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Leiden und Freuden eines Schulmeisters

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Dreißigstes Kapitel. Wie es mir geht, als auch ich die Schule doktern will

Ich fing nun an, meine Aufgabe an die Hand zu nehmen, die Kleinen mehr zu beschäftigen dadurch, daß ich ältere Kinder zu ihnen stellte oder ihnen geschriebene Buchstaben an die schwarze Tafel machte, die ich aus meinem eigenen Gelde hatte anschaffen müssen, da die Gemeinde mir sie abgeschlagen oder vielmehr verdreht hatte. Wir mußten deshalb eine alte Pfanne nochmals plätzen lassen, statt eine neue kaufen zu können. Die Buchstaben sollten sie einstweilen bloß kennen lernen; denn ich hatte noch nicht gewagt zu sagen, daß die kleinsten Kinder Täfelchen bringen sollten. Ich hatte einigen sogenannten Lesern gesagt, die aus dem Fragenbuch in die Kinderbibel kamen, d. h. die als Lesebuch nicht mehr das Fragenbuch, sondern die Kinderbibel hatten (ist‘s nicht bedauerlich, daß noch in sehr vielen Schulen Fragenbuch und Kinderbibel die einzigen eigentlichen Lesebücher sind, und daß nichts Ernstliches geschieht, um diesem traurigen Unwesen ein Ende zu machen? daß gar nichts geschieht für die armen kleinen Kinder und die Benutzung ihrer ersten, so kostbaren Jahre?), die nun hätten auswendig lernen sollen: der Pfarrer wolle, daß das daheim geschehe und daß sie dafür Täfelchen bringen und schreiben und rechnen könnten. Sie brachten mir den Bescheid zurück: der Vater hätte gesagt, er kaufe keine Täfelchen; das Gchribel trag so jung, wo me ke Vrstang drvo heyg, nüt ab; si sölle lere wie‘s dr Bruch syg; er frag dem Pfarrer nüt nah, dä zahl nüt am Schumeister; we-n-er de öppis drwider heyg, su soll er-ne bschicke; er well dem de dMeinig säge. Ein anderer begehrte auf, daß die Kinder Gschribnigs lerte, ehe sie das Druckte chönnte; das chömm nit guet, das gäb es Ghürsch u syg allbets nit so gsi. Einer aber kam, ein Händler, und sagte mir: er wolle nicht mehr, daß sein Bube die Fragen auswendig lerne; das Gstürm trage nichts ab; er wolle den Knaben bald ins Weltschland thun; dort trügen ihm die Fragen auch nichts ab; es früge kein Mensch darnach. Das gefalle ihm, daß ich auch viel auf Schreiben und Rechnen halte; das sei doch die Hauptsache; mit allem andern hätte man nicht gfresse.

Die Leute hatten sich vorhin kaum um die Schule im allgemeinen bekümmert, geschweige denn um ihr Inwendiges. Wenn nur der Schulmeister Fleiß hatte, d, h. wenn er immer zu rechter Zeit in der Schule war und die Kinder zuweilen zu Hause sagten: es heyg hüt dem Schumeister o afe warm gmacht, er heyg o müeße dChutte-n-abzieh; und wenn nur das älteste Kind einen Examenzettel machen konnte, auf dem Buchstaben, einen halben Zoll lang, waren, und, wenn es hieß: »Bueb, bet oder lies!« dieser mit einer mißtönenden Kopfstimme das Ding herbrüllte, daß die Kunkelstecken wackelten und die Katze unter dem Ofen hervorkam und zur Thüre aus wollte; — wenn es nur also geschah, so waren die Leute zufrieden und sagten: »DCHing lere brav; mr hei e Schumeister, me mueß-ne rüehme.«

Jetzt aber war alles wie eine aufgeguselte Wespern. Jeder wollte befehlen, und was dem einen recht war, wollte der andere nicht. Es war fast nicht dabei zu sein. Ich klagte einmal dein Wehrdi diese Not. Der erklärte mir, dieses Einmischen sei ganz natürlich; ich solle mich dessen nur nicht viel achten. Es habe jeder Bauer extra für das Schulhaus tellen müssen und Holz dazu führen; er betrachte es nun auch als sein Haus, und wie er in seinem Hause befehle, so meine er auch hier regieren zu dürfen, wenn es ihn ankomme. Aber wie in seinem Hause er gewöhnlich nicht selbst regiere, sondern jemand anders, er möge befehlen wie er wolle, so müsse man ihn auch da befehlen lassen nach Belieben, nichts dagegen sagen, aber dann auch Schul halten nach Belieben. Zudem sei es etwas neues, was ich da gemacht habe, und etwas solches sei ihnen immer zuwider und gusle sie auf, so wie ein alter Bauer selten eine neue Kutte anziehe, ohne wochenlang darüber zu schimpfen und sich zu verfluchen: die Schneider könnten alle nichts mehr; sie seien allbets viel besser gewesen. Am Ende werde aber die neue Kutte auch eine alte und ihnen so lieb, als irgend eine frühere alte.

