Bon - Der letzte Highway

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Bad Boy Boogie

Am 28. JULI 1977 wachte Roy Allen so wie noch viele Male, bevor er schließlich trocken wurde, mit einem fiesen Kater auf. Doch an diesem Tag war etwas anders. Schließlich erwachte er im Hotelzimmer des Leadsängers von AC/DC.

„Als ich mich auf die Socken machte, schlief Bon noch. Er und ich waren beide Alkoholiker. Das ist eine Krankheit, eine schleichende Krankheit, die aber irgendwie vorhersehbar ist. Deshalb kann ich gewisse Vermutungen darüber anstellen, wie es Bon ging, als es mit dem Trinken so richtig schlimm wurde. Keiner von uns war bereits durch und durch Alkoholiker, als wir uns 1977 kennenlernten, aber wir beide waren auf dem Weg dahin. Bon vielleicht ein wenig schneller als ich. Rückblickend befanden wir uns beide in einer Abwärtsspirale, waren uns dessen aber nicht bewusst. Oder noch wahrscheinlicher: Es war uns schlichtweg egal. So waren wir eben drauf: Wir lebten für den Tag, für den Moment.“

Verschwende keinen Gedanken an morgen. So lebte Bon jeden Tag seines kurzen Lebens. Das ist es, was AC/DC-Fans vermittelt wird, was den emotionalen Treibstoff zum Kult um diesen Mann beisteuert und die Grundlage des Outlaw-Spirits bildet, den er nach seinem Ableben zu verkörpern begann. Diese Grundstimmung findet sich auch in den Lyrics zu „Have A Drink On Me“, der angeblich von Bon handelt, auf Back In Black zu finden ist und von Malcolm und Angus Young sowie Brian Johnson stammen soll. In Roy, einem echten texanischen Rabauken, hatte Bon einen Gleichgesinnten getroffen, dessen skandalöses Benehmen sehr gut zu seinem eigenen passte.

„Es gab Überschneidungen in unseren Lebensgeschichten“, erzählt Roy. „Zwischen Bon und mir gab es fast auf Anhieb eine Verbindung – und zwar auf einer Ebene, die sich nur schwer beschreiben lässt.“

* * *

Roys Jugendzeit war ein langer Kampf mit dem Alkohol, der schon begonnen hatte, bevor seine Mutter Ella Joyce Allen, die an einer bipolaren Persönlichkeitsstörung litt, sich im Alter von 41 Jahren im Juni 1971 das Leben nahm. Mit vierzehn nippte er heimlich an einer Flasche Whisky, die über dem Kühlschrank der Allens verstaut war. Als Joyce, wie sie von allen genannt wurde, den genauen Pegelstand mit einem Strich markierte, panschte Roy das Feuerwasser mit Eistee, um zu verschleiern, wie viel er daraus trank. Im Jahr darauf beging sie an der Kreuzung Wilcox und Murray Avenue in Rockdale Selbstmord.

„Sie ließ sich noch ihre Haare machen, fuhr dann zum Knarrenladen und erzählte dem Besitzer, dass ich Geburtstag hätte, was nicht stimmte, und sie mir ein Schießeisen als Geschenk kaufen wollte, nämlich eine .38 Special. Dann fuhr sie ein paar Blocks weiter und schoss sich vor einem Stoppschild in die rechte Schläfe.“

Auf ihrem Totenschein wurde die offizielle Todesursache – „Schussverletzung“ – als „Unfall“ eingestuft. Roys ältester Bruder Carl, bei dem Schizophrenie diagnostiziert worden war, brachte sich ein Jahr später ebenfalls um. Er sprang an der Kreuzung 31st und Texas Avenue in Bryan, östlich von Rockdale, vor ein Auto. Carl war 22. Dieses Mal lautete die Todesursache „Suizid“. Er war seinen zahlreichen Schädelverletzungen, die vom Zusammenstoß mit dem Fahrzeug herrührten, erlegen.

Diese beiden brutalen Todesfälle innerhalb der engsten Familie im Verlauf von gerade einmal einem Jahr – und beide von den Betroffenen selbst herbeigeführt – führten dazu, dass sich Roy in einen unberechenbaren, unausgeglichenen und rebellischen Teenager verwandelte. Bald schon glitt er massiv in den Suff ab, was dazu führte, dass er regelmäßig verhaftet wurde. Er wurde praktisch Stammgast in der Polizeireport-Kolumne des Rockdale Reporter. Schließlich fing er an, sich Metamphetamin zu spritzen. Kurz nach Mitternacht des 12. Mai 1976 ließ er sich auf ein Wettrennen auf der Route 79 außerhalb von Milano ein, einer Stadt, die sich neun Meilen von Rockdale entfernt befand.

