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Leiden und Freuden eines Schulmeisters

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So lag eine Frau im Sterben und krümmte sich in heftigen Schmerzen. Eine wackere Frau wollte sie trösten: »Babi,« sagte sie, »du hast es bös im Leben gehabt; tröste dich nun, es wird dir dann im Himmel vergolten werden.« Da richtete sich Babi auf und sagte mit trockener, tonloser Stimme: »Nei, Frau, so wird das nit gah. Babi, wird unser Herrgott sagen, Babi, du hesch mr dys ganz Lebe düre nüt nah gfraget, jetz chasch mr o gah; i wott jetz o nüt vo dr!« War das wohl der Ausbruch eines prophetischen Bewußtseins, daß bloße Worte kein Leben sühnen können, sondern nur ein von Gott ergriffenes Gemüt?

Aber, großer Gott! wenn bloße Worte nicht sühnen können, Wie wird es Millionen gehen! So nahm mir Gott mein Erbe, meine Mutter. Sie war ein reiches Erbe. Durch sie erbten wir Geduld, Kraft zum Ausharren, die Probe treuer Liebe, goldener Treue; wir lehrten siebenmal siebenzigmal vergeben in einem Tage. Die Mutter machte uns, d. h. eigentlich meine Frau, reich; aber was die besaß, das enthielt sie mir nicht und ich verschmähte es nicht. Wenn doch die Menschen auch an den Gewinn der Seele dächten, wie mancher müßte sich da des reichsten Erbes rühmen, der jetzt schmäht, er hätte sein Lebtag keinen Kreuzer geerbt! Gott hat ihm Leute an die Seite gegeben, deren schroffe Seiten ihn reinigen sollten von aller Unreinigkeit. O Leute! thut einmal die Augen auf und zählet nach, was euch Gott hat erben lassen; dann schämet euch, denn viel werdet ihr finden. Aber ihr habt es nicht geachtet oder gar schmählich dagegen euch gesträubt, hättet das Erbe ausgeschlagen, wenn Gott im Amtsblatt sich abfertigen ließe.

Dreiundzwanzigstes Kapitel. Wie ich wieder etwas zu merken anfange und namentlich, daß ein neuer Pfarrer gekommen

Es ist wohl schon manchem begegnet, daß er bei stillem, ruhigem Wetter in fein Stäbchen ging und da in Arbeit oder süßen Schlummer sich vertiefte; und wenn er wieder aufsah, daß er Windeswehen hörte, daß er Regen strömen sah oder Schneeflocken wirbeln in der verfinsterten Luft. Manchem ist akurat das Gegenteil begegnet und wenn er am süßesten schlief an einem vermeinten trübseligen Nachmittag, rüttelt ihn die Frau beim Arm und führt ihm zu Gemüte, daß das Wetter gar schön und heiter geworden und daß es ihm wohl anstehe, sie spazieren zu führen oder zu fahren, je nach Stand und Vermögen. Eine Burgersfrau hat dabei vielleicht noch Strübli in der Engi oder im Zehetermätteli, oder ein Hähnelischünkli im Auge, die Vornehme nur die Toilette; vor gemeinen Leuten etwas Gutes essen, würde gemein machen. Halb oder ganze Götter essen nur Ambrosia und trinken nur Nektar, und beides findet man weder zu Almendingen noch in der Joliette, und wenn man vielleicht auch mit Minderem vorlieb nehmen muß, so soll es doch niemand sehen, wo bliebe sonst der Respekt?

Doch, um gerecht zu sein, gehen auch viele Weiber aus beiden Klassen nicht bloß einem Strübli oder einem Shawl zu lieb spazieren mit ihren Männern, sondern um des Mannes selbst willen, um ihn einmal allein zu haben, um ein vertraulich Wort mit ihm zu reden, um zu wissen, wo er ist, um ihn zu zeigen, um ihn zu quälen oder ihm etwas abzuläschlen; und viele aus einem dunkeln Gefühl, daß ihre Herzen sich gegenseitig verschlossen und die innige Traulichkeit nicht mehr sei, aus einem tiefen Sehnen, das eigene und des Mannes Herz aufgehen zu lassen an der Sonne. Die armen Weibchen schleppen nun die zugefrornen Herzen so oft als möglich an die Sonne. Ach, arme Weibchen! das hilft euch wenig, das ist nicht die rechte Sonne dazu!

