Bon - Der letzte Highway

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Problem Child

Der wichtigste Mann bei Atlantic Records, wenn nicht sogar „die wichtigste Persönlichkeit der Plattenindustrie des 20. Jahrhunderts“, wie die Londoner Tageszeitung Independent es in ihrem Nachruf von 2006 formulieren sollte, begab sich in die New Yorker Bowery, um AC/DC seine Aufwartung zu machen. Doch Ahmet Ertegun war nicht sonderlich angetan von der Gruppe: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie unter Vertrag genommen hätte, als ich sie das erste Mal hörte. Sie waren sehr modern. Sie gingen an die Grenzen.“

Die abendliche Veranstaltung war jedoch vor allem aus einem anderen Grund von großer Bedeutung; schließlich setzte Angus Young zum ersten Mal auf ein drahtlosen Funksystem namens Schaffer-­Vega Diversity System (SVDS). Hierbei handelte es sich um eine Erfindung, die die Bühnenpräsentation von AC/DC maßgeblich verändern und erweitern sollte. Ihr Entwickler Ken Schaffer war selbst ein dynamischer Exzentriker, mit dem Angus über WEA, den Mutterkonzern von Atlantic, Kontakt aufgenommen hatte, um ein Treffen in der Garderobe des Palladiums, der ehemaligen Academy of Music in der East 14th Street, zu vereinbaren, wo AC/DC den ersten von zwei Gigs an diesem Abend absolvierten. Die Bühnen teilten sich die Australier an diesem Abend mit der Michael Stanley Band sowie den Dictators.

Das drahtlose Gerät – eine Funk-Apparatur, die das Signal von der Gitarre an den Verstärker weiterleitete – war an Angus’ Gitarrengurt befestigt, was den Leadgitarristen nicht zufriedenstellen konnte.

„Ich erinnere mich, dass Angus’ Gitarre bei mir in der Werkstatt landete und mir per Notiz oder Telefonat sein Wunsch mitgeteilt wurde, das Gerät in die Gitarre einzubauen“, erzählt Schaffer. „Daran hatte ich selbst auch schon oft gedacht, es aber noch nicht versucht. Ich fürchtete mich davor, Löcher in jemandes Gitarre zu fräsen [lacht]. Ein paar der Jungs, die für mich arbeiteten und geschicktere Gitarrenbauer waren, halfen mir dabei, eine Aussparung zu fräsen oder auch eine Abdeckung zu entfernen – das weiß ich echt nicht mehr so genau –, um das Funksystem einzubauen. Dann versiegelten wir das Ganze. Allerdings gingen wir dabei nicht sonderlich professionell vor. Vielleicht verwendeten wir Klebeband oder so [lacht].“

Der britische Rock-Journalist Phil Sutcliffe beschrieb ausführlich, was sich nun zutrug:

„Angus ließ den Rest der Band mitsamt seinem Amp im Theater zurück und marschierte acht Blocks weit, bevor er schließlich kehrtmachte. Die Band berichtete ihm, dass das Funksignal sich trotz der Betonhochhäuer und der Taxifunk- und Radiowellen überhaupt nicht verschlechtert hätte.“

„Es war verblüffend mitanzusehen“, sagte Bon. „Angus grinste über das ganze Gesicht und es schienen ihm fiese Gedanken durch den Kopf zu schießen, als ob er darüber nachdachte, was für ein Chaos er mit dieser kleinen Erfindung entfesseln könnte.“

Am selben Abend geriet eine scheinbar harmlose Fotosession mit zwei Promogirls im Palladium für Bon zu einem alles andere als unverfänglichen Unterfangen. Holly X, eine gut entwickelte 17-jährige Blondine, und ihre Freundin Gigi Fredy, die beide aus Miami stammten, kreuzten in T-Shirts auf, auf denen „AC“ bzw. „DC“ stand. Hollys Shirt war in Schwarz und Gigis in Weiß gehalten.

Angus und Bon posierten mit ihnen für den Fotografen Chuck Pulin. Schon auf dem allerersten Foto des zukünftigen Paars zeigt sich Bon angetan von Holly und albert herum.

