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Leiden und Freuden eines Schulmeisters

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Neunundzwanzigstes Kapitel. Wie nach dem Frost ich auch zu einer Schule komme

Frisch atmete ich auf, als sie endlich aus dem Hause waren; hatte ich doch den Paß in der Tasche.

Ich las nun wieder fleißig das Wochenblatt, zu sehen, ob nicht etwa eine Schule in der gehörigen Entfernung ausgeschrieben sei. So weit meine Geschichte bekannt war und so weit man mein Lied sang, wollte ich mich nicht an einem Examen blicken lassen; ich wollte nicht den alten Ruf mitbringen, sondern mir einen neuen machen. Glücklicherweise war es damals im Kanton Bern, als noch kein Volksfreund und keine Allgemeine alles ausplauderten, sehr komod. Da wußte man drei Stunden von einander nichts, als höchstens dunkle Gerüchte, wie wenn sie aus dem Schnaraffenland kämen. Sechs Stunden Entfernung, bildeten eine den Meisten unübersteigbare Kluft. Der Emmenthaler sprach vom Aargau (der Gegend von Kirchberg bis ins Morgenthal) wie von böhmischen Dörfern; der Aarganer schüttelte sich, wenn man ihm vom Guggisberg sprach; dem Seeländer war Lappland nicht fremder als das Oberland. Wo die guten Leute zu Laupen seien, wußte man im halben Lande nicht. Und als die Bistümer zu uns kamen, meinten sie, der ganze alte Kanton liege um Burdlef ume. Wenn ein Oderländer ins Emmenthal kam, so sah ihm Alles mit gwundrigen Augen nach, ob er nicht einen Gletscher auf dem Rücken habe; und die guten Emmenthaler redeten noch einmal weniger, aus Furcht, sie möchten sich vor dem pfiffigen Kunden verschnepfen. Und wenn ein Emmenthaler ins Oberland kam, so war es eine wichtige Geschichte; weit und breit machte man sich Bericht, es sei vielleicht ein guter Schick zu machen, es sei ein Emmenthaler da. Dem Guggisberger liefen im Seeland die Kinder nach, fragten: »Ätti, sy dGuggisberger o Mönsche?« Und wenn der Ätti ihnen sagte: »Ja!« so konnten sie das fast nicht glauben, sondern entgegneten: »Aber si hey ja keini Hemlischräge!«

In Ländern, wo die Grenzen ausgedehnter sind, macht man sich keinen Begriff davon, was bei uns sechs Stunden bedeuten; ich glaube aber auch nicht, daß in andern Kantonen die gleiche Entfernung also trennte.

Ob das zufällig sich gab, ob absichtlich, will ich nicht entscheiden. Auf alle Fälle hatte es sein Gutes, nicht für die, welche man die Leute nennt, sondern für die, welche sich nicht zu den Leuten zählen; für die, von denen der Vater dem Kinde, wenn es gefragt hätte: »Vatter, sy das o Mönsche?« den Bescheid würde gegeben haben: »Bhüet-is Gott, Ching,, häb Respekt, nei das sy nit Mönsche, das sy luter Landvögt, Ratsherre oder gar Junker.«

In große Verlegenheit brachte mich fast jede ausgeschriebene Schule einer entfernten Ortschaft, weil ich nicht wußte, wo sie lag, nicht mußte, sollte ich das Land auf oder ab, um zu ihr zu kommen? Fragen that ich ungern, und wenn ich schon fragte, so wußte man es auf der Schnabelweide auch nicht und zum Pfarrer durfte ich nicht. So mußte ich manches Examen Vorbeistreichen lassen, das ich sonst besucht hatte. Endlich fand ich die Schule von Gyziwyl oder Gytiwyl (man fprach es beid Weg ans) ausgeschrieben. Da wußte ich, wohin ich mußte; denn von dorther hatte ich, als ich bei dem Bauer Stör-Schumeister war, eine große schöne Kuh, welche dort besonders wohl geraten, holen müssen. Ich machte mich also auf, und traf daselbst zeitlich genug ein, um die Gelegenheit in Augenschein nehmen zu können.