Also ändert sich oft das Wetter, von uns nicht bemerkt, und ein ganz anderer Himmel schaut auf uns herab, wenn wir wieder aufsehen. So geht es uns aber auch im Leben. Es gibt Zeiten, wo Verhältnisse, Umstände, Stimmungen uns einspinnen, so daß wir von der Welt und ihrem Wechsel wenig oder gar nichts wahrnehmen. Wir haben nur Sinn für eine Sache und selbst das nächste fällt uns nicht auf. So geht es Verliebten, so geht es auch Eiteln, so geht es Glücklichen und Unglücklichen. Wer gar mühselig ringen muß ums tägliche Brot, wer Tag und Nacht Schulden oder Mangel nachsinnen muß, wer beständigen Reizungen ausgesetzt ist, wem häuslicher Zwiespalt alle Augenblicke den innern Frieden stört, dem wird gerne der Nacken niedergebeugt, der kann nicht mehr aufwärts schauen, nicht mehr rund um sich; der sieht nur seine Not und seine Bedrängnis; und wenn man ihm anderes auch dicht vor Augen stellt, er achtet es nicht, und wenn man ihm auch die Nase darauf stößt, so sagt er höchstens: uy, und greift nach seiner Nase; aber die Sache selbst erregt seine Teilnahme nicht. Da kann rings um ihn vorgehen, was da will; wenn nur das Brot nicht aufschlägt, wenn nur die Erdäpfel wohl geraten. Wenn nun der Druck der Verhältnisse nachläßt, wenn die Stimmung sich auflöst und er wieder auf und rund um sich schauen kann, dann steht er sich verwundert um, denn es ist um ihn anders geworden; da sieht er den Wechsel der Welt, und daß Altes vorbei-, Neues herbeigerauscht sei, und eine Weile geht es, bis er weiß, wo er ist und bis er begriffen hat, was um ihn ist.

Es ist wunderlich, daß Regenten gar oft in diesem Zustande sich finden und gar nichts mehr sehen und schmöcken, als wer vor ihnen sich beuge, ihnen »Ja, ja« sage mit demütiger Gebärde; und wieder, wer ihnen den Sitz im Sattel bewahren könne! Und faßt einer auch das Herz in beide Hände und stößt ihnen die Nase auf etwas Anderes, so greifen diese nicht nach der eigenen Nase, sondern nach dem ganzen Kopf des Frevlers. Darum übernimmt gar manchmal Gott selbst die Mühe und stößt ihnen die Nase auf, daß es kracht. Aber wenn sie dann auf dem Trocknen sitzen, dann sehen sie, daß es ganz, anders geworden und sie Lümmels gewesen, und dünken sich, wie weise sie jetzt wären, wenn sie wieder im Sattel säßen. Doch auch nicht einmal alle würden so weit sehen, sondern nur so weit, daß es sehr fatal sei, auf dem Trocknen zu sitzen, und daß, wenn sie einmal wieder im Sattel säßen, sie viel längere Sporen anschnallen wollten, um damit sich festzuhalten. So die einen. Während andere Abgesetzte sich nach Mänteln umsehen würden, die, ohne daß der Träger den Verstand dazu braucht, von selbst nach jedem Winde sich drehen und bei jeder sogenannten Lebensfrage nach dem Kredite flattern. Nun bin ich freilich kein Regent, sondern nur ein Régent, aber Regent und Régent haben eine verdammt auffallende Ähnlichkeit mit einander, die ich mir an einem andern Orte auseinanderzusetzen vorbehalte.

So z. B. wußte auch ich, in meine Finanznot und in die Unbehaglichkeit unseres Zusammenlebens versunken, nicht, was um mich vorging, und wenn es sich mir schon aufdrang, so wußte ich denn doch nicht, was es eigentlich sei und was es bedeute.

So hatten mir z. B. einen neuen Pfarrer bekommen und der alte war weggezogen, weil er sagte, mit diesen Leuten sei nichts anzufangen; er habe es auf alle Wege probiert und er wolle doch nicht sein ganz Leben an sie verschwenden. Aber die Änderung war mir gleichgültig geblieben und die Verschiedenheit zwischen beiden fiel mir nicht auf. Nun atmete ich allmählig frischer auf. Wir waren freier in unserem Stübchen, konnten uns ungestörter mitteilen, was uns auf dem Herzen lag, waren ganz Meister über unsere Kinder, waren ruhiger vor unsern Nachbaren und wurden sogar von ihnen besser gewürdiget. Manche Frau hatte, während sie die Mutter besuchte, allerlei gesehen, das sie auf bessere Meinung brachte von uns, und diese Meinung sprach sie seit der Mutter Tode aus. In Not waren wir noch immer und wußten dem Rückständigen fast nicht zu begegnen; aber wenn auch ein Übel groß genug ist, um einen Menschen zu Boden zu drücken, so scheint es leicht, wenn man noch ein Übel dazu gehabt hat und diesem nun los geworden ist. Ein Schimmer von Behaglichkeit glomm über meiner Seele auf und in ihr fand sich wieder Platz für allerlei Gedanken und Wahrnehmungen.

