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Leiden und Freuden eines Schulmeisters

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Kaum waren wir heim gekommen, so fragte die Schwägerin nach dem zu teilenden Erbe. Wir wiesen vor, was da war. Sie wollte nicht glauben, daß das alles sei; ihr Mann hätte von viel mehrerem gesagt. Die übrigen Kinder, welche seit Jahren das väterliche Haus verlassen hatten, wo noch der Verdienst größer und von bessern Zeiten her manches vorrätig war, was seitdem abgegangen, muckelten auch von Hinteremachen, Verschleipfen, Verlaugnen. Die Schwägerin durchstöberte mit ihrem Manne und einer Schwester alle Winkel, um nach etwas verborgenem zu forschen. Unglücklicherweise entdeckte die letztere auf unserem Kachelbank einen Milchhafen, mit dem sie früher viel Milch geholt hatte, und erhob nun über denselben ein Geschrei, als ob ein Stier sie bereits auf den Hörnern hätte. Da sehe man, was wir für Leute seien: Bschyßhüng, wie keine auf dem Erdboden seien. »Ich wei mr erst afa sueche; wo das isch, wird no meh si!« schrie sie. Und so fingen sie an, das unterste zu oberst zu kehren und sprachen am Ende unsere ganze Habe an. Da rissen sie einen Hafen z‘weg und dort eine Kelle, wollten über unsere verschlossenen Schäfte, sie einsprengen, wenn wir nicht die Schlüssel gäben. Alles müsse erlesen sein, schrie das eine; ein anderes brüllte, man müsse uns zum Eid halten, und das dritte vom Landjäger holen und Mannen, vor denen wir es eingestehen müßten, daß wir gestohlen hätten. Es war ein Höllenspektakel und der Lärm wurde immer größer. Die Leute arbeiteten sich selbst in einen Zorn und in eine Wut hinein, die kein Maß hatte. Die Vorstellung unseres Betruges wuchs wie ein Gespenst ins Unendliche; ich glaube, sie stellten sich am Ende vor, der Handel gehe um viel tausend Pfund, und wenn sie nur recht wüst thäten, so seien ganze Haufen Erbes aus uns auszupressen, wie Öl aus Steinen. Es kann wahrhaftig nichts traurigeres geben, als Streiten um ein Erbe, und doch ist gerade dieses Streiten eins der häufigsten und ein Beweis mehr von dem Eigennutz und dem Lauren auf das Erben, von dem ich früher gesprochen. Wenn um Höfe, Schlösser und Büntel Geld gestritten wird, so glaubt man das begreifen zu können, weil da es des Streitens sich lohne, es wert sei, recht wüst zu thun. Aber vermöchten es nicht gerade da am besten Brüder und Schwestern, Friede zu halten, wo viel zu teilen ist? Da sollte man doch eher etwas übersehen können. Aber eben mit dem Haben nimmt auch das Begehren zu. Das ist der Fluch, der im Golde liegt und von dem das Sprüchwort kömmt: Je mehr er hat, desto mehr hat er zu wenig. Sehr traurig, fast lächerlich und unbegreiflich will man es finden, wenn Arme um ein paar alte Leintücher, eine plätzete Pfanne, eine gespaltene Kaffeekanne und ein paar versalbete Hosen sich zanken. Ja, traurig ist‘s allerdings, wenn die, die die Liebe am nötigsten hätten, um so kleinlichter Dinge willen sich das für sie ohnehin bittere Leben noch mehr verbittern. Aber begreiflich ist das Ding gar sehr. Ein armer Mensch, der gar nichts anzuschaffen vermag, dem ist eine gespaltene Kaffeekanne ein gefunden Fressen und ein Bettstücki ein wahrer Schatz, zu dem er vielleicht sonst sein Lebtag nicht käme oder nur durch tausend Entbehrungen. Und einem armen Weibe kann ein Fetzen von einem Leintuch, besonders wenn es noch zu kindbetten gedenkt, eben so wichtig vorkommen, als einer reichen Bürgersfrau ein ganzer voller Lingeschaft.

