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Leiden und Freuden eines Schulmeisters

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Viertes Kapitel. Wie ich um mein Kronprinzentum komme

Nach mir hatte die Mutter noch zwei Mädchen geboren, die ganz munter aufwuchsen. Wenn andern Leuten Kinder starben, so jammerten die Eltern oft, sie seien die ugfälligste Hüng, ihnen sterbe nie kees. Meine Mutter gebar zum sechtenmale, und das Kind war ein Sohn, und es starb wieder nicht. Eine Kindbetti im Hause war eine so gewöhnliche Sache, daß man sich derselben wenig achtete; nur die Schwestern fingen an zu muckeln: Die Mutter könnte das afe bleiben lassen, das trag nüt ab; so kleine Kröten seien einem nur zur Plag und zu erben werde es am Ende wenig geben. Zwei Tage blieb die Mutter im Bette; dann fing der Vater zu fragen an, wo es ihr fehle, daß sie noch nicht auf möge. Dann zwängte sie sich auf und fing wieder an, die Haushaltung zu machen. Sie mußte zwar alle Augenblicke absitzen, und klagte sich bald hie bald da. Dann meinte der Vater, es werd schon bessern, und gab 6 Fr. um ein weißes Brötlein zu holen; das solle sie einstweilen brauchen und etwa auch ein Süppli kochen. So bald möglich ging daher die Mutter in die Kirche, weil sie dabei einen Schoppen warmen Wein trinken durfte im Wirtshause, ohne daß der Vater balgete. Auch mit der Kindstaufe pressierte sie gar sehr und das aus folgenden Gründen. Das weiße Brötchen hielt natürlich nicht lange an; die Mutter blangete auf die Gaben guter Leute, die man nach Landessitte einer Kindbetterin bringt, aber erst nach der Taufe. Es heißt, wenn man sie vorher bringe, so sei das ein Zeichen, daß man zu Gevatter wünsche gebeten zu werden. So aufdringlich will man also nicht sein. Es ist aber im Grunde mehr die Angst, zu Gevatter gebeten zu werden, welche abhält, sich zu zeigen; denn eine solche Gevatterschaft zieht gar bedeutende Kosten nach sich. Einbund, Kinderkleidchen, Geschenke an die Wöchnerin, dann an manchen Orten das sogenannte große Gutjahr, die ersten Hosen oder der erste Kittel und alle Jahre etwas, an manchen Orten bis man verheiratet ist; dann die Ansprüche armer Eltern, das ganze Jahr durch, die das Recht zu haben glauben, bei den Gevatterleuten zuerst anzuklopfen in jeder Bedrängnis; und manchmal, wenn die Eltern sterben, die ganze Erziehung eines Kindes, das man zu den Seinigen ins Haus nimmt, das sind die Folgen einer Gevatterschaft auf dem Lande. Das ist schon bedeutend, aber die Menge bringt erst die Strenge. Man macht sich in der Stadt gar keine Vorstellung davon, wie oft die sogenannten guten Häuser von den wildfremdesten Leuten in Anspruch genommen werden. Es gibt Häuser, und nicht wenige, wo ordentlich über die Gevatterkinder Buch geführt werden muß und wo ihre Zahl über 100 ansteigt. Ja, ich kannte eine Person, welcher diese einzige Ausgabe jährlich den ganzen Zins einer verpachteten Schmiede wegnahm, (und) der, wenn ich nicht irre, 240 Kronen betrug. Das ist eine indirekte Steuer, die auf den Reichen des Landes lastet, die man nicht beachtet. Zuweilen geschieht es allerdings, daß irgend ein heiratssüchtiges Töchterlein an dunklem Abend mit einer Züpfe unter der Scheuben vor der Taufe anrückt und zu verstehen gibt, sie wäre gern Gatte, aber mit dem und dem; oder daß eine kupplerische Mutter eine Maß Wein bringt und dabei verdeutet, ihr Sohn wolle Götti sein, aber jenes reiche Mädchen müßten sie zur Gotte nehmen; oder daß man eine Mittelsperson dazu braucht, um armen Leuten den Verstand zu machen, wen sie zusammen bitten sollten. Zuweilen kömmt dieses armen Leuten selbst in Sinn, und sie benutzen die Taufe, um junge Leute zusammen zu bringen, in der Hoffnung, man schlage ihr Gesuch um so weniger ab, wenn man höre, wer auch noch da sein werde. Das hat mich als Schulmeister tausendmal geärgert, wenn ich die heilige Taufe zu solchen Kupplereien mißbraucht sah; wenn ich sah, wie die jungen Leute gar nicht daran dachten, wo sie stunden, und wie wichtig das sei, welches sie hier vor dem Herrn versprechen müßten, sondern wie sie nur dachten, daß sie des Nachts bei einander liegen könnten, oder wie ein schnippisches Mädchen Pläne machte, wie es den gegenüberstehenden Götti am besten zum Narren halten könnte.

