Siebenkäs

Tekst
Autor:
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Siebenkäs
Siebenkäs
4,26 
Szczegóły
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

II. Pars

zu schreiten und miteinander die Gründe zu erwägen, welche Protoplasten oder erste Eltern bewegen, es zu werden und sich zu kopulieren und dem Schicksal zur Säe- und Spinnmaschine des Leins und Hanfes, des Flachses und Wergs zu dienen, dessen unübersehliches Netzwerk und Zuggarn es um die Erdkugel windet. – Mein Hauptbeweggrund – und deiner hoffentlich auch – ist nach meinem Gefühle der jüngste Tag. Denn falls wir beide die Entrepreneurs des Menschengeschlechts werden: so werd' ich alle meine Enkel, die am jüngsten Tage aus der verkalkten Erde aufdampfen, in den nächsten Nebenplaneten sich zusammenstellen sehen zur letzten Heerschau und unter diesem Kinder- und Enkelsegen Leute antreffen, die Verstand haben und mit denen sich ein Wort reden läßt. – Männer, deren Leben durch lauter Donnerwetter ging und die es in einem verloren, wie nach dem römischen Glauben die Günstlinge der Götter vom Donner erschlagen werden, und die gleichwohl in keinem Gewitter Augen oder Ohren zubanden. – Ferner stehen dort, seh' ich, die vier herrlichen heidnischen Evangelisten, Sokrates, Kato, Epiktet, Antonin, die mit ihren Kehlen wie mit angeschraubten 200 Fuß langen Feuerspritzen-Schläuchen in allen Häusern herumgingen und solche vor jeden verdammten Brand der Leidenschaften hielten und ihn gänzlich ausspritzten mit dem reinsten besten Alpen-Wasser. – Überhaupt von den vortrefflichsten Leuten werd' ich der Ur-Papa und du die Ur-Mama werden, ist es uns sonst beliebig. Ich sage dir, Eva, ich hab' es hier in meinem Exzerpten und Kollektaneen schwarz auf weiß, daß ich der Vorfahr, der Ahnherr, das Bethlehem und die plastische Natur eines Aristoteles, Platon, Shakespeare, Newton, Rousseau, Goethe, Kant, Leibniz sein werde, insgesamt Leute, die noch gescheuter denken als ihr Protoplast selber. Eva, wirkliches angesehenes Mitglied der gegenwärtigen fruchtbringenden Gesellschaft oder produzierenden Klasse im Staat, die aus dir und dem Trauredner besteht, ich schwöre dir, ich werde eine Stunde voll einiger seligen Ewigkeiten haben, wenn ich auf dem Nebenplaneten den Kreis von Klassikern und von Wiedergebornen flüchtig durchlaufen und endlich vor Wonne auf den Satelliten niederknieen und sagen werde: ›Guten Morgen, meine Kinder! Ihr Juden tatet sonst geheime Stoß- und Schußgebete, wenn euch ein Weiser aufstieß; – aber was soll ich für eines tun, das lang genug ist, da ich alle Weise und Fakultisten auf einmal sehe und Blutverwandten von mir, die sich mitten im Wolfhunger der Triebe gleichwohl der verbotenen Äpfel und Birnen und Ananas zu entäußern wußten und die mitten im Wahrheitdurste keinen Gartendiebstahl am Baum des Erkenntnisses begingen, indes ihre ersten Eltern das verbotne Obst angriffen, ob sie gleich nie Hunger fühlten, und den Baum des Erkenntnisses, ob sie gleich alle Erkenntnisse schon hatten, die der Schlangennatur ausgenommen.‹ Dann werd' ich vom Boden aufstehen und unter den Enkel-Schwarm hineinlaufen und einem auserlesenen Nachfahrer von mir an das Herz fallen und meine Arme um ihn schlingen und sagen: ›Du treuer, guter, zufriedener, sanfter Sohn – und hätt' ich meiner Heva, der Bienenmutter der gegenwärtigen Immen-Schwärme um uns her, niemand als nur dich in einer Brut-Zelle sitzend zeigen können in der zweiten pars meines Trau-Sermons, die Frau hätt' es überlegt und mit sich reden lassen.‹« ... Und der treue gute Sohn bist Du, Siebenkäs, und liegst und bleibst an der heißen rauhhaarigen Brust

deines

Freundes.

