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Leiden und Freuden eines Schulmeisters

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Je näher wir unserm Häuschen kamen, um so banger ward mir dennoch, trotz aller begegnenden Freundlichkeit. Ich hatte Mädelis Vater nicht eigentlich gelogen, hatte nicht aus unserm Heimwesen einen Baurenhof gemacht. Ich hatte es nicht gemacht wie jener Schelm, der seiner Braut gesagt hatte: die Sonne in B. sei seine. Als daraufhin die gute Braut in die Sonne zu B. auf die Gschaui gekommen, die Meisterschaft ergreifen, sich Kisten und Kasten öffnen lassen, dem ganzen Personal befehlen wollte, so glaubten die Wirtsleute, die Person sei verrückt. Nach einigen nicht verblümten Reden mußte endlich der Schalk bekennen, daß er unseres Herrgotts und unser aller Sonne gemeint, die zu B, auch seine sei, wie jedes andern Bürgers, und nicht das Wirtshaus zur Sonne. So hatte ich es nicht gemacht; aber im Scheine der Jugenderinnerung, in welchem alles einen größern Maßstab hat, und im Wunsche, mich recht angenehm zu machen, und im allgemeinen Drang, das eigene auszuschmücken, mochte doch manches schöner und größer geworden sein in meiner Erzählung, als es in der Wirklichkeit war. Ich ging daher immer langsamer, während Mädeli immer mehr pressierte. Es trug ein klein wenig gwundriges Herz mit sich, dachte vielleicht an eine kleine zu hoffende Ehesteuer. Wer mag sich solcher Hoffnung wohl erwehren? Es trug aber auch ein Herz voll Liebe und Freude den neuen Eltern entgegen, und solch ein Herz macht auch geschwinde Beine. So in ungleichem Schritt erreichten wir endlich unsere Umzäunung. Ach, wieviel hatte das alles sich noch verschlechtert! Die Bäume sahen aus so strub und vermieschet als möglich; das Land war noch gelb und grau, während an andern Orten alles grünte; und das Haus, Dach, Scheiben, kurz alles sah aus, wie wenn niemand da daheim wäre. Wir trafen die Mutter im Garten, der keinen Zaun mehr hatte. Auf unsern Gruß sah sie auf, sah uns lange an und sagte endlich: »Nimmt es di de o einisch Wunger, ob mr no lebe?« Sie reckte uns endlich die notdürftig abgewischte Hand, hieß uns in die Stube kommen, aber frug nicht, wer bei mir sei. Im Schopf schnefelte mein Bruder, ein großer derber Bursche; der sah uns spöttisch an und war noch einsilbiger als die Mutter. In der Stube stellte ich ihr meine Braut vor, die mit einfachen Worten bat: sie möchte sie für die Tochter halten, sie wolle sie für die rechte Mutter halten. Die Mutter meinte: es hätte mir nicht brauchen so zu pressieren, und Mädelin sagte sie: »Du hesch schint‘s o nit möge gwarte, bis e Ma gha hesch; du wirsch erfahre, was ds Hürate cha; me weiß nit, was e ledige Lyb wert isch, bis me ne nimme het. So het me‘s: we me alles a dChing ghänkt het, su laufe si vo eim u lö eim im Stich, we me se am mehrste mangleti.« Mädeli bat, sie solle doch nicht zürnen, u da heig es ere neuis gchramet. — Es hatt das ume chönne la blybe; es hatt‘s nit brucht. — Es syg nit dr wert, meinte Mädeli, es sng ume-n-es Zeiche. — »Je nu, so dankeigisch eineweg,« meinte die Mutter. Endlich kam aus dem Webkeller auch der Vater, bleich, hager und hustend. Er sah gar grämlich aus und klagte: wie er in seinen alten Tagen es viel böser hätte, als in den jungen, wie immer Leute da seien, wenn man zu fressen habe, aber niemand, um zu werchen. Über das ganze Haus und alle Gestalten war etwas unbeschreiblich ärmliches und verdrießliches verbreitet, und man mochte anpochen, wo man wollte, so sprang eine neue Quelle von Verdrießlichkeit auf.