Meine Mutter pressierte also mit der Taufe, um die Geschenke der guten Leute und die der Gevatterschaft, so wie die Maß Wein und das Stücklein Fleisch, welches der Vater vom Kindstaufschmaus heimbrachte, bald zu erhalten und sie zu ihrer Stärkung zu benutzen. Das wirkte aber wenig, weil ihr die gehörige Ruhe fehlte und sie zu früh wieder alles machen mußte. Ich bin überzeugt, eine Menge Weiber verwittern und verfallen vor der Zeit an diesem Mangel an Schonung und Ruhe in den Kindbetten.

Mein Vater hielt den Kindstaufschmaus im Wirtshause; er sagte, man sei zu Hause nicht dafür eingerichtet; der eigentliche Grund war aber, daß er glaubte wohlfeiler davon zu kommen. Zu Hause hätten die Frau und die Kinder auch mitessen müssen; im Wirtshause waren die nicht, und manchmal zahlten die Gevattersleute noch die Üerti ganz oder zum Teil. Der Frau schickte er das Kind aus der Kirche alsobald heim, so daß nicht begegnen konnte, was zu R. einmal sich zutrug. Dort saßen Mann und Weib mit den Gästen lustig am Tisch; auf dem Ofen eingepackt lag das Kind und war endlich nach langem Schreien eingeschlafen. Als es bald Mitternacht schlug, die Flaschen leer, die Köpfe schwer waren, brach man auf und das Ehepaar wanderte wohlgemut und singend von dannen und vergaß sein Kind. Als die Wirtin abräumte, fing es an zu wimmern auf dem Ofen in dunkler Ecke. Sie erschrak und glaubte es sei unghürig. Sie lief aus der Stube und schrie das ganze Haus zusammen, und vor der Thüre hörten alle das Wimmern, aber keines durfte hinein. Endlich kam der Wirt aus dem Keller und wagte von ferne zu zünden. Da entdeckte er auf dem Ofen den zurückgelassenen Kram, das weebernde Kind. Sie wollten ihn aber nicht behalten. Der dem saubern Elternpaar mit dem Kinde nachgesandte Knecht hatte die größte Mühe es ihm aufzudringen. Sie behaupteten, es sei nicht das ihre, das hätten sie längstens heimgeschickt.

Bei der Taufe meiner beiden jüngern Schwestern war ich mit dabei gewesen; der Vater hatte mich das erstemal sogar hin und heim getragen; diesmal mußte ich trotz meines Anhaltens und Weinens zu Hause bleiben; ich konnte nicht begreifen warum? Als der Vater fort war, lösten mir die ältern Schwestern das Rätsel. »Gell, Peterli! jetzt chasch‘s o ha wie mir; gell, mit em Heimet isch es us, jetz prediget e-n-angere!« Den ganzen Tag sangen sie mir:

 
Peterli git e große Herr,
Dr Vatter wott ne thue i dLehr;
Aber jetz isch eine nache cho,
Da het ds Peterli dür tho.
 

Ich merkte nun wohl, daß ich nicht mehr der Jüngste sei, daß ich das Heimet nicht mehr erhalten werde; aber das plagte mich doch nicht besonders. Ich hatte die Mutter zu oft sagen hören: wenn sie nur den verfluchten Bettel nicht hätte, sie könnte es viel besser haben. Und vom Vater hatte ich wieder gehört: ich müßte recht e Gschickte werde, dann bekomme ich Geld wie Heu und könnte Häuser bauen und Land kaufen, so viel ich wollte. Das Heimet dachte ich dem Brüederli gerne zu lassen, lieber wollte ich mich unten im Dorfe setzen; da sei es viel lüstiger; schöne Matten seien da und schöne Krämerläden, und alle Augenblicke führen Kutschen durch mit schönen Herren und Frauen; und wenn ich dann einen Schärbank hätte, so wäre da ein viel komöder Fahren als bei uns, wo Steine, wie Kindsköpfe die kleinsten, im Wege seien. So machte ich meine Rechnung, aber ohne Wirt.

