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Leiden und Freuden eines Schulmeisters

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Erstes Kapitel. Der erste Winter im neuen Amte

Diesmal klopfte mir das Herz, als meine Schule begann. Ich wußte nun, daß es einem fehlen könne in einer Schule, auch wenn man sich noch so geschickt glaubt; daß also das Gelingen in einer Schule nicht von der Geschicklichkeit des Lehrers allein, sondern von seinem Betragen, von der Art und Weise, wie er sich in und außer der Schule gibt, abhängt.

Daß meine Gelehrsamkeit nicht weit her sei und mein Unterricht selbst eine Stümperei, das sah ich noch nicht ein. Ich begriff noch immer nicht, wie man von einem Schulmeister verlangen könne, daß alle Kinder sollten rechnen und schreiben lernen, und noch viel weniger fiel mir ein, daß die Kinder lernen sollten, selbst zu setzen, daß sonst das Schreiben ihnen nichts nütze. Ich begriff noch gar nicht, wie man eine Schule in Klassen abteilen und so gar vieles möglich machen könne, was bei der alten Unordnung unmöglich schien. Als man anfing, eine ganze Klasse zusammen im Takt lesen zu lassen, zu furchtbarem Ohrenzwang für alle, welche nicht kalbslederne Trommelfelle hatten, da glaubte man, eine Entdeckung gemacht zu haben, über welche aus man nicht mehr könne, auf die das tausendjährige Reich bald folgen müsse. Hatte ein Kind der Bevorrechteten aufgesagt, so sagte man ihm: Du kannst jetzt schreiben; und zu den andern: Lerit. Von einer eigentlichen Stundenabteilung war keine Rede; darum wurde und wird sie noch an vielen Orten für unmöglich gehalten.

Wenn man besonders gut im Strumpf war, so wurde konstruiert und zweimal in der Woche katechisiert aus dem Fragenbuch. Das waren die stabilsten Stunden. Die Hauptsache für den Lehrer war, daß er Fleiß habe, d.h. daß er unermüdlich von einem Kind zum andern renne und alle so oft als möglich aufsagen lasse, und daß er sich Mühe gebe, ihnen zu zeigen: d.h. vorzumachen und zu korrigieren.

Diese Aufgabe zu erfüllen bangte mir nicht, und über die Forderung, daß alle schreiben und rechnen lernen, dachte ich nur das, daß ihre Unhaltbarkeit von selbst sich dargeben werde. Aber die traurigen Erfahrungen hatten in meine Selbstgenügsamkeit doch das Loch gemacht, daß mir bange ward 150 Kinder zu meistern, mich bei ihnen in Respekt zu setzen und in Respekt zu erhalten, und in der Schule die notwendige Ordnung festzustellen.

Ich hatte es erfahren, daß es in einer Schule zugeht wie in einer Ehe. Beide haben ihre Flitterwochen oder Honigmonde, und während derselben lauscht der schlauere Teil dem andern seine schwachen Seiten ab und setzt sich in die Stellung, in der er bleiben will. Dünkt es nun den ehrlichen überlisteten Teil, es sei genug geflitterwöchelt, es sei nun einmal Zeit zu sagen, was auch er eigentlich wolle und wie es künftig gehen solle; so vernimmt er zu seinem großen Erstaunen, daß es just so gehen solle, wie es just gehe, daß da nichts mehr zu ändern sei. Und versucht er es dennoch und möchte sich auf einen andern Fuß setzen: ja dann zerrinnen die Himmel. Regengüsse strömen, dumpfer Donner grollt, späte Reife fallen nieder, drückende Schwüle wechselt mit frostigem Winde, und bei allem chupet die Sonne, sendet nicht Licht, spendet die rechte Wärme nicht, und trübe wird es am Ehehimmel. O, wer kennt das Chupen, das Grollen, das Sticheln, das Aufbegehren, das Verwundertthun nicht, wer kennt die Schlußworte nicht: wenn ich das gewußt hätte, wenn ich das gedacht hätte! Wer weiß nicht, daß dann hier selten wahre Einigkeit stattfindet, sondern entweder eine stumme Unterwerfung von der einen, unbedingte Oberherrschaft von der andern Seite, oder aber ein dreißig- bis vierzigjähriger Krieg, je nachdem die Teile ein zähes Leder haben? Je mehr nun ein Mensch in seliger Überschwenglichkeit meint, das verstehe sich von selbst, daß es gehe, wie er wolle, desto eher kömmt er unter den Pantoffel oder sieht sich zu einem ewigen Keifen, das nichts abträgt, verdammt. Nun herrscht bei den Schulmeistern gar zu gerne diese Überschwenglichkeit, und arglos blampen sie in ihr Amt hinein. Bei den Kindern aber herrscht Schlauheit; sie fühlen sich die Schwächeren; darum lauschen sie auf die schwachen Seiten des Stärkern, um durch sie Meister zu werden.