„Mein bester Freund James Lightsey und ich verließen gerade diese Spelunke namens Nat’s Place. Zwar hatte ich schon ein paar Bier intus, war aber nicht wirklich betrunken. Wir stiegen in meinen ’65er-Mustang, und als wir vom Parkplatz fuhren, um uns auf den Heimweg zu machen, sah ich, wie ein anderer Mustang sich direkt vor uns auf dem Highway einreihte. Wenn es sich um irgendeine andere Automarke gehandelt hätte, hätte ich mich vermutlich anders verhalten.

Auf diesem Highway gab es einen Abschnitt, der ein paar Meilen lang immer nur geradeaus verlief. Dort trugen wir es aus. Wir überholten uns gegenseitig ein paarmal, bis die Strecke dann bergauf ging und eine Rechtskurve folgte. Vor dieser Kurve lag ich noch vorn und zog zur Seite, um den anderen Fahrer vorbeizulassen. Schließlich nahm ich an, dass ich gewonnen hatte, da wir nun in kurvigeres Gelände fuhren und ich zuletzt vorn gelegen hatte. Ich reduzierte die Geschwindigkeit, doch der andere Fahrer sah das wohl anders. Er schoss an mir vorbei, hob plötzlich ab und überschlug sich mehrmals auf der bergauf führenden Straße. Ich wendete und hielt am Bahndamm, der neben der Fahrbahn verlief. Der Wagen lag auf dem Dach und die Scheinwerfer leuchteten in die Luft. Die Reifen drehten sich immer noch.“

Eine Streife der Texas Highway Patrol, der die beiden Raser verfolgt hatte, traf unmittelbar nach dem Crash am Unfallort ein, der sich circa zweieinhalb Meilen östlich von Rockdale befand.

„Der Streifenwagen und ich hielten gleichzeitig beim Autowrack. James und ich stiegen aus und postierten uns beim Wagen. Der Polizeibeamte lief auf mich zu und stieß mir seinen Zeigefinger gegen den Brustkorb. Er sagte, dass es die beste Entscheidung gewesen wäre, nicht davonzufahren. Dieser Gedanke war mir gar nicht durch den Kopf gegangen. Er wies uns an, die Umgebung abzusuchen, da der auf dem Dach liegende Wagen leer war.“

Roy entdeckte schließlich den Fahrer sowie dessen Beifahrer, die aus dem Wagen geschleudert worden waren. Der Fahrer lag auf der Böschung nahe den Schienen, sein Beifahrer unweit davon entfernt. Als Roy beim Fahrer eintraf, erkannte er ihn sofort. Es handelte sich um einen 18-jährigen Freund von ihm aus Rockdale namens Lynn Lankford.

„Als ich fünfzehn war, hatte ich mit Lynn meine allererste Zigarette geraucht. Ich kannte ihn bereits mein ganzes Leben. Er lag mit dem Gesicht nach oben auf dem Bahndamm. Er sah ordentlich ramponiert aus und ich konnte ein gurgelndes Geräusch hören, das aus seinem Brustkorb kam. Ich sagte zu dem Streifenpolizisten, dass wir ihn drehen müssten, damit seine Lungen entlastet würden. Er wies mich nachdrücklich an, ihn nicht anzufassen.“

Lankford wurde bei seinem Eintreffen im Richards Memorial Hospital von Rockdale um 0.45 Uhr für tot erklärt. Die offizielle Todesursache lautete „multiple Verletzungen aufgrund eines Autounfalls“. Roys Vater unterzeichnete den Totenschein. Roys und James’ Alkoholpegel bewegte sich innerhalb des legalen Rahmens. Der Unfall wurde ihnen zwar nicht zur Last gelegt, doch aufgrund des Todesfalls musste Roy die Nacht im Bezirksknast verbringen. Er kam am nächsten Morgen gegen Kaution frei und es wurde keine Anklage gegen ihn erhoben. Lankfords Beifahrer überlebte schwerverletzt. Bis heute verfolgt Roy das Gesicht seines sterbenden Freundes.