Die Mutter machte ein Kaffee, und während dem Essen jammerte der Vater: er müsse nun seit dem Neujahr das Brot kaufen und die Kuh gehe schon lange gust, da bschüße kein Geld. Das war nicht um Appetit zu machen. Die Mutter, welche glauben mochte, des Vaters Klagen seien eine Art Vorwurf für sie über schlechte Haushaltung, warf ihm vor, daß er eine so schlechte Kuh gekauft. Das erzeugte häßliche Sticheleien, und die machen auch nicht Appetit. Der Bruder mischte sich auf unverschämte Weise ein und trumpfte beide Eltern ab, und — sie ließen es geschehen. Nach dem Essen sagte ihm der Vater: er solle doch ein wenig für ihn an den Webstuhl und der Junge antwortete: da wett er e Narr sy; er heig anger Sache z‘thüe, als da im Webcheller z‘hocke. Draußen schlich der Schlingel mit einem Büchsli den Krähen nach. Und weil man dem Schlingel nichts sagen, nicht einmal etwas zumuten durfte, so ging es desto mehr über andere los, rücksichtslos, und ich mußte ziemlich deutlich hören, daß es braver von mir gewesen wäre, daran zu sinnen, ihnen zu helfen, statt zu wyben. Das machen Eltern aber oft, daß, je mehr ein Kind sie plagt und aussaugt, je weniger sie ihm sagen dürfen, sie desto mehr über die andern Kinder herfahren, desto mehr von ihnen fordern. Sie denken nicht daran, daß sie gerade dadurch die Liebe, welche geben, helfen sollte, töten. Es wurde mir eng und heiß im engen Stübchen und Mädeli war das Weinen immer zuvorderst.

Mir thaten meine Eltern so leid und doch so weh. Ich sah, wo der Schuh sie drückte, und konnte doch nicht helfen, konnte die Säure nicht mehr entfernen aus ihren Gemütern, konnte das Verhältnis zu ihrem Kronprinzen nicht mehr herstellen, konnte das mangelnde ihnen nicht verschaffen. Was ich konnte, gab ich dem Vater im Webkeller. Er seufzte, sagte, das werde nicht viel helfen; es sei einmal so, wie es sei. Er hoffe aber, daß er bald draus könne. Doch schien ein weicheres Gefühl gegen mich ihn zu ergreifen. Er hieß mich wiederkommen, sagte zu, uns einmal zu besuchen, wenn sein Husten ihm bessere und wünschte Mädeli, daß es ihm gut gehen möge. Auch die Mutter war beim Abscheid etwas freundlicher und entschuldigte sich, daß sie Mädeli nichts zu geben hätte. Aber wenn es Kinder bekommen sollte, so wolle sie zusehen, daß sie ihm neuis machen könne. Es ist merkwürdig, wie Leute oft erst beim Abschied auftauen, und manchmal erst beim Abschied aus dem Leben.

Stumm gingen mir lange neben einander, grüßten und dankten einsilbig den Leuten, die uns noch yche z‘cho hießen. Als wir vom Dorfe weg waren, fing mein Meitschi laut zu weinen an. Ich erschrak gar bitter, im Glauben, es weine getäuschter Hoffnungen wegen, es habe geglaubt, ich hätte etwas zu erben und nun gesehen, daß weniger als nichts da wäre. In diesem Sinne fing ich an zu trösten und zu entschuldigen. Aber Mädeli ließ mich nicht ausreden, sondern sagte: »Ach, Peter, glaub doch ume nit, daß i pläre, wil d‘nit meh hesch, as i; du bisch mr lieber as ke Ryche. Aber we-n-i denke, daß es üs o so gah sött, daß mr enangere o so nüt chönnti verstah, u geng uf enangere stichlete, u geng es nieders sötti dSchuld sy, su wott‘s mr schier ds Herz zrschryße. Lieber wett i hüt no sterbe. Es chunnt mr nüt schrecklicher vor, as we zweu nüt anenangere lyde meu u eis dem angere geng seit, was ihm i ds Mul chunnt. Es düecht mi, i hätt kei fröhligi Stung meh, we du mr sellig Sache seitisch u mi so trümpftisch. Gell Peter, du versprichst mr, du wellisch mr geng alles i der Liebi säge u nit vor angere Lüte? Lue i cha alles vü dr anäh, we d‘ mr‘s i dr Liebi seist, u i will dr dHäng unter dFüeß thue; aber stichle ume nit u füehr mi nit us. Gell Peter, du wotsch mr das verspreche?« Natürlich versprach ich es. Mädeli tröstete sich nach und nach und wir sprachen recht erbaulich über den Ehefrieden und das Eheglück, und meinten, es sei unmöglich, daß wir über einander böse werden könnten jemals. Ach Gott, das sind schöne Träume: aber wenn man nur immer wieder zufrieden wird, und die Sonne nicht untergehen läßt über dem Unfrieden! Von dem Frieden, der in der Nacht geschlossen wird, halte ich nicht viel; er ist selten haltbar, so wenig wie Wasserfarbe.

