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Leiden und Freuden eines Schulmeisters

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Zehntes Kapitel. Der Abschied

Mir war bange. Die Leute, zu denen ich kommen sollte, gefielen mir nicht recht, und daß ich nebenbei noch arbeiten sollte, behagte mir auch nicht. Nicht daß ich die Zeit für etwas anderes, etwa für meine Fortbildung, zu gebrauchen gewußt hätte: wie sollte damals einer, der beidweg lesen und schreiben und rechnen konnte (mit Ausnahme einiger großer Buchstaben und einigen Bedenklichen beim Multiplizieren und Dividieren) an Fortbildung gedacht haben! Fortbildung ist ein ganz neu entdecktes Wort, und darum noch nicht von allen begriffen, und von denen vielleicht am wenigsten, die es am meisten gebrauchen. Aber am meisten lag mir auf dem Herzen die Angst: wie wegkommen von meinen Leuten, wie es ihnen sagen, daß ich nicht mehr ihr Narr und Sklave sein wolle? Was wird die Mutter sagen, wie wird der Vater thun, wenn sie es vernehmen? wer soll es ihnen sagen? Während ich so sann und fast reuig ward, redete der Alte immer fort, aber was, weiß ich nicht. Endlich merkte er, daß ich nicht auf ihn achte und ein betrübt verblüfft Gesicht mache. Ich gestund ihm meine Sorge. Er lachte dazu und meinte: »Fressen werden sie dich nicht, u ds Balgen bist du gewohnt, und wenn‘s Prügel gibt, so wird es auch nicht das erste Mal sein — und dann hast du um so mehr Recht fortzugehen. Noch heute mußt du es ihnen sagen. Es macht sich am besten; es würde dir alle Tage schwerer werden. Wenn du heim kommst, werden sie mit dir aufbegehren — da wirf ihnen gleich den Bündel vor die Thüre. Aber Guraschi mußt du haben dazu; darum komm, mr wei no-n-e Halbi ha —« und aus einer wurden zwei. Als ich sie getrunken hatte, zitterte ich nicht mehr; mir bangte nicht mehr, gar aufrecht stund ich da, schief saß mir die Kappe auf einem Ohr, trutziglich schauten die Augen drein, und schalkhaft lachte der Alte und sagte: »So gfallst mr, gang jetz ume«.

Es ist kurios, wie der Mensch, in dem der Geist nicht eine besondere Macht übt, sich gestaltet und gebärdet bald so bald anders, je nachdem er etwas im Leibe hat oder auf demselben. Das bedenken die Menschen selten, sind deswegen selten behutsam gegen sich und billig gegen andere. Lustig ist‘s, wenn der Weingeist im Leibe spukt und ein ganz anderes Leben glüht auf. Aber eben weil man weder behutsam noch billig, ist, so beginnt er nur zu gerne Streiche, über denen, wenn der Geist ausgefahren ist, der Leib blutet oder die Seele weint. Nun so arg ging es mir diesmal nicht; nur männlicher als sonst trat ich auf und zur Stube herein, wo alle eben noch Äpfel rüsteten. Es war Windstille vor einem Sturm. Niemand dankte auf meinen Gruß; niemand bot mir etwas an oder rührte sich, um mir etwas Essen zu holen. Wahrscheinlich hatte man von mir geredet, war böse geworden über mein ungewohnt spätes Heimkommen, und wahrscheinlich die am meisten, die etwas hatten thun müssen, was sonst mir oblag. Das machte mich böse, war es doch erst 8 Uhr, war es doch das erste Mal, und kamen doch mein Vater, meine Schwestern oft später heim, und niemand hielt es ihnen vor, und fanden Essen. Da mir niemand das Essen anbot, niemand etwas zu mir sagte, protzte ich auf und wollte in meine Kammer gehen. Da platzte meine Mutter los: das wäre lustig, jetz ins Nest zu gehen, nachdem ich den ganzen Nachmittag verhudelt und sie noch alle rüsten müßten, damit ich ds Fresse hätte! Kaum hatte die Mutter ihr Solo fertig, fiel der ganze Chor ein; sogar der kleine Erbprinz schrie einen tüchtigen Diskant in den Baß des Vaters hinein. Nun blieb ich auch nicht stumm und begehrte auf, was ich konnte, und es hallte wieder an den Wänden der Stube das Schelten. In einer Pause kam der in mir wohnende Geist noch gewaltiger über mich und schrie laut aus meinen Entschluß, fort zu gehen und nicht mehr aller Hund sein zu wollen. Die Mutter belferte: ich solle nur gehen, es wäre ihr schon lange recht gewesen. Der Vater meinte: ihm sei es auch recht; nur schade sei es, daß so-n-e Lümmel niemand werde nehmen wollen; ich solle nur gehen und probieren, ich werde bald froh sein wieder zu kommen, aber dann wolle er es mir auch zeigen. Ich aber ward stille, nachdem ich meinen Entschluß einmal heraus hatte. Das Höchste, was meine Kraft vermochte, war gethan, und mit dem Heldenwort war auch der Heldengeist fort, und der da bleibende Überrest war ordentlich erschrocken über die vollbrachte Wagnis. Mich ärgerte nur, daß ihnen mein Weggehen so wenig mache, und daß der Vater so gar wenig Glauben an mich hätte, daß er meine, ich fände nirgends Platz. Am folgenden Morgen war ich gar fleißig am Webstuhle, um das Wubb noch fertig zu machen, welches aufgespannt war, und das nahm männiglich für ein Zeichen der Reue über mein Aufbegehren und behandelte mich gar höhnisch und puckt. Nun fing ich an meine Kleider zu erlesen, fand zerrissene und beschmutzte Wäsche, überhaupt meine ganze Garderobe in elendem Zustande.

