Bon - Der letzte Highway

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Overdose

Im Februar 2016 wurde mir Silver Smith durch einen gemeinsamen Freund vorgestellt. Bei diesem Freund handelte es sich um den jungen westaustralischen Autor J. P. Quinton, der sich in seinem Roman Bad Boy Boogie mit Bon beschäftigte. Es war extrem schwierig, ihre Fährte aufzunehmen, da sie sich vollständig zurückgezogen hatte.

„Ich lebe schon seit geraumer Zeit als Einsiedlerin“, gestand sie ohne Umschweife. Außerdem litt sie an einer schweren Krankheit, die sie selbst als „genetische Schwermetallvergiftung“ beschrieb. Es könnte aber auch etwas anderes gewesen sein. Allerdings hatte ich keine Ahnung, dass sie nur noch wenige Monate zu leben hätte. Nach ihrem Tod enthüllte ihr Sohn, dass ihr eine unheilbare Krebserkrankung diagnostiziert worden war.

„Ich leide an einem genetischen Gebrechen, zu dessen auffälligsten Symptomen chronische Erschöpfung gehört. Ich bringe nicht viel zuwege, weil das Klima in der Gegend hier so extrem ist und mich ordentlich mitnimmt. Allerdings kann ich es mir nicht leisten, woandershin zu ziehen. Also kümmere ich mich, wenn es mir gut geht, um mich selbst, meine Hunde und meinen Garten. Und wenn es mir nicht gut geht, verfällt eben alles.“

Mein erster Eindruck von Silver war, dass sie viel fröhlicher, wortgewandter und intelligenter war als die herzlose, zahnlose, heroinsüchtige Hexe, als die sie im Internet von AC/DC-Fans dargestellt wird, die beschlossen haben, ihr die Schuld an Bons Tod zu geben und sie auf schändliche Weise als „widerwärtige Junkie-Braut“, „zwielichtiges Stück Scheiße“, „diebische, mit Drogen dealende Schlampe“, „ekliges drogensüchtiges Weibsstück“ und noch vieles mehr bezeichnet haben. Bon-Scott-Biograf Clinton Walker nannte sie einst im australischen Rolling Stone eine „Nutte“. Mir gegenüber verhielt sie sich außerordentlich höflich, sogar überaus liebenswert. Sie sprach angeregt über Bücher. Mittlerweile im Ruhestand, hatte sie viele Jahre „im öffentlichen Dienst sowie für NGOs und Gewerkschaften im Bereich Gesundheit und Bildung“ gearbeitet sowie im tertiären Bildungsbereich unterrichtet.

„Ich habe online ein paar echt irre Dinge über mich gelesen. Aber es gibt mir großen Halt, dass diejenigen meiner Freunde, die noch am Leben sind und mich seit fünfzig Jahren kennen, dem ganzen Blödsinn keinen Glauben schenken und mich vehement in Schutz nehmen.“

Silvers geheimnisvolle Aura wird auch dadurch genährt, dass bis zur Veröffentlichung dieses Buches nur ein Foto von Bon und ihr im Umlauf war, das Graeme Scott in ihrer Wohnung in Kensington, London, schoss und Silver nicht wirklich schmeichelte. Es wurde in Walkers Biografie abgedruckt.

„Das Foto entstand um circa sechs Uhr morgens. Bon war wach und startklar, weil er auf Tour ging … Graeme war zu Besuch. Bon wollte das Foto für seine Mum. Ich wollte nicht, dass Graeme es schoss. Schließlich war ich gerade erst aufgestanden und hatte mich noch nicht angezogen. Ich trug einen Bademantel, da fühlst du dich eben ungeschützt. Weder trug ich Make-up noch hatte ich mich gekämmt. Auch die Zähne hatte ich mir noch nicht geputzt. Ich wollte echt nicht fotografiert werden. Egal, Graeme schickte es Bons Mutter, die es wiederum an Clinton weitergereicht haben dürfte. Das ist echt schade. Von allen Fotos, die von mir in meinem Leben geschossen wurden, musste es ausgerechnet eines von jenen sein, die ich am meisten hasse. Du bist der Erste, dem gegenüber ich es eingestehe, dass ich das bin. Aber ja, es stimmt.“

* * *

Silver wuchs auf, ohne ihre leiblichen Eltern zu kennen. Entgegen dem gängigen Gerücht war ihr Vater nicht der Chefredakteur der Londoner Times.