Das Dorf lag im Herz des ackerbautreibenden Kantonsteils. Mächtige Felder umkränzt von Buch- und Eichwäldern umgaben dasselbe. Der Klee schien da zu Hause zu sein, und die Kartoffeläcker waren wie Allmenden. Die Häuser, groß und gewaltig, waren mit Stroh gedeckt, und vor denselben stunden mächtig und prächtig Misthaufen, fein gezupft und glatt getätschelt, wie man sie in keinem andern Lande findet. Die einen waren bereits angestochen und die schwarzen Seiten glänzten schwarz und saftig, fast appetitlich. Das Schulhaus war das schlechteste Haus im ganzen Dorfe. Allenthalben sahen am Dache die Bänder hervor und ganze Zupfen Stroh hingen herunter. Der mit Lehm gepflasterte Schopf war voll Löcher, der Gartenzaun eingefallen und die Fenster rund, blind und mit Papier geflickt.

Das Land, welches zur Schule gehörte, bestund in zwei Stücken, von denen das eine auf dem morastigen Teil der Allmend lag, das andere die schattigste Rütti war.

Es fanden sich vier Bewerber nach und nach ein, und endlich auch der Pfarrer und der Schulkommisiär. Von den Vorgesetzten ließ sich keiner blicken.

Die Herren untersuchten unsere Zeugnisse, frägelten uns aus, warum wir weiter gingen. Da hätte ich mich beinahe Verdächtig gemacht, indem ich als Grund angab: die Leute seien mir neue nicht anständig. Der Pfarrer antwortete trocken: das höre er nicht gerne; es frage sich, ob es nicht vielleicht umkehrt richtiger sei, daß ich den Leuten neue nicht anständig wäre: wer am meisten über andere zu klagen habe, über den sei gewöhnlich am meisten zu klagen.

Als immer noch niemand sich blicken ließ, wurden die Herren ungeduldig und schickten Boten aus, den säumigen Ammann, Gerichtsäß und Chorrichter zusammen zu treiben; zusammen brachten sie dieselben aber nicht. Es ging fast wie im Evangelium. Der Ammann war in die Schmiede gefahren; er hätte das Examen ganz vergessen und müßte kommen, sobald er heim sei — ließ die Frau Ammannin sagen. Der Gerichtsäß ließ melden, er könne wäger nicht kommen durch den Morgen, er müsse Mist führen; wenn es Nachmittag noch Zeit sei, so werde er es zwänge z‘cho. Der Chorrichter ließ freundlich guten Tag wünschen und vermelden: er wolle es den Herren vertrauen, er müsse am Vormittag Pflug halten und Nachmittag säen.

Der Schulkommissar begann recht erbaulich mit einem Gebet und einem merkwürdigen Gesicht. Seine Haare waren strub, dick, aber bereits weiß; sein Gesicht fing an überzugehen ins braunrote. Er that den Mund auf und zeigte dem lieben Gott die Zähne auf eine Weise, daß man hätte glauben sollen, er wolle mit ihm Streit anfangen; zugleich schnellte er ihm Worte in einem gebrochenen Mordiodeutsch zu, daß es knatterte wie Rottenfeuer, knarrte wie Steine in einer Kaffeemühle, knallte wie Steinesprengen. Das alles aber milderte er durch einen sanften, zärtlichen Augenaufschlag, der zu dem übrigen Gesicht und den Worten gar wunderlich stand. Ich muß bekennen, wenn er während dem Examen den Mund aufriß und Gebärden machte, wie ein Wolf der in Menschenfleisch beißen will, so wußte ich nicht recht, sollte ich lachen oder mich fürchten. Zuweilen auch spitzle er süß und hold den Mund und zog ihn dann wie einen Tabakseckel zum freundlichsten Lächeln wieder von einander. Übrigens war er gar nicht böse und sein Examen auch nicht.

Einen andern Bewerber nahm er schärfer aufs Korn und verschaffte uns dadurch mehrere Gelegenheiten zum Lachen. Es war ein ältlicher Mann mit kupfernem Gesicht, der, glaube ich, noch nie Schule gehalten hatte, aber auf den Einfall geraten war, er könne sich mit Schulhalten einen artigen Nebenverdienst machen. Derselbe war im höchsten Grade unwissend; ja er konnte nicht einmal lesen. Das merkte der Schulkommissär bald und stellte ihn zur Rede, wie er doch daran denken könne, Schulmeister zu werden, da er ja nicht lesen könne? »Ho! das macht mr ke Chummer,« antwortete der unerschrockene Mann, »das will i de vo de Chinge bal glert ha.« Ob er es lernte, weiß ich nicht; aber Schulmeister wurde er später. Im Verlauf des Examens kam der Ammann, eine mächtige Person mit einem doppelten Kinn und stattlichem Bauche. Endlich erschien auch der Gerichtsäß, etwas schmächtiger als der andere, aber immer noch seine zwei Centner schwer. Als man uns nichts mehr zu fragen wußte, ließ man uns singen und dann abtreten, um ungestört den Vorschlag an den Kirchenrat machen zu können. Glücklicherweise blieb das Fenster offen, die Verhandlungen uns also kein Geheimnis.

