Bon - Der letzte Highway

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Letztendlich hatte er nur die eine Drehbank gegen eine andere Maschinerie, nämlich den Rock ’n’ Roll, eingetauscht. Bon kämpfte gegen die Langeweile an, die das permanente Umherreisen mit sich brachte, indem er schrieb. Er nannte sein Notizheft, das er überallhin mitnahm, sein „Buch der Wörter, meine gesammelte Poesie“.

„Ich habe seitenweise Material“, verriet er der australischen TV-Größe Ian „Molly“ Meldrum. „Daraus ergeben sich dann mitunter drei oder vier gute Ideen für Songs.“

Was geschah nach Bons Tod mit diesem Notizheft beziehungsweise diesen Notizheften? Wurden irgendwelche Inhalte – Titel, Zeilen, Strophen, Refrains – für Back In Black verwendet? Egal, wie viel Mühe sich Angus, Malcolm und ihre Bandkollegen auch dabei gegeben haben, diese Fragen abzuwimmeln – die Antworten, die sie mitunter gaben, sind doch eher widersprüchlich und wenig überzeugend. Ein paar der Songs auf Back In Black klingen so unverkennbar nach Bon Scott – „You Shook Me All Night Long“, „Back In Black“, „Hells Bells“, „Have A Drink On Me“, „Rock And Roll Ain’t Noise Pollution“ sind nur die augenscheinlichsten Beispiele –, dass die Verschwörungstheorie, der zufolge Bon tatsächlich Lyrics zum Album beisteuerte, jedoch keine Erwähnung als Songwriter fand, gar nicht so weit hergeholt anmutet.

* * *

Kurz vor seinem Tod hatte Bon während eines Besuchs in Australien den ehemaligen Bassisten von AC/DC, Mark Evans, in seinen Plan eingeweiht, ein Soloalbum mit Southern Rock aufzunehmen. Eben dieser Southern Rock, ein einzigartiger Hybrid aus Gitarren-Rock, Blues und Country, war zu jener Zeit, als AC/DC in Nordamerika Fuß fassten, sehr angesagt und eine Reihe von Southern-Rock-Bands gingen mit AC/DC auf Tour. Seine Begeisterung für das Genre sowie den amerikanischen Süden manifestierte sich in seiner Gürtelschnalle, die eine Abwandlung der Flagge der Südstaaten zierte. Die 13 Sterne, die normalerweise die einzelnen Staaten der Konföderation symbolisieren, wurden auf ihr durch den Schriftzug LYNYRD SKYNYRD ersetzt. Er trug sie 1979 ständig. Aber soweit wir wissen, sprach Bon dieses Southern-Rock-Album gegenüber Malcolm nie an, und er hat auch keine ernsthaften Vorbereitungen dafür getroffen.

Ich unterhielt mich mit etlichen Musikern der berühmtesten Southern-Rock-Bands dieser Ära – Lynyrd Skynyrd, .38 Special, Outlaws, Blackfoot und andere – und mit Personen, die mit ihnen in Kontakt standen, doch ihre Aussagen widersprechen sich bisweilen. Jedenfalls entsteht der Eindruck, dass Bon noch keine konkreten Pläne dafür geschmiedet hatte, so ein Album aufzunehmen.5

Silver bestätigt, dass er mit ihr über ein Soloprojekt gesprochen hätte – allerdings blieb er sehr vage und erwähnte nichts Spezifisches wie etwa Southern Rock. Seine oberste Priorität war es, den Durchbruch mit AC/DC zu schaffen.

