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Leiden und Freuden eines Schulmeisters

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Hatten wir uns sturm katechisiert, so ging es ans Singen, vom Psalmensingen bis zum Figuralgesang, in welchem zu üben wir den Gellert hatten.

Da lernten wir die verschiedenen Kreuze kennen und die Noten teilen in halbe, Viertel- und Achtelnoten, lernten die Taktschläge, den Seitenschlag, den Brustschlag und wie die Schläge alle heißen; lernten singen, daß die Fenster klirrten und die Muheime auf dem alten Ofen herumsprangen wie wild. Damit beschlossen mir gewöhnlich unsere Lehrstunden.

Fassen mir nun das Ganze ins Auge, so sieht man zuerst, wie weniges uns beigebracht wurde, und betrachtet man dann das wenige, wie man es uns beibrachte, so steht einem der Verstand stille. Daß wir es in diesem zu einiger Fertigkeit brächten, war die Hauptsache; ob es beim Kinde von Nutzen sei, und wie und in welcher Stufenfolge man es ihm beibrächte, darum bekümmerte sich niemand. Überhaupt von der Natur des Kindes war nie die Rede, also ebenso wenig von der Entwicklung seiner Geisteskräfte. Daß die Schule ein doppeltes solle: vor allem aus die inwohnenden Kräfte entbinden durch den den Kindern vorgeführten Stoff, dann freilich auch diesen Stoff ihnen zu eigen geben und Fertigkeit in seiner Anwendung, davon war keine Rede.

Da in dem Stoff, den wir zu uns nahmen, hundert Dinge waren, die wir selbst nicht begriffen, an deren Erklärung man gar nicht dachte, entweder weil der Lehrer sie nicht erklären konnte, oder weil er voraussetzte, wir wüßten es schon, so lernten wir auch die große Kunst nicht, bei den Kindern nichts vorauszusetzen, sondern alles Gegebene und Vorkommende klar zu machen. Und dieses leidige Voraussetzen von unbekannten Dingern als bekannt in den Kinderköpfchen und —Herzen hemmt jeden geregelten Unterricht, jede ordentliche Erziehung, und pflanzt ein gedankenloses Hinnehmen und ein gedankenloses Aussprechen von Worten, an deren Sinn man nie denkt. Dieses Voraussetzen ist ein Krebsschaden in unsern Schulen. Es ist freilich eine schwere Sache, sich selbst zu vergessen und so in ein Kindsköpfchen hinein sich zu denken, da sich umzuschauen, was alles darin und nicht darin sei. Aber wer es versteht, das Kinderherz sich offen zu erhalten, sieht auch in den Kopf hinein und erkennt, was der bedarf, und zu seiner Ausfüllung arbeitet er dann stetig vorsichtig, wie die Biene in ihrem Korbe, die mit bewunderungswürdiger Kunst erst die Waben anzuheften, dann die Zellen aufzubauen und dann endlich mit Honig sie anzufüllen versteht.

Wenn ich beim Zurückdenken an diese Sachen wild werde, verzeiht es mir, liebe Leute. Ich will Euch jetzt auf die andere Seite des Bildes blicken lassen; vielleicht werde ich dann wieder weich, oder auch wieder wild; denn ich habe eine gar wundersame Natur; ich weiß nie, ob ich über eine Sache wild oder weich werde.