„Bon war niemand, der seine Emotionen versteckte“, erzählt sie. „Ich hatte damals keine Ahnung, wer AC/DC waren, und hatte noch nie einen Song von ihnen gehört. Ich erinnere mich nur noch daran, dass ich mich wunderte, wie klein Bon doch war. Immerhin war ich mit meinen Absätzen über einen Meter achtzig groß, weshalb ich buchstäblich auf ihn hinunterblicken konnte. Wir begannen zu lachen. Wir lachten einfach viel miteinander. So sah unsere Beziehung aus.“

* * *

Die Dictators sollten schließlich auf Tour in über einem halben Dutzend Städten mit AC/DC auftreten – von Tennessee im Südosten der Vereinigten Staaten bis hin nach Nebraska im Mittleren Westen. Ihr Rhythmusgitarrist Scott Kempner sah das Ausmaß von Bons Trinkerei aus nächster Nähe.

„AC/DC waren viel größere Trinker als wir. Ich selbst trank nie übermäßig viel, während sie nichts ausließen. Eines Tages saß ich gerade in einem Aufenthaltsraum, als ich vor der Tür irgendeinen Krach hörte. Zuerst Gepolter, dann ein Stöhnen. Als Nächstes schwang die Tür auf und da stand Bon. Er sah beschissen aus. Wie ein fehlgeschlagener Versuch in puncto Wiederauferstehung. Und das war noch vor der Show. Es stellte sich schließlich heraus, dass er gar nicht betrunken war, sondern am Abend zuvor getrunken hatte. Ich fragte ihn: ‚Jesus, Bon, alles in Ordnung mit dir?‘ Er antwortete: ‚Ach, Kumpel, ich fühle mich nicht besonders. Heute Morgen bin ich am unteren Endes eines Treppenaufgangs aufgewacht.‘ Im echten Leben war er, zumindest was ich miterlebt habe, ein absolut herzensguter Typ. Ruhig, vielleicht sogar ein bisschen schüchtern, und liebenswert. Er gönnte sich seinen Spaß, aber auf mich wirkte er wie jemand, der gelernt hatte, was wirklich zählte und was bloß Bockmist war. Bon war sehr höflich und wusste sich zu benehmen. Er erkundigte sich etwa bei allen, ob er ihnen etwas mitbringen sollte, wenn er sich ein Bier oder so aus der Garderobe holte. Es wirkte so, als würde er sich seine Wildheit, sein ganzes Rowdytum für die Bühne und die Show sparen. Nicht dass er irgendetwas vorgetäuscht hätte. Er ließ nur alles hinter sich auf der Bühne und war abseits davon eben kein Wahnsinniger, sondern ein lieber, smarter Kerl mit Manieren, den man gerne um sich hatte. Das geben einem üblicherweise die Eltern und das Zuhause mit auf den Weg. Allerdings hatte er auch ein übles Alkoholproblem, das ganz sicher dazu beitrug, seine wilde Seite hervorzubringen.“

Angus behauptete einmal, dass Bon in der Lage gewesen wäre, „das Gleichgewicht zu bewahren. Er konnte irgendwo hingehen, wo plötzlich ein Dämon erwachte und er selbst verschwand. Dann tauchte er aber wieder auf, um sich seiner Arbeit zu widmen. Er verpasste nie eine Show. Es kam oft vor, dass Leute schon auf heißen Kohlen saßen und sich fragten, ob dieser Typ überhaupt noch aufkreuzen würde. Dann, ein paar Minuten vor unserer Show, ging die Tür auf und er spazierte hinaus auf die Bühne. Man konnte sich stets darauf verlassen, dass er es auf die Bühne schaffte.“

Tatsächlich? Angus räumte nämlich in einem anderen Interview ein: „Ich glaube, dass er in seiner Karriere nur drei Konzerte verpasste, weil seine Stimme nicht mitspielen wollte und wir absolut dagegen waren, dass er sang.“

Das war ein seltener Versprecher vonseiten der Youngs, die ihre Geschichte sonst so hieb- und stichfest wie möglich präsentierten, sowie ein Einblick in die Probleme, die ihnen schon bald mit Bon blühten.