„Ich kenne meinen biologischen Vater nicht und wusste bis vor fünfzehn Jahren auch nichts über meine biologische Mutter … Für mich sind die Leute, die mich aufgezogen haben, meine richtige Familie. Mein Dad war ein Büroangestellter bei der Bahn und ich wuchs streng katholisch in kleinen Städten auf dem Land auf.“

Zierlich und mit einem messerscharfen Verstand gesegnet, schwarzhaarig, blauäugig, schlank und eine ungewöhnliche Weltgewandtheit ausstrahlend – es verwundert wirklich nicht, dass Bon so auf Silver abfuhr.

„Ich war nie schön und als Kind sogar richtig gewöhnlich … In meinem Gesicht hatte ich ungefähr ein halbes Dutzend Narben, die aus der Nähe gut sichtbar waren. Ich war klein gewachsen, hatte aber meinen eigenen Stil. Als ich schließlich meine Teenager-Zeit hinter mir ließ, verfügte ich über ein sehr gutes Gespür dafür, was mir stand. Bon sagte, dass er meine Augen mochte und dass ich wie eine weiße Tina Turner sang und tanzte. Aber ich glaube, dass das, was ich in meinem Kopf hatte, den Ausschlag gab. Das erklärt auch, warum mich so viele besondere Leute als ihre Freundin und Vertraute mochten.“

Sie hatte in den späten Sechzigern den Titel der Miss Beach Girl South Australia erobert und jobbte eine Zeit lang – abseits ihres Brotberufs beim Finanzamt – als Model und exotische Tänzerin im Nachtclub Trocadero in Adelaide.

„Ich war keine Stripperin, sondern tanzte in hauchdünnen Schleiern mit einem sehr zahmen Teppichpython. Außerdem trug ich noch einen Bodystocking und wurde à la Veruschka mit psychedelischen Farben angemalt. Adelaide war damals sehr, sehr zahm – mal abgesehen von den Hippies. Die Model-Aufträge waren bloß für Fotoanzeigen eines Kaufhauses.“

1970 heiratete sie den inzwischen verstorbenen Graeme Smith, einen Gehörspezialisten und Psychologen, dessen Nachnamen sie annahm. Doch ihre Verbindung war keine ernsthafte Liebesbeziehung. Ihre Ehe wurde 1975 geschieden.

„Wir heirateten, weil man ihn einziehen wollte. So vermied er es, nach Vietnam zu müssen. Mein allergrößter Schulschwarm war bereits nach Vietnam eingezogen worden und der liebste, smarteste Junge aus meiner Schule saß im Gefängnis, weil er sich auf sein Gewissen berufen hatte. Was für eine beschissene Vergeudung.“

Als Silver Anfang der Siebzigerjahre Bon kennenlernte, arbeitete sie an der philosophischen Fakultät der Flinders University. „Das war einer der besten Jobs, die ich je hatte, weil ich dort so viel lernte. In den Jahren, bevor Frauen denselben Lohn wie Männer erhielten, arbeitete ich den ganzen Tag in irgendwelchen staatlichen Büros. Ein paar Jahre lang jobbte ich auch als Frühstücks- bzw. Abendkellnerin bei Travelodge. Ich sparte, um auf Reisen gehen zu können. Ich arbeitete als Stenografin und Kellnerin, um mir winzige, aber gut eingerichtete Wohnungen in London und San Francisco leisten zu können, da ich keine Lust auf ein möbliertes Zimmer hatte, wo ich mir mit Fremden ein dreckiges Badezimmer hätte teilen müssen.“

Es wird weithin angenommen, dass Silver bereits in Adelaide eine Affäre mit Bon hatte, als er noch mit Irene Thornton verheiratet war, obwohl es dafür keinerlei Beweise gibt. In ihrem Buch My Bon Scott schreibt Irene: „Ich weiß nicht, ob das schon losging, als Bon und ich noch zusammen waren.“ Im Gespräch mit mir stritt Silver kategorisch ab, dass Bon Ehebruch begangen hatte, obwohl das auf sie sehr wohl zutraf, da sie damals noch mit Graeme Smith verheiratet war.

