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Leiden und Freuden eines Schulmeisters

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Sechsundzwanzigstes Kapitel. Wie mich die Mauren und Buben Kurieren

So hob ich meinen Kopf höher und immer höher, und als ich ihn endlich aufgerichtet hatte, trotz einem kleinen Herrn mit spitziger Nase, der eine 1/2 Fuß hohe Kravatte unters Kinn stellt, damit der Kopf hoch bleibe, erblickte ich die Garnlise zehn Schritte vor mir. Die kam ganz demütig und liebevoll auf mich zu, reichte mir die Hand und frug zärtlich : »Wie geht es, Schulmeister? Wir haben rechtes Erbarmen gehabt mit euch und die ganze Nacht pläret euretwegen.« Diese Zärtlichkeit und dieses sich Schmiegen hatte bei meiner Gemütsstimmung die gleiche Wirkung, wie bei noch manch anderem: je tiefer einer vor ihm kniet, desto hoher baumelet er. So polterte ich auch los und sagte: »Ja ich glaube es, ihr habt pläret, daß ihr mich nicht habt hineinsprengen können, einem anderen die Suppe auszufressen, ihr seid zwei schöne Luenzen se.« Da fingen aber der Garnlise Augen an zu funkeln, wie die einer Katze, wenn man sie beim Schwanz zerrt. Sie begann leise zu knurren und sagte mit noch manierlicher Stimme: das hätte sie nicht von mir erwartet; es sei nicht recht von mir, so zu reden, da ich sie jetzt ins Unglück bringe. Bäbi sei mir nicht nachgelaufen, sondern ich ihm; sei mir nicht auf den Schoß gesessen, sondern ich hatte es darauf gezogen, hätte da meine Manöver gemacht, gab wie es mir abgewehrt. Auf den Lärm hin, den man nun gemacht, weil man mich so angetroffen, wolle nun der Beklagte, der Bäbin gar grusam lieb gehabt, von allem nichts wissen, und sage immer: sie solle zu ihrem Fragenbuchhengst gehen; der werde am besten wissen, wer der Vater sei. So müsse Bäbi meinetwegen eine Hure geben, und wäre doch das bravst Meitli gewesen weit und breit, und ich mache es ihm jetzt auch noch so! Ich ward dadurch noch nicht zum Schweigen gebracht und gab ihr einige kleine Schüsse in die Flanke über löten und anläßig sein se. Da öffnete List ihre bisher maskierte schwere Batterie und gab mir volle Lagen, und nicht in die Flanken, sondern in die Fronte. Wenn man denn einen solchen Donnerslümmel hätte löten wollen, so wäre er langist am Ort; aber so ein verhudeltes Schulmeisterli solle sich nicht einbilden, daß ein Meitschi, wie Bäbi, ihn nur mit dem H...... ansehe, und wenn es sieben uneheliche Kinder haben müßte. Wenn es einen solchen Schullümmel haben wollte, so wollte es denn doch einen, der ein zahltes Bett hätte und einen ganzen Milchhafen. Ich vernahm noch, daß ich der Narr des ganzen Dorfes sei, das Gespött aller Kinder, verachtet von den Alten, und daß im ganzen Land kein schlechterer Schulmeister und kein ärgerer Hudelbub sei als ich.

Mein Geschütz war zum Schweigen gebracht, ich stund stumm und eingewurzelt, wie Loths Weib. Da machte sich List satt los, rückte, immer feuernd, mir vom Leibe weg, ging endlich fort aber alle drei Schritte noch mit verkehrtem Kopfe mir eine Ladung zusendend, so lange ich es hören konnte. Erst als List weit weg war, ermannte ich mich und konnte wieder ab Platz kommen, und zu rechtem Ärger über die Frechheit dieses Weibes, das so himmelschreiend mich nun hineinstoßen wollte, mich noch viel schlechter machend als der Pfarrer. Voll gewaltigen Zornes brach ich aus dem Walde heraus auf die Äcker, unter denen das Dörfchen lag.

An der Spitze desselben stund das Haus eines bsunderbaren Freundes von mir, der mich viel einlud und mir viel Recht gab. Diesen hatte ich seit der Geschichte nicht gesehen. Er hatte mich weder ausnehmen helfen, noch war er dabei gewesen, als man mich für den Teufel oder einen seiner Geister angesehen. Im Tenne drosch man und hatte eben eine Tenneten fertig gedroschen und war am Strohaufschütteln, am Abrechen se. Vor dem Tenne wannete der Freund. Als man mich kommen sah, guckte eins ums andere hinter der Ecke hervor, ob ich noch ganz sei, welche Miene ich ziehe, und arbeitete schnell wieder fort, als ob man mich nicht bemerke. Ich grüßte und mahnte, sie sollten bald Mittag machen; man dankte mir trocken. Ich trat zu dem Wannenden und sagte ihm: »Du wirst wissen, von wem ich komme?« — Er hätte neuis davon gehört, war der kurze Bescheid.

