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Leiden und Freuden eines Schulmeisters

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Nun aber suchte Herr Fellenberg Verbündete gegen das Erziehungs-Departement und die Pfaffen, wählte unglücklicherweise uns Schulmeister vor allen und machte uns noch unglücklichererweise zu leichten Truppen, dem Vortrab; wir wurden die sogenannten enfants perdus, die man an die gefährlichsten Orte voranschickte, weil nicht viel verloren war, wenn sie verloren gingen. Zu dem Ende wurden wir mit allen möglichen Mitteln nach Hofwyl gezogen oder wenigstens in dessen System. Es wurde auf die Achseln geklopft, süße Worte: mein Freund! guter Mann! u. s. w. nicht gespart. Unsere Einbildungskraft wurde mit allerlei reizenden Bildern von Emancipation von der Pfaffenherrschaft, würdige, freie Stellung, Anerkennung als die Bildner von 80,000 jungen Staatsbürgern, als des wichtigsten Standes im Staate, als die Arbeiter, die des Lohnes wert seien, als Märtyrer, denen endlich die Krone gebühre, gewaltig entzündet. Unser ohnehin reizbares, mißtrauisch empfindliches Gemüt wurde durch die gehässigsten Verunglimpfungen des Erziehungs- Departementes und seiner Freunde, der Pfaffen, welche dem Schulmeisterglück im Wege stünden, welche allen Willen unseres Vaters für uns vereitelten, mit dem Staatsschatz nicht nur nicht herausrückten, sondern den furchtbaren Verrat an uns begingen, entsumpfte Staatsbürger durch verflucht schlechte Wiederholungskurse systematisch wieder versumpfen zu wollen (ein furchtbarer Geistermord, in Masse verübt an 700 wackern Männern, den edelsten im Volke!), in förmliche Gährung gebracht. Ja, es wurde sogar Geld gegeben an einige und die Sache gehörig bekannt gemacht, damit man sehen könne, was uns geschehen würde, wenn Herr Fellenberg Meister wäre und nicht das pfäffisch gesinnte Erziehungs-Departement.

Wer will es uns nun verargen, wenn wir Schulmeister, welche die Welt so wenig kannten, nicht wußten, was Komplimente waren, mit Kniffen und Intriguen nie gefochten hatten, gedrückt von unserer Lage, belastet mit tausend Sorgen, den Kopf verloren und den Boden unter unsern Füßen? Wenn wir Herrn Fellenberg nicht nur als unsern Vater, sondern auch als unfern Heiland betrachteten, ihm unbedingten Glauben schenkten, wer will uns das verargen?

Wenn einer oder der andere von uns des Pfarrers Kutte genauer gschauete und dachte: nächstens wolle er sich auch so eine machen lassen, aber eine noch schwärzere, wer will etwas anderes machen, als gutmütig über uns lachen? Wenn wir des Sonntags, an welchem unsere Weiber uns nur Grumbirnen zu kochen vermochten statt Fleisch, zu den Kindern sagten: Chinder, essit brav, ds anger Jahr gibt‘s de nit ume-alli Sunde Fleisch, sunder o dür dWuche düre!« wer fühlt nicht Mitleid mit uns?

Das hätte noch alles nichts gemacht; aber nun setzte man uns auf die Schlachtrosse und jagte uns hinein in den wüsten Streit. Wir mußten gegen die Pfaffen streiten, lernten sie betrachten als Usurpatoren der uns zukommenden Stellung, als die, welche eigentlich das Brot essen, das der liebe Gott für uns bestimmt, in den Häusern wohnten, die uns zukämen. Je nach den Umständen ritt man auch die Bauren an, trat ihnen wenigstens mit dem Hute auf der Seite unter den Bart. Vor allem aber ritt man gegen das Erziehungs-Departement in Schriftchen, Zeitungen, Vorstellungen und, wo ein Mitglied desselben den Mund aufthat, besonders an Schulmeister-Versammlungen, da fuhr man ihm darüber mit einer Unverschämtheit, einer Anmaßung, daß mir noch jetzt die Haare zu Berge stehen, wenn ich daran denke. Und es war eine Zeit, wo man vor solchen Worten bedeutend schlotterte.