Rührsam war sicher der Anblick der Lehrlinge und ihr Treiben. Alle hatten tief gefühlt, daß ihr Wissen Stückwerk sei, so viel sie sich auch auf dieses Stückwerk einbildeten, hatten gefühlt, daß es ihrer Bestimmung nicht genüge. Alle waren wahrhaft hungrig und durstig, lechzeten ordentlich nach Vervollständigung dieses Stückwerkes. Aber alle waren durchaus ohne Bildung, ohne Hülfsmittel; sie wußten, was sie wußten; aber von dem, was sie nicht wußten, was es sei und wie viel es sei, hatten sie keinen Begriff, also ebenso wenig von dem, was sie eigentlich bedurften außer einigen Namen, wie z. B. Konstruieren. Vor allem Wissen lag für sie ein undurchdringlicher Vorhang, wie für alle Menschen vor der Zukunft. Alle hatten mit tausend Schwierigkeiten zu kämpfen, um diese Normalschulen zu besuchen. Einige mußten ihren Familien den notwendigen Sommerverdienst entziehen, mußten ihre Sonntagskleider, die für einen Schulmeister manches Jahr halten müssen, abnutzen; sahen einem Winter entgegen, wo geschmalbartet werden mußte; sahen allemal, wenn sie heim kamen, der Frau saures Gesicht und hörten saure Klagen über Kinder und Nachbarsleute; sahen voraus, dieses saure Gesicht den ganzen Winter über sehen zu müssen, wenn der Schmutz in der Küche fehlte und fast das Salz auf dem Tisch. Aber sie kamen doch. Andere hatten ähnlichen Stand mit Vätern und Müttern, die das Geld für so etwas Neumodisches zu lernen nicht hergeben wollten; mußten von allen Geschwistern sich angrännen lassen, wenn sie das wöchentliche Kostgeld, mühselig erbettelt, endlich forttrugen. Andere brachten den sauren Verdienst von Jahren dar, alle aufgesparten Kreuzer seit ihrer Geburt, versagten sich das Notwendigste, um nur auszukommen, oder mußten, wie auch ich, jede Zwischenstunde, die zu ermüßigen war, zur Arbeit benutzen, mußten, an Leib und Seele ermüdet, ein Werkholz in die Finger nehmen, wenn auch die ermatteten Augen alle Augenblicke zufallen wollten.

Alle diese sammelten sich des Morgens, wie die Spatzen auf einem Weizenfelde, auf den harten hölzernen Bänken und horchten mit der gespanntesten Aufmerksamkeit auf die vorgetragene Weisheit. Sie schrieben mit einer Ängstlichkeit, als wenn sie Evangelien zu schreiben hätten, und auch das vergessene Komma ließ sie nicht ruhen, bis sie es ergänzt. Alles wollte man behalten und es konnte einen recht unglücklich machen, wenn man am Abend nicht alle Worte des Lehrers wieder hersagen konnte, wie die Fragen im Heidelberger. Denn das Auswendigbehalten hielt man natürlich für die Hauptsache; war es doch auch die Hauptsache in den Schulen. Man begnügte sich aber nicht nur mit den Lehrstunden, sondern auch in den Mittags- und Abendstunden schrieb man und trieb man, was zur Sache gehörte; kaum ließ man sich Zeit zum Essen. So wollte mir z. B. das Konstruieren nicht recht in Kopf. Wo ich stund, ging und arbeitete, hatte ich das Konstruieren im Kopf und repetierte das am Tage Vorgekommene. Ich konnte die meisten Geschichten auswendig; daher konnte ich mich allenthalben damit beschäftigen.

So heißt es z. B. in der zweiten Geschichte des N. T.: Um jene Zeit befahl der Kaiser Augustus, daß alle Einwohner Palästinas aufgeschrieben würden. Nun suchte ich das Zeitwort, fand es aber gewöhnlich lange nicht. Ich versuchte mit würden, mit jene, mit aufgeschrieben; aber alles ging nicht. Endlich probierte ich mit befahl. Es befahl! Wer befahl? Der befahl! Wer der befahl? Der Kaiser Augustus befahl! Was befahl er? Um jene Zeit. Ja, das war nicht recht; ich sann lange und fand endlich, daß ich fragen müsse, um alle Worte ordentlich zu bekommen: Wann befahl der Kaiser Augustus? Um jene Zeit befahl der Kaiser Augustus. Und was befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit? Daß, befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit. Was daß befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit? Daß (nun langes Besinnen und Irriges) würden. Was daß würden, befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit? Daß aufgeschrieben würden, befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit. Daß wer (das was setzte mich lange in Verwirrung) aufgeschrieben würden, befahl um jene Zeit der Kaiser Augustus? Daß alle Einwohner Palästinas aufgeschrieben würden, befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit. O, wenn ich einen solchen Satz glücklich zu Ende gebracht hatte, wie glücklich war ich dann; und wohl zehnmal repetierte ich ihn, um ihn ja nicht wieder zu vergessen.

