitig lieb und ungezogen, was immer man gerade bevorzugte. Es gab nur sehr wenige Vorzeichen in seinem Leben auf das, was nun folgen sollte. Bons Familie war absolut normal. Bon erblickte das Licht der Welt am 9. Juli 1946 als zweiter Sohn von Isabella Cunningham Mitchell (geboren am 18. Februar 1919) und Charles „Chick“ Belford Scott (geboren am 24. August 1917) aus „Ravenscraig“, Roods, Kirriemuir, Schottland13. Sein Geburtsort hieß Forfar und befand sich sieben Meilen südöstlich von Kirriemuir. Im Schlepptau seiner Familie verließ er die alte Heimat auf einem Schiff namens Asturias, das am 5. März 1952 von Southampton aus in Richtung Australien in See stach. Laut den Inward Passenger Manifests erreichte die Asturias 25 Tage später den Hafen von Fremantle in Westaustralien. Die Scotts verfügten nach ihrer Ankunft über 1500 Dollar und brachen gen Osten auf. Bons schottische Herkunft muss ihm etwas bedeutet haben. Die Innenseite seines rechten Unterarms zierte ein Wappen und laut Roy Allen war er stolz darauf, Dudelsack spielen zu können: „Das war vielleicht das Einzige, über das er jemals vor mir prahlte.“ Allerdings hatte er laut Irene „nicht einmal ansatzweise einen schottischen Akzent … er war durch und durch ein Aussie“.14 Charles war 34 und Isa 33. In den Schiffsunterlagen werden ihre Berufe als „Bäcker“ bzw. „Hausfrau“ angegeben. Charles hatte in Kirriemuir 19 Jahre lang als Bäcker gearbeitet und die Familie wurde in ihren Einwanderungspapieren als „V. Good Type Family (2 boys)“ eingestuft. Charles, so stand da, waren in Australien „diverse Jobs angeboten“ worden.

„Master Ronald Belford“, wie Bon in den Unterlagen bezeichnet wurde, war sechs Jahre alt. Sein Bruder Derek war zwei. (Ihr älterer Bruder Alexander war noch vor seinem ersten Geburtstag gestorben.) In ihrem medizinischen Attest wurde Bon als „gut“ und Derek als „durchschnittlich“ eingestuft. Bons jüngster Bruder Graeme sollte ein Jahr später in Australien zur Welt kommen.

Die Scotts wohnten vorübergehend in der Couch Street 89 in Sunshine. Es war das Zuhause von Eleanor Laing, Isas jüngerer Schwester. Dies war derselbe Melbourner Vorort, in dem 1976 der Filmclip für die AC/DC-Single „Jailbreak“ gefilmt werden sollte.

Die Familie lebte vier Jahre lang in Sunshine, wo Bon die örtliche Grundschule besuchte. Nachdem bei Graeme Asthma diagnostiziert wurde, wurde die Familie Scott 1956 dauerhaft im Bundesstaat Western Australia sesshaft. Ihre Adresse lautete von nun an Harvest Road 54, Fremantle. Im Wählerverzeichnis von 1963 gab Chick seinen Beruf als „Installateur“ an.

Als Bon 1977 Amerika unsicher machte, wohnten die Scotts inzwischen in der Rockingham Road 306a in Spearwood – eine so typisch australische Arbeitergegend, wie man sich das nur vorstellen kann. Während seine beiden Brüder durch die Weltgeschichte tingelten, begnügte sich Derek – Glaser von Beruf – damit, mit seiner Ehefrau Valarie ein bescheidenes Zuhause am nahegelegenen Dion Place, Hausnummer 17, in Coolbellup zu beziehen.

Laut dem Wählerverzeichnis arbeitete Chick, als Bon starb, als Lagerarbeiter und Isa als Reinigungskraft. Sie war eine pflichtbewusste und stolze Mutter. Bon erzählte Pattee Bishop, dass Isa sein erstes T-Shirt mit dem AC/DC-Logo aufbewahrte. Allerdings war sie nicht in der Lage gewesen, ihn vor Gewalt auf dem Spielplatz zu beschützen, wie er sich ebenfalls erinnerte.