Der Herr Schulkommissär berichtete über den Lauf des Examens, sagte, er habe eigentlich allein das Recht, den doppelten Vorschlag zu machen; allein er habe es im Brauch, die betreffenden Vorgesetzten der Schule auch um ihre Meinung zu fragen. Es gebe manchmal Verhältnisse, die ihm nicht bekannt seien, oder unter den Bewerbern sei ein Burger, den man, wie auch billig, berücksichtigt wünsche.

Der Herr Pfarrer, zuerst befragt, bedauerte, daß die Auswahl nicht größer sei; aber das Einkommen locke nicht viele an, und das Haus sehe so übel aus, daß schon deswegen viele nicht kämen. Ihm gefalle der Käfer nicht übel, er singe schön, aber man wisse wohl wenig über ihn; es könnte da nicht alles lauter sein; doch wolle er dem Herrn Schulkommissär nicht vorgreifen.

Der Ammann äußerte sich fast wie jener Landvogt, der gefragt: ob sein neuer Pfarrer ihm jetzt anständiger sei, als der gestorbene, antwortete: »Es ist ei D... wie der andere.« Er sagte: es sei ihm einer wie der andere, er wolle die Herren machen lassen. Es werde da kein großer Unterschied sein; ein Schulmeister sei halt ein Schulmeister. Burger hätten sie nie einen gehabt, der Schulmeister geworden wäre; sie hätten alle noch etwas Besseres anzufangen gewußt, als Schulmeister zu werden. Ja sie hätten nicht einmal Burger, die Polizeier und Mauser werden wollten; sie müßten Hinterfüßen dazu nehmen, und das seien doch gute Pfosten.

Der Gerichtsäß stichelte: sie hätten noch niemand gezwungen bei ihnen Schulmeister zu werden; wem Lohn und Haus nicht recht seien, der könne wegbleiben; aber es hätten sich noch immer welche gefunden, die froh gewesen seien darüber. Sie hatten noch andere Sachen zu machen, als das Haus decken zu lassen, und ersoffen sei noch niemand darin; und wenn sie jedem geben wollten, was er gerne hätte, so könnten sie bald ihre Sache mit dem Rücken ansehen. Ihm sei auch einer wie der andere; nur begehre er keinen mit einer Trupp Kinder, die das ganze Jahr hungrig einem immer vor der Thüre und sonst in allem inne seien. Übrigens wolle er nichts gesagt haben, sondern die Herren machen lassen.

 

Der Schulkommissär meinte: es nehme ihn wunder, daß noch so viele das Examen gemacht hätten; 25 Kronen Lohn sei nicht viel, das Land da, wo Hasen und Füchse einander gut Nacht sagen, und besonders das Haus gar abschreckend, und der Stall so schlecht, daß dem letzten Schulmeister in den kalten Wintern seine Geißen immer erfroren seien, so daß derselbe sie endlich in seine Stube habe nehmen müssen. Er wolle sie daher ermahnt haben, Verbesserungen vorzunehmen. Der Gerichtsäß aber entgegnete: das gang niemere nüt ah; si laye-ne nit bifehle; wer nüt dara gäb, heig o nüt drzue z‘säge. Ihre Schumeister heyg lang gnue Lohn, er chönn-e ring a Scherm u Schatte verdiene u chönn i dr Stube sy, we si müesse am Wetter blybe. Dr Schumeister chönn i-me alte Hus dChing so guet lehre, als i-me neue; er heig no nie ghört, daß dChing i-me Herrehus gschichter worde syge. Es chömm de nadisch uf-e Schumeister a und de no ds Meiste, daß me o daheim mit-ne leri. We si dert nüt lerti, su treyti dSchuel o nit viel ab.

Der Herr Schulkommissär ließ das Thema fallen und machte den Wahlvorschlag, auf welchem ich der erste war. Mit diesen Vorschlägen wurde ein bedeutend Geheimnis getrieben; aber dennoch wurde es einem meist auf eine feine Art, daß man darüber stolpern mußte, zu merken gegeben, wenn man der erste in der Wahl war.