So fiel mir z. B. jetzt unser Pfarrer auf. Ich konnte mich gar nicht auf ihn verstehen und die Bauren auch nicht; man wußte nicht recht, sollte man ihn für recht dumm und schwach halten oder für etwas Anderes.

Die Bauren hatten geflucht, als der frühere Pfarrer fortging. Dem hätten sie es greiset und ihn gschweyget; er war afe witziger worde u hatt gwüßt, daß er nit Meister syg und si nit syni Narre, u daß er nit mache chönn was er well. We jetzt wieder e Neue chömm, su fay dPlag wieder a u sie werde ihre liebe Not ha mit allem dem Neuen, was einem neue Pfarrer z‘Sinn chömm. Es well geng e-n-iedere witziger sy als dr anger. Aber sie welle‘s dem o reise; dä müeß o wüsse, daß sie selber Meister syge u sie welle-n-e bald witziger gmacht ha. Aber der Pfarrer wollte gar nichts Neues, als feste Ordnung in das, was bereits war. Er drängte sich nirgends auf; es schien manchmal, als ob ihn alles nichts anginge, als ob er um nichts sich kümmere. Doch war er dienstfertig, und was von ihm begehrt wurde, machte er ausgezeichnet gut. Er war freundlich und man sah ihm den Pfarrer fast nicht an, so daß viele keinen Respekt vor ihm hatten und meinten, sie könnten mit ihm machen, was sie wollten; aber sie rannten übel an und versuchten es nicht zum zweitenmal. Darüber sahen die Leute sich ganz verwundert an; es wurde ihnen fast unheimlich um den Pfarrer herum. Sie ahnten eine geheime Kraft im Pfarrer, eine bestimmte Absicht, und wußten nicht, wo sie hinaus wolle, auf welcher Seite sie sich zu hüten hatten. Die einen behaupteten: das sei von den Schlimmeren einer, vor dem müsse man sich hüten; die andern meinten, viel in Sinn komme ihm nicht, und dann sei er zu vornehm, um sich mit ihnen abzugeben, und diese Partei wurde immer größer, je länger der Pfarrer ruhig blieb. Ja, die Bauren wurden am Ende unwirsch und fluchten in den Wirtshäusern: sie hätten einen Pfarrer, sie wüßten gar nicht warum; er möge sich gar nicht mit ihnen gmüyen und nehme sich gar nicht den Sachen an; da seien sie übel versorget mit eme sellige. Dr Vorig syg-ne afe vrleidet gsi mit sym Gchähr; aber sie wette doch no lieber e Chähri als so-n-e Stock, dä gar nüt säg u dä me nüt für e Nar ha chönn. Gegen uns Schulmeister war er freundlich. In der Schule gab er sich viel mit den Kindern ab, und machte uns damit gar böse, daß er gar oft sie nach etwas fragte, das sie nicht wußten, und wenn mir dann dazwischen traten und mit sieben Gründen belegten, daß man das gar nicht machen könne mit den Kindern, so sagte er uns, es sei möglich, daß es so wäre; aber gut wäre es doch, wenn sie etwas davon wüßten. Am besten fuhr er mit den Unterweisungskindern, und wir wurden nicht wenig schalus, daß sie ihn besonders lieb gewannen und die größte Freude an seinen Unterweisungen hatten.

 

Dabei war er beschlagen in gar vielen Dingen und die Bauren konnten sich nicht sattsam verwundern, wenn sie bei den seltenen Gelegenheiten, wo sie mit dem Pfarrer ins Reden kamen, merkten, daß derselbe sich auf ihre Sachen verstünde, wie sie es keinem zugetraut, wie er z. B. wüßte, daß ein Pferd seine Bläste nicht unter dem Schwanz, sondern an den Beinen hätte, und daß der Roggen schwerer sei als das Korn. Als dem Pfarrer einst einer eine uralte Kuh, die der Helvetik hätte Gotte sein können, für eine mit dem zweiten Kalbe verkaufen wollte und von ihm abgetrümpft worden war, polterte selbiger gar ärgerlich auf Straßen und in Wirtshäusern: die d. Regierig brauche ihnen dann keine Pfarrer zu schicken, die man auch für Kuhhändler brauchen könnte. Die Bauren halfen mit fluchen und begehrten auf: es sei sich nicht zu verwundern, wenn er nicht gelernt habe, was ein Pfarrer thun solle, da er mit den Kühen genug zu thun gehabt. Und doch kriegten sie Respekt vor ihm, trotz ihrem Aufbegehren. Er mißbrauchte seine Kenntnis nie; sie kam nur ganz von ungefähr an Tag und nie hörte man, daß er mit einem Metzger über die Schwere eines Kalbes gewettet hätte.

