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Leiden und Freuden eines Schulmeisters

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Eine der wichtigsten Ursachen aber, warum man mir die Spendmütschen und Spendwürste entzog, war sicher meine Gastfreiheit gegen die Nachtbuben. Wenn am Morgen beim Essen ein Knecht oder ein Sohn die Bemerkung machte, gestern abend habe er auch von diesem Brot gegessen, und es dann herauskam, daß es beim Schulmeister gewesen, so kann man sich denken, was die alten sagten. Natürlich ist‘s freilich, daß man dem Schulmeister nicht Geschenke bringt, damit er die Kiltbuben anlocke und abfüttere. Wenn das so gemeint sei, war gewöhnlich der Schluß der Rede, so wollten sie es selber fressen, und wenn sie es nicht selbst möchten, so gebe es noch andere Leute, die es nähmten, als die Nachtbuben.

So wurde geredet im einfachsten Falle, aber es gab noch ein zusammengesetzter, dann ging es ganz anders los. Wenn von den Buben noch Bemerkungen gefallen waren über Brot oder Würste, z. B. Hanse Durs habe den Roggen nicht gespart; dGrichtsäßi hätte früher auf sollen um zu kneten; sie liege, scheine es, gerne lange; dsKreuz-Trini habe der Speck gereut, seine Würste seien trocken wie ein Käferf....; es scheine, dsBannwarts Frau habe aber kein Geld gehabt, um Kuchipulver zu kaufen, man spüre in den Würsten nichts als Knoblauch; und wenn dann dieses beim z‘Morgenessen in allen Häusern verhandelt wurde, so kann man sich denken, in welche Wut die Betreffenden geraten mußten.

Denn so verhandelt zu werden wegen Würsten und Brot, die man noch dazu zum Geschenk gegeben, das ist mehr als eine erleiden mag. Gutes Brot backen gehört zur Reputation einer Frau, und ist einer der chutzlichsten Punkte; darum muß ihr auch gewöhnlich der Mann dabei helfen. Wenn dann eine noch mästen kann und kücheln, und allfällig noch strehlen und züpfen ohne fremde Hülfe, dann ist sie eine ausgespitzte (oder in alle Spitzli gestochene), wie man zu sagen pflegt, und sie trägt ihr Haupt so stolz, als wenn ein Basler oder Zürcher oder Berner Doktorhut darauf säße. Dann aber verhandelt zu werden und noch dazu von den Nachtbuben, wo einer nichtsnutziger ist als der andere, wenn es giltet die Leute auszuführen, und von diesen in allen Häusern herumgetragen zu werden, das war eine Sache, welche die empfindlichste Seite traf, und welche natürlich der Schulmeister entgelten mußte. Nicht nur die wurden erbittert, über welche die Kritik ergangen war, sondern auch die andern Bäuerinnen sagten: Nein, beim Dolder, wenn das so gehen muß, so kann er sehen, wer ihm etwas bringt; in der Nachtbuben Mäuler will ich nicht; ich weiß, was die können, wenn sie bei einander sind; da ist einer schlimmer als der andere. Sie hatten Recht, sie kannten die Nachtbuben, die aber auch ehedem viel mehr Witz hatten als jetzt, wie die übrige Welt auch; denn der Witz ist ein Kind der Natur und nicht der Kunst. Sie wußten, was die Nachtbuben alles anstellten, um hinter die innersten Geheimnisse einer Haushaltung zu kommen, um zu wissen, wie in jeder gekocht und hantiert werde, und was demgemäß von den Töchtern als künftigen Hausfrauen zu erwarten stehe. Es mochte eine halb aus Mißtrauen in ihre Kunst, halb aus Mißgunst, daß sie ihr niemand ablerne, noch so heimlich alles thun, keine Magd über ihre Kochkunst guggen lassen, mochte um Mitternacht kücheln, die Nachtbuben kamen ehedem doch darüber, und erdachten sich dazu die lustigsten Streiche und scheuten keine Mühe.

Nachdem ich mich selbst so auf das Trockene gesetzt und doch fast täglich Ausgaben hatte, kam eines Tages ein Wägeli vor das Haus, und der Fuhrmann erklärte mir: er sei Knecht bei dem Bauren, der mir das Bett geliehen hätte, und er komme dasselbe abzuholen. Die Meisterfrau lasse mir sagen, sie mangle das Bett nun gar übel; sie ließen bauen und müßten viele Handwerksleute über Nacht behalten, so daß sie fast nicht Gliger genug hätte.