Dann meinten wir, was wir verrichtet hätten und stunden zusammen, drückten uns die Hände, strengten uns zu kühnen Gesichtern an und redeten Oberarm drein: Dene hey mr‘s zeigt; aber warte si ume, mr wen-ne‘s noch ganz anders zeigen; und statt dabei den Schnauz zu drehen, wie ein Husar gethan hätte, schneuzten wir die Nase und, wenn dieses mit einem Nastuch geschah nämlich, rieben sie hochrot, als ob sie glühe in heißem Kampfesmut. Dann klopfte man uns freundlich auf die Achseln, sparte die holdseligen Anreden nicht, und sparte am Abend, damit der Mut in Begeisterung aufflamme und in der Nacht nicht verglühe, die blaue Milch nicht. Und warum hätte man die blaue Milch sparen sollen, bezahlte sie doch der Staat zu 1 Batzen p. Maß?

Der Herd und Schauplatz dieser blutlosen aber giftigen Kämpfe waren nämlich auf die allerunglückseligste Weise die Wiederholungskurse.

Obgleich man uns die Köpfe aufblies, daß sie wurden wie ein über das Meer schiffender Luftballon, so lebte doch noch ein ander Gefühl in uns. Es lebte in uns ein Gefühl, das wir heimlich hielten, aber das um so tiefer sich eingrub, ein Gefühl, daß wir trotz allem Aufbegehren nicht seien, was wir sein sollten, daß uns unendlich viel fehle, um würdige Lehrer, der Stand zu sein, auf dessen Achseln das Menschengeschlecht ruhe. Eine Ahnung stieg in uns auf von der Größe unseres Berufes und der eigenen Leere, von der unendlichen Entfernung zwischen dem, was wir wären, und dem, was wir uns einbildeten. Ein brennender Durst des Wissens kam über uns; in jung und alt stammte ein unwiderstehlicher Trieb auf nach Befähigung.

Freilich gab es auch unter uns Windbeutel, die wir für Mirakel hielten, die mit breitem Maul nicht nur dick thaten mit sich vor andern, sondern die auch in sich kein Gefühl ihres Nichts, keinen Trieb nach mehr empfanden; die in göttlicher Dummheit stolz einherwandelten, aber eben nicht die Wege zum Lernen, sondern die Wege des Verleumdens, Aufbegehrens, Aufweisens und Kneipens. Aber von diesen rede ich gar nicht hier und will sie nicht näher bezeichnen, vielleicht haben sie sich jetzt gebessert. Daher besuchten zuweilen die, welche es am nötigsten hatten, keinen Wiederholungskurs, z. B. der auch nicht, der meinte: es komme jetzt eine ganz neue Lehre auf, man sage ihr die Satzlehre, und der erhaltene Bücher bärtig werden läßt.