„Er wusste, dass AC/DC seine letzte Chance darstellten. Entweder würde es mit ihnen oder eben gar nicht mehr gelingen. Es hätte ihm gefallen, ein Soloalbum aufzunehmen, weil er über eine echt gute Stimme verfügte. Er konnte sich genau wie ich für echt gute Sänger begeistern … Wir standen beide auf denselben Kram. Obwohl er hoffte, irgendwann einmal ein Soloalbum aufnehmen zu können, war ihm klar, dass das nicht so bald passieren würde. Bei dem Terminplan stand das nicht zur Debatte. Was die Southern-Rock-Sache betrifft, so denke ich, dass sich das jemand anders ausgedacht hat. Ich glaube, dass die Stile und die Art von Songs, die er gemacht hätte, ziemlich durchmischt gewesen wären. Ihm gefiel alles von Hank Williams bis hin zu Sam Cooke. Er mochte auch eine Reihe von Sängerinnen, von denen viele gar nicht sonderlich berühmt geworden sind.“

Holly X widerspricht. „Bon liebte alles, was mit dem [amerikanischen] Süden und Westen zu tun hatte: Cowboys und den Wilden Westen etwa“, sagt sie. „Meine Mom war eine echte Südstaatenschönheit aus Georgia und das schien ihm zu gefallen. Ich erinnere mich, wie ich ihn zum Lachen brachte, indem ich manchmal mit starkem Südstaaten-Akzent sprach. Angesichts der offenkundigen Spannungen zwischen Bon und Malcolm hätte es mich nicht überrascht, wenn das sein Plan B gewesen wäre für den Fall, dass Malcolm ihn wegen seiner unkontrollierten Trinkerei gefeuert hätte.“

* * *

Bons unsterbliche Worte in „Rock ’N’ Roll Damnation“ – Take a chance while you still got the choice – stellen für Millionen von Menschen eine Lebensanleitung dar. Und doch waren die Umstände seines Niedergangs weder heroisch noch tragisch und entsprachen somit nicht diesen allergrößten Klischees. Vielmehr lief alles in Zeitlupe ab. Sein Tod hatte sich schon seit Jahren angekündigt, wie diese Touren durch Nordamerika jedem aus seinem direkten Umfeld verdeutlichten. Warum halfen ihm weder seine Bandkollegen noch das Management der Band? Warum hielt ihn keiner dabei auf, sich selbst zu zerstören? War Alkohol sein Gegengift für all die Drucksituationen, die das Leben auf Tour für ihn bereithielt? Waren es AC/DC und die Persönlichkeiten, die die Band ausmachten, die ihn so ruinierten?

Back In Black, das meistverkaufte Hardrock-Album aller Zeiten, war viel mehr als eine „Hommage“ an Bon, denn ohne ihn wäre es wohl nie zustande gekommen, egal ob es nun seine Lyrics auf dem Album sind oder nicht. Auch Aussagen seitens der Band, denen zufolge sie mit dem Gedanken spielten, nach Bons Tod das Handtuch zu werfen, sind sehr fragwürdig. Diese Darstellung des Sachverhalts hat AC/DC sehr geholfen und ist so allgegenwärtig, so eingebettet in das kollektive Bewusstsein der Musikmedien und der Fans, dass es niemand wagen würde, von etwas anderem auszugehen.

Als 2016 Bons Nachfolger Brian Johnson nach 36-jähriger Dienstzeit völlig überraschend von AC/DC vor die Tür gesetzt wurde, veröffentlichte die Band eine Pressemitteilung, in der sie Brian „für seine Beiträge und Hingabe zur Band über all die Jahre hinweg“ ihren Dank aussprach. Das fühlte sich an, als wäre er gerade in der Autofabrik wegrationalisiert worden. Die Fans reagierten jedenfalls fast ausnahmslos mit großer Verwunderung und verächtlichem Kopfschütteln. Wie konnte irgendjemand nur so gefühllos sein? Malcolms Brüder Angus und George – der etwas älter war und seit jeher hinter den Kulissen eine Schlüsselrolle eingenommen hatte – mussten den Verstand verloren haben.