Man kann sich aber nicht vorstellen, wie uns beiden bei der ganzen Geschichte war. Ein vernünftiges Wort wurde gar nicht gehört, meine Bitten, Mädelis Weinen und Anhalten nicht geachtet. Die Titel regneten immer dicker und derber auf uns ein, je ordentlicher wir uns gebürdeten. Mir kochte nach und nach auch der Zorn in meinem Innern; aber ich war so unterthänig gewohnt, so gewohnt meinen Zorn im Stillen zu verwerchen und zu verworgen, daß ich es höchstens zu einem unverständigen Brummen brachte, blaß wurde und in den Hosensäcken die Hände ballte. Mädeli bot allem auf, die Vermittlerin zu machen in aller Sanftmut und Geduld; aber es schüttete eben nur Öl ins Feuer, und je ordentlicher es that, desto unverschämter wurden die andern; ja die Schwägerin griff sogar nach unseres Kindes Bettlein und zeigte es ihrem Mann: ob das nicht auch anzusprechen sei? Da flammte aber auf einmal, wie aus einem Hause, das der Blitz getroffen, die Feuersäule, aus Mädeli der Zorn empor. Ohnehin lang, ward es noch um einen halben Schuh länger; Funken sprühten aus seinen Augen, und mit einer mir ganz fremden Stimme, fest und scharf, wo jeder Laut dem Knall einer gezogenen Pistole glich und jedes Wort die Kugel selbst war, stellte es sich plötzlich, wie der Hirsch gegen seine Verfolger. Wie ein General befahl es der Schwägerin, das Bettlein an seinen Ort zu thun; das sei von uns bezahlt; überhaupt hätte sie hier gar nichts zu reden; sie gehe die ganze Geschichte nichts an; sie solle heimgehen zu ihren Eltern und da erben, was es da zu erben geben werde, Dreck und Läuse. Dann wandte sich meine Frau von einem zum andern und hudelte sie fürchterlich. Zuerst ging es über den Götti unseres Knaben los. Von ihm hätte sie das nicht geglaubt, sagte Mädeli; er sei ihr immer der liebste Bruder gewesen; auf ihn hätte sie gebaut, wenn der Vater früher gestorben wäre; aber nun danke sie Gott, daß sie ihn nicht nötig hätte. Sie sehe nun, was auch er für einer sei. Götti sei er von diesem Kinde, und statt diesem Kinde zu helfen, wolle er ihm sein Bettchen stehlen helfen; das habe man doch von einem Götti nie erhört, so lange die Welt stehe. So fuhr sie von einem zum andern und nahm am Ende Alle in einen Klapf. Zum Erben seien sie jetzt Kinder; aber um dem Vater zu helfen, da sei keines ein Kind gewesen. Wir hätten ihn erhalten. Keines habe gefragt: Wer zahlt dafür? Krank sei er gewesen. Keines habe gefragt: Mangelt ihm etwas, können wir helfen? Gepflegt hätten wir ihn, alle Kosten bezahlt. Keines frage: Was sind wir schuldig für Mühe und Auslage? Wir hatten bös gehabt und den Vater gut gehalten. Keines danke uns dafür und statt des Dankes wollen sie uns noch die eigenen Sachen stehlen. Sie seien saubere Leute; es müsse sich in den Boden hinein schämen vor seinem Manne, daß er sehen müsse, in welche schlechte Familie er geheiratet habe, müsse sein Leben lang sich schämen, daß ich an ihrem Vater so viel gethan und doch nicht sein Kind gewesen sei, und nun solchen Dank und solchen Schaden davon haben müsse. Dabei rannen die Thränen über sein erglühtes Gesicht; aber seine Kraft brach damit nicht zusammen, sondern es sagte ihnen noch: das Fleisch, das sie gegessen, der Wein, den sie getrunken, der Sigrist, der den Vater begraben — Alles sei nicht bezahlt, und nun sollen wir unsere Habe ihnen zum Teilen hergeben und dann die Schulden bezahlen? Mädelis Zorn überwältigte seinen Verstand nicht, sondern erglühte ihn nur; darum schlug er auf die andern ein wie eine Kartätschensaat. Die Brüder verstummten zuerst und vergaßen, das Maul offen, ob der Schwester Schelten, die sie nur als ein Kind gekannt hatten, zu antworten. Länger hielten die Schwägerin und die Schwester, welche den Milchhafen gefunden hatte, aus. In abgebrochenen Zornslauten widerbelferten sie ihm; aber vor dessen geregeltem, scharfem Feuer verstummten am Ende auch ihre blinden Schüsse, und Mädeli stund da, wie eine zürnende Königin, mitten unter ihnen, ohne Krone freilich auf dem Haupte, ohne Scepter in der Hand, aber mit dem Scepter im Munde, mit der Krone in den Augen. Sie frage, so schloß sie: ob sie jetzt thun wollten, wie billig und recht? Wollten sie das nicht, dann gut, dann möchten sie auch erfahren, was wir könnten und welche Rechnung wir machten. Zuerst begann der Götti sich zu entschuldigen. Er hätte nicht gewußt, wie es wäre; wir hätten nichts gesagt und da hätte er geglaubt, die andern hätten auch etwas recht. Aber er begehre nichts Ungerechtes; was unser sei, sollten wir nur sagen, und auch, wenn wir etwas Weiteres hätten — er für ihn begehre nichts, weder was recht sei. Auch der andere Bruder sagte: er lasse sich dann nicht sagen, daß er ein Betrieger sei, und man hätte ja gesehen, daß wir des Vaters Sache unter der unsrigen hätten, und da könnte einem doch allerlei in Sinn kommen; aber er für seinen Teil begehre auch nicht mehr, als was ihm von Rechtes wegen zukomme. Die Weibsbilder sagten: was recht sei, sei recht; und was sie gesehen hätten, hätten sie gesehen; und daneben sollten wir zusehen, was wir machten; für die, wo Witwen und Waisen b‘schyße, syg de e Tüfel da. Mädeli sagte: da heig es nüt z‘förchte; aber er syg o für die da, wo nume näh welle u nüt gäh. We si jetz im Friede teile welle, su chönne si; wo aber nit, su sölle si nume gah u mache, was st chönne. Aber stryte well es hüt nimme mit-ne; dr Vater würd si no im Grab umchehre, wenn er wüßti, wi‘s gangi u wie si‘s ihm machte. Er heig ihm mängisch gseit, we-n-r ihns nit hätt, er wüßt nit, was afah, u es werd mr no einisch vergulte werde; »aber daß dr so wüest thue werdet, dara het er nit däicht.«