„Ich hatte stets das Gefühl, dass sich dieser tragische Vorfall nicht ereignet hätte, wenn ich nicht dieses Rennen begonnen hätte. In dieser Hinsicht bin ich verantwortlich und muss mit diesem Wissen auch leben.“

Verschwende keinen Gedanken an morgen – diese Philosophie konnte auch dazu führen, dass jemand am Straßenrand am eigenen Blut erstickte, wie es dem armen Lynn Lankford widerfuhr. Bon machte sich durchaus seine Gedanken über die Zukunft, das Morgen, so wie jeder andere auch. Er grübelte über seine Rolle bei AC/DC, seine finanzielle Situation und seine Beziehungen nach. Auch darüber, wie ihn andere Leute wahrnahmen. Wenige Monate, bevor er Roy traf, nach einer Trennungsphase, die fast gleich lang war wie ihre Ehe, ließ sich Bon endgültig von seiner Frau Irene scheiden. Das sind Sorgen und Unbilden, mit denen wir uns alle herumschlagen müssen. Bon war in dieser Hinsicht nicht einzigartig. Es stellt sich die Frage, warum er die Vorstellung, nüchtern zu sein, so unerträglich fand, dass er sich regelmäßig so abschießen musste, um die Nacht durchzustehen. Sein neuer Freund Roy hatte definitiv seine Gründe, aber was waren Bons?

Silver Smith sagt, dass er ihr nie erklärt hätte, warum er so heftig trank.

„Es fing schon sehr früh an. Manchmal trank er aber auch eine Zeit lang gar nichts. Er wusste, dass es ihn umbrachte. Sogar auf Tour in den späten Siebzigern gab es ziemlich lange Phasen, in denen Bon trocken blieb. Ein paar Monate hier und da. Aber als ich ihn 1976 kennenlernte, trank er täglich eine Flasche Scotch.“

Er hatte eine masochistische Ader, die sich nicht rational erklären ließ. Die Trinkerei nahm stets eine zentrale Rolle bei seinen Problemen ein. Silver beschrieb dies als „seine destruktive Seite. Er tat dann absolut unerklärliche Dinge und verursachte mitunter große und manchmal sogar nachhaltige Schwierigkeiten für die Leute, mit denen er unterwegs war. Ich fragte ihn dann, warum zum Teufel er etwas getan hätte: ‚Wie kommt man bloß auf solche Ideen?‘ Darauf hatte er keine Antwort. Bis heute bin ich mir nicht sicher, ob er wusste, was er tat, oder ob es ihm selbst ein Rätsel war.“

* * *

Als AC/DC zum zweiten Konzert ihrer ersten US-Tour in San Antonio eintrafen, „waren die Leute bereits am Durchdrehen“, lacht Lou Roney. „Ich weiß nicht, wie ich das anders beschreiben soll.“ Über 6.000 Leute versammelten sich im Municipal Auditorium und auf beide Bands warteten hinter der Bühne reichlich Groupies.

Earl Johnson zeigte sich beeindruckt von Moxys Vorband: „Ich saß da und verfolgte ihr ganzes Set. Ich weiß noch, wie ich sagte, dass diese Jungs verdammt groß werden würden. Sie waren wie eine Maschine. Alle klinkten sich einfach in den Groove zwischen Band und Publikum ein.“ Wie er sagt, vereinten sie das Beste der Stones mit dem Besten von Led Zeppelin. „Einerseits ist da dieser sehr stete Stones-mäßige Beat und andererseits diese an Led Zep erinnernden Riffs.“

 

Erst in Dallas ergab sich die Möglichkeit, sich ein wenig näher mit Bon vertraut zu machen. Moxy und AC/DC stiegen dort zum ersten Mal im selben Hotel ab. Nach der Show war Bon allerdings von Alkohol und Pillen bereits ziemlich angeschlagen.