Brians Erklärung, sein Gehör wäre so sehr in Mitleidenschaft gezogen, dass er nicht mehr live auftreten könnte, gab keinen Aufschluss darüber, warum man sich seiner so rasch entledigte: Noch am selben Tag, an dem er die Diagnose seines Arztes erhielt, verkündeten AC/DC, dass ein „Gastsänger“ Johnson ersetzen würde. Die Youngs haben nicht abgewartet, bis es ihm wieder besser ging, und die restlichen Konzerte ihrer Welttournee abgesagt.6 Als Bon noch lebte, war auch er ins Fadenkreuz der Brüder gerückt. Was den Youngs wirklich wichtig war, war ihr Durchbruch – und das Geld. Mit oder ohne Bon.

Bon mag zwar zweifellos sehr begabt gewesen sein, doch letztlich muss man sagen, dass er es vergeigt hat. Aber trotz all seiner reichlich vorhandenen charakterlichen Mängel belegt seine grundlegende Anständigkeit – seine Gesten gegenüber Menschen (Briefe, Postkarten, Geschenke), die Verbindung mit seinen Fans, seine überraschende Sanftmut, an die man sich gern erinnert – auch nachhaltig seine Menschlichkeit. Sie ist auch der Grund, warum seine Geschichte auch heute noch bewegt. Was die Angelegenheit umso schmerzlicher macht, ist die Tatsache, dass er einfach viel zu früh von uns ging beziehungsweise unter Umständen, die nie ganz geklärt wurden.

„Die olle Kamelle vom Rockstar, der an seiner eigenen Kotze erstickt, degradiert ihn einfach in eine Kategorie, die er sich nicht verdient hat“, sagt Larry Van Kriedt, AC/DCs erster Bassist und Freund der Youngs aus Kindertagen.

* * *

Der mittlerweile verstorbene Vince Lovegrove erzählte dem australischen Autor Clinton Walker für seine 1994 erschienene Bon-Biografie Highway to Hell, dass der AC/DC-Frontmann, sein alter Freund und Bandkollege bei der Sixties-Bubblegum-Popband The Valentines, stets gewirkt hätte, als würde ihn etwas belasten, „egal ob es nun sein kreatives Verlangen war oder auch seine vermeintliche Unzulänglichkeit, die ihn vielleicht wegen seiner Herkunft aus der Arbeiterschaft oder seiner mangelnden Bildung plagte. Keine Ahnung. Allerdings gab es da einen inneren Konflikt, eine gewisse Unsicherheit bezüglich seiner selbst. Er ließ zwar gerne den großen Macker raushängen, aber dahinter verbarg sich ein Softie.“

Jahre später fragte Dr. Volker Janssen, ein AC/DC-Fan, Lovegrove nach seiner Meinung zu Clinton Walkers Buch. „Ich halte es für einen ehrlichen Versuch eines Fans, den echten Bon Scott zur Sprache kommen zu lassen, indem seine Persönlichkeit laut der Einschätzung seiner Freunde nachgezeichnet wird“, antwortete er. „Ich glaube, dass Walker die Essenz eines Teils von Bon, nämlich den guten, zu dem sich jeder hingezogen fühlte, gut wiedergibt. Allerdings scheitert er an Bons dunkler Seite.“

Es ist diese dunkle Seite, für die ich mich interessierte. Ich bewundere das, was Walker mit seinem Buch über Bon versucht hat. Es entstand vor dem Zeitalter von Google, als alle Fakten rigoros überprüft werden mussten – und gegen den Widerstand von AC/DC und ihrer langjährigen australischen Plattenfirma Albert Productions (auch Alberts genannt). Doch durch meine eigenen Nachforschungen habe ich begriffen, dass viele seiner Aussagen und Schlüsse zu Bon schlichtweg falsch waren.

Silver Smith bezeichnete ihre Beteiligung an Walkers Buch mir gegenüber als „Fehler … Ich habe schon eine Menge Mist gelesen. Nach Walkers erstem Versuch [einer Bon-Biografie] begriff ich, dass die Leute sich mehr für Mythen als für die Wahrheit interessieren“.

 

Mary Renshaw behauptete, dass Bons Bruder Graeme Scott das Buch „in die Mülltonne warf“. Das kann allerdings – so fair muss man gegenüber Walker sein – sowohl gegen als auch für das Buch sprechen. Schließlich geht es bei einer guten Biografie nicht darum, die Familie der porträtierten Person glücklich zu machen.