Aber der Vater wurde nun auch ein anderer und betrachtete mich mit andern Augen. Wie gesagt, sein Heimet war sein größter Stolz, und von jedem, der keines hatte, sagte er mitleidig und verächtlich: »Er isch ume e Ghusme, er isch ume z‘Hus«. In mir hatte er den künftigen Besitzer desselben gesehen; als solcher war ich sein Stolz und ihm besonders wert. Nun war mein Brüderlein künftiger Besitzer geworden. Der Vater trug daher alles, was er für mich gefühlt hatte, auf jenes über. Es nahm meinen Platz ein nicht nur im Erbrecht, sondern auch in des Vaters Herzen. Das ging freilich nicht auf einmal zu, und der Vater selbst war sich seiner Umänderung vielleicht kaum bewußt; aber ich fühlte sie immer schmerzlicher. Allgemach erhielt ich keinen Kram mehr; Lebkuchen und Weggen wanderten zum Erbprinzen. Der Vater rühmte mich nach und nach seltener, und daß ich ein großer Herr werden sollte, sagte er gar nicht mehr. Was ich früher gerne und spielend that, um bei ihm sein zu können, das Spulen, das wurde mir zur strengen Pflicht gemacht, und wenn ich nicht die gehörige Portion machte, so erhielt ich erst Vorwürfe, dann Schläge. Zum Lernen hielt man mich auch nicht mehr, im Gegenteil, wenn ich nach dem Buche griff, so hieß es: »Spul du, du bist lang geschickt genug, du kannst noch viele Jahre lernen, und für einen armen Weber kannst du bald genug«. Dann erzählte wohl der Vater, wie er auch nicht habe viel lernen können; er wüßte nicht, warum ich mehr lernen sollte als er, er sei doch auch durch die Welt gekommen. Und wenn das alles nicht fruchtete, so erhielt ich das Buch um den Kopf. So redete der Vater kalt und warm aus einem Munde, bei dem einen Kind so, bei dem andern anders. Die Mutter hatte gar große Freude daran, daß noch ein zweites Söhnchen nach kam, um mich aus dem Sattel zu lüpfen, was sie mir von ganzem Herzen gönnte. Sie liebte daher den Nestbutzen auch so gut wie der Vater; er ward so doppelt verzogen und meisterlos. Wie ich aber nun im Hause z‘weg war, kann man sich denken. Der Vater, der die Schuld trug, daß die andern mich beneidet hatten und haßten, ließ mich im Stich, wandte sich von mir. Die Gesinnungen der andern gegen mich blieben. Sogar unser Spitz, dem ich öfters von meinen Weggen gegeben halte und der besonders an mir zu hangen schien, ließ von mir und hielt sich nun zu dem Bruder, der jetzt die Weggen hatte: allen war ich preisgegeben und niemand war zu meinem Schutze da. Die Schwestern vergalten mir nun doppelt ihre frühere Zurücksetzung und was ich ihnen beim Vater angerichtet hatte. Es war mir auf diese Weise recht weh ums Herz; Hund und Vater hatten mich verlassen, und es gibt für das menschliche Herz sicher keinen größern Schmerz, als niemand zu haben, den man lieben kann, oder niemand, der uns unsere Liebe abnehmen will. Im mittlern Alter, wenn die Lebenssonne hoch am Himmel steht und unser Dichten und Trachten auf Gewinn und Gewerb gerichtet ist, mag der Mensch dieses weniger fühlen, als in der Jugend und im Alter, denn in der Jugend ist man liebevoll, im Alter liebedurstig. Darum bewerben Großeltern sich so ängstlich um die Liebe der Großkinder, und thun das Thorrechteste, um sie zu gewinnen. Darum schließen die Kinder so gerne an die Alten sich an, die ihnen ihre Liebe so gierig und dankbar abnehmen. Wie manches Herz wohl, das seiner inwohnenden Liebe kein ander Herz fand, in das es sie ergießen konnte, ist allmählich versteinert und hart geworden, wie Geißbergerstein. Und wie manches andere wohl ist zum Verbrecher geworden an den Menschen aus Rache; weil sie die Liebe nicht wollten, hat es sie mit Haß bezahlt in That und Wort.

 

Glücklich war‘s für mich, daß es mir nicht so ging, und daß die gütige Vorsehung mir einen Retter vor diesem Zustande in den Weg führte, für mich ein Engel, d.h. ein Bote Gottes. Und was für einen — sollt ihr im folgenden Kapitel hören.