Nun klagte ich, was mir der Pfarrer alles gesagt, und wie er gesagt habe, ein Schulmeister sollte nicht zu Kilt laufen und sich nicht so gemein machen u. s. w. — Der Pfarrer werde wohl wissen, was er sage, hieß es; so ein Herr wisse am besten, was recht sei und was ins Maß möge. — Aber das alles sei doch nichts Böses, sagte ich, und es habe niemand etwas dawider gehabt, als der Pfarrer, der nichts davon verstehe und nicht wisse, was auf dem Lande der Brauch sei. — Es habe mir aber auch niemand viel darauf gehalten; wenn ich gewollt hatte, ich hätte es können merken, war die Antwort. — Da ich so mit ihm nicht zurecht kam, fing ich von der Life an, und erzählte ihm, was sie mir alles gesagt und wie ich nun an allem Schuld sein solle. Da antwortete er mir, alles in gleichem Tone: sie werde wohl in etwas Recht haben; wenn es mir nicht um öppis angers zu thun gewesen, so würde ich mich mit so schlechten Leuten nicht angelassen haben. Da wurde ich endlich doch böse, und frug: wenn ich ein so schlechter sein solle und niemand etwas auf mir halte, warum man mich dann behalten wolle? — »Wenn du niemand schuldig wärest, so könntest du gehen wohin du wolltest, lieber heute als morgen; aber wir vermögen es nicht, dem Schulmeister den Lohn zwei- und dreimal zu geben.« Damit schüttete er seine Wanne auf den Kornwalm aus, ergriff seinen Flegel wieder und ließ mich stehen, wo und wie ich stund.

Und da stund ich richtig, wie vom Himmel herabgefallen; denn das waren die gleichen Leute, die vor einigen Jahren gegen den Pfarrer mich aufwiesen, ihn auszäpfelten, mich mitmachen hießen, und alles, was ich vornahm, lustig zu finden schienen. Jetzt als die Folgen dieses Thuns über mich hereinbrachen, ließ man mich stehen, gab dem Pfarrer Recht, mir Unrecht, und behandelte mich, als wenn ich all mein Thun und Lassen selbst ersinnet hätte, vergaß, daß man mich dazu gelockt, aufgemuntert hatte. Die, deren Rat ich befolgt, stießen mich von sich, thaten, als ob sie nicht die geringste Schuld hatten, sprachen laut die Mißbilligung dessen aus, was sie früher angepriesen. Jetzt war alles einig, der Pfarrer, die Garnlise, die Bauren; der Pfarrer, weil er recht hatte; die andern, weil es sie eben ankam, einen Sündenbock aus mir zu machen, und ich, armer Teufel, mußte sehen, wie männiglich mit dem Finger auf mich wies und sagte: Pfi Tüfel. Und von Tenn zu Tenn mußte ich die verblümten Worte hören: »Das isch es lustigs Bürschli, e sufere Schumeister; we‘s im dr Herr ume recht gseit het!« Wahrhaftig der Zorn verschwand mir und das Baumele; ein unendlicher Jammer übernahm mich. Also der Stab war über mich gebrochen, die Welt hatte ihr Urteil gefällt, alle es bestätigt, und keine einzige Seele war, die sich meiner annahm; keine, die an dieses Urteils Richtigkeit zweifelte; keine, die untersuchte, in welchem Zusammenhang mein Wesen mit meinem Thun stund, welche Schuld auf mich und welche auf meine Umgebung fiel. Alle, alle stunden zusammen an einen Haufen, stießen mich aus und schrien das Schuldig über den Bloßgestellten, und jeder schreiende reckte stolz den Kopf empor und meinte, wenn er einen andern verurteile, so sei er damit selbst ohne Schuld. Und ich, der Missethäter, konnte mich nicht verteidigen; niemand hörte mich, niemand glaubte mir, und jeder sprach: »Da siehe du zu! selber tha, selber ha! Wahrhaftig, da war mein Herz des Jammers voll, und ich hätte in den Boden kriechen mögen vor Elend. Jahrelang hatte ich gelebt in gräßlicher Verblendung. Ich wähnte, meine Umgebung finde alles schön, was ich mache, billige alles; und sie hatte es häßlich gefunden, mißbilligt! Also ein ganz anderer war ich immer in dieser Menschen Augen gewesen, als ich gewähnt hatte, und das jahrelang ohne es zu merken, ohne daß mir ein Laut vernehmbar ward!

