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Leiden und Freuden eines Schulmeisters

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Eine solche Schule erhielt ich nach und nach. Die Gefangennehmung meines Gemütes durch andere Dinge war die Ursache. Meine Amtsbrüder glauben mir vielleicht nicht, wie unendlich wichtig es ist, sich ein frei und froh Gemüt zu bewahren. Das gibt sich aber selten von selbst, eben wegen den Strömungen der Seele und den Winden des Lebens; es braucht Selbstbewußtsein, Kraft und Glauben. Aber auch die übrigen Menschen erkennen die Wichtigkeit dieses Satzes nicht; sie würden sonst nicht Elend, Not, Mangel auf den Lehrer hetzen, die seine Seele mit Sorgen bewölken, in Kummer ersticken und seinen Geist zwischen Erdäpfelschindti zappeln lassen.

Doch nicht nur meine Seele fing an meiner Schule zu fehlen, sondern auch der Leib. Meine Stunden hielt ich nicht mehr fleißig. Ich verklapperte mich beständig. Vor diesem Hause hatte ich noch das zu brichten, vor einem andern jenes, hatte mich zu necken mit diesem oder jenem Meitschi. Sah ich während der Schule irgend einen Kameraden beim Hause vorbei gehen, so konnte ich mich selten enthalten hinaus zu schießen, mit ihm eine Abrede zu treffen, ihn zu fragen, wie es ihm gestern bei Lisi oder Bäbi gegangen, ob er einen andern angetroffen oder es alleine gefunden. Wenn ich, wie es oft geschah, Angst ausgestanden, wenn mit vorgestreckten Ellbogen mich einer einige Male überschossen hatte, ein anderer mich gejagt, wie ein Hund den Hasen, einige mich zu einem Brunnen geschleppt, so brannte es mich, bis ich diese Abenteuer meinen Kameraden erzählt hatte. Verständlich machte ich mich groß, verschwieg meine Seelenangst und machte Bülletins so gut wie Napoleon auf seinem Rückzuge von Moskau. Nun waren es gewöhnlich meine eigenen sogenannten guten Freunde, die mir die Streiche spielten und die dann ihre Herzensfreude daran hatten, mich eine Geschichte machen zu hören über etwas, das sie so gut wußten wie ich. Man kann sich denken, wie viele Zeit sich also verklappern läßt. Und wenn ich auch in der Schule war mit meinem Leibe, so taugte er doch selten etwas. Der Mensch bedarf des Schlafes. Derselbe ist eine der größten Wohlthaten Gottes. Er bringt Frieden dem Leidenden, Vergessen dem Betrübten, Ruhe und frische Kraft dem Müden. Wahrlich ohne Schlaf würde jedem Menschen das Leben, über dessen Kürze wir klagen, viel, viel zu lang sein. Ruhe und Schlaf für Leib und Seele bedarf besonders der, welcher stillerer Beschäftigung sich hingeben muß. Der Knecht, der Bauer, die nicht geschlafen haben, können füglich holzen und mähen, dreschen und hacken. Aber laßt sie eintreten aus der Tenne, dem Acker in die warme Stube, laßt sie von bedeutender Anstrengung übergehen zur stillen Beschäftigung, so wird der Schlaf in wenigen Augenblicken sie übermannen. Welche traurige Figur spielt nun ein Schulmeister, der um Mitternacht oder gegen Morgen nach Hause gekommen ist und wenige Stunden geschlafen hat? Gewöhnlich verschläft er sich, oder erhebt sich nur mit der größten Anstrengung, hat manchmal nicht Zeit, sich etwas zu kochen, zu essen, nicht Zeit, sich zu kämmen, zu waschen (und ungewaschene und ungekämmte Schulmeister sind häßliche Dinger), und kömmt mit verblendeten Augen auf eine Weise in die Schule, daß die Kinder einander anstoßen und zuflistern: »Üse Schumeister isch hüt wieder alle strube.« Nun ist es ihm, wie wenn er nicht nur Blei in den Augsdeckeln, sondern auch in allen Gliedern hätte; er dehnt sich, er gähnt, er macht was er kann und kann sich doch des Schlafes fast nicht erwehren. Man denke sich nun wie das eine liebliche Sache ist und eine kurzweilige, wenn ein Kind buchstabieren soll und ungeschickt thut, und ein Schulmeister schläfrig und darum auch unleidig ist, wie da die beiden sich auf strenge Weise plagen müssen! Man denke sich das Fragen überhören, das Lesen, so wie es viel getrieben wird, an sich schon einschläferend, und nun noch während der Schulmeister mit dem Schlafe kämpft, wie erweckend das sein muß!

