Bon - Der letzte Highway

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Teil I

1977

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Go Down

Vier Tage vor AC/DCs Ankunft in Texas landete Barry Manilow einen Nummer-1-Hit mit der öden Ballade „Looks Like We Made It“. Man kann sich nur vorstellen, wie das Bon Scott geärgert haben muss, der zum ersten Mal die USA besuchte. Seitdem er ins Teenageralter gekommen war, hatte er von diesem Land geträumt. Zwei Jahre später erwähnte Bon Manilow im Song „Get It Hot“, der auf seinem letzten Album mit AC/DC Highway To Hell erschien. Mit trockener Erleichterung sang er da:

Nobody’s playing Manilow.

Auch vor Disco gab es kein Entkommen. Der angesagteste Song in New York und Los Angeles hieß „I Found Love (Now That I Found You)“ von Love And Kisses. Andy Gibb sollte schließlich Manilow an der Spitze der Charts mit „I Just Want To Be Your Everything“ ablösen und ganze drei Wochen dort bleiben. Was Rockmusik betraf, so kämpften „Barracuda“ von Heart, „Black Betty“ von Ram Jam sowie die Steve Miller Band mit ihrer Coverversion des Paul-Pena-Songs „Jet Airliner“ eine scheinbar aussichtslose Schlacht gegen die gnadenlose Übermacht der Discokugel.

Die Herausforderung, der sich AC/DC mitsamt ihrem neuen englischen Bassisten Cliff Williams stellten, war nicht zu unterschätzen. Es war die Art Herausforderung, mit der sich jede neue Rock-’n’-Roll-Band in Amerika konfrontiert sah. Um Geld zu verdienen, mussten sie auf Tour gehen – und in diesem Bereich waren Kiss und Led Zeppelin die unbestrittenen Marktführer. Letztere waren im April vor 80.000 Menschen im Pontiac Silverdome in Michigan aufgetreten. Led Zeppelins Konzert am 24. Juli beim Day On The Green im kalifornischen Oakland sollte ihr letzter Auftritt in Nordamerika sein.

Doch Bon war nicht Robert Plant. Auf ihn wartete jedenfalls kein Stadion gefüllt mit Zehntausenden kreischenden Girls. Stattdessen begannen er und seine Band ihre Reise durch Nordamerika, die sich letztlich als durchaus bemerkenswert herausstellen sollte, mit einer Show vor 1500 bekifften Studenten und Cowboys im Armadillo World Headquarters in Austin, einem ehemaligen Waffenarsenal, das zu einer treibhausartigen Konzertlocation umfunktioniert worden war.

Ihren Auftritt verdankten sie Lou Roney und dem inzwischen verstorbenen Joe „The Godfather“ Anthony, zwei Discjockeys aus San Antonio, die Manilow ebenso hassten, wie AC/DC es taten. Ihr Sender, KMAC/KISS, war eine der Ersten auf Album-Rock spezialisierten Radiostationen in den USA. Dort spielte man alles von Ted Nugent und Rush über Bob Dylan und Southern Rock bis hin zu Taj Mahal und B. B. King. Anthony und Roney flüsterten den lokalen Konzertveranstaltern, welche Rock-Acts sie nach San Antonio holen sollten, bis sie schließlich irgendwann selbst ins Geschäft einstiegen. Einer der Acts, die sie dem Konzertveranstalter Jack Orbin ans Herz legten, waren AC/DC.

Die australische Band benötigte Hilfe. Ihr erstes in Nordamerika aufgelegtes Album, High Voltage, eine Zusammenstellung von Tracks von ihren ersten beiden heimischen Veröffentlichungen, hatte sich als Flop entpuppt und war nur von regionalen Sendern in Florida und Kalifornien mit vernünftigem Airplay bedacht worden. In der Presse setzte es für AC/DC einen Verriss nach dem anderen – vom Rolling Stone in New York bis hin zum Lawrence Journal-World in Kansas, das High Voltage zum „schlechtesten Album des Jahres“ kürte: „Diese hässlichen Aussie-Punks lassen Johnny Rotten wie Perry Como wirken.“7 In Texas kümmerte es die Leute hingegen herzlich wenig, was der Rest des Landes von AC/DC hielt.