„Meine neuen Mitschüler drohten, mir die Scheiße aus dem Leib zu prügeln, als sie meinen schottischen Akzent hörten. Sie gaben mir eine Woche, um zu lernen, wie sie zu sprechen, wenn ich in einem Stück bleiben wollte. Natürlich war mir das egal. Keiner drängt mich zu irgendwas. Umso mehr wollte ich auf meine eigene Weise sprechen. Daher habe ich auch meinen Namen, der leitet sich von ‚The Bonny Scot‘ ab, verstehst du?“

Bon ging vorzeitig von der Highschool ab und verließ die örtliche Dudelsack-Kapelle, der er sich 1963 gemeinsam mit seinem Vater angeschlossen hatte und bei der er als Trommler tätig gewesen war. Wie sich Vince Lovegrove erinnerte, sollte der 16-Jährige nun auch zum ersten Mal ernsthaft mit der Obrigkeit in Konflikt geraten: „Er wurde für zwölf Monate der Obhut des Jugendamts unterstellt. Nachdem er verhaftet worden war, gab er einen falschen Namen an, flüchtete, stahl zwölf Gallonen Benzin und fügte der Liste seiner Vergehen noch schnell ungesetzlichen Geschlechtsverkehr hinzu, bevor er erneut verhaftet und in die Jugendstrafanstalt Riverbank überstellt wurde.“

Bons hatte eine andere Version parat: „Ich sang bei einer Tanzveranstaltung in Fremantle ein paar Songs mit einer Band und ein paar Typen machten mir das Leben schwer. Ich sprang von der Bühne und legte mich mit ihnen an. Die Polizei ging dazwischen und zum Schluss stand ich mit einer Anzeige da, weil ich die Bullen angegriffen haben soll. Ich saß elf Monate ein.“

Abhängig davon, wo man nachliest, dauerten Bons „elf Monate“ zwischen neun und zwölf oder gar 18 Monate. Seine Akten sind nicht öffentlich einsehbar. Egal, was nun der Wahrheit entsprach, Bon saß seine Strafe ab – und zwar aus freien Stücken.

„Dieser Vorfall, ja, was ich so schwer an ihm zu erklären finde, sein Fehlverhalten, mit dem er sich selbst oder anderen auf sehr destruktive Weise schadete, das alles begann schon damals. Ihm wurde ja die Möglichkeit gegeben, nach Hause [zu seinen Eltern] zu ziehen“, erzählte mir Silver Smith. „Er bekam diese Chance vom Gericht, aber er hatte keine Lust, seine Eltern zu sehen. Ich glaube, dass es ihm echt peinlich war. Seine Großeltern waren aus Schottland zu Besuch. Damals war es noch richtig teuer zu reisen. Das waren keine wohlhabenden Leute. Sie entstammten der Arbeiterklasse und hatten niedrige Einkommen. Seine Mum schenkte Tee an der Uni aus und sein Dad malochte in einer Keksfabrik. Die Großeltern hatten nun die einmalige Gelegenheit, ihre Enkelkinder zu sehen. Aber Bon war nicht da, weil ihm alles so peinlich war und er lieber in der Besserungsanstalt einsaß. Er bereute es aber – von ganzem Herzen. Schlussendlich sollte er seine Großeltern nie mehr sehen. Sie verstarben, bevor er es nach England schaffte. Diese dumme selbstzerstörerische Ader hatte er also schon vor langer Zeit gehabt. Vielleicht war das einfach eine fatale Schwäche in seiner Psyche.“

In Wahrheit stand Silver, die regelmäßig als kaltherzige Schnalle hingestellt wird, Bons Eltern ziemlich nahe: „Chick und Isa lernten mich zum ersten Mal bei meiner ersten Rückkehr nach Australien an den Docks in Fremantle kennen. Ich wohnte drei Tage lang bei ihnen und genoss es sehr. Ich begriff, warum Bon der zweitbeste Mitbewohner war, den ich je hatte. Das lag an Isa und Chick. Bei ihnen zu wohnen, fühlte sich sehr vertraut an. Das Haus war makellos und größere Anschaffungen für den Haushalt wurden offensichtlich sorgfältig geplant, budgetiert und instandgehalten. Die Schuhe der Jungs wurden immer rechtzeitig repariert. Jeder Dollar wurde höchst sinnvoll investiert. Nichts wurde verschwendet. Ich war beeindruckt, dass Isa Bon so akzeptierte, wie er eben war. Alle drei Jungs schienen sich sehr stark voneinander zu unterscheiden.“

