Siebenkäs

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Siebenkäs
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Der hagestolze Stiefel ließ sich an einem so genußreichen Abende echte Höflichkeit gegen das weibliche Geschlecht am wenigsten nehmen, besonders gegen eine Frau, die er schon als Braut in seinem Brautwagen liebgewonnen und die ihm gar jetzo als Gattin eines solchen Freundes und als solche Freundin seiner selber doppelt lieb geworden. Er verwickelte sie daher fein genug in das bisher zu gelehrte Gespräch, indem er über die drei Haubenköpfe gleichsam wie über drei Pflastersteine den Übergang zum Modejournal machte; nur aber zu schnell auf ein älteres Modejournal zurückglitt, auf des Rubenius seines vom Putze der alten Griechen und Römer. Seine Predigten auf alle Sonntage streckte er ihr gern vor, da Advokaten als böse Christen nichts Theologisches haben. Ja als sie die entfallene Lichtschere zu seinen Füßen suchte, hielt er ihr den Leuchter tief hinunter dazu.

Wichtig für das ganze Siebenkäsische Haus oder vielmehr Zimmer wurde der Sonntag, welcher in dasselbe einen vornehmern Mann, als bisher aufgetreten, einführte – nämlich den Venner, Hrn. Everard (Eberhard) Rosa von Meyern, einen jungen Patrizius, der in Hrn. Heimlichers von Blaise Hause täglich aus- und einging, um sich in die »Routine der Amts-Praxis einzuschießen«. Auch war der Mann der Bräutigam einer armen Nichte des Heimlichers, die außer Landes für sein Herz erzogen und ausgebildet wurde.

Also war der Venner ein wichtiger Charakter des Marktfleckens sowohl als unsers Dornenstücks, und zwar in jeder politischen Hinsicht. Denn in körperlicher war ers wohl weniger; durch seinen blumigen Kleiderputz war sein Leib fast wie ein Span durch einen Dorf-Blumenstrauß gesteckt – unter den funkelnden Magenflügeldecken eines Westen-TierstücksAuf den damaligen Gillets waren Tiere und Blumen abgebildet. pulsierte ein steilrechter, wenn nicht eingebogener Bauch, und seine Beine hatten im Ganzen den Wadengehalt der Holzstrümpfe, womit Strumpfwirker sich an ihren Fenstern anzukündigen und zu empfehlen suchen.

Der Venner trug dem Advokaten kalt und ziemlich grobhöflich vor, er sei bloß gekommen, ihm die Last der Verteidigung der Kindermörderin abzunehmen, da er ohnehin so viele andere Sachen auszuführen habe. Aber Siebenkäs durchsah sehr leicht den Zweck des Vorwands. Es ist nämlich bekannt, daß zwar die verteidigte Inquisitin zum Vater ihres über die Erde im Fluge gegangenen Kindes einen Musterkartenreiter adoptiert und angenommen, dessen Namen weder sie noch die Akten anzugeben wußten; daß aber der zweite Vater des Kindes, der als ein junger Schriftsteller aus Bescheidenheit nicht gern seinen Namen vor seine pièce fugitive und sein Antrittprogramm setzen wollte, niemand war als der hagere Venner Everard Rosa von Meyern selber. Gewisse Dinge will oft eine ganze Stadt zu verunkennen (zu ignorieren) scheinen; und darunter gehörte Rosas Autorschaft. Der Heimlicher von Blaise wußte also, daß sie der Defensor Firmian auch wisse, und besorgte mithin, daß sich dieser für den Raub der Erbschaft an seinem Verwandten Meyern durch eine absichtlich-schlechte Verteidigung der armen Inquisitin rächen werde, um diesem die Schande ihrer Hinrichtung zu machen. Welcher entsetzliche niedrige Argwohn! – Und doch ist oft die reinste Seele zum Argwohn eines solchen Argwohns genötigt! – Zum Glück hatte Siebenkäs den Blitzableiter der armen Mutter schon fertig geschmiedet und aufgerichtet. Als er ihn dem Kasual- oder Schein-Bräutigam der Scheinkindermörderin vorwies: gestand dieser sogleich, einen geschicktern Schutzheiligen hätte die schöne Magdalena unter allen Advokaten der Stadt nicht aufgetrieben; wenigstens keinen frömmern, setzen Schreiber und Leser hinzu, welche wissen, daß er durch die Verteidigung der Unschuld dem Himmel für den ersten Entwurf der Teufelspapiere dankbar sein wollte.