Aber wirklich war es rührend und ergreifend, wie dieser Trieb manchen Mann mit kahlem Scheitel und alter Gestalt ergriff, wie er hineilte, den neuen Lehren mit einer Anstrengung zuhörte, einer Menge Schreibereien mit einer Hingabe sich unterzog, die an einem Jüngling Lob verdient hätte, an einem alternden, des Lernens ungewohnten Mann aber bewunderungswürdig war. Noch rührender aber war es, wie der Mann willwankte: Soll ich gehen oder nicht, meinem Triebe folgen oder meinen Umständen mich unterziehen? Wie er mit bangem Herzen seinen Wunsch seinem Weibe vortrug; wie die manche halbe Nacht mit einander werweiseten: ob es sich erleiden möge; ob das Weib die Haushaltung und das Pflanzen besorgen, die Kinder meistern und den ausbleibenden Verdienst des Mannes entbehren könne? Wie der Wunsch des Mannes immer dringender ward und das Weib seine Thränen im Herzen behielt und dem Manne mit einem Kusse nachgab; dann seine Garderobe untersuchte, seine zwei Paar leinerne Strümpfe neu fürfüßte mit freundlichem Gesicht und ihm sagte: »Mannli, du muescht no es Paar Hose lah mache; so darf i di nit lah gah;« und am Ende die vorrätigen sieben und einen halben Batzen so mit ihm teilte, daß sie ihm vier in den Sack gab und nur drei und einen halben Batzen behielt. Und wie der Mann weich wurde, aber doch nicht stark genug, seinen Wunsch aufzugeben; wie er die Frau tröstete mit einer bessern Zeit, und wie er der Frau sagte, als er mit nassen Augen von den schlafenden Kindern Abscheid genommen, die Frau ihm das Halstuch umgebunden und ein frisch gewaschenes Nastuch in den Sack gesteckt hatte: daß er nur der Kinder wegen gehe, damit er bei größerer Geschicklichkeit eine bessere Stelle erhalten und somit die Kinder besser erziehen könne. Und wie er der Frau die Hand längte und sie ihn fragte: wann er wohl einmal heimkommen werde? Und wie er unterm Dachtrauf an seine Taschen greifend die Tubakpfeife zu vermissen glaubte und wieder hineinging und sein Weibchen noch einmal sah und seine Tubakpfeife in der Tasche fand. Und wie nach hundert Schritten sein Weibchen ihm nachgelaufen kam mit dem Schuhlöffel in der Hand, den er ja immer brauchen müsse zu seinen halb neuen Schuhen. Und wie der Schulmeister ihn nach langem Besinnen wieder zurückgab, weil er denke, es werden an andern Orten auch Schuhlöffel sein. Und wie sie dann wieder von einander Abschied nahmen, nachdem ihnen noch manches in Sinn gekommen war zu empfehlen. Und wie sie voneinander gingen und zurücksahen, und das arme Frauchen mit fünf Kindern und drei und einem halben Batzen die Scheube erst vor die Augen nahm, als der Mann um die Ecke war. Und wie sie schluchzend heimging und sich dann ans Spinnrad setzte, um noch ein halbes Tausend oder einen halben Batzen aus der Kunkle zu ziehen, und wie sie die Finger in den Augen netzen konnte und doch wieder ein freundlich Gesicht hatte, als das erste Kind erwachte — das alles hätte man sehen sollen, dann hatte man gewußt, wie heilig ein Wiederholungskurs sollte geachtet werden, wie er geweiht sei durch Weiberthränen und Kinderdarben. Ohne es zu sehen, hätten es vernünftige Menschen und Menschen, die nicht bloß ihre Zwecke im Auge gehabt, wie Napoleon beim Stürmen einer Batterie, wohl denken können.

Aber man dachte an solche Kleinigkeiten nicht; man vergiftete alle Wiederholungskurse durch die in dieselben geworfenen Fackeln des Streites und des Zwiespaltes von wohlbekannter Seite her. Man raubte den Lehrern die Unbefangenheit, gab ihrem Gemüt eine feindselige Richtung, und die Kurse selbst basierte man nicht auf das Bedürfnis, sondern auf den Schein.

Das Departement ward genötiget, eigene Kurse zu errichten, und wie zwei feindliche Mächte stunden die Fellenbergischen und departementlichen Kurse einander gegenüber. Und eben diese Stellung hinderte die natürliche Entwicklung jedes Kurses, hinderte, daß man unbefangen bis dahin niederstieg, wo man seine Schüler finden konnte, daß man sich begrenzte und unnötigen Firlefanz bei Seite ließ. Man hatte das Examen vor Augen, hatte Verunglimpfungen vor Augen, und so schwebten einem diese oft mehr vor Augen, als die Schüler selbst. Und weil in den Examen getäuscht werden konnte, so erschienen vor denselben Spione, Aufseher mit verwachsenen Hosen und mörderischem Gesicht, den Kopf hochgehalten in schwarzer Halsbinde, und setzten sich hin unter die armen Schulmeister und vernütigten, verleumdeten ihnen den Unterricht, den sie seit so vielen Wochen empfangen, den sie als einen Schatz hochgehalten, um deßtwillen sie die Weiber weinen, die Kinder darben ließen. Und die armen Schulmeister, welche nicht selbst prüfen konnten, welche auf Autorität hin glauben mußten, denen wurde die Freude geraubt. Es entstund in ihnen Mißtrauen gegen das Gelernte; es wuchs ihnen ein Stachel im Herzen, daß sie ein Vierteljahr verloren. Gegen das Lernen wurden sie gleichgültig; der Durst nach Weiterbildung war vorüber. Eine Menge Dinge, welche sie gelernt hatten, dienten ihnen zu nichts, und selbst den erhaltenen Unterricht in den Schulfächern konnten sie nicht anwenden in der Schule. Der Anknüpfungspunkt war ihnen nicht gezeigt würden. Wie oben gesagt worden: man hatte sich höchstens zu den Schulmeistern herabgelassen und nicht zu der Schule selbst, wie sie mit einigen Veränderungen fast durchgehends durch den Kanton bestund. Als daher einmal ein Schulmeister, der eben aus einem Wiederholungskurse kam, wo man viel arbeitete, sehr systematisch war, Erklärungen auswendig lernte, damit man ja in keinem seligmachenden Worte fehle, in einem Examen eine Geschichte im Neuen Testament sprachlich, besonders in Bezug auf das Zeitwort oder Zustandswort, erklären sollte, so erklärte er alles Mögliche, nur kein Zeitwort. Als er gemahnt wurde, doch bald damit anzufangen, sonst finde er in der Geschichte kein Zeitwort mehr, so entschuldigte er sich damit: er kenne diese Methode nicht und sei an eine ganz andere gewohnt. Als man ihm sagte, man schreibe ihm ja gar keine Methode vor, sondern nur, daß er die vorkommenden Zeitwörter erkläre und zwar nach jeder ihm beliebigen Sprachlehre und auf jegliche ihm beliebige Methode, so sagte er wieder: das sei nicht seine Methode, das Zeitwort zu behandeln. Nun, so solle er es behandeln nach der ihm beliebigen Methode, sagte man ihm. Da erklärte er seine Geschichte aus und fragte dann einen der vier zu examinierenden Knaben: »Du, wenn ich sage, der Vogel fliegt, kannst du mir dann sagen: worin ist der Vogel?« Der Knabe besann sich; endlich sagte er: »In dr Luft.« »Nein, der Vogel ist nicht in der Luft; worin ist er? Chast du mr‘s säge? U, du? Er ist i-mene Zue... Zuest... Zuesta..., er ist ja i-mene Zuestand, in einem Zustande ist der Vogel, wenn er fliegt, sagt man. Also »fliegt« ist ein Zustandswort, weil es den Zustand ausdrückt, in welchem etwas ist.«