Wenn ich nun den Pfarrer, der doch in einem Schulmeisterleben vorstellt, was Essig in einem Salat, beachtete und nicht nachdachte, was seine Erscheinung mir bringen könnte, so kann man sich wohl vorstellen, daß mir noch eine Menge anderer Dinge nicht auffielen, die um diese Zeit ins Leben traten und sich gestalteten.

Vierundzwanzigstes Kapitel. Mie man einen Junggesellen begraben that und nota bene einen reichen

Einst mußte ich einem reichen alten Junggesellen eine Leichenrede halten.

Eine reiche Leiche ist für ein ganzes Dorf wichtig, nicht nur die Rede für den Schulmeister. Wenn an einem Ort ein Tier gefallen ist, so wittern Raben und Geier es Stunden weit und ziehen hin in schnellem Fluge mit heiserem Gekreisch; wenn an einem Ort ein reicher Mensch gestorben ist, so ist, als ob das Gefühl davon (denn fast unglaublich ist, daß die Kunde so schnell überall hin dringe) über die ganze Bettlerklasse komme fast wie ein elektrischer Schlag. Und ehe noch die Leiche ganz erkaltet ist, ehe der erstarrte Leib sein letztes Kleid, das Leichengewand, empfangen hat, ehe die Hinterlassenen es dahin gebracht, ihre Freude zu verstecken oder ihrer Trauer Zügel anzulegen, ziehen bereits Bettlerscharen heran, die Unverschämtesten voran, und fordern, wie ein Recht, wie ehedem die Twingherren den Totenfall, die Kleider des Verstorbenen ab. Sie kommen nicht nur aus dem gleichen Dorfe, sondern jeder, der vor dem Trauerhause aus der Hand des Verblichenen je eine milde Gabe empfangen, meint damit auch ein recht erhalten zu haben an die Kleider seines Wohlthäters; und mancher, der bei einem Lebenden zu betteln für Schande hält, glaubt bei einem Toten sich nicht schämen, sondern nun von Rechtes wegen fordern zu dürfen, eben weil er im Leben nichts erhalten. So rennen sie wie bei einer Feuersbrunst dem Hause zu, als ob Preise für die Zuerstkommenden ausgesetzt wären. Und wenn man sie mahnt auf dem Wege, zu warten bis nach der Begräbnis, so höhnen sie und laufen; und wenn beim Hause dem ungestümen Schwärm ein Mensch entgegentritt mit geschwollenen Augen, zusammengefallener Gestalt, und mit gebrochener Stimme bittet, daß man doch seiner einstweilen schonen möchte, wenigstens bis nach dem Leichenbegängnis, so entsteht ein Brummen rund um ihn, wie von Hunden, wenn man ihnen den Fraß aus den Zähnen reißen will. Hat er dann endlich unter tausend Schmerzen den Tag überstanden, wo er den teuern Leib der Erde geben mußte, die Gewißheit ihm wurde, daß die geliebte Seele nicht mehr in demselben gebunden, sondern in freie Räume entschwunden sei; hat er am Abend endlich in Mattigkeit die müden Augen geschlossen, manchen bittern Traum gekostet, und schlägt er am Morgen die naß geweinten Augen auf in die unaussprechliche Leere hinein, in der ihm sein Leben zu schwimmen scheint wie der Balken eines zertrümmerten Schiffes im Ocean, so hört er hoschen draußen an der Thüre ungeduldig schnell hintereinander, und draußen steht schon der ungeduldige Schwärm, fordert Einlaß und Halten des Versprechens ungestüm. Und der Arme muß auf, muß die Kleider des geliebten Geschiedenen Stück für Stück in die Hand nehmen, muß tausend Rückerinnerungen bei jedem Stücke mit blutigem Griffel in die Seele sich graben lassen, muß weggeben, was er so gerne behalten hätte, nicht um des Wertes, sondern um der Erinnerung willen, muß es mit unzufriedenem Gesicht mustern und gegen die Sonne drehen, muß es übergehen sehen an ein widerwärtig Gesicht, muß am Ende schnöde Worte hören, und wenn er nicht jedem wollüstigen, nichtsthuenden, vollbrüstigen und dickgefressenen Mensch gibt, oder nicht, was seine Dreck-Seele gelüstet, so muß er Vorwürfe hören, daß es nach Gunst gehe und nicht nach Recht, und noch anderes, was ihnen in ihre schmutzigen Mäuler kömmt, als ob sie rechtmäßige Ansprache an die Verlassenschaft hätten. Und dieser Pein unterwirft man sich gutmütig, und solches Recht erringt sich die Unverschämtheit.