„Anfangs widmeten uns die landesweit agierenden amerikanischen Plattenfirmen nur wenig Aufmerksamkeit“, erinnert sich Roney. „Wir waren ja nur ein heruntergekommener, alter Mistsender, weshalb sie uns nie mit Musik versorgten. Und so fingen wir an, Import-Sachen zu spielen. Joe oder ich kauften importierte Platten aus aller Welt. So stießen wir auch auf High Voltage. Wir starrten auf das Cover und hörten uns das Album an. Ich sagte dann zu Joe, dass ich diese Musik für einen echten Killer hielt. Selbstverständlich hatte damals noch niemand von AC/DC gehört. Joe wollte sie nicht zu oft spielen. Ich aber schon. Und plötzlich bekamen wir allerhand Anrufe.“

KMAC/KISS setzten laut Malcolm Young die Mundpropaganda in Gang: „Als wir 1977 in den USA landeten, hieß es, dass das Timing für unsere Art von Musik nicht passen würde. Das war die Ära von Soul, Disco, John Travolta – dieser Kram eben. Es gab, glaube ich, fünf Radiosender im ganzen Land, die Rock spielten, ohne viel Aufhebens darum zu machen. Als wir [im Armadillo] eintrafen, um unseren Soundcheck zu machen, waren ein paar Typen da, die das Gebäude sauber fegten. Sie sangen alle ‚TNT‘ und wir fragten uns, woher diese Vögel den Song bloß kannten.“ Nun, sie kannten ihn, weil Roney mit Begeisterung und Anthony etwas widerwilliger im Radio AC/DC-Platten spielten.

* * *

1977 war Roy Leonard Allen Jr. ein dicklicher, langhaariger, kiffender 21-jähriger Student am Austin Community College. Er war in Rockdale, Milam County, im Nordosten von Austin aufgewachsen, wo sein Vater, der Weltkriegsveteran Roy Leonard Allen Sr., als Anwalt und Friedensrichter tätig war. Sein Urgroßvater Robert hatte in der texanischen Kavallerie auf Seiten der Südstaaten im Bürgerkrieg gedient. Er entstammte somit der angeseheneren Mittelklasse – doch verhielt er sich nicht dementsprechend und steckte permanent in Schwierigkeiten.

„Um diese Geschichte richtig erzählen zu können, muss ich zuerst etwas von meiner Geschichte erzählen“, erzählt er mir mit seinem markanten zentraltexanischen Akzent. Roy hat ein freundliches, zerfurchtes Gesicht – nicht unähnlich jenem von Tommy Lee Jones – und eine höfliche Art, die über seine wilde Vergangenheit hinwegtäuscht. Heute lebt er in Leander, einem Vorort nördlich von Austin, wo er als Immobilienmakler tätig ist. „Vieles habe ich schon wieder vergessen. Aber an Folgendes kann ich mich sehr wohl noch erinnern.“

Es war der 26. Juli 1977 und Roy hatte Sommerferien. Er hing in einer Bar namens The Back Room am East Riverside Drive ab. Die Bar befand sich nur zwei Meilen vom Armadillo World Headquarters entfernt – ganz in der Nähe des Colorado River, der mitten durch Austin fließt. Das Lokal, das 1973 seine Pforten öffnete und 2006 geschlossen wurde, war die Rock-Bar schlechthin in der Stadt.

„Keine Fenster. Pool-Tische, Tischfußball, Bartresen, ’ne gut bestückte Jukebox. Drinnen schien es stets finster zu sein und die Klimaanlage funktionierte tadellos. Ich war allein. Außer mir befanden sich nur noch ein paar andere Leute in der Bar, als mitten am Nachmittag diese drei Typen aufkreuzten. So wie die sprachen, war mir sofort klar, dass die nicht aus Texas und Umgebung stammen konnten. Sie alberten herum, lachten und schienen ganz coole Jungs zu sein. Sie fielen jedenfalls auf. Als sie ihre Drinks orderten, johlte ich dem Barkeeper zu, dass er ihre Getränke auf meinen Deckel schreiben sollte. Immerhin verfügte ich wegen der Schule über die Kreditkarte meines Dads. Sie bedankten sich und sagten, dass sie gerade in der Stadt angekommen wären. Sie erzählten mir, dass sie aus Australien kämen, in einer Rock-’n’-Roll-Band spielten und am nächsten Abend als Vorband im Armadillo World Headquarters auftreten würden. Das waren Malcolm und Angus Young plus einem weiteren Typen, vielleicht ihrem Drummer Phil. Eines führte zum anderen und so landeten wir schließlich in ihrem Hotelzimmer. Ich hatte ein bisschen Gras dabei und wir benebelten uns damit.“