An manchen Orten waren es die Vorgesetzten, die sich zutäppisch machten, einen allerhand fragten, allfälliges Zügeln anerboten und auf gute Bekanntschaft Gesundheit mit einem machten. Hier würdigten die Vorgesetzten einen kaum eines Blickes. Die speckigen, markigen Hände in den Gilettaschen, sahen sie gar trotziglich drein, und maßen einen, wenn man vor ihnen stand, von oben bis unten mit Blicken, die Landvögten Ehre gemacht hätten. Blicke von oben herab suchen und sagen gar viel. Sie suchen die gehörige De- und Wehmut, sie suchen Stoff zum Ärgernis, Stoff zum Urteil, ob sie dem armen Wicht gnadiglich den H.... zu küssen oder den Schuh in den H.... zu geben hätten. Sie sagen: ich danke dir Gott, daß ich nicht bin, wie diese Kreatur, und Kerl habe Respekt, sonst gnade dir Gott.

Der Pfarrer war‘s, der mir freundliche Winke gab, daß ich mich an die Vorgesetzten machen und bei ihnen anhoschen solle, daß sie mich abholten; es spare mir immer so viel.

In der Freude meines Herzens wagte ich mich zu ihnen heran mit der Frage: ob sie mich wohl abholen würden, wenn ich ihr Schulmeister werden sollte? Der Ammann gab mir die Antwort, welche in den heutigen Tagen ein heutiger Maulheld ebenfalls einem Schulmeister gab. Dieser Schulmeister fand nämlich im Schulhause den Mauser eingenistet; dieser wollte nicht Platz machen. Da ging er zum Faktotum der Gemeinde, der im Großen Rat gegen Aristokraten und Pfarrer und für Volksaufklärung thut und brüllt akurat wie ein Wüterich, und klagte seine Not, und dieser Volksfreund und Faktotum gab ihm zur Antwort: das gehe ihn nichts an, er schicke keine Kinder in die Schule! So antwortete mir der Ammann und wies mich an den Gerichtsäß. Dieser sagte: er könne mir nichts verheißen; zuerst müsse der Mist geführt und z‘Ackergfahren sein; dann werde man gmeinwerken müssen; man sei immer nur plaget. Aber das pressier eigentlich nicht. Ich solle warten, bis ich gewählt sei; dann solle ich wiederkommen; man könne dann noch immer luegen, wie es einem sich schicke.

Mit diesem trocknen Bescheid trabte ich noch selben Abend heim; denn niemand bot mir ein Nachtlager an, und Geld verthun wollte ich nicht. Ich hatte nun eine Schule und entrann dem feurigen Ofen, in dem ich die letzte Zeit durch geröstet und gebraten wurde. Aber doch war mir seltsam im Gemüte; so recht freuen konnte ich mich nicht. Der Gedanke, wegzugehen, that mir wohl; aber um mich recht zu freuen, hätte mir meine neue Stelle neue Hoffnung in die Seele gießen, mir vorspiegeln müssen, was ich dort sein, was ich gewinnen würdeu. Das fehlte. Ich fühlte wohl, daß ich dort gar klein sein und von allen, die einen Kreuzer mehr besaßen als ich, würde verachtet werden; daß man dort den Schulmeister betrachte, ärger als einen Bettler, da man dem Bettler doch geben könne, was man wolle, dem Schulmeister aber ein bestimmtes geben müsse.

So richteten mich keine frohen Aussichten zu fröhlichen Hoffnungen auf; daher wollte die Freude nicht kommen und immer trübere Schatten warfen sich auf meinen Lebensweg. Der Abend war in Nacht übergegangen. Am lauteren Himmel glühten die Sterne in ihrem stillen Licht; sie sprühten nicht Funken, sie flackerten nicht hoch auf; aber dafür erloschen sie auch nicht. Mochte die Erde auch ganze Wolkenmeere gegen sie aufsenden, nur verhüllen konnten sie dieselben auf Augenblicke; aber die Wolkenmeere zerstoben wieder, die Sterne glühten fort. Gar klein und bescheiden glühen sie am klaren Himmel; jeder Kablskopf auf der dunklen Erde scheint größer als sie; aber groß sind sie vor dem Allmächtigen, und wenn einst der Mensch ihre Pracht erkennen wird, so wird er staunend rufen: O Herr, wie sind deine Werke so groß, wie herrlich hast du sie alle geordnet! Sie haben zwar keine Worte, und doch dringet ihre Stimme in die Herzen der Menschen, ihnen oft unbewußt. So kam allmählich, wie die Nacht dunkler wurde und die Sterne immer heiterer strahlten, statt der Freude eine unaussprechbare Nuhe oder Ergebung über mich. Ich verzichtete auf Ehre und Gewinn ohne Schmerz; ich wollte in der Stille meine Pflicht thun, wollte mich begnügen damit, den Unverstand und den Hochmut nicht übel nehmen; ich verzichtete auf Dankbarkeit und vergab im voraus Kränkungen, wollte neben meiner Schule für mich sein und in stiller Arbeit mein Leben zubringen.