Clinton Walker betont in seiner Biografie, wobei er sich weitgehend auf Silvers Aussagen beruft, dass Bons Verhaftung im Jahr 1963 und seine anschließende Inhaftierung in Riverbank ihn mit einem nachhaltigen Schamgefühl erfüllte. Sein Verlangen, im Musikgeschäft erfolgreich zu sein, war genauso groß wie sein Bedürfnis, seiner Familie für all die Schmach, die er ihnen bereitet hatte, Wiedergutmachung zu leisten. Das entspricht wahrscheinlich der Wahrheit, wenngleich es weit hergeholt erscheint. Die Zeit im Jugendknast hatte ziemlich sicher einen Einfluss darauf, wie der junge Bon sich selbst wahrnahm. Seine Gefühle bezüglich seiner selbst wurden in weiterer Folge durch Fehlschläge in seiner Karriere als Musiker, die er mit den Valentines und Fraternity erlitt, sowie durch sein Scheitern als Ehemann von Irene weiter gefestigt.

Es mutet verführerisch an, die Person, die Bon 1977 war, einer Psychoanalyse zu unterziehen, obwohl man letztlich auf Raterei angewiesen ist. Jedoch lehnt man sich wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man behauptet, dass sich hinter seinem zwanghaften Trinkverhalten eine Art innerer Konflikt verbarg. Enge Freunde berichten von einer massiven Gemütseintrübung, die ihn befiel, vor allem Ende 1979, als er so massiv aus der Spur geriet.

Er war alles andere als nur irgendein dummer Rockstar, der sein Leben an Alk und Drogen verschwendete. Bon war hungrig nach neuen Erfahrungen, ruhelos, außergewöhnlich sensibel und in vielerlei Hinsicht überaus widersprüchlich. Außerdem war er ordentlich und liebte Ordnung, hatte aber andererseits auch kein Problem damit, am unteren Ende eines Treppenaufgangs aufzuwachen. Zwar waren ihm seine Stimmbänder wichtig, doch ansonsten betrieb er massiven Raubbau an seinem Körper. Er war ein versierter Texter und schrieb fleißig Briefe, doch verfasste er seine Lyrics in unbeholfenen Großbuchstaben, und seine Rechtschreibung ließ schwer zu wünschen übrig.15 Sein Seelenleben war undurchdringlich, aber er war stets bereits, seinen Freunden in welcher Lage auch immer zur Seite zu stehen. Auch die Interessen seiner Fans lagen ihm sehr am Herzen. Er wollte berühmt sein, sehnte sich jedoch nach einem Leben abseits der Musik. Bon konnte hinterlistig sein, war aber gleichzeitig selbstlos und großzügig wie nur wenige Menschen. Er profilierte sich als Stimmungskanone, konnte sich aber auch einsam fühlen. Er war ein Romantiker. Es ließ sich nicht bestreiten, dass es die Liebe war, die ihn antrieb – die Vorstellung von Liebe und Verliebtsein. Allerdings fiel es ihm schwer, sich von seinen anderen Vorlieben zu verabschieden, etwa seiner Freiheit, auch im sexuellen Sinn, oder von dem Image, das er in seinem Kopf erschaffen hatte und der Welt präsentierte. Er erzählte Frauen, was sie hören wollten, und änderte seine Geschichten entsprechend den jeweiligen Zuhörern ab. Nicht außergewöhnlich für einen Schürzenjäger. Er vergnügte sich mit Prostituierten. Jemand, der mit Bon bei AC/DC spielte, aber anonym bleiben möchte, verriet mir: „Bon war total schmierig. Dem hätte ich nicht einmal meine Großmutter anvertraut.“

 

So kam es, dass ein Mann, der eine Vielzahl von Frauen am Tag flachlegen konnte und sich mit Begeisterung an Gruppensex beteiligte (eine Frau, die Bon aus Florida kannte, erinnerte sich im Gespräch mit mir daran, wie „buchstäblich zehn Frauen auf den Betten in seinem Hotelzimmer [lagen] und er sie alle durchnagelte“), in der Lage war, etwas so Zartes wie „Love Song“, jenen so gescholtenen Track von AC/DCs erstem Album, dem australischen Release von High Voltage, zu fabrizieren. Dieser Song entstand, so Bon, „um Hausfrauen dazu zu bringen, in ihre Geschirrtücher zu heulen, während sie den Abwasch erledigen, weißt du? Das war die ganze Idee hinter den Lyrics zu diesem Song.“

Malcolm witzelte, dass die Band ihn festband und dazu zwang, „zur Abwechslung mal ein paar anständige, ehrbare Lyrics für uns zu texten“.