Angus trank Alkohol und rauchte Pot?

„Ja, ich bin mir sicher, dass sie alle ein Bier oder einen Drink bestellten. Ich würde mich erinnern, wenn einer von ihnen das nicht getan hätte. Trinken war völlig normal, wir alle benebelten uns, keine große Sache. Angus kiffte mehr, als er trank, wenn ich mich richtig erinnere. Er rauchte gerne vor den Shows. Als Nächstes erinnere mich, wie wir im Hotelzimmer herumhingen. Es war Bons Zimmer. Dort traf ich ihn auch zum ersten Mal. Er sah für die damalige Zeit ganz normal aus – abgesehen von seinen vielen Tätowierungen. Ich fragte sie, wie sie auf den Namen AC/DC gekommen waren. Ich erklärte Malcolm, dass wir den Begriff bei uns als Bezeichnung für Leute gebrauchten, die an beiden Ufern zu Hause waren, und mir nicht sicher wäre, wie die Leute darauf reagieren würden. Sie taten dies mit einem Lachen ab. Außerdem mussten sie mir erklären, was mit ‚The Jack‘ gemeint war. Ich blieb ziemlich lange dort und versuchte, sie zu überreden, mich vor der Show am nächsten Abend zum Pedernales River zu begleiten. Der lag etwas außerhalb der Stadt. Ich wollte nur ein bisschen mit Texas angeben und ein wenig länger mit diesen Jungs abhängen. Sie waren wirklich ganz anders. Alle verstanden sich gut und unterhielten sich großartig. Man konnte eine echte Freundschaft zwischen ihnen spüren. Leider konnten sie nicht mitkommen, weil sie für irgendetwas eingeteilt waren oder keine Lust hatten. Bon aber sagte zu den anderen, dass er mich gerne begleiten würde. Ich versprach, ihn rechtzeitig und wann immer sie wollten wieder abzuliefern.“

Pedernales River lag knapp eineinhalb Stunden außerhalb der Stadt.

„Ich holte Bon am nächsten Vormittag ab. Er ließ mich in sein Zimmer, nachdem ich bei ihm geklopft hatte. Zuerst trug er mir auf, uns ein paar Gin Tonics aufs Zimmer zu bestellen. Also schnappte ich mir den Hörer und orderte vier doppelte Gin Tonics. Ich sah ihn mir an, weil ich nicht wusste, ob alles okay mit ihm war. Er grinste von einem Ohr zum anderen. Ich glaube, in diesem Moment wussten wir beide, dass wir einen neuen Freund gefunden hatten. Bald schon begriff ich, dass Bon ebenso gerne trank wie ich. Ich kannte nicht viele Leute, die so drauf waren. Das war so eine komische Verbindung, die wir zueinander hatten – wahrscheinlich einer der Hauptgründe dafür, dass wir uns anfreundeten. Wir fuhren dann los und trafen uns mit ein paar Leuten. Es war für uns alle ein lustiger Tag. Wir tranken Bier und sprangen von Felsen ins Wasser. Als wir im Armadillo eintrafen, hatte Bon gerade noch fünfzehn Minuten Zeit – aber verspätet hatte er sich auch nicht.“8

 