„Das Zimmer, in dem ich schlief, wurde in dieser Nacht zum Partyraum auserkoren. Ich war kein sonderlich starker Trinker. Damals ließ es aber jeder mal ein bisschen krachen. Ich wollte nun um zwei Uhr zu Bett gehen. Da pennte aber schon Bon. Ich weiß noch, wie ich versuchte, ihn aufzuwecken. Er war aber nicht wach zu bekommen. Ich warf ihn also über meine Schulter und schleppte ihn den Flur hinunter, wo ich an die Tür klopfte und ihn entweder Angus oder Malcolm überließ. Als ich ihn den Flur hinuntertrug, versuchte er, mir eine zu verpassen. Das war ganz schön komisch. Er konnte sich ja kaum bewegen. Er hätte nicht mal eine Giraffe getroffen, so neben der Spur lief der. Wir warfen uns echt alles ein, Mann. Quaaludes, weiße Pülverchen. Die Kolumbianer flogen Texas im Tiefflug an und warfen den Scheiß in Bündeln ab. Sie unterflogen das Radar in einer Flughöhe von knapp 250 Metern. Heute laufen sie mit U-Booten die Küste an [lacht].“

Quaaludes, auf der Straße auch als „Downers“ oder „Soapers“ bekannt, waren in der Rockszene der Siebziger in den USA die Droge der Wahl. Martin Scorsese stellt in einer längeren Sequenz seines Films The Wolf of Wall Street sehr anschaulich dar, welch unglaubliche Wirkung sie entfalteten. Bon erwähnt das Zeug in einem verdrießlichen Brief von 1978 an seine Exfrau Irene, den er zwei Tag vor dem Ende von AC/DCs Tour schrieb: „Ich habe eine Quaalude eingeworfen.“

Dass er die Droge so früh auf ihrer US-Tour und in Kombination mit Alkohol nahm – eine hochgefährliche Mischung –, deutet darauf hin, wie unbekümmert Bon mit seiner Gesundheit umging. Es war auch ein Omen für das, was noch bevorstand.

Doch die Band hatte Anlass zum Feiern. Gerade einmal drei Tage nach ihrem US-Debüt in Austin hatten etliche weitere Radiosender aus dem ganzen Land AC/DC ins Programm genommen: WCOL Columbus, KJSW Seattle, KADI St Louis, WQDR Raleigh, KZEW Dallas, WNOE New Orleans, KTIM San Rafael, KLBJ Austin, WENE Binghamton, KPRI San Diego, WYDD Pittsburgh, WROQ Charlotte, KDF 103 Nashville, WIYY Baltimore, WNEW New York und WLIR Long Island. Let There Be Rock schien im Südwesten und Mittleren Westen des Landes in der Billboard-Kategorie „Breakouts“ auf und am 31. Juli veröffentlichte die Los Angeles Times eine Lobeshymne auf das Album. Laut dieser Kritik stellte Let There Be Rock eine Verbesserung gegenüber High Voltage dar. Die „an Slade und Nazareth erinnernde, überschäumende Power“ würde die Platte zu „einer der besten diesjährigen Neuerscheinungen im Hochenergiebereich“ machen, hieß es da.

* * *

Von Texas ging es für die Band weiter nach Florida, wo drei Konzerte in Jacksonville, West Palm Beach und Hollywood bevorstanden. In Jacksonville, nahe der Staatsgrenze zu Georgia, hatten sich die Einheimischen bereits vorab auf die Band eingrooven können. Das lag zum einen an der Missionierungsarbeit von Bill Bartlett von WPDQ/WAIV Jacksonville und zum anderen an der Unterstützung durch Sidney Drashin, eines der berüchtigtsten Gauner im Rock, dessen Firma Jet Set Enterprises in den Siebzigern die Konzertszene in Florida dominierte wie das Medellin-Kartell den Kokainhandel.

„Bon Scott war wahrscheinlich aufgrund dessen, was er für sein Genre leistete, weltweit einer der fünf besten Leadsänger“, teilt er mir von seiner Eigentumswohnung am Ponte Vedra Beach außerhalb von Jacksonville aus mit. „Er brachte sie echt weiter. Auch ihre Bühnenshow war etwas Neues, das die Leute so noch nicht gesehen hatten. Sie schwirrten durchs Stadion wie die Glühwürmchen oder Ameisen. Alle glühten sie förmlich. AC/DC übertrugen ihre Verrücktheit auf das Publikum. Sie waren magisch.“

Nördlich von Miami, im Sportatorium auf dem West Hollywood Boulevard in Hollywood, standen AC/DC bei der Benefizveranstaltung „Day for the Kids“ des Radiosenders WSHE 103.5 als vorletzter Act auf dem Programm. Die Vorband war die lokale Rockband Tight Squeeze, deren auffälligstes Merkmal war, dass der inzwischen verstorbene Teddy Rooney, Sohn des Schauspielers Mickey Rooney und der Schauspielerin Martha Vickers, bei ihnen Bass spielte.