Aber unser Gespräch ging langsamer allmählich, wie die Beine. Müdigkeit setzte sich in die Glieder und mit den schweren Gliedern wurde auch die Zunge schwerer, die Seele matt. Mädeli mußte Strumpf und Schuh ausziehen, seufzte schwer über spitzige Steinchen und wollte sogar einmal fast böse über mich werden, daß ich in Gedanken fortgegangen war, als es stille stehen mußte. Das gute Meitschi merkte es aber, wie schnell es fast selbst gegen unsern Vertrag gesündigt hätte. Und wir beide nahmen uns die Lehre daraus, wie nahe Leib und Seele einander angehen, und wie wunde Füße auch eine reizbare Stimmung erzeugen und wie ein matter Körper über jede Kleinigkeit die Seele unwillig machen kann. Es ist gut, wenn man das weiß; dann kann man andere schonen zur rechten Zeit und aus sich selbsten Acht haben. Weil man aber das nicht weiß, so haben Reise- und Lebensgefährten soviel Streit unter einander, besonders wenn es mühselig geht und zu Fuße, und am meisten Streit gerade wenn es am mühseligsten geht und die Tagesreise am beschwerlichsten ist. Wir erquickten uns, ruhten aus und doch sehnten wir uns sehr nach der Heimat, und erst als ihre Lichter durch die Büsche schimmerten, wachten wir wieder auf und schritten munterer und rüstiger der Herberge zu und wechselten wieder rascher die Worte. Froh waren wir beide, daß der Tag vorbei war, als wir uns küßten zum Abschied. Und doch war es nachher einer der Tage unseres Lebens, von denen wir am meisten redeten und dessen Andenken noch heute mich erfreut.

Achtes Kapitel. Wie ich am Vorabend wichtiger Ereignisse stand

Der Hochzeittag rückte immer näher. Das Gefühl, mit welchem ich ihn herannahen sah, mit welchem ich alle Abende die Tage zählte, ist ein eigenes. Ich mochte es eine freudige und ungeduldige Beklommenheit nennen, denn es ist gar seltsam gemischt, Mädeli muß es auch so gewesen sein; denn es ward allemal rot, wenn davon die Rede war. Es wäre sicher geschmäht worden, wie jene Meitscheni, welche der Schulmeister in der Kinderlehre fragte: Was ist Unkeuschheit? Bäbeli wußte es nicht, Eifi schwieg, Änni schüttelte den Kopf. Da ward der Lehrer ungeduldig und schmähte: »Was, das wüsset ihr nicht? Schämet euch, ihr seid sechzehnjährige Meitscheni u müsset no nit, was Unkeuschheit ist!«

Mädeli wehrte sich, und das machte mich böse, gleich in der ersten Woche nach dem Ausverkünden Hochzeit zu halten. Gründe gab es vor, aber keinen rechten; Mädeli hatte einen guten Grund, aber den hielt es heimlich. Das gute Meitschi wollte mir doch auch etwas geben zum Hochzeitgeschenk, und zwar, aus dankbarer Anerkennung, weil ein verlorenes Hemde uns zusammengebracht, ein Hochzeithemde und zwar ein schönes. Sage ein Hemde, denn unserem rechnet solche Dinge nicht nach halb oder ganzen Dutzenden, wie hoffährtige Hausfrauen, die, wenn aus einem halben Dutzend eines fehlt, im Stande sind, auch die andern fünf Stück bei Seite zu werfen, um nur nicht ungerad zu haben. Nun wollte Mädeli den Aufschub nicht etwa aus Saumseligkeit, weil es zu spät daran gedacht, oder aus Nifferei, weil die Näherin es ihm nicht gut genug machen konnte und alle Säume auf besondere Weise gemacht sein mußten, an welcher Nifferei Hochzeite scheitern können; sondern das arme Kind mußte das Geld dazu erst erspinnen und mußte von dem Spinnerlohn noch in die Haushaltung abgeben, und mußte noch dieses und jenes für sich anschaffen oder zurecht machen. Da kann man sich denken, daß Mädeli fleißig sein mußte. Auch sah das liebe Kind auffallend blasser aus; aber um so heller leuchteten die Augen mich an. Es mußte mir endlich doch den Grund des Aufschubes erklären, da ich gar zu ungestüm wurde, und daß es mir darum nicht weniger lieb ward, kann man sich denken.

