Ewig schön

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Die andere Frau war noch nicht tot. Olivia konnte sie atmen hören.

Keine der Frauen in den übrigen Käfigen hatte irgendeinen Laut von sich gegeben, seit Olivia aufgewacht war und sich hier wiedergefunden hatte. Da es weder Fenster noch sonst eine Möglichkeit gab, nachzuvollziehen, wie viel Zeit wohl vergangen sein mochte, konnte Olivia sich nicht sicher sein, wie lange sie bereits eingesperrt war, doch sie glaubte nicht, dass sie schon einen ganzen Tag hier war.

Da sie in dem Käfig kaum Platz hatte, sich zu bewegen, hatte ihr Körper zu schmerzen begonnen, was zunächst unaushaltbar schlimm wurde, bis irgendwann alles taub war. Jetzt spürte sie nichts mehr. Das bedeutete, dass sie einfach auf dem Boden zusammenbrechen würde sie, falls sie sich doch befreien könnte, unfähig, sich zu bewegen. Nicht, dass ihr das gerade Sorgen bereiten würde. Vor mehreren Stunden hatte sie aufgehört zu glauben, dass es eine Möglichkeit gab, dem Käfig zu entkommen.

Ein Geräusch hinter ihr. Der Türknauf? Sie versuchte, den Kopf so weit zu verdrehen, dass sie hinter sich schauen konnte, doch ihre Muskeln wollten ihr nicht gehorchen.

Sie hörte, wie eine Tür aufging und dann wieder geschlossen wurde. Danach ein Kreischen wie Fingernägel auf einer Kreidetafel. Das Geräusch kam näher und näher, bis endlich Greg in ihrem Blickfeld auftauchte, entweder glattrasiert oder schlicht ohne falschen Bart. Er zog einen Stuhl über den Betonboden. Der Verband um seinen Hals war weg, und keine Verletzung zu erkennen. In der freien Hand hielt er eine braune Papiertüte. Er platzierte den Stuhl etwa einen Meter von ihrem Käfig entfernt im Raum und setzte sich dann. Er blickte zu ihr hoch. Dann stand er wieder auf, rückte den Stuhl noch etwas näher an sie heran und setzte sich wieder.

»Bitte …«, flehte Olivia.

»Nein«, schnitt Greg ihr das Wort ab. »Kein Betteln, kein Flehen.« Er wies auf die Käfige. »Das hat bei den anderen Mädchen nicht funktioniert und wird auch bei dir nicht funktionieren. Frag mich nicht, was ich will. Frag mich nicht, warum ich das tue. Biete mir nichts an. Wenn ich dich vergewaltigen wollte, hätte ich das getan, bevor ich dich hier eingesperrt habe.«

»Ich muss pinkeln.«

»Ich werde dich nicht zum Pinkeln rauslassen. Du weißt das. Ich sehe auf dem Boden, dass du es nicht halten konntest, bevor ich herkam. Mach dir also keine Sorgen darüber, dass ich derjenige bin, der hier sauber machen muss. Tu einfach, was die Natur verlangt.«

»Bitte. Es gibt Leute, die nach mir suchen werden.«

Greg zuckte die Achseln. »Und? Ich habe ja auch keine Crack-Hure hinter einem Müllcontainer aufgesammelt. Natürlich wird jemand nach dir suchen. Diesen Teil genieße ich, denn ich kann mir ihre traurigen Gesichter in den Fernsehnachrichten ansehen. Wem bricht es wohl am ehesten das Herz, dass du fort bist? Deiner Mutter? Dem Vater? Dem Freund? Deinen Kindern?«

»Ich habe Hinweise hinterlassen.«

»Nein, hast du nicht. Ich glaube, du wusstest nicht einmal mehr, auf welchem Planeten du dich befindest. Wie gesagt, die anderen Mädchen haben schon jeden erdenklichen Trick versucht. Und dass du jetzt hier alles noch einmal wiederkäust, was die bereits gesagt haben, geht mir irgendwie auf den Zeiger.« Er rückte mit dem Stuhl ein Stückchen nach links. »Nicht, dass es einen Unterschied macht. Dein Schicksal bleibt dasselbe, ganz egal, was du tust. Nichts, was du machen könntest, wird etwas daran ändern. Stell dir vor, du wärst vom Dach eines hundertstöckigen Hochhauses gesprungen und würdest jetzt auf den Asphalt zustürzen. Das einzig mögliche Ende dieses Sprungs ist dein Aufprall auf dem Boden. Das einzig mögliche Ende hier ist dein Tod durch Verhungern in deinem Käfig. Wie bei allen anderen auch.«

Er stand auf und trat zu dem Käfig neben Olivias hinüber, stieß ihn sachte an. Die Frau öffnete ihre Augen.