 

Da war auch der Knopf, von dem ich eben sprach, der Knopf zwischen dem Fach und der Schule nicht gemacht, und zwar auch nicht einmal der Knopf zwischen dem abstrakt Erlernten und der Anwendung auf gegebene Fälle. Auch in der Anordnung dieser Kurse war unwillkürlich der Streit das Hauptaugenmerk und nicht die Schule selbst; sonst hätte man die Anordnungen gewöhnlich früher und gründlicher durchdacht.

Und wenn dann das harrende Weib den heimkehrenden Mann nach seiner Beute fragte, da erhielt gar manches vom mutlosen Mann mutlose Antworten. Und das arme Weib jammerte: »Wärist du daheime geblieben!« Noch ein ander Gift kam in die Wiederholungskurse und in den Bildungstrieb, welches auf das verderblichste einwirkte.

Die Mitglieder des Erziehungs-Departementes hätten entweder Klötze oder Engel sein müssen, wenn unser Aufbegehren und Schimpfen dieselben nicht hätte erbittern, uns abgeneigt machen sollen. Nun wird bei allem Respekt wohl erlaubt sein zu sagen, daß sie keins von beiden waren, nicht Engel, nicht Klötze. Die Stimmung des Erziehungs-Departementes äußerte sich nicht durch ein ernstes Zurechtweisen der gegen dasselbe Gehetzten; diese Stimmung äußerte sich im Schulgesetz.

Wir erwarteten große Dinge und zürnten daher nicht wenig, als im Entwurf der kleinen Landschulkommission unsere Lage wohl verbessert wurde, aber nicht in dem Maße, als wir erwartet hatten. Wir zürnten noch mehr darüber, daß zehn Inspektorate sollten aufgerichtet werden zu unserer Beaufsichtigung (war die wohl noch nötig?); daß durch diese circa 20,000 L. Kosten verursacht wurden, welche wir als uns entrissen betrachteten, machte uns auch nicht gutes Blut.

In der großen Landschulkommission, die ohnehin, auch als Kommission, gegen das Departement böses Blut hatte, ritten nun unsere Repräsentanten anders auf, ungestüm wie Helden.