Nachschrift
und Clausula Salutaris

Verdenke mir diesen meinen lustigen Hausball und Hexentanz auf dem Lumpenpapier nicht, ob Du gleich leider ein Infinitesimal-Teil des deutschen Völkerstammes bist und als solcher einen solchen Ideentanz weder leiden noch begreifen solltest. Daher lass' ich für die deutsche Unbehülflichkeit auch nichts drucken, sondern werfe ganze Bogen, die ich mit dergleichen schäkernden Ideen-Fischchen vollgelaicht, anstatt in den Buchladen sogleich in den Ort, wohin solche Werke sonst, weil sie die Durchganggerechtigkeit durch den Buchladen ausüben, erst im Alter kommen. – Ich war acht Tage in Hof; und privatisiere jetzo in Baireuth; ich schnitt in beiden Städten Gesichter, nämlich fremde Silhouetten; die meisten Köpfe aber, die meiner Papierschere saßen oder standen, mutmaßten, es sei in meinem nicht richtig. Schreibe mir das Wahre von der Sache; denn es wäre mir nicht gleichgültig, weil ich sowohl in Vermächtnissen als in andern bürgerlichen Verrichtungen behindert würde, falls ich, wie gesagt, wirklich nicht recht gescheut wäre. – Schließe noch bei tausend Grüße und Küsse an deine fromme und schöne Lenette und ein Kompliment an den Hrn. Schulrat Stiefel, nebst einer Frage, ob er mit dem Magister Stiefel, Predigern zu Holzdorf und Lochau (bei Wittenberg), von weitem verwandt ist, der das Ende der Welt (und irrig, glaub' ich) auf früh um 8 Uhr 1533 weissagte und am Ende nur sein eignes erlebte. – Auch leg' ich für Euch beide und für den Programmen-Anzeiger zwei Programmen vom Professor Lang allhier, die baireuthischen Generalsuperintendenten betreffend, und eines vom Dr. Frank in Pavia bei. – Ein reiz-, kraft-, geist- und seelenvolles Mädchen wohnt hier im Gasthofe zur Sonne vornen heraus (ich hinten hinaus). Ich samt meinem Gesichte gefall' ihr unbeschreiblich, was ich sehr gern glaube, da ich Dir so ähnlich sehe und uns beide nichts unterscheidet als bloß der Fuß, mit dem ich hinke. Ich rühme mich daher vor Schönheiten nur meiner Schwachheit und Deiner Ähnlichkeit. Hab' ich recht gehört, so ist die Dame eine arme Nichte des alten Oheims mit der zerbrochnen Glasperücke, der sie auf seine Kosten studieren läßt für die Ehe irgendeines vornehmen Kuhschnapplers von Stand. Es kann sein, daß der Frachtzettel sie als Bräutigams-Gut bald zu Euch schickt ... So weit meine ältesten Neuigkeiten! Die neueste kann erst kommen, nämlich Du selber zu mir nach Baireuth, wenn ich und der Frühling miteinander (denn übermorgen reis' ich ihm nach Italien weit entgegen) wiederkehren und wir, ich und der Lenz, gemeinschaftlich die Welt auf eine Art ausschmücken, daß Du gewiß in Baireuth selig sein wirst, so sehr sind dessen Häuser und Berge zu loben. Und so leb etwas wohl!

*

Alle schwören darauf, daß der Kuhschnappler von Stande, für welchen die Nichte des Heimlichers studiert, niemand ist als der Venner Rosa, welcher das noch übrige Stümpfchen von seinem herabgebrannten Herzen, das für das Anstecken der Herzen der ganzen weiblichen Welt, wie das Gemeinlicht eines Wirtes für das Anstecken der Köpfe einer tabakrauchenden, bisher gebrannt, zu einer Brautfackel verbrauchen und sie damit nach seinem Hause leuchten will.