»Oh, gut, du lebst ja noch. Vielleicht habe ich Glück und du bist hinüber, bevor ich gehen muss.«

Die Frau erwiderte nichts.

Greg wandte seine Aufmerksamkeit wieder Olivia zu. »Willst du etwas hören, dass dich echt fertigmachen wird? Ich hätte dich beinahe davonkommen lassen müssen. Ernsthaft. Du hast die ganze Zeit auf dein Getränk aufgepasst. Wenn diese Frau nicht an den Tisch gestolpert wäre und dich abgelenkt hätte, wäre ich das Risiko nicht eingegangen. Vielleicht dachtest du, sie wäre meine Komplizin, aber nee, du hast einfach bloß schreckliches Pech gehabt. Ein betrunkener Fan, der deinen Auftritt lobt, und jetzt bist du hier. Das Leben ist ganz schön seltsam.«

Olivia zeigte keine Reaktion auf diese Enthüllung. Sie war an dem Punkt angelangt, an dem ihr Ironie gleichgültig war.

Greg öffnete die braune Tüte und holte eine Wasserflasche und einen Strohhalm heraus. »Ich weiß, beim letzten Mal war es nicht so toll für dich, dir von mir ein Getränk ausgeben zu lassen«, erklärte er, »aber ich verspreche dir, das hier ist nur Wasser.« Er stellte die Flasche auf den Stuhl und verschwand aus ihrem Blickfeld.

Wieder kratzte etwas laut über den Boden. Er war kräftig genug, um die Trittleiter hochzuheben, daher nahm Olivia an, dass er den gruseligen Lärm mit Absicht machte. Er stellte die Leiter neben den Käfig der anderen Frau, nahm dann die Flasche und stieg zu ihr hinauf. »Ich gebe ihr zuerst Wasser, weil sie dem Tod näher ist«, erklärte er.

Er hielt der Frau die Flasche hin. Sie beugte ihren Kopf vor und begann, durch den Strohhalm zu saugen.

»Langsamer«, mahnte Greg. »Du willst doch nicht, dass dir schlecht wird.«

Doch die Frau trank nicht langsamer. Dann hustete sie und kotzte das Wasser wieder aus, das überall auf den Boden spritzte.

»Langsamer diesmal«, sagte er.

Sie winkte ab. Greg stieg die Leiter hinunter und schob sie neben Olivias Käfig. Er holte eine zweite Flasche Wasser aus der Tüte, öffnete den Deckel und steckte denselben Strohhalm hinein, den er auch für die Flasche der anderen Frau benutzt hatte. Er stellte den Fuß auf die erste Stufe der Trittleiter und blickte dann zu Olivia hoch.

»Ich kann dich nicht davon abhalten, etwas Dummes zu versuchen«, sagte er. »Aber du musst wissen, dass es bedeutet, dass du kein Wasser bekommst.«

»Ich werde nichts versuchen«, gab Olivia zurück.

»Gut.« Greg stieg die Leiter hoch und hielt Olivia die Flasche hin. Sie zwang sich, langsam zu trinken. Greg wartete geduldig, während sie die gesamte Flasche kalten Wassers leer trank. »Willst du den Rest von Regina auch noch?«, fragte er.

Olivia schüttelte den Kopf. Die Chancen, dass es ihr gelänge, ihn von der Leiter zu treten, sodass er sich auf dem Boden den Schädel brach, standen extrem schlecht. Sie hätte es trotzdem versucht, konnte ihre Beine jedoch nicht bewegen.

Greg stieg wieder hinab. Er schleifte die Leiter aus dem Weg, setzte sich dann erneut auf seinen Stuhl. Er nahm ein Handy aus der Tasche, warf einen raschen Blick auf den Bildschirm, stopfte es anschließend wieder in die Tasche zurück.

»Tust du mir bitte den Gefallen und bist eine Weile still«, bat er. »Wenn du weinen oder wimmern möchtest, ist das in Ordnung, aber sprich nicht, okay?«

Olivia erwiderte nichts darauf.

Greg saß einfach nur da und starrte die Frauen in den Käfigen schweigend an. Immer mal wieder huschte die Spur eines Lächelns über seine Züge, doch sonst blieb sein Gesicht ausdruckslos.