»Disputiert nur nicht mit ihnen, Schulmeister,« sagte Wehrdi, »da hört niemand auf eure Gründe. Weil eure Gytiwyler auf 10 Pfund hinaus eine ganze Kuh, auf 7 Pfund ihr Unschlitt, auf 4 Pfund hinaus die Haut zu schätzen wissen und genau angeben können, wie manches Kalb sie gehabt und ob ihre Hörner abgeschabt und zugestutzt worden seien, was ihr alles nicht könnt, so glaubt jeder Gytiwyler zehnmal gescheuter zu sein, als ihr, in allen Dingen. Er hat keinen Begriff davon, daß er in allen den Dingen kreuzdumm ist, die nicht von Rossen oder Kühen etc. handeln. Ist er der schlimmste aus dem Kühmärit, so meint er auch der listigeste zu sein in eurem Fache; er zäpfelt und lächelt alle Leute aus oder weiß sie zu verdächtigen, wenn er sie nicht zum besten haben kann. Wenn ich so oft ein Bäuerlein, das nicht zwanzig zählen könnte, ohne von neunzehn auf zwanzig immer zu verirren, mich auszäpfeln sah und auf seinem Gesicht ellenlang geschrieben stand und die Mund- und Augenwinkel es vierfach aussprachen: »Red ume, du bisch ume-n-e Löhl,« so juckte es mich in allen Mundmuskeln, ihm zu sagen: er sei ein zweyeter Esel und solche, wie er sei, brauche man in Batavia für nichts anders, als für die Affen das Reden zu lehren. Dann dachte ich, das sei ja Menschen-Art, daß, je dümmer sie seien, d. h. je weniger sie begriffen, was sie nicht wüßten, was sie alles nicht könnten, desto mehr zu glauben, alles das zu sein, zu wissen, zu können, was sie nicht wären, nicht wüßten, nicht könnten.

Ich sagte nicht viel dazu; aber ganz dieser Meinung war ich doch nicht. Mir schien es, die Bauren hätten in etwas recht. Des Pfarrers Meinung hatte mir so viel auferlegt; ich fühlte mich gar nicht heimisch, in diesem Gange recht unbehagich, weil ich vielem nicht vorzukommen wußte. Ich mußte so viel darüber hören, daß diese unangenehmen Dinge unangenehme Gefühle in mir erzeugten. Ich durfte aber nichts sagen; doch fragte ich den Pfarrer, wie es denn mit des Händlers Bub solle gehalten werden, der nicht mehr die Fragen lernen wolle? und was ich mit denen machen solle, die keine Täfeli bringen wollten? Mit diesen letztern, sagte der Pfarrer, sei nichts zu machen, als daß man sie nach und nach in der Liebe dazu zu bringen suche; für ernstere Maßregeln fände man nirgends Unterstützung (auch jetzt kaum).

Mit des Händlers Bueb sei es ein anderes. Auswendig müsse jeder lernen, wenn auch nicht gerade die Fragen, an denen hange er nicht, aber doch etwas anderes. Ehedem habe man in den Schulen nichts als auswendig gelernt, manchmal während die Kinder nur noch buchstabieren konnten; um das Verständnis habe keine Seele sich bekümmert. Das sei Unsinn gewesen. Aber das sei eben auch wieder Unsinn, die Kinder gar nichts mehr auswendig lernen lassen, oder es nur so vornehm über die Achsel ansehen zu wollen als etwas, das man noch dulden müsse, das aber wegzuschaffen wäre. Das Gedächtnis sei eine Seelenkraft wie andere, und eben nicht die entbehrlichste, und sie müsse geübt und gestärkt werden, wie jede andere Kraft, wenn sie zu jedem ihrer verschiedenartigen Dienste bereit sein solle. Und gerade die Kinder, welche am schwersten auswendig lernen, müßten am meisten dazu gehalten werden, statt daß man gewöhnlich aus dummem Mitleiden es ihnen schenke. Freilich müsse man es ihnen zu erleichtern suchen, wozu es verschiedene Mittel gebe. Und gar viele Kinder schienen ein schlecht Gedächtnis zu haben, hätten es aber nicht, sondern nur nicht das Vermögen, ihre Gedanken auf einen Punkt zu fixieren; und das sei eine Schwäche, die, wenn man nicht mit aller Gewalt dagegen arbeite, das Kind zu allen ernsteren Dingen unfähig mache. Man sei aber halt noch nicht dahin gekommen, eine Schule zu betrachten als eine Schleife für die verschiedenen Kräfte des Menschen, sondern man betrachte die Schulen nur als Nürenberger Trachter, durch welche man dem Kinde so viel einlasse, als hineinwolle; und wolle es oben aus, so nehme man einen Stämpfel und stungge das ganze tüchtig zusammen, damit man noch eine Melchteren voll hineinschütten könne.

