Zwei Ozeane auf Abwegen

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Z serii: Zwei Kontinente #2
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Kapitel 03

Nicht einmal in der Realität war Kira so verloren gewesen. Ihre Füße wussten, wohin sie gingen, aber teilten dem Kopf nichts mit. Vermutlich wollten sie bloß nicht stehenbleiben. Mittlerweile kreisten ihre Gedanken um Aaron. Würde sie ihn überhaupt finden können? Wahrscheinlich war er an einem völlig anderen Ort – real oder nicht – und steckte ebenfalls in einem fremden Körper. Trotzdem hoffte sie an jeder Kreuzung, dass er ihr lächelnd entgegenkam und die Antworten mitbrachte, nach denen Kira sich sehnte.

Gleichzeitig hielt sie die Augen nach Juniper offen. Sie hatte sich noch nicht entschieden, ob sie die Forscherin um Hilfe bitten wollte oder nicht. Anscheinend hatte Juniper nicht bemerkt, dass ihre Geliebte durch eine fremde Person ersetzt worden war. Kira wollte sich nicht ausmalen, wie schlimm diese Erkenntnis sein würde.

Gelegentlich kamen ihr Menschen entgegen, die sie nicht wahrzunehmen schienen. Obwohl es mitten am Tag war, glommen einige elektrische Laternen. Die meisten von ihnen waren jedoch zerstört. Kira löste ihren Blick vom zersprungenen Glas und lief gegen etwas Hartes.

»Verzeihung«, murmelte sie reflexartig. In diesem Moment begriff sie, wogegen sie gestoßen war. Kira starrte in die blinkende Leuchtdiode eines Roboters. Panik schwappte wild rauschend von ihrer Magengrube bis in die Ohren. Das klobige Plastikskelett ähnelte einem Raumanzug. Auf der Brust stand in orangefarbenen Lettern »R4«. Statt eines humanoiden Kopfes besaßen sämtliche Roboter von Wyoming Wonders eine transparente Kuppel, unter der sich unzählige Kabel tummelten. Kira wusste aus eigener Erfahrung, dass diese Körper schwerfällig waren. Wenigstens würde sie im Falle eines Angriffes ausweichen können. Der R4 machte allerdings nicht den Eindruck, als würde er sich jeden Moment auf sie stürzen. Eher wirkte er, als solle Kira endlich Platz machen, damit er seinen Weg fortsetzen konnte.

»V-verzeihung«, wiederholte Kira errötend und trat zur Seite. Sofort setzte sich der R4 in Bewegung. Er war wesentlich langsamer als die Modelle, die Kira in der Realität gesehen hatte. Was hatte er hier zu suchen? Soweit sie wusste, durchquerten die R4 Wyoming Wonders, um alle Daten zu übertragen, die zu groß für das interne Netzwerk waren, Sicherheitskopien von Experimenten oder geheime Dokumente. Der R4 von Insel 317 – so viel wusste Kira von Augustin – hatte sich nie im dazugehörigen Labor aufgehalten. Zumindest hatte Augustin ihn nie gesehen. Verwirrt schaute Kira dem Roboter hinterher, während ihr Herz jagte. Ihr Kopf feuerte einen Gedanken nach dem anderen ab. Sie brauchte Aaron, um den Überblick zu behalten und die Dinge etwas klarer zu sehen. Er konnte das. Sie seufzte. Eigentlich wusste sie, was sie tun sollte, denn der beste Ausweg war, zu Juniper zurückzukehren und sie um Hilfe zu bitten. Allein der Gedanke verursachte ein weiteres Magengrummeln. Zunächst brauchte sie einen Beweis. Kira musste ihr verdeutlichen, dass sie nicht Carla war, zumindest nicht jene Carla, die Juniper liebte. Sie sah ansonsten keine Möglichkeit, Antworten auf ihre Fragen zu erhalten. Zu ihrer eigenen Überraschung hatte sie noch nicht die Orientierung verloren. Kira fand den Rückweg durch das Gewirr der Gassen problemlos und stand schneller als gedacht vor Junipers Haus. Obwohl hier mehr Leute unterwegs waren, drückte die Stille auf diesen Teil der Insel. Kira räusperte sich und klopfte an die Vordertür. Keine Antwort. Auch ihr zweites Klopfen blieb ungehört. Kira atmete langsam aus. Das war mal wieder typisch. Sobald sie sich traute, war es zu spät.