„Es war nur sehr kurz. Unter Hippies nannte man so etwas auch nicht ‚Affäre‘. Jeder hatte kleine Techtelmechtel, wenn einem danach war. In Adelaide kannte jeder jeden … Das, was zwischen Bon und mir in Adelaide lief, war wirklich von sehr kurzer Dauer. Da sah ich ihn zum ersten Mal Dinge tun, über die ich nicht sprechen möchte, aber ich dachte mir, wow, mit diesem Typen stimmt irgendetwas nicht.“

Sie sagte, Bons Verhalten hätte sich definitiv auf die Beziehung seiner Familie zu ihm ausgewirkt: „Bon erlaubte sich einen Fauxpas, der jeglicher normalen Beziehung zwischen ihnen einen Riegel vorschob.“

Doch hatte er etwas Besonderes an sich.

„Der Grund, warum Bon trotz seines fragwürdigen Kleidungsstils so gut bei den Frauen ankam, war, dass er sie wirklich mochte. Das war damals ungewöhnlich. Ich hatte zwar im Verlauf der Highschool vier gute Freunde, aber die meisten Jungs oder Männer ließen sich in zwei Kategorien einteilen: in diejenigen, die Frauen als Feinde ansahen, sowie jene, denen Frauen eine Heidenangst einjagten. Bon fühlte sich immer schon wohl mit Frauen und behandelte sie mit Respekt und Zuneigung.“

Sie und Bon bändelten erneut an, als AC/DC 1976 ihren ersten Gig in London im Red Cow in Hammersmith spielten. Die finster dreinblickenden, eigenbrötlerischen, Comics lesenden Youngs begegneten ihr mit Skepsis. Silver erzählte mir, dass sie ihr schon bei ihrem ersten Aufeinandertreffen im Tour-Van der Band das Gefühl vermittelten, nicht willkommen zu sein. Sie sah die Band in der weiteren Folge weniger als ein Dutzend Mal live spielen. Sie und Bon zogen es vor, sich in ihr Apartment zurückzuziehen, wo sie Bücher lasen und Platten hörten.

„Als Bon anfing, mich in London zu besuchen, lebte ich gewiss nicht in einer Luxuswohnung. Mir standen gerade einmal ein Zimmer und ein Badezimmer zur Verfügung. Ich wohnte in der Gloucester Road, nahe der U-Bahn in South Kensington. Außer einem Kühlschrank und einer Matratze besaß ich kein Mobiliar, weil ich erst vor Kurzem eingezogen war.“

Silver kümmerte sich um Bons Bildung, die eher rudimentär ausgeprägt war. (Eine seiner Exfreundinnen beschrieb ihn mir als „eher schlichten Typen aus dem australischen Hinterland“.) Sie deckte ihn mit ziemlich niveauvollem Lesestoff für seine Touren ein. So las er Bücher von Autorinnen und Autoren wie Doris Lessing, Anaïs Nin, Colette, Anthony Trollope, Samuel Pepys oder Joseph Conrad. Zu seinen Favoriten zählten Colettes Chéri- und Claudine-Romanreihen sowie Lessings Science-Fiction-Erzählungen Die Memoiren einer Überlebenden und Die Ehen zwischen den Zonen Drei, Vier und Fünf. Fernab des kulturell verkümmerten Ambientes rund um AC/DC bot Wohnung 9 in der Gloucester Road 96 Bon eine Art Zufluchtsort, in dem er auch auf andere interessante Zeitgenossen traf. Silver war etwa mit einem jungen Börsenmakler namens Kenneth Moss befreundet, einem Selfmade-Millionär, der mithilfe seiner eigenen Flugzeuge, einer Douglas DC-8 und einer Convair 880, unter dem Firmennamen Freelandia Billigflugreisen anbot, womit dieser Hippie im Prinzip den Weg für Richards Bransons Virgin Airlines ebnete. Von Problemen heimgesucht, stellte er jedoch 1974 bereits nach einem Jahr den Flugbetrieb wieder ein. Bei einer von Moss’ ausschweifenden Partys im September 1974 zog sich der Drummer der Average White Band Robbie McIntosh ein Pulver, das er für Kokain hielt, durch die Nase. Dabei handelte es sich aber um Heroin. Er verstarb schließlich im Howard Johnson Motel in North Hollywood.

 

Dem Bassisten derselben Band, Alan Gorrie, der ebenfalls diese Substanz geschnupft hatte, rettete Cher das Leben. Da er im Verdacht stand, das Heroin bereitgestellt zu haben, sah sich Moss mit einer Anklage wegen Mordes konfrontiert. Er bekannte sich schließlich der fahrlässigen Tötung für schuldig und musste eine Haftstrafe von 120 Tagen im Bezirksgefängnis absitzen. Seine Bewährungsfrist endete nach vier Jahren.