5

Dog Eat Dog

Ihre Platten verkauften sich zwar eher schleppend, doch erhielten AC/DC – vier Wochen nach ihrem Gig in Austin – in Städten wie Columbus, Jacksonville und Fort Lauderdale nun reichlich Airplay. Im Südosten gehörte Let There Be Rock zusammen mit neuer Musik von Crosby Stills & Nash, James Taylor und dem Alan Parsons Project zu den gefragtesten Neuveröffentlichungen im Radio.

John Rockwell von der New York Times zweifelte jedoch daran, dass Bon den Anforderungen an ihn gewachsen wäre: „Die Band spielt tight, aber ihr Sänger ist ziemlich gewöhnlich.“

Bon muss diese sehr öffentliche Kritik von einer der einflussreichsten Zeitungen Amerikas schwer gegen den Strich gegangen sein, doch ließ er sich nichts anmerken. In Los Angeles stieg er am Sunset Boulevard 8401 gemeinsam mit Pattee Bishop im Continental Hyatt House ab, das damals als „Riot House“ bekannt war und heute Andaz West Hollywood heißt. In den Siebzigerjahren war es ein berüchtigter Unterschlupf für Bands wie The Who und Led Zeppelin. Das Whisky a Go Go, wo AC/DC vom 29. bis 31. August 1977 jeweils zwei Sets pro Abend absolvieren sollten, befand sich gerade mal eine Meile entfernt ebenfalls auf dem Sunset Strip.

Die Rock-Journalistin Sylvie Simmons, die vor Ort im Hotel war, schrieb, dass Bon mit einer „Blondine von Seite drei“ unterwegs war. „Seinen Arm um die dralle Blonde gelegt, hielt er in der einen Hand eine Flasche Bourbon und in der anderen den üppigen Busen seiner Begleiterin.“ Sie bezog sich auf Pattee, die zwei Zimmer im Hotel organisiert hatte – eines für sich und Bon sowie noch ein weiteres für ihre Freundin Candy, die sich mit Cliff vergnügte.

Ken Schaffer wurde aus New York eingeflogen, um Bon die Mikrofon-Version seines Schaffer-Vega Diversity System zu liefern. Mick Jagger verfügte bereits über ein Exemplar und Bon wollte auch eines.

Doch so wie schon die Kritiker in New York gab sich auch Richard Cromelin von der Los Angeles Times wenig beeindruckt vom Leadsänger: „Bon Scott verfügt über eine kräftige Reibeisenstimme, schwankt aber leider zwischen einer Effizienz, die an den renommierten Sänger von Streetwalker, Roger Chapman, erinnert, und unerträglichem Gekreische in der Art von Slades Noddy Holder. Wenn AC/DC wenigstens über ein paar der Songs vom Kaliber der besten Pop-Rock-Nummern von Slade verfügen würden, würde die Show in Gang kommen, doch ihr eigenes Material verstrickt sich in banalen, einfachen Rock-Formeln, abgedroschenen Macho-Floskeln und einem Mangel an musikalischer Virtuosität.“

Die Gleichgültigkeit und mitunter sogar Verachtung, mit denen das FM-Radio und die Großstadtpresse in L. A. und New York AC/DC im Allgemeinen und Bon im Speziellen begegneten, wuchsen sich zu einem ernsthaften Problem aus, weshalb Atlantic plante, die Band live aufzunehmen, um Promo-LPs an Radiosender zu verschicken.

 

AC/DC benötigten außerdem ein paar neue Songs, wenn sie sich Hoffnungen machen wollten, noch einmal in die Vereinigten Staaten eingeladen zu werden. Sie dürften sich die Kritiken in L. A. zu Herzen genommen haben, da sie bei ihrer zweiten Show im Old Waldorf in San Franciscos Battery Street mit „Up To My Neck In You“ und „Kicked In The Teeth“ gleich zwei neue Songs performten, die schlussendlich 1978 auf Powerage erscheinen sollten. Angesichts des Materials, das letztlich auf ihrem Meilenstein-Album landete, erwies sich die Tour als wahrer Segen für Bons Songwriting. Nie sollte er bessere Beiträge liefern.