Im Publikum verfolgte Michael Fazzolare, der 110 Kilo schwere italoamerikanische Leadsänger der vierköpfigen Punkrockband Critical Mass aus Miami, ehrfürchtig sein erstes AC/DC-Konzert. Da konnte er noch nicht wissen, wie nahe er schon bald dem Sänger seiner Lieblingsband kommen würde.

„Das Haus war gerammelt voll, ein typisches Sportatorium-Publikum. Wir waren da, weil wir AC/DC sehen wollten. Wir fuhren total auf sie ab. Sie spielten ‚The Jack‘ und Bon fragte, wie wir hier einen Tripper nannten. Also rief ihm jemand zu: ‚The Clap!‘ Und so sang er nun ‚The Clap‘ [statt ‚The Jack‘] und alle sangen mit: ‚She’s got the [klatscht in die Hände].‘ Diese Band … sie waren vom Mars. Und sie gaben Vollgas. Es war total irre.“

Nach dem Konzert kehrte die Band zurück in ihr Hotel, wo Bon Pattee Bishop vorgestellt wurde, einer umwerfenden irisch-jüdischen Haarstylistin, die in ihrer Blütezeit Stars wie Alana Hamilton, Loni Anderson oder Farrah Fawcett-Majors optisch um nichts nachstand. Sie war eine langbeinige, vollbusige, gebräunte Blondine mit feinen Gesichtszügen, einem strahlenden Lächeln und eindrucksvoller Mähne. Bon hatte eine Vorliebe für heiße Frauen – vor allem aber liebte er Blondinen mit Geld.

Heute lebt Pattee in Venice, Kalifornien, wo sie mit einem „Malibu-reichen Typen“ verheiratet ist – „denen geht es immer nur um die nächste Welle“ – und kümmert sich um eine Reihe von Mietobjekten am Meer. Sie ist sich der Macht, die sie über die Männerwelt hatte, durchaus bewusst.

„Zuerst ging ich mit Cliff [Williams] aus. Ich fand, dass er der Süßeste war. Aber er rauchte Pot und ich konnte den Gestank nicht ausstehen. Wir hatten unsere gemeinsame Zeit; danach ging er mit meiner besten Freundin aus Chicago, Candy Pedroza.“

Bon war bis Ende 1979 Pattees Liebhaber, von Zeit zu Zeit zumindest. Sie wusste von Anfang an, dass nicht alles mit ihm stimmte.

„Bon war ein einsamer Typ. Er hatte Hände so rau wie die eines Arbeiters. Innerlich war er ein alter Mann. Es brach mir das Herz, als er alleine starb.“

3

Whole Lotta Rosie

Auf der Upper East Side in Manhattan begrüßt mich Foreigners Leadgitarrist Mick Jones in seinem Luxusapartment, das sich gleich beim Central Park befindet. Er trägt einen Morgenmantel, der mich an den Dude aus The Big Lebowski erinnert, und sein persönlicher Assistent holt mir ein Glas Wasser. Wir nehmen Platz auf seinem Sofa, während im Fernsehen stumm die French Open laufen. In der Ecke steht eine Gitarre, die eine Les Paul Custom sein dürfte.

Jones ist eine Legende der Musikbranche und hat abseits seiner eigenen Projekte bereits mit Eric Clapton, Van Halen und George Harrison gearbeitet. Allerdings bin ich hier, um mit ihm darüber zu sprechen, wie es ist, ein Alkoholiker zu sein, der in einer Rock-’n’-Roll-Band spielt. Zwischen Mick Jones und Bon Scott gibt es abgesehen von den offenkundigen Unterschieden in puncto Bühnenpräsentation und Musik überraschend viele Ähnlichkeiten und Parallelen. Sowohl Jones als auch Bon spielten schon lange in Bands, bevor ihnen schließlich mit Foreigner bzw. AC/DC der Durchbruch gelang. Beide waren Alkoholiker und nahmen Drogen. Beide standen bei derselben Plattenfirma unter Vertrag, nämlich Atlantic Records. Die erfolgreichsten Alben ihrer Karriere, Foreigners 4 und AC/DCs Highway To Hell, wurden von Robert John „Mutt“ Lange produziert. Jones wird vom selben Mann gemanagt, der AC/DC einen Plattenvertrag verschafft hat, nämlich Phil Carson. Außerdem ist er mit Brian Johnson befreundet. In der Woche unseres Treffens wurde ihm im Rahmen einer glamourösen Gala in Manhattan ein Ehrenpreis von Caron, einem wohltätigen Suchtbehandlungszentrum, überreicht.