Es fühlte sich an wie eine halbe Stunde, bevor er irgendetwas anderes tat, als zu starren. Er zog erneut sein Handy hervor, tippte darauf herum, als wolle er eine SMS versenden, und steckte es dann wieder ein, wirkte genervt.

Er blickte ein weiteres Mal zu Olivia hoch. »Als ich dir sagte, dass mir deine Musik gefallen hat, habe ich gelogen, doch es war kein völliger Blödsinn. Du hast wirklich ein bisschen Talent. Ein Superstar wärst du nie geworden, aber wenn ich echt Musikmanager wäre, hätte ich dich wahrscheinlich in einem größeren Laden unterbringen können. Wenn du dich besser fühlst, wenn du singst, mach das ruhig. Sing ein paar Songs. Unterhalte mich.«

Olivia würde auf keinen Fall für ihn singen. Da müsste er ihr schon die Stimmbänder mit den Zähnen rausreißen.

Sie wollte ihm sagen, er solle zur Hölle fahren, aber dann schüttelte sie einfach bloß sachte den Kopf.

Greg zeigte auf den Käfig neben ihrem. »Dann tu es für deine Nachbarin. Sie hatte in den vergangenen Tagen keinerlei Unterhaltung, abgesehen von dem Moment, als sie mir zugesehen hat, wie ich dich dort hineingesteckt habe. Sing ein Lied für sie. Fröhlich oder deprimierend, mir egal. Sing irgendwas.«

»Nein.«

»Wieso nicht? Gefällt dir die Akustik in diesem Schuppen nicht?« Greg lachte viel zu laut über seinen eigenen Witz. »Komm schon, sing für uns. Dauert nicht mehr lange, dann hast du keine Kraft mehr dafür. Schenk der Welt einen letzten Song.«

»Fahr zur Hölle.«

Greg erhob sich. »Ich wette, wenn ich dir einen Finger brechen würde, dann würdest du singen. Deine Stimme wäre ein paar Oktaven höher, aber du würdest singen.« Sein Blick wanderte zu Regina hinüber. »Hey, ist sie tot?«

Er ging zu ihr und pikste sie ins Bein. Regina reagierte nicht. Er stupste sie noch ein paar Mal mit dem Zeigefinger, bis sie endlich die Augen öffnete.

»Ah, okay, du bist noch da. Ich konnte nicht sehen, ob du atmest.«

Regina schloss die Augen wieder. Greg setzte sich hin.

»Ich werde dir keinen deiner Finger brechen«, sagte er zu Olivia. »Ich bin jetzt netter und tue so etwas nicht mehr. Ich werde dich nur beobachten. Wenn du singen willst, sing. Wenn nicht, dann lass es eben. Deine Entscheidung.«

 

Er lehnte sich zurück, streckte die Beine aus und starrte sie an.

Olivia wollte die Augen schließen, damit sie ihn nicht ansehen musste, doch sie hatte zu große Angst. Sie wollte nicht riskieren, dass sie die Augen öffnete und ihn direkt vor ihrem Käfig erblickte, während er gerade nach ihrem Fuß griff. Und einschlafen wollte sie auch nicht. Einzuschlafen, während er im Raum war, sollte eigentlich unmöglich sein, aber sie hatte kaum noch Energie, dafür jedoch das Gefühl, dass sie tatsächlich das Bewusstsein verlieren würde, wenn sie die Augen zu lange geschlossen hielt.

Also beobachteten sie einander.

Stundenlang.

Er wechselte hin und wieder die Position und machte Pausen, um sich zu strecken, doch die meiste Zeit über saß er einfach nur bewegungslos da, während er sie beobachtete.

Schließlich warf er erneut einen Blick auf sein Telefon, machte ein finsteres Gesicht und trug den Stuhl wieder weg. Er versuchte, Regina noch etwas Wasser zu geben, doch sie wollte nichts. Olivia trank eine weitere halbe Flasche, obwohl sich ihre Blase anfühlte, als würde sie jeden Moment explodieren – und sie würde sie eher platzen lassen, als vor ihm zu urinieren. Doch es schien, als würde er sich bereit machen, zu gehen. Dann konnte sie es endlich laufen lassen, sobald er den Raum verlassen hatte.

»Danke, dass du den Abend mit mir verbracht hast«, sagte er. »Ich komme bald zurück.«

Dann ging er.

Sekunden, nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, pinkelte Olivia sich ein weiteres Mal in die Hose und fing anschließend an zu schluchzen.