Nach langem Hin- und Herreden, nachdem jedes Stücklein siebenmal zur Hand genommen worden, nachdem Mädeli sübenmal mit der Rechnung gedroht, sagten sie endlich: ihretwegen könnten wir alles nehmen; aber wenn wir noch mehr von ihnen wollten, so könnten wir sie ansuchen. Wir seien schlechte Leute, ihnen es so zu machen, armen Waisen. Wenn sie gewußt hätten, daß das so gehen sollte, so hätten sie den Alten auch nehmen können. Am meisten belferten die Weiber und wollten nicht ohne zu erben fort. Mit diesem Gedanken waren sie hergekommen und sie gehörten zu den Weibern, die, was sie sich einmal in den Kopf gesetzt, nicht in den Füßen haben. Die Männer begriffen weit schneller den Stand der Dinge und suchten nur fortzukommen, ohne etwas zu zahlen, während die Weiber nicht abgeben wollten, sondern mit den männlichen Erben zu zanken begannen, daß sie die leydiste Sch. ßhüng syge, so fort zu gehen wie dMüs us ere Chile. Aber sie gingen am Ende doch so fort und nahmen doch viel mit sich: Groll, Haß, das quälende Mißtrauen, betrogen zu sein, die Qualen derer, die engen, eigennützigen Herzens sind, die traurigen Zeugen, daß solchen auch die Armut zur Unseligkeit dienen muß.