Bon hatte zwei unterschiedliche Geschichten darüber auf Lager, wie er zu AC/DC stieß. In der ersten Story erholte er sich im Juli 1974 gerade zu Hause von einem Motorradunfall, den er zwei Monate zuvor in Adelaide gerade mal so überlebt hatte. Sogar im Koma hatte er gelegen. Nun hörte er aber „Can I Sit Next To You Girl“ im Radio.

„Ich hörte den Song und dachte mir: ‚Oh, yeah!‘ Du weißt schon, ich machte gerade sauber, weil meine Frau berufstätig war und ich mich um den Haushalt kümmerte. Ich bringe also das Haus auf Vordermann, weißt du, poliere den Küchentisch und so und singe vor mich hin [singt] Can-I-Sit-Next-To … und der Typ im Radio sagt: ‚Die neueste Band aus Sydney, AC/DC.‘ Ich dachte mir: ‚Ja genau, ein paar Schwuchteln aus Sydney, ganz sicher.‘ Und zwei Wochen später war ich dann derjenige, der sang Can-I-Sit-Next-To …“

In der zweiten Version befand er sich an einer Anlegestelle. Schließlich war Bon handfestem Seemannsgarn alles andere als abgeneigt.

„Ich strich im Hafen von Adelaide Schiffe … wurde dabei alt und grau. Da fragte mich ein Typ namens Dennis Laughlin, der ein alter Freund von mir war und die Band managte, ob ich einen Job bei einer Rock-’n’-Roll-Band annehmen würde. Da dachte ich mir [mit greisenhafter Stimme]: ‚Ich weiß nicht, ob ich das tun kann. Die sehen ja alle ziemlich jung aus.‘ Ich bin ja schließlich schon fast so eine Art Opa … Und plötzlich war ich in dieser Band und machte mir richtig Sorgen, weil diese Jungs erst neunzehn, zwanzig Jahre alt waren und ich mich richtig ranhalten musste, um mithalten zu können. Also kaufte ich mir ein paar ‚Muntermacher‘, und na ja … wir trafen uns und ich konnte tatsächlich mithalten. Ich schleifte sie hierhin und dorthin und zog sie, na ja, runter [lacht].“

Laughlin lud ihn zu einem AC/DC-Gig im Pooraka Hotel in Adelaide ein.

„Die Band betrat in knitterfreien Hemden und so die Bühne. Und da war noch dieser alberne kleine Bastard in Schuluniform [lacht]. Ich stand die erste halbe Stunde, die sie auf der Bühne waren, einfach nur da und lachte.“

Er war ganz „geplättet“ von dem Spektakel, das sich vor seinen Augen abspielte. Allerdings missfiel ihm die Musik: „Mir gefiel nicht, wie sie gespielt wurde.“

Bon räumte ein, „echt heimtückisch“ gehandelt zu haben, und „organisierte einen Hinterhalt“ im Proberaum seines Bandkollegen bei Fraternity, Bruce Howe, in der Prospect Road, „weil die da Ausrüstung im Keller aufgebaut hatten“. Bon spielte Drums, Howe den Bass „und wir hatten den unglaublichsten Jam, weißt du? Es war echt gut“.

Bon, der für eine Agentur, die von Vince Lovegrove betrieben wurde, als Fahrer arbeitete, sagte, dass er sich AC/DC „auf Tour ansah, um herauszufinden, wie sie wirklich waren“, und beschloss schließlich, dem Ganzen eine Chance zu geben. Die Youngs fragten ihn, doch er gab ihnen trotz allem einen Korb und nahm stattdessen einen Job bei Port Adelaide Fertilisers an. Sein medizinisches Attest ergab, dass er sich bester Gesundheit erfreute. Bon sollte gleich am nächsten Tag anfangen, kam aber doch zu dem Schluss: „Nein, das kann ich nicht machen. Ich rief also Dennis an und fragte ihn, ob der Job bei der Band immer noch zu haben wäre [lacht]. Er sagte Ja und ich erklärte ihm, dass er mir 60 Dollar für den Flug schicken sollte, dann würde ich morgen kommen.“

Ihren ersten Sänger Dave Evans durch Bon zu ersetzen, so Grahame Harrison, war die klügste Entscheidung, die die Youngs hätten treffen können.

