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Leiden und Freuden eines Schulmeisters

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Im nächsten Winter übergab mir der Alte, mit einigem Widerstreben freilich, die Rute; es machte aber auch nicht geringes Aufsehen, daß ds Webers Bueb in der Schule z‘bifehle habe. Es chömm afe lustig, hieß es im Dorfe, wenn me sellige Lüte dGringe gai ga groß mache, u so am-e-ne Schuldebürlis Bueb meh ästimieri, als dBuresöhn, so syg‘s afe nimme drby z‘si. Eine Mutter, deren Mädchen ich mit der Rute getroffen, kam geradezu in die Schule, sagte dem Schulmeister wüst, und wollte an mir Gegenrecht üben. Glücklicherweise war es nur eine Taunersfrau, die halt nicht wollte ihre Kinder von ihresgleichen züchtigen lassen. Von den Vornehmern hätte sie es geschehen lassen. Weil also die Frau auch nicht viel zu bedeuten hatte, so wurde sie bündig zur Thür ausgewiesen. Der Schulmeister war aber doch in Verlegenheit, und würde mich wohl abgesetzt haben, wenn er sich bei meinem Regiment nicht so wohl befunden hätte. Früher hatten alle Kinder gegen ihn Partei gemacht, ja die Lehrmeister waren als die Ältesten oder Vornehmsten gewöhnlich die Rädelsführer aller Streiche gegen ihn gewesen. Jetzt stund ich auf seiner Seite, und konnte kraft meines Amtes vieles abwenden. Darum konnte er sich nicht entschließen, mich zu entlassen; aber er schärfte mir die größte Vorsicht ein, und bezeichnete mir die, welche ich schlagen dürfe, ohne daß es etwas mache. Die andern sollte ich ihm überlassen. Unter denen, die am meisten kriegten, waren meine Schwestern. O wie that das mir so wohl, wenn ich ihnen in der Schule eintreiben konnte, was ich zu Hause von ihnen abthun mußte; o wie wohl that mir überhaupt das Regieren! Wenn ich so mit der Rute in der Hand die Stube auf- und abspazierte; wenn ich mit angestrengter Stimme rufen konnte: »Lerit;« oder einem das Buch in der Hand zurückstoßen und sagen konnte: »Du chast aber nüt, lehr‘s besser« — o da glaubte ich nicht, daß irgend auf der Erde jemand mehr zu bedeuten hätte als ich.

Freilich ging dieses alles mir nicht ungestraft hin. Sobald die Schule aus war und die Herde auf der Gasse, so war ich wie vogelfrei, und jedes suchte sich an mir zu rächen, und zu Hause vergaßen meine Schwestern auch nicht, was sie in der Schule von mir erhalten hatten. Ich war keiner der stärksten und verstund anfangs gar nicht, mich zu wehren. Ich glaubte, sie sollten auch außer der Schule vor mir Respekt haben, und drohte mit Verklagen, statt wieder zu schlagen. Allein da der Respekt nicht kommen wollte, so lehrte die Not mich besser zu verteidigen und die andern Kinder so viel möglich zu meiden. Das machte mir die Schule und den Schulmeister immer lieber, weil ich in derselben und bei demselben am sichersten und wöhlsten war.

Die Erfüllung des zweiten Versprechens hielt aber noch viel härter als die des ersten. Schreiben und Rechnen wollte ich jetzt auch lernen, aber mein Schulmeister wollte lange nicht daran. Er dürfe es uf sy Seel nicht veranworten bei den Vorgesetzten, sagte er. So lang das Schulhaus stehe, sei es nicht erhört gewesen, daß e sellige, wie ich, schreiben oder gar rechnen gelernt. Die Bauren würden sagen, wenn er selligi Kinder alles lernen wolle, wo ihre Kinder, so sollen die ihm auch die Würste und die Küchli bringen, wo ihre Kinder ihm sonst gebracht hätten. Wenn sie nicht mehr lernten als die andern, so wüßten sie gar nicht, warum sie ihm noch apparti bringen sollten; sie müßten ohnehin den Schullohn fast allein zahlen. Einen so großen Schaden vermöge er bei seinem kleinen Lohn nicht zu ertragen und seine Frau würde auch ein Wörtlein dazu sagen wollen. Aber ich ließ nicht nach, und unter andern Gründen brachte ich ihm vor, daß ich doch den andern auch das müsse zeigen können, wenn er schlafe oder küfere; und daß wenn ich ihnen es nicht zeigen könne, sie nur wüst thäten und etwas uwatligs anfingen. Er meinte, je weniger sie schrieben und rechneten, um so lieber sei es ihm. Daß sie während demselben am uwalligsten seien, wisse er wohl und habe es schon manchmal erfahren. Darum auch wolle er mir etwas davon zeigen, aber ich müsse ihm versprechen, keinen Examenzettel machen zu wollen, es mache dann minder. Vorgesetzte kämen keine in die Schule und auf Kindergschwätz achte man sich doch nicht so viel. Und wenn der Pfarrer komme, so könne ich die Schrift geschwind unter den Bank thun.