»Man füttert das Kind halb tot und stumpft in der Schule ihm alle Kräfte ab. Stellt das daher dem Händler vor und brichtet ihn darüber,« sagte der Pfarrer.

Es dünke mich, meinte ich, der Pfarrer sollte die Leute vorbescheiden und ihnen ein Kapitel lesen und ihnen befehlen, was sie zu thun hätten. Wehrdi hätte auch gesagt, die Bauren seien zu dumm, als daß sie solche Dinge begriffen, und je dümmer einer sei, desto übermütiger und einbildischer sei er.

»Schulmeister, wenn ich die Leute sehe, will ich mit ihnen reden, das versteht sich. Aber mit ihnen aufbegehren, ihnen befehlen, was sie in die Schule bringen sollen, das kann ich nicht. Ich habe da keine Macht, meinen Befehlen Kraft zu geben, und das wissen meine Bauren so gut als ich. Übrigens lassen sich solche Dinge nicht erzwingen, sondern nur einschmuggeln mit Vorsicht und dadurch, daß die Kinder Liebe dazu gewinnen und die Sache zu Hause vertheidigen und das nötige dazu eräken.« Übrigens sei der Wehrdi gegen die Bauren viel zu erbost. Es habe jeder Stand seine Fehler und sein gutes, so auch der Baurenstand; man müsse aber jeden Stand einmal nehmen wie er sei. Ich solle nur hübscheli fahren, eins nach dem andern nehmen, nicht den Mut sinken lassen; es werde schon gut kommen.

Als ich mit dem Bescheid unzufrieden heimkam — denn es dünkte mich: habe mich der Pfarrer in den Schlamm gestoßen, so könnte er mich jetzt herausziehen — warteten mir wieder zwei Hausväter. Der eine klagte: ich versäume mich viel zu viel bei den Kleinen und versäume darüber die Größeren. Um mit ihnen mit Bohnen und Chestene zgvätterle (auf diese Weise wollte ich auf den Rat des Pfarrers das Zählen und Zahlensystem veranschaulichen aus Mangel eines bessern Apparats) brauche man keine teuren Schulmeister; das könnten die Kindemeitscheni daheim. Der andere begehrte auf: daß ich die Kleinern nicht selbst überhöre im Namenbuch. Schon drei Tage habe sein Hanseli mir nicht aufgesagt, hätte er geklagt, sondern nur ds Sigriste Bäbi, und dem seien die Läuse ganz Hampfele voll ume gramslet a sym strube Gring. Ich sei allbets ein guter Schulmeister gsi; aber seit man ein neues Schulhaus habe, well es neue nüt meh nutz gah, u doch heyg me gmeint, wie‘s de gah müeß.

 

Einunddreißigstes Kapitel. Wie endlich ein anderer das Doktern übernimmt

Ich muß bekennen, das machte mich böse und noch böser ward ich, als ich vernahm, daß der Statthalter seinen Bueben in eine der apartigen Schulen thun wolle, die für reiche Baurensöhnchen in unserer Nähe errichtet worden, weil er bei mir nicht fortkomme. Ich mache viel zu lang am gleichen; sein Bueb hätte den gleichen Zettel dreimal hintereinander abschreiben müssen. U selligs syg doch nadisch nie dr Bruch gsi. Ich bekam einen rechten Kyb gegen den Pfarrer, der, wie ich wähnte, mich in dieses alles hinein gewerchet hätte; und ich fieng auch an, denen beizustimmen, wenigstens innerlich, welche sagten: die D. Pfaffen seien alle falsch am Volk; man sollte sie alle fortjage oder um ds Halbe mit-ne akkordiere; sie machten es auch dafür und wären noch froh. Man könnte es eigentlich auch machen ohne sie, wenn man einen guten Schulmeister hätte; die hätte man alle Tage, den Pfarrer nur an einem Sunde.