Doch es war die letzte Show der Let There Be Rock-Sommertour, die sich als die heikelste Mission herausstellen sollte. Sie fand vor AC/DCs bis dahin schwierigstem Publikum statt, nämlich jenen Leuten, in deren Macht es stand, Karrieren in Schwung zu bringen – oder zu vernichten. Es handelte sich bei ihnen um eine Hundertschaft von Vertretern der Musikbranche, die eigens nach Miami gereist waren, um dem Warner-Elektra-Atlantic National Sales Meeting beizuwohnen.

* * *

Die WEA-Convention war die erste landesweite Zusammenkunft ihrer Art und wurde im Diplomat Hotel in Hollywood, Florida, vom 5. bis 11. September 1977 abgehalten. Es war bis dahin ein sehr gutes Jahr für die Plattenfirmen unter der Schirmherrschaft von WEA gewesen und Ahmet und Nesuhi Ertegun befanden sich ebenso unter den Besuchern wie auch Jerry Greenberg und David Glew, Präsident bzw. General Manager von Atlantic, sowie aktuelle Stars wie etwa Leo Sayer und Steve Martin. Ahmet Ertegun überreichte Foreigner persönlich ihre erste Goldene Schallplatte und Queen spielten ein Set.

„1977, gerade einmal sechs Jahre nach der Geburtsstunde des Konglomerats, hatte man bei WEA das Gefühl, gut dazustehen“, schrieb der inzwischen verstorbene Stan Cornyn, Ressortleiter von Warner Bros Records. „Anstelle regionale Meetings auf Sparflamme abzuhalten, beschloss WEA, seine gesamte Infanterie – über 700 gab es von ihnen – zu einer großen Versammlung zusammenzutrommeln. Dort, in einem verdunkelten Auditorium im Diplomat Hotel nahe Miami, starrten die 700 auf die Bühne, wo ein Banner verkündete (und wer wusste schon, was dies bedeuten sollte): DIE ZUKUNFT IST JETZT.“

Die Verkaufszahlen von WEA waren sechs Jahre in Folge die am schnellsten anwachsenden in der amerikanischen Musikbranche gewesen. Die dazugehörigen Labels hatten mehr Gold- und Platinschallplatten eingeheimst als irgendeine andere Plattenfirma. Fleetwood Macs Rumours und Hotel California der Eagles hatten sich beide etliche Millionen Mal verkauft. 1977 hatten laut Cornyn „über 70 Warner-Acts über eine Million Tonträger allein in den USA verkauft“. Ein Viertel aller in den USA verkauften Alben stammten von WEA. Columbia, das zu CBS gehörte, hatte demgegenüber einen Marktanteil von 17 Prozent. Tatsächlich belegten eine Woche nach dem Meeting vier Produkte aus dem Hause WEA die ersten Plätze der amerikanischen Albumcharts: Rumours von Fleetwood Mac, Simple Dreams von Linda Ronstadt, Foreigner von Foreigner und Love You Live von den Rolling Stones.

„Wir hatten eine Menge Acts am Start“, erzählt Barry Freeman, der einstige regionale Promotion-Direktor für die amerikanische Westküste. „Wir hatten die Rolling Stones, Led Zeppelin, Bad Company, Foreigner, Crosby Stills & Nash … Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen.“

Wie sollten nun AC/DC, eine Band, deren Musik schwer einzuordnen war und deren Sänger es sich mit Zeitungskritikern an Ost- und Westküste verdorben hatte, einen Platz in Atlantics Plänen finden? Nun, tatsächlich fanden sie ihren Platz am buchstäblichen Arsch der Welt, dem 4 O’Clock Club, einer mit der Mafia verbandelten Kaschemme in einer unwirtlichen Ecke von Fort Lauderdale, das wiederum auf Postkarten als „Amerikas Venedig“ vermarktet wurde, aber in Wirklichkeit laut Sidney Drashin „ein Kleinkind von einer Stadt“ war. „Es war echt winzig.“

Tickets für das Konzert wurden am Vortag am Strand verkauft, wodurch 4000 Dollar für eine Organisation, deren Kernanliegen das Thema Muskeldystrophie war, eingenommen werden konnten.