Doch selten kam ich so glücklich und leicht durch. Dann mußte mich ein anderer abhören, mir einhelfen, dem ich den gleichen Dienst bei Gelegenheit wieder that. Ebenso repetierte ich anderes, namentlich die verschiedenen Taktarten, die Schläge aller Arten, und verwarf für mich die Hände, ärger als der Pfarrer auf der Kanzel. Auch die Zauberformeln des Rechnens, das Multiplicieren der Zähler mit den Nennern, der Zähler mit einander und wieder der Nenner: das Teufelswerk konnte ich nie recht behalten. Ich glich einer wandelnden Brummelsuppe; man hörte mich schon von weitem surren und meine Kostleute beklagten sich, das gehe auch im Traume fort, so daß des Nachts sie meinten das Spulrad zu hören.

Nebenbei sorgte man noch vorsichtig für die Zukunft, für Kinderlehren und Leichenpredigten, auf die man hinsah mit schauerlicher Wonne, wie die Weiber auf eine Kindbetti. Es besuchte uns oft einer, der gab sich aus für gar einen Gelehrten, und im Reden fürchte er niemand und keinen Pfarrer, und es hätte ihn schon manchmal dünkt, es seien viel schlechtere Sachen gedruckt, als was er aufsetze. Er setze zwar nie für sich auf, sagte er, sondern für gute Freunde, die ihn darum bitten. Wir betrachteten den Mann mit gar großem Respekt, der es fast bis zum Drucken gebracht, und baten auch von ihm Aufgesetztes, um es abzuschreiben. Er brachte uns gar willig und erzählte uns bei jeder Rede gar schön ihre Empfängnis, ihre Geburt und ihre Wirkung. Einmal verlor er ein ganzes Säckli voll; wie er das machte, weiß ich nicht, man wurde nie recht klug daraus. Das hätte jeder von uns so gerne gefunden, aber, ich glaube, keiner den papierenen Schatz zurückgegeben. Glücklicherweise fand ihn keiner von uns, sondern ein anderer, der nichts damit zu machen wußte. Unser Gelehrte hatte das aber sehr ungerne.

Obgleich schon anfangs wir die Sache so ernst betrieben, so war doch das noch gar nichts gegen unseren Eifer, als es gegen das Ende der Schule und gegen das Examen ging; da wußten wir wirklich nicht mehr recht, gingen wir auf den Köpfen oder auf den Füßen. Man glaube aber gar nicht, daß dieser Eifer nur erzeugt wurde durch das Examenfieber. Allerdings klopfte uns das Herz, wenn wir daran dachten, daß wir nach Bern vor die Herren des Kirchenrates müßten, die wir uns vorstellten wie kleine Hergötter oder wenigstens wie Erzengel. Damals wußte man noch nicht, daß Erzväter eigentlich Erziehungsväter bedeuteten, wie Erz.-Departement Erziehungs-Departement; sonst hätten wir sie uns wie Erzväter vorgestellt, wie Aberham, Isaak und Jakob. Nein, sondern es war die Angst, wir möchten um einige Bissen Wissen verkürzt werden oder einige erhaltene Bissen wieder vergessen. Die Felder des Wissens blieben uns wie zuvor hinter dem dicken Umhang und aus dem hervor reichte uns der Lehrer Brocken um Brocken. Wie viel noch dahinter sei, wußten wir nicht. O, wie wir uns über jeden erhaltenen freuten, weil er uns ein ganz neuer und eben ein Brocken war, und wie wir uns meinten, wenn wir ihn zu uns gesteckt hatten! Und um so mehr meinten wir uns, weil wir glaubten, wir hätten bald alles im Leibe, was brauchbares hinter dem Umhang sei. Das war es, was uns den Trieb und die Ausdauer gab, welche die meisten von uns beseelten. Freilich waren auch einige darunter, die träger Seele und faulen Leibes waren, die bald schliefen, bald schrieben, wenn sie hören sollten, und gafften, wenn sie schreiben sollten. Wir schämten uns ordentlich ihrer und besonders der Erzväter oder vielmehr Erzengeln wegen, weil wir fürchteten, wenn sie zufällig hinter einen solchen gerieten anfänglich beim Examen, so möchten sie ein böses Vorurteil gegen alle kriegen. Denn wenn solchen Herren einmal eine Mucke hinter die Ohren geflogen ist, so bringt man sie höchstens mit vielem Wadeln wieder weg.