Man denke sich überhaupt, wie es in einer Schule zugehen muß, wo der Schulmeister mit dem Geiste nicht da ist und mit dem Leibe nichts taugt! Man achtet viel zu wenig darauf, sich den Leib munter zu erhalten. Man denkt nicht daran, daß vielleicht hundert Kinder dadurch einen Tag verlieren, der ihnen zu ihrem Heil von ihrem Schöpfer geschenkt ist. Hundert Kinder einen Tag verlieren um einer von einem durchschwärmten Nacht willen, wahrlich, dieses Wort sollte gewichtig klingen allen, an deren Gewissen überhaupt etwas anklingt. Ach und es gibt später der Nächte genug, wo dem Schulmeister ohne seine Schuld der Schlaf fehlt, die Glieder matt, die Augen schwer werden, wo er nicht sein kann, wie er gerne sein möchte am Tage, wo wieder vielleicht hundert Kinder einen Tag verlieren, weil der Schulmeister eine Nacht verloren. Die werden ihm sicher nicht angerechnet werden; aber sollte er doch um ihretwillen nicht um so geiziger sein mit den Nächten, deren Verwendung in seinem freien Willen liegt, um so vorsichtiger dafür sorgen, daß die Kinder keinen Grund haben einander zu stoßen und zusagen: »Üse Schumeister ist hüt afe e strube!«

So war ich bei und in meiner Schule, darum ging es nicht gut; aber noch eine andere Ursache kam dazu, daß es immer schlechter und schlechter ging.

Die Kinder hatten nämlich immer weniger Achtung, oder wie die Leute sagen, Furcht vor mir, und daher auch kein Zutrauen, keinen Gehorsam, keine Liebe. Die Kinder haben einen eigenen Instinkt, der ihnen sagt, ob dem Schulmeister etwas an ihnen gelegen sei, ob er begehre, sie weiter zu bringen. Wo sie diesen Willen, diesen Eifer nicht bemerken, da bemächtigt sich eine Art Widerwillen der Kinder; sie fühlen, ohne daß sie sich dessen bewußt werden, wie ihr Wohl versäumt wird, und dieses Gefühl erzeugt eine feindselige Stimmung. Ferner muß dem aufstrebenden, alle Augenblicke aufblitzenden Eigenwillen der Kinder ein Gewicht entgegen treten, das alle Augenblicke und nach allen Richtungen gleich schwer drückt gegen der Kinder Eigenwillen und Ungehorsam. Eine ruhige Festigkeit muß den Kindern gegenüber stehen, welche sich nicht durch die Listigkeit der Kinder bethören, nicht durch Liebkosungen einschläfern, nicht durch Trotz ermüden oder erschrecken läßt.

Des Lehrers ganzes Benehmen muß nie erscheinen als Folge besonderer Aufregung, sondern als Notwendigkeit. Es muß den Kindern einleuchtend werden: der Lehrer könne gar nicht anders sein in diesem und jenem Falle, als er eben ist. Gerade dieses feste, unerschütterliche, ruhige wird dem flüchtigen, erregbaren Kinde die meiste Achtung, den meisten Gehorsam einflößen; es wird sich mit einem wahren, gläubigen, frommen Vertrauen vor diesem Lehrer beugen. So war ich aber nicht, sondern eher das Gegenteil. Tage lang ließ ich alles schütten, ward dann wieder einen halben Tag streng, strafte den gleichen Fall heute, aber morgen nicht; befahl hundertmal, ohne Gehorsam zu erzwingen, manchmal ohne nur darauf zu achten, ob er geleistet werde. Ward der Lärm zu groß, so ließ ich, wie an vielen Orten gebräuchlich ist, ein: »Still! weit dr still sn oder nicht!« erschallen, und fuhr dann in meiner Sache fort, ohne mich zu achten, wer Lärm gemacht und wer ihn noch forttreibe. Ich drohte viel, führte aber selten eine Drohung aus, sondern sagte: »Für das mal mag‘s no agah; aber lue de, we d‘s no meh machst! i will dr de!« Und das Kind machte es wieder und ich drohte wieder. So waren im Grunde die Kinder Meister und nicht ich, und sie hatten mich deshalb nicht einmal lieb. Ich galt, und mußte es später oft hören, für einen gar grusam ungrechte und parteiische. Im Anfang ganz sicher aus keinem andern Grunde, als weil ich allen drohte, und nur einige strafte. Ich strafte diese nicht deswegen, weil ich sie besonders auf der Mugge hatte oder ihre Eltern, sondern nur weil ich entweder in einer besonderen Stimmung war, oder es endlich wieder einmal nötig fand, ein Exempel zu statuieren. Natürlich aber fand das Kind, das um einer Sache willen gestraft wurde, welche zwanzig andere ungestraft begangen hatten, es müsse ungerecht leiden, das gleiche hätte den andern auch gebührt. Und wie die Leute dann sind, sie spintisierten nach den Ursachen, warum ich gerade ihr Kind gestraft. Bald glaubten sie, es sei wegen ihrer Armut, oder weil sie mir nicht Geschenke gebracht, oder weil ihre Tochter mich nicht hineingelassen. Und waren sie reich, und hatten mir Geschenke gebracht, und ihre Tochter hatte mir aufgethan, so sagten sie: es scheine, es bschüße bim Dolder alles nüt bei mir; si welle aber jetz de afa höre, u we-n-i no meh uf dLaube vor dFäister chömm, su soll mr ds Grit dSache ume säge, warum me nüt meh schicki und warum es mr nümme ufthüy.