Ich mußte das Bett verabfolgen lassen, ohne daß ich wußte, wo ich in der Nacht liegen solle. Mir hätten nun die Augen aufgehen sollen, wie es einem gehe, wenn man gänggele statt das Nötige sich anzuschaffen; wie man in Verlegenheiten kommen könne, wenn man jedes aufsteigende Gelüsten befriedigen wolle und sich selbst einzuwiegeln suche in Sorglosigkeit durch thorrechte Rechnungen in die blaue Luft hinaus. Ich hätte böse über mich werden sollen, daß ich es darauf ankommen kommen lasse, mir geliehene Sachen wegnehmen zu sehen und auf dem Boden schlafen zu müssen, während ich gar füglich ein schönes Bett hätte anschaffen können, wenn das Händeln mit Tabakpfeifen, Uhren, Geigen, Klarinetten, Orgel und alles andere nicht gewesen wäre. Statt dessen wurde ich böse über die guten Leute, die mir über zwei Jahre ein Bett geliehen hatten und sich endlich unterstunden, ihr Eigentum zurückzufordern. Ich lief in ein Haus und klagte dort, wie uverschant man es mir gemacht habe, und ersuchte um ein anderes Bett. Die Leute waren nicht dumm. Sie halfen mir schimpfen, sagten, das müßten doch wüste Leute sein. Aber ein Bett zu geben, schicke sich ihr wäger gar nicht diesen Augenblick, sagte die Bäuerin, sie habe die Fassene aufgethan, um sie waschen zu lassen, und die Federn seien in einem Bocki im Spycher. Aber an meinem Platz wollte sie sich nicht lange besinnen, sondern ein eigenes machen lassen. Ich werde wohl bald wybe wollen und ein eigenes Bett sollte ich notti haben. Ich solle nur die Kosten nicht scheuen; eine reiche Frau und eine schöne Ehesteuer werden mir ja nichi fehlen. Unterdessen, bis das Bett fertig sei, könne ich bei ihrem Hans schlafen, er lieg alleine und hätte ein Bett wie die Huttwyler Allment.

Das leuchtete mir ein. Ich lief über Hals und Kopf zum Krämer und wollte ein Bett kaufen, im Wahn, er habe deren vorrätig so gut als geröstetes Kaffeepulver. Ich mochte eben nicht lange bei Hansen sein; er brauchte nicht zu wissen, wie oft ich des Nachts fort ging und wann ich wieder kam. Aber zu meinem großen Leidwesen wollte die Krämerin keine aufgerüsteten Bette haben; sie sagte: ein jeder Mensch habe seinen Gring, und wenn man eine Sache dä Weg habe, so wollen sie die Leute dr anger Weg; aber die Sachen dazu hätte sie, Federn und was man sonst brauche; ich soll nur sagen, was für Gattig ich wolle und wie viel von einer jeden. Du lieber Himmel, was man doch einem Schulmeister alles zumutet! Nun sollte ich wissen, was und wie viel man zu einem Bett brauche; ich hatte mein Lebtag nichts anders von einem Bett gewußt, als daß ein Bett ein Bett sei, daß man darin schlafe und daß es weicher oder härter sein könne. Da fing die gewandte und in den Leuten wohlbewanderte Krämerin (darum ist auch meist eine Krämerin besser als ein Mann, weil sie ihre Leute besser kennt und jeden nach seiner Art zu behandeln weiß, während der Krämer seine Ware besser kennt, aber die Menschen schlechter) an, mir vorzulegen und in die Weite und Breite zu erzählen, die einen Leute nehmen von dem, darum, und andere von jenem, und wieder darum; die einen brauchten so viel und andere nur so viel. Sie flößte mir so viel Zutrauen ein in ihre Einsicht und Gutmeinenheit, daß ich auf ihren Rat alles ankommen ließ. Am Ende war ich aber wieder in großer Verlegenheit, wer mir das Bett nun machen könne? Auch da erbarmte sie sich und sagte: sie kenne eine geschickte Näherin; wenn ich es begehre, so wolle sie mit dieser reden, und mir alles besorgen, wie wenn es für seye wäre. Einen rechten Stein wälzte sie mir mit diesem Anerbieten vom Herzen, und ich konnte ihr nicht genug für ihre Bereitwilligkeit danken. Daß so ein junger Kerli, der weder Gix noch Gax von einem Bette versteht, als darin zu liegen, ein wahrer Schleck für eine schlaue Krämerin sei, wenn sie ihm eins kann machen lassen, daran dachte ich nicht, als ich so inbrüstig dankte.