Da im Briefe drei Himmel inliegend waren, für jeden Seligen einer – für die Frau das Kompliment – für den Pelzstiefel die Programmen – für den Advokaten der Brief selber: so würd' es mich nicht gewundert haben, wenn das beschenkte Kleeblatt und Terzett vor Freuden getanzt hätte. Der berauschte Rat – denn das fröhliche Blut stieg in seinen mäßigen Kopf – schlug die Werke, obgleich das gewürfelte Tischtuch schon aufgebreitet war, auf diesem auf und schnitt und griff hungrig die drei gedruckten Voressen und literarischen petits soupers auf dem zinnenen Teller schon vor dem Beten an, bis ihn die Bitte, zu bleiben, erinnerte, zu weichen. Aber unter dem Scheiden bat er sich als Sporteln für die Mühe, das Austrägalgericht und der Mittlermann zwischen beiden oder das bindende Laugensalz zwischen seinem Öl und ihrem Wasser gewesen zu sein, einen neuen Schattenriß Lenettens aus; denn den alten, von Leibgeber ausgeschnittenen, worauf ihn dessen Brief gebracht, und den er bekanntlich zum Geschenk bekommen, hatte er zufällig in sein Nachtkamisol gesteckt und mit diesem und dessen ähnlicher Farbengebung in die Waschwanne geschickt. »Der Riß soll noch heute vom Stapel laufen«, sagte Siebenkäs. Als der Schulrat die Eheleute verließ und ers Lenetten ansah, daß ihr Ringfinger jetzo einen weichern Ehering anhatte, welchen nur er weiter gefeilet und mit Seide ausgefüttert zu haben glaubte: so schüttelte er freudig ihre Hand und sagte: »Ich will ja willig so oft kommen, als nur das Kleinste vorfällt, ihr scharmanten Leute.« Lenette antwortete: »Ja, recht oft.« Aber Siebenkäs setzte hinzu: »Noch öfter!«

Indes schien hinterher der Ring fast wieder zu drücken, und Adjunkten der philosophischen Fakultät müssen, da sie Seelenlehre lesen, sich wundern, daß der Advokat unter dem Essen wenig mit der Frau, und sie mit jenem sprach; aber der Grund war: der Leibgeberische Brief lag statt des weißen Brotes neben dem Teller und Brote, und sein feuriger Liebling glänzte aus Baireuth über das weite dunstige Dunkel herüber an seine Seele – ihr erstes künftiges Aneinanderfallen schwebte zauberisch seinen Seufzern vor – die Hoffnung senkte ihr reinigendes Licht in den dumpfen mephitischen Schacht, worin er jetzo keuchte und grub – und der künftige Frühling stand wie ein mit Lichtern umhangner Münsterturm hell und hoch in der Ferne und trieb seine Strahlen durch die dicke Nacht herüber...

Endlich kam er wieder zu sich, nämlich zur Frau – Leibgebers Kraftbild hatt' ihn ohnehin über die steinige spitzige Gegenwart der Zufälligkeiten weggehoben – der alte Freund, der oben im Chor das Gesicht der Braut ausgeschnitten und der nachher bei der ersten Flitterwoche mitgewesen, warf ihm die Blumenkettenschlinge über und zog ihn damit an die stille Gestalt neben sich heran: »Nu, liebste Lenette, wie ist denn dir?« sagt' er erwachend und nahm die Hand der Ausgesöhnten; aber sie hatte die weibliche Unart, nämlich Art, daß sie ihre Versöhnung noch länger verdeckte als ihre Entrüstung, wenigstens verschob, und daß sie gerade dann, wann die Ehrenerklärung und die Abbitte eines Fehlers schon vorüber war, auf eine neue Einsicht der Akten antrug. Die wenigsten Eheweiber – leichter die Mädchen – reichen einem Manne eilig die Hand und sagen: ich bin wieder gut. – Wendeline hielt zwar ihre hin, aber zu kalt; und zog sie hurtig zurück, um das Tischtuch zu nehmen, das er mit spannen und brechen zu helfen gebeten wurde zum Tuch-Würfel. Er tats und lächelte – sie sah genau auf die rechte Geviertung des weißen Langvierecks – endlich bei dem letzten und dicksten Viereck hielt es der Mann fest – sie zerrte und wollte ernsthaft aussehen – er schauete sie liebreich an – sie mußte doch lächeln – da entriß er ihr das Tuch und drückt' es schnell auf ihre Brust und sich dazu und sagte in ihren Armen: »Diebin, wie kannst du so sein gegen den alten Kauz Siebenkäs, oder wie er sonst noch heißt?« – Nun bog sich der Regenbogen eines hellern Lebens über die einsickernde Sündflut herüber, welche bisher dem Ehepaare schon bis an die Herzgrube gestiegen war... Aber freilich, ihr Lieben, bedeuten jetzige Regenbogen oft das Gegenteil dessen, was der erste verhieß.

 

Der Preis, den er seiner Königin bei diesem Rosenfeste des Herzens zuerkannte, war eine verbindliche Bitte um den Schatten ihres holden Gesichts, um morgen damit dem Pelzstiefel ein Geschenk und eine Freude zu machen. Ich bin zwar jetzt gesonnen, für gebildete Menschen sein Abschatten hier abzuschatten; aber dies beding' ich mir, daß man nicht aufsehe, daß eine Feder ein Pinsel sei – oder ein Pinsel ein Poussiergriffel – oder ein Griffel ein Blumenstaubfaden, der eine Lilien- und Rosen-Generation nach der andern erschafft.