Es versteht sich, daß ich diese Bedingungen einging. Voll Jubel kam ich heim, kündete an, daß ich künftig rechnen und schreiben könne in der Schule, daß ich dafür Federn, Tinte, Papier, Tafel und Griffel nötig hätte, also 1 Kreuzer für Federn, 1 Kreuzer für Tinte, 1 Batzen für das Tintenhaus, ½ Batzen für Papier, 2 Batzen für die Tafel; den Griffel hoffe ich dazu einmärten zu können, Summa Summarum also 4 Batzen. Ein Jude hätte »Wai, Wai« geschrien über das Zorngeschrei, das mich bei diesem Antrage aus allen Ecken empfing. Es ergoß sich aus des Vaters, der Mutter, der Schwestern Mäuler, es ergoß sich über den Schulmeister, was der für ein Kolder sei, was für einen Narrengring er habe, daß er mich etwas lernen wolle, das ich mein Lebtag nicht brauchen werde, denn ich habe ja weder Heimet noch Gülti; daß er dem Vater zumute, so viel Geld auszugeben. Man finde das Geld nicht auf der Gasse, und wenn man Geld hätte, so hätte man es für ganz andere Sachen zu gebrauchen als für selligs Narrenwerk. Lehre er das alles doch die, wo es begehrten, die Bauernsöhne. Wenn die dem Teufel zu wollten, so hätten sie nichts dagegen. Rechnen und schreiben mache nur schlechte Leute und mache, daß kein Glauben mehr sei in der Welt. Aber auch ich erhielt meinen Teil. Sie schlaye mr jetz bald die verfluechte Büecher um e Gring, bis kein ganzer Fetzen mehr daran sei. Der Schulmeister solle mir z‘fresse gäh, wenn er mich doch das Gchafel lehren wolle. Aber man wolle mit dem Pfarrer reden. Er sei zwar auch nicht einer von den Rechten, aber e selligs Donnerwerk werde er doch nicht zugeben können; wie könnte er es vor der Obrigkeit verantworten? Und wenn ich noch einist die Gosche aufthue für sellig Sachen, so schlage man mir den Holzschlegel hinein. — So lautete der langen Predigt erbaulich kurzer Schluß.

So hatte ich meine Abfertigung ungefähr gleich, als wo ich dem Schulmeister Geschenke bringen wollte; aber wie ich mich damals nicht abschrecken ließ, so auch jetzt nicht. Die 4 Batzen mußte ich haben, und wie ich zu Geschenken kam, dachte ich auch zu Gelde zu kommen. Schon lange hatte ich gemerkt, daß Mutter und Schwester mauseten; ich kannte auch die Krämerin, welcher sie die Sachen brachten und bei ihr eintauschten, was sie nötig hatten. So faßte ich heimlich auch ein Klöbli Ryste und hoffte damit mehr als das nötigste zu erhalten. Allein die Frau verstand ihren Pfiff gar zu wohl und gab für gestohlene Sachen Erwachsenen kaum die Hälfte, Kindern nicht einen Drittel des Wertes. O so eine Krämerin ist eine wahre Pest und mich nimmt wunder, daß Männer ihr das Handwerk nicht legen und sie auf irgend eine Weise recht zu Schanden machen. So eine Krämerin tauscht von den Weibern Korn ein gegen Wein oder Sammetschnüre, von Kindern Psalmenbücher gegen Lebkuchen, von Dienstboten Chuder, Garn u. gegen Zimmetwasser und Gorseeblätze. Und von allen Bettlerkindern weiß sie sich den Zuzug zu verschaffen und läschlet ihnen die erbettelten Kreuzer ab. O so eine Krämerin, die den Hausdiebstahl nährt und die Schleckerei und die Hoffart mit ihrem Händeli, die müßte mir einst auch handeln müssen und zwar in alle Ewigkeit, und zwar mußte sie mir um Schwefel handeln und Feuer dagegen eintauschen, und immer mehr Schwefel und immer mehr Feuer müßte vor ihr und hinter ihr sein, bis sie keines mehr unterscheiden könnte, Feuer und Schwefel, bis ein jedes ihrer Haare eine brennende Schwefelzüpfe und jedes ihrer Worte zu einem feurigen Lebkuchen würde. Und so müßte es an jedem ewigen Morgen neu anfangen und am Abend müßte sie mir sein wie ein ausgebrannter Kohlhaufen und das so lange, bis auch ihrer die ewige Liebe sich erbarmen müßte ob ihrem Wehgeschrei.