Doch im Gegensatz zu Bon lebt Jones noch und kann die Früchte seiner Arbeit genießen. Die beiden Männer trafen sich am 10. August 1977 in Kansas City, Missouri, wo UFO und AC/DC vor Foreigner in der Memorial Hall auftraten. AC/DC hatten gerade einen relativ desaströsen Gig im Mississippi Nights in St. Louis hinter sich, wo die Band und Phil Carson – ein großer Mann – in ein Handgemenge mit ein paar Türstehern gerieten. Als sie nun in Kansas City eintrafen, waren sie nicht allzu freundlich gestimmt, vor allem weil Foreigner all das zuteilwurde, nach dem sich AC/DC sehnten. Ihnen war mit ihrer schlicht Foreigner betitelten Debüt-LP und der Single „Feels Like The First Time“ gleich der Durchbruch gelungen. Eine Werbeanzeige, mit der Atlantic das Album pushte, bediente sich verschiedener Pressezitate, die so euphorisch ausfielen, als würden sie direkt aus der PR-Abteilung der Plattenfirma stammen: „Sie weisen die Merkmale einer zukünftigen Supergroup auf“, ihre Musik spreche eine „unwiderstehliche Sprache“ und bringt die Hörer dazu, „nach mehr zu schreien“.

„Wir wurden praktisch landesweit beworben“, sagt Jones. „Es war eine unglaublich magische Zeit. Schon das Timing. Oder vielleicht lag es auch an Atlantic Records. Wir verkauften schließlich Platten wie noch niemand vor uns in der Geschichte von Atlantic. Aber wer hätte ahnen können, dass diese Band, die praktisch aus dem Nichts kam, in diesem Jahr vier Millionen Alben verkaufen würde? Der einzige andere Act, dem das gelungen war, hieß Iron Butterfly – niemandem sonst: weder den Stones, Zeppelin, Genesis oder Yes. Die ganze Firma stand hinter uns. Die einzigen anderen Bands, die sich gut machten, waren Boston, Eagles und Fleetwood Mac. Aerosmith verkauften in den Siebzigern gar nicht so viel.“

Man konnte AC/DCs Feindseligkeit gegenüber Foreigner spüren.

„Es glich einer Frontalattacke. Aber ich glaube, dass ich über die Jahre hinweg genug Erfahrungen gesammelt hatte. Ich gab mir große Mühe, dem Rest der Band beizubringen, wie sie damit umgehen sollten. Letztendlich stärkte es nur unsere Entschlossenheit. Wir legten uns noch mehr ins Zeug und stellten uns der Herausforderung.“

Also wirkte sich die Konkurrenz positiv auf die Musik aus?

„Yeah. Ich glaube, dass auch AC/DC davon profitierten. Sie legten vor und wir fanden uns in der Defensive wieder. Diese Art Motivation hättest du nicht unbedingt vom Publikum beziehen können. Außerdem pushten Klenfner und Kalodner jeden auf dem Label.“

Michael Klenfner, der Atlantics Marketing- und Promotion-Abteilung vorstand, hatte den ersten paar Gigs von AC/DC in Florida in Begleitung seiner rechten Hand Perry Cooper beigewohnt. Im April 1977 waren beide von Arista Records, wo Klenfner für die Promotion im FM-Radio verantwortlich gewesen war, zu Atlantic gewechselt. John Kalodner war bei Atlantic im A&R-Bereich tätig.

„AC/DC verstanden sich blendend mit Klenfner und Cooper“, erzählt Jones. „Sie waren ganz neu bei Atlantic und schossen sich ein wenig auf Foreigner ein. Wir waren zwei verschiedene Bands. Obwohl wir auch eine eher härtere Rockband waren, waren wir nicht ganz so heavy wie AC/DC. Unser Publikum zeichnete sich durch seine Diversität aus, obwohl am Anfang viele Rock bevorzugten. Ich glaube, dass sich Kalodner auf unserer Seite und Klenfner für AC/DC auf eine Art Wettkampf einließen, frei nach dem Motto ‚Wer schlägt sich am besten?‘“

Er erinnert sich an diese Zeit als eine Phase, in der „soziale und musikalische Einflüsse eine enorme Rolle spielten“ und die Musik eine echte emotionale Wirkung entfaltete.