 

Hie und da geschah es, daß Mädeli des Abends auch zu mir ins Haus kam, um zu sehen, was da sei, was ich gepflanzt hätte u. Das waren schöne Abende. Es ist ein ganz eigenes Gefühl, wenn unser Meitschi zum erstenmal über unsere Schwelle tritt, wenn es seine Augen schweifen läßt über unser Eigentum und wenn wir dann neben ihm sitzen auf unsern Stühlen. Es ist aber noch viel eigner das Gefühl, wenn eine Braut an unserer Seite sitzet, wenn unsere Augen zusammen gehen über Schränke, Stühle, Tisch und Bett, und wenn wir zusammen gehen durch Küche und Keller, Stube und Kammer. In süßem Ahnen schwebt vor uns in zauberischem Dämmerlichte die Zukunft; es wird uns so eng ums Herz und doch so wohl, der Mund wird gewöhnlich so schweigsam, der Blick so beredt! Der Blick redet aus den Tiefen der Seele herauf; das Innerste gibt er kund, Geheimes drückt er aus, was nicht einmal zum eigenen Bewußtsein gekommen; denn in ganz eigenem unmittelbarem Zusammenhang steht das Auge mit der Seele. Was in ihr sich regt, kann sie, ohne den Verstand zu berühren, ohne erst es in Nachdenken zu läutern, durch das Auge schicken in die Welt hinein. Der Mund gibt nur obenab, was auf der Oberfläche schwimmt, was seiner Leichtigkeit wegen obenauf getragen oder was mühselig obenauf gebracht und durch den Verstande gebürstet und geglättet worden. Da saßen wir dann Hand in Hand und Auge senkte in Auge sich, und aus den Augen sahen wir hinauf ins blaue tiefe Gewölbe, in dem der Mond so silbern leuchtet, so ehrlich drein lugt, hinter dein ehrlichen Gesichte den Schalk verbergend; denn er weiß wohl, warum er des Nachts so leise und mit so ehrlichem Gesichte über die Erde geht. Was der wohl alles zu erzählen hat! und wem erzählt er wohl alles? Ins tiefe Gewölbe verloren sich unsere Blicke, in dessen unermeßlichem Schoße unzählige Welten kreisen, geboren werden und untergehen. Und wie der Blick sich verliert im unermeßlichen Schoße, so geht durch den Blick auch die Seele hinein in jene Unendlichkeit und verliert sich in unendlichen Gedanken. So saßen wir oft zusammen in stillem Frieden, ahnungsvoll die Brust geschwellt; und dann küßten wir uns leise und jedes ging seiner Ruhe zu. Wir wußten nicht, daß man das sentimental oder empfindsam nannte. Aber wenn in dieser Zeit, wo dem Menschen seine Zukunft geboren wird, wo sie noch ruht in des Schöpfers Hand, in dieser Zeit, wo eine Seele noch eine andere will, einer nichts empfindet, als irdische Lust oder irdisches Berechnen, dann sieht es seicht oder steinern aus in seiner Seele. Dann verwundere sich keiner, wenn so einer nicht bewegt wird von unaussprechlichen Ahnungen, von einem wirklich und eigentlich göttlichen Gefühl. Beim Tiere gattet nur der Leib mit dem Leibe sich, der Mensch nimmt eine Seele in sich aus und Seelen gehen von ihm aus; das ist göttlich, ein Zeugnis seiner göttlichen Natur. Zum Golt wird jeder Mensch, wenn er in die Ehe trittet: die Ehe ist sein Reich, das er bevölkert, regiert, erhaltet, in dem er im kleinen walten will, wie Gott im großen in seinem großen Reiche. Darum ist, wer nur von Ferne seine Würde ahnet, in diesem Zeitpunkt so hoch gestimmt; traurig ist‘s, daß diese Stimmung nicht anhält, sie sollte durchs ganze Leben klingen. Wir konnten freilich darüber nicht reden; wir wußten nicht, was in uns sich regte so ahnungsvoll. Und so geht es sicher manchem Christeli und manchem Liseli, denen man solche Gefühle nicht zutraute.