 

Sie ließen uns nichts weiters zurück als den Grümpel, und doch viel — unendlich matte, wüste Köpfe, den Schmerz, mißkannt, die Wehthat, grollend von Verwandten geschieden zu sein. Mädeli brach ordentlich zusammen aus seiner künstlichen Spannung und jammerte, was ich doch alles seinetwegen ertragen müßte. Wenn es ihm nicht wegen mir und dem Kinde gewesen wäre, so hätte es alles ertragen können. Aber da habe es müssen reden; es sei in ihns gefahren wie Feuer und hätte ihns gedünkt, es fürchte die ganze Welt nicht und es könnte und dürfte einem jeden sagen, was er wert sei. Ich konnte ihm meine Bewunderung nicht versagen; ich selbst hätte angefangen es zu fürchten, und es sei mir lieber, wenn es ihns nicht alle Tage so ankäme. In diesem Betragen lag der Trost für die erlittene Mißhandlung für uns beide. Mädeli hatte das Bewußtsein, viel gethan zu haben, und ich einen neuen Fund gemacht an meinem Weibe. Ich wußte bereits, daß es Kraft zum Tragen hatte; aber seine Entschlossenheit zum Handeln, wo die Not an Mann trittet, die hatte ich erst heute bei ihm bemerkt. Kraft hatten wir auch nötig zu unseren Schulden, die wir nicht alsobald bezahlen konnten, im Gegenteil der Gefahr ausgesetzt waren, noch neue machen zu müssen. Doch ging das besser als wir dachten. Der rote Schaden regierte im Dorfe ziemlich gefährlich, so daß ich manches Leichengebet halten mußte, und die dafür erhaltenen Emolumente halfen mir diesmal so ziemlich aus der Not. Weiß Gott, daß ich mich keines Todes freute, noch weniger ihn ersehnte, daß ich es nicht hatte wie jene Totengräbersfrau, welche den Schuldnern ihres Mannes nachlief und ihnen sagte, es komme eine grusame Krankheit, wo mehr als die halben Menschen daran stürben. Es seien aparti Herren gekommen und hätten befohlen, daß man apartigi Kirchhöfe bereit halte. Bis dahin sollten sie doch mit ihren Anforderungen Geduld haben; da habe dann, Gottlob, ihr Mann einmal recht zu verdienen und dann wollten sie alle bezahlen. Wahrscheinlich wenigstens die, welche noch lebten. Nein, so war es nicht bei nur. Aber daß ich die 7 ½ Btz. ungern genommen, mich lange gewehrt, wenn man mir mehr gab, oder Fleisch oder Brot weggewiesen hätte, wenn es mir jemand zuschickte, das könnte ich nicht sagen.

Siebenzehntes Kapitel. Wieder eine Kindbetti, wieder ein Tod, aber diesmal ohne Teilung