 

Wenn jemand mit klugem Kopf und warmem Herzen uns zugesehen hätte, so hätte sein Mund sich halbtot gelacht, während sein Herz geblutet in bitterem Schmerz; und aus seinen Augen wäre es stromsweise geflossen, aus dem einen Auge die Thränen des Lachens, aus dem andern die des Schmerzens, beide Thränenarten aber einander so ähnlich eben wie ein Tropf Wasser dem andern, beide wässericht, salzicht und bald verdunstet.

Was war wohl lächerlicher als das Wichtigthun unseres Lehrers und unser Wichtigthun, unser Gifer und unser Brüsten mit leeren Nüssen und weggeworfenen Schalen? Was lächerlicher, als wenn zwanzig Männer mit der höchsten Anstrengung einen Satz konstruieren stundenlang und nicht die halben Worte darin begreifen, und mit dem höchsten Ernst vor sich hinsagen: Nennfall, Besitzfall ec. Wer? wessen? ec., bis sie in der gehörigen Reihenfolge es sich eingeprägt, so aber, daß sie in der Anwendung nie zurecht kommen können? Und bei allem dem doch das Glück auf allen Gesichtern und ein bedeutendes Selbstgefühl in allen Gebärden! War es nicht fast, wie wenn junge Affen mit gestohlenen Glasperlen oder einer alten Matrosenjacke auf einem grünen Aste wichtig und possierlich thun und sich lieber das Leben nehmen lassen als die Jacke mit ihren Löchern, die sie dazu noch verkehrt angezogen? Das waren aber Männer, mit denen man Spaß trieb wie mit jungen Affen, welche die Jugend des Staates, Christenkinder, unterrichten, erziehen sollten. Es waren Männer, welchen ehedem der Religionsunterricht fast allein anvertraut war und die jetzt noch das Fundament zu legen haben; Männer, von denen die Bildung der Vorgesetzten abhing und das Wecken aller Klassen zum Denken und ihre Befähigung zum Gewerb. Es waren Männer, die einem der ehrwürdigsten und einflußreichsten Stände im Staatsverband angehörten, mit denen man auf diese Weise bewußt und unbewußt das Narrenwerk trieb. War das nun nicht zum Weinen? War es nicht zum Weinen, daß so viel Eifer, so viel Hingebung und sicher auch so manches schöne Talent auf so läppische Art und an so läppischen Dingen vergeudet, verzehrt wurde?