Diese Krämerin, welche aus langer Übung Gestohlenes gar gut von etwas anderm unterscheiden konnte, kannte meinen Kloben Nysten auch und wußte wohl, daß ich ihn nirgend anderswohin bringen durfte. Darum ließ sie sich kaum erbitten, eine Tafel, Griffel und eine schlechte Feder dafür zu geben. Und ich gab ihn hin darum, alsobald an neues Stehlen sinnend, um noch zu dem Nest zu kommen. Als ich des Abends in der Dunkelheit heim kam, hatte mir der Teufel bereits etwas gebeizt. An der Stange vor dem Hause hing das Nastuch des Vaters, das man ihm ausgewaschen und draußen vergessen hatte; das wandelte alsobald in meine Tasche. Am Morgen fand man es nicht und es erhob sich ein Höllenlärm. Der Vater prügelte die Schwester, die es gewaschen und vergessen hatte; die Mutter schimpfte auf die Schelmen und warf den Verdacht auf eine Nachbarsfrau, und wenn sie übrige 6 Xr. gehabt hätte, so wäre sie sicher zu einer Wahrsagerin gelaufen, um sich diesen Verdacht bestätigen zu lassen. Das geschah zwar nicht, aber die Mutter stichelte doch so lange, bis es Feindschaft gab und man sich von da an alles Leids anthat, was man konnte. Unterdessen hatte ich das Nastuch ganz gelassen in der Tasche, wanderte zur Krämerin und erhielt endlich mit Not den noch fehlenden Schreibbedarf.

Obgleich ich nun auf und mit gestohlenen Sachen schrieb und rechnete, so glückte es mir doch besser, als ich es verdiente. Ich machte recht muntere, wohlbeleibte Buchstaben, recht kenntlich für den Kenner, und konnte sagen, wie sie hießen, was nicht jeder konnte. Denn mancher machte jahrelang Buchstaben, er kannte ihre Namen nicht und der Schulmeister fand nicht nötig, sie ihm zu sagen. Ja, ich konnte nach und nach auch alte Gschriften buchstabieren und lesen. O, mit welcher Lust ich so hinter altem, gelbem Pergament saß und im halben Tag ein halbes Wort lernte!

Aber im Rechnen, da ging es noch viel besser und der Schulmeister sagte oft: »Du bisch ds Tüfels, Bueb, du chast mr bal alles nachemache, was i dir vormache.« Er pflegte denen, die rechnen wollten, zuerst eine Addition vorzuschreiben und dann sie mit ihnen zusammenzuzählen. Gab es über 10, so sagte er: »Da behaltet man eins«; stieg sie auf 20, so sagte er: »hier behaltet man zwei«, und so fort. Weiter ließ er sich nicht ein; nur daß man dann zuletzt nichts behalten dürfe, sondern alles hinsetzen müsse, sagte er noch. So ging es lange, bis man addieren konnte, aber noch länger, bis man durch das Abziehen war. Denn hier vernahm man nur, daß man, wenn man von einer Zahl nicht abziehen kann, bei der folgenden 10 entlehnen könne. Beim Multiplizieren happerte es. Freilich kam auch das Behalten vor; allein weil man das Einmaleins nicht konnte (das wurde vorausgesetzt, obgleich es keiner konnte) und dasselbe erst durch hundertfältige Übung mangelhaft auffaßte, so war es eine Seltenheit, wenn eine Rechnung richtig war. Noch schlimmer ging es beim Dividieren. Man wußte zwar wohl, daß man da vornen anfangen müsse und beim Multiplizieren hinten; aber selten kam einer vor dem Schulaustritt dahin, daß er sagen konnte: »4 in 2 geht nicht, 4 in 24 6 mal.« Und das alles ging darum so mühselig und langsam zu, weil auch nicht für das geringste ein Grund angegeben war, weil man nie wußte, warum man es so machen müsse und nicht anders. Und eben deswegen vergaß man alles alsobald wieder. Nicht nur mußte man alle Winter mit gleicher Mühe von vornen anfangen, nicht nur wußte man von Rechnen gar nichts mehr, sobald man aus der Schule war, sondern ob einer Species vergaß man die andere, und wenn man beim Multiplizieren war, so hatte man das Subtrahieren vergessen. Als einst der Herr Pfarrer an einem Schulexamen uns eine Addition aufgeben wollte, sagte der Schulmeister: »Verzeiht, Wohlehrwürdiger Herr Pfarrer, selligs hei mr gar lang nüt grechnet; sie cheu‘s chum meh, mr sy jetz bim Dividiere.« Darüber verwunderte sich kein Vorgesetzter; man fand das ganz natürlich, denn der Statthalter sagte: »Grad so isch‘s mr o geng gange, u we‘s mr lang nüt z‘Hange chunt, so vergiß i‘s no jetz.«