O Gott, die Armen! Erbarmen muß man wohl mit ihnen haben; aber Geduld mit ihnen zu haben, das fällt wahrlich mancher Christenseele schwer! Und in diesen Nöten fragt man sich, ob dann eigentlich Geduld sein müsse, ob eine tüchtige Portion Ungeduld, der tüchtigen Portion Unverschämtheit entgegengesetzt, nicht vielleicht viel heilsamer wäre? Aber nicht nur bei solchen Bettelleuten schlägt die Kunde ein, es sei ein reicher Mensch gestorben, sondern bei der ganzen Dorfschaft, anders jedoch an verschiedenen Orten. An den einen Orten ladet man eine ganze Dorfschaft, oder Oberdorf oder Unterdorf ec., zum Leichenbegängnis, und nur Verwandte oder Bekannte daraus zum Leichenschmause. Die nicht Eingeladenen zöttelen dann ganz kaput nach Hause und senden wehmütige Blicke nach den Glücklichen, die breit auf der Bsetzi vor dem Wirtshause stehen. Kömmt die Kunde eines Todes, so ergreift daher viele der ergreifende Gedanke: »Werde ich nur z‘Chile oder auch ins Wirtshaus eingeladen?« An einigen von diesen Orten herrscht die Sitte, daß man aparti die Armen zu einem Schmause einladet und sie da ordentlich abfüttert nach alter adelicher Sitte. Manches alte bescheidene Mütterchen mit seinen schwankenden Zähnen kaut da mühselig sein Stück Kuhfleisch, erlabet sich an einem kleinen Stücklein Voressen und erinnert sich an seine schöne Jugendzeit bei einem Glase magern Seewein und lebt doch so wohl und glücklich, während andere, Junge und Alte, fressen wie hungrige Hunde und den Wein hinabgurgeln wie leere Fässer, und Speck und Voressen in ihre benasten Nastücher packen, und, wenn es Männer oder Bursche sind, in die Kuttentäschen, wenn es Weiber sind, in ihre Jepensäcke stoßen, daß es ihnen über die Beine abläuft aus den Säcken und am Ende über die Brust herab aus den Mäulern. Und morndrigen Tages räsonnieren sie, was das Zeug hält, über die Aufwart und die Gastgeber. Und das alte Mütterchen bedankt sich schönstens, entschuldigt sich, daß es so uverschant gewesen; aber ein Stückli Fleisch sei ihm gar seltsam und Wein hätte es schon manch Jahr keinen gehabt, und glücklich wankt es an seinem Stabe seiner alten Hütte zu und träumt glücklich und ohne Husten die ganze Nacht von Fleisch und Wein. Aber dem alten Mütterchen gibt niemand etwas mit. O Unverschämtheit, wie bist du so unverschämt! Nimmst alles für dich und räsonierst doch immer! Diese Unverschämtheit ist zu‘ oberst und zu unterst in der menschlichen Gesellschaft am unverschämtesten; aber an beiden Orten kömmt man damit auch am weitesten; doch heißt sie oben nicht Unverschämtheit, sondern nur eine edle Suffisance oder ein nobles air, heutzutage Selbstbewußtsein oder Vaterlandsliebe, Nationalsinn etc. etc. An andern Orten werden nur die eingeladen zum Begräbnis, denen man etwas geben will, entweder etwas Wein und Brot vor dem Leichenzug oder ein Mahl nach selbigem. Wenn der Schulmeister recht rührsam die Thränen aus den hintersten Winkeln hervorgepumpt und endlich Amen gesagt hat (entweder schon beim Hause oder dann in der Kirche), so beginnt er wieder: »I soll ech de fründlich yglade ha, nache-n-alli i ds Wirtshus z‘cho u daß niemere hei gang.« Hier nimmt es dann jeden wunder, ob er nicht eingeladen werde zum Leichenbegängnis, und wenn man eine schwarze Scheube gegen das Haus kommen sieht, so sieht man es zehnmal lieber, als wenn einer kömmt mit einem schwarzen Hut; von wegen: die schwarze Scheube gehört der Leichenbitterin, der schwarze Hut einem Kindbettimann. Freilich entsteht dann in manchem Haus Streit, wer gehen soll. Der Mann will gehen, die Frau will gehen, die Tochter will gehen. Solcher Streit wird bald durch eine Kehrordnung, bald durch einen Gewaltspruch dessen entschieden, welcher im Hause den Pantoffel führt. Wie komod ist‘s dann für solche glustige Leute, daß man den Wein maßweise auf den Tisch stellt, statt jedem seine eigene Flasche zu geben! Ich begriff diese Sitte lange nicht. Es war mir manchmal unbequem, daß man mir nicht schnell genug einschenken wollte, wenn ich pressiert war, die Schule nicht aufgeben geben möchte und doch noch in aller Eile gerne das mir gebührende Quantum zu mir genommen hätte. So uverschant, die Maß immer zum Einschenken in der Hand zu haben, konnte ich nie werden.