Der Advokat ließ sich vom Schuster Fecht ein Silhouetten-Brett vorstrecken; nämlich die Fassade einer neuen Taubenhöhle. In das eirunde Portal des Brettes griff die Schulter Lenettens wie ein Einlegemesser ein – ein weißer Bogen Papier war als Grundierung von de Piles darübergenagelt – der schöne warme Kopf wurde ans steife Papier angedrückt – er setzte den Bleistift oben an der Schattenstirn enthaltsam an, so schwer es auch war, in einer solchen Nachbarschaft der Wirklichkeit nach dem bloßen Schatten zu greifen – und fuhr die blumige schöne steile Anhöhe voll Rosen und Lilien herunter... Aber es kam nicht viel Sonderliches heraus: man dachte, er habe das Hinterhaupt leidlich abgeschattet. Er schielte immer auf die farbig beseelte Fläche neben seiner Hand zurück und riß daher so schlecht ab wie ein Schachtelmaler. »Wendeline, dein Kopf sitzt auch nicht eine Minute fest«, sagt' er. Allerdings schwankte ihr Gesicht wie ihre Gehirnfibern vom stärkern Gange des Herzens und Atems; auf der andern Seite aber stolperte seine Reißfeder über das sanft erhobne Bildwerk der kleinen Nase, fiel in die Spalte der Lippe und strandete auf der Untiefe des Kinns. Er küßte die Lippen, die er nicht treffen konnte und die sich immer zu sehr öffneten oder verschlossen, und holte einen Rasierspiegel und sagte: »Da sieh, hast du nicht mehr Gesichter als Janus oder ein indischer Gott? – Der Rat muß denken, du hättest Gesichter geschnitten, und ich sie gezeichnet. – Schau, da hast du gewankt, und ich bin dir nachgesetzt mit einem Gemsensprung, jetzo greift der Vorsprung des obern Gesichts über das untere wie eine Halbmaske hinaus. Bedenke nur, wie der Rat morgen gucken wird.« – »Guter, nur noch einmal; ich will ja alles tun, damit es hübsch aussieht«, sagte errötend Lenette. Jetzo preßte ordentlich ein erstarrender Hals das weiche Gesicht an das Reiß-Brett, aber indem der Mann mit seinem Legestachel des Risses über die Stirn niederglitt, die ein Kugelausschnitt aus einer weißen Halbkugel zu sein schien – so vernahm er statt des Atems ein zitterndes Zurückstemmen desselben und sah ein anglühendes Angesicht vom schwellenden Atem... Hier schlug auf einmal der Argwohn, wie ein zerspringender Brander, harte Trümmer seiner Freude an sein Herz, der Argwohn: »Ach liebt sie ihn vielleicht doch gewiß?« – (nämlich den Rat)... Seine Feder blieb im stumpfen Winkel zwischen Stirn und Nase wie bezaubert eingestochen – er hörte nun das zitternde Ausatmen vernehmlich – seine Ätznadel zog schwarze Furchen am Rande des Schattens hinab, und als er auf dem zugedrückten Munde stockte, auf dem bisher nichts Warmes gewesen war als seiner und ihre Morgenandacht, und als er dachte: »Auch das soll mich treffen? auch diese Freude soll mir genommen werden? – und Ich soll mir hier eigenhändig meinen Scheide- und Urias-Brief auszeichnen?« – so konnt' er nicht mehr – er schnellte das Reiß-Brett von ihrer Achsel – fiel an den verschlossenen Mund – küßte den gefangnen Seufzer auf – drückte seinen Argwohn zwischen seinem und ihrem Herzen tot und sagte immerfort: »Erst morgen, Lenette! – Zürne nur nicht! Bist du denn nicht mehr wie in Augsburg? – Verstehst du mich denn? – Weiß du etwan, was ich will?« – Sie antwortete unschuldig: »Ach, wirst es übel nehmen, Firmian – nein, ich weiß es nicht.« – Und die Göttin des Friedens nahm dem Gotte des Schlafes den Mohnkranz ab und flocht ihn in den Ölkranz ein – und führte das Ehepaar bekränzt und ausgesöhnt und Hand in Hand in die blinkenden Eisfelder der Träume – in den magischen getuschten Hintergrund des grellen bunten Tages – in unsere dunkle Kammer voll beweglicher Bilder einer verkleinerten Welt, wo der Mensch wie der Schöpfer unter niemand wohnt als unter Geschöpfen.