Ein wichtiges, was wir auszumachen hatten mit einander, war der Ort, wo wir Hochzeit halten wollten, und die Art, dahin zu gelangen. Mädeli war noch nie in Bern gewesen; aber Bern war etwas weit, um zu Fuß dorthin zu gehen. Mädeli wäre nun gerne geritten (gefahren); sein Lebtag sei es noch nie geritten und es dächte doch, das müsse gar lustig sein, meinte es. Aber ich war noch nie gefahren (hatte noch kein Roß geleitet), fürchtete mich davor und sprach nicht gerne einen Bauer um Roß und Wägeli an. Mädeli stund ab von seinem Wunsche und zwar ohne bedeutendes Gewicht darauf zu legen. Es wurde ein etwa zwei Stunden weit entfernter Ort auserlesen, wo ein Wirt war, den man als gar billig rühmte.

Neuntes Kapitel. Der Hochzeittag

Frühmorgens brachen wir auf und fanden uns außer dem Dorfe zusammen, damit man uns nicht etwa aufhalte mit Seilen oder Stangen, um Lösgeld zu erhaschen. Am östlichen Himmel schickte die Sonne den Tag herauf; dem schläferigen Tage sandte sie Strahlen nach, welche rosenrot thronten auf den schneeigsten Firnen, und den Thälern das Kommen der Königin des Tages verkündeten. Majestätisch und feierlich stieg sie über der Erde Rand empor. Da schien sie mir stille zu stehen und verwundert mein Bräutchen anzuschauen, mit besonderer Huld und besonderm Glanz dasselbe anzustrahlen und, nur dasselbe in ihrem Lichte verklärend, zu vergessen die übrige Erde. Aber dessen wunderte ich mich nicht. Was konnte wohl die Sonne an diesem Morgen lieblicheres sehen als eben mein Bräutchen? Und die Sonne weiß wohl, was schön und lieblich ist, und vielleicht hatte ihr auch der Mond gesagt, sie solle diesen Morgen aufpassen. Mein Bräutchen glänzte so blank und weiß, so niedlich und nett, wurde so freundlich rot, wenn es mich ansah, und seine Augen funkelten so träumerisch und bodenlos in die strahlende Sonne hinein, daß mich nicht gewundert hätte, wenn die Sonne den ganzen Tag stehen geblieben wäre um meines Meitschis willen. Aber die Sonne darf nicht lange säumen; es ist noch einer ob ihr, der sie nicht stille stehen läßt.

Wir sprachen nicht viel mit einander; aber daß unsere Herzen voll waren, gaben unsere gegenseitigen Fragen kund. »Mädeli, hescht mi de eigetli o recht lieb u nimmsch mi gern?« So frug ich. »Peter, bisch di nüt reuig u hättisch nit lieber e Rycheri u-n-e Hübscheri?« So frug Mädeli. Und dann gaben wir uns tröstende und liebende Versicherungen mit Mund und Hand, bald wieder schweigend, sinnend und ernst. Denn es ist ein ernster Morgen, der Hochzeitmorgen, und ein ernster Gang, dem Kirchlein entgegen, wo aus zweien eins gemacht wird, die dann auf immer vereint des Lebens Last und Hitze tragen, Lieb und Leid teilen, gleichen Schrittes den Weg durchs Leben dem Ziele zugehen sollen. Wie die Hälfte zur Hälfte passe, mag eine fühlende Brust immer banger bewegen, je näher die verhängnisvolle Stunde kömmt.

Glockentöne klangen von ferne zu uns her. Wir hörten sie nicht nur, wir fühlten sie bis ins tieftste Mark hinein und gaben uns schweigend die Hände. Es war das erste Zeichen zum Gottesdienst. Die Glockentöne vermehrten sich, schienen rings uns zu umweben; ein Kirchlein antwortete dem andern und verkündete den Menschenkindern, daß es sich öffne, die Gelübde für den Vater zu empfangen und den Trost des Vaters zu spenden den leidenden Herzen.

Zusammen gingen wir zum Pfarrer, uns zur Kopulation zu melden. Es war ein würdiger alter Mann, der das Band schon manchmal geknüpft haben mochte, dem aber die Handlung denn doch nicht gemein geworden war, so daß sie ihn gleichgültig ließ und er sie handwerkmäßig verrichtete. Er richtete ernste, bedeutungsvolle Worte an uns, an mich als Schulmeister, der wissen solle, was ein guter Ehemann sei und welchen Segen eine Ehe bedürfe, und dann auch an Mädeli: wie schwer es sei, eine gute Hausmutter und eine würdige Schulmeistersfrau zu sein, nicht andern zum Ärgernis und zur Last, sondern zum Muster und zum Segen.