„Ich wohnte 1974 bei Kenneth in Los Angeles und bei seinen Freunden in Sausalito“, erzählte Silver. „Das war eine traumatische und gefährliche Zeit für ihn. Fast alle wandten sich von ihm ab. Mein Wissen über und meine Leidenschaft für Musik öffnete mir viele Türen in Kalifornien und England. Ein paar meiner Kontakte waren reich, ein paar eher weniger.“

Darunter befanden sich auch Phil Lynott, der ebenfalls Heroin konsumierte und auf dessen Track „Girls“ von seinem Soloalbum Solo In Soho Silvers Sprechstimme zu hören war, der Bankier und Antiquar Milo Cripps alias Lord Parmoor sowie die Rolling Stones. Silver hatte Keith Richards in seinem Hotel in Adelaide kennengelernt, als die Stones durch Australien tourten. Es wurde lange vermutet, dass Bon mit ihnen abhing, als sie 1978 in Paris ihr Album Some Girls einspielten, doch widersprach Silver diesen Gerüchten.

„Keith Richards traf nie in meiner Anwesenheit auf Bon. Ron Wood und Bon liefen sich in einem Aufnahmestudio in Paris mal über den Weg und sagten kurz Hallo zueinander, bevor eine französische Band namens Trust Bon erkannte und ihn in ein Studio entführten, wo sie einen seiner Songs aufnahmen. Ich begleitete Ron und [den persönlichen Assistenten der Stones] Frank Foy ins Studio, wo die Stones sich mit den Tontechnikern eine Aufnahme anhörten … Ich habe mit Keith nie ‚einen draufgemacht‘. Das hat Bon verzapft … Wir führten ein paar längere Vieraugengespräche und aßen zusammen.“

Kauften die Stones Heroin von dir?

„Nein. Ich kannte Ron [Wood] ein paar Jahre lang richtig gut und war eine Bekannte von Keith, der damals, als ich ihn im London der Siebziger traf, eigentlich nur Gras rauchte … Als er noch immense Mengen Heroin konsumierte, kannte ich ihn noch gar nicht.“

Silver vermutete, dass diese zeitlich begrenzten Kontakte zur Hautevolee die Grundlage für ihre unfaire Darstellung in Walkers Buch darstellten. „Es gab ein paar wenige reiche Männer in Lauerstellung. Mir gingen die reichen Männer jedenfalls nicht aus“, wurde sie darin zitiert. Walker interpretierte das so, als hätte sie sich von reichen Gönnern aushalten lassen. Auch Irene Thornton wiederholte in ihren Memoiren fälschlicherweise diese Anschuldigungen. Silver war der Auffassung, dass Irene diesen Eindruck von Walkers Buch übernommen haben musste. Obwohl sie zugab, selbst Heroin konsumiert zu haben, und auch die Möglichkeit einräumte, dass Bon dies ebenfalls tat, bestand sie doch bis zu ihrem Lebensende darauf, dass die Vermutung, er wäre an jenem düsteren Tag im Februar 1980 an einer Überdosis und nicht an Alkoholvergiftung gestorben, schlichtweg falsch wäre.

„Dieser Mythos ist doch schon ausführlich widerlegt worden, oder? Glauben manche Leute immer noch, dass die Ärzte im Krankenhaus – die ja nicht wussten, das Bon irgendjemand Besonderes war – sowie das Untersuchungsgericht, die Medien und die Mafia rund um Alberts und die Youngs alle in eine Verschwörung verwickelt waren? Ich war im Krankenhaus und bei der Untersuchung der Todesursache dabei, und das ist die ganze Wahrheit.“

Tatsächlich?

* * *

Grahame „Yogi“ Harrison verbrachte vier Jahre als Tontechniker mit Rose Tattoo, bevor er fünf Jahre für Buffalo – die australischen Black Sabbath – arbeitete. In diese Zeit fiel auch eine Australientour mit Geordie mitsamt deren Frontmann, einem gewissen Brian Johnson. Heute ist Harrison über 60 und betreut immer noch Touren als Tontechniker und Tourmanager. 1977 arbeitete er in Sydney für AC/DC als Tontechniker. Er lernte Bon („ein absoluter Partytiger, ein extrem freundlicher Typ“) kennen, als sie einander im Bondi Life­saver trafen, einer Venue in Sydneys Osten, die 1980 endgültig schloss. Harrison lebte unweit der Location, „deshalb musste ich auch nur den Hügel hinunterrollen, um nach Hause zu gelangen“. Er sagt, dass Bon und der inzwischen ebenfalls verstorbene Drummer von Rose Tattoo und Heroin-Konsument Dallas „Digger“ Royall aus demselben Holz geschnitzt waren. Tatsächlich ähnelten sie sich so stark, dass sie „Brüder hätten sein können, Mann“. Royall verstarb 1991.