Ende der Vorrede und des ersten Bändchens

Der Leser wird noch aus dem Anfange der Vorrede wissen, daß ich so glücklich war, den alten Kaufmann auf eine große Mohngarbe zu bringen und seiner Tochter ein frohes Laubhüttenfest aus den Herzblättern des gegenwärtigen Hausgärtchens zu geben... Aber der böse Feind weiß einen Platzregen auf unsre schönsten Feuerwerke zu wehen. Ich tat nichts als meine Pflicht, wenn ich eine kleine Taschen-Leihbibliothek für ein armes stilles Ding von Mädchen war, dem der Alte keinen Umgang zuließ, der vernünftig war, als den mit dem Papagei und mit dem vorigen Gerichthalter.

Der erste stand in seinem Bauer neben ihrem Dintenfaß und Schmierbuch und erlernte von ihr, was ein Buchhalter als Deutsch-Italiener zur Korrespondenz zu wissen braucht. Und da ein Papagei allemal durch einen Taschenspiegel am Käfig zu Sprachsachen ermuntert wird: so sahen beide, die Sprachmeisterin und der Zögling, miteinander hinein. – Das andere, der Gerichthalter, war ich. Aber der Hauptmann ließ sie – aus Furcht vor uns verführerischen Prinzessinnenräubern und Raubbienen und weil ihre Mutter tot war und weil sie in der Schreibstube zu brauchen war – mit keinem Herrn reden als unter sechs Augen und vor ebensoviel Ohren. Daher kam selten ein Herr, außer mir, anstatt daß sonst ein Vater sich durch eine blühende Tochter ganze männliche Insektensammlungen ins Haus lockt, wie ein Kirschbaum, der am Fenster in Blüte steht, Wespen und Bienen in die Stube zieht. Es war nicht eines jeden Sache, wenn er ein gescheutes Wort – d. h. eines, das der Vater nicht hörte – mit ihr reden wollte, erst vor diesem Argus das Flötenregister zu ziehen und eine Stunde zu orgeln und hundert grüne Augen zuzusperren, um in zwei blaue zu schauen; meine Sache war es zwar, aber die Welt höre, was mir für ein Dankpsalm und für eine Dankadresse dafür ward.

Der Alte hatte sich nämlich – mißtrauisch durch mein langes Dasitzen am vorigen Abend geworden – an diesem nur angestellet, als schlief' er, um zu sehen, auf was ich ausginge. Sein eiliges Entschlafen, wie sich der Leser aus dem Anfange dieser Vorrede besinnt, hätte mich überhaupt mehr frappieren sollen; ich hatte noch dazu selber schon aufs Gegenteil gerechnet und ihm deswegen Extrakte aus mehren Vorreden als dieser zu Niklasruhen oder Schlafpulvern zugedacht. Denn obgleich die Rabbinen lehren, daß zwölf Heukörbe mit leerem Gewäsche vom Himmel gefallen wären und daß neun davon bloß die Weiber aufgegriffen hättenBuxt. lex. p. 221. : so ists doch nur mit der Einschränkung wahr, daß sich die Vorredner – und die Rechtsfreunde – besagte neun Körbe zu ihrer Nutznießung erheiratet haben, von ihren Weibern als Eingebrachtes.

Der diebische Horcher wartete liegend meinen Rapport von den zwei Blumenstücken und von den vier Kapiteln dieses Werkleins ab: am Ende des vierten prallte er in die Höhe wie eine aufschnellende Maulwurffalle, worauf man getreten hat, und fiel mich von hinten mit folgender Huldigungpredigt an: »Hat Sie denn der lebendige Teufel beim Schopf? – Sie kommen aus Berlin und wollen meiner leiblichen Tochter da atheistisches windiges Romanenzeug in den Kopf setzen, daß sie in kein Kontor mehr taugt, wie? Machen Sie mir meinen nicht warm, Herrrrr!« –

»Nur auf ein Wort!« sagt' ich gelassen und zog ihn in die finstre ungeheizte Nebenstube hinaus, »Hr. Zopfhaupt, nur auf ein halbes Wort!«