Da nun kam die Meinung des Departements, daß wir erst besser werden müßten, ehe man uns besser besolden könne, zum Vorschein, aber nicht klar ausgesprochen. Wohl stichelte man und redete von unanständigen fleischlichen Gelüsten, was eine unanständige Rede war. Eine Rede, die davon zeugte, daß man nicht nachrechnete, wie mit 100 L. und einer Familie auszukommen sei; daß man nicht bedachte, daß ein Schulmeister und seine Kinder nicht ätherische Wesen, sondern halt Menschen sind, die hungrig werden und im Hunger nach Brot schreien. Werden doch, wie man sagt, auch Professoren hungrig und zwar brav; warum sollten es nicht auch Schulmeister werden? Da sie auch geistigen Hunger fühlten, so war der andere ihnen doch wahrlich nicht auf diese Weise vorzuwerfen. Man redete davon, daß der Staat besondere Zulagen nicht vermöge, daß man den Eifer der Gemeinden (o Gott erbarm!) zur Verbesserung der Schulen durch unbesonnene Staatszulage nicht lähmen solle ec.

Von allem das merkwürdigste war, daß auch hier Vater Fellenberg mit dem Erziehungs-Departement fast gleicher Meinung, daß er ein ganz anderer war jetzt, da es auf Geld, als sonst, wo es nur auf Worte ankam. Er wollte nämlich alle bisherigen Schulmeister-Einkommen in einen großen Sack thun, denselben wohl rütteln und dann den gesamten Inhalt unter alle Schulmeister gleichmäßig verteilen. Das gab ihm bei seinen Anhängern den ersten und harten Stoß, und was er vor Möhren von seinen Anhängern alles hören mußte, weiß ich nicht.

Aber hier hatten wir die Oberhand. Unsere Stellvertreter machten uns ein artiges Einkommen z‘weg, bei welchem man sein konnte, und schafften die lästigen und kostbaren Inspektoren uns vom Halse. Nachdem die kleine Kommission circa 1-1/2 Jahre an ihrem Entwurf gearbeitet hatte und jede Nachfrage als unverschämte Neugierde, als unbefugtes Zudrängen gar handlich und schnuzig von der Hand gewiesen worden war (und man kann sich doch denken, daß uns darnach blangete), so arbeitete jetzt das Erziehungs-Departement nicht viel weniger lang an einem dritten Entwurf, nämlich vom Herbst 1833 bis Im Frühjahr 1835, d. h. so lange wurde daran gearbeitet, bis er von dem Großen Rat angenommen wurde. Darüber darf man sich aber nicht wundern; denn das Erziehungs-Departement bestund in der Zwischenzeit eine schwere Geburt, und einer Wöchnerin mutet nicht einmal ein Holzhauer zu, daß sie ihm sänge und Scheiter zusammentrage. Es gebar nämlich die Hochschule. Die Geburt ging zwar ziemlich leicht und es war ein schönes Kind; was Wunder, daß die Väter ganz vernarret waren in dasselbe und ob dem Gvätterle mit demselben manches andere vergaßen. Welcher Vater hat wohl bei seiner Erstgeburt nicht manche Stunde an der Wiege vertändelt und hat geträumt, wie dieses Kind seine Stütze sein, wie er einen Teil der Last ihm aufbürden, wie er Kommis und Handlanger entlassen könne und einen beständigen Gesellschafter zu Nutz und Kurzweil sich angeschnallt habe?

Was Wunder auch, daß Vater oder Mutter sich nichts sagen ließen bei seiner Auferziehung, der Bestellung seiner Wärter! Hatten sie das Kind geboren, so mußten sie sich doch auf seine Pflege auch am besten verstehen, versteht sich! Einem Vater oder einer Mutter ist schwer begreiflich zu machen, daß das Erzeugen und das Erziehen nicht ungefähr den nämlichen Verstand brauche, sondern einen andern. Sie wollen auch nicht glauben, daß dem Kinde Krallen wachsen, die es am ersten den Eltern einhängt, wenn es nicht wohl erzogen ist. Und wollen noch weniger glauben, daß das Kind am Ende Meister wird im Hause, daß sie sich seiner Meisterschaft nach einigem ohnmächtigen Widerstreben recht freiwillig unterziehen und ohne da sie es eigentlich recht wissen, bis dann am Ende das Heulen und Zähneklappern kömmt, wenn sie endlich merken, daß sie nichts anders sind als die Tüpfi, aus denen das Kind den Brei ißt.

