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Leiden und Freuden eines Schulmeisters

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Fünfzehntes Kapitel. Wie die Leute den lieben Gott kennen!

Als es Morgen ward, kamen Weiber zu uns, die gehört hatten, unser Kind werde sterben. Sie brachten allerlei mit, dem Kind und der Mutter zur Labung; denn in solchen Fällen reut ein weiß Brötchen oder eine Zupfe oder ein halb Pfund Kaffee eine Bäurin nicht.

»Du hast doch recht,» sagte eins der Weiber zu meiner Frau, »thust du nicht so wüst und nötli, wie menge Göhl. Dem Kind ist es wohl gegangen; es ist manchem ab.» — »Ja,» sagte eine andere mit bedenklichem Gesichte, »wenn es nur wegen dem wäre, so hättist recht; aber es ist noch wegen etwas anderem. Wenn es nur getauft gewesen wäre, so wollte ich nichts sagen; aber so ungetauft kann mich das Kind doch erbarmen; denn kein Mensch weiß jetzt, wie es ihm geht,» — »Ja, du hast recht,» sagte die erste, »an das habe ich gar nicht gsinnet. Es sind mir auch vier Kinder gestorben, Gottlob! aber Gottlob keins vor der Taufe. Ich glaube, ich hätte mich hintersinnet. Em liebe Gott ma me se wohl gönne, aber em Tüfel ne nadisch Bott nit; vor dem gruset‘s mr, u we-n-i zweu Doze Ching müeßt bhalte. Mi seyt zwar, sie chöme nit i di hingeristi Höll; aber es wird vornache o no heiß gnue sy. Die arme Tröpf!»

Das stieg mir gewaltig zu Gemüte. Diesen Glauben, der noch allgemein aus der alten Katholizität her verbreitet ist, daß alle Kinder, welche nicht getauft stürben, verdammt würden, kannte ich gar wohl; ich hatte aber nie darüber nachgedacht. Ich hatte wohl einmal gelesen, daß der weichherzige bekannte Stilling sich ihrer angenommen hätte, indem er in seinen Geistererscheinungen die Jungfrau Maria unter diese Kinder als Lehrgotte versetzte, um sie auf den Himmel gehörig vorzubereiten. Als es nun aber mein eigen Kind betraf, da ging es mir tief zu Herzen. Ich bebte vor dem Gedanken, daß ein holdselig Wesen in des Teufels Gewalt gekommen sein sollte; aber Widerlegung mußte ich keine. Es war so angenommen, und nach Gründen frägt man bei angenommenen Dingen nicht. Ich lief die Stube auf und nieder und fühlte eine Beklemmung zum Schreien; aber mein Weib im Bette blieb ruhig. Als endlich die Weiber fort waren mit ihren sonderbaren Tröstungen, beugte ich das Haupt auf meines Weibes Bett nieder und begann zu schluchzen wie ein Kind. Mein Weib streichelte mir die Haare und wollte mich trösten, daß ja das Kind in seine Heimat gegangen und nur hergesandt worden sei, uns in unserm Glauben zu prüfen und zu befestigen. Ich konnte lange nicht antworten. Endlich rangen mir sich die Worte auf: »Aber wie cha is de es Ching Gott zuefüehre, we‘s selber ds Tüfels isch, wil‘s nit isch tauft worde?« Da richtete sich mein Weibchen im Bette auf und sagte mir: »Wie chast doch das glaube-n-u denke! Ich bin kein Schulmeister,« fuhr es fort, »ich weiß nicht, warum die Weiber so was sagten, und warum dieser Glaube ist. Allein ich habe das ganze N. Testament durchlesen und kein Sterbenswörtchen darin gefunden, daß ungetaufte Kinder nicht selig würden. Ich habe aber gefunden, daß Jesus sagte: man solle die Kinder nur zu ihm kommen lassen, denn ihnen gehöre das Himmelreich. Nun glaube ich der Bibel, und mit dem, was die Bibel nicht sagt, können die Leute mich nicht erschrecken. Und, Peter,« sagte Mädeli und nahm mich bei der Hand, »und wie kannst du glauben, daß unser Kind des Teufels sein sollte? Hast du es recht angesehen und seine lieben treuen Augen? Hast du gehört, was ich dir erzählt, wie ich diese Nacht gerungen und wie mir der liebe Gott so nahe gekommen, daß ich glaubte, ich sei a-n-ihm a, und daß es mir ist, als ob ich ihn noch jetzt im Herzen hätte? Nein, Peter, glaube doch solche Dinge nicht; ich empfinde in meinem Herzen, daß sie nicht wahr sind; ich habe in mir ein Zeugnis dagegen, das ich für göttlich achte, so gut als die Stimme meines Gewissens. Darum, mein liebes Mannli, weine nicht; tröste dich und freue dich, daß unser Kind bei Gott ist. Denn das ist es. Und laß uns trachten, daß wir nie weiter von Gott kommen, als dieses Kind ist, dann, glaube mir, fehlt uns die Seligkeit nicht. Nun gehe nur zum Pfarrer, es ihm anzugeben zur Begräbnis; mir ist fast so wohl, als es unserem Kinde ist; denn ich habe es in des Heilands Armen gesehen, und wo mein Fleisch und Blut ist, dahin glaube ich auch zu kommen.«