Glücklich erhielten wir wieder ein Mädchen. Wir meinten wohl, es gleiche dem seligen auf ein Haar; aber die andern Weiber wollten es nicht haben. Sie sagten, das Gestorbene hätte ganz andere Augen gehabt, sogenannte Totenaugen; Kinder mit solchen Augen lebten nie. Wir sagten oft vom Vater, wie der Freude hätte an der Kleinen, wenn er noch lebte, und doch mußten wir allemal sagen, es sei ein rechtes Glück, daß er habe sterben können; denn wir wüßten gar nicht, wie sein, wenn er noch da wäre. Es hütete uns nun aber niemand den wilden Knaben, wenn mein Weib mit dem andern Kinde zu thun hatte. Ich wollte ihn daher mit in die Schule nehmen. Er war gar gerne dort; entweder spazierte er herum mit seiner Rute, oder aber es stritten sich die Mädchen um ihn, neben welchem er sitzen dürfe, und der Mutter war er auf so lange ab. Allein sobald Mädeli das merkte, wollte es es nicht mehr thun. Das sei nichts, sagte es; was ich sagen würde, wenn auch andere Leute ihre Kinder z‘gaumen senden würden in die Schule, und andere Leute hätten so viel Recht dazu als der Schulmeister und es manchmal noch nötiger. Ja, wenn viele Kinder kämen, meinte ich; allein das komme den Leuten nicht in Sinn. Und so ein Kind störe gar nicht und andere Schulmeister thäten es auch. Erst letzthin sei ich an ein Ort gekommen, wo zwei kleine Schulmeisterskinder in der Stube herumgelaufen wären. Die hätten Gesichter gehabt, in denen man das Weiße im Auge kaum hätte erkennen können, Schnudernasen wie ehemals die Hessen Zöpfe, das eine gebrüllt, wie wenn es am Spieße stecken würde, das andere drein geschlagen mit seiner Rute, daß alle die Köpfe hätten weghalten müssen. Da hätte es mir selbst gruset, und so möchte ich nicht, daß es gehe. Aber unser Peterli sei so sauber, manierlich, still, daß ich meine rechte Freude an ihm hätte; es dunk mi fry, er wüß scho, was Schuelha syg und er mach manchmal, wie wenn er es selbst könnte. Aber Mädeli war unbarmherzig: sie wäre nicht ungerne zuweilen den Buben ab; allein sie wisse gar wohl, wie es mit sellige Kindern sei. Das müsse sie niemand brichten, daß sie nicht störten; wer mit ihnen sich abgebe, lerne doch gewiß nicht, und wenn so ein klein Kind in der Stube herumlaufe, so sehen die meisten doch sicher mehr auf das Kind als auf das Buch. Und dann wisse sie gar wohl, was die Eltern zu Hause sagen darüber und wie ungern sie es hätten. Sie schickten ihre Kinder nicht in die Schule, damit sie dort Kindermeitscheni würden; wenn‘s denn gaumet sein müsse, so hätten sie ihnen zu Hause zu gaumen genug. Mädeli wurde mir wieder Meister hier und manche Schulmeisterin wird denken: Nei, bim Tusig, e sellige Göhl bi-n-i nit; i bi froh, we si mr dänne chöme, u de we si i dSchuel wei, su cha me se nit ebha; es gab es Brüel, daß niemere drbt si möcht. Mein Mädeli war aber eben keine Schulmeisterin, die meinte, der Mann sei nur um ihretwillen da und ebenso auch die Schule, und keine Mutter, die meinte, man müsse die Kinder alles zwängen lassen, nur damit sie nicht brüllen, nicht bedenken, daß, je zwängischer sie werden, sie auch desto mehr brüllen. Mädeli war darin gescheuter, nicht nur als manche Schulmeisterin, sondern auch als mancher Schulmeister und namentlich als ich.