 

Weil ich beharrlich immer aufpaßte und ein gutes Gedächtnis hatte, so konnte ich zum Erstaunen meines Alten ihm mit einer Fertigkeit folgen, die ihm noch nicht vorgekommen war. Daher sagte er mir einmal an einem Samstag Nachmittag (nachdem ich eine Division nachgemacht hatte, wo vorher der Alte gesagt hatte, er well sy Seel morn bis zur Chile auf dem Kopf gehen, we‘s eine chönn): ›Peterli, blyb morn nah der Chingelehr da, i will dr neuis säge.‹ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Es war um Fastnachtzeit; ich hatte mehrere Kinder gesehen, die etwas in den Nastüchern Eingebundenes in des Schulmeisters Stube trugen; ich hoffte daher auf einen tüchtigen Küchlischmaus zum Lohn meiner Stellvertreterei und freute mich gar sehr. Aber als ich in seine Stube kam, sah ich keine Küchli auf dem Tisch, sondern eine Tafel und der Schulmeister sprach also zu mir: ›Peterli, du bisch e bsungerbar e guete Bueb u hesch e Gring wie-n-e Heuschür; i wett, du wärisch myne, du müeßtisch e Schulmeister gäh. Aber notti will dr nenis zeige, i ha‘s no kem zeigt, die Großgringe bruche nit alles z‘wüsse, si meine sust scho, di Welt syg alli ihn; es isch geng guet, we si dr Schulmeister o noh nötig hey.‹

Nun fing er an, mir zu erläutern, daß er noch keinem gezeigt, wie man die Zahlen setzen müsse, und noch keinem sei es in Sinn gekommen darnach zu fragen. Sie betrachteten das als etwas, das sich gar nicht lernen lasse. Darum kämen sie auch in keinen Rechnungen fort und müßten immer zu ihm kommen damit, indem sie immer das hinterst zu vorderst setzten. Mir nun, sagte der Alte, wolle er es zeigen. Es gebe doch vielleicht eine Zeit, wo ich es brauchen könne. ›Nun paß auf, Peterli,‹ sagte er. ›Wenn du Zahlen setzen willst, so mußt du immer z‘vorderischt anfangen, gerad so wie man schreibt und wie man redet. Man sagt hundert und fünfzig, darum setze zuerst 1, das bedeutet hundert, und dann 50 nach, das bedeutet dann hundert und fünfzig. So sagt man auch tausend zehn hunderttausend zuerst und dann erst was nachkömmt. Aber paß geng gut auf und vergiß keine zu schreiben, die man sagt. Es ist besser du setzest eine zu viel als eine zu wenig. Und wenn dir jemand Zahlen aufmacht, daß du sie aussprechen sollst, so vergiß nicht, daß wenn 3 Zahlen sind, so bedeutet es, daß sie hundert machen, 4 machen tausend, 5 zehn- 6 hunderttausend. Mehr zu wissen, braucht kein Christ. Man sagt, es gab noch Millionen, aber vo dene ha-n-i no keni g‘seh. Und noch eins, Peterli, vergiß nicht. Wenn dir einer mit hunderttausend anfangt, so mußt allweg 6 Zahlen schreiben, wenn er auch nicht 6 ausspricht. Du mußt dann Nullen zwischen ein thun, bis 6 hast, eine, zwei oder drei, je nachdem es sie mangelt; und du wirst bald merke, wo-n-es st am beste schickt.‹

Das war das große Geheimnis, an dem ich gar unbändig große Freude hatte und Zahlen schrieb und aussprach, bis ich fast sturm wurde. Auch brachte ich es zu einer gewissen Fertigkeit und Sicherheit die Nullen anzubringen.