Sie wandte sich von der Tür ab und beobachtete die Leute. Alle gingen in dieselbe Richtung, und es wurden immer mehr. Vielleicht gab es ein Fest oder ein wichtiges Treffen? Dann würde Juniper auch dort sein. Außerdem könnte sie etwas über das Experiment von Insel 002 erfahren.

Kira schloss sich dem Strom an. Die Wege wurden zu einem aufgeregt plappernden Fluss, der sämtliche Bewohner mit sich zu reißen schien.

Die Menge sammelte sich schließlich auf einer Anhöhe. Die zerstörte Insel 001 war hier bedrohlich nahe. Erst jetzt wurde Kira die Unruhe bewusst, die in ihrem Inneren köchelte. Das allgemeine Raunen versiegte abrupt, sie löste unschlüssig den Blick von dem Gestein über ihr. In der Mitte des Platzes befand sich ein Podest aus alten Kisten, aufwändig mit Fischernetzen und Blüten geschmückt. Die Aufmerksamkeit aller richtete sich darauf. Dort stand ein Junge, der höchstens acht oder neun Sommer erlebt hatte. Er trug ausgewaschene Shorts und sah bekümmert aus, weinte aber nicht.

Kira starrte gebannt nach vorne. Was sollte das hier werden, eine Zeremonie? Es dauerte einige Sekunden, dann drängte sich wie durch Zauberhand ein seltsames, absolutes Schweigen in die Menge. Sogar das Meeresrauschen verstummte.

Kira musste sich strecken, um über die Schulter ihres Vordermannes hinweg eine Gestalt zu erkennen, die in einer schwarzen Stoffhose und einem dunkelblauen Hemd das Podest betrat. Seinem ergrauenden Haar nach zu urteilen war er etwa Mitte fünfzig. Ein wenig erinnerte er sie an den einzigen Arzt von Insel 317, den alle nur Doktor Mortimer genannt hatten. Ein kalter Schauer jagte über ihren Rücken, als sie das orangene Logo von Wyoming Wonders an seiner Brust registrierte.

»Guten Tag, Insel 002!«, begann der Mann. Seine Stimme war laut und kräftig, und doch brüllte er nicht. Katzenhaft ging er von einer Ecke des Podestes in die andere, schien jeden in der Runde anzusehen. »Es freut mich, dass ihr euch auch in dieser Woche hier versammelt habt. Unsere schöne Insel ist ein Hafen für alle gestrandeten Seelen. Ich habe all meine Geheimnisse mit euch geteilt und vertraue darauf, dass ihr diejenigen seid, die all die anderen Experimente von Wyoming Wonders voranbringen. Ihr seid gutmütig, hilfsbereit und klug. Ihr alle werdet eines Tages in ein anderes Experiment geschickt und könnt dort die Quelle des Friedens sein. Und aus diesem Grund wird auch in dieser Woche jemand entsandt. Der Abschied fällt schwer, ebenso wie die Auswahl desjenigen, der uns verlässt.«

Der Junge starrte zu Boden, als der Mann zu ihm trat und ihm eine Hand auf die Schulter legte.