Begreiflich muß es jedermann vorkommen, wie sehr diese Zögerung uns Schulmeistern allen in den Gliedern gramselte, mit welchen Augen wir die Hochschule ansahen und wie groß eigentlich unser Mut in den Wiederholungskursen zu werden begann und wie oft wir bei uns selbst werweiseten: ob es sich denn wohl der Mühe lohne, mehr zu lernen? Und doch blieben wir noch aufrecht, obschon der Entwurf des Erziehungs-Departementes hätte entmutigen sollen. Aber wir dachten mit gewaltigen Worten und spitzigen Federn vor dem Großen Rat zu siegen und ließen nun schreiben, was das Zeug hielt, und redeten drein, daß es uns dünkte, die Großräte müßten aus D...k gemacht sein, wenn sie nicht auch Feuer und Flammen für uns speien sollten.

Man kann sich denken, wie unsere Herzen klopften, wie unsern Weibern bangte, wie selbst unsere Kinder fragten: »Ätti, wenn dörfe mr im halbe Tag o über dTischdrucke?«, als endlich auf den Großrat-Traktanden auch das Primarschulgesetz stund. Wir glaubten, die ganze Volksmenge zittere gleich uns vor Eifer, wie das wohl herauskommen werde? Aber, o Gott, die Leute nahmen es kaltblütig! Nahmen es kaltblütig, als mit dem nassen Finger eine Hoffnung nach der andern uns durchgestrichen und eine Bürde nach der andern auferlegt wurde. Das Departement war von dem Grundsätze ausgegangen, daß der Stand nicht sei, was er sein solle, daß daher nicht dem Stande, sondern nur einzelnen zu helfen sei, die bereits wären, wie sie sein sollten. Das gute Departement hatte nie gerechnet, was eine Schulmeister-Haushaltung, gehalten gleich einer Tauner-Haushaltung, koste: hatte nicht darauf gerechnet, daß wir auch fleischliche Gelüste hätten; nämlich uns satt zu essen, zu trinken, uns zu kleiden; hatte nicht daran gedacht, daß ein guter Fuhrmann ein Pferd nicht nüchtern aus dem Stall nimmt und ihm sagt: Wenn du brav läufst, dann will ich dich auch brav füttern, sondern daß er es erst brav füttert und erst dann ein braves Laufen von ihm fordert. Das gute Departement! Es fürchtete vielleicht auch, seinem lieben Kinde, der Hochschule, das in vollen Zügen an seinen Brüsten sog und, nach Art gieriger unartiger Kinder nicht selten in dieselben biß, die Milch zu entziehen. Das Departement meinte vielleicht, durch Geld mache es die übermütige Rasse nur noch übermütiger, aufgeregter, meinte, durch Hunger und die Aussicht, daß in des Departementes Händen Stoff liege, die, welche zahm und gedemütigt herbeikröchen, nach freiem, gutem Willen zu sättigen und zu füttern, würden am schnellsten die Widerspenstigen gebändigt und zum Gehorsam gebracht. Gewiß ist‘s, daß Es dabei etwas meinte; aber ich will nicht behaupten, daß es das obige war; es kann eben so gut etwas anderes gemeint haben. Es kann ebensogut mit späterm zusammengehangen haben; aber ich will es auch nicht behaupten, denn äußerlich wurde kein Zusammenhang sichtbar; des Departements Erlasse kamen uns auf dem Lande vor, wie einzelne Posaunenstöße, wie Ausbrüche des Vesuvs, prächtig anzuschauen, besonders von ferne, wie schöne Einfälle in schönen Nachten. Sein Wollen umzog ein geheimnisvoller Dunkel als den Tempel zu Delphi. Aber, o Herr! Wie ward uns, als vor allem aus der Entwurf der großen Schulkommisston beseitigt wurde; als von Seite des Departements erklärt wurde, sie hätte ohne Sorgfalt gearbeitet; nachmittags zurückgenommen, was sie am Morgen erkannt, als kein Mitglied des Großen Rates, selbst Vater Fellenberg nicht, dieses für eine unbesonnene und ungerechte Mißhandlung erklärte, kein Mitglied das Verhältnis der Kommission zum Präsidium insbesonders und zum Departement im allgemeinen auseinandersetzte; als alle ihre selbstgewählte Kommission so schnöde beseitigen ließen! Ja, als selten ein Mitglied des Großen Rates eine Einrede wagte, weil jedem, der es that, abgeputzt wurde; als einer Menge eingegangener Einwürfe gegen den Entwurf nicht gedacht wurde; als unser Einkommen auf keine Weise verbessert wurde; als nur das Erziehungs-Departement Geld erhielt, freilich zu Gnadenspenden für uns; als erkannt wurde, teilweise Erhöhung des Einkommens gebe das Recht, eine Stelle ledig zu erklären; als uns Schule das ganze Jahr durch auferlegt wurde, aber den Gemeinden keine Verbindlichkeit, uns dafür zu entschädigen; als uns noch eine Menge Dinge auferlegt wurden und dagegen keine Vergütung, keine Erleichterung uns zukam; als der Primarschule gar noch nach dem Gesetz, von dem man bald sagte, es werde eine lange Reihe von Jahren durch dauren, bald wiederum es transitorisch nannte, eilf Fächer zugewiesen wurden, und niemand so recht ergreifend und aus dem Herzen dagegen und für uns eintrat; als alle Hoffnungen in Trümmern gingen und manche neue Last aufging! Da zog der Jammer ein in manches Schulmeisterherz, da umzog Jammer, düster und schwarz wie eine Gemitterwolke, manche Haushaltung!