Es möchte irgend jemand glauben, ich schreibe da etwas Ersinnetes ins Blaue hinein, um entweder die alte Zeit oder die alten Schulmeister zu verleumden; ich schreibe da etwas, das nie so gewesen. Nein, wertgeschätzte und allerliebste Leser (zu den Hochgeachteten rede ich nicht, die sind nicht zu brichten), ich lüge wahrhaftig nicht: so ist es vor dreißig bis vierzig Jahren nicht nur in einer, sondern in vielen Landschulen des Kantons Bern gewesen. Waren doch vor noch nicht acht Jahren Schulen in der Stadt Bern, in denen nur zwei Stunden Schreib- und Rechenunterricht in der Woche waren, und für hundertfünfzig Mädchen in einer Stube, wo nicht siebzig Platz hatten; wo schreiben und rechnen konnte, wer gerne wollte. Ich berufe mich z.B. auf einen grausam vornehmen Mann, der jetzt feine Kinder besser schulen lassen will, ob es nicht so gewesen. Der kann‘s erzählen, wie es ihm ergangen, als er die Fragen konnte, die Noten kannte, eine Menge Psalmen und Historenen auswendig wußte, und nun dem Schulmeister sagte, er möchte noch mehr lernen, er hätte wohl Zeit noch für Rechnen und Schreiben. Der kann‘s erzählen, wie er nicht zur Erfüllung seines Wunsches kam, sondern wie der Schulmeister, der rechnen und schreiben für die damalige Zeit recht ordentlich konnte, ihm sagte: »Los, Christi, was witt das lere, du bruchst das nüt; we d‘ de öppis z‘schribe u z‘rechne hest, su chum nume zu mir, i will dr‘s scho mache. We-n-e-n-iedere alles lere wett, es war grad ke Religion meh, dLüt glaube scho jetz je länger je minger.«

So hinterhielten nicht nur die Reicheren den Ärmern das Lernen, sondern auch die Reicheren konnten oft trotz dem besten Willen nicht dazu kommen, wenn der Schulmeister ein Pfiffikus und ein Politikus war. So wäscht eine Hand die andere. Die Bauren gaben dem Lehrer einen Hundelohn, bei dem er nicht leben, nicht sterben konnte; und die Lehrer halfen sich dadurch, daß sie die Bauren in der Unwissenheit ließen und dadurch zinsbar behielten in allen ihren Geschäften. So straft sich der Geiz und die unverständige Kargheit gewöhnlich. Die Bauren blieben unwissend und mußten diese Unwissenheit sehr oft mit schwerem Gelde büßen, aus welchem sie viele Schullöhne hätten bezahlen können. Aber merkwürdig bleibt es doch, daß dieses alles so geschehen konnte, und daß die Schulmeister lehren konnten, was und wie viel einer wollte; daß niemand da war, der dieser Willkür ein Ende machte. Diese Zeit ist bis auf den heutigen Tag noch nicht ganz vorüber, und das ist das merkwürdigste an der ganzen Geschichte.

Sechstes Kapitel. Wie ich auch um dieses Prinzentum komme

Durch mehrere Jahre hatte ich mein Regiment standhaft und am Ende unangefochten geführt. Da war ich herangewachsen zur Unterweisung und mit derselben ging meine Herrlichkeit zu Ende. Es war nämlich in unserer Gemeinde, wie in vielen andern, die Sitte, daß kein Unterweisungskind die Schule mehr besuchte. Und als einst ein naseweiser junger Vikar es anders wollte, sprach die versammelte ehrbare Gemeinde: Seit Menschengedenken habe kein Unterweisungskind die Schule besucht, solche Neuerungen seien gegen alle Religion. Wie ihre frommen Vorväter es gehalten, so solle es bleiben ihr lenbenlang. Wer etwas andres wolle, solle es nur probieren, sie wollen b. D. sehen. Und dabei blieb es. Noch während der Kinderjahre — denn so lange man noch nicht unterwiesen ist, ist man ein Kind, und viele bleiben Kinder bis und über das Schwabenalter hinaus, ja bis zum Tode — während dieser Zeit noch vergaßen viele bereits einen Teil des Gelernten; sie repetierten nicht mehr und in wenig Jahren war das Meiste in Wind gegangen. So hatten die Menschen im Grunde auch nicht unrecht, wenn sie behaupteten, die Schule trage eigentlich nichts ab und die Geschicktesten würden später die Schlimmsten; wenn die Kinder einmal aus der Schule seien, so rührten sie kein Buch mehr an. Da in einer Schule fast nichts getrieben wurde, als unverstandene Dinge auswendig lernen: so war mit ihrem Vergessen die ganze langjährige Arbeit verflogen; die Schule war wie eine Mühle, in welcher nur Mehlstaub gemahlen wurde, um denselben dem Winde vorzuschütten.

Wenn ich an das so recht lebhaft denke, so werde ich immer g‘wundrig, was der liebe Gott gedacht haben und einst sagen werde, zu solchen Schulen, zu der verschleuderten Zeit, zu den Schweißtropfen der Kinder, zu den Schulmeistern, die wie Eichhörnchen in einer Trülle rundum liefen aber nirgends hin. Ganz sicher wird er manches sagen, aber über die schwitzenden Kinder und die trüllenden Schulmeister wird er sich erbarmen: denn sie wußten es nicht besser, und die andern wollten es nicht besser.