* * *

Das Armadillo World Headquarters, ein Refugium für texanische Hippies mit einer Vorliebe für Rock, hatte seine Blütezeit in den frühen Siebzigern erlebt, als Willie Nelson, Waylon Jennings, Freddie King, Van Morrison, Grateful Dead, Roy Orbison und das Sir Douglas Quintet mit Augie Meyers und Doug Sahm hier auftraten – um nur ein paar der vielen Hundert Acts zu nennen. Doch inzwischen durchschritt die Location eine Talsohle. Die finanziellen Sorgen waren beachtlich. Tatsächlich stand sogar der Bankrott im Raum, weshalb das Armadillo World Headquarters auch für andere Zwecke als nur als Live-Venue genutzt wurde. Jeder Dollar war willkommen. Man bewarb die Bude als „Konzertsaal, Spielhalle, Biergarten, T-Shirt-Laden“ und verwies auf seine kulinarischen Vorzüge: „The Armadillo Kitchen: Home of the World Famous Nachos, Giant Cookies und Armadillo Daily Bread.“

Der Headliner, für den AC/DC den Abend eröffnen sollten, war die kanadische Formation Moxy, eine von Joe Anthony geförderte Band, die sich als Vorgruppe von Nazareth, Styx, Santana, Ritchie Blackmore und Leslie West einen Namen gemacht hatte. In Texas waren sie eine große Nummer, immerhin wurden ihre Songs 1976 auf KMAC/KISS vom Publikum am häufigsten gewünscht. „Als sie in Texas auftraten“, so das amerikanische Musikmagazin Circus, „brachen sie Publikumsrekorde, die bis dahin von Schwergewichten wie Rush, Thin Lizzy und Foreigner gehalten wurden.“

Das Publikum war also gekommen, um Moxy zu sehen – und nicht etwa AC/DC. Anthony war aus dem 80 Meilen entfernten San Antonio angereist, während ein bekiffter 18 Jahre alter Moxy-Fan namens Wade Smith mit seinen Freunden Alan Juergens, Bill Martin und Bubba Greensage aus Rockdale nach Austin gekommen war. Nach Hause fahren sollte sie Roy Allen, dessen älterer Bruder Waylon Wades bester Freund war. Doch im Armadillo World Headquarters angekommen fehlte jede Spur von Roy. Stattdessen kam Wade im Biergarten mit seinem Idol Buzz Shearman, dem Sänger von Moxy, ins Gespräch, der dort gerade darauf wartete, dass die australische Vorgruppe zu spielen begann.

„Da stand ich nun, ganz hin und weg, und starrte den Leadsänger von Moxy an“, erzählt Wade. „Dann kam aus meinem Mund so ziemlich das Schlimmste, was man zum Frontmann einer Hardrock-Band sagen kann. Ich fragte ihn, wer denn heute seine Begleitband wäre.“

Die Frage löste eisiges Schweigen aus und Wade erwartete, dass Buzz sich aus dem Staub machen würde.

„Sie heißen AC/DC. Heute spielen wir unseren ersten Gig mit ihnen auf dieser Tour. Ich weiß nicht viel über sie.“

„Was spielen sie so?“

„Das weiß ich gar nicht. Ich habe gehört, dass sie ganz gut sein sollen, aber ein bisschen punkig sind.“

„Oh nein, nicht Punk.“

Earl Johnson, Moxys Gitarrist, hatte AC/DC bei ihrem Soundcheck beobachtet.

„Ich schwöre, dass es dort an diesem Abend an die vierzig Grad heiß war. Ein regelrechter Backofen. Wir kippten eimerweise Wasser über die Leute ganz vorne vor der Bühne. Es war so heiß, dass einem das Salz vom Schweiß in den Augen brannte. Es war irre heiß.“

Wade, Alan, Bill und Bubba stützten sich inzwischen mit ihren Ellbogen auf der rechten Seite der Bühne ab, von wo aus sie die bestmögliche Aussicht auf das Geschehen hatten.