„Das Bondi Lifesaver war für viele von uns für eine lange Zeit in den Siebzigern wie ein zweites Zuhause. Wir arbeiteten dort ziemlich viel, der Großteil der Crew und die Bands auch. Es war außerdem unser Treffpunkt. Bon war klasse. Er war mit Abstand das zugänglichste Mitglied von AC/DC und außerdem durch und durch gutmütig. Wenn dem nicht so war, dann versteckte er das ziemlich gut.“

Allerdings plagten ihn Probleme, die schon damals offenkundig waren.

„Bon zog sich alles rein, was nur irgendwie zu haben war. Er konnte sich richtig ernsthaft volllaufen lassen. Was Bon betrifft, so denke ich, dass er einen großen Teil seines Muts aus dem Alkohol bezog. Typen wie Bon Scott und [der verstorbene Leadsänger von Dragon] Marc Hunter tragen meiner Meinung nach viel Ballast mit sich durch die Gegend, wenn sie die Schule hinter sich lassen – egal, ob sie dort nun gemobbt, ausgelacht oder sonst was wurden. Ihnen fehlt die Selbstsicherheit, sich aufzuraffen und zu tun, was sie eben tun – aber sie sind in der Lage dazu, wenn sie sich erst mal Mut angetrunken haben. Meine Generation nennt das ‚niederländische Courage‘. Das wird dann zu einer lebenslangen Angewohnheit, da man sich ohne nicht so fühlt, als würde man den Anforderungen gerecht werden können. Bon benutzte Alkohol wie eine Krücke. Ich würde sagen, dass sich das mit den Drogen ebenso verhielt. Denn je zugedröhnter er war, desto mehr fühlte er sich wahrscheinlich, als würde er alles unter Kontrolle haben. Was auch immer an ihm nagen mochte, er und auch Marc Hunter und noch ein paar andere gingen das Problem falsch an. Es hat sie beide schließlich umgebracht.“

War dir klar, dass Bon Heroin konsumierte?

„Yeah, davon wussten wir. Es gab ein paar Leute im Geschäft, die so drauf waren. Ich habe im Verlauf der Jahre gesehen, wie viele – zu viele – von ihnen daran krepierten oder komplett entgleisten. In Bons Fall bin ich der Meinung, dass er alles ausprobiert hätte, was man ihm zuspielte, nur um zu sehen, was es mit ihm macht. Ich glaube nicht, dass er sich bewusst auf die Suche nach Heroin machte. So wie das Rock-’n’-Roll-Geschäft nun einmal war, stand es ihm womöglich einfach zur Verfügung. Und Bon – so wie er nun einmal gestrickt war – dachte sich [imitiert Bons Stimme]: ‚Ich zieh mir das rein. Mal sehen, was da abgeht.‘ Als ob er so eine Art wandelndes menschliches Experiment gewesen wäre: ‚Ich bin gespannt, was das mit mir anstellt.‘ Heroin hat viele Vertreter des Rock-’n’-Roll-Business auf dem Gewissen – darunter eben auch Bon und Marc Hunter. Da kann man einige Mutmaßungen anstellen. Wenn ich ehrlich sein soll, glaube ich, dass Bon an der Kombination seiner gesammelten Lebensumstände starb. So sehe ich das. Ganz egal, wovon er sich Trost und Schaffenskraft versprach oder was auch immer er mit seinem Bedürfnis, ständig weggetreten zu sein, bezweckte – was ihn letztendlich zur Strecke brachte, war die Tatsache, dass es so aus dem Ruder lief. Er war nicht länger in der Lage, diesen Bestandteil seiner Persönlichkeit abzuschütteln, und musste immense Dosen zu sich nehmen, da weniger für ihn einfach nicht mehr funktionierte. Es würde mich nicht überraschen, wenn Bon an einer Überdosis Heroin gestorben wäre. Allerdings wäre ich sehr wohl überrascht, wenn nicht noch mehr im Spiel gewesen wäre.“