Und wie einmal darüber mir die Augen aufgingen, daß nicht nur jener Abend, über den ich mich enschuldigen zu können glaubte, sondern mein ganzes übriges Betragen anstößig gewesen, wer beschreibt mir da die Wolken von Gedanken, die aus dieser einen Erkenntnis emporstiegen, an einander sich reihten, über mir sich wölbten und eine Zerknirschung über mich ergossen, gegen welche die Sündflut nur eine Süderete war? Vor den Menschen hatte ich groß sein wollen, das war mein Zweck; nun hatten sie mich recht klein gemacht, das war mein Lohn.

Mitten in dieser Zerknirschung kam der erste Schultag heran. Ich dachte nicht, welche neue Pein er mir bringen werde, obgleich ich mich nicht auf ihn freute. Am Morgen vor der Schulstunde zog mich ein bedeutender Lärm ans Fenster. Ich sah die liebe Schuljugend in größerer Zahl als sonst am ersten Schultage brauchlich war, an welchem gewöhnlich auf sieben Bänke nur ein Kind kömmt, herbeilaufen unter ungewöhnlichem Lärm und Gelächter. Mehrere größere Buben kamen voran und hielten einen andern, der sich gar ungestüm gebürdete, an Boden sich warf, in die Haare griff und um sich schlug. Je ärger er es trieb, desto lauter lachte der nachfolgende Schweif, unter den sich auch einige ältere Leute gemischt hatten, und vor den Häusern stunden riegeldick sich halbtotlachende Zuschauer. Ich begriff an der ganzen Sache nichts, bis der Zug zum Hause gekommen, der schreiende nicht hinein wollte, von Ertränken sprach, dann: »Babi, o mys Bäbi!« rief, und man ihn frug: ob er noch mehr Giertätsch wolle? Da merkte ich, daß die gottlose Jugend mich aufführe, aus jenem unglückseligen Abend ein ordentliches Spektakelstück mache, dasselbe als passenden Eingang der Schule darstelle, belacht und vielleicht angespornt von den Alten, Und dieses Stück wurde nicht nur einmal aufgeführt, sondern anfangs regelmäßig vor jeder Schule. Um die Rolle des Schreienden schlug man sich; jeder wollte es besser machen als der andere, so daß oft ihrer zwei sie übernahmen oder das Stück zweimal hinter einander gegeben wurde. Die Mädchen waren nie ärgerlicher darüber, daß sie nur Mädchen und nicht Buben waren, als jetzt, da sie diese Rolle nicht übernehmen konnten; und mich nimmt nur Wunder, daß keinem in den Sinn kam, das Bäbi auch einzuführen, damit die Mädchen doch auch auftreten könnten.

 

Hätte ich die nötige Energie besessen, so wäre das Spektakel wohl abzustellen gewesen, allein die besaß ich eben nicht. Den Eltern klagen? gerade die hatten ihre Freude daran und an ihren säubern Früchtlein, die das Ding so natürlich darzustellen wußten. Dem Pfarrer hätte ich wohl klagen können, und der hätte sicher Holla gemacht; aber mir graute vor der Nutzanwendung, die er mir gratis mitzugeben nicht ermangelt hätte. Hatte ich nun meine Verhöhnung mit angesehen, so konnte ich in die Schulstube gehen und den Kindern in eigener Person mich darstellen. Das war nun wenig anders, als wenn ich mich an den Pranger stellen und ein Halseisen hätte müssen umthun lassen. Man kann sich denken, wie das junge Volk mir Augen machte, spitzbübische und trotzige, und welch Schafsgesicht ich dagegen auftischen mußte. Mau kann sich denken, welch Elend in der Schule entstund, in welcher die Kinder den Lehrer ungestraft verhöhnten, und der Lehrer das gar wohl fühlte, aber, von einem unglücklichen Bewußtsein niedergedrückt, von einer grenzenlosen Mutlosigkeit umfangen, nichts dagegen anzukehren wußte, nicht scharf und entscheidend durchgreifen durfte. Man kann sich denken, wie viel die Kinder lernten. Aber was schor das meine Bauren, daß ihren Kindern ein Winter verloren ging, wenn sie nur ihre Batzen nicht verloren! Von dem nachteiligen moralischen Einfluß auf die Kinder, den ein solches Verhältnis haben mußte, will ich gar nicht reden, denn was wußte man auf der Schnabelweid, was moralisch sei? Cha nit welsch, hatten sie gesagt, wenn man ihnen mit moralisch gekommen wäre. Den Zustand aber, in dem ich gewöhnlich an einem Abend war, kann man sich kaum denken. Es war eine tägliche Kreuzigung, zu der ich alle Morgen erwachte. Und wenn der Tag vorbei war, kam der Abend finster und lang und einsam; denn kein Mensch besuchte mich und zu niemanden mochte ich; mochte die Gesichter nicht sehen, ehedem so freundlich und lächend, jetzt hämisch und finster; mochte Anzüglichkeiten und Sticheleien von denen nicht hören, die früher ganz anders geredet, die auch ganz andre Dinge getrieben hatten, nur mit dem Unterschiede, daß es dann bei gelöschtem Lichte geschah, während es an jenem unglücklichen Abend noch gebrannt hatte. Ja einen gar großen Unterschied machen die Menschen zwischen Licht und Finsternis, erlauben sich und andern in der letztern wüste, böse Dinge ohne Scheu; geschehen sie aber bei Licht (oder Tag), so heißen sie dieselbe Sünde und verdammen sie heftiglich.