„Ich werde nie vergessen, wie AC/DC angesagt wurden und auf die Bühne kamen“, sagt Wade. „Alle Blicke richteten sich auf diesen sehr kurz geratenen, schmächtigen Gitarristen, der nicht nur seine Gitarre um den Hals hängen hatte, sondern auch eine Schultasche am Rücken trug. Er steckte in einer blauen Schuluniform aus Velours und trug weiße Socken, ein lächerlich wirkendes Käppi und eine ­schmale, gestreifte Krawatte.9 So etwas hatten wir noch nicht gesehen. Leadgitarristen wirkten doch stets so machohaft. Immer wieder lief ein Bühnenhelfer zu Angus, um ihm seine kurzen Hosen raufzuziehen. Bei jedem Solo rutschten sie nämlich runter. Aber das, was wir da hörten, dieser neue Sound, er funktionierte. Es klang astrein. Ich drehte mich zu Alan und schrie: ‚Ich steh auf Punkrock!‘“

Aber am meisten war Wade von Bon beeindruckt.

„Er strahlte Selbstsicherheit aus und hatte das Publikum unter Kontrolle. Seine Jeans waren so eng und er trug dazu ein anliegendes, marineblaues T-Shirt. Es sah so aus, als hätte man ihn in seine Klamotten hineingegossen. Je mehr Songs sie spielten, desto lauter wurde das Publikum – und desto mehr fuhr ich auf diesen Sound ab. Ich fragte mich, wie es ihnen gelang, die Gitarren so gut klingen zu lassen. Ich wollte, dass sie gar nicht mehr aufhören. Obwohl ich eigentlich die ganze Strecke wegen Moxy zurückgelegt hatte, wollte ich nun, dass die noch nicht auf die Bühne kämen, weil ich einfach nicht genug von dieser neuen Band bekommen konnte. Dem Publikum ging es nicht anders.“

Auch Malcolm konnte sich an diese positive Energie erinnern.

„Wir spielten unseren ersten Gig vor einem Haufen Cowboys, aber die fuhren total darauf ab. Sie sahen Angus in seiner Aufmachung und wie er nun einmal spielt – ich glaube, das war für uns von Vorteil.“

Schließlich erspähte Wade den verschollenen Roy, der es sich am hinteren Ende der Bühne auf einem großen Eimer gemütlich gemacht hatte.

„Er war meine Mitfahrgelegenheit und ich hatte ihn den ganzen Abend lang noch nicht gesehen – und jetzt saß er backstage? Ich versuchte, seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, bis er mich schließlich bemerkte. Wir deuteten ihm, dass wir auch hinter die Bühne kommen wollten. Er zeigte uns nur den Stinkefinger und seine Lippen schienen zu sagen: ‚Scheiße, auf keinen Fall, ihr kleinen Bastarde.‘“

Als AC/DC ihr Konzert beendet hatten, begab sich Roy nach vorne, um sich mit seinen Leuten zu unterhalten. Wade verschwendete keine Sekunde.

„Wie kommen wir in den Backstage-Bereich?“

„Ich weiß nicht, ob ich das bringen kann. Ihr müsst euch wohl nach einer anderen Mitfahrgelegenheit umsehen.“

„Aber du bist unser Fahrer. Warum kannst du uns nicht mitnehmen?“

„Ich kann nicht. Bon und ich gehen zusammen auf eine Aftershow-Party im Hotel.“

Roy machte sich bereits wieder auf in Richtung Backstage-Bereich, als Wade ihm noch etwas hinterherrief.

„Hey, wer ist denn bitte Bon?“

* * *

Die Stimmung hinter der Bühne war triumphal. Sogar Joe Anthony hing mit der Band ab, rauchte einen Joint und kippte Bierchen.

„AC/DC waren erstklassig und das Publikum drehte durch“, erzählt Roy. „Nur sehr wenige Acts, die ich im Armadillo gesehen habe, erzeugten eine solche Energie. Springsteen fällt mir da ein. Oder auch Lynyrd Skynyrd. Da lag dieselbe Elektrizität in der Luft. Jeder fragte sich, wer zum Teufel diese Typen waren. Ich weiß noch, wie ich und alle anderen uns dachten, wie beschissen es wäre, nach AC/DC auf die Bühne zu müssen. Die Band spielte sich in einen Adrenalinrausch.“

Im Biergarten, der sich neben dem Haupteingang befand, wurde Bon umschwärmt.