Endlich kam mir doch in Sinn zu fragen: was das alles dann koste? Du liebe teure Zeit, wie fing es mir an zu gruseln und zu gramsein, als sie bei dem Strohsack anfing, vom Unterbett zum Dackbett, von den Fassenen zu den Federn kam, immer eines teurer als das andere, so daß das Bett fast halb so teuer kam, als die Orgel. Trotz allem meinem Hochmut und Leichtsinn konnte ich es doch nicht über mich erhalten, nicht ein Gesicht zu machen, wie ein Schaf und mit beklemmter Stimme zu klagen: das sei doch gar teuer, und ob man es denn nicht wohlfeiler machen könne? Die Krämerin sagte, man könnte wohl schlechtere Sachen nehmen, aber sie rate es mir nicht; das wohlfeilste sei am Ende doch immer das teuerste. Ich mußte mich ergeben. Nun mußte ich mit schwerem Herzen bekennen, daß ich jetzt nicht Geld bei mir hätte; aber sobald mir eingehe, wolle ich bezahlen. Die Frau machte mir das Schuldigsein gar leicht, machte mir weiß, es pressiere ihr mit dem Gelde gar nicht; ich solle nur machen, wie es mir komod sei, und wie die Redensarten alle heißen. So treiben es die Leute. Fängt man an Schulden zu machen, so hält sich selten ein Mensch dafür, daß er nichts dings gebe, daß er nicht warten könne; da ist lauter guter Bescheid, und kein Mensch mangelt Geld. Merkt man aber, daß der Schuldner in der Klemme sitzt, dann mangelt auf einmal jeder Geld, und jeder bestürmt ihn mit Vorstellungen, wie er in Verlegenheit sei, hier und dort zu zahlen habe, und es nicht machen könne, wenn er nicht bezahlt werde.

So machen es aber nicht nur Krämer oder gemeine Leute. Es rennen und fahren eine Menge Menschen in der Welt herum, und, wenn man sie reden hört, allein zum Nutzen der Welt. Sie dringen ihre Waren auf, als ob es keine solchen mehr gebe, um einen Spottpreis, wie sie sagen, bloß um des Artikels los zu werden, oder weil sie es viel wohlfeiler geben könnten als andere Leute; und ums bezahlen brauche man sich nicht zu kümmern, sie seien gar nicht so geldhungrig wie andere. Wenn dann das arme Krämerlein sich bethören laßt, so kömmt Ware mehr als er verlangt, anders als er geglaubt, und ein Wechsel, ehe er daran denkt, und er kehrt die Beine gen Himmel, ehe er sich‘s versieht.

Mit Not und Angst konnte ich den Macherlohn zahlen. Die Bettstatt blieb ich schuldig und nach und nach manches kleine Bedürfnis. Aber das muß ich sagen, wohl schlief es sich im eigenen Bette. Ich probierte es hinten und vornen, und immer da, wo ich war, lag ich am wöhlsten. Am Morgen konnte ich gar nicht daraus, und den ganzen Tag dünkte es mich, wenn es nur Abend wäre, daß ich wieder hinein könnte, und träumen könnte, wie Stüdin das Bett gefiele und die Orgel, und was ich aus den Kühen ziehen wolle?

 

Wie es mir aber mit Stüdin ging, wißt ihr; daß ich in der Klemme sitze, seht ihr; aber ich fühlte es damals noch nicht; fühlte es nicht, daß ich mir selbst den Boden unter den Füßen abgrub, nicht nur ökonomisch, fondern auch sittlich.