 

Da durchschnitt manchen von uns die Ahnung, daß wir eigentlich in der allgemeinen Wertung ganz anders stünden, als man uns vorgespiegelt hatte; daß die einen nur den Stand so hoch gepriesen, den gegenwärtigen Personen aber abgeneigt geworden, allerdings zum Teil durch unsere Schuld; daß die andern nns nur deswegen so hoch erhoben, um die Pfaffen, deren Einfluß auf das Volk man fürchtete, desto tiefer herunter zu machen, verdächtigen, ihnen zur Last legen zu können, am gegenwärtigen Zustand allein schuld zu sein und nicht Gott der Herr; daß eine Menge, wie Gänse ihrem Führer, diesem Geschrei beigestimmt, ohne zu wissen, was sie schrieen, ohne zu denken, daß dem Geschrei auch etwas Anderes folgen solle, ohne von ferne sich einfallen zu lassen, daß dieses Geschrei sie etwas kosten könne, nämlich eine Erhöhung unserer Besoldungen.

Ja, es kam noch eine andere Ahnung über uns und zwar die, daß die Väter des Landes die Primarschulen nur noch so halb am Herzen hätten und sie eigentlich gar nicht mehr als ihre Schulen betrachteten, d. h. als die Schulen, welche ihre Kinder zu besuchen hätten; sondern daß sie nur noch ein mitleidiges Auge auf sie würfen, so ungefähr wie ein Spießbürger von Burgdorf auf die Hintersäßenschule.

Als das größte Heil des Landes, als die Pflanzschule künftiger ländlicher Gelehrten und Staatsmänner war, um ihre Dekretierung durchzudrücken, bei den aus einem richtigen Instinkt widerstrebenden Landleuten die Hochschule angepriesen worden. Die Landleute meinten halt, man fange ein Haus unten an zu bauen und nicht oben; aber das Departement meinte es halt anders, und die guten Landleute sind halt gewohnt zu stimmen, wie man sie in Bern oder von Bern aus brichtet. Sie sind halt jetzt von einigen Zeitungsschreibern unterjocht geistig, ehedem von Aristokraten leiblich. Es war also ganz natürlich, daß jeder, der sie beschließen half, dachte, das sei gut für seine Kinder, die müßten auch da sitzen, wo er sitze, oder vielmehr noch höher oben; da gehe es ringer, Geld zu verdienen, als daheim beim Stöcken, und da trage wirklich eine Stelle, die man mit dem Gring versehen könne am Schatten, mehr ein als ein schöner Baurenhof Sonnseite. Und zudem dachte er noch, es sei eigentlich nichts als billig, daß seine Kinder vor allen andern auch dahin kämen, wo er sei, da er auch anfangs hier gesessen vor andern und noch viel gewagt habe, hier zu sitzen, wenn einst die Aristokraten wieder obenauf kommen sollten.