Kenneth Dove (nicht Greg, der Talentmanager, nicht Christopher, der Model-Scout, nicht Jack, dessen Wagen liegen geblieben war, und auch keiner der anderen) fuhr an den Straßenrand, bevor er in seine Straße einbog. Er kurbelte das Fenster herunter, öffnete das Handschuhfach und holte eine Flasche Jack Daniel’s heraus. Er goss sich etwas davon in den Mund, gurgelte und spülte einen Moment lang damit und spuckte ihn dann aus dem Fenster. Er träufelte sich ein bisschen davon auf die Finger und wischte sie an seinem Hemd ab. Er hatte ein verraucht riechendes Hemd übergezogen, bevor er in den Wagen gestiegen war.

Dann kurbelte er das Fenster wieder hoch, räumte die Flasche weg und fuhr das restliche Stück bis nach Hause.

Als er die Haustür öffnete, begrüßte ihn der Duft von Nichts; kein Abendessen auf dem Tisch. Vivian kam ins Wohnzimmer. Es überraschte ihn nicht, dass sie sauer aussah.

»Ernsthaft?«, wollte sie wissen.

Ken betrat das Haus. »Jetzt mach mich doch nicht gleich an, sobald ich zur Tür hereinkomme. Ich musste länger arbeiten.«

»Mh-hm.« Vivian bedachte ihn mit einem ihrer fiesen Blicke, die sie in den vergangenen 17 Jahren perfektioniert hatte. »Du kannst niemandem etwas vormachen. Ich weiß genau, wo du gewesen bist.«

»Mir doch egal.«

»Mir doch egal«, machte sie ihn nach. »Du hörst dich an wie ein Teenager. Apropos Teenager, er hatte schon wieder Ärger in der Schule.«

»Was hat er diesmal angestellt?«

»Wieso fragst du ihn nicht?«

»Also gönnst du mir nicht mal fünf Minuten Frieden, nachdem ich Überstunden gemacht habe. Ich muss sofort den Zuchtmeister raushängen lassen?«

»Weißt du, Ken, wenn du mich für dumm verkaufen willst, verletzt das echt meine Gefühle. Das tut es wirklich. Dann fühle ich mich, als wäre ich dir scheißegal.«

»Oh Himmel, es tut mir leid. Ich bin bloß müde.« Ken trat auf Vivian zu und nahm sie in die Arme. Er gab ihr einen sanften Kuss auf die Lippen und fuhr mit den Fingern durch ihre langen, blonden Haare. Sie wich ein wenig zurück vor seinem Whisky-Atem, sagte jedoch nichts dazu. »Du bist das klügste Mädchen, das ich kenne.«

»Dann fang doch einfach mal an, mich auch so zu behandeln.«

»Das werde ich, versprochen.« Er drückte sie eng an sich. Dann rief er über ihre Schulter hinweg: »Jared! Komm runter!«

Es dauerte etwa 30 Sekunden, bis er das Geräusch von Schritten hörte, die die Treppe heruntergetrampelt kamen. Jared betrat das Wohnzimmer. Der Junge war ein Riese und hatte mit 16 immer noch nicht zu wachsen aufgehört. Er hätte leicht ein Football-Stipendium bekommen können, interessierte sich jedoch nicht für Sport. Oder die Schule. Oder sonst irgendwas außer Videospielen und einer Reihe nuttiger Freundinnen. (Vivian, die so etwas glücklicherweise überhaupt nicht mitbekam, wusste nicht, dass er sie in seinem Zimmer vögelte. Vor etwa zwei Jahren hatte Ken mit seinem Sohn ein sehr ernstes Vater-Sohn-Gespräch geführt. Der gute alte Dad würde weiterhin so tun, als wisse er nicht, was hinter Jareds Tür vor sich ging, doch sollte dieser so unvorsichtig sein, eins der Mädchen zu schwängern, wäre er auf sich allein gestellt.)

»Was ist denn los?«, wollte Jared wissen.

»Sag du es mir«, erwiderte Ken, der Vivian losließ. »Wie ich höre, hattest du einen interessanten Schultag.«

Jared zuckte die Achseln.