* * *

Angus und Malcolm Young haben sich zwar nie zu Bons angeblichen Überdosen in den Jahren 1975 und 1976 geäußert, doch die leidige Frage, inwieweit sein Arbeitsplatz gesichert war, sollte bald ein bestimmendes Thema innerhalb der Band werden und auch ihn selbst intensiv beschäftigen. Diese Verunsicherung wurde durch die Kritikerschelte, die Bon vonseiten der Rezensenten erdulden musste, Atlantics Weigerung, Dirty Deeds Done Dirt Cheap in Nordamerika zu veröffentlichen12, die Gerüchte, die Plattenfirma könnte AC/DC fallen lassen, sowie den Umstand, dass die sommerliche Let There Be Rock-Tour sich nicht in angemessenen Verkaufszahlen niederschlug, noch weiter verschlimmert. Außerdem trank Bon nun heftiger als je zuvor, womit er sich ins direkte Schussfeld von Malcolm manövrierte.

Es ist nicht schwer, sich auszumalen, wie die kreative Beschränkung der Gebrüder Young auf nichts außer schnörkellosen Rock ’n’ Roll mit zotigen Texten ihn zu frustrieren begann. Silver Smith sagte, den Youngs hätte missfallen, wenn Bon irgendeine andere Musik als AC/DC hörte. Doch im Privaten, wenn sie sich nicht gerade vor Medienvertretern in Pose warfen, lauschten die Youngs ganz anderen Klängen. In einem unachtsamen Moment gestand Malcolm, dass er und seine Band die Beatles hörten. „Wenn wir irgendetwas hören wollen“, sagte er, „dann legen wir die Beatles auf, eines ihrer abenteuerlicheren Alben.“ Allerdings gehörte es zu den Voraussetzungen für ihren Leadsänger, zumindest nach außen hin den musikalischen Einfaltspinsel zu markieren.

Bon wünschte sich, als Künstler ernst genommen – oder zumindest respektiert – zu werden. Doch die Presse brachte ihm nichts als Hohn entgegen, selbst wenn AC/DC auf der Bühne eine fulminante Show hinlegten. Er las gerne und besuchte auf Tour in Europa nicht nur Buchhandlungen, sondern auch Kunstgalerien. Doch egal wie witzig seine Lyrics auch waren, Bon war sicher kein Peter Ustinov oder Stephen Fry. Seine Briefe, die er an Freunde schrieb, waren in der Regel mit derben Kraftausdrücken gepfeffert und seine Interviews outeten ihn auch nicht gerade als Intellektuellen. Seine Antworten waren oft wirr, mitunter zusammenhanglos, und endeten fast immer mit „weißt du?“.

„Ich weiß nicht, was ich ohne diese Band tun würde, weißt du? Ich lebe für sie. Wir sind ein echt verwegener Haufen. Die Songs geben einfach wieder, wer wir sind: Saufen, Frauen, Sex, Rock ’n’ Roll. Darum geht’s schließlich im Leben.“

Nur auf Bon traf dies im Grunde genommen gar nicht zu. Stattdessen schlüpfte er bloß in diese Rolle. Die Prahlerei, mit wie vielen Girls er schon gepennt hätte, oder das schmuddelige Gerede von wegen Pornoheftchen sollte der Presse gegenüber bloß ein Image festigen, das er selbst konstruiert hatte. Je mehr er der Rolle entsprach, die die Gebrüder Young ihm zugedacht hatten, desto mehr verabschiedete sich Bon von dem, was ihn tatsächlich ausmachte. Ist es da wirklich verwunderlich, dass er sich bis zur Besinnungslosigkeit besoff?

Irene Thornton schrieb, dass Bon „stets versuchte, seinem Rockstar-Image gerecht zu werden, streitlustig daherzureden und eine Reaktion zu provozieren. Nicht einmal die Hälfte von dem Scheiß, den er so sagte, war ernst gemeint.“

Sie schildert auch einen Vorfall, der sich zu Beginn von Bons Karriere bei AC/DC zutrug und bei dem auch der verstorbene australische Roadie Pat Pickett und zwei Groupies eine Rolle spielten. Laut Irene stellte Pickett „etwas echt Abartiges“ an, das einen „wirklichen Tiefpunkt“ darstellte. Doch Bon war davon sichtlich amüsiert. Irene schreibt, dass er mit jedem Bier „immer noch abgründiger“ wurde. Er besaß eine hässliche, fiesere Seite, die mitunter zum Vorschein kam. Was sonst hätte ihn dazu bewogen, gegenüber der einzigen Frau, die er je ehelichte, mit seiner sexuellen Beziehung zu Silver „praktisch anzugeben“?