Zu diesem Auffassen der schwachen Seiten treibt die Kinder eine Art Instinkt, und selten wird ein Kind ein Jahr alt, ohne der Eltern schwache Seiten zu kennen und benutzen zu können. Mit dem gleichen Instinkt fassen sie jede neue Erscheinung auf, die in ihr Kinderleben trittet, und fassen ihre Eigentümlichkeit meist weit schärfer auf als ältere Leute, denen das eigene Ich, vorgefaßte Meinungen, gehegte Absichten und hundert Gegenstände die Augen blenden, Nun trittet nicht bald etwas wichtigeres in der Kinder Leben hinein als ein Lehrer, bei dem sie einen bedeutenden Teil ihrer Zeit zubringen sollen, der als Oberer Wohl und Weh zufügen kann. Wie sie nun dem Lehrer seine Macht nehmen, ihn entwaffnen, lähmen, täuschen, ihm trotzen können, das ist der Kinder Augenmerk. Sie beobachten die ersten Tage gar manierlich; allmählich strecken sie ihre Fühlhörner aus, immer weiter und weiter; stoßen sie an, so versuchen sie es auf andere Weise, bis sie wissen, woran sie sind, und das alles sehr selten mit Bewußtsein, sondern instinktmäßig. Wehe nun dem Lehrer, wenn er bewußtlos ist, wenn er, wie Obere es so gerne pflegen, vor lauter Oberherrlichkeit nichts anders sieht als eben diese, wenn er dieses Tasten der Kinder nicht fühlt und ihm nicht zu begegnen weiß mit Liebe und Ernst; denn weiß er das nicht, so wird er auch bei den trefflichsten Lehrtalenten nimmer gewinnen der Kinder Liebe und Achtung. Eine vernünftige Schulzucht gelingt nimmer, die Schule wird entweder zuchtlos oder ein Zuchthaus. Nun fühlte ich dunkel etwas von diesem; fühlte das Gewicht des Anfanges, des ersten Eindruckes; ich wußte, daß ich in meiner frühern Schule durch zu große Milde zum Spott geworden war, und ward zuerst versucht, ins Gegenteil zu fallen. Nun kann es nichts Unglücklicheres geben, als wenn ein an sich sanftmütiger und fast schwacher Mensch den Bramarbas und Eisenfresser spielen will. Alle Augenblicke fällt er aus seiner Rolle; männiglich sieht des Esels Ohr hervorgucken aus der Löwenhaut. Er hat verloren Spiel; denn trotz der Löwenhaut macht er Eselsstreiche, und als Esel wird er behandelt von jung und alt. Auch das fühlte ich.

So erwachte ich am ersten Schulmorgen mit ordentlichem Herzklopfen, und es nahm nicht ab, als ich die ersten Schulkinder kommen sah und hinüber zu ihnen mußte. Es waren ihrer nicht viele und so ging es recht gut. Ich war ernst aber weich gestimmt, fühlte mich nicht veranlaßt durch meine Stimmung, mit den Kindern den Narren zu treiben, oder sie lachen machen zu wollen, und das kam mir wohl. Einen Berg hinunterfahren, ohne zu spannen, in Hellem Trabe, kann nur ein guter Kutscher und wird es selten noch thun; ein ungeschickter bricht Hals und Beine. So kann nur ein sehr gewandter sattelfester Lehrer Spaß in der Schule treiben, und dazu noch selten; und doch versuchen das Tölpel am meisten und führen dabei etwas, das Witz sein soll, ins Feld, das aber dem Witz gerade gleicht, wie eine Kuh dem König Salomo. So katechisierte ein Schulmeister: Was ist das Himmelreich nicht? Nicht Essen und Trinken. Jo, Kinder, nicht Essen und Trinken, nicht einmal Bärendreck erhalten wir dort. Ich polterte aber auch nicht, erschreckte die Kinder nicht, spielte nicht den Bölima, glaubte nicht, daß erst alle Kinder ins Bockshorn müßten, bevor ich recht anfangen könne.