»So jung bist du noch, Meitschi,« sagte er »hast du auch alles recht überdacht? überdacht, was es heißt, einen Schulmeister zu heiraten, was du da zu ertragen übernimmst: böse Leute, manchmal einen übellaunigen Mann und meist Not und Mangel; und was du doch schuldig bleibst: deinen Mann zu beglücken, die Leute zu versöhnen, aus deinem Milchkrüglein der Witwe Ölkrüglein zu machen, ein fromm und froh Gesicht in allen Tagen und vor Gott und Menschen und vor dem Mann insbesondere?«

Mädeli antwortete nicht; aber zwei große schwere Tropfen rollten ihm über die Backen und fielen hörbar auf sein galanteriertes Fürtuch. Ich wurde ärgerlich über sein Schweigen, fürchtend, der Pfarrer möchte glauben, es sei ein Stock, und wollte ihm später Vorwürfe darüber machen; aber es sagte, daß ihm gewesen wäre, als ob eine eiserne Hand den Hals ihm zuschnüre. Für all Geld in der Welt hätte es nicht Atem zu einem Worte gefunden. Der Pfarrer muß es besser begriffen haben als ich, denn er sagte: »Nu, nu, Meitschi, ich will dir nicht Angst machen; aber sagen wollte ich dir, was deiner wartet in Bürde und Pflicht. Wohl dir, wenn du es fühlst, und Gott gebe dir Kraft zu bestehen.« Darauf sagte uns der Pfarrer, es werde bald läuten; ob wir z‘weg seien? Da packte Mädeli ein Wartsäckli aus und fing in einer Ecke an, seine Strumpfbändel aufzulösen, und als es einen Strumpf am schönen Beinchen heruntergestrichen hatte, um ihn dann mit einem weißeren zu vertauschen, wies uns der Pfarrer in eine andere Stube, wo die Köchin Herr und Meister schien an den Kuchifürtechen an, die herumlagen auf dein Bett und am Boden, schwarz und klebrig. Dort machte ich zum erstenmal in meinem Leben den Kammerdiener, zog die Kappenschnüre aus dem Tschöpli hervor und half aus die Kappe das Kränzlein festmachen. Das stand Mädeli ganz besonders wohl; es gab ihm etwas vornehmes oder vielmehr nobles und das Köpflein schien sich noch einmal so stolz unter dem Kränzlein zu heben. Das Köpflein wußte wohl, daß das Kränzlein ein wohlverdientes sei und daß das Kränzlein sich selbsten meine und brüste, einmal auf eines wirklichen Mädchens Kappe zu thronen als zierlicher Jungfernkranz; darum hob das Köpfchen das Kränzchen so hoch und stolz. Ich habe manchmal gedacht, was doch auch so ein Ding, nicht Frau nicht Mädchen, das die Hände nicht mehr über dem Kopf zusammenbringen kann ohne Leibschneiden und seine Schuhe nicht mehr sehen kann vor dem in der Mitte sich antürmenden Vorgebirge, was doch so ein Ding denke, habe ich gedacht, wenn es sich ein Kränzchen aufsteckt, oder bei bereits eingetretenem Unvermögen aufstecken läßt; wenn es so in der Angst, die Hebamme nötig zu haben, ehe der Pfarrer kömmt, in die Kirche pfoselt mit seinen geschwollenen Füßen und wunderlichen Empfindungen aller Art tief unter feinem Kränzchen? Was so eins gedacht habe, habe ich nie vernommen; ich aber habe gedacht, daß so eins wahrhaftig ein schamlos Mensch sein müsse; daß es verdienete, man würde vor ihm her bis zur Kirche Spreuer säen und Spreuersäcke schwenken hinter ihm und vor ihm.

»Vergiß nicht,« sagte Mädeli, ehe wir das Stübchen verließen, »daß wir während der Kopulation uns fest aneinander drücken müssen, damit der Teufel nicht zwischen uns kommen könne. Der Vater hat es mir noch aus dem Bette nachgerufen, als ich schon unter der Thüre war.« Ich kannte diesen Glauben wohl und glaubte daran, daß, sobald der Teufel während der Trauung zwischen den zu trauenden eine Lücke sehe, er zwischen einfahre und sie trenne auf immer. Aber daß in diesem Glauben für junge Eheleute bildlich und einfältig aber kräftig die Wahrheit ausgesprochen sei: Haltet fest und unzertrennlich zusammen, laßt nichts zwischen euch hineinkommen, weder einen Freund noch einen Feind, weder ein Glück noch ein Unglück, weder Leidenschaft noch Gleichgültigkeit, sondern bleibet eins für und für, das begriff ich nicht. Das begreifen noch viele nicht, die trotz allem Zusammendrängen während der Trauung immer etwas zwischen sich und den Gatten zu ziehen haben, Leute zum aufweisen, Leute um klagen zu können, Leute um zu lieben oder zu hassen, unerfüllbare Wünsche, unerträgliche Eigenheiten, giftiges Mißtrauen, oder gar alles vergiftende Eifersucht. In gar mancher ländlichen Sitte, manchem sogenannten Aberglauben ist ein tiefer inniger Sinn; aber man versteht den Sinn nicht mehr, während man noch lange am Gebrauche hangt.