Spater kam ich in eine immer gereiztere, ungleichere Stimmung, kam in eine Menge Mißhelligkeiten, und während dieser Zeit glaube ich allerdings manchmal ein Kind haben entgelten zu lassen, was ich gegen seine Eltern oder Geschwister hatte. Ich glaube es, denn ich konnte mich nicht enthalten, manchmal gegen ihre Angehörigen den Kindern in der Schule Stichwörter aller Art fallen zu lassen, was mir ein Zeichen zu sein scheint, daß die Kinder zu Sündenböcken gemacht wurden. Ich sage, ich glaube es, denn mir bewußt war ich damals dessen nicht, und wenn mich einer der Parteilichkeit beschuldigte, so begehrte ich gar tüchtig auf, und behauptete, ich halte alle Kinder gleich und ich glaubte es auch; aber eins merkte ich nicht.

Ich merkte nämlich nicht, daß es eine Menge Brillen gibt verschiedener Art, gefärbt durch Liebe oder Haß, schön rot und gelb und veieliblau, fchön schwefelgelb und dunkelgrau, und daß durch solche Brillen die meisten Menschen die Welt ansehen, und nicht durch die eigenen Augen. Man nennt das in der gewöhnlichen Sprache: eine Sache mit verschiedenen Augen ansehen. So sieht man eine Sache heute veieliblau und morgen dunkelgrau, und die gleiche Sache an der einen Person schön rot; an einer andern Person aber kommt sie einem schmutzig gelb vor, eben je nach der Brille, durch die das Auge sieht. Wer sich selbst klar und vor den Menschen achtenswert werden will, muß das Dasein solcher Brillen kennen, und wachen und beten, daß sie ihren Sitz nicht auf seiner Nase nehmen. Besonders dem Lehrer sind sie zum größten Verderben. Sie machen ihn ungerecht, parteiisch, und er weiß es nicht. Sie empören kindliche Herzen gegen ihn, und erzeugen in ihnen bittern Groll gegen erlittene Ungerechtigkeiten. Darum muß der Lehrer alle Tage sorgfältig seine Nase untersuchen, ob keine solche Brille auf seiner Nase sitze, ob er alle seine Kinder mit dem ruhigen, klaren Auge des Verstandes an- und durchschaue und nichts drittes zwischen ihn und das Kind getreten sei, weder eine Wurst noch keine Wurst?

 

Nun that ich dieses nicht; ich wußte nichts von diesen Brillen und handelte also ganz sicher ungerecht. Einem Lehrer, den die Kinder achten, verzeihen sie noch manches, verzeihen ihm einzelne Aufwallungen und Übereilungen; und gut gearbeitete Kinder werden es sorgfältig verschweigen, sollte dieser Lehrer sie auch einmal hart behandelt haben, ungerecht. Dieser Zug im Kinde ist wirklich recht rührend, weil er von selbst sich entwickelt und gewöhnlich unbeachtet, unbemerkt bleibt. Wenn aber ein Lehrer der Kinder Achtung verscherzt hat, dann dulden sie nichts mehr von ihm, wollen nichts von ihm annehmen, haben weder Vertrauen zu ihm, noch Glauben an ihn. Es bemächtigt sich ihrer eine unglückliche Tadelsucht, ein Geist des Kritisirens, indem ihnen durchaus nichts recht ist, was der Lehrer sagt oder macht. Sie setzen alles in Zweifel, wollen alles besser wissen, machen über ihn sich lustig, und verlachen ihn zu Hause oder verklagen ihn.