„Es war so cool, all diese Leute zu sehen, wie sie auf Bon zugingen, um sich ein Autogramm zu holen. Während er unterschrieb, blickten mich manche von ihnen an, als würden sie sich selbst fragen, wer denn dieser Typ sei: ‚Wenn er bei ihm steht, muss er doch irgendwer sein, oder?‘ Und so schrieb ich auch ein paar Autogramme.“

Irgendwann brachen Bon und Roy vom Armadillo aus auf und spazierten zu Roys Wagen, einem silbernen Oldsmobile Toronado, Baujahr 1968.

„Bon bestand darauf, selbst zu fahren. Das war okay für mich, weil ich schon zweimal angeheitert erwischt worden war. Wir waren zwar nicht besoffen, aber keiner von uns beiden hätte bei einer Kontrolle eine sonderlich gute Figur gemacht.“

Bon drehte sich zu Roy, als sie den Parkplatz verließen.

„Eines musst du uns schon lassen, Roy“, sagte er mit einem breiten Grinsen, „wir wissen, wie man richtig rockt.“

Bon lenkte den Wagen in Richtung des Holiday Inn, wo die Band untergebracht war, doch sein Fahrstil fing an, Roy Sorgen zu bereiten.

„Es dauerte ein paar Blocks, bis mir auffiel, dass etwas nicht in Ordnung war. Niemand fuhr so schlecht.“

Als sie die I-35 erreichten, mussten sie eine Brücke überqueren und links abbiegen.

„Bon, du musst auf der rechten Seite bleiben, bis du links abbiegst.“

„Keine Sorge, Roy, ich mach das schon. Ich wollte schon immer mal so fahren.“

Sie brachen in schallendes Gelächter aus. Der Westaustralier und der Texaner standen am Beginn einer Freundschaft, die so nicht zu erwarten gewesen wäre.

„Lenn und Bon verband eine lange anhaltende Freundschaft“, sagt Wade, der Roy bei seinem zweiten Vornamen nennt. „Immer wenn AC/DC in die Nähe von Texas kamen, rief Bon Lenn an und lud ihn ein, sich dorthin zu begeben, wo sie sich gerade herumtrieben. Lenn und Bon waren enge Freunde und immer, wenn Bon im Lande war, fand er die Zeit, um Lenn anzurufen und sich zu unterhalten. Lenn traf es hart, als Bon starb.“

Roy telefonierte mit Bon noch kurz vor dessen Tod und bekam dabei etwas Außergewöhnliches mitgeteilt. Das Armadillo World Headquarters schloss am Silvesterabend 1980 seine Pforten und sollte nie wieder öffnen.

* * *

Da sie nun wegen Bon ohne Mitfahrgelegenheit dastanden, fuhren Wade und seine Kumpels per Anhalter zurück nach Rockdale. Immer noch unter dem Eindruck des Vorabends im Armadillo begab sich Wade am nächsten Tag erneut nach Austin, um sich auf die Suche nach AC/DC-Alben zu machen. Er fand jedoch nur eines, nämlich eine Import-Version von Dirty Deeds Done Dirt Cheap.

„Das war mein erstes AC/DC-Album“, erinnert er sich. „Danach kaufte ich jedes Album, dass sie mit Bon als Sänger aufnahmen. Ich muss gestehen, dass ich mir nach seinem Tod kein einziges AC/DC-Album mehr gekauft habe. Mir gefiel die Musik viel besser in der Bon-Ära. Der Gitarrensound war früher viel besser. Alle meine Lieblingssongs von AC/DC stammen aus dieser Zeit. Ich glaube übrigens, dass Malcolm den Sound der Band ausmacht. Ein solch unverwechselbarer Gitarrensound.“

Zwei Tage später spielte er Golf mit Waylon Allen. Wade fiel auf, dass Waylon etwas trug, was dieser im Toronado seines Bruders gefunden hatte: ein marineblaues T-Shirt.