„Wir gaben uns damals allergrößte Mühe, über zehn Zeilen mit jeweils sechs Wörtern eine Geschichte zu erzählen, auf sehr begrenztem Raum eine Botschaft zu transportieren“, sagt Jones. „Die Leute taten das damals noch. Natürlich tun sie das heute auch noch, aber ich glaube, dass der Fokus seinerzeit auch noch mehr auf Melodien und Dingen lag, die etwas nachhaltiger waren.“

Bons Trinkerei war sogar schon 1977 für alle um ihn herum offenkundig. Jones ist ein trockener Alkoholiker; was meint er, das dahintersteckte?

„Ich glaubte, es geht dabei um das Gefühl, dazuzugehören und zu tun, was die anderen auch tun. Man fragt sich, ob der Grund dafür, dass sie diese tollen Ideen haben, vielleicht der ist, dass sie sich mit Gras benebeln. Ich hielt mich seinerzeit in erster Linie an Gras und Schnaps. Damit ließen sich viele meiner Hemmungen überspielen; es beförderte mich im Handumdrehen in den Mittelpunkt jeder Party. Allerdings bewegt man sich da auf dünnem Eis. Ein paar Jahre lang gelang mir diese Gratwanderung, bis ich an einen Punkt gelangte, an dem es mir über den Kopf wuchs – so wie das auch unglaublich vielen anderen in diesem Geschäft widerfahren ist. Das einzige Positive war, dass ich zumindest überlebt habe.“

 

Glaubst du, dass Bon eine Chance hatte, irgendetwas anders zu machen, oder war das einfach der Weg, den er eingeschlagen hatte?

„Damals vermutlich nicht. Niemand gab zu, ein Junkie, ein Drogensüchtiger oder Säufer zu sein. Solche Dinge gestand man zu dieser Zeit nicht öffentlich ein. Diese Art Offenheit hielt erst später, in den Achtzigern, Einzug. Ich meine, so ziemlich jeder wusste, dass Kurt Cobain ein paar Probleme hatte. Die gesellschaftliche Stigmatisierung brachte mit sich, dass es einfach nicht als cool galt, wenn ein Rockmusiker einräumte, ein Problem zu haben. Es wurde erwartet, dass du mit diesem Scheiß selbst umgehen konntest und es deine Musik vorantrieb. Das begann schon mit dem Blues. Solche Dinge zu gestehen, wurde vor allem als Zeichen der Schwäche wahrgenommen. Ich muss gestehen, dass ich immer noch, obwohl ich mich nicht unbedingt selbst so nenne, ein Alkoholiker und Drogensüchtiger bin. Immerhin befinde ich mich nur einen Drink vom Untergang entfernt. Dasselbe gilt für Drogen. Wenn ich mir heute Abend einen Drink genehmigte, würde ich mir nächste Woche schon literweise Wodka hinter die Binde kippen. Ich wäre in erbärmlichem Zustand und würde einem verdammten Barmann meine Lebensgeschichte erzählen und all meine Errungenschaften schildern [lacht]. Weißt du, was ich meine? Und dann müsste mich irgendwer nach Hause schleppen10. Als Nächstes würde ich nach und nach alles verlieren, was ich mir in den fünfzehn Jahren meines Erholungsprozesses erarbeitet habe. Jeder Tag stellt eine Herausforderung dar. Man sollte sich keine Versprechungen oder so machen, keine Pläne aufstellen, diese Sache für den Rest deines Lebens durchzuziehen, weil das zu beängstigend ist. Wie es so schön heißt: immer nur ein Tag auf einmal. Eine Verpflichtung auf täglicher Basis. Du musst deinen Wunsch und deine Entscheidung, trocken und sauber zu bleiben, immer neu bekräftigen. Es gibt nur einen Heilungsprozess, aber noch keine Heilung. Diese Einrichtungen, die vorgeben, die Leute von ihrer Trunksucht heilen zu können, sind doch alle Bockmist. Totaler Bullshit! Der Alkoholiker bleibt immer auf Gedeih und Verderb diesem einen einzelnen Drink ausgeliefert.“

* * *

Als AC/DC sich mit Foreigner die Bühne teilten, hatten auch UFO reichlich Schwierigkeiten mit Alkohol und Drogen. Leadgitarrist Michael Schenker, der sich mit einem chronischen Alkoholproblem herumschlug, war durch Paul Chapman ersetzt worden. Doch Bon spielte mit seiner Trinkerei in einer eigenen Liga.