Da ich von Wäsche rede, so könnte eine Herrenfrau vielleicht meinen, ich rede da von 5—6 Dutzend Hemden, dito Strümpfen, dito Nas- und Halstücher. Nein, meine liebe Herrenfrau, ich rede von 5 Hemden, 1 Paar wollenen Strümpfen ohne Ferseren (der Vater kaufte jedem ein Paar Strümpfe am kalten B. Markt, und der war noch nicht vorbei), 1 Halstuch und 2 Nastüchern. Das war alles, was ich hatte, und das meiste war noch sehr schlecht. Die übrige Kleidung paßte dazu. Mich dünkte nun in meiner Einfalt, die Mutter könnte mir gar wohl pläßen und waschen, und der Vater wenigstens Schuhe und wohl auch Strümpfe mir anschaffen. So aufzuziehen ins neue Amt und zu fremden Leuten schämte ich mich.

Als die erste Woche vorbei war und der Vater an einem Dienstag nach Langenthal wandelte, brachte ich mein Anliegen vor. Potz Gueg, was vernahm ich wieder von allen Seiten und hatte dazu keinen Wein im Leibe! Von allen Seiten hieß man mich nur gehen, aber es sei mir nicht Ernst, ich wolle nur drohen und neue Schuhe und neue Strümpfe erhalten, um chönne uf dr Gasse ume z‘gheye. Kleinmütig nahm ich alles hin und tröstete mich damit, daß ich die beschmutzten Hemden verkehrt anziehen und wohl noch vierzehn Tage tragen, Nastücher selbst waschen, und als Schulmeister mit meinen alten Holzschuhen den Winter wohl durchmachen könne. So ergab ich mich in mein Schicksal, ungewaschen und ungeplätzet ausziehen zu müssen und packte am abgeredeten Sonntag morgens meine Sachen zusammen, nistete in allen Ecken herum, ob ich nicht noch etwas finde, das ich mit Recht als mein Eigentum könne mitlaufen lassen, und setzte mich gsuntiget an den Tisch. Die Mutter hatte dem Treiben verwundert zugesehen, aber nichts gesagt; der Vater war nicht zu Hause und kam erst, als wir am Essen waren. Nachdem ich meinen Löffel am Tischtuch und den Mund am Ärmel abgewischt hatte, ging ich hinauf in die Kammer, holte den Bündel herunter, stellte ihn glücklicherweise vor die Thüre und ging hinein, Abschied zu nehmen. Man hatte mich in den letzten Tagen so oft gehen heißen und sich über mein Fortgehen so lustig gemacht, daß ich wohl Erneuerung des Spottes erwartete, aber nichts anders. Den wollte ich ertragen, und fest hatte ich mir vorgenommen, ihnen nicht zu sagen, wo ich hingehe, und daß ich schon einen Platz hätte. Sie sollten mich alle Tage umsonst zurück erwarten, sollten von Tag zu Tag meinen Verdienst mehr missen, von Tag zu Tag gwundriger werden nach meinem Aufenthalt, und wenn er ihnen endlich bekannt würde, merken, daß ich es machen könne ohne sie. So hatte ich es mir ausgedacht, das sollte meine Rache sein.