„Dave Evans war nie der Richtige für die Band. Er strahlte vorne die falsche Art Arroganz aus. Bon war ein vorwitzig-arroganter Partyboy. Brian Johnson wiederum ist ein Autoliebhaber, der einfach nur dasteht und singt und vielleicht mal ein bisschen über die Bühne hüpft. Das ist aber auch schon alles. Dave Evans hingegen war hingegen ein Gockel. Ein richtiger Gockel vorne in der Mitte. Ausnahmslos nach jedem Gig tat Dave, was er wahrscheinlich immer noch am besten kann: Er machte sich zum Vollidioten, indem er sich ein paar Drinks an der Bar gönnte und dann wie ein verdammter Gockel umherstolzierte. Alle dachten sich, was für ein Wichser er wäre. Er war so ein Typ, der dich zwar nicht beleidigte oder so, aber total nervte, indem er einfach nur da war. Mittlerweile nennt er sich ‚Badass‘ Dave. Das ist die Art von Vollarsch, die er nun einmal ist. Von Anfang an, als ich sie das erste Mal sah, war ich der Meinung, dass er sich nicht halten würde. Weil schon damals ziemlich klar war, dass die Band unter der Kontrolle der beiden Gitarristen stand.“

Bon teilte Harrisons Vorbehalte gegenüber Evans: „Er brachte es einfach nicht und außerdem war er irgendwie ein Arsch.“

* * *

Drei Jahre später ruhte sich Bon gerade in einem New Yorker Hotelzimmer aus. Der Malocher-Job, den er bei Port Adelaide Fertilisers hätte antreten können, muss ihm unendlich weit weg vorgekommen sein – weil dem schließlich so war. Er hatte die richtige Entscheidung getroffen, selbst wenn der Starruhm und die damit verbundene finanzielle Sicherheit ihm noch verwehrt blieb.

AC/DCs Touren in Großbritannien und auf dem europäischen Festland waren erfolgreich verlaufen. Ihr aktuelles Album enterte die UK-Charts am 12. November 1977 auf Position #42. Bis zum 10. Dezember war es bereits bis auf Platz #37 gestiegen, womit die Band zum ersten Mal die Top 40 knacken konnte. Allerdings rutschte es anschließend noch vor Weihnachten wieder ab.

Während Earth, Wind & Fire das 35.000 Zuschauer fassende Capital Centre in Landover, Maryland, füllten, machten sich AC/DC auf den Weg, um den winterlichen Abschnitt ihrer Let There Be Rock-Tour zu absolvieren, auf dem sie als Vorband in kleineren Konzertsälen im Nordosten, Südosten und Mittleren Westen auftraten. Im Anschluss daran kehrten sie nach New York zurück, wo sie Live From The Atlantic Studios aufnehmen sollten, einen ausschließlich als Promo gedachten Release, der 1978 kurz vor der Veröffentlichung von Powerage ausgeliefert wurde, in der Hoffnung, Radiosender würden die Scheibe komplett spielen.

Silver Smith verbrachte etwas Zeit mit Bon auf Tour in den USA, bevor sie sich 1978 im Motel Coogee in Sydney trennten. Es war ihre Entscheidung und Bon war nicht sonderlich glücklich darüber.