Freilich hatte es dabei böser, wie man sagt; aber deswegen machte es nie ein jammerhaft Gesicht, wußte allem zu thun; es war eine rechte Freude, wie es sich kehrte und wie es ihm von den Händen ging. Und wenn ich es bedauerte, klagte, es könne doch nicht alles machen und es immer aushalten, um so hinten ume Peterli eine Stunde in die Schule zu kriegen, so wollte es es gar nicht haben, daß es ihm bös ginge. Es möge das gar saust machen, sagte es dann; man sei doch auch für etwas in der Welt und müsse nicht meinen, daß das einen Tag gehen solle wie den andern, alles in gleichem Plamp; es. gebe allenthalben bald mehr, bald minder zu thun: da müsse man sich darein zu schicken wissen. Gut haben, das könne bald ein jeder Narr, wenn er dazu käme; aber sich zu rühren in der rechten Zeit, das sei eine Kunst für gescheute Leute. Die und jene hätte noch viel böser als es; es begreife wirklich nicht, wie sie es machen könnten, und doch gehe es. Es müßte sich also schämen, wenn es das Mindere nicht machen könnte und nicht gerne machen würde. Man sollte glauben, auf solche salomonische Reden hätte ich geschwiegen. Aber nein, denn die Männer sind im ganzen kreuzdumm. Ich machte es aufmerksam auf die, die es besser hatten, die z. B. eine Kindermagd vermochten, und sagte: es solle doch sehen, die hätte ja eine Kindermagd und wenn sie es ohne eine solche würde machen können, so würde sie keiner den Lohn geben. Und wenn die nicht alles machen könne, so wüßte ich gar nicht, warum es Mädeli dann sollte machen können. Schwernot! wie froh wäre mancher Mann, wenn seine Frau sich immer mit denen vergliche, die es böser haben als sie, die minder haben als sie, die nötlicher thun müssen als sie! Wie froh wäre er, wenn er nicht alle Tage sagen müßte: Aber lue doch Frau, die und die hei‘s o nit; die und die chönne‘s auch ohne das machen; die und die hei no viel meh uf-ne u si doch z‘weg dabei. Wie glücklich wäre mancher Mann, wenn seine Frau sich immer mit denen vergliche, deren Vergleichung ihr eine Mahnung zur Zufriedenheit mit ihrem Zustande würde, statt mit denen, die mehr oder Besseres haben, wenigstens äußerlich, wodurch eine beständige Unzufriedenheit erzeugt und genährt wird, die sich beständig über den armen Teufel von Mann ergießt. Diese große Tugend, deren Mangel manchen Mann ds Tüfels macht und zu dessen Abhilfe er gerne und manchmal auf den Knieen um Burdlef ume rutschen würde, begriff ich Esel nicht und wollte Mädeli sie vergiften. Und so eine Tugend ist ein gar zartes Wesen, besonders bei einer Frau; sie mag das Fingerle nicht erleiden. Aber glücklicherweise hatte ich mehr Glück als Verstand, d. h. ein Weib, dessen natürlicher Verstand ihm sagte, wann es ihm wöhler sei, ob zufrieden oder unzufrieden, und was es zufriedener mache, wenn es sich mit Leuten, die es böser oder besser hätten, vergleiche, und daß es in der Welt nicht alle Leute gleich haben könnten, und daß gar manche Leute, die es am besten zu haben scheinen, eine geheime Bürde tragen, die nicht einmal ein Spittler aus dem Emmenthal mit einem Finger berühren möchte. Mein Weibchen hatte ein sicheres Gefühl, was zu seinem Frieden diene, und sein Verstand und Gefühl lachten mir dann ins Gesicht und sagten: ich solle mich doch um solche Dinge nicht kümmern und froh sein, wenn es alles machen möge; es könnten noch Zeiten kommen, wo wir es noch viel böser hätten und auf solche müßten wir uns zur rechten Zeit vorbereiten. Sorgen und angsten wollen wir nicht; aber es sei doch gut, wenn man für alles z‘weg und grüstet sei zur rechten Zeit. Es war auch, als ob der Geist der Weissagung aus meiner Frau geredet hätte.

Wir hatten noch nicht gar lange unserer beiden Kinder uns gefreut im Frieden und in der Liebe, als ich Bescheid erhielt, mein Vater sei sehr krank, und wenn ich ihn noch sehen wolle, so müsse ich pressieren.

Den Auftrag hatte der Überbringer, ein wanderender Hühnerträger, schon vor einigen Tagen erhalten; um so mehr pressierte es. Gleich nach vollendeter Schule wollte ich wandern und Mädeli machte mir eben noch ein Kaffee z‘weg, als ein zweiter Bericht mir den Tod ansagte und den Begräbnistag.

Ich muß sagen, das that mir weh. Des Vaters kummervollen Blick, seine schweren Seufzer, als wir ihn das letzte Mal verließen, konnte ich gar nicht vergessen. Ich machte mir nun recht schwere Vorwürfe, daß ich sie so lange vergessen, daß vielleicht mein Vater aus Kummer und im Elend gestorben sei, daß ich ihm hätte helfen sollen. Dann fragte der Verstand: wie? Ich hatte ja selbst mit mir zu thun genug gehabt und nur mit der äußersten Not der Schulden mich erwehren können.