Ich ging also hinein und sagte: »I will jetz gah, bhüet ech Gott u zürnet nüt.«

Da drehten sich alle Gesichter nach mir um; in ihren Augen fing es an zu sprühen wie in Katzenaugen, und als ich der Mutter, die zu unterst am Tisch saß, die Hand geben wollte, schlug sie mir sie weg und sagte, ich könne gheye, wo ich wolle; aber ds Herrgetts solle ich nicht sein, etwas von meinem Zeug mitzunehmen, das sei ihres. Ich sagte nichts darauf und dachte: »Guet, daß dr Büntel vor dr Thür isch.« Niemand wollte mir die Hand geben, und als ich zum Vater oben am Tisch kam, donnerte mich der ganz unerwartet an: das wär ihm afe lustig, we dChing, dene me ds Fresse gä heig u se bchleidet, wo sie nüt heige chönne vrdiene-n-u bös gha drby, ds Mul wüsche wetti u gah, we si afe ueuis mache chönnti! »Pack di i Cheller u mach es neus Wubb uf oder i nime di bim Gring!« Verdutzt stund ich da, wußte nicht recht, wie das gemeint sei und sagte endlich, es sei mir ernst, ich wolle fort, ich könne ihnen doch nichts recht machen. Da ging grob und klein Geschütz los. Der Vater sprang auf und rief, er wolle mich lehren, für mich zu lugen! Die Mutter schrie: »Gib ihm ume, gib ihm, bis er gnue het, dem Sch...bueb!« Aber ich wartete den Vater nicht ab, sondern stürzte zur Thüre hinaus, überrannte den kleinen Bruder, der mir sie zuhalten wollte, ergriff meinen Bündel und machte, daß ich den Vorsprung bekam. Der Vater lief mir nach bis in den Baumgarten, mir die gräßlichsten Flüche nachschickend, mir keine gesunde Stunde anwünschend und sich hoch und teuer verfluchend, er erwürge mich, sobald er mich in die Hände kriege; er wolle zum Landvogt und sehen, ob Kinder so fortlaufen könnten; das sei der Dank, den man von ihnen habe und es wäre einem nützer, sie verreckten alle, ehe man ihnen einmal das F... gewischt. So tobte der Vater und aus allen Läusterlene der Fenster guckten Köpfe und gaben als Echo die Laute des Vaters wieder, und wenn dem der Atem ausging, so war, was die Mutter zusetzte, noch gräßlicher, als was der Vater sagte.

Das war der Segen, den ich von Vater und Mutter erhielt, als ich ihr Haus verließ. Er brannte mich heiß auf dem Herzen, dieser Segen; er lähmte meine Füße mir, dieser Segen; sie erstarrten, wollten mich kaum weiter tragen. Ein einzig freundlich Wort und ich wäre stille gestanden, wäre umgekehrt, hätte an den Webstuhl ruhig mich hingesetzt und säße ruhig wahrscheinlich heute noch dort. Aber es wollte nicht kommen, dieses freundliche Wort, und die immer noch schallenden Flüche schreckten die Füße weiter und weiter, während sie das Blut im Herzen stocken ließen. Es schauderte mich durch und durch, und Adam und Eva kamen mir in Sinn, als sie liefen vor des Engels flammendem Schwerte, und fast wie Kain kam ich mir vor, den das Wort Mörder, das Gottes Hauch ohne Unterlaß durch seine Seele dringen ließ, unstät über die Erde trieb. Aber endlich erstarben die Flüche, ehe sie mein Ohr erreichten; spurlos verrannen sie in die Luft, das Blut löste sich wieder im Herzen, der blinde Schrecken wich, dem Geiste kam die Besinnung wieder. Ich fühlte tief die Schrecknis, mit solchen elterlichen Verwünschungen belastet in die Welt zu gehen. Aber gegen das Gefühl erhob sich der Verstand und wollte mir begreiflich machen, daß ich recht gehabt. Er rechnete mir vor, daß ich den Eltern wohl so viel verdient, als ich sie gekostet, daß sie mich schnöde behandelt und eigennützig, daß ich auf diese Weise zu Grunde gegangen wäre und diese Behandlung mich aller Dankbarkeit enthoben hätte. Er zeigte mir, daß ich die Eltern früher geliebt und durch sie selbst um diese Liebe gebracht worden sei. Er zeigte mir, daß, je dankbarer, je unterwürfiger ich mich gezeigt hätte, desto mehr ich mißbraucht worden wäre. Es zeigte mir dieses alles der Verstand; er bewies mir, daß er und ich recht, die Eltern unrecht hätten. Aber ein gewisses Brennen im Herzen konnte er nicht löschen, ein tiefes Bangen nicht aus der Seele tilgen, ein Bangen vor den Wirkungen dieses gräulichen Segens, vor den Wirkungen dieses schauerlichen Begleiters, den Eltern an die Fersen des Kindes geheftet. In Mark und Bein blieb mir dieses Bangen, und als ich bei meinem neuen Meister über die Schwelle strauchelte und wo ich sonst noch strauchelte im Leben und wo sonst das Leben hart mich anstieß, da hörte ich der Eltern Flüche wieder und ihnen schrieb ich zu das Straucheln und die Stöße, und bangte vor noch tieferem Fallen, zermalmenderen Stößen, und nur eines, das man später lesen wird, aber nicht der Verstand, konnte mir reinigen von diesem Eiter das Herz.