Einundzwanzigstes Kapitel. Wie ich mich in die zweite Klemme bringe

Es wird manchen vielleicht verwundern, daß ich zwei Kapitel durch von Sachen gesprochen habe, welche mein Amt gar nichts angehen, und kein Wort von der Schule selbst. Die einen werden glauben, ich schreibe das um der Kurzweil willen nieder, die Leute lachen zu machen, wie man ehemals die Brattigen machte; andere werden böse werden und glauben, ich wolle aparti die Schulmeister ausführen und lächerlich machen, und schreibe aus Bosheit; und zum Beleg dieser Meinung werden sie eben die vorhergehenden und vielleicht auch die beiden folgenden Kapitel anführen. Urteilt nicht vorschützig, Leute; ich schreibe, wenn ihr wollt, eine Brattig, d. h. ein Buch, welches Thorheiten enthält. Aber ich schildere diese Thorheiten nicht aus Bosheit, sondern um davon abzuschrecken. Darum schildere ich auch genau und vielleicht nur zu ausführlich die Folgen der Thorheiten. Zudem bin ich ja auch ein Schulmeister; warum sollte ich also meinen Stand erniedrigen, ausführen? Aber während ich schreibe und mir oft selbst der Gedanke kam, etwas zu verhüllen und zu verschöneren, schwebt mir immer deutlicher die Wahrheit vor, daß ich tausendmal mehr zur Erhebung meines Standes beitrage, wenn ich meine eigene Erniedrigung treu und offen mitteile. Es sind nicht alle gewesen wie ich, und werden es nicht alle sein, aber allen warten die gleichen Fallen, die mich zu Falle gebracht; alle sind einmal jung, und am Ende nicht alle gescheuter, als ich war. Allen diesen nun, wenn sie nämlich nicht vom Dünkel besessen sind, alle Weisheit mit sich auf die Welt gebracht zu haben, kann meine Offenheit manche Reue ersparen.

Darum auch bin ich in meiner Erzählung ganz dem Gange gefolgt, in den ich gerissen wurde. Ich habe das zuerst ermahnt, was mir die Hauptsache war, was meine Gedanken füllte, womit ich mich auszeichnen wollte, und das in Hintergrund treten lassen, was damals auch bei mir zurücktrat als Nebensache. Ich möchte hier gerne ein Kapitel schreiben von den Strömungen der Seele oder vielmehr von den Strömungen, in welche die Seele auf ihrer Fahrt durchs Leben gerät. Gin stattlich schön Schiff fährt aus dem Hafen ins offene Meer, eine ferne Insel ist sein Ziel mit ihrem Gelde, ihren Früchten. Ruhig in unergründlicher Tiefe ist das Meer, heiler der Himmel, und laue Lüfte spielen in den Segeln; tiefe Furchen zieht das mächtige Schiff in den großen Wasseracker, in dessen Schoß kein anderer Same fällt, als die Leichen der Schiffenden. Seine Richtung hat es erhalten und die Winde wehen es seinem Ziele zu. So meint der Unkundige. Rascher geht es auf einmal; es verdoppelt sich der Wellenschlag bei gleichem Winde, bei noch heitererem Himmel; wie durch Zaubergewalt ist der Lauf zum Fluge geworden. Es jubelt der Unkundige, steht in Gedanken die Insel vor sich in ihrer Herrlichkeit, träumt sich ihre Genüsse. Da kracht das Schiff und dröhnt, es beben und stürzen die Masten; wundgerissen hat sich der Kiel an einem Korallenriff, den niemand gesehen, niemand auf dieser Bahn erwartet hat. Es ergreift die Brandung das entmastete Wrack und wirft es an unwirtlichen, öden Strand. Es war eine Strömung, die unsichtbar das Schiff erfaßt, seiner Bahn es entrissen, es zertrümmert hatte, und mit ihm die Träume der Schiffenden.

Die Schiffer sind klug geworden, sie kennen des Meeres Strömungen jetzt, und immer mehr seine Riffe. Wenn sie dieselben auch nicht immer vermeiden können, so hilft ihnen der Kompaß hindurch zum Ziele, denn sie verlieren nie das Bewußtsein, sie wissen immer, wo sie sind.

Jeder Mensch steuert sein Schifflein einem Ziele zu in bestimmter Richtung auf dem Ocean des Lebens. Hier sind auch Strömungen, die jeden erfassen, den meisten fehlen aber Karten und Kompaß, die Retter auf dem Meere. Unkundige sind sie, die von diesen Strömungen nichts wissen, in ihnen sich nicht zu wahren wissen, die vielleicht jubeln, daß es lustig gehe, und Augenblicke später mit zerschelltem Haupte am Strande liegen. Vor solchen Strömungen ist kein Alter sicher und kein Stand; sie reißen mit sich die Jungfrau und die Witfrau, den Kaiser und den Knecht; sie führen weit weit weg von dem Ziele, nach dem mau strebt, und man merkt es nicht; sie machen einen, der ein berühmter, hablicher Schulmeister werden will, zum Narren der Welt, zum Spott der Kinder, zur Beute der Schuldenböte, und er merkt es nicht, bis er alles wirklich geworden ist. Wie mit mir, spielen sie mit Millionen, und sie merken es auch nicht. Ihnen entrinnen könnt ihr nicht, aber wollt ihr in ihnen euer Meister bleiben, so lernt diese Strömungen kennen; sie gehen alle von euch selbsten aus, bald als Eitelkeit, als Sinnenlust, Geld oder Ehrgeiz, Liebe und Haß, Glaube und Unglaube. Dann behaltet das Ziel fest im Auge, den Kopf beisammen und Gott als Kompaß; dann könnt ihr leicht erkennen, ob die Richtung, in welcher die Strömung euch treibt, zum Ziele führe oder nicht. Wer einmal die falsche Richtung erkannt, ergreife das Ruder mit fester Hand und den Lüften des Himmels biete er die Segel auf neue Weise dar; und durch seine Kraft und des Himmels Hülfe durchschneidet er den gefährlichen Strom, meidet die Klippen, findet das Ziel.