Ich saß also daheim am Webstuhle, um mein Leben zu fristen und mein Leid zu vertreiben. Das erstere konnte ich. Ich konnte noch einige ungestüme Mahner, die mir alle Augenblicke vor der Thüre waren, befriedigen. Das letztere aber konnte ich nicht. Wob ich, so hatte ich Zeit zu denken: was ich alles gehofft, in welchen süßen Träumen ich gelebt, wie wohl es mir gewesen und wie nun alles so ganz anders geworden, in welch Elend ich geraten. Eigen ist, daß der Glückliche sich meist mit der Zukunft beschäftigt, froher Erwartungen voll, der Unglückliche mit der Vergangenheit, dem Grabe seines Glücks, doppelt leidend in der Rückerinnerung, so daß beide die Gegenwart vernachlässigen. Wäre es vielleicht nicht besser, wenn alles umgekehrt wäre?

Wenn ich dann so recht ins Elend hineinkam und dachte an die vergnügte Zeit und an meine jetzige Traurigkeit, dann wollte das Weberschifflein nicht mehr fliegen durch die aufgespannten Faden; dann konnte ich nichts mehr als die Tage zählen, welche ich noch in diesem Fegfeuer auszuhalten hatte; konnte nichts mehr als verzagen an mir und an der Welt. Und wenn ich endlich müde von dem nie endenden Gebären und Verschlingen der Bitterkeit gegen mich und die Welt das Lämplein löschte, konnte ich nichts anders wünschen, als: daß in der Nacht auch das Lämplein meines Lebens verglimme. Es ward mir ein Trost zu denken, es würde vielleicht der eine oder der andere an meiner Leiche erkennen, daß er mir zu viel gethan.

Siebenundzwanzigstes Kapitel. Wie ein Schulmeister merkwürdige Betrachtungen anstellt

Die Krone der Schöpfung heißt der Mensch; er heißt der Erde König; ein Halbgott träumt er sich; wie ein Selbstbeherrscher gebärdet er sich, trotzig und dünkelvoll. Als ob er mit der Hand den Himmel aus den Angeln heben, mit dem Fuß die Erde in Splittern schlagen könnte, macht er ein Gesicht.

Ein solch gottloses Gesicht zieht nicht etwa ein Kaiserlein allein oder Königskinder, sondern Millionen federkauende, ahnenstaubige, schulstaubige, mehlstaubige, straßenstaubige (was für ein Unterschied ist wohl zwischen Staub und Staub?) Menschlein ziehen noch ärgere — Gesichter nämlich. Der Staub an allen Haaren ist ihnen kein Zeugnis, daß sie keine Halbgötter seien, sondern halt schwache Geschöpflein, Staub und Asche. Ihr Haar, das ihnen zu oberst auf dem Haupte im Winde flattert und losgerissen ein Spielzeug desselben wird, ist ein Wadel, von Gott ihnen gesetzt zum warnenden Zeichen, daß sie nicht solche Haare seien im Weltenwinde, der vom Aufgang bis zum Niedergang bläst fort und fort, oder gar losgerissene Haare, die herumgetrieben werden, bis sie in Kot oder Dornen stecken bleiben; aber sie verstehen das Zeichen nicht. Der gute Gott sprach am dritten Tage seiner Schöpfung: es bringe die Erde Gras Herfür, Kräuter welche Samen tragen, fruchtbare Bäume, welche Frucht bringen nach ihren Geschlechtern, in denen ihr Same sei auf Erden. Und es geschah also. Und unter diesen Kräutern und Bäumen, aber nicht Kraut nicht Baum, schuf der gute Gott den Epheu zum Sinnbild dem Menschen. Wie alle Bäume und Krauter strebt der Epheu nach oben, dem blauen Himmel, dem Lichte zu; aber alleine vermag er es nicht; an einem Stamme muß er empor sich winden und schlingen; nur an demselben steigt er höher und immer höher bis zur Spitze hinauf, und je stärker und höher seine Stütze aus dem Boden gen Himmel steigt, desto stärker wird auch er, desto näher kömmt auch er dem Himmel, und grünt so blendend und saftig dann in Sommerhitze und im Winterschnee, als ob ewiges Leben in seinen Adern flösse. Stürzt den Baum, entreißt seine Trümmer den umschlingenden Armen, und laßt das Epheu keinen Stamm mehr finden, so sucht es an jedem Zweige oder Steine sich zu erheben, kriecht elend, traurig, unbeachtet am Boden fort; kein Vieh frißt es, es zertritt es bloß.