 

Ist es aber doch nicht traurig, wenn man mit solch eiterndem Herzen die Eltern verlassen oder mit zerdrücktem Herzen bei ihnen untergehen muß?

Eilftes Kapitel. Wie es mir als Schulmeister-Adjutanten erging

Wie gesagt, ich stolperte über die Schwelle und blötschte an die Thüre. Deswegen empfing mich der Schulmeister nicht sehr freundlich. Ein ander Mal solle ich etwas süferliger thun, sagte er, sonst schieße ich ihm die Thüre ein. Während man mir eine Kachle mit Suppe auszuessen gab, betrachtete die Schulmeisterin mein Bündelchen und fragte, ob das meine Kleidleni alle seien? Da wurde ich rot bis über die Ohren und schämte mich und stotterte etwas. Mein Lebtag konnte ich nie lügen, daß es eine Gattig hatte. Sie merkte die Wahrheit und fragte wieder, es werde doch alles gewaschen sein? Wieder Röte und Stottern. Da zog sie ein gar saures Gesicht und sagte, fremden Dreck mangelten sie nicht, sie hätten deren selber genug, und mir alle Wochen zu waschen, dazu habe sie auch nicht Lust; ich könne sehen, wie ich es mache.

Ja, das war eine Frau wie eine Rüebräffle, oder wie ein Kässchaber; es lag aber auch eine bedeutende Bürde auf ihr. Der Mann war kränklich und bildete sich aber noch mehr Übel ein, als er hatte, und machte die, welche er hatte, größer als sie waren, verdökterlete bei allen Zungen- und Wasser-Gschauern, was er auf- und anbringen mochte, und selten verging ein Tag, wo er nicht im Ofenguggeli einen Hafen mit Trank zu stehen hatte. Die Frau mußte dafür sorgen, wenn man etwas anders als Trank im Hause haben wollte. Sie schien durchaus unbarmherzig. Der Mann mochte husten und berzen, so nötlich er wollte, sie zeigte ihm kein Mitleiden; wenn es gut ging, so sagte sie, es düech se, er sött afe möge höre. War sie aber üblerer Laune, so sagte sie ihm kurz und bündig, we-n-er neuis möchti thue u-n-er nit e so-n-e Fule wär, so hätt er o nit sövli z‘gruchse.

Damals schien mir das gar hart zu sein; es war noch härter, als mein Vater gegen die Mutter war. Spätere Erfahrungen aber haben mich belehrt, daß Not resolutere Weiber so bilden muß, und daß ein Mann, der nur immer an sich denkt und jedem Winde ablost, eine Frau fast die Wände auftreiben, ihr endlich jedes Mitleiden nehmen und den Glauben beibringen muß, seine vorgegebenen Übel seien entweder gar keine, oder zehnmal kleiner, als er sie mache. Wo Geld genug ist, wird nur die Geduld auf die Probe gesetzt; wo das aber mangelt und der ganzen Haushaltung der Untergang droht, da wird wohl, während das eine Trank trinkt, dem andern das ganze Gemüt versäuret.

So war mein Empfang kein freundlicher, und unfreundlich blieb der ganze Abend. Abgebrochenes fragte man mich, und in der Betonung jeglichen Wortes lag der Vorwurf, ich sei ein unwillkommener, aufgedrungener Gast. Endlich wurde ich in die Kammer zum Schlafen gewiesen, die ich mit der fünfzehnjährigen Tochter teilen mußte; ein Mädchen, dessen Zunge spitzig, dessen Augen lüstern waren. Ach, zum ersten Mal in meinem Leben schlief ich unter fremdem Dach, neben fremden Menschen, Da zog sich mir die Brust gar enge zusammen und gerne wäre ich wieder daheim gewesen. Ach, es ist doch noch viel leichter, bei unfreundlichen Eltern zu wohnen in der heimischen Umgebung, als bei unfreundlichen, unbekannten Menschen in einem fremden Hause, in unbekanntem Dorfe!