»Obwohl dieser Junge nicht viel Zeit bei uns verbringen konnte, hat er doch einen beachtlichen Messwert seiner Hilfsbereitschaft erreicht. Ich werde euch über seine Taten auf dem Laufenden halten, da er von nun an in einem der gefährlichsten Experimente beheimatet sein wird.«

Ein Raunen ging durch die Menge, Köpfe drehten sich. Hinter Kira tuschelte eine ältere Dame mit einer anderen Frau. »Ist es Experiment 810? Die können die Unterstützung gebrauchen. Dass man ausgerechnet ein Kind dorthin schicken muss! Aber unser Administrator wird schon wissen, was er tut.«

In Kiras Eingeweiden fiel Schnee, der sofort verklumpte. Administrator? Dieser Mann war also … sie schnappte nach Luft, da sie sich an die Datenbank erinnerte, die sie als Roboter besessen hatte. Während sie damals lernte, mit ihrer neuen Hülle umzugehen, hatte sie durch ihr eingebautes Lexikon gescrollt und war an diesem Wort hängen geblieben. Sie kannte es. Irgendetwas daran kitzelte ihr Unbewusstes, obwohl das unmöglich war. Kiras Seele war Teil des Programms – sie besaß streng genommen kein Unbewusstes. Zudem war sie auf Insel 317 ohne Computer aufgewachsen. Aber dieses Wort …

»Wir alle wünschen dir eine gute Reise«, rief der Administrator und unterbrach damit Kiras Gedanken. »Mach uns stolz!«

Plötzlich hoben die Umstehenden die Fäuste, jubelten wie aus einer Kehle. »MACH UNS STOLZ!«

Der gigantische Pilz aus Stein verursachte ein schallendes Echo, das den Ruf über die Insel verteilte. Kira stolperte rücklings aus der Menge. Wo war sie hier bloß gelandet? Kopfschüttelnd betrachtete sie die Bürger, die ihre Hände wieder senkten und gebannt dabei zusahen, wie der Junge in die Mitte des Podestes gestellt wurde. Der Administrator krempelte seelenruhig seinen linken Ärmel hoch, als wollte er den Jungen mit reichlich Pathos ohrfeigen. Stattdessen bemerkte Kira ein hellblau schimmerndes Feld auf dem Arm des Mannes. Was war das? Der Administrator musterte den Jungen und begann damit, an seinem Arm herumzudrücken. Doch zur Überraschung aller meldete sich der Junge mit einer festen, wütenden Stimme zu Wort, die seines Alters nicht gerecht wurde.

»Wir werden uns wiedersehen!«, rief er, während er fieberhaft in alle Richtungen blickte. »Bitte vergiss mich nicht, Kira!«

Es dauerte zu lange, bis sie begriff, was geschah. Ihr Körper reagierte schneller als ihr Geist und stolperte aus der Menge auf den Jungen zu, der im selben Moment verschwand und nichts als einen grauen Schleier zurückließ, der die Luft in feine Quadrate teilte.

»Aaron«, brachte sie leise hervor. Eine junge Frau musterte sie argwöhnisch, kopfschüttelnd. Ein Fremder zerrte sie zurück auf die Beine, doch Kiras Knie versagten. Warum hatte sie das nicht bemerkt? Wie konnte sie so blind sein, Aaron nicht zu erkennen?

Kira sah zu der Stelle, an der er gestanden hatte. Von dort blickte der Administrator direkt in ihre Augen, sanft lächelnd. Wie ein Kater, der eine Maus anvisierte. Sie versuchte, so gleichgültig wie möglich zurückzuschauen, doch ihren trommelnden Herzschlag konnte er unmöglich überhören.

Er wusste, wer sie war.

Und jetzt ahnte sie auch, dass Augustin sie nicht in diese Lage gebracht hatte. Es war der Administrator gewesen. Er hatte Aaron in ein weit entferntes Experiment geschickt, direkt vor ihren Augen. Sie schaute ihn so finster an, dass sich knisternde Schwärze hinter ihrer Stirn manifestierte. Das war schlimmer als Wut.

»Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit«, verkündete der Administrator selbstgefällig. »Wir sehen uns nächste Woche wieder. Seid alle so fleißig und hilfsbereit wie bisher, dann habt ihr schon bald die Gelegenheit, Gutes zu tun.« Noch immer sah er Kira in die Augen, als wolle er auf diese Weise ihre Seele von Carlas Körper lösen. Das Knistern hinter ihrer Stirn verschlimmerte sich weiter, zwischen den Ohren sauste und brummte es. Der Administrator grinste. »Auch du kannst Gutes tun, Carla.«

 

Dann verschwand er und hinterließ feine Pixel, die wie Schnee zu Boden rieselten. Während Kira sich fühlte, als wäre ihr Schädel aufgebrochen worden, applaudierte die Menge freudig. Ihr war übel. Jetzt brauchte Kira dringend jemanden, der ihr half. Zum Glück schien sie dafür am besten Ort von Wyoming Wonders zu sein.