So wurde rings um mich geredet und immer lauter, und besonders in Zeitungen stund ähnliches. Denn es war die Zeit gekommen, welche der Pfarrer angedeutet hatte: die alten Herren dankten ab und es gab eine neue Regierig.

Ehe sich Tausende nur versahen, war die Herrscherfamilie verschwunden, alle Stühle leer, die sie im Besitz gehabt; es waren alle gleich in der Republik Bern und alle gleich berechtigt zu den leeren Stühlen. Tausendschwernot! was war da jetzt mit dem Gring zu verdienen, wer einen Gring dazu hatte! Tausende ergriff die Reue, daß sie nicht besser für ihre Gringe gesorgt. Und mancher holte das Tintenfaß vom Unterzug herunter, stäubte es aus, weichte mit Wasser die Kruste auf und versuchte mit Bangen im Hinterstübli: ob er denn wohl noch seinen Namen schreiben könne? Aber noch viel mehr Tausende ergriff ein größer Bangen, das Bangen: woher in dem Lande, wo wenige ans Regieren nur gedacht, die Menge Leute nun nehmen, die regieren könnten, ausgerüstet nur mit den unentbehrlichsten Bildungsstücken? Von all diesen Tausenden erhob sich nun ein tausendfältiges, durch tausendfältiges Echo noch vertausendfältigtes Geschrei gen Himmel über die geistige Not des Landes, wo die einzelnen Kapacitäten dürftig herumschwammen schwammen wie Brot in einer Bettlersuppe. In dieses Geschrei mischten sich die Klänge des Zornes mehr und mehr über die, welche Schuld sein sollten an dieser Bildungslosigkeit; siebenmal sieben Sünden wurden auf ihre Schultern gewälzt, die Schultern der Aristokraten und Pfaffen. Hinter dem Umhang hervor schauten lachend die abgetretenen Herrscher in diese Not hinein; sie hatten sie erwartet und erwarteten auch ein baldiges komisches Ende des so ernsthaft begonnenen Spiels. Aber sie täuschten sich. Unter den Schreienden waren viele nicht auf den Kopf gefallen. Sie schrieen nur so mit; sie dachten bei sich selbst: so gut wie die regiert haben, können wir‘s doch wohl auch. Was sie gelernt hatten, haben wir auch gelernt so ungefähr, weltsch ausgenommen. Mancher erinnerte sich, daß er schlauer gewesen als der Landvogt, und dieser habe den Kürzern ziehen müssen gegen ihn. Wenn‘s doch so sein müsse, so wolle er in dieser Vaterlandsnot zu regieren probieren, bis Geschicktere da seien — so sagte er.

Und sie probierten zu regieren, und zum Schrecken der Alten ging‘s; denn die Neuen hatten auch eine Portion gesunden Verstand; und daran hatte man bei der Abdankung nicht gedacht, nicht gedacht, daß man das Volk nicht verwöhnt hatte zu großen Ansprüchen, im Gegenteil zufrieden zu sein mit dem gesunden Verstand und nicht einmal zu fragen, wer ihn eigentlich hätte, ob der Vogt oder der Schreiber. Aber man schrie demungeachtet, wie an einer Feuersbrunst nach Löschmitteln, Spritzen, Eimern und Leuten, nach Bildungsmitteln, nach Schulen aller Art, nach Lehrern von allen Sorten. Gute Schulen, gute Schulmeister seien die Hauptsache! hallte an allen Bergen wieder, und das Echo brachte die süßen Klänge uns zu Ohren: Schulen und Schulmeister seien die Hauptsache. Und wie ein Fieber schien der Bildungseifer das ganze Land ergriffen zu haben; alles schien zu zittern und zu beben nach der Zeit, wo die Kinder, wenn sie aus dem Mutterleibe kämen, der Hebamme entgegenschrieen: einmal eins ist eins, zweimal zwei ist vier; wo die Geißbuben und Mistaufleser darüber sich prügelten, ob es zwei oder drei Urzustandswörter gebe? ob Gott ein Urzustandswort sei oder ein Geist? ob ein Dingwort ein Hauptwort sei oder gar nichts? wo jeder Hans Michel im Oberland und im Unterland Doktor wäre irgend einer Wissenschaft, und aus seinen Küherhosen flugs schlüpfen könnte in Professorhosen, wenn er nämlich wollte. Man war überzeugt, jedes Glied und jedes Gliedlein des souveränen Volkes hätte einen eigentlichen Bildungsteufel im Leibe, und nur die verdammten Pfaffen mit ihren Weihwedeln und Bannsprüchen hinderten ihn auszuschlüpfen wie ein Küchlein aus dem Ei. Und wenn man die verdammten Pfaffen wegbrächte mit ihren Weihwedeln und Bannsprüchen von den mit diesen Teufelchen Schwängern, so würde an einem schönen Morgen ein Kreisen das ganze Land ergreifen und am Abend hätten wir das Land rigeldick Leute, gegen die der Aristoteles nur ein Esel und Sokrates noch ein ärgerer Esel wäre. Mit allen möglichen Mitteln suchte man die Pfaffen zu verscheuchen, damit sie die Kreisenden ruhig gebaren ließen. Während man so scheuchte und schimpfte, wählte man, um die Geburt zu beaufsichtigen, damit nicht etwa falsche Kinder untergeschoben würden, Behörden. Obenan ein Erziehungs-Departement. Ein Kirchen-Departement fand man nicht nötig, vielleicht weil man meinte, die rechte Erziehung löse die Kirche auf, mache sie überflüssig; aber dann nicht den Staat auch? Über das Departement hinüber wählte man die große Land-Schulkommission, damit ja die Bildung nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Lande zur Welt käme, und zwischen beide hinein, zwischen Thüre und Angel, die kleine Land-Schulkommission. Und damit wir Schulmeister echt republikanische Geburtshelfer würden, wurden Anstalten dekretiert für alte und junge, und ein Wagen mit verrosteten Flinten aus dem Zeughause dahin abgesandt, um uns recht wehrhaft zu machen. Als alles dieses geschehen war, was begann man? Man fing an zu zanken und zwar auf gräuliche Weise.