Mein Weib redete mir da wunderlicher als ein Pfarrer, und seine innige Überzeugung überwältigte mich auch; denn wahre Überzeugung, so recht von Herzensgrund ausgesprochen, überwältiget immer, und sehr oft auch der Schein davon.

Ich band ein schwarz Halstuch um und wanderte hin zum Pfarrer. Auf dem Wege stiegen mir meine eigenen Gedanken wieder auf und der alte Glaube fing wieder an zu streiten gegen meines Weibes übernächtigen Glauben, machte meinen Glauben unsicher, brachte mich dahin, zu glauben, meinem Weibe sei nicht recht im Kopfe; sonst hätte es ja den Heiland nicht gesehen, und die Weiber hätten doch recht. Von neuem kam die Angst in meine Seele und ich brachte sie recht groß zum Pfarrer, der mich um meinen Verlust bedauerte. »Ach,« sagte ich, »ich wollte mich darein ergeben, wenn es nur getauft worden wäre.« — »Warum?« sagte der Pfarrer. — »Ach, wenn es öppe jetzt nicht selig werden sollte!« »Glaubet ihr das auch?« fragte er. — »Aparti nit, aber die Weiber haben meiner Frau gar große Angst gemacht,« antwortete ich; mich schämend für mich, stieß ich mein Weib hinein; wie es übrigens noch mancher macht; die Weiber schieben auch häufig die Sachen auf ihre Mannen. Und wenn ein Weib sagt: My Ma wott‘s, my Ma het‘s gseit, my Ma het bifohle, so kann man darauf zählen, daß unter hundert wenigstens sechzigmal die Frau dahinter steckt. Der Pfarrer sagte: er könne doch nicht begreifen, daß die Leute so fest an einem alten Vorurteil hingen, das durchaus keinen Grund habe. Ich fragte: wie es dann möglich sei, daß so ein Vorurteil ohne Grund entstehen könne? Ich würde es gerne zum Trost meinem Weibe sagen. »Schulmeister,« sagte der Pfarrer, »die‘ Sach ist die. Die Juden glaubten daran, daß alle Heiden von bösen Geistern besessen seien; daher, wenn sie Heiden zu Proselyten machten, ließen sie dieselben untertauchen im Wasser, gleichsam als wenn die bösen Geister dadurch ersäuft würden. Jesus hatte nicht lange die Taufe als Sinnbild der innern immer fortdaurenden Reinigung befohlen, als der Glaube, der Mensch sei vor der Taufe vom Teufel besessen, sich einschlich, und weil bei seiner Taufe Jesus vom h. Geiste bewillkommt wurde, so glaubte man, es sei der heilige Geist, der ins Wasser komme, den Teufel eigentlich austreibe, das Inwendige des Menschen ganz rein mache, so daß er in diesem Augenblick ohne Sünde sei. Um dieses Glaubens willen ließen manche Leute sich nicht taufen bis zu ihrem Ende, um dann gleichsam frisch gewaschen ohne alle Sünde in den Himmel zu kommen und so den Himmel gewiß zu haben, während bei einer früheren Taufe spätere Sünden den Zugang leicht verschließen können. Aber man konnte unerwartet sterben ohne Taufe und blieb dann dem Teufel unabänderlich und unwiderruflich: am Schlagfluß z. B., wo viele Leute bei jedem Aussprechen des Wortes Schlagfluß hinzusetzen: Gott bhüet is drvor. Daher fing man an, früher zu taufen, so früh als möglich; denn der Gefahr des Sterbens war man vom ersten Tage an ausgesetzt. Man taufte also junge Kinder und das konnte man recht gut, ward ja im A. Testament auch die Beschneidung am achten Tage verrichtet und sagte Christus kein Wort, wie früh oder spät man taufen solle. Nach langem Streit wurde der neue Gebrauch allgemein; aber der alte Glaube, daß Ungetaufte des Teufels seien, blieb, blieb nicht nur unterm Volk, sondern ward auch Kirchenglauben, obgleich er durchaus keinen Grund in der Bibel hatte. So war z.B. in der Stadt Büren in der dortigen Kirche ein Muttergottesbild, von dem man behauptete, alle ungetauft gestorbenen Kinder würden in dessen Armen auf so lange wieder lebendig, daß ihnen das Sakrament der Taufe könne gegeben werden. Man kann denken, wie unendlich viele Kinder zu demselben gebracht wurden und wie viele Eltern weinten, als man es bei der Reformation verbrannte. Denn obgleich das Bild verbrannt wurde, blieb doch der alte Glauben. Es ist sonderbar, wie mancher Aberglauben der Vorzeit so fest den Leuten in den Köpfen sitzt, während so manche alte schöne Wahrheit nie in die Köpfe will. Habt ihr nie bemerkt, Schulmeister, daß, wenn euch eines Tages Kinder unrichtig antworten und ihr verbessert die Antwort, stellt das Rechte dar und ihr kommt morgen wieder und fragtet: was ihr gestern gehabt? die Kinder euch das Unrichtige repetieren als verhandelte Wahrheit und von der wirklichen nichts mehr wissen? Wenn man übrigens den Glauben der Menschen untersuchen würde, den Glauben, der auf ihr Leben eigentlich Einfluß hat, man würde da wunderliches Zeug finden; man würde finden, daß an diesem Glauben die Bibel den wenigsten Anteil hat. Dieser eigentliche kursierende Volksglauben wechselt etwas im Laufe der Zeiten, aber langsam, und wenn derselbe einmal mit dem Bibelglauben zusammentrifft, dann ist‘s gut; aber leider sind wir noch nicht da. Nein,« schloß der Pfarrer, »geht nur und sagt eurem Weibe: der Heiland, der sagte: Lasset die Kindlein zu mir kommen, denn ihnen gehört das Himmelreich, der Heiland, dem alle Gewalt gegeben ist auf Erden und im Himmel, der wird nicht Kinder lassen geboren werden und sterben, um sie dem Teufel in seine Klauen zu befördern. Ein solcher Glaube ist eigentlich Unsinn und Gotteslästerung, und wenn ich eure Frau sehe, so will ich ihr eins abkapiteln.«