Sobald ich in die Unterweisung eingeschrieben war, hörte also das Schulgehen auf, was mir sehr weh that und ich mußte zum Handwerk, ein Weber sollte ich werden. Wahrscheinlich dachte das mein Vater nicht einmal, sondern er dachte nur daran, wenn zwei weben, so sei der Verdienst größer und er könne es besser haben.

Aber Lehrbub sein bei ihm, das war eine gar strube schlimme Sache. Er hatte keine Geduld mit mir und doch mußte ich das schlechteste Garn, das alle Augenblicke riß, verarbeiten. Schläge bekam ich, wenn ich nicht fort mehr konnte, wenn ich nicht auf der Stelle alles begriff, wie der Vater es mir befahl; am meisten aber, wenn das Tuch nicht so schön gewoben war, als der Vater, ein vierzigjähriger Weber es gemacht hätte. Lust bekam ich auf diese Weise gar keine zur Arbeit, Furcht vor den Schlägen ließ mich aufpassen und arbeiten, so gut ich konnte.

Meine einzige Freude war das Besuchen der Unterweisung, über die aber der Vater, wenn sie ihm zu oft wiederkam, lästerlich schimpfte. Ehemals sei die Welt viel besser gewesen und die Leute ganz anders und doch hätte man nicht halb so viel in die Unterweisung müssen, pflegte er zu sagen. Aber ehemals hätten sie unterweisen können, es heig fry gsurret a de Wänge, u da sig der Schulmeister mit der Ruete da gsy, dä heyg eim ufgleyt bis me‘s chönne heyg. Er sehe gar nicht ein, was das Laufen abtrage. Je besser es einer könne, desto kürzer mache er es. Ich ging gar gerne in die Unterweisung, weil ich dadurch vom Webstuhl weg an die freie Luft kam und gewöhnlich noch einige Zeit in der Schule mich aufhalten konnte, wo es mich an die alten schönen Zeiten nicht wenig heimelete, so daß ich noch oft die Rute zur Hand nahm und mein altes Amt übte, bis der Pfarrer kam.

Der Pfarrer war ein alter freundlicher Herr, den wir alle lieb hatten. Er hatte mich auch lieb, denn ich war der Geschickteste, und mit mir konnte er am besten fortkommen. Wenn einige eine Frage nicht beantworten konnten, so sagte er am Ende: »Ich weiß einen, der es kann, Käser, sag du es ihnen». Ich war aber auch aufmerksam und strengte mich aus allen Kräften an, immer antworten zu können. Aber dieses Antworten können, war mir auch die Hauptsache und war allen die Hauptsache. Wer es konnte, freute sich. Die Schwachen zitterten und bebten, nicht sowohl vor dem Pfarrer, als vor dem Spott und dem Auslachen der andern. Uns unvermerkt bildete sich freilich ein Glaube, ein Fürwahrhalten, zusammengesetzt aus dem wunderlichen abergläubischen Zeug, das wir bei Abendsitzen, und aus dem, was wir in der Unterweisung hörten. Aber unser religiöses Gefühl wurde nicht erwärmt, unser Wille nicht angeregt, unsere Seele zu frommem Thun nicht begeistert. Und das alles sicher nur deswegen, weil wir all unser Sinnen dahin richteten, antworten zu können und nur auf die eigentliche Frage paßten; und weil das beständige Fragen und Antworten keine erwärmende Rede recht aufkommen ließ, und bei ungeschickten Kindern entweder grausam ermüdete oder zum Lachen reizte. Es fiel mir erst später ein, daß das Katechisieren für den eigentlichen Religionsunterricht doch nicht recht paßt. Das Katechisieren ist ein mühselig Herausklauben von Begriffen und Sätzen, recht dienlich um den Verstand zu üben und den Scharfsinn und läßt bei Kindern in vielen Fächern sich anwenden. Aber daß man dasselbe beim Religionsunterricht fast allein gebraucht und es, die Form, zur Hauptsache gemacht, und den Stoff und den Zweck dabei aus den Augen verloren, scheint mir ein Mißgriff zu sein. Namentlich in der Unterweisung, im letzten Religionsunterricht, sollten die Seelen der Kinder erhoben und gestärkt werden zu dem vor ihnen sich öffnenden Leben, und nicht bloß ihr Verstand angeregt und ihr Gedächtnis beschwert mit einzelnen Sätzen.