Ich aber ward hingerissen im Strudel und wußte es nicht. Ich kannte die zehen Gebote. Aber was helfen die zehen Gebote, wenn man die Seele nicht kennt in ihren Kräften, ihren Schwächen, das Leben nicht kennt in seiner Schalkheit und Bosheit? Was helfen Himmel und Hölle gegen thorrecht und sündiges Treiben, wenn man die Seele in der Thorheit läßt, in ihr unbesorgt die Nacht der Sünde läßt?

Gar viele Menschen kennen die Namen von Tugenden und Lastern, aber sie erkennen sie im Leben nicht, noch viel weniger in der eigenen Seele. Mich dünkt, eine Geographie der Herzen thäte eben so not als eine von Spitzbergen, und die Lehre und Geschichte der Seele wäre eben so wichtig als die Lehren von Flötz- und Urgebirg und die Geschichte der drei Söhne Noahs. Alles Sicht- und Tastbare soll das Kind kennen lernen, Mädchen sogar die Anatomie des menschlichen Körpers sehr genau; aber zum Reiche der Geister gibt man ihm den Schlüssel nicht, die Kenntnis der eigenen Seele. Aber was man nicht hat, kann man nicht geben.

Ich hatte also meinen Wunsch und mein Ziel nicht verändert mir wissentlich. Ich wollte ein berühmter Schulmeister sein; aber außer diesem Ziele, in täuschender Nähe, stellten sich mir andere Punkte auf, nach denen meine Lust steuerte, mir auch unbemerkt. Ich wollte e Junge Lustige sein, ein Hübscher und Kurzwyliger, wollte eine reiche Frau, wollte, daß mich die Leute hoch hielten über alle andern aus. Diese Wünsche lagen also zum Teil neben dem eigentlich aufgesteckten Ziel, zum Teil nicht; aber den einzigen Weg, auf dem ein ehrlicher Mann ein ehrlich Ziel erreicht, den Weg der Berufs- und Pflichttreue, den ging ich nicht; ich folgte eben den Strömungen und meinte ans gleiche Ziel zu kommen und noch viel ringer. Der Weg der Treue ist schnurgerade, macht keine Biegung weder zur Rechten noch zur Linken; wie auf einer französischen Chaussee scheint man trotz aller Mühe nicht vorwärts zu kommen. Dem jungen Blut ist ein solches Wandern gar langweilig, darum rennet es auf Seitenwege und — verirrt sich.

Den ersten Winter durch ging es recht gut. Ich war fleißig und, obgleich ich wob, immer der erste in der Schulstube. Obgleich ich mir viel einbildete, bildete ich mir doch nie ein — wie es Burschen gibt — daß ich in einer Stunde die Kinder mehr lehren könne als andere in zwei; bildete mir nie ein, daß, wenn ich die Schule erst um dreiviertel auf zehn anfinge, es noch lange so viel abtrage als wenn es andere um halb neune thäten. Der Pfarrer war auch zufrieden am Examen; nur tadelte er, daß die Kinder nicht stille genug und so wenige Examenschriften da seien. Da die Vorgesetzten aber gar rühmten und sagten, dChing syge Ching und man könne nicht alles erwehren, so ließ ich mir wegen des Pfarrers Mahnung nicht graue Haare wachsen.