„Er wollte, dass ich von Silver erfuhr – und aus irgendeinem Grund, so glaube ich, wollte er mir damit wehtun“, schreibt Irene in ihren Memoiren. „Was mir an ‚Ride On‘ [auf Dirty Deeds Done Dirt Cheap] auffällt, ist, wie früh in seiner Karriere Bon bereits anfing, sich unglücklich zu fühlen. Er hatte ein bisschen Erfolg und plötzlich glaubte er, sich jedem gegenüber alles leisten zu können. Die Band wurde so erfolgreich und so viele Mädchen warfen sich ihm an den Hals, dass seine Wahrnehmung der Wirklichkeit stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ich war echt angewidert von ihm“, berichtet sie.

 

Auch Silver erinnert sich nicht gerne an diese Seite von Bon. „Womöglich sollte ich das für mich behalten, aber Bon war ein bisschen ein Maulheld und es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass das auch mich miteinschloss, worüber ich mich später sehr grämte. Diskretion war schließlich mein zweiter Vorname! Bon war da definitiv anders gepolt. Er war total indiskret mit seinen Geschichten und übertrieb ordentlich, um Eindruck zu schinden. Ich fand das auf die harte Tour heraus, als ich entdeckte, dass er genau das in Bezug auf mich getan hatte. Das konnte peinlich und rufschädigend sein. Aber wenn er ertappt wurde, zeigte er sich wieder von seiner gewinnenden und charmanten Seite.“

Auch sie ist der Meinung, dass Bon sich in einer Rolle verheddert hatte, die nicht seinem wahren Charakter entsprach.

„Irgendwann saß er in der Falle. Anfangs passte es gut für ihn. Soweit ich weiß, erhob er nie Einspruch. [Michael] Browning versorgte Truth, Melbournes Revolverblatt, mit albernen Storys über Bon, weil er vor AC/DC noch nicht im Ruf stand, so ein Bad Boy zu sein. Leute, die ihn besser kannten, wussten, dass er saudumme Aktionen bringen konnte, doch sein Image war im Allgemeinen nicht das eines Bad Boys. Das wurde mehr oder weniger konstruiert. Du weißt schon, der böse, ältere Typ und seine jungen Kerls, Lehrlinge oder was auch immer in puncto Verderbtheit oder so. Aber ich glaube, dass ihn das gegen Ende hin persönlich belastet hat. Er konnte dem nicht entfliehen. Auf jeden Fall bereitete es mir Probleme, da er sich gezwungen sah, diese Rolle ununterbrochen zu spielen. Er musste diese Person sein. Bon war sicher immer schon ein kleiner Frechdachs, aber dieses Bad-Boy-Gehabe wurde erst für AC/DC so richtig herausgearbeitet. Es zehrte an ihm. Die Leute wollen, dass du genau diese Person bist. Nichts laugt einen mehr aus. Während meiner ersten eineinhalb Lebensjahrzehnte wurde mir eingetrichtert, wer ich zu sein hätte … Das ist echt hart.“

Die Erzählungen beider Frauen lassen tief blicken. Die Youngs konnten unablässig über andere Musiker ablästern und dabei mitunter richtig gemein und bescheuert wirken, doch Bon stand ihnen im Bedarfsfall um nichts nach. Led Zeppelin, die Stones, Jeff Beck, Eric Clapton, Rod Stewart, The Sweet … kaum ein großer Name der Siebzigerjahre-Popwelt war sicher vor dem Zorn von AC/DC, der sich in unzähligen Interviews entlud.

Zwar sträubten sich AC/DC voller Entsetzen gegen das Etikett „Punk“, doch ihre Plattenfirma war nicht abgeneigt, sie unter genau diesem Label anzupreisen, woraufhin die Band einen schmalen Grat zu beschreiten versuchte, dem auch gerecht zu werden. Ein gutes Exempel hierfür bietet ein Interview mit dem Magazin Punk von 1978, das John Holmstrom mit ihnen führte. Dieser bekleckerte sich dabei nicht unbedingt mit Ruhm.

HOLMSTROM: Was für Mädchen magst du?

ANGUS: Schmutzige.

HOLMSTROM: Girls, die sich nicht waschen?

ANGUS: Nein, einfach schmutzige Kühe.