Ernst und weich begann ich meine Schule, und es ging recht gut. Die Kinder betrachteten mich scharf; aber bei dem Betrachten blieb es. Als ich bei meinen geschwellten Erdäpfeln und einem Restchen Milch zu Mittag saß, hätte ich gerne ein Mäuschen und bei allen Tischen im Dorfe sein mögen, um zu hören, was die Kinder zu erzählen wüßten und wie ich ihnen gefallen hätte. Ach und am Abend wäre ich gar zu gerne zu jemanden hingegangen, um zu vernehmen, was gesagt worden, um mich rühmen zu hören oder doch wenigstens Anerkennung zu finden. Aber mit dem Denken, was die Leute sagen möchten, mußte ich mich begnügen. Niemand hatte mich aparti kommen heißen und frühere Erfahrung schreckte mich ab.

Meine Kinder waren die einzigen Menschen, mit denen ich umging, bei denen ich ordentlich sein und mit ihnen reden konnte. Die Schulstunden wurden mir daher eigentliche Erholungsstunden, auf die ich mich freute; jedes Schulkind war mir eine liebe Erscheinung, die mich aufheiterte. Weil ich Freude an den Kindern hatte, so empfanden sie auch welche an mir; weil mir die Schulstunden wie Augenblicke entschwanden, so wurden sie ihnen auch kürzer und sie kamen gerne in die Schule. Dieses merkte ich schon nach einigen Tagen, daß die, welche anfangs gekommen waren, selten fehlten; und fehlten sie, so klagten sie mir das nächste Mal, der Vater oder die Mutter hätten sie nicht gehen lassen. Aber trotzdem tasteten doch die Schüler nach meinen schwachen Seiten und suchten ihren Willen von meinem Willen frei zu machen, mein Wort unbeachtet zu lassen. Ich merkte es, und das ist schon viel; ich ließ es nicht unbemerkt hingehen, und das ist noch mehr. Eine Bemerkung fruchtete anfänglich, aber bald schon nicht mehr; es mußte ein Verweis folgen, dem Verweis eine Strafrede, eine Appellation an die Kinderliebe etc. Hier blieb ich eine Zeitlang, und vielleicht zu lange, stehen und predigte zu lange. Es ist nichts thorrechter, als wenn ein Lehrer allzuoft und allzulang ins Predigen fällt; er richtet wahrhaftig nichts aus, als daß er sich selbsten unglücklich und bitter, den Kindern Langeweile macht. Daß den Kindern das Predigen Langeweile macht, weiß jeder, der der Kinder Flüchtigkeit kennt. Ein Kommandowort, ein kurzer ernster Zuspruch dringen durch, während eine Predigt abläuft wie Regen vom Dach. Das Predigen bringt aber den Lehrer in ein ordentlich Elend hinein. Das Predigen bringt ihm ein Vergrößerungsglas vor Augen, darin sieht er seine Treue, der Kinder Flüchtigkeit; seinen Willen, der Kinder Ungehorsam; seine Liebe, der Kinder Undank. Das alles kommt ihm, je länger er predigt, desto greller, furchtbarer vor, und je nach seiner Eigentümlichkeit wird er immer zorniger oder immer gerührter, auf alle Fälle immer elender, und sagt den Kindern Dinge, vor denen er bei nüchternem Zustande erschrecken, ehrliche andere Leute blinzen müßten. Er entwürdigt sich vielleicht gar so weit, daß er Eltern, Verhältnisse etc. in seine Predigt bringt, oder gar sagt: sie verachteten ihn nur deswegen, weil er so arm sei; wenn er reicher wäre, so würden sie schon mehr Respekt vor ihm haben. Pfui, wenn ein Lehrer so was Kindern vorwirft, es mag auch noch so viel Wahres daran sein! Aus lauter Gutherzigkeit fiel ich in diesen Fehler, und, einige kleine Strafen abgerechnet, wäre ich vielleicht hier stehen geblieben, wenn nicht einige tüchtige Bursche mit breiten Rücken und trotzigen Köpfen mich da auf bessere Mittel gebracht hätten.

 