Die Achtung vor mir hatten sie aber nicht nur durch mein ungleiches Betragen in der Schule verloren, sondern auch durch mein Benehmen außer der Schule, Die Kinder sahen mich an den Abendsitzen, hörten, wenn ich sagte: vom Schulmeister mag ich jetzt nichts hören; den habe ich zu Hause eingeschlossen, den habt ihr jetzt nicht zu scheuen. Sie sahen mich den Narren machen, und hörten dann, wie man mich zum Narren hielt. Sie hörten von den Alten, daß man mir auf diesem Treiben gar nichts halte, während man mich doch darin bestärkte; daß man sagte: für einen Schulmeister macht er es doch afe z‘guet. Sie wurden gefragt, wie ich ein Gesicht in der Schule gemacht, und ob ich schläfrig gewesen sei? Und wenn dann das eine oder das andere Mädchen erzählen konnte, ich sei diese Nacht bei seiner Schwester gelegen oder hätte zu ihr gewollt, und das und das hätten wir zusammen geschwatzt, wie es wohl gehört, obgleich es sich schlafend gestellt, so war den ganzen Tag ein zäpflen und lächeln zum Tollwerden; und was sollte ich dazu sagen? Am nächsten Examen tadelte mich der Pfarrer scharf, und ließ einige verblümte Sticheleien über meine Aufführung laufen. Ein alter Vorgesetzter düderlete etwas von Parteilichkeit; die andern schwiegen still. Das machte mich nun fuchswild; ich war durchaus blind über den Zustand, in dem ich war, blind über meine Fehler, und glaubte Ruhm und Ehre von jedermann fordern zu können. Ich klagte von Haus zu Haus über die mir widerfahrene Unbill, klagte über die Bosheit der Kinder, klagte über manche Eltern, und schloß gewöhnlich meine Rede mit dem Wunsch: ich möchte den sehen, der es besser machen könnte; einmal der Pfarrer würde es nicht sein; der wisse nicht, was Schulhalten sei. Jedermann gab mir noch recht, und machte mir den Kopf noch größer und schimpfte vielleicht noch selbst über die eigenen Kinder: es sei nichts mit ihnen anzufangen: — während man diese Kinder gegen mich aufwies, mich vor ihnen ausmachte, oder wenigstens in den Reden über mich kein Blatt vor den Mund nahm.

Zu dieser bereits gereizten, aufbegehrischen Stimmung kam nun noch die Geschichte mit Stüdin. Die schlug mich gar nicht nieder, wie sie es zwei Jahre früher gethan hätte, sondern sie brachte mich furchtbar auf — so wunderbar kann sich ein Gemüt müt in kurzer Zeit verändern und besonders ein schwaches. Ich schämte mich nicht, sondern ich ergriff jede Gelegenheit, um zu erzählen, wie wüst Stüdi es mir gemacht, wie hochmütig und brutal Stüdis Vater sich betragen und wie sie sich noch einst reuig sein werden. Die Leute hatten ihre Galgenfreude an dieser Erzählung, und allenthalben brachte man mich darauf, und anfangs ließ mich manches Mädchen ins Gaden, nur um den ganzen Hergang pünktlich zu vernehmen und den Buckel voll über mich lachen zu können. Wäre ich nicht eine Art Dorfnarr gewesen, die Leute hätten mich schon lange gesetzt, d. h. mir zu verstehen gegeben, was sie von mir hielten; so aber wollten sie sich den Spaß nicht selbsten verderben. Freilich ließ sich kein reiches Mädchen mehr mit mir an, wie Stüdi, während ich immer heiratssüchtiger wurde. Ich wollte Stüdin zeigen, daß es nicht die einzige in der Welt sei; und wenn man sich einmal das Heiraten in den Kopf gesetzt hat, und nicht ein Herz ins Herz, so machen einen Abschläge nur hitziger. Zudem fingen die Schulden mich an zu drücken, und die zu bezahlen, hatte ich eben auf eine Frau gerechnet, und nicht auf Arbeitsamkeit und Sparsamkeit.