Da bat ich, er solle ihr doch recht nicht sagen, daß ich ihm gesagt, sie glaube so etwas; sie würde es ungern haben; ich wolle sie jetzt schon trösten und ihr sagen, woher dieser Glaube käme.

Das sonderbare Übereinstimmen meiner Frau mit dem Pfarrer nahm mir die Angst, und andächtig brachte ich des andern Morgens früh die kleine Leiche, die wir vorher noch brünstig geküßt halten, dem Totengräber auf den Kirchhof. Derselbe hatte das kleine Gräbchen in der Dachtraufe gemacht und gar nicht tief. Ich frug ihn: warum er es gerade hier gemacht, wo es ihm mehr Mühe gegeben hätte. Er sah mich kurios an und sagte endlich: ich sei ja ein Schulmeister und werde das wohl wissen. Endlich, nachdem ich meine Unwissenheit augenscheinlich an Tag gelegt, dadurch aber nicht wenig an meinem Respekt eingebüßt hatte, sagte mir der weise Totengräber folgendes: je näher der Kirche man begraben werde, desto sicherer sei man vor den bösen Erdgeistern, und da ungetaufte Kinder nicht durch die Taufe vor ihnen geschützt würden, so thue man sie an die Kirche, um durch die Kirche selbst beschützt zu werden. Dann thue man sie ins Dachtrauf, damit sie noch hier getauft würden. Wenn nämlich der Pfarrer das Taufwasser bsegne, so werde alles Wasser in und an der Kirche zu Taufwasser (d. h. der h. Geist komme in dasselbe), so daß, wenn es einmal stark regne zu selber Zeit, so werde auch Regenwasser auf dem Dach Taufwasser, und wenn es nun Hinunterrinne und bis zu dem Kinde dringe, so werde das Kind im Boden so gut und gültig getauft, als das Kind in der Kirche.