Am andern Morgen war noch keine Schule. Die Schulmeisterin hatte erklärt, ehe sie die Schule anfangen lasse, müssen erst die Rüben heimgemacht und ihre wenigen Garben gedroschen sein; sie wolle nicht alles alleine machen, sie fresse auch nicht alles alleine, und wer ihr bei dem einen helfe, müsse es auch beim andern. Dann mußte noch die Schulstube ausgeräumt werden. Das war ein schweres Werk. Sie hatte den Sommer über zur Vorrats- und Grümpelkammer gedient. In ihr war Obst aufgeschüttet worden und die Säu-Erdäpfel aufbewahrt, die Spinnräder stunden darin und von der Brechete her Flachs und Ryste. Die Stube war nicht viel größer als eine gewöhnliche Baurenstube und nicht höher. Beim Unterzug mußte ich mich immer bücken, und über zweihundert Kinder sollte sie fassen. In der Stube waren vier Tische. Der größte ging quer durch die Stube, zwei andere den Wänden nach, der vierte stund beim Ofen. Drei Tische waren breit näher bei drei als bei zwei Schuhen, der vierte ein Tischlein, wo an jeder Seite ein Kind sitzen konnte.

Die Fenster waren rund, glitzerten in allen Farben, waren seit Jahren nicht gewaschen; ich glaube nicht, daß man eines herausnehmen konnte. Fenster und Vorfenster blieben Sommer und Winter stehen, unveränderlich, schmutzig und dunkel. Das ganze Haus entsprach den Fenstern, war klein und schmutzig, ein Bild unaufgehaltener, aber unmerklich fortschreitender Vergänglichkeit. Nur daran merkte man sie, daß Jahr für Jahr die Dachbänder sichtbarer wurden und ein Fetzen Stroh mehr aus dem Rande des Daches heraushing. Und wie ein unantastbares Heiligtum hielten die Bauren dieses Haus. Da war keiner, der Hand angelegt hätte oder gesorget, daß einige Schauben das Dach erneuerten, die Schulmeisterin mochte aufbegehren wie sie wollte. Ja, als ihr einmal eine Geiß erfror in dem durchsichtigen Ställchen und sie die ganze Gemeinde verantwortlich machen wollte für diesen Schaden, gab man ihr kaltblütig die Antwort, sie solle nur machen, was sie könne. Aber sie selbst sei schuld daran; warum sie es zwängen wolle, im Winter Geißen zu halten! der frühere Schulmeister hätte im Winter auch keine gehabt. Darum blieb auch der Ofen stehen, halb so groß wie die Stube, aus Steinen aufgeführt, die fast zehn Zoll dick, aber gespalten waren über und über, so daß manchmal das Feuer gwunderig in die Stube hineinguckte und allemal der Rauch lästig wirbelnd durch die Risse drang, so daß man füglich Hamme und Magenwürste hätte räuchern können in derselben. Darum hatte der Stubenboden auch Löcher, daß es eine große Kunst brauchte, die Tische zu stellen, und mancher Holzschuh blieb stecken, daß der Schulmeister das Kind lösen mußte aus dieser Falle. Darum ging es auch lange, bis die Schulstube ausgeputzt und die Äpfel und Erdäpfel aus allen diesen Löchern zur Zufriedenheit der Schulmeisterin heraus gelesen waren.

Endlich war die Stube rein und es schneite der Himmel ein gar herrliches Schulwetter. Da sandte man mich durch das Dorf, um anzusagen, daß morgen Schule sei, und zugleich dem Seckelmeister anzuhalten, daß er doch Wedelen zur Heizung des Schulofens herbeischaffen lasse, indem gar keine mehr da seien. Es weiß nämlich jeder Bauer sehr wohl, daß man mit dürren Wedelen besser heizen kann, minder braucht, die Ofen weniger verderbt als mit grünen; derowegen hat auch jeder halbwitzige Bauer dürre Wedelen beim Hause und das seit Urvaters Zeit. Aber ebensolange ist es Sitte an vielen Orten, daß man dem Schulmeister nicht nur grüne Wedelen liefert zu plötzlichem Gebrauch, sondern daß man sie erst mitten im Winter macht und sie ihm liefert voll Eis und Schnee. Und weil man das lange vor dem Großätti so gehalten, so brächte man sie mit aller Gewalt nicht von diesem Gebrauch ab. Der Schulmeister muß seine Wedelen halb Holz halb Eis haben und wenn er dagegen aufbegehrt, so heißt es; man könne nicht begreifen, was er immer zu räsonieren habe; die andern hätten heizen können; warum er es nicht auch könne und warum er etwas apartiges wolle? O, wie das dann herrlich ist, wenn man um fünf Uhr auf muß und anfeuern bis um sechs, und zwei Wedelen brauchen, um drei andere zu verbrennen, und wie das dann rauchnet so schön dick und schwarz, wie wenn man eine Rütti brennt, und man alsobald einstützen muß für den morndrigen Tag. Und wie dann das Wasser in dem Ofen herumläuft, daß die Wedeln halb schwimmen und im Hausgang herum, daß die Kinder Fußwasser kriegen, und wie es dann so feuchtheiß riecht und dampft in der Stube, daß man zweimal ziehen muß, um einmal Atem zu bekommen!