Zweiundzwanzigstes Kapitel. Wie man hungrigen Vögeln Lätschen stellt

Diesen Zeitpunkt benutzte ein schlaues Weib gar schlau. Es war eine Witfrau in ihren besten Jahren, wie man zu sagen pflegt, d.h. zwischen 40 und 50, rüstig und appetitlich noch. Ein Mundstück hatte sie, wie eine Schlange, und eine Tochter, die ihr gar wohl glich. Was für Augen diese hatte, weiß ich nicht; aber mit Armen und Beinen und anderen Zuthaten war sie versehen, wie man es gerne hat, und schüch war sie auch nicht. Sie hatten ein Häuschen im Dorfe gemietet, welches ein wenig bei Seite lag, pflanzten da ein wenig und handelten mit Garn und Faden und, wie die Leute sagen wollten, auch mit Strichlizeug. Sie liefen an mehrere Märkte und hatten bei allen Händleren recht gute Bekanntschaft. Mit den Leuten im Dorfe hatten sie scheinbar wenig Gemeinschaft; sie wurden verachtet, und wenn die Buben dem Mädchen etwas zu leid thun konnten, so sparten sie es nicht. Man hatte nie gehört, daß je einer aus dem Dorfe bei ihm zu Kilt gewesen; sie wollten niemand seine Suppe ausfressen, hieß es. Wenn zufällig ein Mann mit der Garnlise redete, oder auf dem Märitweg ein Stück mit ihr ging, und seine Frau vernahm es, so hatte der acht Tage Leidens genug in ordinärer Stimmung. Wurde aber seine Frau böse, so hielt sie es ihm noch Jahre lang vor, denn die Weiber halten viel auf dem Warmen (kein Wunder, daß die Männer dem gewärmten Kraut nichts nachfragen). Allgemein hieß es, sie verfressen und verschlecken ihren Verdienst, und man könne einst sehen, wie das herauskommen werde. Ich hatte, da sie keine Kinder zur Schule schickten, mich ihrer wenig geachtet, und vielleicht kein Dutzend Worte mit beiden geredet. Diese Frau wußte aber doch recht gut, wie die Sachen im Dorfe stunden, wußte aus denselben gar oft ihren Nutzen zu ziehen, wußte insgeheim Männern und Weibern zu dienen, oft Mann und Weib zugleich, und verriet keins dem andern; wo sie Nutzen sah, da konnte sie verschwiegen sein wie keine. Die wußte nun, wie es mir mit Stüdin gegangen war, wußte, daß ich nirgends z‘Platz kommen konnte und doch immer heiratsüchtiger wurde, kannte auch meine Schulden; denn was weiß eine solche Frau nicht alles? Sie fing an freundlicher zu werden, wenn sie bei meinem Hause vorbeiging, mir irgend einen Scherz anzuwerfen, oder meine Meyen zu rühmen. Wie zufällig blieb sie einmal stehen und sagte: es käme ihr just z‘Sinn, sie könnte mich das auch fragen. Sie möchte ein Stück Ziehen machen lassen, dazu habe sie Kuder und Baumwollengarn: ob das sich nun gut zusammen schicke und welches besser sei für Zetti oder für Eintrag? Die einen Leute sagen ihr dies, die andern das. Weil ich aber so ein geschickter Weber sei, so werde ich ihr am besten aus der Verlegenheit helfen können. Sobald mich jemand rühmte, so roch und schmeckte ich nichts mehr; darum vergaß ich, daß die Garnlise das so gut oder besser wissen mußte als ich. Ganz ehrlich gab ich ihr Bescheid. Und wie ein Wort das andere gab, fragte sie mich endlich: ob ich es ihr nicht etwa weben wollte? Die Weber seien heutzutage schlimme Leute; wenigen sei zu trauen, zu mir hätte sie aber den Glauben. Ich hatte bald ein Wubb ab und kein neues bestellt, fühlte wohl, daß ich etwas verdienen sollte, und die Lise that so manierlich und glatt, daß ich ihr nicht absagen konnte, sondern versprach, ihr Garn anzunehmen, sobald ich mit dem aufgespannten Stück fertig sei.

Lise ließ von ihrer Tochter auch nicht das geringste merken. Sie fragte mehrmals selbst nach, wann sie das Garn bringen solle? Sie brachte das Garn selbst und hatte mich bis dahin noch nie zu ihnen kommen heißen.