Das Erziehungs-Departement, oder wenigstens ein bedeutender Teil desselben, war von Anbeginn empfindlich über die große Schulkommission, die ihm in gewisser Beziehung an die Seite gesetzt war; betrachtete sie als einen Schleiftrog, zuckte mitleidig die Achsel über sie, und gedachte, sie etwa alle Jahre zur Parade einmal aufmarschieren zu lassen. Das Departement war überzeugt, soviel Intelligenz und Kenntnis der Sache in seinem Schoße zu vereinigen, daß anderweitige Beratungen nichts als Störungen und Verwirrungen in sein tiefdurchdachtes, allseitig eingreifendes, aus theoretischen Betrachtungen und praktischen Anschauungen hervorgegangenes System bringen müßten. Zur Sprache öffentlich kam dieses nicht; es wurde nur gemerkt und angeschauet. Da spaltete sich das Erziehungs-Departement selbst und diese Spaltung kam vor die Welt. Diese Spaltung schien von Wahlen auszugehen, wie noch manche andere Spaltung in der neuen Republik; allein sie hatte ihren tieferen Grund. Es scheint sich auch in einzelnen Mitgliedern die Meinung festgesetzt zu haben, ihrer Meinung geschehe Eintrag, auch wenn sie im Departement selbst besprochen würde, indem sie so in sich abgeründet sei, daß ein einziger Feilenstrich das Ganze verderbe. Dieser Meinung scheint vor allem Herr Fellenberg gewesen zu sein, der den übrigen Mitgliedern des Erziehungs-Departementes schroff entgegentrat. Er war der älteste, hatte den berühmtesten Namen und schon seit Jahren auf Hofwyl allen Widerspruch abgestellt. Es war ein sehr großes Unglück für ihn, daß er dem Streit die Wendung gab: als ob das Heil der Republik Bern daran liege, ob die pädagogischen Anstalten derselben zu Hofwyl und unter seiner Leitung stattfänden oder nicht? Denn dadurch wird er sich nie des Vorwurfs, selbstsüchtige oder ehrgeizige Zwecke gehabt zu haben, erwehren können, wie ungerecht sie auch sein mögen. Es kam noch ein zweites hinzu, welches ihm mehrere Klassen von Menschen abwendig machte und so ihm den Sieg entriß.

Er führte nämlich den Streit ganz auf seine Weise. Herr Fellenberg ist ein Patrizier von Bern, aber dadurch vor Tausenden ehrwürdig, daß er nicht auf dem alten hergebrachten Wege von Pöstlein zu Pöstlein zu Ehre und Vermögen kommen wollte, sondern anders. Herr Fellenberg bemerkte das Wehen einer neuen Zeit und ließ auf den Wellen derselben sich schaukeln: aber das kann ein Berner Patrizier nicht lange, er faßt mit seinen zehn Fingern gerne etwas Bestimmtes, Positives. Daß sie Idealisten seien, kann ihnen niemand nachreden.