Ich mußte meinen Auftrag ausführen, so ungern ich es that, denn ich war sehr schüchtern. Der Seckelmeister sagte mir, er könne mir wahrhaftig nicht so bald Wedelen versprechen; aber wenn er ansgedroschen habe, wolle er seine Knechte in den Wald schicken. Unterdessen könne ich seinen Hag, der nicht weit hinter dem Schulhaus sei, stumpen und Wedelen machen. Zwischen der Schule möge es schon viel ergeben, und wenn ich nicht kommen möge, so könne der Alte hie und da einen halben Tag alleine Schule halten. Er wolle es schon versprechen und die gemachten Wedelen mit der Gemeinde verrechnen. An den andern Orten sah man mich gwundrig an wie ein fremdes Tier. An einem einzigen hieß man mich in die Stube kommen, um Bekanntschaft zu machen mit einem kleinen Knaben, der den Schulmeister gar fürchte und nicht mehr zu ihm wolle. Ich gebürdete mich so freundlich als möglich und gewann glücklich des Kindes Wohlgewogenheit. Zu Hause sollte ich Auskunft geben über jede mir begegnete Miene, und man war gar glücklich, daß ich nur an einem Orte in die Stube gerufen wurde; doch über die, welche es gethan, fiel manche spitzige Rede. Aber über den Seckelmeister ging es tüchtig her, und wie er rechne und verrechne, wurde weitläufig und an Beispielen ausgelegt.

Der morndrige Tag brachte nicht viel Kinder in die Schule, kaum ein Dutzend kleinere. Mit diesen ließ mich der Schulmeister fechten Vormittag und Nachmittag, und machte den Schulrodel z‘weg. Mir gefiel das Schulhalten besser als das Wedelenmachen und ich hatte gar kurze Zyti dabei. Ein halber Tag ging mir vorbei wie ein Augenblick. Ich lehrte ohne Unterlaß mit den Kindern, und was wir lehrten, war mir wieder neu und heimelete mich doch. Fast bei jedem Wort kam mir eine Geschichte oder ein Spaß in Sinn, der sich in Bezug auf dieses Wort oder als ich es gerade lernte, zugetragen. Das lächerete mich zuweilen, und da fanden die Kinder, daß ich gar ein Lächerliche sei und faßten Zutrauen zu mir. Neues trieben wir natürlich nichts miteinander. Da wurde buchstabiert und gelesen, auswendig gelernt und aufgesagt, und das an einem Tag wie am andern.

Die Kinder mehrten sich von Tag zu Tag, doch füllten sie die Stube noch lange nicht, und Schulmeisters wunderten sich doch, daß schon so viele kämen; das müsse der Gwunder machen, meinten sie. Ich aber meinte es nicht so. Ich meinte, das geschehe, weil die Kinder mich liebten und gar viel bei mir lernten; denn ich war gar fleißig immer auf den Beinen, und beim Auswendigsagen wartete ich recht geduldig, wenn sie stecken blieben, bis sie das Vergessene von andern gehört oder im Buche nachgesehen hatten.

Den Stock hatte ich freilich immer in der Hand, aber ich drohte nur damit, führte die Drohung aber nie aus. Es war ein gar gewaltiges Sehnen in mir, geliebt und gerühmt zu werden; war ich doch schon so viel gehaßt und gescholten worden! Und bei den kleinern Kindern — die größern mußten noch dröschen — kam ich mit der Liebe recht ordentlich durch. Freilich lärmte es tüchtig an allen Tischen, außer an dem, an welchem ich eben war; aber dessen war ich gewohnt und meinte, es müsse so sein. Da hörte ich eines Morgens früh, während ich heizte und vor dem erstickenden Qualm in die Küche geflüchtet war, die an des Schulmeisters Stube stieß, die Frau mit dem Manne aufbegehren, daß er gar nicht in die Schule gehe und mich darin schalten und walten lasse. Des Metzgers Frau habe gestern gefragt, was sie doch für ein freines Knechtli hatten; die Kinder kämen gar gerne in die Schule und rühmten ihn gar sehr daheim, und es dünke sie, sie hätten keinen Winter so viel gelernt. Das dürfe er bei diesem und äynem nicht so gehen lassen, sonst beiße ich ihn ganz aus und dann könne er den Stecken am dreckigen Ort nehmen. Nach diesem besondern Eingang folgte dann die allgemeine Predigt über seine Faulheit und daß kein Leydere auf dem ganzen Erdboden sei als er; denn sonst brauchte er keinen Schnuderbueb, den alle Leute rühmten. Er begehrte auch auf und meinte, das werde sich bald zeigen, wer der Leyder sei, er oder ich. Er fürchte keinen im ganzen Kanton. Schon vor zwanzig Jahren hätte ihm einmal der Landvogt gesagt, so einen Bornierten, wie er sei, gebe es in der ganzen Welt nicht. Und das well doch, so Gott well, no öppis säge, was so-n-e Landvogt säg.