Nachdem ich einige Zeit an ihrem Stück gearbeitet hatte, kam Lisi einmal zu mir in den Webkeller unter dem Vorwand: sie müsse doch sehen, wie das Ding herauskomme. Sie verwunderte sich, wie viel ich schon gemacht, und wie schön. Sie setzte sich zu mir und plauderte ohne alle scheinbare Absichtlichkeit mir vor, wie es sie wunder nehme, daß ich nicht für mich webe, statt um den Lohn, und das Tuch verkaufe; gerade mit solchem Zeug wäre viel zu machen. Sie hätte schon lange daran gedacht; aber es sei gar bös so für ein Weibervolk, dem niemand an die Hand gehe. Sie verstünde die Sache wohl; um den Absatz wäre sie nicht bange und auch nicht ums Geld; deren hätte sie mehr, als in manchem Baurenhaus sei, man sehe es ihr nicht an; aber die meisten Bäuerinnen lache sie nur aus. Nur mit den Webern hätte sie nicht gerne zu thun; wenn man sie nicht könne zu fürchten machen, so machten sie mit einem, was sie wollten. Wenn sie einen Gemeiner fände, der ihr dieses abnehmen würde, so wollten sie Geld verdienen, wie Mist, und er brauche keinen Kreuzer zu setzen. Sie sei dann nicht die, für welche man sie ansehe, fuhr sie fort; sie würde sich schämen, wenn sie nicht besser wäre als die meisten andern Weiber. Sie wolle nicht sagen, daß sie die beste sei und keine Fehler habe, aber mit den Dorfweibern vergleiche sie sich nadisch nicht. Aber sie wisse es wohl, warum die Leute so über sie zu räsonnieren hätten. Sie möge mit dem Klapperzeug nichts zu thun haben. Sie habe im Anfang auch gemeint, mit den Leuten Gemeinschaft zu machen; allein sie sei bald froh gewesen, für seye selber z‘sy. Das hätte die Leute böse gemacht. Dann möchten sie es ihnen auch nicht gönnen, daß sie so gut könnten verdienen, nicht immer an Wind und Wetter sein müßten und es doch besser hätten, als in den meisten Baurenhäusern; daß sie zum z‘Morgenessen Kaffee vermöchten und nicht so langes, zähes, ungeschmalzet Kraut fressen müßten, an dem eine Ländersau erworgen müßte, geschweige denn ein Christenmensch. Wenn sie aber sehe, wie die Leute es mir machten, so nehme es sie nur Wunder, daß sie es ihr nicht noch ärger gemacht hätten. Das hätte doch nadisch kei Gattig, wie es mir Stüdi gemacht hatte, und der Vater hatte sich aufgeführt, er sollte sich sein Lebtag schämen. So ein Bauer, und wenn er auch kaum fünfe zählen könne, habe einen Hochmut, wie eine Kothahne, oder wie ein Affe, dem man ein rotes Kütteli angezogen und eine Laus hinter das Ohr gesetzt. Er verachte alle, welche weniger Land hätten, als er; ja er würde unseren Herrgott verachten, wenn er nicht glauben müßte, der Himmel desselben sei größer, als sein gesch... Höflein, das nicht einmal bezahlt sei. »Ihr, Schulmeister werdet es noch erfahren; ihr trauet den Leuten viel zu wohl; ihr meinet, sie seien alle wie ihr seid; aber im ganzen Dorf meint es kein Mensch mit einem andern gut, und wäre es der leibliche Bruder, geschweige denn mit einem Fremden.« Und Garnlise brach hier ab mit einer Entschuldigung, daß sie mich sturm geschwatzt habe, aber es habe sie schon lange gedünkt, sie möchte es mir einmal zeigen, wie sie es eigentlich meine, und mir einige Winke geben. Ich solle es nicht für ungut halten. Weiter sagte sie mir nichts und ließ nun alles, was sie mir an den Kopf geworfen, ordentlich mutten in demselben.

Die Lise war nicht dumm; sie wußte, daß man die einen Köpfe überrumpeln, die andern unterholzen muß. Weiber und Diplomaten verstehen sich am besten darauf, welche Methode jedesmal mit Erfolg anzuwenden sei.