Da wollte einer einmal recht herrschelig thun oder sparen, eins von beiden: der accordierte ein Leichenmahl, so daß jeder seine eigene Flasche haben solle. Das lief wie ein Feuerteufel durchs ganze Dorf, und mir gefiel es recht wohl. Ein ehrbarer Gerichtsäß, der gerne im Stillen seine Knöpfe machte, und der sich so listig glaubte, diese Knöpfe so fein machen zu können, daß sie niemand merke, der begehrte gar furchtbar auf, als er dieses vernahm. Er trinke nicht mehr als ein anderer, manchmal nicht einmal einen Schoppen; aber aus einer Flasche trinke er sy Seel nicht. Da könne einem ja jeder Narr abguggen, wie viel man trinke, u das syg öppis Neus, das er syr Lebtig no nie ghört heig, u we das so ga müeß, su well er sy S..l lieber nie meh z‘Gräbd gah. Das Maßweiseaufstellen des Weines über den Tisch weg, so daß aus einer Maß mehreren und nicht immer den gleichen eingeschenkt wird, soll also eine Höflichkeit sein, eine Zusicherung, daß man getrost trinken solle, ohne daß jemand nachrechnen könne, was jeder trinke. Das begriff ich erst nach den Herzensergießungen des ehrsamen Gerichtsäßen.

Doch geschieht es auch, daß die Nachricht, jemand sei gestorben, den Wenigsten eine Freudenbotschaft ist, wenn auch das reichste Leichenmahl zu erwarten wäre. Wenn ein braver Mann gestorben, der vielen Vater war mit Rat und That, ein wahrer Gemeindvater, wie man ehedem die Vorgesetzten nannte: wenn eine Frau gestorben, deren Mund nie offen war zum Richten und Klatschen, deren Herz aber immer offen für jede Not, deren Hand offen war bei jeder gegründeten Bitte, die geduldig vieles trug und andern wenig zu tragen gab; wenn Menschen sterben, die nicht nur für sich, sondern auch für andere lebten, bei denen die göttliche Liebe durch die Rinde der Selbstsucht gedrungen war und sich zu entfalten begonnen hatte: dann zuckt ein Schmerz durch alle Herzen, welche diese Liebe gefühlt, und Augen, die Jahre lang vertrocknet schienen, und Zungen, die sonst von keiner Milde wußten, legen Zeugnis ab, daß die Liebe alles überwindet, selbst die Roheit, selbst den Neid, selbst jahrelange Angewöhnungen. Und wenn der schwarze Sarg vor das Haus getragen wird, so braucht der Schulmeister nicht mühselig an den Herzen zu nopperen, die rinnen von selbst; und ernst und feierlich und tief ergriffen wallt der lange Zug dem Friedhof zu, und schwer und schwankend voran der Witwer oder die Witfrau. Sie beugen tief ihr Haupt, und das gebeugte Haupt scheint zu sagen: Ach, Herr! du hast mich schwer getroffen, schlage nun nur zu und züchtige mich; habe ich das getragen, so trägt mein Geist ferners auch, und wenn mein Leib auch zerbrechen soll, ach Gott! so danke ich dir.