„Diese Tickets waren so kostbar. Südflorida fährt verdammt noch mal auf diese Band ab. Die Leute haben so viel bezahlt, um dabei sein zu können!“, verkündete der leider inzwischen verstorbene Tom Judge, DJ von WSHE, vor einer angeheitert johlenden und pfeifenden Menge. „Und hier sind sie. Bitte bereitet ihnen einen typischen Südflorida-Empfang, unseren australischen Freunden von AC/DC!“

Rick Tucker, ein 18-Jähriger aus Coral Springs, gehörte zu einem kleinen Aufgebot von Fans im Publikum. Der inzwischen in Altersteilzeit arbeitende Illustrator lebt heute in Pembroke Pines.

„Wir sprachen Bon vor der Show an und er freute sich sehr, auf echte Fans zu treffen. Er ging hinter die Bühne, um uns Autogramme von der ganzen Band zu holen. Es war ein tolles Konzert, weil sie angesichts der Location, dem fast gleichgültigen Publikum und der Handvoll verrückter junger Männer in Bühnennähe, die jeden Song bejubelten, nichts zu verlieren hatten.“

„Die Bühne erstreckte sich von Norden nach Süden und wir saßen an langen Tischen, die von Osten nach Westen verliefen. Hinter uns standen noch kleinere Tische, die Platz für vier bis sechs Leute boten. Das Set dauerte ein bisschen länger als eine Stunde, war aber auch sehr intensiv. Sie widmeten uns während des Konzerts viel Aufmerksamkeit, weil wir die einzigen zu sein schienen, die sie damals schon kannten.“

Trotz all des Einsatzes, den AC/DC an den Tag legten, fielen die Rezensionen ihrer Liveshow wieder einmal besorgniserregend schwach aus.

„Die australischen Punk-Spinner von AC/DC traten am Dienstagabend im 4 O’Clock Club in Fort Lauderdale auf“, berichteten etwa die Miami News. „Angeblich war die Band viel zu laut.“

Am nächsten Abend traten Foreigner im Café Cristal des Hotels Diplomat auf, was doch einiges über den jeweiligen Stellenwert der beiden Bands in der amerikanischen Musiklandschaft und der Sympathieverteilung im Hause Atlantic aussagte.

* * *

Die Let There Be Rock-Tour machte als Nächstes auf dem europäischen Festland sowie in England Halt, wo die Band sich Gedanken darüber machen konnte, was man erreicht hatte und was verbessert werden müsste. Beruflich lagen sechs durchwachsene Monate hinter AC/DC. In der Provinz hatten sie massiv gepunktet, während sie in den Großstädten weniger gut angekommen waren. Und für Bon persönlich sah es auch nicht unbedingt rosig aus. Sein Alkoholkonsum explodierte förmlich und er hatte sich angewöhnt, seine Trinkerei noch mit Drogen zu würzen, obwohl er gegenüber der Band nach einer Überdosis Heroin in Melbourne im Jahr 197511, die fast zu seinem Rauswurf führte, dem Rauschgift eigentlich abgeschworen hatte.

„Bon wusste, dass er sich nach dem Vorfall in Melbourne auf Bewährung befand“, erzählte Silver Smith. „Er berichtete mir schon früh davon, dass er sich auf gefährlichen Scheiß eingelassen hätte … Er hatte sich gegenüber der Band verpflichtet, sich auf Alkohol zu beschränken.“

Allerdings räumt sie die Möglichkeit ein, dass er gewisse Angewohnheiten vor ihr verbarg, „weil ich echt sauer und beleidigt war, wenn er heimlich Hasch konsumierte und sich zulaufen ließ, woraufhin ich mich mehr als nur einmal mit den Konsequenzen herumschlagen musste.“

Er hatte sich während der Tour durch Amerika auf ungezwungene Weise mit mehreren Frauen vergnügt – etwa mit Pattee und Holly –, war aber immer noch vernarrt in Silver, die sich die Zeit genommen hatte, ihn in den USA zu besuchen. Angeblich hatte er im vorangegangenen Jahr in ihren Armen in London eine zweite Überdosis überlebt.