„Bon hielt sich nur an seine eigenen Regeln“, erzählt Paul Raymond, Gitarrist und Keyboarder von UFO. „Angus kommentierte Bons Eskapaden mit einem Augenzwinkern: ‚Yeah, Bon war heute dreimal betrunken. Er war betrunken, als er heute aufwachte. Im Flugzeug war er dann wieder betrunken, schlief eine Runde und jetzt ist er in der Garderobe – und wieder betrunken.‘ Das war witzig gemeint, um uns zum Lachen zu bringen. Bei UFO tranken wir schließlich auch ziemlich heftig. Wir glaubten, dass Bon jung genug war, um das wegzustecken. Wir sahen das nicht als Problem an, schließlich sang Bon immer großartig. Er zog sein eigenes Ding durch und soweit ich weiß versuchte sich keiner um ihn zu kümmern oder sah die Angelegenheit als sonderlich problematisch an. Doch rückblickend war seine Trinkerei schon ziemlich krass. Am liebsten trank er Bourbon. Einmal erzählte er mir, dass er sich auf der Bühne gegen das Schlagzeugpodium lehnte, um nicht umzufallen. Bon war ein echt freundlicher Kerl – nur ging es bei ihm ständig ums Trinken: ‚Hey, kommst du mit an die Bar, Junge?‘ Die Drinks wollten nie versiegen.“

Chapman erinnert sich daran, dass Bon in Amerika auch Kokain konsumierte und nicht einmal Unmengen von Alkohol ihn bremsen konnten.

„Bon vertrug extrem viel und hatte einen Mordsdurst auf Alkohol. Mein Spitzname lautet ‚Tonka‘ [wie die Spielzeugtrucks] und ich kann auch viel vertragen, aber Bon trank mich unter den Tisch. Er war allzeit bereit. Auf Tour sagte er oft: ‚Komm schon, Tonka, auf geht’s!‘ Und ich antwortete dann: ‚Was? Du spinnst doch! Es ist vier Uhr morgens!‘“

* * *

Am 13. August 1977 – AC/DC traten am selben Tag im Agora in Columbus auf – stieg Let There Be Rock drei Wochen nach der Veröffentlichung auf Atlantics Sub-Label ATCO Records auf Position #154 in die Billboard-Charts ein. Doch nach den Shows in Madison und Milwaukee sowie einem Wiedersehen mit Foreigner in Dayton und Indianapolis, wo AC/DC mit jämmerlichen 250 Dollar abgespeist wurden, fiel das Album auf Platz #183 zurück. Es erholte sich noch einmal kurz und stieg im September immerhin bis auf #161, rutschte aber Mitte Oktober endgültig aus den Charts. Damit hatten sie kaum einen bleibenden Eindruck hinterlassen können. Um den Misserfolg von Let There Be Rock in einen Zusammenhang zu stellen: Fleetwood Macs Rumours hatte sich bis November desselben Jahres sechs Millionen Mal verkauft, nachdem das Album erst im Februar erschienen war. Es sollte 13 Jahre dauern, bis Let There Be Rock die Grenze von einer Million verkauften Exemplaren durchbrechen sollte. Nachdem die erste US-Tour der Band so vielversprechend begonnen hatte, erhielt die Mission, zu der sich AC/DC aufgemacht hatten – Amerika zu erobern –, einen massiven Dämpfer.

10 [„Nach Hause schleppen“ = im englischen Original „Carry Me Home“.] Ironischerweise ist „Carry Me Home“ auch der Name eines AC/DC-Tracks, der 1977 als B-Seite der Single „Dog Eat Dog“ (AP-11403) in Australien erschien. Er wurde 2009 auf der Compilation Backtracks erneut veröffentlicht. Hier geht Bon noch am ehesten auf die deprimierende Realität seiner Alkoholsucht ein.