Höher hoben sich meine Gedanken nicht, und wehmütige Blicke auf die geschwundenen Träume flogen noch immer wie leichte Wölklein über den sich aufklärenden Himmel meiner Seele. Aber mit dem bestimmten Wollen, mit der erhaltenen Fassung kehrte auch der Mut wieder. Der Kopf hob sich, die Beine traten fester auf; ich ließ mich nicht mehr, vom Schicksal schleppen, sondern ich trat ihm entgegen, nicht mit streitfertigem Gemüte zwar, sondern mit ergebenem. Dieser Zustand kam zwar plötzlich über mich; aber er war schon lange vorbereitet in mir, und trat jetzt durch die bestimmte Lage, in die ich kam, bestimmt hervor. Wäre ich an eine andere Schule gekommen, hätte man wieder viel aus mir gemacht, mich auf den Händen getragen, mit schmeichelnder Rede mich begrüßt, über den Vorfahr geschimpft und mich dagegen erhoben — da wäre wohl der alte Adam wieder hervorgebrochen. Erwartungen hätten meine Seele umtanzt; meine Schwäche hätte ich vergessen, die Schuld nur auf die andern geschoben, hätte alles für bar Geld genommen und die neuen Leute für unendlich besser gehalten, als die alten. Und das Ende vom Liede wäre ein neues Elend gewesen, dem alten gleich.

Ein am Leibe krankner Mensch muß allerdings durch Mittel sich heilen. Eine innere Krankheit durch innere Mittel, eine äußere durch innere und äußere. Aber habe man auch eine Krankheit und entferne sie, so hinterläßt sie doch eine Schwäche, eine große Empfänglichkeit, die Krankheit wieder aufzunehmen. Mit der größten Sorgfalt hütet man daher den Genesenden vor den die Krankheit erzeugenden Ursachen, damit er nicht Rückfälle erleide, die weit gefährlicher sind, als die Anfälle.

Das verstehen nun die Menschen geistig nicht, oder selten, darum ist so vieler Leben ein immer tieferes Fallen bei ohnmächtigen Versuchen sich zu erheben. Das versteht Gott; aber die Menschen verstehen ihn nicht. Er ist der beste Krankenwärter; er kennt die Schwächen, und hütet und bewahrt vor den Krankheit erzeugenden Ursachen, schaffet Lagen, in welchen die Schwäche erstarken kann, bis sie die Rückfälle abzuweisen vermag. Gar mancher jammert und schreit über seine Lage, richtet seine verlangenden Blicke nach einer andern, schimpft mörderlich, daß sie ihm unzugänglich sei; aber Gott hält ihn fest; in der gewünschten Lage würde er untergehen, in der so schwer auf ihm liegenden erstarket er. Am Ende seines Lebens, wenn die Wege Gottes ihm deutlicher werden, danket er Gott inbrünstig, daß Gott nicht nach des verblendeten Willen gethan.

So war auch Gott mein treuer Krankenwärter, ohne daß. ich die Hand, die mich wartete, recht erkannte. Er rieb mir, durch Not und Schande, den wüsten Aussatz weg; er reinigte das unsaubere Blut durch Zerknirschung und Erkenntnis; er stärkte die ermattete Seele durch Ergebung; aber er hütete auch den Genesenden vor Lockungen und Versuchungen — dadurch, daß er ihn wohl aus dem Fegfeuer nahm, aber in keinen scheinbaren Himmel ihn versetzte.

Dreißigstes Kapitel. Was ein Brief für Wirkung thut

Nun hatte ich meine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen.