In der dunkeln Sakristeistube legte ich die zwei Hände auf seine Achseln und sagte: »Hr. Zopfhaupt, denn so hieß unter Karl dem Großen ein jeder Hauptmann, weil damals die Soldaten – wie jetzo die Weiber – einen Zopf statt einer Fahne vor sich hattenMösers Osnabrückische Geschichte etc. 1. Tl. . – – Ich beiße mich heute, wo das alte Jahr untergeht und ein neues auf, mit Ihnen nicht herum; ich beteur' Ihnen, daß ich der SohnWer den Hesperus später lieset als diese Vorrede, dem muß die unschuldige Neubegierde gelassen werden. Der andere hat sie schon gestillt. des ****en bin und daß ich Sie nicht wieder sehe und daß Sie gleichwohl alle Wiener Briefe haben sollen. Aber ich bitte Sie um Gottes willen, lassen Sie Ihre Dlle. Tochter lesen. Jetzo lieset jeder Kaufherr, der sie heiraten kann, und jede Kauffrau, die schon einen hat: und gesponnen und gekocht wird in unsern Tagen – das sehen Sie aus den Hemden und Wänsten – bei aller Lektüre noch immer genug. Und verführen – kann ein Leser gerade eine Leserin am schwersten und eine ABC-Schützin am besten. – – Das sehen Sie an der Stenzin. Hr. Hauptmann, ich bitte Sie!«

»Ei, daß dich – über den lebendigen Windfächel! was kümmert Sie mein Ding drinnen (seine Tochter)?« war seine Replik. – Ein wahrer Glückhafen wars für mich, daß ich in den zwei heiligen Abenden nichts, unter dem größten relatorischen Feuer, nichts von der Tochter in die Hände genommen hatte als – statt der ihrigen – etwan für einen Groschen Kopfhaar, das mir noch dazu in die Finger ordentlich wuchs. Es wäre wenig gewesen, im biographischen Relatorium ihre Hände zu ergreifen, es wäre gar nichts gewesen; aber wie gesagt, ich hatt' es bleiben lassen: du, hatt' ich zu mir gesagt, genieße ein schönes Gesicht wie ein Gemälde und eine weibliche Stimme wie einen Nachtigallenton und zerknülle das Gemälde nicht und erdrücke die Philomele nicht! Wie, muß denn jede artistische Tulpe zu einem Salat, jedes Altartuch zu einem KamisolProkulus, Landpfleger des Genserichs, stahl alle orthodoxe Kirchen in der Zeugitianischen Provinz in Afrika aus und ließ die Altartücher zu Kamisölern und Hosen verarbeiten. Simonis Christl. Altertum. p. 286. verschnitten werden? – Bei solchen Grundsätzen ist jedem leicht die Angst begreiflich, in der ich sonst fast alle Abende über den Eindruck war, den etwan meine Gestalt in Paulinens Herz nachlassen könnte, bis ich mich damit beruhigte, daß ich ein Advokat und Gerichthalter wäre und daß ich mich also über zweierlei Schönheiten Miltons erhöbe, über seine poetischen und übers eine physiognomischen, die dem Poeten den Ekelnamen Miß Milton zugezogen

– Unter allen Wahrheiten glaubt man die am letzten, daß gewisse Menschen mit keiner zu bekehren sind: – daß der Zopfhaupt unter diese gewissen gehöre, fiel mir spät endlich bei, und ich nahm mir vor, ihm keine andre Predigt zu halten als meine spaßhafte Straf- und OsterpredigtIn dem Mittelalter wurde am ersten Ostertage auf der Kanzel Spaß gemacht, den man ein christliches Ostergelächter hieß. : »Hr. Zopfhaupt, leiser, Mademoiselle hört sonst jeden. Sie haben den guten Sommervogel ins Brief-Kopiebuch festgespießt; aber am jüngsten Gerichte verklag' ich Sie, daß Sie ihr meine Werke nicht zu lesen geben. Ich wollte, Sie hätten sich nur wenigstens so lange schlafend gestellt, bis ich ihr die übrigen Teile von der kuhschnappelischen Historie hätte auserzählt gehabt, weil gerade in ihnen die wichtigsten Dinge, Siebenkäsens Zank, Tod und Heirat, vorkommen. – Mademoiselle! ich werde aber meinen Hrn. Verleger in Berlin ersuchen, Ihnen die folgenden Teile, sobald sie aus der Presse gehoben sind, noch feucht wie eine Zeitung zu übermachen. – Und damit Gott befohlen, Hr. Zopfhaupt, er schenke Ihnen statt des neuen Jahrs ein neues Herz und der guten Tochter ein zweites in ihres hinein.«