Auf dem Weg zurück zu Junipers Haus rempelte sie unzählige Menschen an, während sie mit den Tränen kämpfte. Wie konnte es dieser Typ wagen, Aaron verschwinden zu lassen? Er war keine Zirkusnummer und Kiras Herz kein Spielzeug, das man quetschen konnte, damit es lustige Geräusche von sich gab. Was für eine Herausforderung sollte das für sie sein? Glaubte er, dass sie in den kommenden Tagen jedem Idioten half, um in der nächsten Woche mit einer geringen Wahrscheinlichkeit ebenfalls verschickt zu werden? Vermutlich würde sie dann am Ende aller Experimente landen, einem einzelnen Felsen von der Größe einer Litfaßsäule, die aus dem Meer herausragte wie eine Farce. Die Schwärze hinter ihren Augen pulsierte und schlug Funken.

Im nächsten Moment stolperte sie in Juniper. Ohne es bemerkt zu haben, hatte sie das helle, freundliche Haus gefunden, vor dessen Eingangstür eine reichlich verwirrte Frau stand. Kira war für einen Moment ebenfalls verwirrt, in erster Linie, weil sie nicht damit gerechnet hatte, sich sofort erklären zu müssen. Ein untersetzter Mann im schwarzen Anzug stand neben der Forscherin und musterte Kira mit übertriebenem Desinteresse.

»Du bist wieder da«, flüsterte Juniper und schloss sie in die Arme. Kira brachte nur ein erschrockenes Glucksen hervor. »Du hast das einzig Logische getan!«

»W-wir müssen reden«, bat Kira.

»Ja doch, natürlich. Komm herein, du bist ja ganz durcheinander.« Juniper öffnete die Tür und hielt ihre vermeintliche Freundin sanft bei den Schultern, während sie Kira hineinführte.

Die Eingangshalle war mächtig und hell, aber leer. Juniper kostete offenbar nicht den Prunk aus, den das Forscherdasein mit sich brachte. Zumindest nicht so, wie es Khan Elliott von Amerika getan hatte. Kira zählte die Stufen auf der Treppe und hatte ihre Anzahl vergessen, als sie oben ankam. Das Gefühl im Kopf war schwächer geworden, aber es hatte ein dumpfes Echo in ihrem Körper hinterlassen.

»Es wäre schön, wenn wir allein sein könnten«, schlug Kira vor und meinte damit den Mann, der Juniper auf Schritt und Tritt folgte.

»Er hilft mir aber«, widersprach sie. »Ich verweigere Hilfe nicht, und ich nehme sie gerne an.«

Kira bemerkte den kratzenden Unterton in ihrer Stimme.

»Es tut mir leid, dass ich verschwunden bin. Das hier ist viel für mich«, murmelte Kira. »Mir würde es helfen, wenn er nicht dabei ist.«

Juniper überlegte kurz, verlor ihr souveränes Lächeln nicht. »Wenn es dich stört, bleibt er draußen. Zane, tust du uns den Gefallen?«

»Natürlich«, antwortete der Mann. »Soll ich Tee aufsetzen?«

Juniper nickte, während Kira einen Kloß im Hals spürte. Tee? Auf Insel 317 gab es lediglich welchen im Tower, wo alle Medikamente aufbewahrt wurden. Aus Ehrfurcht waren diese Packungen nie angerührt worden. Stattdessen hatten die Amerikaner und Ruaner vor allem in den ersten Jahren Sonnenschutz benötigt.