Fünftes Kapitel. Wie ich aus einem Erbprinzen ein Schulprinz werde

Mein Engel, den ich fand, hatte auch keine Fecken, sondern eine Schnupfnase und Augen, die tropften wie ein Schleiferkübel. Es war unser alte Schulmeister, der mich in Burgdorf gefunden, sich meiner liebreich angenommen und mir beim Vater z‘Best geredet hatte, als er mich in der ersten Hitze schlagen wollte. Das hatte ihm mein ganzes Herz gewonnen, ich hing an ihm mit wahrer Ehrfurcht und Zärtlichkeit, er mochte sein wie er wollte. Jeder Mensch macht auf den andern einen Eindruck, der gewöhnlich erzeugt wird durch die äußere Gestalt und die Gesichtszüge. Dieser Eindruck ist oft ein sehr wichtiger, denn der Seele Spiegel ist das Gesicht, und mancher hat es bereut, daß er den ersten Eindruck über den Worten eines Menschen vergessen, weil er sich dadurch bittere Täuschungen erspart hätte. Zuweilen aber wird dieser Eindruck auch erzeugt durch die Lage oder die Handlung, in welcher wir einen Menschen zum erstenmal erblicken, und dieser Eindruck ist noch bleibender als der erste. Ein Kind, das zum ersten Male in die Schule kömmt und es sieht den Schulmeister im Zorn, sieht ihn rauh und auffahrend, wird Jahre lang die Furcht vor ihm festhalten und selten es bis zur Liebe bringen. Ja man wird es mit Schlägen in die Schule treiben müssen, was das Übel nur ärger macht.

So hatte ich es mit meinem Schulmeister; was andere an ihm sahen, sah ich nicht, und wenn andere ihn neckten, so that ich ihm, was ich ihm an den Augen absehen konnte. Er war häßlich und durch Unreinlichkeit fast eckelhaft; er liebte neben dem Schnupf auch den Schnaps, und den trank er manchmal vor, manchmal während der Schule. Sein Lohn war gering, und um sich mehr Geld zu verschaffen, trieb er das Küferhandwerk und hatte im Winter den Zügstuhl in der Schulstube. Er galt für einen bsunderbar e Gschichte, denn er konnte den Bauern das Heu messen und sogar Brieflein und Zeugnisse schreiben für sie. Sein Schulhalten war aber nicht weit her. Des Morgens mußte man zuerst lernen, was man aufsagen wollte, sowohl auswendig, als die Leser ihre paar Zeilen im Fragenbuch, und die Buchstabierer ihre Buchstaben. Dann fing das Aufsagen an, und wenn dieses nicht bis mittags dauerte, so las man noch ein wenig. Des Nachmittags fing man mit Lesen an, später konnten einige manchmal etwas schreiben oder rechnen; die meisten und besonders die Leser und Buchstabierer, kamen nicht von ihren Büchern weg. Aber auch dieses Schulhalten war ihm beschwerlich und er that es selbst so wenig als möglich. Entweder war er duselig in seinem Kopf von Branntenwein, oder er hatte Kübeli zu binden und Reifen zu schnefeln. Er hatte daher immer einen oder zwei Adjutanten, denen er sein Scepter, die Rute, anvertraute. Gewöhnlich waren es die Reichsten, denen er damit die Gelegenheit gab sich einzuüben, künftig die Untergebenen tyrannisieren und quälen zu können nach Noten. Ordnung war keine in der Schule, aber Prügel vollauf von dem Alten und von den Jungen. Die Achtung fehlte, und wer dem Schulmeister am meisten Streiche spielen, ihn am besten ausspotten konnte, der hielt sich für den Größten und wurde auch von den andern dafür gehalten. Man that ihm alles Wüste, z. B. gefrornen Roßmist, in seine weiten Kuttentäschen, leerte ihm seine Schnupfdrucke aus und füllte sie mit Staub aus Weidenbäumen, schlug ihm Nägel in die Äste, die er aushauen wollte. Doch der Jubel ging erst recht an, wenn er des Nachmittags einschlief, was nicht selten geschah.