Auf diese Weise wurden Schullehrer gebildet. Ich will nicht sagen alle. Es mag Normalschulen gegeben haben, in denen auf geistreichere Weise hantiert wurde, obgleich in den Examen, welche ich mit Schülern derselben hier oder dort machte, fast kein Unterschied zu merken war. Sicher ist auch mancher Normallehrer gewesen, der wußte, was Palästina sei; aber ob er es auch erklärt, ob er es nicht als bereits bekannt vorausgesetzt hat, das ist eine andere Frage. Mancher dieser Lehrer hat sich sicher aus aufrichtigem Herzen die größte Mühe gegeben; aber hatte er denn auch wirklich den wahren Beruf zu diesem Unternehmen, die Kenntnisse und den pädagogischen Sinn und Takt? Auf alle Fälle verriet er darin nicht die gehörige Einsicht, daß er glaubte, in einigen Monaten einen Schulmeister bilden zu können. Braucht doch die allmächtige Natur neun Monate zur Bildung eines Kindes und ein mittelmäßig guter Schneidermeister drei Jahre zur Bildung eines mittelmäßig guten Schneidergesellen; und ein Kind und ein Schneidergeselle, und wenn es auch ein Altgeselle wäre, sind doch noch lange keine Schulmeister. Aber daraus sieht man, wie hoch der Lehrerstand bei Hoch und Niedrig galt, und wie groß der Schulverstand allenthalben war. So ging es damals mit der Bildung des Lehrerstandes zu. Wahrlich, die menschliche Natur muß noch viel Gutes an sich haben, daß sie durch die Sorglosigkeit und den Unverstand der Menschen nicht in Grund und Boden, hinein verteufelt ist! Das kömmt uns aber wohl. Denn wenn wir jetzt schon freilich bessere Schulmeister-Bildung und bessere Schulmeister haben, so sind andere da, die den Souverän, das Volk, verhunzen aus Leibeskräften mit unzeitiger Nachsicht und unzeitigen Schmeicheleien und bösen liederlichen Beispielen; — gerade wie schlechte Kammerdiener bei vornehmen Prinzen es machen, um ihnen lieb zu werden, viel bei ihnen zu gelten und ihnen die Augen zuzudrücken für schlechte Streiche oder behagliches Nichtsthun.

Vierzehntes Kapitel. Alleluja! Endlich!

Unser Examen lief glücklich ab für mich; nur die wurden zurückgestellt, welche nicht lesen konnten. Ich erhielt einen schönen Brief, ein sogenanntes Schulmeisterpatent.

Wie glücklich und stolz ich es in der Busentasche trug, wie manchmal des Tages es betrachtete! Ich mochte gar nicht warten, bis ich meinem alten Lehrmeister gezeigt, wie geschickt ich nun geworden und wie ich jetzt alles könnte, was nur vorkäme. Er hatte Freude an mir und auch an meinem Patent; doch sagte er, allbets hätte man kein solches Papier nötig gehabt; es wäre nur darauf angekommen, daß der Mann gut sei, und das wüßten die Bauren selber viel besser als so ein Herr, der nur in der Stube hocke und alle Fleugen kenne darin, aber keinen Menschen außer derselben; der wisse, wie lange Ohren die Lappländer hatten, aber nichts von einer Bauren-Natur. Die würden deswegen auch am meisten zum Narren gehalten, besonders wenn sie Brillen an hatten und deswegen die Nase gar hoch trügen. Während sie den Bauren übersehen, durchsehe derselbe sie ganz und gar und schlage ihnen den Haken, so oft er wolle. Als ich ihm nun aber auskramen wollte mein neues Wissen von den Redefällen und den verschiedenen Zeiten, und den wer, wessen, wem, wen, von wem — da wurde er bitterböse und sagte: seligs neus Zeug trage gar nichts ab als daß man die Religion vergesse und hochmütig werde. Wenn die Herren Verstand hätten, so würden sie es verbieten statt einführen; aber seitdem die Franzosen ins Land gekommen, sei alles verherrget, und die Berner Herren wüßten gar nicht mehr, woran sie seien und was sie seien, ob dütsch oder weltsch. Ich hatte Zeit, einzulenken, meine neue Gelehrsamkeit in Sack zu stoßen und ihm vom Rechnen, Schreiben und Katechisieren zu brichten. Daß ich die Brüche könnte und die Heustöcke auf zwei Wege rechnen — auch die Neuner-Probe — das flößte ihm doch eine Art Respekt ein und er meinte: wenn ich das Larifari fahren lasse, so könnte ich noch von den besten einen geben.