 

Wie doch die Leute erfinderisch sind, dem Teufel die Menschen aus den Klauen zu reißen, wenn sie tot sind, und wie sorglos stürzen sie sich in seine Arme, so lange sie lebendig sind! Wie angst ist es ihnen um die Seligkeit anderer und wie schnöde spielen sie um die eigene! Freilich nicht mit Karten, wie jene berühmte Spielerin zu H., welche, als sie kein Geld mehr hatte, ihre Seligkeit einsetzte statt 6 Kreuzer und dieselbe auch richtig verlor; aber sie verganggeln sie mit Thaten und Worten gleichgültig und leichtsinnig. Wie angst ist es ihnen um ihre ungetauften Kinder und um ihre Seligkeit, und ihre getauften führen sie dann dem Teufel selbst zu durch Beispiel und Anreizung, durch Sorglosigkeit und Liederlichkeit! Sie blasen in ihnen das Böse eigenmäulig an und lachen dazu; »Es macht nüt, es macht nüt,« meinen sie, und wenn dann endlich die Flamme der Sünde über ihren Häuptern zusammenschlägt, so schreien sie Mordio: »Brönn nit, brönn nit!« Ihre toten Kinder soll der liebe Gott absolut haben; ihre lebendigen gehen ihn nichts an. Ihre toten Kinder sollen zunächst an die Kirche; ihre lebendigen halten sie schnöde und mutwillig davon zurück, fluchen dem Pfarrer, wenn er sie hineinbringen will, und sagen dem Schulmeister wüst, wenn er eine halbe Stunde länger Kinderlehre hat. So sind die Leute voll Widersprüche und woher kommen die wohl? Die kommen eben daher, daß der Aberglaube sie regiert und nicht der Glaube; daß Hirngespinste ihre Religion sind und die Wahrheit von ihnen ausgespuckt wird; daß sie alles glauben, nur nicht das, was von Gott kömmt. Und woher kömmt dieser verkehrte Sinn? Der kömmt daher, weil die Menschen thun wollen, was sie ankömmt, und nicht, was Gott will; weil sie beharren wollen im Ungehorsam und doch die Seligkeit nicht wollen fahren lassen. Sie wollen die Früchte von Jesu Leben und Tod; aber Früchte, die sich der Besserung geziemen, die wollen sie nicht bringen. Darum ersinnen sie so widersinniges und glauben so widersinniges. Aber was wird das einst für ein Erwachen sein aus solch selbstgemachtem Lug und Trug?

Sechzehntes Kapitel. Ein Tod und eine Teilung

Es war eine feierliche Stimmung in unsern Herzen. Auch in unserm Häuschen war es uns fast, als ob mir in der Kirche, als ob der Herr zu uns eingekehrt wäre. Eine unaussprechliche Gewalt zog mich näher zu meinem Weibchen, und zärtlicher fühlten und thaten wir nicht gegen einander in den verrufenen Flitterwochen; nur war in der Zärtlichkeit etwas gediegeneres und in unseren Gemütern klang etwas sonntäglicheres (ich weiß ihm keinen andern Namen zu geben) als anfangs. Unsere Liebe hatte sich im Feuer der Not bewährt und im Glauben geläutert und erhoben. Freilich stund ich da unendlich tief unter meinem Weibchen; aber eben das Gefühl, daß es in Glaubenskraft über mir stund, machte, daß ich mich um so fester an dasselbe schloß, mich an ihm hielt in den Stürmen, die über uns daher brausten. Da bewährte es sich gar herrlich, daß alle Dinge denen, die Gott lieben, zur Seligkeit dienen müssen. Achtet euch in der Welt eines Ehepaares, das Gott nicht liebt, wo jedes im Grunde des Herzens nur sich selbsten liebt, wie da jedes Unglück trennend zwischen sie trittet, ihre Herzen spaltet und durch diese Spaltung jedem Unglück ein dreifach Gewicht gibt. Achtet auf ein solches Ehepaar, wenn Unglück kömmt, wenn Bedrängnis einreißt, wenn ein geliebtes Kind stirbt, wenn Krankheiten sich lagern über eins oder beide, wenn Hoffnungen auseinander gehn, Wünsche brennen und nicht gelöscht werden können, wie da die Herzen bloßgelegt werden und ans Tageslicht kömmt, was man unter künstlichem Flitter, zärtlichen Blicken, süßen Worten, artigen Mienen schlau verborgen hatte. Keines trägt die Bürde gerne; glaubt das andere Schuld an derselben; glaubt, wenn sie beide sich nicht zusammengefunden, so wäre auch dieses Unglück nicht, wäre man nicht in solcher Bedrängnis; schiebt die Bürde dem andern zum Tragen hin und schüttelt sich unwillig über seinen Teil, wird verdrießlich und ärgert sich über die Art und Weise, wie das andere trägt. Dann kömmt es vom Ärger zu ärgerlichen Worten und aus beiden bildet sich das Verhältnis heraus, das besteht zwischen einem Zügel und einem Pferdefuß, der übergesprungen ist. Es entsteht eine Reibung; beide leiden, und je größer das Leiden wird, desto stärker wird die Reibung; und je heftiger die Reibung wird, desto weniger ist an ein Loskommen zu denken, wenn nicht etwa der Zügel bricht. Und wenn auch der Zügel bricht, so hat man am Bein noch ein schweres Doktern. So ist jedes Unglück für jedes sündige Gemüt ein dreifaches Unglück.