Herr Fellenberg ergriff die Landwirtschaft und, die Richtung des Zeitalters nach einer rationelleren Erziehung erfassend, auch die Pädagogik in weiterm Sinn. Bei diesem Ergreifen von zweien Dingen verband er eine merkwürdige Kombinationsgabe. Er verflocht die beiden Dinge so ineinander, daß noch heute der Streit darüber waltet: ob die Landwirtschaft oder das Erziehungswesen sein Hauptzweck sei? der Streit: ob er das Heil der Menschheit oder sein eigenes, d. h. Vermögen und Namen, suche.

Jede Partei hat ihre Daten für sich. Die, welche in ihm einen der Retter der Menschheit sehen, wollen ihn neben Pestalozzi setzen, berufen sich auf seine Wehrli-Schule, seine vielfach erlittenen Verfolgungen, seine grandiosen Einrichtungen und endlich auf seine eigenen Worte, schriftliche und mündliche, namentlich auf die Zeugnisse in vielen öffentlichen Blättern und Zeitungen, auf die Zeugnisse berühmter oder besternter Männer, die ein oder zwei Tage in Hofwyl gewesen und nun in ein oder zwei Bänden Lob posauneten. Die andere Partie erkennt die landwirtschaftlichen Bemühungen des Herrn Fellenbergs vollkommen an, gibt ihm auch das Zeugnis, daß er einen ausgezeichneten organisierenden Sinn besitze, spricht ihm aber nicht nur jede Fertigkeit im Erziehen, sondern auch jeden Sinn für das Erziehen ab und behauptet: alle diese Anstalten hätten nicht pädagogische, sondern ökonomische oder ehrgeizige Zwecke. Auch sie führt ihre Belege ins Feld.

Er selbst könne nicht erziehen, denn dazu gehe ihm das nötige Element, die Liebe ab, sagen sie und führen eine Menge Beispiele aus seinen näheren Umgebungen an, die ich nicht wiederholen mag. Er habe auch keinen Sinn für das Erziehen, sonst würde er nicht die Knaben aus der Wehrli-Schule verdammen, mit Eseln zu fahren jahrelang; denn solch ein Esel habe auf den führenden Knaben einen erzieherischen Einfluß, der keinem, der nur so von weitem Erzieher wäre, entgehen könnte. Die Wehrli-Schule könne eben so gut Spekulation sein, ein kluges Aufgreifen der Zeit, als eine Wohlthat für die Menschheit.

Das erstere wollen sie beweisen durch die Behauptung, daß die Knaben nicht um ihrer selbst, sondern um Hofwyls willen da seien; sonst würden sie nicht meist nach dem Essen ihre Unterrichtsstunden erhalten, drei des Tages, und landwirtschaftliche Mißrechnungen würden nicht auf Kosten der Wehrli-Knaben ausgeglichen. Am allerwenigsten sei er Lehrer; das hätte man an seiner Verfassungslehre sehen können. Sie sagen, der beständige Skandal, in welchem Herr Fellenberg mit den Lehrern lebe, und die Art, wie er sie geistig und geldlich auszubeuten wisse, stemple ihn zu einem Ökonomen der dickern Art und nicht zu einem geistigen Bildner der Menschheit. Sie führen die Änderungen seines Systems, ja gar die Änderungen seines Namens an, je nach dem politischen Winde, um zu beweisen, daß er keiner sei, der auf der ewigen Basis des Rechts und der Wahrheit fuße, sondern ein kluger Handelsmann, der den Schild ändere je nach der Laune der Regierenden, ein vorsichtiger Schiffer, der die Segel wechsle je nach den wechselnden Winden.

Aus allem dem, was geschrieben worden, wollen sie gar nichts gehen lassen. Nur für 6 Kreuzer könne man schon viel schreiben lassen bei einem Schulmeister, für 15 Batzen noch mehr bei einem Schreiber, und wenn man einen fleischfressenden und biertlinkenden Bruder sechs Wochen füttere und ihm dann gar noch einige Groschen in die Tasche gebe, auch nach diesen sechs Wochen noch Fleisch zu essen und Bier zu trinken, so schreibe der einem die ganze Welt voll, was man wolle, weißes oder schwarzes, am liebsten etwas giftiges.