Sobald man sah, daß der Schlaf über ihn komme, verstummte der gewöhnliche Lärm, und mäuschenstill ward‘s ringsum. Glaubte man ihn ordentlich eingeschlafen, so ließ einer zur Probe ein Buch fallen oder schlug mit dem Lineal auf den Tisch. Selten erwachte er. Dann wurde Kriegsrat gehalten, was anzufangen sei, und nie war man über etwas Lustiges verlegen. Man band ihn mit Stricken an die Ofenbeine an, strich ihm Tinte ins Gesicht, machte ihm einen Schnauz, verstopfte ihm die Nasenlöcher mit Papier, klebte ihn an den Haaren mit Pech am Ofen an u.s.w. War die Sache ausgeführt, so machte man sich in aller Stille aus dem Staube bis an eines, das an irgend einem Fenster den Austrag der Sache ansehen mußte; denn das Lustigste war dann doch, zu wissen, wie es abgelaufen. Wenn die Frau (eigne Kinder hatten sie keine) die Kinder fortgehen hörte und der Mann nicht kam, suchte sie ihn endlich und weckte ihn unsanft auf, betitelte ihn auf allerlei Weise und befreite ihn nicht auf die gelindeste Art. Das alles dann erzählen zu hören, war die größte Burgerlust für die Schüler. Der Schulmeister fragte nie nach den Missethätern, aber am folgenden Morgen handhabte er die Rute mit besonderem Nachdruck, und die, denen er den Streich zutraute, erhielten ihre Heiligen mit und ohne Anlaß. Aber man war derselben so gewohnt, daß man sich aus ihnen nicht viel machte, obschon er bis zu sechs Dutzend sogenannte Tötzelni aufzählte.

Ich war schon früher zu ihm in die Schule gegangen, ohne daß ich mich über ihn besonders zu beklagen gehabt hätte. Durch mein vieles Lernen zu Hause war ich meinen Altersgenossen zuvorgekommen, konnte immer ohne Fehler aufsagen, und an den Streichen, welche die ältern verübten, war ich zu jung, teil zu nehmen. Seit er mich aber erlöst hatte aus meinem Jammer und seit ich keine Tristig mehr hatte zu Hause, war die Schule mein liebster Aufenthalt und der Schulmeister mir der liebste Mensch unter der Sonne. Ich that alles Mögliche, um ihm zu gefallen, und dadurch gewann ich seine Zuneigung, vielleicht auch dadurch, daß er mir eine Wohlthat hatte erzeigen können. Der Mensch thut so selten etwas Gutes, daß er sich ordentlich zu dem hingezogen fühlt, der ihm Gelegenheit dazu gegeben hat, etwas Löbliches zu vollbringen, und seinem Gewissen Stoff, ihn auch einmal zu rühmen.

Freilich waren die Mittel, welche ich ergriff, um mich ihm wohlgefällig zu machen, nicht die saubersten. Ich sah, daß andere Kinder ihm zuweilen Geschenke brachten, Milch, Brot, Speck, Metzgeten u. s. w. Daß die es einige Tage besonders gut bei ihm hatten, kam bei mir nicht sowohl in Betracht, als daß ich sah, wie sehr es ihn freute und wie seine Frau nicht aufhören konnte zu danken und dem Müetti und dem Ätti alles Gute zu wünschen. Ich forderte daher einmal, als wir backten, ganz unbefangen ein Brot, um es dem Schulmeister zu bringen. Wohl da kam ich schön an! Der Vater meinte: »Ihr fresset no nit gnue Brot, daß mr no angere gä seu. I mah verdiene, wi-n i will, es bschützt nüt. We d‘no einisch öppis seyst, su schlah-n-i dr dr Gring ab.« Die Mutter aber belferte: »Ja dem wett i o öppis bringe! Suf är weniger Brönz! U sn Frau isch so schmäderfräßig, sie schätzte üses Brot nüt; es war ihr z‘weni wyßes, sie gab‘s ume dr Geiß.«

So war ich abgefertigt, aber nicht zufrieden. Nun konnte ich freilich nicht thun, was jener Güterknabe, der gerne unterwiesen sein wollte, und, um den Pfarrer dazu zu bewegen, ihm ein Geschenk zu bringen trachtete, und es recht gut machen wollte, damit es ja bschüßi; der daher seinem Meister zwei Hammen auf einmal stahl, aber auch die Sache so ausbrachte. Denn hätte er dem Pfarrer nur eine Hamme auf einmal gebracht, so wäre es diesem nicht aufgefallen, allein zwei auf einmal, das war er nicht gewohnt und fragte nach, und die Sünde kam aus. Nein, zwei Hammen konnte ich aus unserm Kämi nicht nehmen, die Mutter sah zu scharf alle Tage hinauf, die vier zu zählen, die im Winter oben hingen. Aber ich stahl Eier, und da es diese selten gab im Winter, so stahl ich sie im Sommer in Vorrat und verbarg sie ins Heu, stahl Äpfel, dürres Zeug, und wollte einmal sogar der Kuh eine Halbe Milch ausziehen. Die aber verstund keinen Spaß, sondern schlug den ungewohnten Melker gar tüchtig in den Mist, daß er Mund und Nase voll bekam.