Nach acht Tagen kam die Tochter in den Webkeller, brachte mir Grüße von der Mutter, die mir blaues Garn schicke, da ich es brauchen werde und sie nicht selbst habe kommen können. Das Mädchen schoß mir ein paar freundliche Blicke in die Augen, warf mir ein paar chutzliche Worte an den Kopf und blieb gerade so lange, daß ich es verdammt ungern gehen sah, und es nachher nicht mehr aus dem Kopf bringen konnte, und der Handel und das Mädchen auf eine wunderliche Weise sich in einander verliefen. Das ist aber auch eine verzweifelt schwere Kunst an jedem Orte, ebenrecht lange, d.h. so lange zu bleiben, daß man einen ungerne gehen sieht, daß man den Leuten im Kopf bleibt, einen angenehmen Eindruck und doch eine gewisse Leere hinterläßt; aber auch lange genug zu bleiben, daß unsere Erscheinung nicht bloß eine lästige Störung an der unterbrochenen Beschäftigung ist. Das ist aber eine so verdammt schwere Kunst, daß ich sie selbst nicht verstehe. Die Hexen ließen mich nun wieder im Stich, und als die Mutter einmal vorbei ging und ich sie anredete, hatte sie nicht Zeit, sich aufzuhalten, sondern lud mich ein, einmal selbst zu ihnen zu kommen und, wenn allfällig das Stück fertig sei, es an einem Abend herauszubringen.

 

Ich will mich nicht aufhalten, zu erzählen, wie ich nach und nach immer mehr angedreht wurde und wie die Weiber sich lange Zeit sehr vorsichtig und behutsam betrugen.

Es war etwas in mir, das eine große Übereilung hinderte. Ich schämte mich doch mehr oder weniger der Leute und ihres Umganges, weil das ganze Dorf sie mied und verachtete. Ich hatte schon hie und da ein spöttisch Gesicht bemerkt, ein spöttisch Wort gehört, seit ich mit ihnen verkehrte. Das ärgerte mich doch, denn ich war ungern ausgelacht. Der Gedanke, wie die Leute spotten und lachen würden, wenn ich Bäbeli zur Frau nehmen würde, schreckte mich ab, so oft ich daran dachte, und ich brachte es nicht einmal über mich, einmal bei Bäbin über Nacht zu bleiben. Ich fürchtete, die Buben möchten mir auflauren und mir dann einen Lärmen machen im ganzen Lande. So wurde ich angezogen und abgestoßen und flatterte doch immer näher ums Licht herum wie ein Müller, eine Fliege, welche am Ende die Flügel sich verbrennen.

Eines Sonntags hatte ich versprechen müssen, am Abend zu ihnen zu kommen, die Mutter wollte mir Garn zeigen und etwas mit mir abraten. Es war ein rauher, stürmischer Oktobertag. Am Himmel fingen Schneewolken an sich zu bilden, über die Erde wehte es gelbe Blätter, und frostig strich der Wind über die frisch geackerten Felder. Ich hatte die Dunkelheit abgewartet, war auf einem Umweg hingegangen, und schauderte ordentlich, als ich über die Schwelle trat, vor Frost, meinte ich. Im Stübchen war es schön warm, und gar freundlich wurde ich empfangen. Die Mutter hatte in einem Buche gelesen und Bäbeli an seinem Göller die Häftli versetzt, weil es ihm zu enge geworden. Der bloße schlanke Hals stund ihm wohl an und mir auch. Gar traulich beriet mich nun die Mutter und sagte mir vielmals, sie habe zu niemand so Vertrauen als zu mir und auch niemand so lieb wie mich, außer Bäbin; sie könnte mir das Herz aus dem Leibe geben. Unterdessen sandte sie die Tochter in die Küche, ein Kaffee zu machen und neuis darzu, sie hätte Hunger. Während die Tochter draußen hantierte, rühmte die Mutter sie gar sehr, wie Bäbi ganz es angers syg als so n-e Buretotsch, welcher das einte halbe Jahr die Ferseren vor den Schuhen habe und das andere die Stumphosen voll Flöhe, daß man sie beim Pfund verkaufen könnte. So ein Totsch sehe nichts, wisse nichts, schmöcke nichts, nicht einmal wie es stinke in den Hundstagen. Nein, da sei Bäbeli ganz ein anderes, süferlig und arbeitsam und geschickt, und könne nähen trotz einer Herrenfrau und lismen und verstehe alles gar wohl, und mit dem verdiene man am Ende mehr als so mit dem grad ane Furen hacken und Kuder spinnen.