Als Zane die Treppe hinuntereilte, führte Juniper sie einen Flur entlang, an dessen Ende sie eine Doppeltür öffnete. Kira betrat eine lichtdurchflutete Bibliothek. Der Geruch erinnerte sie an ihr altes Kinderzimmer und ließ sie beinahe weinen. Sie hatte den Duft der Seiten lange verachtet, jetzt vermisste sie ihn.

An zwei Wänden des Raumes standen deckenhohe Regale, die mit Dokumenten und ledergebundenen Folianten gefüllt waren. Unter einem breiten Fenster wartete ein Sofa aus so hellem Leder, dass Kira sich nicht setzen wollte. Sie erinnerte sich an den ranzigen Lieblingssessel ihres Vaters, den er vergöttert hatte. Überrascht stellte sie fest, dass sie sogar den leicht zu manipulierenden Eugene Solomon vermisste, der so viele dumme Dinge sagte, dass Kira ihn manchmal gerne erwürgt hätte. Aber seit die Insel nicht mehr in Amerika und Ruan geteilt war, hatten sich seine rassistischen Bemerkungen gelegt. Er war ein harmloser Zeitgenosse geworden.

Kira setzte sich so vorsichtig auf das Polster, als handelte es sich um einen schlafenden Alligator. Juniper bemerkte ihr Unbehagen sofort.

»Hab keine Angst«, sagte sie. »Ich bin hier, Carla.«

»Also, was das angeht … ich brauche deine Hilfe. Und ich glaube, dass du auch meine benötigen wirst.«

Juniper rückte näher und griff nach Kiras Händen. In ihren blauen Augen glitzerte etwas, das Kira recht gab. Sie hatte einen Weg gefunden, damit sie ihr zuhörte. Manchmal war es gut, um Hilfe zu bitten.

»Ich werde dir jetzt eine Reihe von schwer vorstellbaren Dingen erzählen«, begann sie. Juniper nickte wie ein Kind, das nicht weiß, wie schmerzhaft ein abgerissenes Pflaster sein kann. »Zuallererst müssen wir uns darauf einigen, dass ich nicht Carla bin.«

»Der Administrator hat dich eben selbst Carla genannt«, begann Juniper, doch Kira schüttelte den Kopf.

»Ich heiße Kira. Und der Junge, der heute verschwunden ist, war mein Freund Aaron. Mein fester Freund. Aber, äh, es war nicht sein Körper. Wir sind von unserer Insel hergekommen.«

»Und welche Insel soll das sein?« Junipers Nasenflügel blähten sich ungeduldig. Innerlich kontaktiere sie offenbar eine psychiatrische Pflegekraft. Oder sie versuchte, Zane telepathisch mitzuteilen, dass Kira besser doch keinen Tee bekam.

»Insel 317«, sagte Kira mit fester Stimme. »Ich würde vorschlagen, dass du dich kurz von diesem Experiment löst und dann in deinem Labor nachschaust. Der Name meiner Seele ist tatsächlich Carla, Carla Frenton. Ich gehöre nicht hierher, und das wirst du in den Daten sehen können.«

»Ich verbringe nicht viel Zeit in meinem Labor«, lachte Juniper. »Ich habe längst nicht die Möglichkeiten, die ich einst hatte. Der Administrator hat dort seine Zentrale eingerichtet, und ich helfe ihm gerne.«

»Natürlich tust du das«, knurrte Kira, obwohl sie es nicht wollte. Jemand klopfte. Zane erschien mit einem Tablett, auf dem zwei feine Tassen, eine dampfende Kanne und ein Schälchen mit kostbaren Zuckerwürfeln standen.

»Ich bin bereit, das für dich zu tun«, warf Juniper plötzlich ein. »So lässt sich feststellen, wer du wirklich bist. Aber eines musst du mir versprechen.«

»Das wäre?« Kira nahm widerwillig eine Tasse entgegen und ließ sich von Juniper einschenken, während Zane durch die Tür verschwand. Es wunderte sie, wie schnell die Forscherin zustimmte.

»Wenn du nicht Carla bist … hilfst du mir, sie zurückzubekommen?«

»Falls ich dir da überhaupt helfen kann.« Kira nickte. Was blieb ihr anderes übrig?