 

Am meisten ärgert sie die Zusammenstellung Fellenbergs mit Pestalozzi, von denen sie behaupten, daß sie einander glichen wie Liebe und Eigennutz, wie Geist und Starrsinn, wie Vergebung und Rache, wie Gefühl und Gefühllosigkeit. Dann erzählen sie, wie Pestalozzi und sein Name hatte gemißbraucht werden sollen, noch ärger als die neue Republik Bern, und was Fellenberg gegen ihn gethan, ja geschrieben hätte so Arges, daß sein Verleger es nicht mehr hätte drucken wollen nach dem zweiten Bogen. Das sei aber ein wahres Glück für Fellenberg gewesen; er wäre vor der Welt schon lange gerichtet.

Mit diesen Gründen ungefähr wurde der Streit unter den Gelehrten geführt bis auf den heutigen Tag und ist noch nicht entschieden. Ein einfältig Bäuerlein gab folgendes Urteil ab, das aber den Streit nicht entscheiden wird.

Ein schlichter Bauersmann in elbem, halbleinenem Rock, Namens Sepp, ging auch einmal nach Hofwyl; er wollte mit eigenen Augen anschauen, worüber so viel gestritten wurde. In Hofwyl beachtete man seine klugen Augen nicht; man sah nur, daß er zu Fuß kam, kein Engländer sei, kein Magnat irgend einer Art; darum beachtete man den ganzen Mann nicht. Der stieg nun unbeachtet umher, that Fragen hie und da, nahm Prisen aus seiner hörnernen Schnupfdrucke. Man antwortete ihm bald unbefangen, bald spöttisch, aber man antwortete doch, versteckte nichts vor ihm, und des Mannes kluger Blick sah in alle Winkel, wußte, was er fragte, und faßte gut die Antworten. Als endlich der Tag sich neigte, da ging er heimwärts in seinen mit Fett gesalbten Schuhen und seiner hörnernen Schnupfdrucke. Auf dem nächsten Hügel stund er stille und sah noch einmal nieder auf das prächtige Hofwyl mit seinen von außen großartigen Gebäuden und noch großartigern Feldern. Nach langem Sinnen brachen ihm unwillkürlich die Worte hervor: »Ja, Fellenberg, du bist ein gewaltiger Mann! Du hast einen großen Kampf gekämpfet; du hast wilden Boden entsumpft, geläutert, in herrliches Land verwandelt, hast mächtige Gebäude errichtet und wohlfeil, hast Lehrsäle und Werkstätten, Ställe und Keller, wie man sie nirgends sieht; hast Hornvieh und Schmalvieh, hast Esel und Pferde, wie sie wohl niemand hat; und das alles hast du geschaffen; wahrlich, du bist ein gewaltiger Mann! Aber, Fellenberg, wo hast du die Menschen, die du geschaffen? »Einige dreißig Jahre, sagst du, hättest du erzogen: wo sind sie, deine Erzogenen, deine geistigen und leiblichen Söhne? Wo ist der Kranz von Männern, den du dir selbst geflochten; der dich umsteht und mit feuriger Kraft die Weisheit des Vaters in Thaten verwandelt; in denen dein Geist, dein Wille lebt, so daß in dir das Bewußtsein erglüht, unsterblich zu sein in diesen Männern, fortzuleben in ihnen, wenn längst dein morscher werdender Leib verwesen ist? Wo sind sie, die Scharen von Jünglingen, die in glühender Begeisterung an dir hangen, dich als ihren Vater verehren und deines Winkes gewärtig, ihr Leben dir zu weihen; welche, wenn die Männer fallen, an ihre Stellen stehen und den Namen des Vaters Fellenberg hoch halten, als ihr Panier, daß man ihn steht in allen vier Weltteilen, gleich dem Namen des unvergeßlichen Pestalozzi? Wo hast du sie, diese Männer, diese Jünglinge, wo hast du sie, Fellenberg? Du hast sie nicht! Ich habe heute nach ihnen geforscht, ich habe sie nicht gefunden. Fremde oder kalte Leute umstehen dich; einsam ist es um dich; du hast dir niemand erzogen, der deinen Namen erhält. Das weißt du, darum soll es die Republik thun, meinst du. Die Gebäude kann die Republik erhalten, das Land zusammenhalten; aber deinen Namen, Fellenberg, als Bildner und Erzieher, kann sie nicht erhalten. Anstalten erhalten keinen Namen; nur der Geist, der vom Träger des Namens belebend, begeisternd ausgegangen, ist‘s, der Namen und Anstalten erhält. »Fellenberg, du armer Mann! Gewaltig bist du wohl, aber einsam bist du, bist kein alter Eichenstamm, an dem junge Gewächse sich aufgeschlungen, ihn ewig grün erhalten. An dir hat niemand sich emporgerankt — weißt du warum? Du ringst kühn den Todeskampf; aber du wirst erliegen; denn du armer Mann. — du bist einsam.«

So sprach das halbleinene Bäuerlein und wendete seine gesalbten Schuhe seinen zwei Großkindern zu, die ihns grün erhielten.