»Deine Mom steht direkt hier. Ich meine, sie steht im selben Raum wie wir. Es ist respektlos ihr gegenüber, wenn du so tust, als wüsstest du nicht, wovon ich rede.«

»Es war doch nur ein dummer Test.«

»Ich brauche etwas mehr Informationen.«

»Ich habe beim Mathe-Test abgeschrieben.«

»Himmel, Jared.«

»Ich brauche diesen ganzen Kram nicht zu wissen. Der hilft mir einen Dreck weiter im Leben.«

»Hast du einen Verweis kassiert?«

»Nee«, sagte Jared. »Hab nur eine sechs bekommen. Das war ja nicht mal ein richtiger Test, nur so ein Ankreuzblatt.«

»Ach, na ja, wenn es nur ein Ankreuzblatt war, dann ist es keine große Sache, richtig? Bei so einem Schmierzettel-Test abzuschreiben ist es bestimmt wert, einen dicken Eintrag in deinem Zeugnis zu riskieren. Du brauchst kein Studium, oder? Das College ist nur ein dummer kleiner Ort, an dem die Leute dumme kleine Abschlüsse machen, die ihnen dann gute Jobs einbringen. Aber du wirst sicher einer dieser Typen, die mit Videospielen Millionen verdienen. Mein Gott, ein Universum großartiger Karriere-Möglichkeiten erwartet dich wegen deiner beeindruckenden Hand-Augen-Koordination! Deine Mom und ich haben die Villa längst ausgesucht, die du für uns kaufen wirst. Die hat drei Pools. Drei! All die Colleges, die deine Bewerbung ablehnen, weil du ein Betrüger bist, werden sich ja sowas von dumm vorkommen, wenn sie sehen, was für großartige Erfolge du einfährst.«

Jared blickte zu Boden. »Okay, schon verstanden.«

»Nein, das glaube ich nicht. Denn ich werde dein Karriere-Potenzial gleich minimieren. Du marschierst jetzt nach oben, stöpselst deine PlayStation aus und bringst sie hier runter, und ich schließe sie für die nächsten zwei Wochen ein, und ich will keinen blöden Kommentar dazu hören. Und wenn das nochmal vorkommt, hole ich den Hammer aus der Garage und zerlege dein geliebtes Spielzeug in alle Einzelteile. Ich meine nicht nur abschreiben. Ich meine jegliche Art von Ärger in der Schule. Hast du mich gehört?«

»Ja.«

»Denkst du, ein müdes ›ja‹ reicht aus?«

»Ja, Sir.«

»Rauf mit dir und hol das Teil. Und versuch nicht, erst noch das Level zu Ende zu spielen.«

Jared verließ das Wohnzimmer.

»Bitte sehr«, sagte Ken zu Vivian. »Elterliche Pflichten erfüllt.«


Ken und Vivian saßen im Bett und sahen fern. Vivian schob die Hand unter die Decke und glitt über seinen Schritt.

»Suchst du etwas?«, wollte er wissen.

Sie lächelte. »Ich wette, er wird gleich leichter zu finden sein.«

Vivian rieb mehrere Minuten lang daran herum, doch bei ihm regte sich nichts. Es lag nicht daran, dass ihr das Geschick fehlte – sie war im Gegenteil ziemlich talentiert mit ihren Fingern und er bemerkte durchaus, dass sie noch immer attraktiv war. Vivian hielt sich in Form und wog nur zehn Pfund mehr als damals, als sie sich kennengelernt hatten. (Als sie geheiratet hatten, war sie um Einiges schwerer gewesen, doch da war sie auch im achten Monat schwanger mit Jared.) Vivian war attraktiv, wenn man es rein objektiv betrachtete, allerdings nicht mehr attraktiv für ihn. Es war wie bei diesem Bild, das er im Netz gesehen hatte, mit einem halb nackten, völlig hinreißenden Mädchen auf Händen und Knien, das der Kamera ihren besten Schlafzimmerblick schenkte, und darunter stand: Ganz gleich, wie scharf sie auch ist, irgendjemand da draußen hat die Schnauze voll von ihrem Scheiß.

Er hatte die Schnauze voll von Vivians Scheiß.

Und das schon seit Jahren.

Aber sie versuchte es, das musste er ihr lassen. Immerhin übernahm sie in Sachen Sex gerade die Initiative. Und es war den ganzen Ärger nicht wert, ihr zu sagen, dass er erschöpft oder einfach nicht in Stimmung war.

Er schloss die Augen und dachte an die Frauen in den Käfigen.

Dachte an die Erste, die gestorben und jetzt kaum mehr als Haut und Knochen war.

Dachte an Regina, die vielleicht nicht mehr atmete.

Dachte an die arme Olivia, die vielleicht als einzige in diesem Raum noch lebte. In einem Käfig hängend, mit all den verrottenden Leichen um sich. So verängstigt. So hübsch. Alle waren sie wunderschön.

»Na also, da geht doch was«, stellte Vivian fest.

Sie zogen sich aus und er bestieg sie.

Ken stellte sich ausgemergelte, eingesperrte Frauen vor, während er seiner Frau förmlich die Scheiße aus dem Leib fickte.