Das zweite, was ich versuchte, um die Gunst des Schulmeisters zu erlangen, war, daß ich ihm nach und nach zu verrätschen anfing, was die andern thaten. Es war nicht bloße eigennützige Absicht dabei, sondern wahrhaftig großenteils Liebe zu dem Manne, und Ärger, daß man ihm so mitspielte. Weil der Mann mich liebte, um meiner Anhänglichkeit willen mich allenthalben vorzog und rühmte, so suchte ich auch so viel möglich bei ihm zu sein.

Fleißiger Schulbesuch gehörte sonst nicht zu den Tugenden unseres Hauses. Erstlich halten die Eltern kein Schulgewissen, es fiel ihnen Wochen lang nicht ein, daß es Schule sei und die Kinder geschickt werden sollten. Sie hatten ferner keine andere Vorstellung von dem Nutzen einer Schule für gewöhnliche Leute, die nicht etwas appartigs werden sollten, als daß man darin lesen lerne, um unterwiesen zu werden und weil es einem überhaupt kummlich sei, lesen zu können. Und da die ältern von uns lesen konnten, so hielten sie dafür, die Schule trage für diese also wenig mehr ab. Endlich hatten sie auch den gewöhnlichen republikanischen Trotz: »Es heig ihnen niemer nüt z‘bifehle, me chönn ‚ne i dSchueh blase, sie heige dWehli, dChing i dSchuel z‘schicke oder nit. Sie gebit ne z‘esse u a dSchueh zahl ‚ne o niemere nüt.« Meine Schwestern hatten endlich noch erlanget, daß sie auf einem appartigen Plätzli Flachs pflanzen und denselben spinnen durften für sich, wenn sie im Tage für die Eltern anderhalb Tausend gesponnen hatten. Sie fragten daher der Schule wenig nach und zogen sich davon, soviel sie konnten.

Die Eltern hätten daher auch mich nicht fleißig gesandt, wenn ich nicht gerne gegangen wäre; sie hätten mich viele viele Tage um das Haus können schlingeln sehen im Nichtsthun, ohne mich in die Schule zu schicken. Ich bin überzeugt, an wenigstens einem guten Drittel von Schulversäumnissen ist, besonders bei den Knaben, nicht die Arbeit sondern eben die Gleichgültigkeit der Eltern schuld, die gar nicht an die Schule denken, oder, wenn sie das Geringste zu machen, nur ein Körbchen mit Erdäpfeln zu waschen haben, alsobald sagen: Du kannst heute nicht in die Schule, es müssen Erdäpfel gewaschen sein, — nicht denken, daß dieses bei gutem Willen füglich vor oder nach der Schule gemacht werden könnte, oder füglich von jemand, der zu Hause bleibt und dabei nichts versäumen würde.

Alle Morgen und alle Mittag war ich bereit zum Gehen. Da glaubten die Eltern Einhalt thun zu müssen, teils weil sie glaubten, ich könnte das Spulen versäumen, teils sagten sie: »Was würden die Leute dazu sagen, wenn sie einen so großen Buben alle Tage zur Schule sendeten? Sie könnten ja denken, sie wüßten ihn nichts zu brauchen oder hätten ihm nichts zu arbeiten.« Und die Schwestern, so wenig sie zu gehen begehrten, redeten auch darein und sagten: Wenn ich immer gehen könnte, so wollten sie auch gehen, sie hätten so viel Recht als ich. Das half aber alles nichts; ich zwängte es die meisten Male durch. Denn ein Kind, das hartnäckig ist, kann auf dem Lande ungeheuer viel zwängen, sobald es sich auf das Zwängen legt, weil man wohl Schläge, aber den nachhaltenden Ernst nicht kennt. Freilich mußte ich zwischendurch spulen über Hals und Kopf, früh und spät; freilich bürdete man mir noch immer mehr zu machen auf zwischendurch, Futter rüsten, holzen u.s.w. Aber ich gab nicht lugg, machte so viel ich immer mochte; und wenn das nicht genug war, so brauchte ich am Ende auch das Maul, drohte mit Fortlaufen, sagte, der Götti wolle mich u.s.w. Da setzte es wohl Ohrfeigen, aber es half doch etwas; denn entbehrt hätte man mich ungerne. Es wäre dadurch eine Lücke in dem Hauswesen und in der Arbeit entstanden, die niemand gerne ausfüllen mochte.