Auch das ärgerte mich nicht mehr so, wenn die andern Schulmeister des Sonntags mich gemeinsam aufs Korn nahmen und durchhechelten, als ob sie förmlich im Bunde stünden gegen mich. Es war der natürliche Bund, in dem gewöhnlich alle in einem bestimmten Kreise Angestellten oder Arbeitenden gegen den zuletzt unter sie tretenden sind, wenn er nicht die besondere Klugheit hat, gar demütiglich zu thun und an einen der ältern ganz eigens sich anzuschließen, als des Rates und der Führung bedürftig. Es ist der Bund der pomadigen Gewohnheit, die durch den Neuling fürchtet beunruhigt und der ängstlichen Eitelkeit, die fürchtet durch ein neues Licht verdunkelt zu werden. Und wenn die Männer an einen solchen Bund nicht dächten, so müssen sie unwillkürlich daran, aufgeguselt von den Weibern. Wenn ein Weib dem Mann im Hause des Tages schon hundertmal Löhl sagt, so will sie doch außer dem Hause eitel auf ihn sein und keiner soll ihm ins Licht stehen. Die Weiber fühlen es, daß sie eigentlich nur die Planeten sind, die das Licht von der Sonne haben, d. h. vom Mann, daß ihre Stellung und Ehre in der Welt durch die des Mannes bedingt ist; sie fühlen es, aber sie denken es selten und bekennen es nie.

Ich wußte mir nicht anders zu helfen, als daß ich ihnen erzählte, wie manche Brägelwurst ich in dieser Woche bereits gegessen und wie manche ich noch im Gänterli hätte, wie viel ich eingeladen worden und was ich alles zum Heimtragen bekommen. Daß solche Erzählungen sie nicht zuckersüß stimmten gegen mich, und daß ihre Weiber, wenn sie dachten, was noch alles in ihren Gänterlenen Platz hätte, das niemand bringen wollte, sie nicht besänftigten, und daß sie mit Luchsaugen mein Thun bewachten und manche bittere Bemerkungen auf nicht unfruchtbaren Boden fallen ließen, das kann man sich leicht denken. Das war mir aber ganz gleichgültig; ich dachte: Die cheu lang rede, die werde di nit ungere thue; es müesse de angeri Kerleni sy; du witt-ne zeige, daß du seye nüt förchtest.

Daran dachte ich aber nicht, daß ich mich selbst ungere thue könnte, daß sie dann nichts zu machen brauchten, als mit den Fingern auf mich zu zeigen und zu schreien : »Luegit, luegit!« Und so ging es. So wie ich nach und nach von einer Sache nach der andern, welche die Schule nichts anging, angedreht wurde, so ging auch ein Stück meiner Seele nach dem andern aus der Schule fort, bis endlich nur noch der Leib in derselben war.