Nun wußten diese Mannlein alle so viel von der Sache, daß sie wußten, man lerne auf einer Hochschule nicht buchstabieren und einen Brief schreiben, sondern das müsse man an einem andern Ort lernen. Aber sie dachten, das müsse, um auf die Hochschule zu kommen, auf eine ganz andere Weise gelernt sein, und das könne nicht in der Schule gelernt werden, wo auch gemeine Kinder lesen und schreiben auf gemeine Weise lernten, von wo aus sie bösdings ins Weltschland könnten, aber nicht auf die Hochschule. Sie dachten vielleicht auch, es schicke sich nicht mehr recht, wenn Kinder der Landesväter so mit Crethi und Plethi bschulet würden und da vielleicht auch einen Tätsch aufs H... bekämen wie gemeiner Leute Kind. Diese apartigen Schulen waren schon lange da und waren von Leuten gestiftet worden, die wirklich das Bedürfnis fühlten, ihre Kinder besser unterrichten zu lassen, als es in den Dorfschulen geschah. Diese Schulen waren besonders da, wo Industrie sich regte. Auch in sie kamen aber böse Elemente, Neid und Hochmut, und als böse Folge die Vernachlässigung der Primarschulen an selbigem Orte. Denn die, welche eine apartige Schule hatten, waren gewöhnlich die Regenten der Ortschaft, und diese bekümmerten sich dann meist um die Primarschulen nicht mehr, wenn nur ihre Kinder etwas lernten; und je minder die andern lernten, desto wohlfeilere Knechte behielt man. Diese Leute hieß man bei uns freisinnig; denn obgleich wir Schweizer sind, geht es doch bei uns noch mitunter polnisch zu. Diese Schulen nannte man ehedem Privatschulen; allein seitdem die Pädagöglein ihnen ihre Aufmerksamkeit schenkten, gaben sie ihnen flugs einen andern Namen und nannten sie hochklingend Sekundarschulen. Diese Sekundarschulen, glaubte man nun, führten in die Hochschule, so wie die Hochschule in die Regierung, soweit sie etwas eintrage. Weiter wußte man von den Sekundarschulen nichts, als daß man dort noch Weltsch lerne. Und nach diesen Sekundarschulen schrie man nun Zettermordio, wohlverstanden, daß der Staat sie einrichte. Man wollte durch sie reich werden; aber sie sollten einen nichts oder doch gerade nur so viel kosten, daß sie dem Armen zu teuer seien. Auch hörte ich einen, der etwas mehr merken mochte als andere, nach Gymnasien schreien. Da er die Gabe nicht hatte, sich recht deutlich auszudrücken, so ward mir seine Meinung nicht ganz klar, vielleicht daß er selbst keine klare hatte. Er schien zu meinen, daß zur Erleichterung des Landmanns, der auch gelehrt zu werden das Recht habe, der Staat wenigstens an jedem Ort, wo ein Wochenmarkt sei, ein Gymnasium mit der gehörigen Lehrerzahl zu errichten habe. Dieses Geschrei nach Sekundarschulen war freilich zum Teil aus dem Bedürfnis hervorgegangen, aber zum großen Teil doch aus den Vorspieglungen, die man bei Stiftung der Hochschule gemacht hatte; wo man viel geredet hatte von einem vollständigen, vaterländischen, umfassend ineinander greifenden Organismus der sämtlichen Unterrichtsanstalten; wo man beständig auf die Sekundarschulen verwies, wenn man Ungläubigen den Nutzen der Hochschule verständlich machen wollte. Dieses Geschrei hatte aber die Mächtigen des Landes für die Primarschulen erkältet; ihre stiefmütterliche Behandlung ließen sie unbeachtet. Je weniger man für die Primarschulen brauche, desto mehr habe man für die Sekundarschulen, und brauche man für die Primarschulen das Nötige, so habe man für die Sekundarschulen nicht das Hinlängliche, und doch seien diese die Hauptsache, denn sie seien für die achtbare Klasse, jene nur für die Leute, die eigentlich nichts zu wissen brauchten, wenn sie nicht etwas Religion haben müßten, damit andere Leute sicher seien vor ihnen. Ob beide Arten von Schulen in einem Zusammenhang stünden oder stehen sollten, darüber machte man sich keinen Begriff; man dachte nur, die Sekundarschulen seien halt die bessern als die andern. Darum rührte sich auch kein Bein für uns; man hatte nicht einmal teilnehmende Gesichter bei unserer Klage; ja man hatte nicht einmal Zeit, uns einen Augenblick klagen zu hören.

Jetzt glaubten wir das Ärgste erfahren zu haben, — fürchterlich getäuschte Hoffnungen. Wir versanken wieder in die alte Apathie und fingen an um so emsiger zu weben, zu schustern, zu tischmachern, um das an so vielen Versammlungen unnütz verbrauchte Geld, um die verlorne Zeit wieder einzubringen. Da rüttelte uns eine noch fürchterlichere Nachricht auf einmal wieder auf, die Nachricht, alle Primarlehrer sollten examiniert werden.