Und ernstlich und feierlich ist auch das Leichenmahl, und manche harthölzige Frau kaut ihr Schaf-Voressen, als ob es Hobelspäne wäre. Sie denkt: »Nei, bim D., das mueß mr angers gah. Myne lächereti‘s no, we-n-i sturb, u di angere Wyber möchte mr‘s alli gönne; aber i will-ne zeige, daß i so guet sy cha wie-ne-n-angeri; u-n-es müeßt der Tüfel thue, we si mr nit o nahpläre müeßte.« Auch die Männer schauen ernst drein und bedenken: was wohl gesäet werden möchte einst auf ihre Gräber, ob Thränen oder Flüche? Ach, es möchten alle einen guten Klang behalten nach dem Tode, und bedenken nicht, daß nur der Ton nach dem Tode wiederhallt, den man im Leben angestimmt hat.

 

Eine solche Leiche war aber die nicht, der ich noch ein Wort nachreden sollte. Es war ein reicher Junggesell gewesen wie es gar viele gibt. Er hatte sein Leben lang für sich gelebt. Er war sparsam gewesen gegen andere, und daß er etwas Gutes gethan oder gestiftet, hat man nicht von ihm gehört. Aber gegen sich war er nicht karg. Seinen mutmaßlichen Erben ward manchmal bange, und es dünkte sie, es sollte mehr vorgeschlagen werden können. Durch den Morgen nahm er sein Schlückchen und ein Stück Fleisch aus dem Kuchischaft; des Mittags aß er zu Hause nicht viel, nachmittags legte er sich ein wenig aufs Ohr; doch mußte ihn seine wohlgehaltene, geliebte, hoffärtige Haushälterin Salome wecken, wenn die gesetzte Frist verflossen war; denn zu lange wollte er nicht schlafen der Nacht wegen. Gegen Abend zog er ins Wirtshaus und ließ sich da wohl sein hinter zwei Schoppen oder dreien, Roten, nota bene, und die Wirtin hatte immer ein Transchli für ihn z‘weg, das er beißen konnte.

Vierzehn Tage, nachdem er gemetzget hatte, ging er seinen Schweinen nach; man wollte sagen, ein schöner Säubrägel hätte ihn geliefert. Wie nicht bald einer, hatte er nach dem Grundsatze gelebt: selber essen macht feiß; darum war auch nicht bald bei einem sein Tod so unbeklagt, so willkommen; denn wer nicht liebt, wird auch nicht wieder geliebt. Seine Katze war die einzige Person, die ihn vermißte; selbst seiner Haushälterin war mit seinem Tode ein Stein ab dem Herzen gefallen. Es hatte sie schon lange nach einem jungen Manne gelüstet; aber den alten durfte sie nicht verlassen, wenn sie nicht ihr Legat verlieren wollte. Auch wollte sie bei seinem Tode zugegen sein; denn in diesen Augenblicken läßt sich etwas machen, wenn man den Pfiff versteht. Schon manchen haben einige bei dem Tode eines Menschen wohl angewandte Minuten wohlhabend gemacht. Die Erben sind oft nicht gleich bei der Hand, und wer sich nicht fürchtet, aus dem noch nicht erkalteten Hosensack die Schlüssel zu nehmen, kann bis zu ihrer Ankunft viel abweg machen. Fatal ist‘s, wenn der Verstorbene so plötzlich von hinnen gerufen wird, daß er für die, welche zunächst um ihn sind, nicht tcstamentlich sorgen konnte, und das geschieht oft; denn solche Leute testieren nicht gerne; sie hoffen noch der Tage viel. Aber auch da wissen schlaue Leute sich zu helfen. Sie schleppen den Gestorbenen in eine alte Rumpelkammer, und in das noch nicht erkaltete Bett legen sie einen vertrauten Knecht, setzen ihm die Nachtkappe des Gestorbenen auf und laufen nach Schreiber und Zeugen. Schreiber und Zeugen setzen sich an den Tisch am Fenster, rüsten das Schreibzeug und probieren, ob guter Wein in der weißen Guttere sei. Unterdessen berzet und stöhnt es im dunkeln Hintergrunde hinter dickem Umhang, und eine schwache Stimme fragt: ob der Schreiber nicht bald fertig sei? es gehe nicht mehr lange mit ihm. Der Schreiber nimmt häufig das Glas vom Munde nnd dagegen die Feder und läßt diese flüchtig übers Papier gleiten, aber immer halblinks schauend, wo das Glas steht. Da diktiert leise und hustend die Stimme hinter dem Umhange das Testament und der Schreiber schreibt, und freudig hören die Anwesenden, wie sie Erben werden von vielem Gut und Geld. Aber ein blasser Schrecken fährt über ihre Gesichter und faustdicke Flüche quellen ihnen im Halse, als die Stimme also spricht: Meinem getreuen Knecht aber, der mir so viele Jahre treu gedient hat, vermache ich 8000 Pfund. Der Schalk im Bette hatte sich selbst nicht vergessen und bestimmte sich selbst seinen Lohn für die gut gespielte Rolle. Er war aber noch bescheiden; er hätte sich ebenso gut zum Haupterben machen können und was hätten die andern sagen wollen? Man kann sich aber noch anders helfen. Man macht wieder, daß der Schreiber eben nicht gar scharf nach allem in der Stube sieht, läßt den Gestorbenen im Bette, steckt eine Hand unter das Hauptkissen und unter den Kopf. So fragt man ihn: »Ist es dein Wille, daß ich Haupterbe sei?« Der Kopf nickt tief ein Ja. Man frägt: »Ist auch dein Wille, den Armen 100 L. zu geben?« Der Kopf nickt wieder ein eifriges Ja. So geht es, bis das Testament zu Ende ist, dann läßt man den armen toten Kopf in Ruhe.