Es war ein Anlaß, ich weiß nicht mehr: ob ein Märit, oder ein Gemeinwerk, oder ein Knechtentag, kurz es war ein Tag, an welchem nicht gedroschen werden konnte. Da redeten die Bursche mit einander ab, zur Schule zu kommen und zu sehen, wie der Schulmeister einer sei, und ihn zu fecken, wie weit sie es wohl treiben könnten mit ihm. Wenn nun ein halb Dutzend Bursche, von denen jeder seinen Mütt Korn trägt, in eine Schule zusammen einrücken, so tasten die nicht lange, sondern fallen gleich mit der Thüre ins Haus. Protzig traten sie ein, protzig setzten sie sich, wo sie wollten; thaten, als ob sie der Schulmeister gar nichts angehe. Ich war ganz verdutzt von dem Betragen dieser Bursche, das akurat aussah wie das Betragen von einem halb Dutzend Jünkerleins unter dem sogenannten Plebs, d. h. unverschämt und grob. Ich hustete, ich machte: Bscht, ich sagte: Still! sie merkten von dem allem nichts. Sie rissen sich Bücher aus den Händen, drehten sich um, redeten nach allen Seiten. Ich begann Vorwürfe zu machen, sie achteten sie nicht: ich fing an zu predigen von bösen Buben, welche die Schule störten; wie viel sie mir zu leid thäten damit etc. Sie lachten dazu. Das nun machte mich böse und ich drohte, und die Bursche, die wahrscheinlich dachten: ihre ältern Brüder seien am Märit und thäten wüst, und wenn sie nun nicht das Recht hätten z‘Märit zu gehen, so hätten sie doch das Recht, ebenfalls wüst zu thun und zwar in der Schule — lachten nur lauter und flüsterten sich in die Ohren. Da wurde ich böse, griff nach dem Lineal und wollte einem auf die Hand geben, und da er sich dagegen sträubte, gab ich ihm auf den Rücken, und walkte noch zwei oder drei tüchtig durch, die mir den Lineal nehmen wollten; so tüchtig, daß mir der Arm ordentlich weh that. Aber Ruhe war nun geschaffen und kein Mensch machte mir darüber Vorwürfe.

Hätten die Buben die Oberhand gewonnen, so würde man tüchtig gelacht und die Alten schmunzelnd gerühmt haben: sie hätten ganze Kerlisse, die hätten es dem Schulmeister greifet, wo er ihnen hätte befehlen wollen, wie den andern. Nun da ich den Handel gewonnen und die Bursche mit blauen Rücken heimgekehrt waren, fand man mich vollkommen im Recht und wunderte sich nur, daß ich ein so Checher sei; man hätte mir das gar nicht angesehen. Freilich wird auch mancher Pädagoge neuester Zeit schreien: Bewahre Gott, welche Rohheit, welch schlechter Lehrer, der noch zu Schlägen seine Zuflucht nimmt! Ja, du gutes Männlein, schreie nur; ich weiß wohl, was Mode ist, aber die Mode wechselt eben, weil keine Mode das absolut Rechte oder Wahre umfaßt. Ich habe auch nicht alles auf dem Prügeln; aber auf einen harten Klotz gehört ein scharfer Keil; was man nicht bürsten kann, muß man ausklopfen. Ich möchte da kein System aufstellen, z. B. daß man anständig erzogene Kinder nicht schlagen solle, oder daß bei roh erzogenen Kindern Schläge notwendig seien. Man findet unter den vornehmsten Kindern welche, denen die Rute oder eine Ohrfeige mit Verstand sehr heilsam wäre, wenn sie nicht etwa den Trost haben, es dem Papa sagen, klagen zu dürfen und wenn dieser Papa nicht etwa gar der Kanzler ist, der den frechen Schläger in den Carcer schickt dafür. Dagegen findet man Kinder, welche mit Schlegel und Weggen erzogen sind und durch und durch erhärtet scheinen; aber sie sind nur gegen Schlegel und Weggen gehärtet, und das erste Wort der Liebe geht in die Seele hinein, und mit solchen ungewohnten Worten richtet man fürder alles aus. So sind Schläge äußere Heilmittel für Krankheiten der Seele, die sichtbar werden, sind chirurgische Operationen; im rechten Augenblick angewendet, wirken sie manchmal ohne alle innere Hülfe, ja da wo alle innere Hülfe nichts gefruchtet hätte — so bei Kindern und Erwachsenen. So jagte einmal eine Mutter ihr Kind in vollem Zorn ums Haus; in voller Angst schrie das Kind erbärmlich: Ach, Großmutter, hilf! ach, Großmutter, hilf! Auf der Straße ereilte die Mutter das Kind, warf es zu Boden, kniete auf dasselbe und schlug es auf unmütterliche Weise, in ihrem Zorn nichts hörend, nichts sehend, was um sie vorging. Das sah ein handfester Bauer auf seinem Wägelein, wohlgemut vom Berner Märit kommend. Das Feuer kam ihm ins Dach; hinter der Frau hielt er sein Pferd, stieg ab und steckte der Frau so einen recht tüchtigen Berner Klapf, daß sie über ihr Kind wegfiel. Er aber stieg, ohne ein Wort zu sagen, gelassen auf sein Wägelein und fuhr davon. Als er zurückblickte, sah er die Frau mit offenem Munde mitten in der Straße stehen, wie ein Ölgötze, und ihm nachsehen. Aber seither hat man bei jenem Hause niemals mehr ein solches Geschrei des Kindes gehört. Hätten da wohl Zusprüche geholfen, und wenn sie vom Pfarrer gekommen wären? Das unerwartete, unmittelbare, im rechten Augenblick angewandte äußere Mittel wirket besser zuweilen als die längsten Kuren; aber um es recht zu gebrauchen, mangelt es eben nicht Gelehrsamkeit, sondern einen sicheren Takt oder Instinkt, wenn ihr wollt, oder Menschenkenntnis meinetwegen. Aber, wie gesagt, schnell und rasch muß die Anwendung solcher Mittel sein; lange Vorbereitungen dazu im Angesicht des Patienten, oder gar damit verbundene Ceremonien oder förmliche Feierlichkeiten, Spektakelstücke zeugen eben von dem Unsinn, der so lange in den Schulen herrschte. Darum aber auch läßt sich kein System darüber abfassen. Da kann der Lehrer nicht in sein Heft schreiben: Hier pflege ich Schläge anzubringen, wie ehedem die Göttinger Professoren an die Ränder ihrer Hefte sollen geschrieben haben: Hier pflege ich einen Witz zu reißen.