»Du glaubst nicht, was ich letzte Nacht geträumt habe«, begrüßte Gertie Charlene am nächsten Tag, als sie sich beide für den Schichtbeginn fertig machten.

»Kam ich darin vor?«

»Ja.«

»War es pervers?«

»Nein.«

»War ich eine Meerjungfrau?«

»Ich sollte es dir einfach erzählen.«

»Das wäre wahrscheinlich besser.«

»Wir waren zusammen in Hornbeam Ridge unterwegs. Du hast immer wieder gesagt, dass das eine schlechte Idee wäre, aber im Traum hatte er deine Schwester entführt und …«

»Ich habe keine Schwester«, unterbrach Charlene sie.

»In meiner nächtlichen Traumwelt hattest du eine Schwester.«

»Okay.«

»Du sagtest immer wieder, es wäre eine dumme Idee, doch dann hast du gemeint, dass wir ihn bloß nicht finden konnten, weil wir nicht an den wirklich unheimlichen Orten gesucht haben. Und das ergab irgendwie Sinn. Wenn wir einen Psychopathen aufstöbern wollten, dann sollten wir nicht in den hellen, freundlichen Ecken suchen, sondern an Orten, die uns Angst machten.«

»Traumlogik.«

»Und du sagtest, dass es da diese Tür gibt, von der jeder im Viertel wüsste, aber niemand hätte eine Ahnung, wohin sie führen würde. Also hast du mich dorthin gebracht, und drumherum standen Bäume mit verzerrten Gesichtern, und von der anderen Seite konnten wir Leute schreien hören.«

»Mein Gott, das war kein Traum!«

»Halt die Klappe. Wir haben die Tür aufbekommen; ich weiß nicht mehr wie, und sie hat quasi direkt in die Hölle geführt. Und meine Cousine und deine Schwester und all die anderen Frauen waren dort; sie trieben auf diesem schwimmenden Steg in einem See aus Lava, gefesselt mit Schlangen. Ich wusste, dass sie es waren, obwohl sie keine Gesichter hatten. Und wir wussten beide, dass wir einfach umkehren und zurück durch diese Tür gehen konnten. Ich weiß das, weil ich deine Gedanken hören konnte. Aber wir haben es nicht gemacht. Irgendwie wussten wir, dass die Lava uns nicht verbrennen würde; vielleicht, weil wir nicht dorthin gehörten, also schwammen wir zu diesem Steg raus und banden sie von den Schlangen los. Dann ist Satan aufgetaucht und ich bin aufgewacht.«

»Das ist ein sehr interessanter Traum, den du da gehabt hast«, stellte Charlene fest.

»Ich weiß, oder?«

»Ist es ein Zufall, dass du mich kennengelernt hast und jetzt vom Teufel träumst?«

»Mein Fazit dieses Traums ist, dass du gewillt warst, mir in die Hölle zu folgen.«

Travis betrat das Hinterzimmer und tippte sich an die Stelle, wo seine Armbanduhr säße, wenn er eine getragen hätte. Normalerweise hätte Charlene jetzt eine schnippische Bemerkung gemacht, aber nach dem gestrigen Tag fand sie, dass es besser wäre, sich für ein paar Tage richtig gut zu benehmen.

 

Pausen machten sie abwechselnd, es war wahnsinnig viel Betrieb an diesem Abend und deshalb konnten sie ihr Gespräch bis kurz vor Betriebsschluss nicht fortführen. Charlene hatte noch ein paar Tische abzukassieren, als Gertie ausstempelte.

»Heute Abend schon irgendwelche Pläne?«, wollte Charlene wissen.

»Nee.«

»Bist du sicher?«

»Jedenfalls nicht solche, über die wir gesprochen haben«, erwiderte Gertie. »Ich habe ein Date mit Netflix, Jogginghose und chinesischem Essen zum Mitnehmen.«

»Du musst mich nicht anlügen.«

»Ich lüge nicht.«

»Eine meiner Fähigkeiten, und ich habe viele, besteht darin, dass ich weiß, wenn Menschen lügen. Wenn du meinem Blick also ausweichst, obwohl du nur über einen chilligen Abend zu Hause redest, dann muss ich annehmen, dass du rausgehen und dich als Köder anbieten willst.«

»Na schön, erwischt.«

»Warum lügst du denn bei so einer Sache?«, fragte Charlene.