„Ich wollte ein Leben. Ich hatte keine Lust, irgendjemandes Aufpasser zu sein. Mit Bon fühlte man sich nie auch nur annähernd sicher. Man konnte nie voraussehen, was er tun würde. Irgendein Scheiß würde passieren, der einem vermutlich gar nicht recht wäre. Ab und an tat er einfach dumme Dinge und konnte nicht erklären, warum. Ihm war der Schaden, den er anrichtete, durchaus bewusst. Ich hatte bereits unter den Dingen zu leiden, die Bon ohne zu trinken tat und die ziemlich ernste Konsequenzen nach sich zogen. Er war ja nicht die ganze Zeit so. Man wusste einfach nie, wann er etwas richtig Saudummes anstellen würde, dass er nicht erklären konnte. Er konnte dir keinen Grund nennen und es ließ sich nicht leugnen, dass es ziemlich katastrophal war. Diese Dinge konnten Auswirkungen auf dein Leben haben. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es funktionieren sollte. Nicht so, wie ihm das vorschwebte. Es war einfach nicht machbar. Ich wollte bloß mein eigenes Leben zurück und herausfinden, ob es das war, was ich mir wirklich wünschte. Ob ich bereit war, das in Angriff zu nehmen. Für Irene muss es dasselbe gewesen sein. Richtig schwierig eben. Du versuchst, all die schwierigen Dinge zu erledigen, normales Zeug eben, und Bon tat einfach das, wofür man ihn kannte [lacht]. Er wollte mir zwölf Monate Raum für mich geben und ich ihm auch. Aber natürlich gab er mir dann doch keine zwölf Monate. Nicht einmal drei [lacht]. Als ich nach London zurückkehrte, war er bereits einen Monat dort und hatte auf der Suche nach mir jeden, den ich kannte, in den Wahnsinn getrieben. Ich fühlte mich verfolgt und blamiert und wollte mich nur noch verstecken.“

Sie schätzte, dass Bon ihr insgesamt „dreihundert oder vierhundert Briefe sowie fünfzig oder sechzig Telegramme“ schrieb, die leider alle verloren gegangen sind.

* * *

Bon, dem lediglich ein geringfügiges Taschengeld zur Verfügung stand, konnte es sich nicht leisten, Silvers Reisekosten für die Tour durch Amerika zu stemmen – und die Youngs trugen sicherlich nichts dazu bei. Sie standen ihr misstrauisch, wenn nicht sogar feindselig gegenüber. Also zahlte sie selbst.

Von New York aus reiste sie nach Milwaukee, wo sie Pattee Bishops Freundin und Cliff Williams’ Geliebte, die inzwischen verstorbene Candy Pedroza traf: „Ein halb mexikanisches, halb italienisches Knallbonbon … ein heißer Feger.“

Von Candy, der Exfreundin von Ken Jones, dem Tourmanager der Kinks, sowie Steve Marriott von Humble Pie, wusste man, dass sie Heroin konsumierte. Nach ihrem ersten Treffen mit Cliff in Florida hatten sich die beiden in Chicago wiedergetroffen. Candy und Silver verbrachten danach ein paar Tage zusammen in Chicago, bevor Silver widerwillig nach Manhattan zurückkehrte, das „damals ein echtes Scheißkaff war“. Bon und sie stiegen an ihrem letzten gemeinsamen Abend in New York im Holiday Inn in der West 57th Street ab und beschlossen, das Nachtleben der Stadt zu erkunden.

„Bon und ich versuchten in der eisigen Kälte das CBGBs zu finden, wo sechs traurige Säufer an der Bar abhingen.“

Im Mid-South Coliseum in Memphis, Tennessee, eröffneten AC/DC für die angesagteste Live-Attraktion des Landes, Kiss, den Abend vor 12.000 Zuschauern. Das taten sie auch am darauffolgenden Abend in Indianapolis, Indiana, wo auch Silver im Publikum saß, bevor sie sich via Kalifornien nach Australien begab, sowie noch ein drittes Mal in Louisville, Kentucky. Für die Shows in Indianapolis und Louisville erhielt die Band jeweils 1000 Dollar. Der lokale Radiosender WLRS bewarb das Konzert in Louisville als „The Show of Shows!“ und AC/DC waren entschlossen, vor ihrem bis dahin größten Publikum mit über 18.000 Zuschauern dem Headliner die Schau zu stehlen.

„Das Publikum war von beiden Bands vollauf begeistert“, schrieb das Courier-Journal. „Es fuhr total auf ein kleines elektronisches Gerät ab, mit dem eine Note auf der Gitarre gedehnt werden konnte, nachdem die Saite angespielt und die Hand von der Gitarre weggezogen war. In Louisville geht das bei einem Rockkonzert als Virtuosität durch.“

AC/DCs winterliche Tour endete mit zwei Shows Ende des Monats. In Largo, Maryland, sprangen sie als Vorband von Kiss für Bob Seger und die Silver Bullet Band ein. In Pittsburgh teilten sie sich hingegen die Bühne mit Blue Öyster Cult.

Als das Spektakel vorüber war, so erinnerte sich Barry Taylor, zerstreuten sich die fünf Trucks und die 50 Mann starke Crew in alle Windrichtungen.