Eine Schule, wo das Prügeln systematisch würde, mahnte mich an jenes Waisenhaus, wo alle sechzig Buben, große und kleine, gesunde und krankne, wenn ich nicht irre, alle Jahre zweimal sämtlich laxieren mußten, ich weiß nicht, ob zwei oder drei Tage lang alle miteinander. So wurde aber ehedem in den Schulen geprügelt auf dem Lande und in den Städten. Und wenn man erzählen hört, wie z. B. die Berner Buben Schläge erhielten Vormittag und Nachmittag, mit Ruten, Stöcken, Fäusten, wie sie bluteten und ächzten, so begreift man wohl, wie ein Abscheu gegen das Prügeln bei denen einreißen mußte, die so geprügelt wurden, begreift, daß so geprügelte Väter keinem Lehrer zutrauen, mit Verstand prügeln zu können, weil kein Lehrer solchen an ihnen zeigte, und daß man daher allen Lehrern das Prügeln radikal abstellen oder verordnen wollte, daß sie in jedem gegebenen Fall die Erlaubnis ihrer Obern dazu einholen sollten, was das Thorrechteste von allem wäre. Aber mit dem Bade soll man das Kind nicht ausschütten. Soll man in jedem Waisenhause nun gar keinen Knaben mehr laxieren, weil früher sechzig auf einmal laxieren mußten?

Freilich ist das die beste Schule und zeuget von der besten Gesundheit der Kinder, in welcher solche Strafen am seltensten vorkommen, wo der Lehrer die Herzen zu heilen, den Ausbrüchen der Krankheit zuvorzukommen weiß. Denn allerdings muß so mancher nur deswegen prügeln, weil er nicht sieht, was im Anzuge ist, oder weil sein Ansehen bei den Kindern oder ihre Liebe zu ihm nicht so groß sind, daß sie zu natürlichen fort und fort wirkenden Heilmitteln werden. Bringt dann ein Lehrer es noch so weit, daß er in Anwendung solcher Strafen wirklich gerecht sein kann, ohne den Kindern ungerecht zu erscheinen, so will ich den Hut vor ihm abziehen. Ich meine nämlich: wenn er es dahin bringt, daß er auf die gleichen Fälle nicht immer die gleichen Strafen müsse folgen lassen und doch die Kinder überzeugt bleiben, daß er vollkommen gerecht und gleichmäßig gestraft habe, so hat er es weit gebracht. Jede Strafe ist nämlich von Seite des Lehrers nie eine Züchtigung, sondern ein Heilmittel. Kann ein Arzt nun mit einem Löffel voll Trank heilen, soll er dann einen ganzen Hafen voll einschütten oder gar Arme und Beine abnehmen? Das würde man doch unvernünftig finden. Darum studiert der Arzt die Natur seiner Kranknen; nach dieser richtet er seine Heilmittel ein, und je besser er die Natur kennt, desto kräftiger werden seine Mittel anschlagen. Nun sollte von Rechtes wegen der Lehrer auch nie strenger strafen als es gerade zur Heilung nötig scheint. Nun wissen wir, daß die einen Naturen härter und zäher sind als die andern, also der Krankheitsstoff viel fester bei ihnen sitzt und viel gewaltsamere Mittel zur Austreibung mangelt als andere. Bringt es nun ein Lehrer dahin, daß die Kinder dieses begreifen und es dulden ohne Ärger, daß der Lehrer bei gleichen Fehlern oder Vergehen auf andere Weise und härter oder gelinder straft, je nach der Natur des Fehlenden, so habe ich Respekt vor ihm. Freilich muß der Lehrer, um dieses zu können, vier Dinge verstehen. Er muß dieses selbst begreifen, muß Menschen begreifen, ihre verschiedenen Naturen auffassen und nachdenken können über ihre zweckmäßigste Behandlungsweise. Aber so lange Lehrer nicht einmal über einen Unterrichtsplan nachdenken wollen, kann man ihnen nicht zutrauen, daß sie über die Naturen der Kinder nachdenken mögen.