Einer meiner Interviewpartner beschrieb die sonderbare Anziehung, die diese Frau auf Bon ausübte, folgendermaßen: „Nachdem er ein paar Groupies flachgelegt hatte, sagte er plötzlich, dass er zu Hause sein Mädchen Silver heiraten wollte.“ Hä? Wow …

Silver besteht darauf, dass die Geschichte rund um die zweite Überdosis – der ehemalige Manager der Band, Michael Browning, schreibt in seiner Autobiografie von einem „Cocktail aus Heroin und Alkohol … dieses Mal zog er es sich durch die Nase und spritzte es sich nicht“ – auf keinen Fall der Wahrheit entspricht und Bons einziger Krankenhausaufenthalt die Folge einer Kneipenschlägerei gewesen wäre.

„Das einzige Mal, dass er ins Krankenhaus musste, war, als er sich kurz nach seiner Ankunft in Großbritannien den Kiefer brach … Die Leute bringen noch ein paar weitere Geschichten durcheinander. Es ist nichts als Bullshit.“

Interessanterweise schließt sie jedoch die Möglichkeit, dass es eine zweite Überdosis gegeben hatte, nicht gänzlich aus.

„Ob das irgendwo auf Tour passiert ist oder nicht, kann ich nicht sagen. Wenn, dann hätte er mir vermutlich nichts davon erzählt, weil er ja ohnehin schon wusste, dass ich ihn für leichtsinnig hielt.“

Silver sagte, sie hätte ihn nie Heroin rauchen oder schnupfen gesehen. Aber wenn er es getan hätte, dann „wäre es nur sehr, sehr selten vorgekommen. Jeder in meinem Umfeld wusste aufgrund der Dinge, die bereits vorgefallen waren, dass Bon mitunter echt dumme Aktionen lieferte und man ein Auge auf ihn haben musste … Du konntest dich einfach nicht darauf verlassen, dass er sich vernünftig verhielt. Schlechter Stil eben. Du besäufst dich einfach nicht vor einer wichtigen Dinnerparty oder einem Meeting. Dafür suchte man sich andere Gelegenheiten. Er scherte sich nicht um die Konsequenzen; es kümmerte ihn nicht, wie sich solche Dinge auf andere Leute auswirken würden.“

Sie war der Meinung, dass sein unberechenbares Benehmen Irene Thornton ebenso zu schaffen machte wie ihr selbst und dass dies Bon letztlich seine Ehe gekostet haben dürfte. Auch wirkte sich sein Verhalten negativ auf sein Vorhaben, Silver zu ehelichen, aus (ihr zufolge sprach er „ständig“ davon).

Als Bon zum ersten Mal um ihre Hand anhielt – auf dem Weg zum Flughafen Heathrow vor seinem Rückflug nach Australien Ende 1976 –, gab Silver ihm ohne zu zögern einen Korb: „Ich wusste schon relativ früh, dass ich mich in Bezug auf gar nichts jemals sicher fühlen würde, wenn ich bei ihm bliebe.“

Obwohl sie ihren ehemaligen Liebhaber als „großherzig“ umschrieb, war er ihr doch auch „zu unbesonnen“ und außerdem „sehr, sehr selbstsüchtig und destruktiv“.

„Ich glaube, Bon wäre verblüfft, auf welche Weise sein Mythos weiterwächst … Er brachte mich mit seiner Verantwortungslosigkeit in ein paar schreckliche Situationen“, sagte sie. „Das Problem war, dass man nicht wusste, wann etwas passieren würde. Es geschah nämlich in den unwahrscheinlichsten Momenten … Ich war immer der Meinung, dass das vermutlich der Grund dafür war, dass Irene letztendlich einen Schlussstrich zog. Ich glaube, dass ich Irene viel besser verstand als sie mich. Yeah, ich konnte verstehen, warum es ihr einfach reichte … Ich hatte es so satt, seine Babysitterin und nicht seine Partnerin zu sein.“