Das ist eben traurig, wenn man helfen möchte, helfen sollte und nicht helfen kann. Und das thut eben weh, wenn man im Bewußtsein seines Unvermögens in seinem Gedächtnis die Personen, denen man helfen sollte und helfen möchte, und ihre Umstände gleichsam verschleiert hat, um nicht immer das Wehthun seines Unvermögens zu fühlen, und dann ein Begebnis den Schleier uns plötzlich wegreißt und, die Not und das Elend aus der Finsternis plötzlich ins Licht stellend, um so greller es uns zeigt. Um meinem Vater zu helfen, konnte ich Mädelis Vater nicht verstoßen; er war auch mein Vater geworden; er hatte kein Heimet, keine Frau, war also der Hülfe am bedürftigsten. Ich fand mich in meinem Herzen dazu verpflichtet und nie in Sinn kam es mir, Mädeli vorzuhalten, was ich für seinen Vater thue und was ich für meinen nicht thun könne. Was mein war, war sein, und das Seine mein. Zwischen unsern Leuten machten wir keinen Unterschied, betrachteten sie nicht als zwei gegenüberstehende Partien, und allemal freute es mich, wenn ich meinem Schwäher etwas zu lieb thun konnte; wußte ich doch, Mädeli empfing es, als hätte ich es ihm gethan. Aber nun that es mir doch weh, daß ich nicht auch dort hatte helfen können; und mein Weibchen, das mich nicht nur verstund, sondern gleichsam fühlte, jammerte laut, daß ich doch recht nicht zürnen sollte über ihns und seine Leute, daß ich so viel ihretwegen hätte; es wolle es mir zu vergelten suchen sein Leben lang. O, es ist doch schön, reich zu sein und nie in den Fall zu kommen, helfen zu sollen und nicht zu können! Aber gar viele Reiche fühlen ihr Glück, helfen zu können, nicht; sie fühlen nur den Ärger, helfen zu sollen und nicht helfen zu mögen. Es ist recht merkwürdig zu achten, wie gewandt Reiche im Auffinden von Gründen sind, um sich vom Helfen zu entbinden, wie sie ihren harten Sinn bald in Unwissenheit, bald in Systeme verhüllen, und wie sie dann verlegen werden, wenn man ihnen, durch Unwissenheit und System hindurch, unverschämt auf den Leib rückt!

Wie doch die Gänge im Menschenleben verschieden sind und in welch verschiedenen Lagen und Stimmungen der Mensch die gleichen Gänge macht! Das letzte Mal war ich den ersten Gang mit meiner Braut gegangen auf diesem Wege an heiterem Frühlingstage heiter und froh; nun ging ich zum letzten Gange mit meinem Vater an einem finstern Wintertage, finster im Gemüte. Finstere Gemüter traf ich auch in unserer Hütte. Der Bruder schaltete barsch und roh, die Mutter weinte viel, die Schwestern hatten verwahrloste Gesichter und freche Augen. Alle waren von kurzen Worten. Auf alle meine Fragen erhielt ich wenig Bescheid, bis eine meiner Schwestern endlich sagte: wenn es mich Wunder genommen hätte, so wäre ich wohl früher gekommen. Niemand nahm sich die Mühe, auf meine Entschuldigungen zu achten.

 

Ach! ich sah den Vater noch einmal, als ich ihn in den Sarg mußte legen helfen. Er sah so klein und spitz und blaß aus, als ob er nichts als ein Seufzer wäre über das menschliche Elend, eine verkörperte Klage über die Trüglichkeit aller menschlichen Träume. Denn was hatte der Vater alles geträumt und wie war alles geworden! Ach, die Menschen kennen selten die Brücke, über welche Träume müssen, wenn sie ins Leben kommen sollen; darum sollte allen, die sie nicht kennen, das Träumen verboten werden. Der Vater selbst war schon fast vergessen im Hause und verschollen in der Gemeinde, als man seinen sterblichen Teil zu Grabe senkte. Vielleicht noch an einem Donnstag oder Dienstag erinnerte sich einer auf dem Wege oder in einer Pinte des alten Käfer, frug nach ihm oder wußte dies und das von ihm. Aber noch war wohl kaum die Grasdecke über seinem Grabe dick und fest, als auch die letzten Töne seines Andenkens unter den Menschen verklungen sein mochten.