Er muß zweitens jede Brille ab seiner Nase thun können und namentlich die Brillen, wodurch er Chüechli, Brot, Rüppstücki oder gar Hamme sieht statt Kinder, und auch die, durch welche ihm die eigenen Kinder ganz anders vorkommen als andere.

Er muß des Zornes, jeder Aufwallung Meister sein können, denn der Zorn macht blind und unvernünftig. Was würde man zu dem Arzte sagen, der in der Täubl einem armen Teufel ein halbes Pfund Opium verschreiben würde statt höchstens ein halbes Quintli?

Und wenn der Lehrer ein Kind eines Mutwillens wegen züchtigt in vollem sichtbarem Zorn, muß das Kind sich nicht selbsten fragen: Wer züchtigt dann den Lehrer um seines Zornes willen? Mich ist Mutwillen angekommen, ihn der Zorn, welches ist nun ärger?

Und viertens endlich muß er das Schmuggeln lassen können. Er muß nämlich keine Branntenweinflasche unter dem Kuttensecken in die Schulstube und ins Gänterli schmuggeln, um dort ihr seine häufigen Besuche abzustatten oder sie auch nicht in der Nebenstube besuchen, die liebe Freundin. Wenn dann der Branntenweingeist klafterlang dem Lehrer aus den Augen sieht und aus dem Munde Feuer speit, und dieser Geist im Lehrer dann die Kinder braun und blau prügelt, ihnen alle sieben Regenbogenfarben auf den Rücken prägt — was müssen wohl die Kinder von einem solchen Lehrer denken? Muß ihnen nicht beifallen die Geschichte der zwei vom Teufel besessenen Gergesener, die unter die Schweine fuhren? Müssen sie nicht bei sich selbsten wünschen, ihr besessener Lehrer möchte auch unter die Schweine fahren statt unter Kinder?

Meine Prügelten hatte also gute Wirkung gethan und ging nirgends übel an, und doch war, je mehr die Kinder sich mehrten, desto weniger Stille und Ruhe in der Schule. Ich kann nicht sagen, daß die Kinder nicht gehorchten, sobald ich ihnen befahl; aber es war augenblicks wieder im alten. Ich klagte einmal meine Not dem Pfarrer. Dieser gab mir einen guten Rat, der viel half, aber doch nicht radikal; das Hauptmittel kam mir erst später zu. Nachdem er meine Schule betrachtet hatte, sagte er mir: »Die meisten Lehrer haben den gleichen Fehler wie die meisten Leute. Wenn diese sehen, so hören sie nicht; wenn sie hören, so sehen sie nicht, und wenn sie selbsten reden, so können sie weder sehen noch hören. Sie können nur einer Thätigkeit mit Bewußtsein sich hingeben; während sie das eine Organ, z. B. das Auge, mit Bewußtsein beschäftigen, vernimmt das Ohr wohl allerlei; allein was das Ohr vernimmt, vernimmt der Mensch nicht; seine Seele ist im Auge, nicht im Ohr, und ein Organ, in dem die Seele nicht ist, bringt dem Menschen nichts zu. Nun ist es allerdings das Bequeme, Gewöhnliche, seine Seele nur an einem Orte zu haben, und die Leute, die nicht geweckt sind, begreifen gar nicht, daß die Seele an verschiedenen Orten sein oder vielmehr die Thätigkeiten verschiedener Organe auffassen oder leiten könne zu gleicher Zeit. Ihr seht viele Mägde z. B. Rübli jäten oder Flachs. Sie denken bei dieser einförmigen Arbeit an ihren Kilter, warum er gestern nicht gekommen, ob er etwa bei Durfe Joggis Bäbi gewesen sei u. Ruft ihnen nun ein-, zwei-, dreimal, sie hören euch nicht; ihre Seele kann nicht vom Kilter und von Durfe Joggis Bäbi weg ins Ohr. Beobachtet Kindermägde, wie wenig sie hören, wenn sie ihren Schatz sehen, wie wenig sie sehen, wenn sie ihn sprechen hören. Laßt Knechte heimkommen zum Essen, ihre Seele ist beschäftigt mit dem Gedanken: ob Kraut oder Schnitz auf dem Tische seien, oder ob der Sauerkabis auch Schmutz bekommen habe oder nur die Kelle; legt ihnen Werkzeug aller Art neben und vor die Füße, sie werden es nicht aufheben, nicht einmal sehen; ihre Seele ist nicht im Auge, sondern beim Sauerkabis und zwar ungeteilt. So wird es begreiflich, daß in einer Stube voller Leute eine Menge Dinge geredet werden, die einen sie nicht hören, und die, welche sie hören, nicht sehen, was dabei getrieben wird.