Auf jeden Fall war Walkers Buch um Längen besser als Ren­shaws. Auch gebührt ihm große Anerkennung dafür, die erste echte Biografie von Bon vorgelegt zu haben. Highway to Hell ist aber auch auf keinen Fall das ultimative Porträt dieses Mannes – ebenso wenig wie all die anderen Bücher über Bon und AC/DC. Obwohl ich dies auch nicht für Bon – Der letzte Highway in Anspruch nehmen möchte, glaube ich doch, dass mein Buch ein völlig neues Bild zeichnet, das der Wahrheit viel eher entspricht als alle anderen bisher zu diesem Thema veröffentlichten Bücher.

* * *

Es wurde noch nicht annähernd genug über die letzten drei Jahre in Bons Leben geschrieben, als er der Frontmann jener Band war, die bald schon zur aufregendsten Rockband der Welt avancieren sollte. Den Großteil dieser Zeit verbrachte er in Nordamerika.

Zweifellos gibt es eine Menge Leute, die Bon persönlich kannten, Bücher schrieben und Bons Geschichten zum Besten gaben. Die Bandbreite reicht von Bandkollegen und Managern bis hin zu Exfrauen und Freunden. Dann gibt es noch jene Leute, die von anderen Biografen ausführlich für Bücher interviewt wurden oder in Dokumentarfilmen auftraten. Ihre Geschichten wurden immer wieder und wieder durchgekaut und führten letztlich zur Entstehung eines Mythos rund um Bon, mit dem wir alle nur zu gut vertraut sind.

Da, wo ich der Ansicht war, diese Quellen zu Wort kommen lassen zu müssen, habe ich aus bereits erschienenen Büchern und Presse-Interviews zitiert. Außerdem griff ich auf bisher unveröffentlichte Kommentare aus meinem eigenen Interview-Archiv zurück und stieß auch auf bis dato unbekannte Audio-Interviews mit Bon selbst. Zusätzlich führte ich noch Hunderte neuer Interviews. Viele meiner Gesprächspartner waren selbst Musiker, die zwischen 1977 und 1979 mit AC/DC in Nordamerika auf Tour gingen.

Dieses Buch beschränkt seinen Fokus auf die letzten 32 Monate in Bons Leben und konzentriert sich dabei vor allem auf seine Erlebnisse in Amerika sowie seine letzten Stunden in London. Bei diesem Buch geht es darum, jenen eine Plattform zu bieten, die ihre Geschichten noch nicht mit der Welt geteilt haben – und vieles darin baut auf den Reminiszenzen einer Gruppe von Leuten auf, die Ende der Siebzigerjahre in Miami, Florida, lebten. Auch ein trinkfester Cowboy aus Austin, Texas, der Bon vor AC/DCs erstem Gig in den USA begegnete, soll zu Wort kommen.

Natürlich basiert dieses Buch auch auf Aussagen von ehemaligen und aktuellen Mitgliedern der Band selbst. Obwohl mir – so wie jedem seriösen AC/DC-Biografen vor mir auch – der Zugang zur gegenwärtigen Besetzung der Gruppe verweigert wurde und Bon seit fast 40 Jahren tot ist, gelang es mir, aus lange in Vergessenheit geratenen Büchern, Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln sowie TV- und Radiobeiträgen eine Art Mosaik von ihm zusammenzufügen, das sich im Grunde genommen die ganze Zeit direkt vor unseren Nasen befunden hat. Ganz egal, wie wenig ihnen die Enthüllungen auf den Seiten dieses Buches auch in den Kram passen mögen, so können sich die Mitglieder von AC/DC doch nicht so einfach von ihren eigenen Aussagen distanzieren.