„Hey, das ist doch das Shirt, das der Leadsänger von AC/DC vor ein paar Abenden getragen hat!“

7 Sie ernteten jedoch nicht nur schlechte Kritiken. So etwa 1976 in der Entertainment-Kolumne „Tower Ticker“ in der Chicago Tribune: „Atlantic Records fährt auf AC-DC [sic], eine Punkrockgruppe aus Australien, ab.“ Auch die Washington Post zeigte sich einigermaßen wohlgesinnt und lobte Angus Young für seine „große Kompetenz“ und erwähnte Bon Scotts Ausstrahlung: „Er war in seiner Rolle als sexlüsterner Irrer schwer zu ignorieren, die er mit einer solchen Perfektion verkörperte, dass man sich kaum vorstellen kann, wie diese Jungs scheitern sollten.“ Die Los Angeles Times erkannte scharfsinnig „einen verblüffenden Sinn für Rock-’n’-Roll-Humor und heterosexuelle Aggression, wie wir sie seit den frühen Rolling Stones nicht mehr gesehen haben“. Billboard wiederum schrieb: „Diese Band ist der australische Beitrag zum Heavy-Metal-Getöse. Angeführt von Malcolm und Angus Young an den Gitarren macht die Band mit ihrer Energie wett, was ihr an Können mangelt.“ Das waren aber so ziemlich alle positiven Kritiken.

8 AC/DCs Tourmanager Ian Jeffrey dachte, so teilte er dem AC/DC-Biografen Mick Wall 2012 mit, dass die Insassen des Trucks – außer Bon noch Roy, Roys Freund Byron Christian sowie die zwei Frauen, die sie begleiteten – Mexikaner wären: „[Bon] war unterwegs … mit ein paar dieser Mexikaner, mit denen er sich in irgendeiner Bar angefreundet hatte … Plötzlich tauchte in der Ferne so ein Truck auf, aus dem AC/DC dröhnte. Das war Bon mit zehn seiner neuen besten Freunde. Alle hielten sie Whiskyflaschen und Joints in ihren Händen. Der Wagen hielt, Bon sprang heraus und sagte: „Ian, das sind Pedro und Poncho und so weiter … Kannst du sie alle auf die Gästeliste schreiben?“ Roy muss lachen, als ich ihm das vorlese. „Ich bin mir ganz sicher, dass da keine Mexikaner waren. Wir waren sicher alle gut gebräunt, aber wir sahen nicht wie Mexikaner aus – ein großer Unterschied. Und ich glaube nicht, dass wir AC/DC hörten, da wir die Band ja nicht wirklich kannten. Vielleicht liefen sie ja im Radio. Obwohl Austin damals eine sehr tolerante Stadt war, mussten wir dennoch den Ball flach halten, weshalb ich mir nicht vorstellen kann, dass wir Gras rauchend durch die Innenstadt gedüst sind, wo uns alle gesehen hätten. Wir fuhren nahe an den Bandbus heran, da wir knapp dran waren und schon ein paar Typen nervös auf Bons Rückkehr warteten. Ian war einer von ihnen. Sie sahen alle erleichtert und glücklich aus. Ich versuche, nur zu erzählen, woran ich mich tatsächlich erinnere, und nicht, die Lücken mit Sachen auszufüllen, von denen ich nicht ganz sicher bin, ob sie passiert sind, egal, wie wahrscheinlich sie sein mögen. Allerdings muss ich sagen, dass mir Ians Version viel besser gefällt [lacht], obwohl ich glaube, dass er ein wenig übertreibt.“

 

9 Malcolm sagte 1980 gegenüber den Daily News aus New York: „Viele Leute sehen Angus in seiner Uniform und vergessen dabei, was für ein ausgezeichneter Musiker er ist. Das mit der Schuljungen-Verkleidung fing an, als er elf war. Er spielte in einer Band mit viel älteren Typen, die ihn so verkleideten und die Shows mit dem Spruch ‚Seht den kleinen Gitarren-Star‘ bewarben.“ Eine etwa kuriose Aussage, da laut der gängigen Version der Geschichte Margaret, die jüngere Schwester der Youngs, vorschlug, Angus solle die Schuluniform tragen, was dann zu seinem Markenzeichen wurde. Aber so ist das eben mit AC/DC. Sie modifizieren ihre Geschichten, um sie dem Mythos anzupassen. Ganz egal, die Schuluniform leistete ihnen gute Dienste.