 

Das Kirchlein war klein, düster das Licht in demselben, trübe die Fenster, in denen einige gemalte Scheiben glühten. In den Bänken waren noch drei hochzeitliche Paare, die des Pfarrers harrten, die Bräute mit frohen Gesichtern, daß sie es endlich so weit gebracht, und andächtigen Händen, die sie auf ihren hochaufgetriebenen Fürtüchern bequemlich und zusammengelegt ruhen ließen.

Endlich kam des Pfarrers ehrwürdige Erscheinung, und in klarem tiefdringendem Basse, würdig und langsam, las er die schöne Liturgie uns vor, welche durch die meisten Traureden nur verwässert wird. Ein feierliches Beben ergriff uns beide, als wir Hand in Hand an den heißen Stein traten, und als die kräftigen Mahnungsworte an uns ergingen: in Freud und Leid, in gesunden und kranken Tagen einander zu helfen und zu raten, in liebreicher Geduld je eines des andern Mängel und Schwachheiten zu ertragen. Es rannen Thränenströme über Mädelis Wangen nieder und mich fing es an zu stechen und zu brennen in den Augen. Unsere Hände legten wir so fest in einander, als ob es die Herzen selbst wären, die ewig nicht mehr auseinander gehen sollten. Aber das Ja, so freudig es das Herz heraufsandte, fand doch den Weg zum Munde nicht, sondern quoll im Halse und ließ sich ersetzen durch einen weit ausgreifenden Scharrfuß. Und als wir beten mußten zu unserm Herrgott um Segen zu unserm Bunde, um Segen im Leben, um Segen im Tode, eines betend für das andere, da versanken wir in die Andacht, die die Worte nicht mehr hört, die mit unaussprechlichen Seufzern uns bei Gott vertrittet.

Das nach einer Pause ausgesprochene Amen weckte uns wieder; wir sprachen es mit von ganzem Gemüte, aus voller Seele, und Amen, Amen klang es in uns fort und fort, bis wir, den andern Paaren nachwandelnd, ins Wirtshaus kamen. Dort nahm zur augenblicklichen Stärkung bis zum Mittagessen jedes was es wollte, wir nach alter Sitte ein gutes Weinwarm. Die jungen Weiber fingen nun an zu reden und zu rühmen und zu hecheln und zu fragen: was jeder ihren Brautstaat gekostet. Die drei Bräutigams frugen nach Karten, um mit einem Nams die Zeit bis zum Essen sich zu verkürzen. Mir ward die Zeit lang ob dem Hören und Sehen, und das beständige Sticheln, da ich nicht mitspielen wollte, trieb mich endlich hinaus. Wie ein Schmied von weitem in einem Dorfe die Schmiede wittert und ein Bäcker die Backstube, und denselben zusteuert, so ging‘s auch mir. Ich fand das Schulhaus bald und nicht weit davon den Schulmeister. Ein Wort gab das andere, und da wir die Tugend haben, daß es gerne einer besser macht als der andere, so mußte immer der andere, wenn einer erzählt hatte, wie er etwas mache, sagen: »U-n-i mache‘s so, u-n-es chunnt mr dä Weg gar guet, u-n-i weiß nit, wi‘s mr dr anger Weg chäm.« Über diesem verging eine lange Zeit; ich verklapperte mich ordentlich, und als ich wieder gegen das Wirtshaus kam, sah ich mein Weibchen ängstlich um dasselbe trippeln und in alle Ecken gucken. Das arme Kind hatte fast geweint, als die andern zu Tische saßen und ich nicht da war. Alleine sich hinsetzen durfte es nicht. Es suchte mich daher, fand mich nicht und war in der peinlichsten Angst, nicht begreifend, ob ich verunglückt, gestohlen worden, oder davon gelaufen sei. So einem stündigen Weibchen muß es seelenangst werden, wenn es auf einmal den Mann nicht mehr finden kann, man denke sich! Wie es sich freute, als es mich wohlbehalten die Straße auf kommen sah! Wie es doch so freundlich mir an den Arm sich hing und gar nicht mit mir branzte! Manch ander Weibchen hätte trotz der Freude Wetterwolken übers Gesicht gezogen und aufbegehrt nach Noten über mein Fortlaufen, oder hätte vielleicht den ganzen Tag mit mir gekupet, so daß es ausgesehen hätte, als wäre es gerade deswegen böse, daß ich wohlbehalten wieder gekommen. Es gibt Gemüter, die allen Dingen die böse Seite abgewinnen; es gibt Gemüter, die allen Dingen die gute Seite abgewinnen. Die erstern finden Stoff zu Klagen in jeder Freude, die andern Stoff zur Freude in jedem Jammer; die einen schütten Galle in jeden Hunghafen, die andern Balsam in jede Wunde; die einen nehmen jeden Zufall übel, die andern verzeihen jedes Wehthun; die einen sind gar unglückliche Gemüter, nassen Jahren vergleichbar, wo nichts wachsen will, während es noch um so lieber hagelt; die andern sind Gemüter wie Maiennächte, wo alles auferstehen möchte, alles grünt und duftet. Mädeli hatte der letztern Gemüter eins, und mit keinem sauren Blick versalzte es mir die Suppe, mit keinem bösen Worte verpfefferte es mir den Tag.