»Weil es mir irgendwie peinlich ist, dass ich dir überhaupt davon erzählt habe. Dadurch klinge ich … nicht wirklich ganz bei Verstand.«

»Stimmt. Ich werde dich jetzt nicht aus Rücksicht auf deine Gefühle mit Samthandschuhen anfassen und so tun, als wäre es nicht so. Wie auch immer, ich habe die gesamte Schicht nachgedacht und möchte dir gerne helfen.«

»Wie jetzt, was?«

»Ich meine es ernst.«

»Gehört das Verarschen anderer Leute auch zu deinen Fähigkeiten?«

»Das schon, aber ich verarsche dich jetzt nicht. Ich glaube, was du tust ist gefährlich und fehlgeleitet, aber du tust es aus dem richtigen Grund. Und ich will helfen, damit dir nichts geschieht.«

»Wir können aber nicht zusammenbleiben. Es sind immer nur Frauen verschwunden, wenn sie alleine unterwegs waren. Zu zweit wären sie sicher gewesen. Selbst wenn er uns beide sähe, würde er uns allein deshalb schon nicht in Betracht ziehen.«

»Oh, ich will dir nicht anbieten, mit dir herumzulaufen. Das ist schlicht irre. Aber ich werde in der Gegend herumfahren, in der du unterwegs bist, und dann immer für ein paar Minuten irgendwo parken.«

»Vielleicht hält er aber auch nach möglichen Zeugen Ausschau. Wenn er dich in deinem Wagen sitzen sieht, reicht das womöglich schon, um ihn fernzuhalten.«

»Ich werde nicht in Sichtweite sein. Wir halten per SMS Kontakt. Und wenn du dich nicht alle, sagen wir, fünf Minuten meldest, dann weiß ich, dass etwas nicht stimmt. Das hilft nicht viel, aber es ist besser, als wenn du verschwindest und niemand es mitbekommt, bis du auf der Arbeit vermisst wirst.«

»Der Plan gefällt mir tatsächlich richtig gut«, sagte Gertie.

»Lass mich eins klarstellen. Wenn du in Schwierigkeiten gerätst, rufe ich die Polizei. Ich werde nicht losrennen, um dir zu helfen, den Kerl zu überwältigen. Das ist deine Sache. Aber ich werde deine, ich weiß nicht, Beschützerin aus der Ferne sein.«

»Das klingt toll. Ich weiß das wirklich zu schätzen.«

»Und dann musst du mir einen ausgeben, wenn wir fertig sind.«

»Geht klar.«

»Wann wolltest du losziehen?«

»Gleich nachdem ich zu Hause angekommen bin und meine Klamotten gewechselt habe. Willst du mit zu mir kommen?«

»Meinst du …«

»Ich wusste, dass ich einen lesbischen Kommentar kassieren würde, in dem Moment, als ich es ausgesprochen habe.«

»Den spare ich mir für deine nächste Aktion auf. Ja, ich würde gern mit zu dir kommen, um dich rein platonisch auszuziehen.«


Als Charlene auf den Parkplatz vor Gerties Wohnkomplex einbog, überraschte es sie selbst, wie aufgeregt sie war. Sie sollte sich eigentlich nicht auf den Abend freuen. Es war totaler Wahnsinn, der schlimm enden konnte. Nicht, dass Charlene glaubte, dass Gertie den Schuldigen wirklich aus der Reserve locken würde, doch eine Menge anderer Dinge konnte schiefgehen, wenn eine attraktive, junge Frau allein in der Dunkelheit herumspazierte. Und wenn sie Gertie nicht einmal richtig beobachten konnte, dann konnte sie auch nicht allzu viel tun, um sie zu beschützen

Dennoch, es war besser als nichts. Und was, wenn es ihnen wundersamerweise doch gelänge, das Stück Scheiße zu schnappen und der Polizei zu helfen, die verschwundenen Frauen zu finden? Das wäre unglaublich.

Auch wenn Charlene wusste, dass es letztendlich nicht so laufen würde, konnte sie sich des Gefühls der Vorfreude nicht erwehren. Sie hatte in ihrem Leben schon eine Menge wilder Dinge erlebt, doch das hier war eine ganz neue Erfahrung, die sie ihrem Lebenslauf hinzufügen konnte. Es würde nicht gerade ein Heidenspaß werden – immerhin standen Leben auf dem Spiel –, doch durchaus interessant. Sehr interessant.