Durch großen Fleiß und Sparsamkeit ward ich in Stand gesetzt, meine laufenden Schulden alle zu bezahlen, sogar das Bett fast ganz. Aber die Orgel, mein Freund und Tröster, konnte ich nicht bezahlen und doch nicht von ihr lassen. Ich mußte nun mit den Leuten mich abzufinden suchen, daß sie mich ziehen ließen, ohne Beschlag auf meine Sachen zu legen. Die Krämerin war nun eine ganz andere als damals, wo sie mir das Bett aufgeschwatzt hatte. Grob war sie auch jetzt nicht; sie bedauerte nur die bösen Zeiten und die vielen Verluste, die sie machen müßten, so daß sie nicht vermöchten auf das Geld zu warten, und nicht Ursache hätten, den Leuten viel zu trauen. Wenn man einmal aus einander sei, so wisse man nicht, was es geben könne. Es sei daher besser, man mache früher mit einander fertig. Nach vielen Umständen und vielen Bedenklichkeiten ließ sie sich dazu verstehen, daß ich es mit Weben abverdienen könnte. Sie sah, daß ich nicht der Mensch dazu sei, mit einem Bündel Garn mich davon zu machen. Ich lieferte auch das Tuch zur gehörigen Zeit und am gehörigen Orte ab; allein den Weberlohn, der mir noch herausgehörte, sah ich nie.

Mit der Orgel ging es mir schlimmer. Der Schuldner begehrte die Orgel nicht zurück; denn das Orgelfieber war vorüber und niemand hätte sie ihm abgekauft. Er wußte auch, daß man mit einer Orgel einem im Kanton Bern nicht wohl entrinnen kann; aber er sah, wie gerne ich sie behielt. Darum stellte er sich gar geldnötig, gar mißtreu, hatte Käufer dafür die Menge, sie selbst zu behalten Lust etc., und brachte mich so richtig dahin, wo er wollte, daß ich ihm nämlich Stündigungsgeld zahlen mußte. Das Stündigungsgeld ist nicht allen bekannt, obgleich mancher dadurch reich, mancher arm geworden. Es ist ein Opfer, das man bringt neben Kapital und Zins, damit man einem eben mit Kapital oder Zins noch länger warte. Manche wissen ihr Geld so zu verteilen und die Termine so zu stellen, daß sie ihre Opfer zwei- bis dreimal im Jahr schröpfen können. Auch wird unendlich viel Geld so gezogen, ohne daß der Gläubiger es weiß. Der seckelt es ein, der dem Gläubiger zu seinem Gelde verhelfen soll; der halt den Gläubiger mit allerlei Reden hin, während er dem Schuldner tüchtig zu Ader läßt. Man kann sich leicht denken, wie wohl solche Aderlässe dem thun, der ohnehin zu wenig Geld hat, seine Schuldigkeiten abzutragen, und ob sie die Zahlung befördern. Allein sie sind ein komodes Mittel, um zu zwei- und dreifachem Zins zu kommen, ohne als Wucherer angeklagt werden zu können; ein komodes Mittel, Sporteln zu vermehren und zu Geld zum Hudeln zu kommen. So ließ mir mein Käufer die Orgel auch, nachdem ich Hab und Gut verschrieben, Zins ausgesetzt und Stündigungsgeld bezahlt hatte. Wer mir aber noch schuldig war, der hatte alle mögliche Ausflüchte, und wenn ich meine Gläubiger an Schuldner weisen wollte, so hatten auch die Gläubiger Ausflüchte und wollten nicht an die Schuldner kommen.

Als ich glaubte, die Zeit rücke heran, wo in Gytiwyl der Mist geführt sein werde, dachte ich in meiner Einfalt: es sei doch dumm, 6 Stunden weit zu laufen, um ein Fuhrwerk zu bestellen und dann 6 Stunden wieder zurück; das werde am besten mit einem Brief abzumachen sein. Ich schrieb einen, bestellte drei Rosse, bestimmte den Tag, und glaubte alles vortrefflich gemacht zu haben; ja ich hatte eine ordentliche Freude an mir selbst über den unerwarteten Einfall, daß man 6 Stunden weit etwas mit einem Brief so gut verrichten könne, als mit eigener Person. Der Tag kam, aber keine Gytiwyler, und die ganze Woche zeigte sich niemand. Ich lief hinauf nach Gytiwyl, und sah dort am frühen Morgen bei einem der ersten Häuser den Gerichtsäß mit einem Pferd an der Hand am Brunnen stehen und tränken. So in der Hast und ohne es böse zu meinen, frug ich ihn: ob sie den Brief nicht erhalten, und warum niemand daraufhin gekommen sei? Der Gerichtsäß antwortete: sie ließen sich nicht so mit einem Briefe befehlen; das wäre eine komode Sache, wenn da ein jeder nur zu befehlen brauche. Wenn ich etwas von ihnen wolle, so thue es mir‘s sauft, sie dafür z‘ha und selbsten zu kommen; das sei anständig. Ein Schulmeister müsse nicht meinen, daß er Meister sein wolle im Dorfe; sie seien auch noch da daheim. Damit führte er sein Pferd, das die nasse Nase schon lange an seinem Ärmel abgerieben hatte, in den Stall und ließ mich draußen stehen.