Man kann denken, mit welcher Begierde ich auf ausgeschriebene Schulen wartete, und mit welchem Ärger ich wieder in meinen Webkeller zurückging, wo ich noch an der Kost abzuverdienen hatte, wenn ich keine fand, außer vielleicht eine aus dem Oberlande, für welche ohne Wohnung Summa Summarum 20 L. versprochen war.

Endlich kamen ledige Schulen; ich machte Examen, allein ich war nicht glücklich, und doch war ich überzeugt, daß ich der Geschickteste gewesen, daß mir die Schule gehört hatte. Freilich gestund ich, daß die Glücklichen in einigen Fächern es besser gemacht; allein im ganzen, meinte ich, hätte doch keiner so durchgeschlagen wie ich. Endlich brachte ich es zum zweiten im Vorschlag. Das war etwas; aber ich war doch ärgerlich, besonders da ich ein Patent hatte und jener keins. Im Wirtshause trank ich auf der Gemeinde Kosten ein Glas geschwefelten Wein zu viel und traf im Heimgehen auf den Schulkommissär, der den gleichen Weg pfoselte. In meinem geschwefelten Mute beschwerte ich mich über meine Zurücksetzung und fragte recht preußisch, was denn Meiner Gnädigen Herren Gschrift nütze, wenn man nicht darauf achte. Der Schulkommissär, ein runder guter Mann (es ist, beiläufig gesagt, merkwürdig, daß die Runden gewöhnlich freiner sind als die Langen), sagte mir, er wolle es mir erklären, wenn ich es nicht übel nehmen wolle. Allerdings sei ich der beste gewesen im Examen; aber die Bauren, auf die man auch hören müsse, hätten mich nicht gewollt. Sie hätten gesagt, ich sei ein gar hochmütiger. Gestern, als ich durch ihr Dorf gegangen, hätte ich niemand bei den Häusern gegrüßt und wenn mir jemand die Zeit gewünscht, nur ganz puckt gedankt, und wenn sie gesagt: »Guten Abend geb ech Gott!« nur gesagt: »Große Dank« statt: »Große Dank geb ech Gott«, und bei niemand mich gestellt. Dann sei ich ihnen viel zu herrschelig und hätte eine schwarze Kutte an. Die stände dem Pfarrer wohl an; aber sie begehrten keinen Schulmeister, der hoffährtiger und vornehmer daher komme als sie selbst. »Mein Gott!« sagte ich, »das sind doch dumme Bauren, daß sie nicht gesehen haben, daß ich mich scheute, durch das Dorf zu gehen und fast nicht neben aus zu sehen wagte aus Schüchternheit. Ich hätte gerne mit einem geredet, aber es wollte mich keiner anreden. Die Kutte kaufte ich in Bern bei einem Stand; sie gefiel mir gar wohl, war halb so wohlfeil als eine halbleinerne und ich dachte, es Sei für einen Schulmeister doch anständig, wenn er auch etwas geistlich daher komme und nicht nur so weltlich.« Der Schulkommissär antwortete mir: Schüchternheit und Hochmut könnten noch gescheutere Leute, als jene Bauren seien, nicht unterscheiden. Der Bauer komme niemand entgegen, am wenigsten einem Fremden. Für Freundlichkeit oder Holdseligkeit sei er aber um so empfänglicher, je mehr sie ihm abgehen. Freundlichkeit sei ein gar holdes Wort und eine viel wichtigere Tugend, als man es gewöhnlich glaube, und auch in dieser voranzugehen, sei des Schulmeisters Pflicht. Die Kutte mache eben die Geistlichkeit nicht aus und in einer geistlichen Kutte könne ein gar weltlicher Sinn stecken. Daß ein Pfarrer eine solche tragen müsse, fordere ein altes Vorurteil; es wäre auch besser anders. Den Schulmeister aber wollten die Bauren in ähnlicher Kutte haben, wie sie tragen, damit sie die Überzeugung gewinnen könnten, daß auch in solchen Kutten ein echt geistlicher Sinn wohnen könne. Ich wollte wieder das Maul aufthun, um zu räsonieren; da stund der Herr stille, gab mir die Hand und sagte: »Bhüet ech Gott, Käser, i mueß da ab; dr bigryffet mi no nit, aber beulet über myni Wort nah, su werdet ‚r finde, baß i recht ha; oder fahret so surt, so werdet ‚r us Schade klueg werde. Machet jetzt was dr weit. Bhüet ech Gott!«