Nach Wirtshausweise trug man etwas langsam auf, damit wir nach Landessitte Zeit hätten das Essen so recht z‘weg zu legen, daß es sich setzen konnte und Platz für immer neues wurde. Das dauerte aber den drei Kumpanen zu lange; sie schoben das Tischtuch zurück und fingen wieder an zu spielen, obgleich ihre Weiber dagegen redeten und meinten, sie sollten doch zuerst genug essen. Sie hörten nicht darauf; sie sahen ihre Weiber nicht an, schenkten ihnen nicht ein. Sie spielten noch fort, als Mädeli und ich fortgingen. Sie spielten den ganzen Nachmittag fort. Sie achteten nicht darauf, wie einer nach dem andern von seinem Weibe gezupft und ans Heimgehen gemahnt wurde. Sie spielten den ganzen Abend fort, sahen die Schatten nicht länger werden, die Sonne nicht zu Bette gehen, achteten das Schelten ihrer Weiber nicht. Sie spielten in die Nacht hinein mit immer wütenderem Eifer, sahen den Zeiger der Uhr nicht der Mitternacht zueilen, hörten das Heulen ihrer Weiber nicht, die nun zum erstenmal am heutigen Tag so recht ergriffen waren, aber nicht von Ernst und Andacht, sondern von Wut und Elend.

Sie hörten nicht Mitternacht schlagen; aber nach Mitternacht schlugen sie einander selbst, wütend durch Wein und Verlust, und schlugen sich fürcherlich; und die Weiber heulten gräßlich dazwischen und wollten ihre Männer auseinander reißen und erhielten selbst Schläge, und eins flog hier aus, das andere dort aus. Und endlich that der Wirt seine Schuldigkeit und jagte das Gesindel zur Stube aus. Und als sie sich draußen noch sattsam geprügelt und geschimpft hatten, zog ein Paar hier aus, das andere dort aus, zerrissen, zerschlagen, fluchend und heulend. So zogen sie hinein in die Ehe. Wie mag die Ehe geworden, welche Ahnungen mögen in den Herzen der unglückseligen Weiber sich herausgewälzt haben in jener Nacht? Aber diese Nacht war nichts als eine Vergelterin mancher frühern. Statt golden und freudevoll war sie blutig und jammervoll, war die Vorhölle zur kommenden Hölle. Wir aber, Mädeli und ich, zogen schon früh nachmittags von der wüsten Gesellschaft weg. Wir hatten den Vater bestellt in ein Wirtshaus auf dem Wege, um ihm auch einen fröhlichen halben Tag zu machen. Wir wanderten gar fröhlichen Schrittes mit einander, mein neu Weibchen und ich. Das Gefühl, einander zu besitzen, that uns gar unbeschreiblich wohl, und machte so reizend mein Weibchen, so sinnig und wieder so schalkhaft und wieder so weich, daß ich es die ganze Zeit am Herzen hätte tragen mögen. Wir fanden den Vater schon vor und gar glücklich. Einigen Anwesenden erzählte er von seinen Wanderjahren hinter Murten und all den Wundern an Land und Leuten, die dort zu schauen seien. Und sie hörten ihm andächtig zu, was ihm selten mehr begegnete.