Wie es bei dem Junggesellen, von dem ich schreibe, zuging mit Testament und Erbe, weiß ich nicht, und was man muckelte, gehört nicht hierher. Ich vernahm seinen Tod auf der Straße von einem Nachbar und lief, so schnell ich konnte, ihn meiner Frau zu verkünden. Frau, sagte ich: »Ds Salomes Hannes ist endlich gestorben, denk doch! Das wird eine große Leiche geben; welche Leichenrede soll ich wohl nehmen? die von Cherubim und Seraphim oder die vom verlornen Sohn?« Ich hatte mehr als zwei Leichenreden, auch mehr als drei, nicht wie jener Schulmeister, der nur eine pfundige, eine für 10 und eine für 15 Btz. hatte und jedermann, der eine Leiche bei ihm angab, fragte, welche er wolle: ob die pfündige oder die zehn- oder fünfzehnbatzige? Allein für solche Anlässe, wo es niemand übel, sondern allen wohl ging und der Schulmeister doch vor dem zahlreichen Leichengeleite sich gerne hören lassen möchte, hatte ich nur zwei. Das ist eine Gelegenheit, zu zeigen, wer man ist; und eine rührsame Leichenrede kann einen Schulmeister weit und breit berühmt machen. »Du mußt auch mit ihm z‘Chilche,« fuhr ich fort, »du hast lange bös gehabt und ich mag es dir gönnen, daß du doch eimal zu guter Fleischsuppe und öppe emene Stückli Bratis chunst.« — »Nein, Peter,« sagte die Frau, »ich komme nicht, ich kann das Hungerleiderwesen nicht leiden; ich will hundertmal lieber hungrig sein als hungrig thun vor den Leuten. Ich muß mich ohnehin allemal schämen, wenn die Leute ganz ungeniert es sich merken lassen, daß wir hungrige Leute wären und daß bei ihnen ein Schulmeister und ein Hungerleider das gleiche bedeute.« Ich wollte Mädeli verständlich machen, daß ich von Amtes wegen gehen müsse und eigentlich gar nicht unter die Leidtragenden zu zählen; daß ich allemal gehen müsse, was nicht billig sei, da in andern Häusern Mann und Frau miteinander wechseln. Das würden doch alle Leute begreifen, meinte ich, und niemand etwas Übels darin finden.

»Und ich komme nicht,« sagte meine Frau. »Ich könnte die Augen nie aufthun aus Furcht, es begegneten mir ein Paar andere Augen, die spöttisch die Bissen zählten, die ich esse, um zu erfahren, wie hungerig auch so ein Schulmeisterweib sei.« Sie habe es auch nicht wie andere Weiber, die ihren Männern alle Bissen nachrechnen, mißgönnen und nicht zufrieden würden, bis auch ihnen etwas geworden sei. Sie möge mir alles, was ich erhalte, von ganzem Herzen gönnen; ich müsse alles sauer genug verdienen; es gehöre mir von Rechtes wegen; wenn sie nur zu Hause bei den Kindern sein könne und zu essen für diese habe, so sei sie lange zufrieden. — »Nun, Mädeli, dich kann ich nicht zwingen; aber wenn du nicht willst, so schick mir doch den Peterli ins Wirtshaus. Gib ihm irgend einen Auftrag; wenn er nur in die Stube kommen kann, so bringen es ihm viele, und ein Stücklein Fleisch will ich ihm schon zustecken.«