Es ist wichtig, anzumerken, dass keines der aktuellen AC/DC-Mitglieder jemals einräumte, Bon hätte Heroin konsumiert. Diesbezüglich waren stets nur Dementis zu hören. Auch seine Familie stritt kategorisch ab, dass er sich auf die Droge eingelassen hätte. Bons jüngster Bruder Graeme Scott, ein Matrose in der Handelsmarine, erklärte 2006 im Gespräch mit Vince Lovegrove: „Es missfällt mir, dass die Leute weiterhin behaupten, er wäre an Drogen gestorben. Es ist ausgeschlossen, dass er auf Heroin war. Wenn er es gewesen wäre, hätte ich das nämlich gewusst. Schließlich standen wir uns nahe.“

Aber offenbar nicht nahe genug.

Zwar bestätigte Silver Graemes Aussage als „so ziemlich die Wahrheit“, doch steuerte sie noch einen weiteren Aspekt bei. Ihren Angaben zufolge rauchte ein Mitglied von Bons eigener Familie gewohnheitsmäßig Heroin und hielt dies vor ihm auch nicht geheim. Diese Person konsumierte Heroin anscheinend sogar „im großen Stil“.

„Heroin erfüllte sein Leben“, ließ sie mich wissen. „Es war sein einziges Interesse. Und das war schon lange so, bevor ich diese Person zum ersten Mal traf. Na also [lacht]! Warum sollte der seine unappetitlichen Geheimnisse für sich behalten dürfen, während wir anderen alle unser Fett abbekommen?“

Er rauchte wirklich Heroin?

„Ohne Unterbrechung.“

Wir sprechen hier nicht über Cannabis, sondern über Heroin?

„Heroin … Bon nahm vielleicht auch ein paar Züge davon, wenn er auf Besuch da war. Ich womöglich auch, schließlich sage ich ja nicht, dass ich nicht mitgemacht hätte. Das ist durchaus möglich. Ob Bon] in London auf Heroin war? Wenn, dann kann das nur passiert sein, wenn er ein paar freie Tage hatte, was nur selten vorkam, und er zu Hause gewesen wäre und uns diese andere Person besucht hätte. Er traf von [geheimer Ort] aus ein. Danach flog er geradewegs dorthin zurück. Anders ausgedrückt: Er kam aus gutem Grund.“

 

Falls Bon tatsächlich Heroin konsumierte, dann nur unregelmäßig.

„Die Sache mit dem Heroin ist die, dass man nicht arbeiten, keinen Job ausüben oder auf Tour gehen kann, wenn man ein richtiger Heroin-Junkie ist – außer man befindet sich ganz oben, und selbst dann ist es schwierig, denn man hat dann ein schlechtes Auftreten und so … Man muss sich mäßigen. Weil es anders einfach nicht geht. Wie viele Vollblut-Junkies kennst du denn, die einer richtigen Arbeit nachgehen? Das ist einfach nicht machbar.“

11 In einer Reportage aus dem Jahr 1975, die er für das Australia Rock Magazine (besser bekannt als RAM) schrieb, gelang es Anthony O’Grady, das Gespräch mit ihm auf geschickte Weise auf das Thema Heroin zu lenken.

Ich erwähne, dass seine beiden Ohren gepierct sind und er große Ringe in den Läppchen trägt, was ihm das Aussehen eines Piraten verleiht. Vor ein paar Jahren war es selbstverständlich Usus unter Heroinsüchtigen, im rechten Ohr einen Ohrring zu tragen … Wäre es vielleicht möglich, dass …

„Nö“, sagt Bon. „Ich bin nicht drogensüchtig. Vor ein paar Jahren arbeitete ich auf einem Fischerboot und dort gab es einen Typen, den ich echt respektierte und bewunderte. Und der hatte eben ein gepierctes Ohr. Deshalb ließ ich das auch bei mir machen.“

Irene Thornton hat diese Story in ihren Memoiren als Humbug abgetan. Laut ihr ließ sich Bon offenbar in einem Schönheitssalon in Adelaide piercen.