So war der alte Weber im Boden und doch wob der alte Weber auf Erden an der Zetti fort, die er aufgespannt hatte. Es meinen die Menschen, wenn des Menschen Stimme verhallt sei, wenn sein Fuß im Grabe ruhe, so sei sein Leben zu Ende, sein Wirken abgeschnitten. Die Kurzsichtigen! Seine Worte, vielleicht 40 jährige Worte hallen fort in der Welt der Geister; sein Wirken spinnt seine Faden fort und fort durch das große Gewühl dieser Erde; es webt der Weber fort und fort unsichtbar auf seinem unsichtbaren Webstuhle, den er in den Herzen derer aufgeschlagen hat, die mit ihm lebten. So weben nicht nur fort die, welche man große Geister, ihren Namen unsterblich nennt; so leben alle fort, welche mit andern Menschen Umgang gepflogen: der Bettler, der vor den Thüren lebte, und die arme Spinnerin, die Kuder spann ihr Leben lang. So leben fort die Mütter, welche Kinder zeugten, die Väter, welche den Kindern voranwandelten. Jedes Wort, das hineinfällt in den großen Weltenacker, jede Handlung, die auch nur die kleinste Bewegung erzeugte im großen Gewühle, beide leben fort, sterben nimmer. Sie bringen ihre Früchte und die Früchte wieder ihre Früchte, und die Früchte sterben nimmer aus. Dieses unsichtbare Gewebe sehen wir nicht, das Anschwellen der Ansaat bemerken wir nicht, die unsichtbaren Weber sehen wir nicht, kennen wir nicht. Wenn wir schon aus den Billionen Webern heraus einige Dutzend zu nennen wissen, was ist das? Aber erkennen wohl einst die Weber selbst ihr Gewebe, können wohl ihre geschärften Augen ihre eigenen Faden verfolgen durch das unendliche, tausendjährige Geflecht! Und wie wäre es, wenn uns im Tode unsere Augen aufgethan werden, und wenn wir nun zuschauen können und müssen, wie unsere Worte und Thaten fortwuchern, wie sie von Herzen zu Herzen gehen, vielleicht von Weltteil zu Weltteil, wie sie vergiften und heilen? Wenn wir so zusehen und zittern müssen vor den unermeßlichen Schwingungen, zu denen wir den Anstoß gegeben, die freilich keine Throne der Welt umstürzen, aber doch vielleicht den Thron Gottes in dem Herzen des Menschen, liebe Leute! wie muß uns da zu Mute sein? Muß uns da der alte Webstuhl, auf dem wir so sorglos oder so anmaßlich gesessen, nicht feurig werden unter dem Gsäß? Muß er uns nicht ein feuriger Wagen scheinen, auf dem wir aber nicht gen Himmel, sondern direkt zur Hölle fahren?

Solche Gedanken flatterten damals freilich nicht durch meine Seele, als man meinen Vater begrub. Damals stund vor meinen Augen sein dünnes, weißes Gesicht und in meinem Herzen regte sich die Trauer um seinen Jammer und sein Scheiden, ehe ich kindlich seinen Jammer zu stillen versucht. Das verscheuchte mir die Gedanken ans Erben, und ein Vorgesetzter, der mich vom Kirchhof begleitete, verhinderte, daß sie nicht hinten drein kamen. Der erzählte mir, wie es in der letzten Zeit gar bös gegangen sei daheim. Mein Bruder sei den Eltern Meister geworden und habe nichts verdient und viel gebraucht. Anfangs hätten die Eltern nichts an ihm gesehen, später hatten sie es gerne geändert; aber da sei es zu spät gewesen; dr Stercher syg emel geng Meister. So seien viel Zinse aufgelaufen, seien laufende Schulden, man wisse nicht wieviel, und es sei die größte Frag: ob man es ebha mög. Wenn ich etwa Geld hätte, um allem zu begegnen, so wäre es vielleicht eine Möglichkeit, daß ich einen Geltstag erwehren könnte. Es sei allweg es styfs Heimet, aber das Haus nichts mehr wert freilich.

Aber ich hatte kein Geld dazu und konnte nur bitten, daß man so wenig Kosten mache als möglich, und daß man suche, der Mutter etwas zu retten, wenigstens einen Aufenthalt im Hause, und daß man doch ja den Amtsgerichtschreiber keinen Geltstag erzwingen lasse. So ging ich ohne Erbe heim und auch ohne Zank, und Mädeli sah mich auch nicht sauer an, daß ich ohne Erbe kam; aber ohne Erbe sollte ich nicht bleiben.