Gertie stieg aus ihrem eigenen Wagen, und sie gingen gemeinsam die Treppe zu ihrer Wohnung hinauf. »Nur, damit du gewarnt bist«, sagte diese, als sie den Schlüssel ins Schloss steckte, »ich bin eine totale Ordnungsfanatikerin. Was du gleich siehst, ist so aufgeräumt und ordentlich, dass es dir vielleicht unangenehm ist, also möchte ich mich schon im Vorfeld entschuldigen.«

»Willst du damit sagen, du hältst mich für schlampig?«

»Ich empfange Dreckige-Klamotten-auf-dem-Boden-Schwingungen von dir«.

»Dann sage ich dir jetzt, dass ich die Fugen in meinem Badezimmer jeden Morgen mit der Zahnbürste schrubbe.«

»Ah-ha.«

»Okay, na gut, bei mir liegen die dreckigen Klamotten auf dem Boden und überall steht irgendwelches Zeug herum. Passt das in dein Lesben-Klischee?«

»Ich habe keinen Schimmer, wie das Klischee über lesbisches Wohnen und Aufräumen aussieht.«

»Ich glaube, es gibt keins. Über Schwule gibt es eins, doch wir haben keins.«

Gertie öffnete die Tür und sie betraten ihre Wohnung.

»Ach du Scheiße«, sagte Charlene. »Du hast mich nicht verarscht.«

»Ich habe dich gewarnt.«

»Du hast deine Bücher nach Farben sortiert.«

»Jap. Und innerhalb der Farben sind sie alphabetisch nach Autoren sortiert.«

Charlene ging zum Bücherregal hinüber. »Das machen eigentlich nur Serienmörder. Wo bewahrst du deine Notizbücher auf, die du mit deiner winzigen Handschrift gefüllt hast?«

»Ich brauche nur eine Minute«, erwiderte Gertie, verschwand in ihrem Schlafzimmer und schloss die Tür.

Charlene wanderte im Wohnzimmer umher. Sie fragte sich, ob Gertie es bemerken würde, wenn sie den Untersetzer auf dem Couchtisch einen Zentimeter nach rechts schob, und befand, dass das sehr wahrscheinlich war. Sie testete diese Theorie jedoch nicht.

Gerties Blu-Ray-Sammlung, hauptsächlich Independent-Filme, fand ihre Zustimmung. Offenbar besaß sie nur digitale Musik, daher konnte Charlene sich noch kein Urteil über ihren Musikgeschmack erlauben. Bücher las sie jedenfalls querbeet. Charlene war versucht, einen Blick in ihren Kühlschrank oder auch ihr Medizinschränkchen zu werfen, doch diese Art von Neugier war nur dann akzeptabel, wenn sie mit der Besitzerin geschlafen hatte.

Gertie kam aus dem Schlafzimmer. Sie hatte eine Jeans, einen Pulli und eine dünne Jacke angezogen. Außerdem trug sie eine braune Langhaarperücke, die jedoch nicht sehr schmeichelhaft ihr Gesicht umrahmte. Es war gut, dass sie lediglich versuchte, einen Psychopathen anzulocken und keinen Freund zu finden.

»Hast du deine Waffe jetzt bei dir?«, wollte Charlene wissen.

»Ja.«

»Oh. Okay, also, Waffen machen mich echt nervös, also falle bitte nicht hin oder sowas.«

»Ich falle sicher nicht auf meine Waffe.« Gertie griff in ihre Jackentasche und holte den Elektroschocker hervor. Sie drückte den Knopf, und Charlene konnte Strom zwischen den beiden Elektroden knistern sehen.

»Ich wusste nicht, dass man das bei diesen Dingern wirklich sehen kann«, sagte sie. »Ich dachte, das wäre nur ein Spezialeffekt im Film.«

»Nee. Ich habe noch so einen für dich.«

»Nein, das passt schon. Ich steige nicht aus meinem Wagen aus.«

»Bist du sicher?«

»Ganz sicher. Elektroschocker, echte Knarren, Nagelpistolen – die machen mir allesamt Angst. Aber ich bin froh, dass du sie in der Tasche hast. Brechen wir auf?«

Sie stiegen in Charlenes Auto. Als sie losfuhren, wurde ihr klar, dass die Waffen sie sogar noch nervöser machten, als sie gedacht hatte. Allein der Gedanke, dass Gertie irgendwo eine Knarre verborgen trug, sorgte dafür, dass es ihr schwerfiel, sich aufs Fahren zu konzentrieren. Sie hatte sich einmal auf ein Sex-Spielchen eingelassen, bei dem ein Springmesser eine Rolle spielte (allerdings nur ein einziges Mal); sie hatte also keine völlige Waffen-Phobie, aber verdammt nochmal, sie hasste es, dass sich eine Knarre in ihrem Wagen befand.

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