Wie wunderbar ähnlich ist nicht der Mensch — nicht Tier, nicht Engel — dieser Pflanze — nicht Kraut, nicht Baum!

Der Mensch ist für den Himmel geboren, zu ihm sieht sein Auge empor, nach ihm hin zieht ihn sein Geist; aber sein Auge hebt sich nicht, sein Geist zieht ihn nicht, wenn sie weder Stütze noch Stamm finden, sich aufzurichten nach oben. Setzt des Menschen Kind im Walde aus, laßt Bär oder Wolf seine Ammen werden, so wird der Leib sich nicht heben, auf Vieren wird es gehen, wird heulen wie der Wolf, brummen wie der Bär; sein Geist hebt sich nur um auszugehen auf Raub, den Fraß sich zu suchen, zieht ihn nur zur Quelle, den Durst zu löschen. Ein Tier wird des Menschen Kind werden und bleiben.

Gebt dem Kinde aber eine Mutterhand, in die sein tastend Händchen sich lege; einer Mutter Arm, der es vom Boden hebt; einer Mutter Auge, das es vom Boden zieht zu ihr hinauf, und seht nun, wie das Kind sich aufrichtet auf seine Füßchen, an der Mutter empor sich schlingt; seht, wie sein Auge sich aufschlägt, das Mutterauge sucht, den Himmel findet, und wie unter goldenen Locken hervor das Engelchen zu lächeln beginnt.

So rankt am Mensch der Mensch empor zur Menschengestalt; aber auch seine Seele schlingt sich an Seelen auf und saugt aus ihren Säften Nahrung zum Wachstum und hält an ihnen sich fest. O es ist eigen, wie die kleinen Seelen kleiner Kinder ihre Fühlfaden tastend ausstrecken nach größeren, festeren Seelen, sich da anklammern und einsaugen, und an ihnen sich aufrichten. Es ist aber auch ein eigener Gedanke für den Erwachsenen oder Erwachsenden, daß, ohne es deutlich wahrzunehmen, junge Seelen an ihm empor klimmen; daß er da sei, um ihnen Nahrung und Richtung zu geben; daß, wie er sich aufrichte oder niederbeuge, im Schlamme krieche oder Himmelslüfte suche, sie mit ihm sich aufrichten oder beugen, mit ihm im Schlamm kriechen oder des Himmes Lüfte trinken. O es ist herrlich zu sehen, wenn in einem Hause ein oder, wie es sein sollte, zwei Zwillingsstämme mächtig und fest aufschießen himmelwärts, wie da keine Seele am Boden kriecht, sondern alle an den Stämmen, tausendfach verschlungen, die Höhe suchen. O es ist herrlich zu sehen, wie da zwei Kräfte walten unwiderstehlich, wie der angeborne Trieb nach der Höhe die jungen Seelen hintreibt zu den Stämmen, und wie diese mit dem Atem und Duft der Liebe, der rings um sie weht, die von eigener Kraft getriebenen mit unwiderstehlicher Gewalt noch anziehen und festhalten. Auch hier ist die Liebe, die bindet; an eine Eissäule hienauf würde kein Ephen sich winden. In einem solchen Hause ruht und arbeitet es sich herrlich; dieses Haus steht im Schatten des immer grünen Lebensbaumes.