 

Man glaubt nicht, wie wohl mir dieses Gespräch der beiden Eheleute that. Ich war seit meinem ersten Ausgang noch zu keinem Menschen gekommen; es war das erste Lob, das ich vernahm; darum erquickte es mich so. Ich war überzeugt, daß, wenn der Landvogt mich kennte, er mich für den noch Bornierteren halten würde. Ach, wenn er mich doch kennte! seufzte ich oft. Von diesem Tage her fing ich an zu glauben, ich sei doch etwas, und gewöhnte mir im Gehen das Ranggen und Walzen mit dem Rücken an, das mein Fraueli mir gar gerne abgewöhnen möchte, weil sie sagt, sie hätte schon Kinder gesehen, die mich verspotteten, und ich gefiele ihr noch einmal so wohl, wenn ich schön sittsam grad auf ginge.

Kybig kam der Schulmeister in die Schule und betete selbst, d. h. er schnauzte den lieben Gott gar gewaltig an. Dann sprach er, er werde selbst bhören müssen, wenn‘s neuis nutz gah söll. Ich stund ganz kaput da und mußte nicht was anfangen, da fuhr er mich an: ob er mir den Lohn gebe und mich futtere, daß ich da stehe und ölgötze? Ob ich mich für einen Schulmeister ausgeben wolle und nicht wüßte, was ich in einer Schule zu thun hätte? Ob ich nicht sehe, daß Buchstabierer genug da seien, um mit ihnen zu lehren? Würde ich das eheliche Gespräch nicht gehört haben, so hätte dieses Betragen mich allerdings geschmerzt; aber ich armes Bürschchen war es so gewohnt; ich würde es verschmerzt und mich darein geschickt haben. Allein nun war der Satan in mich gefahren, ein Feuerfunken war gefallen in das in mir liegende Pulverfaß der Eitelkeit, und die flackerte nach allen Seiten empor. Freilich durfte ich nicht aufbegehren, es lag nicht in meiner Natur, und damals war es noch nicht Mode, daß man gegen seine Obern gleich den Güggel machte. Aber ich lächelte spöttisch, wenn irgend ein Kind und der Schulmeister nicht mich ansah. Und wenn ein Kind ausgeschimpft worden war aus lauter Kyb, und dann hinter des Alten Rücken mich schnippisch ansah, so machte ich ihm auch ein schnippisches Zeichen. Zwischendurch war ich recht fleißig auf dem mir angewiesenen Posten, und war noch einmal so freundlich als sonst. Wollte der Schulmeister mich durchthun mit seiner Oberherrlichkeit, so versuchte ich das Gleiche gegen ihn in meiner Untergebenheit. Sobald einer, der die Gewalt hat, den Weg meines Schulmeisters einschlägt, um sein Ansehen zu bewahren, und einem, der unter ihm steht, sein Ansehen zu nehmen, so hat der letztere, wenn er mit Lieblichkeit und Nachsicht sichtet, gewonnenes Spiel. Man sieht manchen, der in Nachläßigkeit und Unordnung alt geworden, sich dem jungen Mann entgegensetzen, der des Alten Fehler verbessern, gut machen will; sieht den alten Mann mit Schmeicheln und Wädelen die Leute zu bethören suchen, und das mit großem Glück. Aber das ist wohl das größte Unglück für die Menge, wenn zwei, die über ihr stehen in Amt und Pflicht, mit den gleichen Waffen gegen einander kämpfen und einer den andern ausstechen will durch Lieblichkeit und Gelindigkeit, sich gegenseitig überbietend mit dem Haschen nach der Unverständigen Gunst. Dann ist der Teufel los; alle thun, was sie wollen, nur die nicht, welche zu befehlen haben; die sind der andern niederträchtige Knechte. Dann gute Nacht, Ordnung und Sitte! Es ist beides böse, aber für die Menschheit das letztere noch in weit höherem Grade. Diese wahren Wahrnehmungen möchte ich Regenten, Lehrern, Eltern schreiben mit glühendem Griffel ins Herz hinein.