Über die Jahre hinweg wurde mir auch das Privileg zuteil, mit einer Reihe von ehemaligen AC/DC-Mitgliedern in Kontakt zu treten und mich mit ihnen zu unterhalten. Ich bin ihnen sowie jenen Leuten, die sich aktuell im AC/DC-Kosmos bewegen und sich bereit erklärten, offiziell oder inoffiziell mit mir zu sprechen, zu großem Dank verpflichtet. Mir ist vollauf bewusst, dass es in Bezug auf diese spezifische Band kein einfacher Schritt ist, aus der Reihe zu tanzen und den Mund aufzumachen – auch wenn man schon längst nicht mehr mit von der Partie sein mag. Dennoch waren sie beherzt genug, genau dies zu tun.

Das Bandmitglied, das am ehesten einen sinnvollen Beitrag zu diesem Buch hätte leisten können, Phil Rudd, hatte ursprünglich zugesagt, mir ein Interview zu geben. Leider bekam er im letzten Moment kalte Füße und machte seine Zusage ohne Angabe eines Grundes wieder rückgängig. Ich konnte seine Angst förmlich spüren.

„Ich erzähle ungern Geschichten von Bon“, erklärte er mir von seinem Zuhause in Neuseeland aus. „Er war ein großartiger Kerl. Mir wurde nahegelegt, keine Kommentare zu irgendetwas abzugeben. Viel Glück mit deinem Buch. Ich hoffe, es eines Tages lesen zu können. Mach’s gut, Kumpel. Danke für deinen Anruf. Alles okay bei dir? Alles in Ordnung?“

„Sorry, was? Dir wurde davon abgeraten, mit mir zu sprechen?“

„Jawohl, das stimmt. Yeah.“

Aber nicht einmal sein eigener Rechtsbeistand wusste, wer tatsächlich auf Phil, der damals wegen privater wie rechtlicher Querelen im Blickpunkt der Öffentlichkeit stand, eingewirkt hatte. Machte er sich vielleicht Sorgen darüber, etwas Unangebrachtes zu sagen, das sich negativ auf eine eventuelle Rückkehr zur Band auswirken könnte? AC/DCs Schweigekodex galt immer noch, auch wenn der Betroffene schonungslos aussortiert worden war.

Immerhin hatte er von meiner Arbeit gehört: „Schick mir doch ein Exemplar von diesem Buch, das du geschrieben hast, Die Brüder Young. Das scheint mir ziemlich interessant zu sein. Ich würde da gerne mal reinschmökern.“

Doch mit der Zeit gelangte ich zu dem Schluss, dass abseits der Bühne selbst seine eigene Band eine untergeordnete Rolle in Bons Geschichte spielte.

„Bon stand dem Rest von AC/DC nicht nahe“, sagt Pattee Bishop. „Er hing nicht mit ihnen ab. Nach den Shows wollte er eigentlich immer gleich aufbrechen. Ich weiß, dass das mit seiner Trinkerei zu tun hatte. Das gefiel den anderen nicht. Er erzählte, dass sie seinetwegen sogar Meetings abhielten. Wenn sie sauer auf ihn waren, probten sie einfach ohne ihn. Ihr Roadie verwässerte Bons Drinks. Bon fühlte sich ausgeschlossen. Das schmerzte ihn.“

Silver Smith ist derselben Meinung. „Sie waren ziemlich happy darüber, ihn los zu sein, wenn er mit mir unterwegs war“, sagt sie.

Selbstverständlich sah Angus Young die Sache anders: „Wir waren jedes Jahr zehn oder elf Monate auf Tour. Die restliche Zeit verbrachten wir im Studio, um am nächsten Album zu basteln. Wir standen Bon alle nahe.“

Außerdem vermittelte er einen faszinierenden Einblick in AC/DCs Einstellung gegenüber Biografen, denen sie mit Verachtung und an Verfolgungswahn grenzendem Misstrauen begegneten.