Wie schauerlich und wüste steht es aber da aus, wo kein Stamm sich findet, sondern nur niederes Gestrüpp, wo die alten Seelen durch Moder, Kot und Trümmer kriechen mühselig und schmutzig; wo die jungen Seelen ihnen nachkriechen und lange noch ihre Fühlfäden ausstrecken nach einer aufrecht strebenden Seele; aber wenn sie keine finden, dann sich eigene Wege suchen durch Moder und Kot? Da ist ein häßlich Wohnen unter häßlichem Gezüchte; da sind die Höhlen, wo verlorene Seelen ihr graulich Wesen treiben.

Bange muß es denn doch in der Brust werden, in welcher das Bewußtsein aufgeht, daß junge Seelen an ihre Füße sich klammern, in ihr ihre Himmelsleiter suchen; bange muß es werden in jedes altern Menschen Brust; »Wie hoch hebe ich mich, und wie fest stehe ich?« muß der sich fragen, der das Festklammern anderer an sich fühlt — muß sich fragen: »Woran stehe ich dann eigentlich? welches ist der Stamm, der mir Stütze, Halt und Richtung gibt?« Denn welch starker Stamm einer auch für andere sei, er vermag doch nicht für sich alleine zu stehen, er bedarf wieder eines Stammes um sich aufrecht zu erhalten. Keiner in Menschengestalt hat je die Erde betreten, der durch selbsteigene Kraft das Haupt emporgehoben und ungebeugt und ungeknickt geblieben wäre. Wie bebte wohl Christus, vom Sturme erfaßt, im Garten Gethsemane, und was erhielt ihn fest und ungebeugt? Es muß das jeglicher untersuchen. Denn was er umschlingt, woran er sich aufwindet, an dem kriecht auch die junge Seele auf, die wohl zuerst an der alten sich hebt, aber dann auch an dem, was die alte stützt; und wenn die alte weiter geht, so wird der Stamm der alten auch zum Stamm der jungen. Solcher Stämme sind nun vielerlei, denn die suchende Seele erfaßt nicht nur Seelen, sondern auch Sachen, auch Gegenstände, selbst bloße Einbildungen, und erwählet sie zu Trägern ihres Daseins, ihres Heils.

Je fester die Säule steht, desto sicherer das Heil; je höher die Säule geht, je näher kommt der Mensch dem Himmel; je niederer dieselbe bleibt, desto ähnlicher bleibt der Mensch dem Tiere. Nun, Mensch! thue die Augen auf und schaue, woran du kriechst, was deines Lebens Haltpunkt bildet, was der Magnet deiner Seele ist; dann erkennst du auch dein Schicksal, deiner Seele Wert. Sind Sinnengenüsse die Glanzpunkte deines Lebens, kriecht nach ihnen deine Seele, dann kriecht sie durch Kot über niedere Steine, und wird im Kot ersticken.

Das Geld zieht viele an, macht ihnen den Rücken gerade, stellt hoch ihnen die Nase und zieht die Seelen an und auf. O ja, etwas hilft das schon, über das rein Tierische kömmt man weg, aber hoch kömmt man deswegen doch nicht, einen Engel stellt man nicht dar, sondern nichts anderes als ein Additions-Exempel. Viele haben freilich großen Respekt vor solchen Exempeln und sie selbst fordern großen; aber das kömmt nur daher, daß sie und die andern eben noch nichts höheres kennen, als solche hörnerne Exempel. Aber in solchen Exempeln verrechnet man sich oft wüst, und das Geld gehört auch der Erde an, ist flüchtig und vergänglich; darum kömmt die Seele nicht hoch und steht nicht fest, die aus dem Gelde empor will. Und mancher will an einem schönen oder reichen Weibsbilde empor — du mein Gott!

 
»Was ist brüchiger als das grüne Glas?
»Was gebrechlicher als ein Weibsbild! Was?«
 

Andere klimmen an gestorbenen Menschen auf und gebärden sich gar merkwürdig. Die Gesamtheit dieser Abgestorbenen nennen sie Familie, Ahnen, als ob sie immer wüßten, wer ihre Ahnen wären, als ob sie nicht wüßten, daß manchmal gute Freunde einander aushelfen! Da an gelbem Papier, an toten Namen klimmen sie empor, wie der Affe am Kamel, und gebärden sich oben auch gerade wie Affen auf dem Kamel, und mit jedem Gestorbenen kriegt das Kamel einen Höcker mehr, und ein neuer Affe setzt sich oben hin und gebärdet sich wunderlich; und manchmal hat der Affe noch eine Frau und die gebärdet sich noch wunderlicher; und oft haben beide noch junge Affen, und die gebärden sich am wunderlichsten. Denn die stehen wieder höher, nämlich auf dem zu einem neuen Höcker gewordenen alten. Ja wenn die Leutchen an den Tugenden ihrer Vorfahren emporklimmen wollten statt an den Namen — Respekt da! Aber, du mein Gott! da ist bei manchem Namen keine Tugend. Mancher Name hob sich an der Elle oder am Metzgermesser; und mancher war eben nichts anders als ein gutes Additions-Exempel. Und wo auch Tugend war, da kennt sie oft der Enkel nicht oder bekümmert sich nicht darum.