Wer will es mir wehren, wenn ich behaupten will, jede Berührung der Außenwelt mit unserm Herzen erzeuge einen chemischen Prozeß, und je nach der Beschaffenheit des Herzens erzeugen sich in ihm bei dieser Berührung Dämpfe — Stimmungen, und je nach den Dämpfen ein Niederschlag — Worte und Thaten? An diesen Dämpfen und diesem Niederschlage eben erkennt der Mensch, wes Geistes Kind er ist. — Ist das Herz ein verdorbenes, und welche sind es eigentlich nicht? so steigt bei der Berührung verdorbenes auf, zur Plage des Menschen, wie verdorbene Kinder eine Qual der Eltern sind; und diese Plage ist die Geisel, die zur Erkenntnis bringen, den Star stechen, den Menschen dahin bringen soll, daß er sein Herz zu heilen sucht. Zu dieser Heilung sind Heilmittel da, und sobald das Herz zu heilen beginnt, sobald es Gott über alles und den Nächsten als sich selbst zu lieben beginnt und sich nicht mehr zum eignen Herrgott macht, entstehen aus seiner Berührung mit der Außenwelt — andere Dämpfe, ein anderer Niederschlag. Was auch aus der Außenwelt das Herz berühren mag, je liebender das Herz wird, je süßer und lieblicher werden die Dämpfe, desto fruchtbarer und segensreicher der Niederschlag; ja, je härter die Außenwelt an das Herz schlägt, desto hellere Funken sprüht die Liebe, desto inniger werden die Stimmungen, desto herzlicher jede Äußerung in Thal und Wort. Die Heilung trägt in sich selbst den Lohn und gibt glücklichere Stimmungen und glücklichere Verhältnisse und als größtes Glück die merkwürdige Umwandlung, daß fortan Glück und Unglück, kurz, alles, was aus Gottes Hand kömmt und das menschliche Herz berührt, heiligend auf dasselbe einwirkt, statt, wie früher, als Versuchung verführend und sündigend; daß also in eigentlichem Sinne des Wortes alles zu seiner Seligkeit dienen muß. Wer ein Esel ist, wird mich um dieser Bilder willen als ein Materialist verschreien. Wer etwas witziger ist, aber doch nicht witziger, als halbwitzig, der wird diese Zeilen lesen, sie aber nicht begreifen, und nicht begreifen, daß er sie nicht begreift, oder gar wie eine gewisse Frau von einer gewissen Predigt sagen: Das berlinerlet afange. Wer aber ganz witzig ist, wird auf das allerwenigste die Bemühung nicht mißkennen, etwas recht anschaulich zu machen, was die meisten Menschen nicht verstehen und doch alle verstehen sollten: nämlich das Verhältnis unseres Herzens zur Außenwelt, und die Art und Weise, wie beide ihre Kinder zeugen und was für Kinder.