„Im Verlauf der Jahre gab es zahlreiche Leute, die uns darum baten, etwas schreiben zu dürfen. Allerdings sind sie nicht auf der Suche nach einer unvoreingenommenen Story. Nein, sie wollen viel lieber im Dreck wühlen. So wie die Sun. Zuletzt habe ich gehört, dass Bon Scott vergiftet worden sein soll. Es soll da eine Verschwörung gegeben haben, in die auch die Regierung verwickelt war. Ich nehme diese Geschichten nicht für bare Münze. Es gibt eine Menge Bücher. Leuten bot sich die Möglichkeit, Dinge in Erfahrung zu bringen, aber es war ihnen egal. Stattdessen unterhielten sie sich lieber mit anderen Leuten, die nicht einmal dabei waren. Statt sich zur Quelle zu begeben, wandten sie sich an irgendjemanden, der vielleicht Tee kochte oder so. Ich unterhalte mich mit jedem Fan, der mir eine Frage stellen möchte. Wenn aber jemand ankommt und sagt, dass er so und so viel Dollar bekommt, mich weder kennt noch leiden kann, aber hier sei, um eine Story zu fabrizieren, dann habe ich schlichtweg keinen Bock darauf. Dasselbe habe ich auch schon mit Journalisten einschlägiger Zeitungen erlebt. Alles, was sie von mir hören wollen, ist, wie ich mich verheddere, und wenn nicht ich, dann Brian oder die anderen Jungs. Sie wollen das, was du sagst, gegen dich verwenden. Wenn sich ihnen die Möglichkeit bietet, sich etwas so zurechtzulegen, dass sie daraus etwas Hässliches konstruieren können, dann werden sie das auch tun.“

Doch das ist nur eine bequeme Ausrede, die einfach nicht der Wahrheit entspricht. Eine Biografie zu verfassen und dabei seinen Anstand zu bewahren und ein reines Gewissen zu behalten, schließen sich nicht gegenseitig aus. Tatsächlich hörte ich Dinge über manche Mitglieder von AC/DC, die ich einfach nicht übers Herz brachte zu veröffentlichen. Mir war klar, dass dieses Buch Konsequenzen für manche Beteiligte, tot oder lebendig, mit sich bringen würde. Und was soll da schon aufgebauscht werden? Eine Geschichte, die die Band selbst nicht auf die Reihe bekommt, wie zum Beispiel die Entstehung von Back In Black?

Etliche Biografen – mich eingeschlossen – haben sich direkt zur Quelle begeben: zur Familie Young. Allerdings wurden wir abgewiesen. Dasselbe passierte mir auch mit AC/DCs Plattenfirma Sony. AC/DCs persönlicher Presseagent bei ihrer Managementfirma befand es für nicht notwendig, meine Anfrage um ein Interview überhaupt einer Antwort zu würdigen. Auch Brians und Cliffs Anwalt George Fearon zog es vor, nicht zu antworten. Eine Reihe weiterer ehemaliger AC/DC-Bediensteter winkten ebenfalls ab und gaben Malcolm Youngs Demenz als Grund für ihr Schweigen an. Diejenigen, die sich dazu durchrangen, mit mir zu sprechen, sagten nur sehr wenig und weigerten sich, mir noch weitere Interviews zu geben. Es ist, als wären alle mit einem umfassenden Schweige­gelübde belegt worden.

„Ich werde nie vergessen, dass du derjenige warst, der die Wahrheit ans Licht brachte“, sagte jemand, der für Alberts’ Brechreiz auslösende Dokumentation über den Aufstieg von AC/DC, Blood + Thunder, interviewt worden war. „Ich stand unter dem Eindruck, dass Alberts dir den Weg zu gewissen Mitgliedern von AC/DC versperrte. Nur so ein Gefühl … Einer von ihnen sagte, dass du nie ein Interview mit einem Bandmitglied bekommen würdest. Ich weiß nicht mehr den genauen Wortlaut, aber das war die Kernaussage. Sie schienen richtiggehend stolz darauf zu sein.“

Doch solch ein Abwehrverhalten gegenüber prüfenden Blicken stachelt einen Biografen nur dazu an, sich noch mehr ins Zeug zu legen. Ich wusste, dass die Geschichte über Bon, von der die Youngs nicht wollten, dass sie erzählt würde, irgendwo da draußen auf mich wartete.