 

Andere, ja ganze Familien strecken sich aus nach allen Posten und Pöstlein, und meinen an diesen zu steigen von Höhe zu Höhe. Du lieber Himmel! sie haben da ein gefährlich Ding erwählt. Mancher Wurm kriecht auf einen Baum, wo nur der Vogel sitzen sollte, aber deswegen bleibt der Wurm doch Wurm, wird nicht Vogel, und immer kommt die Zeit, wo man ihn hinunterschüttelt, weil er Blüten und Blattern Verderben bringt.

Viele versuchen an allen begegnenden Menschen emporzuklimmen, und von diesen aus ihre Äste und Arme auszustrecken nach allen Dingen. Diese werden von den immer auseinander gehenden Menschen hin und her gerissen, zerrissen und fallen endlich zerrissen allen unter die Füße.

In eitlem Wahne bilden sich welche ein, selbständig und frei dazustehen, durch selbsteigene Kraft sich zu erhalten und höher zu schwingen. Die guten Kinder! Die Rebe ohne Stock wird von jedem Lüftchen zu Boden geworfen; nur etwas unbedeutendes, nur ein tüchtig Zahnweh acht Tage lang, sollte diese Majestäten zur Besinnung bringen, wenn sie nämlich noch zur Besinnung kommen können, was aber bekanntlich Majestäten selten können.

Alle diese Stützen der Menschen vermögen wohl vom Tier den Menschen zu erheben, dem Leibe Behaglichkeit, der Seele Stolz oder eine Art von Selbstgefühl zu geben; allein je sinnlicher sie sind, desto gebrechlicher sind sie, und der Erde entsprossen erheben sie sich nicht über die Erde, und darum auch andere nicht.

Auf der Erde haben wir aber nicht nur sinnliche Dinge, sondern auch Kinder des Geistes schweben unter uns; unsichtbar sind sie, und doch vermögen wir sie zu erkennen; sie haben nicht Arme, nicht Beine, und doch erfassen sie Seelen und reißen sie mit überirdischer Gewalt an sich hinauf. Ich meine die Ideen, und daß Erfaßtwerden von ihnen heißt Begeisterung. Sie füllen die Seele mit himmlischer Kraft, sie führen sie zu einer Höhe hinauf, die gewöhnliche Menschen nicht mehr zu ermessen vermögen.

Und dennoch wehe dem Menschen, der von einem dieser Himmelskinder alleine sich ergreifen läßt, und an demselben, als einem für sich allein bestehenden, abgesonderten Stamme, der in sich selbst Anfang und Ende findet, sich emporschwingt.

Hat eine solche Idee den Menschen erfaßt, begeistert, so fühlt er sich unwiderstehlich berufen, dieselbe zu bezeugen mit That und Wort, dieselbe durch sich ins Leben treten zu lassen, dieselbe zu verwirklichen auf Erden. Das aber vermag kein Sterblicher.

Die eigene Gebrechlichkeit und Beschränktheit auf der einen Seite, das Widerstreben der Welt auf der andern Seite erzeugen eine unausfüllbare Kluft zwischen dem Mögen und dem Vermögen, zwischen der Auffassung der Idee und ihrer Darstellung. Und je reiner die Idee sich abspiegelt im menschlichen Gemüte, um so greller wird demselben der Abstand in ihrer Verwirklichung erscheinen, um so unglücklicher muß das Gemüt werden. Je höher der Gedanke es erhoben hatte, desto tiefer stürzt es die Wirklichkeit; wenn nämlich die Idee abgerissen allein herrschend da stand in seinem Gemüte, wenn die Idee sein Gott war.

Je größer die Begeisterung war in der Auffassung, desto tiefer wird das Elend, desto größer die Mutlosigkeit, wenn im Leben die Idee sich nur verkrüppelt oder gar nicht gestalten will; wenn fruchtlose Mühen nur Zeugnis reden von der eigenen Ohnmacht, oder von der beschränkten Kraft der Idee selbst, die Millionen nicht zu berühren vermag, geschweige dann über sie zu herrschen. Und was kann wohl den Menschen tiefer schlagen, als wenn er zur Erkenntnis kömmt, daß er ein ohnmächtiger Diener seines Gottes ist, oder gar daß sein Gott selbst ohnmächtig ist, daß er keinen Himmel hat für seine Gläubigen?