So plagte mich der Schulmeister in der Schule, und plagte mich immer mehr. Ich konnte ihm weder recht buchstabieren noch recht lesen, am wenigsten singen. Beim Lesen und Buchstabieren konnte ich ihm die Selbstlauter und Endsilben nie lang genug aussprechen; er wollte sie haben mit Stielen so lange wie Rattenschwänze. Beim Singen warf er mir immer vor, ich verstöre ihn ganz. Jeder von uns wollte es schöner machen, d. h. jeder suchte den andern zu überschreien. Das thaten wir auch tapfer, bis wir kührot wurden im Gesicht. Dann befiel ihn der Husten und er mußte aufhören. So verstörte ich ihn allerdings. Er behauptete alle Tage, er machte es ds halb ringer alleini. Am meisten begehrte er auf, wenn ich zu dem kleinen Tischchen mich nahte, zunächst beim Ofen, wo nach dem Neujahr drei oder vier zu schreiben anfingen. Rechnen that man gar nicht. Ich konnte mich selten enthalten zu zeigen, daß ich auch schreiben könne, und deutete mit dem Finger, wie dieser oder jener Buchstabe einen Krump haben sollte. Da begehrte dann der Alte lästerlich auf. So eine, wo ds Druckte nit chönn, söll de nit drglyche thue, er chönn ds Gschribene; selb syg doch de afe z‘wyt tribe. So ging es in der Schule, aber nebenbei wohl noch schlimmer. Freilich hatte der Schulmeister gewöhnlich genug und hustete und trank Trank auf dem Ofentritt und machte während des Essens stillschweigend die Mauggere hinter dem Tisch. Aber seine Frau löste ihn ritterlich ab, und wußte so scharf und derb zu sticheln, daß sie mir das Essen richtig verpfefferte. Ihr war nichts zu gering mir auszurupfen. Sie fragte mich alle Tage: welchen Weg ich heute das Hemd an habe, und wie viel noch an meinen Strümpfen sei? Sie schimpfte über mein Heizen; noch nie sei so wenig warm gewesen, noch nie so viel Holz gebraucht worden. Sie hielt dem Manne vor: er könne zusehen, was er mache; die Leute klagten gar bitterlich, es sei noch nie so schlecht in der Schule gegangen, die Kinder lernten in Gottes Namen nichts, besonders die Kleinen; die und die hätten rundweg erklärt, sie wollten sie gar nicht mehr schicken.

Zudem war das Essen noch gründlich schlecht, und von allen den Dingen, welche ins Haus flogen, erhielt ich nichts; die wurden im halben Tag gegessen. Ich roch sie wohl, aber damit mußte ich mich begnügen.

Die Kinder merkten auf der Stelle dieses Verhältnis, und ich dauerte sie, denn sie sahen wohl, daß ich es gut mit ihnen meinte. Sie erzählten solche Dinge bei Hause, erweckten Mitleiden mit mir und erhielten den Auftrag, mich zu ihnen einzuladen zum Abendsitz. Und wenn ich Wedelen machte oder mistete, so stellte sich wohl ein Hausvater bei mir, sobald er niemand von Schulmeisters sah, rühmte mich und lud mich ein. Natürlich nahm ich alles für bar Geld und merkte nicht, daß mit dem Mitleiden auch die Hoffnung sich parte, mir bequemlich die Würmer aus der Nase ziehen und über Schulmeisters vernehmen zu können, was man wollte. Wer will es mir verübeln, wenn es mich bei allen Haaren hinzog zu den Leuten? Es war mir sicher nicht nur wegen dessen, was sie mir aufstellen mochten, sondern es war ein wahrer Hunger und Durst, mich ungestört rühmen und preisen zu hören nach allem dem Schelten, das ich ausstehen mußte. Es war vielleicht auch im Hintergrunde der Trieb, mich über Schulmeisters aussprechen, über sie klagen zu können, der mich nach Leuten hungrig sein ließ. O man klagt gar gerne über seine Nächsten; man klagt Fremden auf der Straße über sie, wenn man niemand Bekanntes findet. Und doch wird jeder böse, wenn er hört, daß ein anderer auch gethan, was er alle Tage thut, daß er über ihn geklagt habe. Diese Klagen zeigen uns, daß unser Herz sich fort und fort mit den kleinen Beleidigungen und Hintansetzungen beschäftigt, welche wir von andern erlitten zu haben wähnen. Darum wird es voll davon, unser kleines enges Herz, und darum läuft auch der Mund über.