Pfeifen und Uhren waren es zuerst, die meine Gedanken oft gefangen nahmen. Ich sann an einen guten Handel, während ich mit einem Kind buchstabierte, und überhörte seine Fehler, und wenn ich konstruierte, so fiel mir ein, ob meine Uhr wohl noch gehe, oder ob die Tabakpfeife Luft habe. Mein Musizieren steckte mir später noch tiefer im Kopf und ich klarinetete oft in Gedanken einen Tanz, während die Kinder lesen sollten. Aber als später das gesellschaftliche Leben mich so recht gefangen nahm, als mein Sinn nur nach Mädchen, nach einer reichen Frau sich richtete, da verlor ich alle Aufmerksamkeit für die Fortschritte der Kinder, alle Lust, bei ihnen zu sein. Unerträglich langsam schlichen mir die Schulstunden vorüber; ich mochte nicht warten, bis ich meinen Gedanken nach konnte, die vor irgend einem Gadenfenster oder an einem Abendsitze saßen. Nun ist es aber ein himmelweiter Unterschied, ob man mit Leib und Seele bei einer Sache ist, oder nur mit dem Leibe. Nehmt den gemeinsten Handwerker, nehmt den Rechenmacher und laßt ihn mit innerer Lust und Freude an einem Rechen arbeiten; dieser kömmt gewiß viel niedlicher und zierlicher heraus, als ein Rechen, den einer gemacht hat, um eben einen Rechen zu machen und vier Batzen zu verdienen. Seht einer Magd zu, die mit Lust einen Garten bearbeitet, und einer andern, die ihr Tagwerk ableiert und nicht warten mag, bis es Feierabend läutet; so werdet ihr sehen, wie Pflänzchen und Blümchen die Lust der Fleißigen zu empfinden, zu vergelten scheinen in fröhlichem Grünen und Blühen, während der Garten der andern und jegliche Pflanze derselben eigene Masleidigkeit abzuspiegeln scheint. Wollt ihr das noch deutlicher sehen, so betrachtet ein Gemälde, welches hervorgetreten ist aus dem Geiste eines geistig Schaffenden, und ein anderes, das nur der Pinsel gemacht hat. Bei dem ersten trittet euch aus der toten Leinwand etwas Unnennbares entgegen; es spricht zu euch, es regt euch auf; es ist Geist des Künstlers, den er hineingezaubert hat in das Bild; es ist ein geistig Leben da, welches unwillkürlich auf euer geistig Leben anregend einwirkt, es beherrscht und hinreißt, während bei dem gepinselten Gemälde alles regelrecht gezeichnet und gefärbt da steht und liegt, aber man sieht, es ist eben nur gefärbt und gezeichnet; man sieht, daß es die Hand und nicht der Geist gemacht. Ledern und hölzern hängt das Ding da; mag es auch dem Auge gefallen, man geht doch kalt vorüber und fühlt nachher keinen Wiederklang desselben in der Brust. Leset ihr Bücher? Nun wohl, habt ihr da keinen Unterschied empfunden? Sind euch die einen nicht kreuzlangweilig vorgekommen, wie gelehrt und nützlich sie auch sein mochten? Stund da wohl ein schöner Spruch schön am andern, aber einen nach dem andern vergaßt ihr wieder. Und andere Bücher laset ihr mit Wohlbehagen durch; es war euch behaglich dabei, vielleicht schaurig; aber sie gingen durch euch durch wie Haberkernenbrühe und hinterließen nichts als etwas Schleim. Gab es aber nicht auch Bücher, die euch ergriffen mit ganz eigener Gewalt, die euch fest bannten an sie, daß ihr sie kaum aus den Händen bringen konntet und noch viel weniger aus dem Kopf; die euer ganzes Wesen aufwühlten, wie der Sturm das Meer; die ein eigen Feuer in euch anzündeten, daß ihr nach den Köpfen griffet, ob nicht auch feurige Zungen denselben entsprühten; die eine süße Wonne in eure Herzen gossen, eine Labung, für die ihr keine Namen fandet? Die erstern sind Bücher, welche man mühselig aus der Feder drückt, wie ein Huhn das Ei, oder welche man von sich gehen läßt, damit eben etwas gehe. Die einen Schreiber schreiben bärzend und schwitzend, träumend von Unsterblichkeit, und haben das Schicksal der Frösche vergessen, die fliegen wollten in den Mond. Andere schreiben ums Futter, Futter für die kurze oder lange Weile. Sie wecken beide nicht Geist, wecken nicht Leben, sie selbst haben darum auch nur ein kurzes Leben. Jener zweiten Bücher Geburt ist wunderbar. Wie Minerva aus dem Kopfe ihres Vaters sprang, geharnischt und bewehrt; wie aus dem Schoß der Erde die Quelle strömt, süß und stark; wie aus der schwarzen Wolke der Blitz zuckt, feurig und zündend, begleitet von des mächtigen Donners mächtiger Stimme, die die Welt aus dem Schlafe ruft, so werben diese Bücher geboren. Des Geistes Brausen erfüllt ihre Väter, des Geistes Blitz erleuchtet sie, des Geistes Strom ergreift sie, und geboren ist, was Geister erwecken, Leben erzeugen und selbst nicht sterben wird, als des Geistes geistig Kind. Wo aber kein Geist ist, sondern nur ein Leib, da wird kein Geist, sondern nur ein Leib geboren, und meist noch ein schlechter. Dieser Wahrheit letzte aber auch traurigste Zeugen sind blödsinnige Kinder trunkner Väter.

 

Was ist eigentlich nun ein Lehrer anders als ein geistiger Vater seiner Kinder, der ein inneres geistiges Leben zeugen soll in ihnen? Anbrennen und aufflammen lassen soll er in ihnen den göttlichen Funken, daß jede Kraft Flammen sprüht, heiß und weich gezogen werden kann von des Meisters Hand auf rechte Weise. Ein eigenes Licht soll er anzünden in eines jeden Kindes Brust, damit es dort nicht dunkel bleibe, öde und leer, oder wie in einem Magazine, wo viele Waren liegen und keine gebraucht wird, wo es nur von Zeit zu Zeit heller wird, in trügerischem Scheine einer Laterne, die man hineinträgt zuweilen, aber immer wieder hinaus. Das ist der Schule höchste Aufgabe. Aber aus nichts wird nichts und wo nichts ist, hat der Kaiser das Recht verloren; wo kein Geist ist, da wird auch keiner gezeuget. Wo aber in einem Lehrer Leben wohnt und Geist, wo er seine ganze Seele hineinlegt in sein Wirken, da seht doch nur hin, wie es aufgeht auf den Gesichtern der Kinder, wie Nordschein und Morgenröte! Alle Züge werden lebendiger, über die Augen verbreitet sich ein eigener Glanz und jegliche Bewegung zeuget von neu erregtem geistigem Hunger und Durst. Was dieser Lehrer auch treiben mag, und sei es nur das trockene Buchstabenschreiben, so wird doch auch hier es rege und rührig sein, und die Kinder werden gedankenvoll und nicht gedankenlos die Linien ziehen.