Da kömmt gerne, daß man den eigenen Kopf an der Mauer einschlägt, oder daß man seinen Gott mit Füßen trittet in den Kot.

Denket an die Ideen der Freiheit, der Schönheit, der Liebe — wie viele wurden wahnsinnig durch sie; und wie viele haben, da sie selbst die Idee nicht zu verwirklichen vermochten, ihr Dasein geleugnet und in blinder Wut sie bekämpft, treulose Abgefallene? So wurden Freiheitsapostel Tyrannen, und die innigste Menschenliebe verwandelte sich in Menschenhaß. Die Stämme, an denen sie sich emporgeschwungen, verließen sie erbittert, getäuscht, und warfen sich auf den Boden hin verzweiflungsvoll; oder erhoben frevelnd die Hände gegen das, was sie früher angebetet, was ihres Lebens Richtung bestimmt hatte.

Sie wollten den Himmel auf Erden niederziehen, und die Thoren hatten ihre Leitern nicht am Himmel fest gemacht; darum thaten sie auch den großen Fall.

O diese Ideen sind wohl Himmelskinder, sind Leitern zum Himmel, aber eben nur Kinder, nur Leitern; für sich allein sind sie ein eitler Wahn, bringen nur bittere Täuschung.

Mensch! willst du den Himmel finden, willst du zum Engel werden, mußt du an diesen Leitern aufsteigen allerdings, aber einem Ziele zu, und wohin wohl anders, als zu ihrem Vater selbst, zu dem Urquell alles geistigen, zu Gott! Von diesem kommen sie, zu ihm führen sie; hier ist das Steigen, das Streben an ihnen auf; dort erst das Erreichen, die Vollendung, das Ziel. In diesem Gedanken, in dieser ewigen Wahrheit liegt die Vermittelung; sie erhält den Mut und gibt die nie ermüdende Kraft, aufzufahren mit Fitügen, wie die Adler. Die Ideen sind Kinder des Lichtes, die Feuersäulen, die uns leuchten auf der dunkeln Erdenbahn; sie können aber nie völlig übergetragen werden auf die Zustände der Erde; da wachsen sie immer verkrüppelt auf, wie die Pflanzen des Südens im kalten Norden. Sie sollen aber eben nicht die Erde zum Himmel machen; wo bliebe da die Sehnsucht nach dem Himmel, nach der eigentlichen Heimat? Sie sollen die Ahnung des Himmels wecken in der Menschenbrust, sie sollen nach dem Himmel ziehen. Dieses Ziehen und Bilden der Menschen ist die Hauptsache, nicht das Umschaffen der Zustände der Erde zu einem Himmel. Allerdings wird jeder sein inneres Leben als Siegel auch dem äußern, den ihn umgebenden Zuständen aufdrücken wollen; aber das wird nie vollkommen gelingen wegen eigener und anderer Gebrechlichkeit. Daher eine unselige Doppelthorheit unserer Zeit. Erstlich das Heil der Menschheit suchen zu wollen in einem äußeren Zustande, einer Form, einer Verfassung allein, ohne Rücksicht auf das Innere des Menschen; zweitens die Menschen beglücken zu wollen nur mit einer Idee und ihrer Ausführung, in unsinnigem Übermute Gott und den Himmel überflüssig glaubend. Gerade die werden sich bald die Haare ausraufen, bald die Menschen mit der Knute nach ihrem Willen zwingen wollen, und am Ende trostlos verzweifeln an allem Guten, an allem menschlichen Streben. Gerade diese Thoren sind es, welche durch ihr traurig Treiben und traurig Ende den Glauben bei Halbblinden erzeugen, alles höhere Streben sei eitel, und Sorge für sich allein und seinen tierischen Teil einzig wahre Weisheit. Darin liegt die Vermittlung, daß wir also hier das vollkommene nicht erwarten, dem irdischen nichts überirdisches zutrauen, daß wir nicht die Ernte wollen fsür jede Aussaat und doch überzeugt bleiben, daß kein höheres Streben eitel sei, kein Versuch, das geistige darzustellen, thorrecht, daß das unvollkommene gegründet sei im Willen Gottes, das Mißlingen dienen solle zur Erhöhung unserer Kraft, zur Prüfung unseres Glaubens, zur Prüfung unserer Stützen an denen wir aufklimmen; daß jegliches Streben darin seinen Wert habe, daß es den Menschen dem Himmel näher bringe und ihn tüchtiger mache, ein Leiter für andere zu sein und dann im Himmel in Vollendung zu erschauen, was er hier nur geahnet.