 

Ich lernte in und außer der Schule gar gewaltig, und hatte eine Vorrichtung ersonnen, um dem Spulen unbeschadet es thun zu können. Es ist merkwürdig, daß auf dem Lande so wenige Haushaltungen auf den natürlichen Einfall kommen, daß die Kinder und namentlich die Mädchen lernen und arbeiten können mit einander. Freilich bedarf es dabei gespannter Aufmerksamkeit; aber eben die Aufmerksamkeit spannen zu lernen, wäre auch eine gar nötige Sache, welche so wenige verstehen. Besonders für eine Sache wäre es recht gut. Der Mensch denkt fast immer etwas, und ganz unwillkürlich kommen und gehen die Gedanken, und bei keinen Arbeiten kann man kommöder sinnen als bei den Mädchenarbeiten, spinnen, lismen, nähen und bei vielen andern mehr. Da kommen dann den erwachsenden Mädchen die Gedanken von selbst ungezogen und setzen sich wie Mehltau in ihren Seelen fest und vergiften Keuschheit und Schamhaftigteit. Sicher ist so manches Mädchen, ohne daß jemand bei ihm war, durch seine eigenen Gedanken, die sich während der Arbeit entspannen und dann sich fortsetzten, wenn das Licht ausgelöscht war, verführt worden. Darum wäre es von großer Wichtigkeit, wenn man während der Arbeit die Gedanken mit etwas Gutem beschäftigen könnte, so daß die bösen keinen Platz fänden. Das wäre so gar nicht schwer, wenn man nur wollte. Aber man legt so gar wenig Gewicht auf seine Gedanken, und bedenkt nicht, daß Jesus sagt: Aus dem Herzen heraus, von den Gedanken her, kommt alles Arge. Man ist gewöhnlich auch so wenig Meister seiner Gedanken, daß man den einen nicht befehlen kann zu kommen, den andern nicht zu gehen. Man hat es mit ihnen wie mit den Einquartierungen; sie kommen und gehen nach Belieben; und sie gehen heißen fällt niemand ein, weil man wähnt, es hülfe nichts, sie blieben doch. So lange aber einer nicht Herr seiner Gedanken wird, daß er sie kann auf- und abmarschieren lassen nach Gefallen, so lange ist er nicht Herr in seinem Hause. Er ist ein Sklave und weiß weder für heute noch morgen, was seine Gedanken aus ihm machen werden.

So kam ich ganz gewaltig vorwärts. Die Fragen waren im Hui auswendig gelernt, Psalmen eine Menge ebenfalls. Davon verstund ich freilich nichts, aber aufsagen konnte ich, daß man mit keinem Hammerlein dazwischen schlagen konnte. So weit hatte ich es in der Kunst aufzusagen gebracht, daß ich bei vielen Fragen nie Atem schöpfte, und selten mehr als einmal. Freilich mußte ich dann gar tief aufatmen, wenn ich fertig war. Aber das gefiel den Leuten gar wohl, und wer am wenigsten zu atmen brauchte, den hielten sie für den Geschicktesten. Am Ende des Winters gehörte ich unter die Geschicktern, und der Schulmeister, dem ich gar lieb war, hätte mich gerne auf eine vordere Bank gethan. Er durfte es nicht, weil gerade ob mir des Weibels Bueb saß. Hätte er mich über den springen lassen, so würde es einen Lärm abgesetzt haben furchtbarlich, daß des Webers Bueb über ds Weibels Bueb hinauf gesetzt worden sei im Examenrodel und einen halben Batzen mehr Examengeld bekommen solle. Aber meine Fortschritte waren erst bei Anfang der Schulen im folgenden Winter recht auffallend. Vor allem ging es an ein Repetieren, und bis repetiert war, war von Schreiben und Rechnen keine Rede. Dieses Repetieren dauerte wenigstens bis zum Neujahr; bei vielen, die erst nach dem Dreschen kamen, bis nach Fastnacht. Und andere brachten es nicht mehr so weit, als sie im vergangenen Winter gewesen waren. Den ganzen Sommer hatten nämlich die meisten Kinder gar kein Buch angesehen; mit den Strümpfen im Frühjahr hatten sie es weggelegt, und erst mit den Strümpfen oder oft noch nach denselben nahmen sie es wieder vor. So war bei vielen alles rein vergessen. Buchstabierer mußten Buchstaben wieder kennen lernen. Wer die Fragen im letzten Winter zum ersten Mal auswendig gelernt, hatte alle vergessen. Das Lesen ging durchaus schlecht, und viele, die es gekonnt, mußten wieder zu buchstabieren anfangen. Daher wurden in der Schule so geringe oder gar keine Fortschritte gemacht. Weil ich nun den ganzen Sommer durch gelernt hatte beim Spuhlen und für mich immer aufsagte, wo ich ging und stund, so war ich im Herbst allen vor, mit dem Repetieren im Nu zu Ende, und konnte bald mehr auswendig als alle anderen.