Der Fokus dieses Buchs liegt eindeutig auf Bons Erlebnissen in Nordamerika, da diese Zeit den blinden Fleck seiner Biografie darstellt. Einerseits lässt sich diese Phase nur schwer rekonstruieren, andrerseits stellt sie aber auch seinen bedeutendsten Lebensabschnitt dar. Der Weg, der letztendlich zu Bons Tod führte, nahm seinen Ausgang in den USA, und bis heute bleiben noch viele Fragen unbeantwortet. Auch ich kann sie nicht alle beantworten, doch habe ich – bei all den Hindernissen, mit denen ich mich konfrontiert sah – mein Möglichstes getan, um Licht ins Dunkel zu bringen.

„Du wirst mehrere Bände schreiben müssen, um festzuhalten, was Bon nur an einem Tag so angestellt hat“, sagte Angus einmal. „Was meine eigene Geschichte betrifft – nun, wenn sie schon jemand erzählen muss, dann gebt besser mir die Kohle, dann schreibe ich sie selbst auf.“

Soll er nur machen. Keine Einwände meinerseits. In der Zwischenzeit werde ich mein Bestes geben, um Bons Geschichte zu erzählen. Dieses Buch zu schreiben, nahm drei Jahre in Anspruch. Es erzählt die wahre Geschichte seiner letzten Lebensjahre und spricht für sich selbst.

Jesse Fink

1 Mary und ihr Co-Autor John D’Arcy wurden im Oktober 2015 für die Fernsehsendung Studio 10 auf dem australischen Channel Ten interviewt, um Live Wire zu promoten. D’Arcy sagte dort: „Ich würde sagen, dass eine Menge dieser Songs [auf Back In Black] von Bon mitgeschrieben wurden, da er uns erzählte, dass das alles schon abging [bevor er starb].“ Mary, die neben ihm saß, war dies offensichtlich unangenehm und sie stieß ihn an. „Nein, darauf gehen wir jetzt nicht ein“, sagte sie. Warum denn nicht? Mary gibt zu, dass sie Back In Black nie gehört hat. Doch in einem Interview mit Triple R aus Melbourne enthüllte sie: „Wenn das, was [in East Dulwich] passiert ist, nicht geschehen wäre, hätte Bon es gesungen … Es sind eine Menge echt [Pause] guter Texte, die Bon geschrieben hat, auf dem Album.“ Obwohl sie Briefe besitzt, die Bon an sie schrieb, verweigerten Bon Scotts Nachlassverwalter Mary die Erlaubnis, sie in ihrem Buch abzudrucken. „Wir durften die Briefe nicht für das Buch verwenden, obwohl ich das echt gerne getan hätte“, erzählte sie gegenüber Wendy Stapleton von Channel 31 aus Melbourne. „Aber einer von Bons F… [sie unterbricht sich] Und obwohl es meine Briefe sind, sind sie anscheinend ein Teil seines Nachlasses, weshalb ich sie nicht für das Buch verwenden durfte. Er ließ sie mich irgendwie nicht für das Buch benutzen.“ Wen sie mit „er“ meint, bleibt leider im Unklaren. Bons Familie und ihre Anwälte sind wild entschlossen, sein Image und sein Ansehen zu beschützen. Sie sind berüchtigt dafür, allem, was sie nicht autorisiert haben, den Stecker zu ziehen. Ich besitze eine Kopie eines Briefes von einem Anwalt, der darin jemanden, der Bons Familie zu einer Zusammenarbeit bezüglich eines Films über Bons Leben ermuntern wollte, eindringlich warnt, dass „die Nachlassverwaltung ihre Rechte am Namen, Image und Ansehen von Bon Scott sehr ernst nimmt und gegebenenfalls rechtliche Schritte einleiten wird, um irgendeine unautorisierte Verwendung des Namens ‚Bon Scott‘ zu unterbinden.“