Der Elementenstreit unsrer ungleichartigen Bestandteile wurde immer lauter; – mehr sag' ich nicht, weil jeder Beisatz Rachsucht schiene. Glücklich preise – das darf ich zu allen Zeiten sagen – glücklich preise sich jede Tochter (aber die wenigsten erkennen es), die meine Werke lesen darf, wenn der Vater wacht. – Unglücklich ist jeder Oehrmannische Bediente, weil das Zopfhaupt ihn wie einen Windhund ausgehungert zu schnellem Läufern, aber nicht auf dem Klavier, so wie die Kinder der Tänzer nichts zu essen kriegen, um besser zu springen! Und glücklich ist jeder Dürftige, der nichts mit ihm zu tun hat, weil Jakob Oehrmann allen Menschen gerade so viel moralischen Kredit gibt, als sie kaufmännischen haben, an welches Rekrutenmaß des Wertes ihn die Kaufleute gewöhnt haben, die einander mit metallnen Ellen messen! Bloß ganz Arme hat er als Fußgestelle seiner Milde lieb, weil er Almosen, die er im Namen und aus dem Kammerbeutel der Stadt verteilt, für seine hält... Friede sei mit ihm! Ich hatte nur damals das Friedenfest der Seele, das ich im Fruchtstücke dieses Buchs beschrieben»Das Fest der Sanftmut am 20 März.« Es beschließt das dritte Bändchen. , noch nicht mitfeiern helfen und hatte über das Erlaßjahr, das in unserm Herzen so lange gegen alle moralische Schuldner dauern soll wie der lange Reichstag, noch wenig von dem gelesen, was ich darüber geschrieben; ich hätte sonst dem Zopfhaupte nicht einmal widersprochen.

 

Durch meine Abschiedrede an die Tochter ärgert' ich ihn leider noch einmal, weil ich ihr und ihm einerlei wünschte, um zu verbergen, wem ich wünschte: »Ich sage Ihnen, Hr. Zopfhaupt und Mademoiselle, ein langes Lebewohl – ich werde Ihnen beiden keine meiner Lebenbeschreibungen in elysischen Abenden ohne Abschweifungen mehr erzählen können, und die hl. Abende und die hl. Tage werden vorübergehen, ohne daß ein Mann ins Haus tritt, der Sie beide sehr rührt. Das Schicksal erstatte beiden die Büchermacher durch Bücher – es gebe dem trägen Herzen zuweilen einen poetischen Schlag, der stillen Brust einen süßen Seufzer, der sie mit Ahndungen schwellt, Ihren beiden Augen einige Tropfen, wie sie ein Andante auspreßt, und führe Sie aus dem heißen Sommer voll Mühe statt in einen Nachsommer in einen blühenden singenden Lenz... Und gute Nacht!« –

– Und wär's mein Erbfeind: er würde mir nahe gehen, wenn ich beim Abschiede dächte: du siehst ihn nicht mehr. Pauline war eigentlich keine Erbfeindin. – Draußen auf den Gassen liefen noch mehre Neujahr-Gratulanten, die Nachtwächter, herum, die ihre Wünsche in Blas-Musik setzten und in schlechte Verse. Mich bewegt allezeit ein steifer altväterischer roher Vers, zumal aus einem ihm angemeßnen Munde, inniger als ein saftloser neuer mit elenden Eis- und Federblumen, und eine ganz elende Poesie ist besser als jede mittelmäßige. Ich beschloß, zum Tore hinauszugehen und die Brust voll sehr unähnlicher Bewegungen – eben weil es erst 11 Uhr und die kalte Nacht voll Sterne war – und weil es die letzte des Jahrs war und ich in das neue nicht wie in das zweite Leben schlafend übergehen wollte, sondern wachend – ich beschloß, die schlagende erhitzte Brust ins Freie in einen stillern Zirkel zu tragen...

Wenn man einen Menschen in eine unabsehliche leere Sarawüste laufen ließe – und ihn nachher wieder in die engste Ecke drückte: so würde ihn dasselbe sonderbare Gefühl seines Ich anfallen – der größte und der kleinste Raum beleben gleich sehr das Bewußtsein unsers Ich und seiner Verhältnisse. Nichts wird überhaupt öfter vergessen als das, was vergisset, das Ich. Nicht bloß die mechanischen Arbeiten der Handwerker ziehen den Menschen ewig aus sich heraus: sondern auch die Anstrengungen des Forschens machen den Gelehrten und den Philosophen ebenso taub und blind gegen sein Er und dessen Stand unter den Wesen; ja noch tauber und blinder. Nichts ist schwerer, als einen Gegenstand der Betrachtung, den wir allzeit außer uns rücken und vom innern Auge weit entfernen, um es darauf zu richten, zu einem Gegenstande der Empfindung zu machen und zu fühlen, daß das Objekt das Auge selber sei. Ich habe oft ganze Bücher über das Ich und ganze Bücher über die Buchdruckerkunst durchgelesen, eh' ich zuletzt mit Erstaunen ersah, daß das Ich und die Buchstaben ja eben vor mir sitzen.