* * *

In Greensboro, North Carolina, spielten AC/DC ihr allererstes Konzert mit Cheap Trick aus Illinois. Peinlicherweise war der Name der australischen Band falsch buchstabiert: AC/BC.

 

„Beide Bands befanden sich in ihren Karrieren in einer ähnlichen Position“, erzählt Cheap Tricks Drummer Bun E. Carlos, der im Jahr 2016 in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurde. „Wir hatten beide ausgemachte Knalltüten als Leadgitarristen, coole Sänger und rockende Bassisten und Schlagzeuger. Beide Bands tourten sich den Arsch ab. Cheap Trick waren live ein wenig härter als auf Platte. Bon wirkte stets wie ein gewöhnlicher, hart rockender Typ, der jederzeit für einen Spaß zu haben war. Das einzige Gesundheitsproblem, das uns auffiel, war seine exzessive Trinkerei in seinem letzten Lebensjahr. Leider überraschte sein Tod niemanden.“

Kümmerte sich AC/DCs Management ausreichend darum, dass Bon sein Alkoholproblem in den Griff bekommen konnte? War dem Rest der Band bewusst, wie schlimm es um ihn stand?

„Niemand schien irgendetwas gegen seinen Suff zu unternehmen, aber das war damals nicht ungewöhnlich. Niemand hatte was von Entzugskliniken, Babysittern oder ähnlichen Dingen gehört. Das Management war irgendein Typ in Anzug, der sich in L. A. oder New York City blicken ließ.“

Laut Silver Smith kam Bon ein Entzug nie in den Sinn. „Nein, soweit ich weiß, hat er das nie versucht“, sagte sie. „Ich war ziemlich ignorant und wusste bis Mitte der Achtziger nicht einmal, dass es so etwas überhaupt gibt.“

„Ein Entzug stand nicht im Raum“, sagt Mick Jones. „Die Anonymen Alkoholiker? Was zum Geier ist das denn, bitte? Das stand wirklich nicht zur Debatte. Es hieß nur, dass man sich trockenlegen oder irgendwo hingehen musste. Ich tat das auch. Ich begab mich manchmal für drei oder vier Wochen in eine erholsame Umgebung, vielleicht eine Gesundheitsfarm oder so, was ja irgendwie in dieselbe Richtung wie eine Entziehungskur geht.“

Bis Jones dem Trinken abschwor, begegnete er den Anonymen Alkoholikern misstrauisch.

„Wann auch immer ich AA-Leuten über den Weg lief, dachte ich mir: ‚Uuuuh, zieht bloß Leine.‘ Als wären sie der Teufel oder so.“

Gab es eine Intervention?

„Nein. Anscheinend waren viele geplant [lacht]. Aber irgendwann kümmerte ich mich aus eigenem Antrieb darum. Ein Freund organsierte etwas für mich und ich flog in die Karibik. Das war die besten Entscheidung meines Lebens. Das hat mir das Leben gerettet. Ich wollte wohl den Traum eines lasterhaften Daseins ausleben, Starruhm, all diese Dinge eben, die einen in große Schwierigkeiten bringen. Ich begriff, dass ich die Beziehung zu meiner Familie und alles andere auch aufs Spiel setzte. Alles, was ich hätte verlieren können, hätte ich auch verloren. Zunächst hätte ich mal mein Leben verloren. Darauf wäre alles über kurz oder lang hinausgelaufen. Ich habe gesehen, wie das vielen Menschen zustieß, auch Bon. Bon war eines der frühen Opfer in unserer Generation in den Siebzigern, am Übergang zu den Achtzigern. Tragisch. Musiker sind sehr sensible Leute. Es ist nicht unbedingt der Hunger oder Macht oder Geld, was sie antreibt. Es geht mehr um den Ruhm. Um dieses Gefühl auf der Bühne, wenn du dich mit all diesen Leuten da draußen in Verbindung setzt und Unmengen von Menschen berührst. Und irgendwie versucht man, diesen Traum am Leben zu erhalten, auch wenn man es nicht mehr wirklich auf die Reihe bekommt. Ich kann mich an so viele Male erinnern, als ich mir vornahm, etwas zu unternehmen, aber nach ein paar Tagen der Enthaltsamkeit dachte ich mir: ‚Ach, ich habe seit fünf Tagen nichts mehr getrunken, ich habe es mir verdient, dieses Wochenende so richtig die Sau rauszulassen.‘ Das war ein sich stets wiederholender Kreislauf. Du weißt schon, des Leugnens eben. Ein Alkoholiker kann sich nicht auf nur einen Drink oder eine Droge oder was auch immer beschränken. Ich wusste, wenn ich meinen Scheiß nicht geordnet bekäme, würde ich die Musik bleiben lassen müssen.“

Diese Kultur des Leugnens war auch bei AC/DC nicht ganz unbekannt.