Das gefiel dem Schulmeister gar wohl. »Peterli«, sagte er, »du gisch e rechte Bickel ab. Es isch schad, daß du ume e‘s Webers Bueb bisch, u daß dr alles, du masch lere was d‘wilt, nüt nützt und dr nit viel abtreit«. Ich hielt bei ihm um zwei Dinge an. Vor allem wünschte ich, die andern bhören zu können, oder mit andern Worten, sein Stellvertreter zu werden. »Peterli«, sagte er, »es ist mr leid; du chasch wohl bhöre, aber eis chasch no nit: du chasch no nit z‘hingerfür lese, u bis das chasch, cha di nit bruche drzue; dr anger Winter cha ‚s de scho gä«. Wer nämlich sein Stellvertreter sein wollte, der mußte mehr auswendig können als die andern, so daß er zum Abhören derselben kein Buch brauchte. So that es der Schulmeister, so, meinte man, müsse es auch dessen Stellvertreter können. Zweitens mußte er die Buchstaben verkehrt kennen und so lesen können. Der Schulmeister stund vor den Büchern der Lernenden, sah in der Kinder verkehrte Bücher und mußte sie so verstehen. So that der Schulmeister, und daß es sein Stellvertreter auch könne, war seine zweite notwendige Eigenschaft. — Drittens mußte er, wie schon gesagt, vornehm sein, und es gehörte zu den denkwürdigen Seltenheiten, wenn einer der Untergebenen die Rute, d. h. als Scepter erhielt. Und dieses Letztere war wahrscheinlich eigentlich der Grund, warum der gute Mann mir das Amt nicht anvertrauen konnte. Im andern Winter ging dann des Statthalters Bueb in die Unterweisung, und kein vornehmes Söhnchen war vorhanden, das alt genug dazu war.

Das andere, warum ich ihn bat, war, daß ich auch schreiben und rechnen lernen dürfte. »Peterli«, sagte er, »das treit dr glatt nüt ab; du wirsch nie Gülti z‘rechne ha, u-n-e Gemeinsvater wirsch o nie. Die müeße öppe Gschribnigs chönn e aber je minger je besser, u we‘s die Manne gsächte, daß i di das lehrti, su würde si mi balge u säge, das bruchti si nüt; wer Tüfel wett Vorgsetzte sy, wenn e jedere Hudel öppis lerti und schrybe u rechne chönnti; u we eine nüt heig und z‘viel chönni, su gäb das dr Wüestischt und so eine heig geng ume z‘räsoniere. Drum, Peterli gib lugg, es treit dr nüt ab«. Aber Peterli het nit lugg gäh, sondern chärete fort und fort, bis er endlich das Versprechen erhielt, daß im andern Winter, wenn er sich gut stelle und das z‘Hingerfürlese gut lerne, er auch solle in die Geheimnisse der Schreib- und Rechenkunst eingeweiht werden.

Auf das hin studierte ich mit unermüdlichem Eifer in umgekehrten Büchern, bis ich es zu ordentlicher Fertigkeit im Lesen brachte. Mein Vater sah dem Ding mit Verwunderung zu. Daß so ein Weberlein sich gerne rühmt und eben nicht viel Stoff zum rühmen hat, so rühmte er sich meiner nicht wenig, obgleich er mir deswegen nicht holder ward. Er habe einen Buben, pflegte er zu sagen, der könne lesen bed Weg in allen Büchern, man möge ihm vorlegen welche man wolle; eine Halbe vom Bessern wolle er wetten, er mög dr Pfarrer weit. Gewöhnlich pflegte er dann noch hinzuzusetzen: ob er aber ein Narr wird oder öppis angers, das weiß ich selbst noch nicht.