– Der Leser sei aufrichtig: hat er nicht sogar jetzo, da ich darüber zanke, vergessen, daß er hier Buchstaben vor sich hat und sein Ich dazu? –

Aber draußen unter dem schimmernden Himmel und auf einem Schneeberge, um den eine gestirnte weite starre Fläche glimmte, riß sich das Ich von seinen Gegenständen ab, an denen es nur eine Eigenschaft war, und wurde eine Person, und ich sah mich selber. Alle Zeit-Absätze, alle Neujahr- und Geburttage heben den Menschen hoch über die Wogen um ihn heraus, er wischt die Augen ab und blicket im Freien herum und denkt: »Wie trieb mich dieser Strom und übertäubte mein Gehör und überflutete mein Gesicht! – jene Fluten drunten haben mich gezogen! Und diese oben, wenn ich wieder untertauche, wirbeln mich dahin!«

Ohne dieses helle Bewußtsein des Ich gibt es keine Freiheit und keine Gleichmütigkeit gegen den Andrang der Welt.

Ich will in meiner Erzählung fortfahren. Ich stand auf einem Eisberge, obwohl mit einer glühenden Seele – der zerspaltne Mond schien hell hernieder, und die Schattenstücke der Tannenbäume um mich lagen wie zerstückte Glieder der Nacht schwarz auf dem Liliengrund aus Schnee. – Drüben, weit von mir, knieete, wie es schien, ein Mensch unbeweglich auf der Straße.

Jetzt schlug es 12 Uhr und das schlachtenvolle Jahr 1794 fiel mit seinen Strömen von Blut in das Meer der Ewigkeit; das nachsummende Wogen des Glockentons sagte mir gleichsam: jetzo hat das Schicksal euch Hinfälligen das alte Jahr mit dem 12ten Schlage bei der Versteigerung von Minuten zugeschlagen.

Der knieende Mensch auf der Straße stand nun auf und ging eilig davon. Ich konnte im hellen Mondlicht ihm und seinem Schatten lange nachsehen.

Ich verließ meinen Berg, den Grenzhügel zwischen zwei Jahren, und ging hinunter auf die Straße, wo der Mann geknieet hatte. Ich fand einen Kreuzweg und ein verlornes handdickes schwarzledernes Gebetbuch in Duodez, dessen Blätter gelb gelesen waren. Auf dem einzigen weißen vornen stand der Name des Besitzers, dessen Kniee hier tiefe Spuren in das harte Glatteis gehöhlt hatten. Ich kannt' ihn wohl, es war ein sogenannter Häusler, der zwei Söhne in den jetzigen Krieg stellen müssen. Als ich weiter nachsah: fand ich im Schnee einen Kreis, den der Furchtsam-Kecke als einen Ring gegen böse Geister gezogen hatte.

Ich erriet alles: der Blödsinnige, dessen Seele in einer ringförmigen Sonnenfinsternis lebte, wollte in der feierlichen Nacht das ferne dumpfe Donnern der Gewitter in der Zukunft behorchen und hatte sich nicht mit dem Körper, sondern mit der erniedrigten Seele auf die Erde gelegt, um den Vorschritt der fernen Feinde zu hören. »Eingeschränkte bange Seele«, dacht' ich, »warum sollen über die heitre stille Nacht die künftigen Toten mit ihren Wunden ziehen und deine schlafenden Söhne ohne Glieder? Warum willst du schon die fliegenden Flammen der Feuerbrünste sehen und alles düstre Getümmel des ungebornen Jammers, der noch keine Zunge hat, vernehmen? Warum sollen auf die Särge, die im künftigen Jahre noch, wie in Pestzeiten, ohne Aufschrift stehen, die Namen kommen? – O, dein Salomons-Ring hat dich nicht beschirmt gegen den würgenden Geist in unsrer Brust. – Und die ungestalte Riesen-Wolke, hinter der der Tod und die Zukunft steht, wird, wenn wir nahe an sie treten, der Tod und die Zukunft selber.«... –

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?