„So wie er sich hielt, hätte man glauben können, dass Bon Scott unsterblich wäre“, sagte Angus Young. „Er soff wie ein Loch und am nächsten Morgen sah er überhaupt nicht mitgenommen aus. Du fragtest dich dann, wie er das nur schaffte.“

Eine wirklich gute Frage.

13 Oft liest man auch, dass Bons Mutter Isabelle oder Isobelle hieß – auf Bons Geburtsurkunde steht zum Beispiel „Isabelle“ –, obwohl ihre Einwanderungs- und Wahlunterlagen sie korrekterweise als Isabella identifizieren. Auch auf ihrer Gedenkplakette auf dem Fremantle Cemetery steht es so. Ravenscraig wird in Walkers Biografie fälschlicherweise „Raymondscraig“ genannt. Dabei handelt es sich um ein Schloss aus dem 15. Jahrhundert in Isas Heimatort Kirkcaldy.

14 John Fyfe, ein AC/DC-Fan aus Forfar, sagt: „Bons Berühmtheit wird in Forfar zumeist übersehen. Kirriemuir hat ihn sich unter den Nagel gerissen. Zwar ist er in Forfar geboren, doch wohnte er in Kirrie. Dort lebten auch seine Großeltern. Die Gedenktafel zu seinen Ehren befindet sich in Kirriemuir. Da steht sogar drauf, dass er in Kirriemuir – und eben nicht in Forfar – geboren wäre. Also nimmt man dort jetzt sogar für sich in Anspruch, sein Geburtsort zu sein. Ein paar Kumpels und ich erinnern sie immer wieder mal daran, dass er in Forfar geboren ist, aber das stößt auf taube Ohren.“ Er weist darauf hin, dass zwischen den Youngs und Bon ein Riesenunterschied besteht. „Ich kann den Glasgow-Scheiß nicht ernst nehmen. Das tue ich zum Teil, weil Glasgower voller Komplexe sind. Ich meine ja nur, fuck me, es gibt einen Unterschied – und zwar einen gewaltigen – zwischen Schotten von der Ost- und Westküste, wie man etwa an Bon und den Youngs erkennen kann. Bon verkörpert genau das, was man von jemandem, der in Forfar geboren ist und von Leuten aus Kirrie aufgezogen wurde, erwartet: locker drauf, nicht zu sehr auf das bedacht, was die Leute von ihm halten, selbstsicher. Es ist typisch, dass seine Eltern das neue Land als eine Möglichkeit für ein besseres Leben ansahen, ohne dabei zu anmaßend zu sein. Bei den Youngs finden sich einige Aspekte der Glasgow-Mentalität. Aber die haben auch so ein Rad ab. Jemand aus einer ländlichen schottischen Gemeinde könnte jemandem aus der Großstadt in puncto ‚angepisst sein‘ immer noch eine Lektion erteilen. Tun wir aber nicht. Aber, wie Bon zeigte, haben wir das sehr wohl drauf – wenn es uns ‚angemessen‘ erscheint. Aber eben nicht die ganze verdammte Zeit.“

Am 30. April 2016 wurde in Kirriemuir eine Statue von Bon errichtet. Sie wurde zur Gänze von Fans finanziert. Die Inschrift bezeichnet ihn als „Jungen aus Kirriemuir“.

15 „Er schrieb in Blockschrift, wie ein Kind“, erzählt Pattee Bishop. „Seine Handschrift bestand nur aus Großbuchstaben. Er saß am Pool und schrieb Listen. Sein Koffer war immer fein säuberlich gepackt. Er war ein Sauberkeitsfanatiker. Außerdem hatte er einen Notizblock, auf dem er die Namen von Freundinnen notierte … Ich sah Tourdaten und Zeichnungen. Ich bin mir nicht sicher, was er alles niederschrieb, ich sah nur die großen Blockbuchstaben, die er verwendete.“