 

Darum sollte da eine freie Rede sein aber auch beim Kinde; auch es sollte fragen und nicht nur antworten. Aber, du lieber Gott, dafür müßten wir in den Schulen auch andere Kinder schaffen, müßten da einen ordentlichen Religionsunterricht zu geben verstehen. Denn das Kind, das einen rechten Religionsunterricht empfangen und fühlen soll, muß einen geöffneten Sinn bringen; dann lassen auch die höheren Seelenkräfte leicht sich anregen. Auch treibt man das Katechisieren auf die schlimmste Art, sagt alles heraus bis auf die letzte Silbe oder fragt, daß man abwechselnd ja oder nein sagen muß. Ein solches Katechisieren ist eine wahre Seelenmörderei, und ist mit die Ursache, daß den Kindern die Unterweisungen fast fruchtlos bleiben.

So verflog mir nur zu schnell der Winter, in dem jeder Unterweisungstag mir ein Lichtpunkt war, der mich einige Stunden erlöste aus dem Diensthause. Ostern war da, ehe ich es dachte. Sie war so grün und schön, und die Matten blühten so lieblich, die Bäume knospeten so kräftig, die Vögelein sangen so heiter und munter, und auf dem Miste krähte der Hahn sein kräftigstes Lied, und auch der Vater war lustig und sagte: er sei froh, daß die verfluchte Unterwysig zu Ende sei. Und halb traurig, halb stolz schritt ich hinter ihm drein zur Kirche und nahm mit bangem Herzen das Pfand des Herrn, daß auch ich erlöst werden könne. Ach, ich fürchtete mehr der Menschen Augen, die auf mich sahen, als des Herrn Auge, das in mich sah.

Wie ein Stein war es mir ab dem Herzen, als ich wieder aus der Kirche war und des Nachmittags schien ich mir einen halben Schuh länger geworden. Kecker antwortete ich in der Kirche und als es vor dem Wirtshause ans Düpfen ging, da schien mir, als guckten alle Mädchen nach mir; aber düpfen wollte ich mit keinem, ich fürchtete harzige Eier. Sorgsam wie eine Gluggere hielt ich meine vier Eier schön warm in der Tasche (zwei gelbe und zwei braune waren es), sah dem Düpfen zu und freute mich allemal, wenn ein fremdes Ei zerbrach und ich die meinen noch ganz fühlte. Allein das Gewinnen der zerbrochenen Eier gefiel mir doch auch wohl und immer wöhler. So ein Sack voll gewonnener Eier, welch Schleck für einen Weberbub, der im Sommer nicht einmal Tschägge, sondern nur altrote Erdäpfel kriegt! Mit klopfendem Herzen ging ich bei Seite, untersuchte lange mit Zähnen und Zunge, welchem meiner Eier am besten zu trauen sei und wagte es endlich mit einem gelben. Einen kleinen Buben suchte ich aus, um an ihm mein Glück zu probieren; er aber traute mir lange nicht. Endlich ließ er sich bereden und nachdem wir lange darum gemärtet hatten, wer schlagen solle, that ich mit bebender Hand den Schlag und, o Glück! gewann ein Ei, gewann später noch eins, zwei drei, eine ganze Tasche voll. In Wonne schwimmend, hatte ich die Zeit vergessen, hatte die Sonne nicht untergehen sehen; da wurde es dunkel auf dem Platze, die Leute verliefen sich und einsam war ich mit meiner Tasche voll Eier, niemand mehr da, der mit mir düpfen wollte. Traurig wanderte ich heim, Ei um Ei essend, aber meines Glückes mich nicht freuend, weil mit dem Glücke meine Wünsche sich gemehrt und die fliehende Zeit ihre Erfüllung unterbrochen hatte. Es ist eine eigene Sache mit den Wünschen, wie sie mit ihrer Erfüllung sich vervielfachen, wie ein erfüllter Wunsch ein Dutzend andere gebiert. Wem Ruhe und Frieden lieb sind, der hüte sich vor den Wünschen, sie sind nimmer satt und quälen ärger als Hunger und Durst. Und wie die Zeiten eilen, wenn sie unsere Wünsche krönen und glücklich machen, und wie sie langsam unerträglich schleichen, wenn sie Wünsche versagen, Hoffnungen töten, Schmerz spenden. Aber die Zeiten sind menschenfreundlich; mit schnellem Flügelschlag eilen sie samt dem Glück vorüber, damit das schwache Herz sich nicht selbst verliere; und langsamen Schrittes treten sie mit Unglück und Unerwünschtem ihn an, um den irdischen Sinn zu bekämpfen, die Seele zu läutern; langsam ziehen sie da an ihm vorüber, denn der Seele Reinigung ist ein langsam Werk.