 

»Vollends wenn ein Mensch redet und mit Eifer redet, so scheint er meist taub und blind zu sein, weil er gerade nur bei seiner Rede ist und weder die Gesichter sieht, die andere schneiden, noch das Gähnen hört, das hinter ihren Händen hervor quakt. Nun sollte von früh an der Mensch gewöhnt werden, aller Thätigkeiten seiner Organe sich zu bemeistern, zu gleicher Zeit mit seiner Seele allgegenwärtig zu sein im ganzen Körper. Zu dem Ende ist sie eben geistig und nicht ein Erdäpfel oder eine Rübe.

»Der Mensch muß zu gleicher Zeit sprechen, sehen, hören, lernen; ja, was noch schwerer ist, er muß lernen an zweien Orten zu gleicher Zeit sehen, zwei Reden zu gleicher Zeit hören. Wer einmal sich daran gewöhnt hat, der weiß nichts mehr anders; es geht ihm das von selbsten zu, es ist sein natürlicher Zustand; ja, er muß sich zusammennehmen, wenn er seine Seele ungeteilt einem Gegenstande widmen und durch nichts anders sich davon will abziehen, unterbrechen lassen. Nun wird aber keiner ein guter Knecht und kein Stüdi eine gute Magd, wenn sie nicht offne Augen und Ohren haben, wenn sie nicht gwahrig sind, d. h. wenn sie das, was ihre Sinne ihnen zuführen, nicht schnell und auf einmal aufzufassen vermögen, sondern nur immer langsam eins nach dem andern. »Aber in noch viel höherem Grade bedarf ein Lehrer dieser Eigenschaften, wenn er einer Schule und besonders einer großen Schule recht vorstehen will. Er muß in der ganzen Stube gegenwärtig sein; die Kinder müssen zum Bewußtsein kommen, daß der Lehrer alles in derselben wahrzunehmen imstande sei, daß er gar keinen Rücken habe, hinter dem sie Unziemliches treiben können. Und dieses Bewußtsein entsteht bei den Kindern gar bald, wenn sie merken, daß der Lehrer alle sieht, während er einem zuhört, daß er auf alle hört, während er einem zusieht, und daß er beides hört und sieht, während er selbsten spricht. Dieses alles muß sich aber geben nicht auf eine gezierte Weise, nicht äußern durch ein Hin- und Herschießen, sondern als ob es sich von selbsten verstünde, so sein müßte. Es ist kaum eine Eigenschaft des Lehrers, welche die Kinder so schnell auffassen als diese, so viel Respekt davor haben, und durch sie kömmt man hundert Unarten zuvor, erspart sich also auch hundert Strafen, eben so viele Unterbrechungen, und die Schule erhält erst dann ein ordentlich Aussehen.

»Und es ist wohl nichts Schöners, als wenn bei aller Thätigkeit der Lehrer in unerschütterlicher Ruhe über seiner Schule steht, wenn er zur Seele der Schule wird, die allenthalben ist und doch nirgends sich aufdrängt. Nun, sagte der Pfarrer, ist aber das ein gar seltenes Ding und eine Menge Lehrer haben gar keinen Begriff von dieser Allgegenwärtigkeit, keinen Begriff von der Möglichkeit, zu sehen und zu hören zugleich, und keinen Begriff von der Notwendigkeit dieser Eigenschaft. Wenn die Kinder sich leicht etwas in acht nehmen, so können sie machen was sie wollen. Es ist, als ob wenigstens drei Viertel einer Schulstube hinter des Lehrers Rücken liegen würden, in denen jedes machen kann, was es will. Und wenn es einmal zu wüst geht und der Lehrer befiehlt Stille, so ist wohl einen Augenblick Stille, bis und so lange die Kinder glauben, der Lehrer höre jetzt nicht mehr, sondern er sehe wieder, oder er sehe nicht mehr, sondern er höre oder er rede, und sehe und höre nicht mehr, merke durchaus nicht, was um ihn weiter vorgehe, achte nicht darauf, ob seinen Befehlen Folge geleistet werde. Ihr werdet es in hundert Schulen bemerken, daß Befehle nur ungefähr so lange fruchten als die Worte tönen an den Wänden.