Er pfoselte links, ich rechts. Aber in meinem Herzen pülverte ich gewaltig über den ratenden Schulkommissär. Ich behauptete, das hätten die Bauren nicht gesagt, nicht gedacht, sondern der Herr habe das selbst ersonnen. Der möge viel von Hochmut sprechen, während er nicht leiden möge, daß ein Schulmeister eine Kutte von gleicher Farbe trage; denn nur das habe ihn und nur ihn geärgert, daß ich eine schwarze Kutte angehabt; auf so was hätte kein Bauer acht gegeben. Da sei mir aber auch wieder ein lustiger Herr und der Rat ein lustig Pfaffenstücklein; mich nehme nur wunder, wie der über den Text predigen wolle: daß man nicht uach dem Splitter suchen solle in des Nächsten Auge, wahrend man den Balken noch im eigenen habe. Ihn gehe es aber gar nichts an, welche Kutte ich trage; ich hätte sie aus meinem Gelde bezahlt, und ihm zum Trotz werde ich sie an alle Examen anziehen. So dachte ich damals. Den guten Rat verachtete ich nicht nnr, sondern schrieb ihn sogar leider Absicht zu und doch war ich kein Mitglied des Großen Rates, saß noch viel weniger in einem Departements sondern war eben nichts als ein angehendes Schulmeisterlein. Aber man sieht hoffentlich doch daraus, welche bedeutende Anlagen zu hohen Posten ich eigentlich gehabt hätte.

Würde ich jetzt den guten runden Herrn, der, wenn er nach dem Ansatz fortgefahren hat, ein artiges Fäßlein geworden ist, irgendwo antreffen, so würde ich ihm recht herzlich für seinen Rat danken. Denn jetzt sehe ich, durch lange Erfahrung belehrt, ein, daß er recht hatte und das Land weit besser kannte als ich, der doch darauf auferzogen wurde. Aber wenn man mitten in einem Walde steht, so weiß man selten, wo man darin daheim ist. Man muß ihn übersehen können, wenn man sich zurecht finden will.

Wie es kam, weiß ich nicht; allein als ich an das nächste Examen gehen wollte, zog ich meinen schwarzen Rock nicht an, sondern den alten elben. Als ich das Haus verließ, begegnete mir kaum fünfzig Schritte davon ein alt struppig Weib mit einem Tabaklätsch unter der Nase, und grüßte mich gar freundlich und wollte mir die Hand längen. Ich aber wurde feuerrot im Gesicht, daß ein altes Weib auf meinem Weg nach gutem Geschick mir zuerst begegne und noch dazu ein so wüstes und noch dazu mir die Hand geben wolle; sie kannte mich und kam aus meiner Gemeinde. Ich brummte ärgerlich ein paar Worte und schnurrte an ihr vorüber wie ein Pfeil, und hatte bereits alle Hoffnung, im Examen glücklich zu sein, aufgegeben. Denn wenn so ein altes Weib einen bei einem Ausgang zuerst anläuft, dann gute Nacht, Glück! Die stund über mein Benehmen ganz verdutzt still und rief mir erbittert nach: »E Peterli, ume nit so hochmüetig! So a-mene selige sött‘s notti nit dr wert sy hochmüetig z‘sy! Burehof hesch notti kene z‘vercheigle, und we d‘ dNase schnüze wotsch, su wirsch dr Lumpe wohl z‘ersch müesse ga etlehne!«