Mein Weibchen und ich plauderten nun gar oft von ernsten Wichtigeren Dingen zusammen; es war, als ob uns ein Blatt vor dem Munde weggefallen wäre. Ob diesen Reden versäumten wir unsere Arbeit nicht; das kleinste wurde um so treulicher Verrichtet. Aber diese Reden verhüteten, daß wir nicht kleinlichten unbedeutenden Dingen, Zufällen u. s. w. eine Wichtigkeit beilegten, die sie nicht hatten, eine Wirkung auf uns, die mit ihrem Werte in keinem Verhältnis stund, ihnen nicht gestatteten. Es muß jeder Mensch wichtige, wichtigere und wichtigste Dinge haben; jeder Mensch hat etwas, auf das er besonder Gewicht legt, dem er einen eigenen Einfluß auf sich gestattet und dem er anderes unterordnet. Nimmt der Mensch nun nichts an sich wichtiges in sich auf, so erhebt er eine Lumperei auf den Thron und betet sie an: eine Frau die Schweine, eine andere den Kopfputz, eine dritte die Fehler des Nächsten, eine vierte die Mägde und eine fünfte ihre Nerven; ebenso von den Männern die einen ihre magern Acker und die andern ihre dumme Person, die dritten (besonders die Diplomaten) das Essen, die vierten das Geld und die fünften ihren Stammbaum, dessen Ende man aber ohne langes Steigen in einem Schwefelholzlädelchen oder in einem Rebhäuschen finden möchte. Es achten darauf wenige Menschen; darum findet man ein so kleinlichtes Treiben in der Welt, so eng eingeschrumpfte Herzen, eine so arge Abgötterei, daß einem die Haare zu Berge stehen möchten. Das ist aber auch eine Kunst, die weder im Hopfenkranz noch von irgend einer Hopfenstange gelehrt wird, im kleinsten getreu zu sein und das höchste im Herzen zu tragen. Wir hatten einen solchen Anker, der uns oben erhielt, aber nötig; denn wir erfuhren die Wahrheit des Sprichwortes, daß selten ein Unglück allein kömmt und daß es dem Hiob nur gegangen, wie vielen andern Menschen auch. Kaum hatte sich der Schmerz um unser Mädchen verklärt zu einem wehmütigen, freundlichen Andenken, als Mädelis Vater zu kränkeln begann. Er klagte häufig über Schwindel und Mattigkeit. Man gab ihm an, ein gutes Glas roter Wein sei gut dafür. Eines Morgens setzte er sich auf sein Schuhmacherstühlchen und wollte unserm Kleinen einen Schuh sticken. Kaum hatte er den Leisten im Schuh und beugte sich auf seine Arbeit, so fiel er kopfüber in die Stube hin. Der Kleine, der ihm zugesehen hatte, erhob ein mörderlich Geschrei, und wir beide, die draußen gewesen waren, stürzten hinein und fanden den Vater bewußtlos am Boden. Mit Mühe brachten wir ihn auf das Bett und wieder zu sich; aber reden konnte er nicht mehr, der Schlag hatte ihn getroffen. Der Arzt ließ ihm zu Ader, verordnete Einreibungen; das schwindende Leben wurde festgehalten, allein der Glieder Gebrauch blieb verloren. Von ganzem Herzen willig thaten wir, was wir konnten, zügelten selbst ins Gaden hinauf, warteten ihm ab und verschafften ihm das Notwendige, was er brauchen konnte, in Speise und Trank. Auch wurde dem Kranknen, nach der Sitte in einigen Gegenden, viel gekramet, was uns einigermaßen Erleichterung verschaffte. Es ist dies eine sehr schöne Sitte; wenn der Krankne nur nicht damit oft eine Fülle von Dingen erhielte, welche im höchsten Grade schädlich sind. Wenn ein kranknes Kind z. B. neun Lebkuchen auf seinem Bette liegen hat, so kann man sich abklavieren, wie bald es gesund werden wird.

Und wie man solche Krankenbesuche sich zu Nutzen machen kann, mag man aus folgendem Beispiel lernen. Ein schlauer Fuchs, der sein Leben mit Kniffen zugebracht und eines jeglichen Schwäche zu benutzen wußte, lag schwer krank, so daß man ans Sterben dachte und er selbst auch. Aber ein Mohr ändert seine Farbe nicht. Ein ehrlich einfältig Bäuerlein besuchte ihn auch. Der Sterbende dankte gar schön, rühmte die Teilnahme der Menschen und wie viele ihn besuchen thäten. Wenn er wieder z‘weg kommen sollte, so wolle er keinen vergessen, sondern einem jeden daran denken. Und damit er keinen vergesse, habe er ein Gschrist z‘weg gemacht, wo jeder seinen Namen darein schreiben müsse; sie liege dort, er solle es auch thun. Das Bäuerlein, das wohl seinen Namen schreiben, aber keine Gschrift lesen, und wenn schon lesen, doch keine verstehen konnte, dachte bei sich schon an das schöne Geschenk, das er erhalten, oder an die Mahlzeit, an die er eingeladen werden könnte, und kratzte ohne Komplimente mühselig seinen Namen hin. Nach Jahren kam eine Schuldbekenntnis von 4000 Pfund zum Vorschein, in welcher das Bäuerlein mit seiner Unterschrift als Schuldner sich bekannt hatte. —