Wer diesen Streit einzig hatte entscheiden können, war Herr Fellenberg. Hätte er alle reden lassen und in stiller Größe gehandelt mit seinen großen Mitteln, gehandelt mit großartigem, großmütigem Sinn, unbekümmert um alles Gekläff, dann hätten seine Werke geredet, die Kläffer wären verstummt und der Vater seines Hofwyls hätte vielleicht der Vater seines Vaterlandes werden können. Aber das geschah nicht. Er war mitten im Streite, und mit einer Leidenschaftlichkeit, von der man glauben sollte, sie könnte nicht wohnen in reinem Bewußtsein, nicht bei einem wahrhaft großen Mann. In diesem Streit war er durchaus nicht Schweizer, war gar nicht der würdige Bildner des Menschengeschlechtes, der sich dessen Entsumpfung, dessen Versittlichung zum Vorwurf gemacht. Man glaubte eine fulminante Schauspielerin zu hören, der eine andere ins Licht stehen wollte, oder den Vorsteher einer Menagerie, dem vorgeworfen worden, er hätte nicht das rechte Fütterungssystem, oder er wisse seine wilden Bestien nicht zu behandeln. Es ist wahr, Herr Fellenberg hatte mit unendlich großen Schwierigkeiten zu kämpfen, und nur seine ausgezeichnete Charakterkraft half ihm sie überwinden; er ward ein Napoleon auf seinem Gebiet. Aber eben das Bewußtsein dieser Kraft hätte bei einem Privatmann Schranken anerkennen, nicht gegen jeden Widerspruch Blitze schleudern, gegen jeden Widerstand jedes Mittel anwenden, nicht mutwillig Krieg auf Tod und Leben beginnen sollen, wo ein versöhnend Wort von einem solchen Mann Vereinigung der Kräfte bewirkt hätte. So war Herr Fellenberg gewohnt, seine Kriege zu führen, und so führte er auch diesen Krieg gegen das Erziehungs-Departement und gegen die Pfaffen, weil unglücklicherweise im Erziehungs-Departement und ihm zur Seite solche stunden, die er Pfaffen zu nennen beliebte.

Er schimpfte auf eine so gemeine und pöbelhafte Weise in seinen Artikeln und Blättern und brauchte so alles Erdenkbare, um ihm im Wege stehende Persönlichkeiten moralisch totzuschlagen, daß rechtlichen Leuten vor ihm zu grauen anfing. Ja, er trieb seine Gesittung so nahe an die Bestialität, daß er Tote aus dem Grabe kratzte, um an ihnen seine Wut zu kühlen. Er posaunete auf so ungemessene Weise sein Lob aus, nannte sich mit so schönen Namen und pries so laut sein Thun und stellte noch eigens Leute an, ihm dabei zu helfen, da sein Atem nicht zuzureichen schien, daß Unparteiische stutzten und zu untersuchen anfingen, ob die Sache auch rein sei, für welche man mit solchem Selbstlob fechte. Und endlich wurde in diesen Streit, um Personen niederträchtig zu machen, von Hofwyl aus der Teufel, die Erbsünde und das Fragenbuch auf eine solche Weise hineingezogen, daß die Ungebildeten, das Volk stutzte, Verrat an der Religion witterte, gegen alles Neue in den Schulen erbittert wurde und das gleichgültig gewordene Fragenbuch, als Symbol des rechten Glaubens, aufs neue und auf viele Jahre innig ans Herz drückte.

Wie gesagt, ich rede hier nur von der Art und Weise, den Streit zu führen. Aber dieser Streit hatte die unseligsten Folgen auf den Gntwickelungsgang des Schulwesens und ganz besonders für uns Schulmeister. Schon das Echo von dem Volksgetön über Bildung und Schulen hatte uns wirbeln gemacht im Kopfe, und man will sagen, es hätte hier und da Einer Reden geführt, wie in den Dezembertagen 1830 eine Kammermagd beim Brunnen: heute müsse sie noch fegen und waschen, über acht Tage könnten es dann die Frau und die Jungfer thun und sie wolle beim Kaffeetischli sitzen.