BON: Ein nette gewaschene Schmutzige. Saubere Fotze. Schmutzige Gedanken.

HOLMSTROM: Du bist nicht verheiratet, oder?

BON: Nö, geschieden. Und du verstehst auch warum!

HOLMSTROM: Warum denn?

BON: Ich bin geschieden.

HOLMSTROM: Oh. Was ist das Verdorbenste, das du je getan hast?

BON: Ich habe eine Abo in die Nase gevögelt. Hab eine Aborigine in die Nase gefickt. Große, flache Nase.

Im weiteren Verlauf des Interviews wird Bon gefragt, was er so in der Nacht zuvor getrieben hatte.

BON: Ach, ich war aus. Ich hatte einen fantastischen Traum. Ich habe mich richtig volllaufen lassen. Du hast mich doch gesehen, gestern Nachmittag. Ich hin dann schlafen gegangen. Und dann habe ich geträumt, dass mir diese zwei New Yorker Groupies meinen Schwanz, meinen Arsch und meine Eier ablutschen. Das volle Programm. Eine davon war Linda Lovelace. Sie hat sich um den – na, du weißt schon.

ANGUS: Und dann bist du aufgewacht und es war alles wahr.

BON: Das war das erste Mal, dass ich jemanden durch den Mund bis in die Lunge gefickt habe – und es war alles andere als langweilig. Nun, als ich aufwachte, war niemand da. Vielleicht ist es ja tatsächlich passiert.

Das war Humor der unreiferen Sorte und Bon spielte seine Rolle. Auch wenn sich die Großstadtkritiker angesichts seiner Darbietungen auf der Bühne unbeeindruckt gaben und AC/DCs Plattenfirma an seinem kommerziellen Potenzial zweifelte: Wie konnte irgendjemand auch nur einen Gedanken daran verschwenden, sich seiner zu entledigen? Bon hob AC/DC auf einen ganz anderen Level: sowohl textlich als auch live – und vor allem in puncto Spirit. Trotz all seiner Derbheit konnte man ihm unmöglich seinen schurkenhaften Charme absprechen. Selbst die für ihre Schonungslosigkeit berüchtigten Brüder Young hätten es ohne Bon nicht so weit geschafft. Das muss ihnen instinktiv klar gewesen sein und sie haben dies in Interviews, die sie seit Bons Tod gaben, auch wiederholt klargestellt.

Ohne Bon hätte es die Band 1979 schlicht und einfach nicht mehr gegeben. Atlantic hätte AC/DC in die Wüste geschickt, hätte ihnen Highway To Hell nicht zum Durchbruch verholfen. Wir würden dann heute wohl auf den Seiten von Classic Rock über sie lesen – und zwar als eine Art historischer Kuriosität nicht unähnlich der Band Brownsville Station aus Michigan. Bon war jedenfalls das Beste, was AC/DC jemals passieren konnte. Das gilt bis heute. Er verlieh der Band die nötige Schärfe – auf und abseits der Bühne.

Aber wie der Roadie der Band Barry Taylor weise erklärte, hatte Bon auch Glück, die Youngs getroffen zu haben: „Die Aussage der Musik liegt nicht alleine in ihren Lyrics.“ Bei AC/DC, so sagte er, „tobt nämlich ein Krieg zwischen der Leadgitarre und dem Sänger. Es herrscht ein temperiertes Spannungsklima … Die Sprache des Rocks basiert nämlich auf Emotionen und nicht auf Diskurs. Du erfühlst die Bedeutung der Rockmusik. Das ist der Grund, warum sich diese Bedeutung so schwer isolieren lässt. Du kannst sie nicht alleine aufgrund der Lyrics bestimmen.“

All dies war natürlich höchst nebensächlich, wenn der Sänger der Band fest entschlossen war, sich selbst auszulöschen.

„Angus und Malcolm waren überzeugt, dass niemand auch nur den Dreck unter ihren Schuhen wert wäre“, erzählt Grahame Harrison. „Sie hielten sich in allen Belangen für überlegen. Malcolm führte die Band zwar an, doch musste man sich gut mit Angus stellen, um überhaupt mitmachen zu dürfen. Und um seine Position in der Band zu festigen, musste man sowohl Angus als auch Malcolm glücklich machen. Angus glich einem altklugen Kind.“

Die beiden Brüder mussten eine wichtige Entscheidung treffen.

12 Das Album erschien 1981 schließlich doch noch, allerdings mit veränderter Tracklist.