In einer solchen Schule blüht für den, der eben Menschen sucht und nicht Magazine, eine wahre Seelenfreude, während sie für die Schulpedanten ein wahres Ärgernis sein kann. Es geschieht manchmal, daß so recht innig belebte Lehrer des Stoffes nicht recht Meister sind, oder ihn auf eine wunderliche Weise vorbringen; es geschieht, daß die Schüler beim Abfragen nicht Silben um Silben wiedergeben können unverdaut und darum eben ohne Abgang. Da muß man dann den Silbenstecher und den Terminologieenheld betrachten, der freilich nicht Geist hat, aber in seinem Gedächtnis lange Worte an einen langen Faden gezogen, die, sobald man an ihm rupft, von ihm gehen, wie von einer Gans Speckbrocken, die man an langen Faden gezogen. Wie der seine Oberlippe höhnisch zieht, wie er von einem Bein auf das andere steht, mit dem Kopfe wackelt, einen Finger um den andern zwischen die Zähne stößt, sich räuspert, kurz dem Publikum alle möglichen Zeichen macht, damit es ja inne werde, daß er keine Schuld habe, seine Hände wasche über solche Seichtigkeit und Verkehrtheit! Und daß er ein ganz anderer Köbi sei und das Ding verstehe, gibt er zu verstehen in unverblümten Zeichen und etwas verblümteren Worten. Damit meine ich aber nicht, daß der Lehrer des Stoffes nicht Meister sein solle, meine nicht, daß er nicht auch den Stoff auf bestimmte Weise den Schülern beizubringen habe; meine nicht, daß er bloß schwabeln und schwadronieren solle, bewahre mich! aber ich behaupte nur, daß der Geist die Hauptsache auch in der Schule sei, und um so viel mehr wert als das übrige, akurat als die Seele mehr wert als der Leib ist. Es ist auch ganz eigentümlich, wie in solche Schulen die Kinder hineingezogen werden, wie sie zum Fest für sie werden und die Eltern mit Schlägen und Fluchen sie nicht vom Besuch abhalten können, und wie ihnen die Zeit vergeht wie ein Augenblick, und allemal die Stunden ihnen zu schnell zu Ende sind. Da zeigt es sich, wornach die menschliche Natur sich eigentlich sehnt, hungrig und durstig ist.

Hat der Lehrer nicht Geist oder ist er sonst mit seinem Geiste nicht dabei, nicht dabei mit ganzer Seele, so verbreitet sich eine gewisse Schläfrigkeit über die ganze Schule; in jeder Bewegung, jedem Blick liegt eine bleierne Mattigkeit und bleiern schleichen die Stunden vorbei. Die natürliche kindliche Lebhaftigkeit sträubt sich gegen dieses unbehagliche schläfrige Wesen und sucht durch allerlei Possen und Streiche sich wach zu erhalten; denn ein bedeutender Teil der Schulunzucht ist gar nichts anders als dieses Sträuben gegen den Schlaf, und ein Zeugnis gegen den Geist des Lehrers. Die einen Lehrer wissen mit Stock und Strafe eine gewisse Ordnung und Zucht zu erzwingen und der jugendliche Geist wird in spanische Stiefel gethan und in finstern Kerker gesetzt, um traurig zu verkümmern. Wahrlich, da will ich den Lehrer zehnmal lieber, der mit dieser Schulunzucht gar nichts mehr anzufangen weiß, sondern halt muß Kohli walten lassen, daß es ein Grus ist. Es ist aber merkwürdig, wie man alsobald angesteckt wird, sobald man nur einen Augenblick einen Fuß in eine solche Schule setzt. Man wird schläfrig, wird zerstreut, müde, sieht an die Uhr, und wenn man schon wieder lange in freier Luft ist, kann man doch den beständig gähnenden Mund nicht zubringen.