Wenn die Leute kamen und den Vater sahen, so war selten eins unter ihnen, das nicht sagte: »Dä macht‘s nimme lang, aber da geit‘s ihm guet u niemerem übel.« Das sagte man ganz ungeniert vor dem Kranknen, und recht grausig war es anzusehen, wenn er zu solchen Reden mit seinen starren verzogenen Augen die Leute ansah, ihnen zunickte und etwas röchelte. Mädeli weinte dann gewöhnlich; dann sagten ihm die Leute: »He du Göhl, plär doch nit; werche cha-n-er doch nümme, u ha cheut er ne o nit geng; we d‘ wieder es Ching muesch ha, wotsch de im Gade-n-obe chindbette?« Das wurde so mir nichts dir nichts verhandelt vor dem Kranknen.

 

Mir war es Angst wegen Mädeli, die in andern Umständen war, Tag und Nacht keine Ruhe hatte, die Haushaltung machen, die Pflanzungen besorgen sollte. Ich fürchtete, sie halte es nicht aus. Aber Gott gibt dem Menschen in der Not wunderbare Kräfte. Überhaupt liegen im Menschen viel mehr Kräfte, ein größeres Maß von Kräften und besonders eine weit größere Spannkraft, als man ahnet. Man gvätierlet im Grunde nur im Leben und mit dem Leben.

Nach ungefähr sechs Wochen widerholte sich der Schlagfluß und der liebe Gott rief den alten müden Meister zu sich. Es ist das Sterben so geheimnisreich und ahnungsvoll, daß auch die rohsten Menschen stille werden in einem Sterbezimmer, auf den Zehen gehen, den Atem leiser ziehen und nur reden in der höchsten Not. Es ist, als ob den Menschen ergreife das Wehen einer höheren Welt, als ob er fühle, diese Welt sei nahe getreten und ihre Geister walteten unsichtbar um ihn herum, lösten den verwandten Geist aus der sterblichen Hülle und führten ihn mit sich ihre Wege.

Eine Leiche hatte für mich etwas unendlich Schauerliches. Da liegt nun sie, die sterbliche Hülle, die Schale, dem Zerbrechen geweiht! Nun endlich wird man es inne, was der Leib eigentlich sei. Aber wenn man bedenkt, was diese sterbliche Hülle vorgestellt; wie sie sich selbst bargegebeu als etwas, während sie nichts war; wie viel sie bedeutet, als das thielische Leben in vollen Adern schlug; wenn man dann den eigenen Leib betrachtet und seine Ansprüche, und gedenket, daß er auch bald so liegen werde, eine abgestreifte Hülle, ein leer Futteral, ein werdend Staubhäufchen: dann bebt der Mensch in sich zusammen und beginnt zu denken an das, was in dieser leeren Hülle wohnte und in seiner noch wohnt, und welche Geister diesen Geist gelöst und seinen lösen werden, und wohin mit ihnen ziehen?

Es ist schauerlich eine Leiche zu berühren; mir läuft es dabei kalt den Rücken auf und heiß durch alle Glieder, und das Herz zuckt zusammen, als ob der Tod es bereits mit seiner eisigen Hand gefaßt hätte. Ich war daher meinem Weibchen eine schlechte Hülfe, und ein Glück für ihns war es, daß bei solchen Gelegenheiten die Nachbarsleute so aufwärtig sind. Ich hatte unterdessen auch viel zu laufen und Bescheid zu machen an alle Verwandten meiner Frau nach allen Seiten aus. Denn gar sehr zürnen würde es mancher, wenn er vergessen würde, und wenn er auch im dritten und vierten Gliede stünde.

Am Begräbnistag sah ich zum erstenmal Mädelis Geschwister alle bei einander; aber keines gefiel mir wie mein Weibchen. Sie waren auch gar kaltblütig und gleichgültig bei der Sache und gar trocken mit uns. Es ist doch ein gar ernster Gang, der Gang zum Grabe. Es scheint mir immer, als lauern im Kirchhofe eine Schar gewaltiger Gedanken auf jeden Leichenzug, die sich stürzen auf die Begleitenden und suchen, welches Herz sie erfassen mögen. Da lauert die Neue und suchet die unbarmherzigen, schnöden Herzen; da lauert die Angst auf die, welche einen Ankläger gegen sich begraben; da lauert das Grauen auf die, welche über die Gräber von Anklägern schreiten müssen; da lauert der Schrecken auf alle, welche am Zerdrücken von Herzen sind; es lauert auf die Stolzen das Gefühl ihrer Niedrigkeit, auf die Sinnlichen das Gefühl ihrer Vergänglichkeit, und auf alle ein fährt der kalte große Gedanke: ob sie etwa mit den eigenen Beinen auf dem eigenen Grabe stünden? Und hinter allen diesen Gedanken, die mit erschütternder Gewalt auf die Leichenzüge sich stürzen, kömmt leise, klingend in lieblich sanften Weisen, ein Lüftchen hergezogen und suchet nach liebenden Herzen, über welche jene Gedanken keine Macht haben, und an solche Herzen schmiegt es sich weich und leise, und flichtet dort aus den Thränen der Liebe ein strahlend Thor, das ins ewige Leben führt, und in süßen himmlischen Klängen singt das Lüftchen dem liebenden Herzen von der Auferstehung und dem Leben, von dem Widerfinden der Getreugebliebenen in des Vaters Freude.