Wenn so ein glücklicher Augenblick oder Tag entschwunden ist, wer hat es nicht erfahren, wie da eine Leere, eine Öde im Herzen bleibt, wenn nicht im Hintergrunde der Zeit ein neuer Tag auftaucht, der neue Freuden verspricht, an den das Auge fest sich heftet über die trübe, unlustige Gegenwart hinweg. So hatte ich auch einen Tag, der mich die geschwundene Ostern und ihre Eier vergessen ließ, der mir neue Freuden, etwas noch Unerlebtes versprach. Es war der Sonntag nach Ostern, an welchem alle Jünglinge, welche die Erlaubnis erhalten hatten, nach der Kirche des Amtssitzes mußten, um da den Huldigungseid zu schwören. Was Huldigung sei und was sie zu bedeuten habe, darum bekümmerten wir uns wenig. Was sollten auch Buben von fünfzehn bis sechzehn Jahren wissen, was Huldigung sei, denen man nie etwas gesagt hatte, was ein Staat sei, was eine Obrigkeit zu bedeuten habe und welche Pfichten jedem Bürger obliegen; Buben, die nur von dem Landvogt gehört, entweder er sei ein freiner Schlufi, oder ein böser Tüfel, oder e grusam e stolze; Buben, die von keinen Gesetzen einen Begriff hatten und nun einen Eid des Gehorsams schwören sollten: ist das nicht Unsinn? Von uns kannte wohl kaum ein einziger den Namen des Landes, in dem er wohnte, geschweige denn seine Begründung, seine Einrichtung. Von einem Vaterland hatten wir nie gehört, wußten daher nicht, was ein solches Ding sei und doch sollten wir Vaterlandsverteidiger werden. Heißt das nicht, dem Lande, das nur der Vaterlandsliebe seine Begründung, dankt, den Boden unter den Füßen wegnehmen? Und doch ist es merkwürdig, daß von Ur-Ureltern her in jedem Schweizer Vaterlandsliebe schlummert, wie in jedem reinen Mädchen Mutterliebe, wie im Feuerstein der zündende Funke; daß des Schweizers Auge weint um sein Land, wenn es ihm entrissen wird, wie die Frau um ihr Kind; daß das Schweizerherz Funken sprüht des freudigsten Todesmutes, wenn ein gieriger Franzose oder ein wandschiger, gfüdleter Östreicher den Dalpen nach dem Vaterlande ausstreckt; — über Schwaben oder Savoyer lacht man und würde nur Haselstöcke nehmen statt des Stutzers oder der Sense. Wie gut man wußte, was man schwor, bezeugte gewöhnlich das Benehmen der schwörenden Buben am Tage selbst nach abgelegtem Eide.

Das war nämlich der erste Tag, an welchem man der Welt zu zeigen gewohnt war, daß man nun Erlaubnis, d. h. mit dem Nachtmahl die Berechtigung empfangen habe, wie ein Erwachsener zu thun, zu Kilt und in die Wirtshäuser, die früher vom Pfarrer einem verboten gewesen, zu laufen, auf den Straßen wüst zu thun und sich zu prügeln nach Herzenslust; so nämlich legt man die Erlaubnis aus. Man übertrat also an diesem Tage, an welchem man der Obrigkeit den ersten Eid abgelegt hatte, ihnen und ihren Gesetzen unterthan zu sein, auch zum ersten Mal mit Bewußtsein ihre Gesetze, beging brühwarm einen Meineid. Diese Übertretung der beschwornen Gesetze wurde aber gewöhnlich nicht viel mehr als belacht, während ganz anders verfahren worden wäre, wenn einer nur den Schein des Zweifels an der Rechtmäßigkeit der Oberkeit hätte blicken lassen. Eine solche Scheidung, wo mehr Respekt für die Personen als für die Gesetze gefordert wird, ist schlimm. Sie begründet den noch immer unselig wirkenden Glauben, daß die Oberkeit um ihretwillen da sei, um ihres Nutzens, ihrer Ehre willen, und nicht zum Besten des Landes, zur weisen Handhabung weiser Gesetze. Für diesen Tag sorgte jeder Bube lange voraus, daß er einen Kreuzer Geld im Sack habe. Er sparte zusammen, bettelte den Eltern, flökte, entlehnte — kurz, Geld mußte sein. Den neu erhaltenen Sonntagsstaat zog man an und zog dann in Begleit des Statthalters nach dem Amtssitze. Nach angehörter Predigt und abgenommenem Eide schlug sich der Statthalter zum Landvogt, der ein schönes Essen geben mußte; die Knaben sollten nach Hause. Das thaten sie aber nicht; sie dachten, ebenso gut das Recht zu haben, zu essen und zu trinken, als der Statthalter und der Landvogt. Zahlten sie doch, wie sie meinten, ihre Üerti aus dem eigenen Sack und nicht von anderer Leuten Gelde.