 

2 „Vor Back In Black gelang es der Band nie wirklich, ihren Sound und ihr Temperament festzuhalten“, kritisierte Rolling Stone AC/DC in einem ihrer Album-Guides. Die Alben mit Bon Scott bewertete man dort folgendermaßen: High Voltage ★★, Let There Be Rock ★★½, Powerage ★★½, If You Want Blood ★★★ und Highway To Hell ★★★. Back In Black erhielt ★★★★. Unglaublich, aber wahr: Who Made Who erhielt ebenfalls ★★★★. Heutzutage gilt das einst gescholtene Powerage, das einige von Bons besten Texten enthält, weltweit als Meisterwerk und eine der besten Platten der Siebziger. So soll das auch sein, immerhin ist es eine makellose Scheibe.

3 Historische Zitate von AC/DC-Mitgliedern werden im gesamten vorliegenden Buch verwendet. Die Quellen für diese Zitate (sowie ausgewählte andere Zitate) werden in der Bibliografie separat nachgewiesen.

4 Banner Thomas, der verstorbene Bassist von Molly Hatchet, meinte, dass die Show in Indiana, vermutlich in Evansville, und nicht in Tennessee stattfand.

5 Charlie Brusco, der ehemalige Manager der Outlaws und von Lynyrd Skynyrd, sagt, dass er von Bons mysteriösen Solo-Ambitionen Wind bekommen hatte: „Bon wollte eine Southern-Rock-Platte aufnehmen. Ich habe aber nie gehört, dass es mehr gewesen wäre als eine Idee, die im Raum stand.“ Leon Wilkeson, der inzwischen verstorbene Bassist von Lynyrd Skynyrd, wird regelmäßig mit Bons Soloalbum in Verbindung gebracht. Jeff Carlisi, Gitarrist von .38 Special, glaubt, dass an den Gerüchten etwas dran sein könnte: „Leon war ein großer Fan [von AC/DC] und verstand ihre Musik vielleicht besser als irgendjemand sonst.“ Outlaws-Drummer Monte Yoho erzählt eine ähnliche Geschichte über Wilkeson: „Als wir viel mit Skynyrd auf Tour waren, kam Leon eines Abends in einem AC/DC-Shirt auf mich zu und fragte mich, ob ich schon von dieser Band gehört hätte. Er erzählte mir, wie unglaublich sie wären und dass er mit ein paar der Mitglieder abgehangen hätte. Das mag vielleicht ein Bindeglied zu der ganzen Southern-Rock-Sache gewesen sein.“ Doch Outlaws-Gitarrist Freddie Salem, der ebenfalls Zeit mit Bon verbrachte, wusste nichts davon: „[Bon] erwähnte kein Southern-Rock-Album per se, liebte aber amerikanische Roots-Musik, so wie das die meisten britischen oder australischen Rockmusiker tun.“ Greg T. Walker, Bassist von Blackfoot und früher bei Lynyrd Skynyrd, bestätigt dies: „Wir spielten damals viele Shows mit AC/DC. Es war immer lustig, wenn Bon, [der verstorbene Blackfoot-Drummer] Jakson Spires und ich zusammen viel tranken und das Leben maximal auskosteten. Es war eine Zeit, bevor sich Bands in Lager aufspalteten, weil eines ihrer Mitglieder eine Solo-Scheibe machen wollte. Keiner von uns verschwendete einen Gedanken an so eine Absurdität. Bon deutete nie etwas in dieser Richtung an. Und wir verbrachten viel Zeit zusammen auf Tour.“

6 Ein paar Monate später kündigte Cliff Williams an – er war seit 1977 Teil der Band –, dass er sich nach Ende der Tour zurückziehen würde, da die Gruppe seiner Aussage zufolge nun „ein anderes Tier“ wäre. Seine letzte Show mit AC/DC bestritt er am 20. September 2016 in Philadelphia. Sein Abschiedsfest feierte er am 30. Januar 2017 in Fort Myers, Florida.