Zu Hause bereitete uns jemand für die Verwandten das Offen; denn auch meine Frau geleitete, wie üblich, den Vater zu seiner Ruhestätte. Ich weiß eigentlich gar nicht, warum fast an allen Orten die Weiber ihre Kinder nicht auf ihrem ersten Ausgange zur Taufe geleiten, und warum sie wieder an vielen Orten die ihrigen nicht geleiten auf ihrem Heimgang. Haben sie etwa nicht nötig zu gedenken, daß fortan alle Wege, welche man das Kind trägt, führt und weiset, in Gott sich ausmünden sollen? Haben sie nicht nötig, ihrer Vergänglichkeit zu gedenken, von Zeit zu Zeit ihr Grab zu beschauen, zu bedenken, wie ihnen sein würde, wenn sie hinter dem Sarge ihres Gatten oder ihres Kindes gehen müßten, ob dann die Liebe ihre Trösterin oder die Reue und die Selbstanklage ihre Begleiterin wäre?

Schon auf dem Heimwege stichelte eines Bruders mitgekommene Frau von Teilen, und sie hätten expreß ein Wägelchen mitgenommen, um die ihnen zugefallenen Sachen mitzunehmen. Du mein Gott! Die Habseligkeiten des Begrabenen waren so dürftig, als man sich nur denken kann. Sein Bett war das beste daran, seine Kleider Bruchstücke, sein übriges Grümpel und das wenige Küchengeschirr hatte er uns allerdings zum brauchen gegeben. Mädeli und ich hatten nichts darüber geredet und Mädeli sicher auch nicht darüber gedacht. Mir hingegen war der Gedanke ans Erben gekommen, und ich glaube, es sei wirklich selten jemand, der, wenn ihm jemand stirbt, den er lieb hat, aber den er erbt, nicht auch ans Erben dächte, und sicher viele würden erschrecken, wenn vierzehn Tage nach Behändigung des Erbes die Beerbten wiederkämen. Der Vater hatte in den letztern Zeiten kein Tischgeld mehr geben können, und wir hatten nicht daran gedacht, die übrigen Geschwister oder die Gemeinde dafür anzugehen. In den letzten Wochen hatten wir große Unmuße mit ihm gehabt und auch Kosten, so daß wir wirklich geldlos waren und Fleisch und Wein für die Verwandten dem Wirt schuldig bleiben mußten.

Da hatte ich mir erstlich gedacht, seine übrigen Kinder würden gar nicht nach diesen Dingen fragen, von denen uns das Bett sehr wohl gekommen wäre; und zweitens war mir im Hintergrunde noch eine Hoffnung aufgedämmert: sie würden uns vielleicht noch etwas an unsere Auslagen geben. Solche Gedanken sind gewiß einem armen Ehemann, der Kindbetti halten muß und kein Geld hat, zu verzeihen. Könnte man in aller Menschen Köpfen alle eigennützigen, spekulativen Gedanken verfolgen, man würde ergrauen vor dem herzlosen, liebeleeren, scheußlichen, das vor unsern Augen sich aufwinden würde. Es ist ein Heil, daß wir das nicht können; unsere Augen würden erblinden, unsere Herzen würden verbluten, wenn anderer Gedanken uns offenbar, wenn wir fehen würden, wie manches Auge auf unfern Tod lauert. Der Gram würde wie ein Geier sich setzen auf unser Herz, das aber eben vielleicht ähnliche Gedanken und Gelüsten in sich wälzte. Was für Augen würden sich wohl die Menschen machen, wenn sie einander in die Seelen hineinschauen könnten, so gut als ins Gesicht? Der Schöpfer weiß wohl, warum er hier einen Vorhang gezogen hat.