»Nun, du scheinst eine Menge über Wyoming Wonders zu wissen«, murmelte sie. »Die Bewohner von Insel 002 wurden darüber informiert, dass sie Teil eines Experiments sind. Sie haben gelernt, damit zu leben. Ich kann mir gut vorstellen, dass das überall sonst für Bestürzung sorgt.«

»Das, äh, kannst du laut sagen«, murmelte Kira. »Mir platzt manchmal der Kopf, wenn ich darüber nachdenke, was außerhalb unseres Labors liegt.«

»Fällt es dir schwer, dich an Details zu erinnern?«

Kira nickte verwundert. »Woher weißt du das?«

»Das ist ganz natürlich. Die Seelen haben ein etwas eingeschränktes Speichersystem. Wenn ich gemein wäre, würde ich sagen, dass ihr ein kleineres Gehirn habt als reale Menschen, aber das wäre nicht korrekt.«

»Warum?«

»Weil die Größe eines Gehirnes nicht immer etwas über die Klugheit aussagt, ganz zu schweigen von hundert anderen Aspekten wie der Anfälligkeit für Vergesslichkeit.«

Kira öffnete empört den Mund, unterließ aber eine Antwort.

»Und zum Glück sind eure Köpfe programmierbar«, kommentierte eine geschmeidige Stimme. Bei diesem Klang stolperte Kiras Herz.

Der Administrator stand im Raum. Er winkte schelmisch und hob dabei die Augenbrauen an. Kira sprang auf, aber der Mann war schneller. Er packte zu, klammerte sich an sie wie in einer stürmischen, gewalttätigen Umarmung. Kira trat um sich, aber ihm schien das nichts auszumachen. Sie roch das schlichte Waschmittel des Hemdes und irgendein erdiges Parfum.

»June, was soll das?«, fuhr der Administrator fort. »Ich habe gerade wirklich keine Zeit für dich. Du solltest sie lediglich in deinen Wänden behalten, selbst das hast du nicht geschafft. Während ich ohne jegliche Unterstützung meine Finger wundschreibe, nippst du hier am Tee und berätst irgendwelche Pläne!«

Selbst ein kräftiges Knie in den Weichteilen schien ihn nicht aus der Ruhe zu bringen. Nahm er keine Schmerzen wahr? Mit Schrecken stellte Kira fest, dass das innerhalb des Programms eine kluge Eigenschaft war.

»Lass sie los«, krächzte Juniper. »Und du brauchst ihre Erinnerungen nicht löschen, ich—«

»Als ich gesehen habe, dass sie dir entwischt ist, habe ich Cosmo hergebracht und vor ihren Augen verschwinden lassen, das war so eine gute Alternative! Wie viele Probleme soll ich eigentlich auf einmal beheben?«

Kira hatte es aufgegeben, nach ihm zu treten. Sie bekam kaum Luft, der Geruch benebelte ihre Sinne. Außerdem wollte sie ihre Kräfte aufsparen – selbst, wenn sie nicht wusste, wofür.

»Ich habe keine Ahnung, was du vorhast, Mortimer.«

»Du solltest lediglich Befehle ausführen, ist das so schwer?«

»Leg dir dafür einen Roboter zu.«

»Habe ich!« Seine Stimme dröhnte.

Kira wurde hellhörig. Roboter? War Augustin bei ihm?

»Wir sprechen uns gleich. Logg dich aus. Ich beschränke den Zugriff auf alle Erinnerungen nach dem Vorfall mit Cosmo und überlege mir eine Alternative. Vielleicht kann ich sie eine Weile beschäftigen.«

Er schien irgendeinen Plan durchzuführen. So oder so, gleich würde er ihr Gedächtnis kappen. Hatte er etwas gesagt, das sie nicht wissen durfte? Kira atmete tief ein und drückte ihre Arme auseinander, doch der Widerstand wurde weich und glatt. Da tauchte ihr Kopf in weißes Gelee, ihr Atem verschwand. Zu spät.

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