 

Ich lief, was ich konnte, dachte aber bei mir selbst, das sei doch verdammt ungerecht, daß jedes alte Weib und ein jeder Pfaffe mich als hochmütig verschreien wollten. Aber denen wolle ich es zeigen, das, ich es nicht sei. Ich nahm mir fest vor, mit jedem anwesenden Vorgesetzten recht manierlich und repetierlich zu reden. Diesen Entschluß führte ich auch aus, so schwer es mir ward, und siehe, ich erhielt die Schule, d. h. ich war der erste auf dem Vorschlag, und beim Abendessen rühmten mich die Vorgesetzten gar und sagten, das hätte ihnen gefallen, daß ich gar so ein Gemeiner sei und niederträchtig mit jedermann. So einen Herrscheligen und Hochmütigen begehrten sie nicht. Da ging mir der erste Stich durchs Herz wegen angethanem Unrecht, und seither noch mancher.

Gegen hundert Kinder gehörten zu dieser Schule. Etwas Land nebst dem nötigen Holz und Wohnung und 75 L. Geld machten sie zu einer der angenehmsten im Kanton zu damaliger Zeit. Lage und Haus hatte ich noch nicht gesehen, mußte aber versprechen, bald zu kommen und mich umzuschauen.

O, wie ging ich selben Abends heim, so träumerisch glücklich, daß ich nicht wußte, wo ich war und wie die Füße liefen; bald schnell, bald langsam wahrscheinlich, je nachdem es in mir quoll und schwoll. Was alles an meiner Seele vorüberrann, weiß ich nicht; war es doch eben ein Traum in wachendem Zustande. Aus diesem Traum erwachte ich erst, als mich etwas heftig in die Finger stach. Es war ein Dornzweig, der in die Straße hing und den ich in meine Hand gedrückt hatte, träumend, es sei die Hand des Ammanns, der mich bewillkomme vor seinem Hause.

O, so ein Zustand ist rührend und schön und begreiflich auch bei einem armen Kerli, der in bitterer Not mit schweren Hindernissen Jahre lang gekämpft und nun auf einmal sorgenlos am schönen Ziele zu stehen meint. Aber leider ist ein solcher Zustand nur ein Traum, der uns bei Erreichung eines Zieles, auf das wir unverwandt das Auge geheftet, beglückt, und dieser Traum währt nur so lange, bis wir wieder die Augen aufschlagen und am Ziele rund um uns schauen. Dann ziehen neue Sorgen, neue Kümmernisse ein.

Es keucht der Wanderer in schwerer Sonnenhitze den steilen Hügel hinan, ängstlich den Gipfel im Auge, und zunächst am Ziele träumt er von Ruhe und ebenen Wegen, als ob das der einzige Hügel, der einzige steile Gipfel sei, und fühlt sich glücklich in diesem Traume; aber wenn er oben steht und die Augen aufschlägt, so erwacht er aus dieser glücklichen Täuschung; denn er sieht rings um sich andere Hügel, noch steilere Gipfel; die Ruhe wird ihm nicht. Nach kurzer Rast muß er weiters, keuchend und schwitzend. Und dennoch gibt er sich in der Nähe jedes Gipfels der gleichen wonnereichen Täuschung wieder hin. Ach, solche Täuschungen wären köstliches Labsal auf der weiten Reise, wenn alle Herzen sie ertragen möchten und nicht gar manches nach jedem Erwachen matter und mutloser sich fände und zuletzt trostlos niedersänke und auf dieser Stelle nach vielen Krämpfen verendete, wie der Fisch, den eine hohe Meereswelle in den Ufersand geworfen, zappelt, nicht fort kann und verschmachtend stirbt in vergeblichen Mühen.