 

Ganz bedächtiglich füllte er seinen Futterkübel aus dem Futterkasten, netzte das Futter und schüttete es dann wohl gerührt in die Krippe, legte den Mist zurecht und trat aus der Thüre. Dort redete ich ihn wieder ganz demütiglich an: ich sei eben jetzt dafür da um für ein Fuhrwerk zu bitten, und wegen des Briefes sollte er nicht zürnen; ich hätte schier nicht Zeit gehabt und gedacht, ein Brief versäume nichts, hingegen ich einen oder fast zwei Tage. Er lüpfte die Hosen und sagte: er wolle ein Roß geben, ich solle nun zu denen und denen gehen, deren Häuser er mir zeigte; wenn die auch fahren wollten, so sei es ihm recht. Damit ging er ins Haus hinein, ohne mich mitgehen zu heißen. Im zweiten Hause ging es mir ähnlich. Als ich doppelte an der Hausthüre, sah jemand aus dem Läufterli, zog aber den Kopf schnell zurück. Wahrscheinlich kannte mich der Kopf und drinnen hob eine Beratung an, was ich wohl wolle und ob man mich solle hineinkommen heißen oder nicht. Da wird die Frau gesagt haben: »Gang du use, Hans, dStube isch no nüt gwüscht u mr hei nume gwärmts Chrut u böst Milch, u mi weiß no gar nit, was er für einen-isch, u drum bigehr i nüt, daß er dNase i alles iche heig. Und dr Ma wird gesagt haben: »Er wird wohl warte, i will emal z‘erst näh bis i gnue ha.« Und da that die Frau das Läufterli wieder auf, um erstlich mich auch zu sehen und zweitens mir zu sagen: »Es chunnt grad neuer.« Und während Hans langsam mit der Gabel das Kraut und mit dem Löffel die Milch nahm und zuletzt noch ein Stücklein Brot als Dessert, mußte er der neugierigen Frau Bescheid geben, was das wohl sei, daß ich da zu ihnen komme.

Endlich kam er heraus, gab mir den gleichen Bescheid wie der frühere, und wies mich zu einem dritten. Dort kam eine große mächtige Frau eben mit zweien Säumelchtern von den Ställen zurück, wo sie ihre Morgenfreude genossen hatte an den lustigen Fasel- und den gschlachten Mastschweinen, die, wie die weiße Melchtere bezeugte, ebensoviel Nidle erhielten als Milch, auf alle Fälle bessere Milch, als die Leute selbst auf dem Tische hatten. Ich will wetten, die reichen Basler Herren haben nicht so gutes Weißes in ihrem Kaffee, als circa 4000 Bernerschwein von Martistag bis Fasnacht in ihrem Troge haben. Die Frau war aufgeweckt; wahrscheinlich hatte sie mit ihren zusammengeknüpften Strumpfbändern ihre Lieblinge gemessen und gefunden, daß sie im letzten Monat wieder fast um ein Viertel zugenommen.