Und dann sei es nicht, daß Bäbi nichts habe und nichts bekomme; eine schöne Summe habe es schon verdient, und sie selbst hätte dann auch noch etwas, was nicht eine jede sinne und was man bei manchem vornehmen Bauer vergebens suchen würde. Töchterchen war ab- und zugegangen, trug Kaffee auf und einen tüchtigen Eiertätsch, wie ich in der That lange keinen so guten geessen hatte. Ich mußte essen und immer essen, als ich schon lange mehr als satt war. Wollte ich absetzen, so sagte Bäbeli, wenn ich‘s neuis schätze, so nehme ich noch ein Bitzli, und dazu saß es so nahe bei mir und hatte seine Füße ganz, neben die meinen gestellt, die Knöchel berührten sich, daß ich Bäbelin nichts, gar nichts absagen konnte. Als ich endlich von Ersticken zu reden anfing und von Versprengen, indem ich auftriebne sei wie eine Krot, ließen sie mich zufrieden mit Essen, kamen aber nun mit Trinken; das werde mir wieder wohl machen. Die Alte brachte eine Maß Roten aus ihrem Schäftli, ine Tochter Gläser, schenkte ein und machte Gesundheit.

Der Wein war roter Wein vom stärkeren, und was der kann, weiß ein jeder, der einmal zwei Schoppen dergleichen getrunken. Die ersten Gläser machten mir schon ganz warm, lösten mir die Zunge und gramselten mir bis in die Fingerbeeren. Die Alte war eine Kennerin, kannte die verschiedenen Tempo des Weines und ihre Zeichen beim Menschen auf das genauste und verließ uns daher jetzt unter dem Vorwande, es sei billig, daß sie auch etwas mache; habe ds Meitschi gekocht, so wolle sie jetzt abwaschen; wir sollten nur nicht lange Weile haben, sie komme bald wieder. Wir hatten nicht lange Zeit. Ds Meitschi fing an mit einer Baurentochter mich aufzuziehen, rückte mir aber immer näher; ich floh auch nicht, ließ nichts daraus gehen, nahm Bäbin endlich obenine und wollte es küssen. Es meinte: wenn es die und die sehen würde, was würde sie sagen? »Mira was sie will«, antwortete ich, »dere frage ich ase nichts nach und ich küsse, wen ich will.« Und ich setzte wieder an und Bäbeli sagte: »Lah mi doch! We‘s dMuetter gsächt!« Und doch saß Bäbeli bald darauf auf meinem Schoße, trank aus meinem Glase, hielt mich über den Hals fest umschlungen, und eben waren wir am besten am Müntschlen, als richtig das Müetti zur Thüre einkam und uns zurief: »So, so! das geyt lustig; cheut Ihr das o, Schumeister?« Bäbeli wollte aufschießen und fort und ich hätte es gehen lassen, denn trotz dem Wein war ich doch verblüfft; aber die Mutter sagte: »Syt ume rüihig, i gange grad wieder, i bi o jungi gsi u weiß, wie‘s geyt, u das freut mi, daß dr Schumeister o thuet wie-n-e angere Mönsch u si üsere nüt verschämt.« Da blieb Bäbi und sagte: »Muetter, er cha Müntschi gä wie wenn er‘s aparti glehrt hatt.« Und die Mutter sagte, das nähme sie nicht wunder, so einem Schulmeister komme gar allerlei zu Händen, aber gseh möcht sie es doch auch, und trinke müsse man dazu, sonst werde man gar durstig; denn es mache nichts so durstig als das Müntschle.

Man trank mir zu, Bäbeli lag mir um den Hals und hatte mir schon versprochen, daß ich bei ihm liegen könne. Ob ich es gefragt, weiß ich nicht, aber ich war ganz aufgelöst in Zärtlichkeit und that und schwatzte, ich weiß nicht mehr was; war ganz verzückt und gerade in dem eben rechten Zustande, und die Mutter hatte eben gesagt, sie sei schläferig und wolle zu Bette und es dünke sie, wir würden dort auch bas sein.

Da schlug es draußen an die Fenster wie ein Donnerschlag; klirrend stürzte ein ganzes Fensterkreuz in die Stube, hinten nach polterte ein schwerer Stock und diesem nach sprangen ein paar Buben, Bäbeli war längst aufgesprungen, aber wie vom Donner gelähmt saß ich da und hörte zu, wie sie mich verhöhnten und sagten, das syg e lustige Schumeister, der da gang ga Chilbi ha mit sellige Huere, u so ugschämt da hingerem Tisch schätzeli; mi chönn de denke, was de nache gang; sie heyge nit glaubt, daß ich so-n-e wüeste sei, aber das sei dem ganzen Dorf eine Schande und der Pfarrer müsse das nadisch auch wissen.