»Da machte mich jüngst ein Freund lachen« — so redete noch immer der Pfarrer. »Dieser, der Freund nämlich, ist ein gar majestätischer Mann. Mit seinen ehedem schwarzen jetzt gespregelten Augenbraunen glaubt er wenigstens ebensoviel ausrichten zu können, als weiland Jupiter. Er klagte mir gar schrecklich über die Unordnung in seiner Schule. »Ja«, sagte er und stemmte die Hände in die Seiten, »wenn ich schon rufe: Stille! so bschüßt‘s nüt, nicht länger als ein Minute oder zwei. Und dieses Stille rief er so laut, daß es mich allerdings wunder nahm, daß niemand aus einem Fenster fiel, und mich wunderte, daß die Kinder in der Schule nicht stille wurden. Denn dieses donnernde Stille erschreckte einen Trupp Hühner, die eben ihr Morgenbrot zu sich nahmen, so, daß sie auseinander liefen und flogen, der Hahn über ein Dach weg, und den ganzen Tag sich nicht mehr zu zeigen wagten. Aber die Kinder werden es halt eben gewohnt gewesen sein, und da kann man tausendmal Stille rufen und noch die Augenbraunen runzeln dazu, und wenn sie so schwarz gefärbt wären wie dem Satan seine, das hülf‘ alles nichts; das Kind weiß wohl, was es macht und machen darf.

»Und in diesem Fehler, Schulmeister, seid auch Ihr!« schloß der Pfarrer, »Ihr könnt nur in einer Ecke Stille behalten und nicht in der ganzen Stube, eben weil Ihr nicht in der ganzen Stube gegenwärtig seid. Versuchet meinen Rat, er wird sicher helfen; aber freilich, es wird Euch schwer ankommen anfangs«.

Das dünkte mich eine strenge Zumutung, und wenn sie zehn Jahre später geschehen wäre, so würde ich gedacht haben, der d... Pfaffe wolle mich kujonieren. Indessen fing ich das Ding doch an zu versuchen und es leuchtete mir bald ein, daß ich mehr Ordnung in die Schule erhielte, wenn es mir möglich wäre, achtsamer zu sein. Aber es ward mir schwer, besonders wenn ich sprach. Da war es mir, als ob ich mit den Augen die Worte suchen müßte im Kopf, wie beim Lesen im Buche, und als ob die Ohren aufpassen und entscheiden müßten, ob ich die rechten gefunden und hervorgebracht. Aber wenn man etwas will und sich Mühe gibt, so bringt man es doch irgendwohin, auch wenn man schon erwachsen ist. Ein wahr Unglück ist, daß nicht mehr Lehrer solche Neuerungen versuchen wollen. Ich meine nicht neue Methoden, neue Terminologieen u. s. w., sondern sich selbst zu beherrschen, Unarten abzulegen, auf neue und bessere Weise sich darzustellen. Aber, aber, die unglückliche Selbstgenügsamkeit, Selbstgefälligkeit oder Suffisance, wie der Weltsch sagt!

Ich hatte auf diese Weise viel weniger Ursache aufzubegehren; die Kinder wurden mir daher lieber, besonders die Mädchen. Ja, lacht nur, Leute, es ist doch so. Gewiß werdet ihr heutzutage keinen Lehrer finden, der es macht wie jener alte Pfarrer. Der haßte die Weiber furchtbarlich und kehrte sich in den Unterweisungen immer den Buben zu; den Mädchen aber wendete er den Rücken. Diese, darüber teils geärgert, teils zum Mutwillen gereizt, trieben allen möglichen Spuk. Der alte Pfarrer sah nie hinter sich, wie wüst es auch gehen mochte, und wenn Schimpfwörter nicht halfen, so schlug er mit seinem Meerrohr hinter sich, aber wieder ohne zu sehen, wohin. Man kann sich den Jux denken, den die Knaben dabei hatten und auch die Mädchen, da sie selten getroffen wurden.