Sie fragte resolut: »Was hesch welle?« Nachdem ich mein Begehr vorgebracht, sagte sie: »So bisch du dr neu Schumeister? Myne ist nicht daheim; aber er hat gesagt, er werd wohl fahren müssen.« Nun begann sie, immer ihre beiden Melchtern in beiden Händen, ein Examen über das wie und wann, wie keiner der Männer es sich früher die Mühe genommen hatte, und wie sie es auch kaum gethan hätte, wenn man noch am säen und nicht schon am Rüben heimmachen gewesen wäre, wo eine Bäurin schon ruhig eine halbe Stunde schwatzen kann. Nach einem langen Examen ständligen, und nachdem sie ausgemacht, daß ich einen zweispännigen Leiterwagen und ein einspännig Gstellwägeli nötig haben werde, fingen mir die Beine an sperrig zu werden, und mein Magen brummte ein ungeduldig Morgenlied. Ich frug endlich, wo wohl das Wirtshaus sei? Ich komme weit her und habe heute noch nichts warmes gehabt. »He, dafür brauchst du nicht ins Wirtshaus,« sagte sie, »we d‘ nit schmäderfräßig bisch u we d‘ eim ds Mul gönne masch, so hey mr de notti o neuis. Du chasch yche cho!« Damit überschritt sie die hohe Schwelle und ging durch den Seitengang in die Küche, wies mich in die Stube und sagte, sie werde bald nachkommen, sie wolle mir nur neuis wärme. Doch kam sie auf der Stelle nach und zog das Brot aus der Tischdrucke und sagte: »We d‘ hungrig bisch, so nimm afe; es isch nimme früsches, aber mr hei nit dr Zyt alli Tag z‘bache.« Bald brachte sie mir warme Milch und gewärmte Erdäpfelbitzli, breitete das Tischtuch aus über den harthölzernen Tisch, in dessen Mitte eine Schiefertafel eingelassen war, welche das Hausbuch oder den Kalender vorstellte, legte Löffel und Gabel zurecht und sagte: »Chum nimm, du muesch‘s näh, wi mr‘s hei; du wirsch aber o nit geng öppis Bessers ha.« Während ich aß, mußte ich eine Unzahl von Fragen beantworten; denn die Bäurin wollte alles wissen. Wo ich daheim sei und wie es dort gehe, wie es auf der Schnabelweide zugehe, wie die Leute es dort hätten und wie sie seien, und warum ich nicht gwybet hätte, oder ob ich nicht wyben wolle? Man sehe doch neue keinen Schulmeister ohne Frau!

Wenn so eine Frau mit Fragen abkömmt, so wird sie nicht bald fertig. Sie liest weder Zeitung noch Bücher und ist doch gwundrig. Und doch hält sie sich nicht dafür, jedermann geradeaus zu fragen und ihre Neugierde zu verraten. Gegen wen sie mißtreu ist, und sie ist es in der Regel gegen alle, die mit ihr auf der gleichen Stufe oder über ihr stehen, den wird sie selten um etwas geradezu fragen, sondern hintenum es abzuläschlen suchen. So recht von Herzen fragen wird sie nur Untergebene, die es für eine Ehre halten, gefragt zu werden, und denen man kein weiter Urteil über die Fragen zutraut, eben weil es Untergebene sind, oder solche, denen man Wohlthaten erwiesen hat, und die durch Antworten eine Art von Bezahlung leisten müssen. Es ist hier fast wie in der Diplomatie und in der großen Welt überhaupt. Man hütet sich vor seinesgleichen, während man sich vor untern auf die lächerlichste Weise bloßgibt, verrät. Daher kömmt es, daß manche Frau für charmant giltet, während sie das Gespött bei allen Brunnen ist; daß über einen Landvogt ein ganzes Amt lachte und spottete, während er in seinen Kreisen für passabel gescheut galt. Daher kömmt es, daß man heutzutage über manche fast krank sich lachen muß, wenn sie mit majestätischer Naivität in vertraulichen Stunden denen, die zu ihren Füßen sitzen, ihre Blößen bewußtlos enthüllen.

Die gute Frau brachte mich aber in bedeutende Verlegenheiten, weil ich die Wahrheit nicht sagen wollte und lügen nicht recht konnte. Doch sie hatte so viel mit den Fragen zu thun und den erhaltenen Antworten nachzusinnen, daß sie meine Verlegenheiten nicht merkte; zudem hatte sie aus allem Gehörten auch einen Schluß zu ziehen und zwar den: man habe es doch nirgend so wie hier. Aber die Leute seien auch darnach; wenn sie wären wie hier und arbeiteten wie hier, so würde es auch besser gehen; aber im Luft komme die Sache nicht daher, und das sei dann wahr: so wie hier, werche man nirgends und verstehe es nirgends. Nachdem dieser Schluß ihrem Herzen wohl gethan, nahm sie sich auch meiner an, hieß mich wacker essen und übernahm die Besorgung meiner Angelegenheit bei ihrem Mann, und daß sie den und den Tag fahren müßten. Ich hätte noch weit heim und das umenandere sprenge trage nichts ab, meinte sie. Nachdem ich noch ein Gläsli Kirschenwasser zu mir genommen, entließ mich die Frau, die nun z‘Imiß. kochen mußte.