Jetzo kam plötzlich die Frau des Advokaten aus der Nachbarstube des Buchbinders von einem fliegenden Besuche zurück. Der Venner sprang ihr bis an ihre Türschwelle mit einer Höflichkeit entgegen, die nicht weiter zu treiben war, da sie doch erst vorher aufmachen mußte, eh' er entgegen konnte. Er nahm ihre Hand, die sie ihm im ehrerbietigen Schrecken halb zulangte, und küßte solche gebückt, aber die Augen emporblickend gedreht und sagte: »Mäddämm, ich habe diese schöne Hand schon seit einigen Tagen unter der meinigen gehabt.« Jetzo kam es durch ihn heraus, daß er derselbe fleischfarbige Herr sei, welcher ihre Hand, wenn sie solche zum Fenster hinausgelegt, mit der Reißfeder unten weggestohlen, weil er um eine schöne Dolces Hand für ein Kniestück seiner abwesenden Braut verlegen gewesen, in das er aus dem Gedächtnisse einen bloßen Kopf von ihr zu zeichnen unternommen. Nun tat er seine Handschuhe, in welchen er sie nur, wie manche frühere Christen das Abendmahl, aus Ehrerbietung zu berühren gewagt, herunter von seinem Ringfeuer und Hautschnee; denn um diesen letzten in größtem Sonnenbrande zu bewahren, legte er selten die Handschuhe ab, es müßte denn im Winter gewesen sein, der wenig schwärzt. Kuhschnappler Patrizier, wenigstens junge, halten gern das Gebot, welches Christus den Jüngern gab, niemand auf der Straße zu grüßen; auch der Venner beobachtete gegen den Mann die nötige Unhöflichkeit, nur aber gar nicht gegen die Frau, sondern ließ sich unabsehlich herab. Schon von satirischer Natur hatte Siebenkäs den Fehler, gegen gemeine Leute zu höflich und vertraut zu sein, und gegen höhere zu vorlaut. Aus Mangel an Welt wußt' er die rechte krumme Linie gegen die bürgerlichen Klassiker nicht mit dem Rücken zu beschreiben; daher fuhr er lieber – gegen die Stimme seines freundlichen Herzens – stangengerade auf. Außer dem Mangel an Welt war sein Advokatenstand Ursache, dessen kriegerische Verfassung eine gewisse Kühnheit einflößt, zumal da ein Advokat stets den Vorteil hat, daß er keinen braucht, daher ers häufig, wenn es nicht Patrimonial-Gerichtherren oder auch Klienten sind, welchen beiden er mit seinen geringen Gaben zu dienen hat, keck mit den angesehensten Personen aufnimmt. Inzwischen rückte gewöhnlich in Siebenkäs Menschenliebe unvermerkt den beweglichen Steg so unter seinen hochgespannten Saiten herab, daß sie zuletzt bloß den sanften tiefern leisern Ton angaben. Nur jetzo wurd' ihm gegen den Venner, dessen Zielen auf Lenette er zu erraten genötigt war, Höflichkeit viel schwerer als Grobheit.

Er hatte ohnehin einen angebornen Widerwillen gegen geputzte Männer – obwohl gegen geputzte Weiber grade das Gegenteil –, so daß er oft die Flügelmännchen des Putzes in den Modejournalen lange ansah, bloß um sich recht über sie abzuärgern, und daß er den Kuhschnapplern beteuerte, wie er niemand lieber als einem solchen Männchen Schabernack antäte, einen Schimpf, einen Schaden bis zum Prügeln hinauf. Auch war es ihm von jeher lieb gewesen, daß Sokrates und Kato auf dem Markte barfuß gegangen, wogegen barhaupt gehen (chapeaubas) ihm nicht halb soviel war.

Aber eh' er sich anders als mit Gesichtzügen äußern konnte, strich die Holzknospe von Venner sich den halbwüchsigen Bart und trug sich von weitem dem Armenadvokaten als Kardinalprotektor oder Vermittler in dem bewußten Blaisischen Erbschaft-Zwiste an, um den Advokaten teils einzunehmen, teils zu demütigen. Aber dieser – aus Ekel, einen solchen Gnomen zum Hausgeist und Paraklet (Tröster) zu bekommen – fuhr auf, jedoch lateinisch: »Zuerst soll meine Frau, ich fodere es, kein Wort von dem unbedeutenden Kartoffelkriege erfahren. Auch verschmäh' ich in gerechter Sache jeden andern Freund als einen Rechtsfreund, und den letzten stell' ich selber vor. Ich bekleide meinen Posten; der Posten bekleidet freilich nicht mich in Kuhschnappel.« Dieses letzte Wortspiel drückte er mit einer so wahrhaft-seltenen Sprachfertigkeit durch ein ähnliches lateinisches aus, daß ich es fast hersetzen sollte; der Venner aber, der sich weder das Wortspiel noch das übrige so deutlich übersetzen konnte, als wir es gelesen, gab sogleich, um sich nur loszumachen und nicht bloßzugeben, in derselben Sprache zur Antwort: »imo, immo«, womit er ja sagen wollte. Deutsch fuhr nun Firmian fort: »Es ist wahr, Vormund und Mündel, Vetter und Vetter waren nahe aneinander, in jedem Sinn: hat man sich aber nicht auf den besten Konzilien, z. B. auf dem zu Ephesus im fünften Säkul, ausgeprügelt? Ja der Abt Barsumas und der Bischof von Alexandrien, Dioskorus, Männer von Rang, schlugen den guten Flavian bekanntlich da maustot.Mosheims Kirchengeschichte, 3. T S. Anmerkung von Hrn. Einem. Und ein Sonntag war es ohnehin, wo die ganze Sache vorgefallen. An Sonn- und Festtagen aber ist der Gottesfrieden, durch welchen in den dummen Zeiten die Fehden innehalten mußten, gerade in den Schenken aufgehoben (die Glocken und die Krüge läuten ihn aus), und die Menschen prügeln sich, damit die Gerichte doch ein Einsehen haben und dareinschlagen. In der Tat, wenn man sonst die Feste zum Mindern der Fehden vermehrte, so sollten Justizpersonen, Hr. v. Meyern, die wie wir von etwas leben wollen, eher um die Einziehung einiger gefriedigten Werkeltage und dafür um neue Apostel- und Marientage anhalten, damit Schlägereien und mit den Schmerzen auch die Schmerzengelder anliefen samt den Sporteln. Aber, trefflichster Venner, wer denkt an so was?«

Er konnte ungefähr alles dies deutsch vor Lenetten sagen; sie war längst gewohnt, von ihm nur das Halbe, das Viertel, das Achtel zu verstehen und um den ganzen Venner sich gar nicht zu bekümmern. Als Meyern vornehm-kalt geschieden war: suchte Siebenkäs seine handgeküßte Frau noch mehr für den Venner zu bestechen, indem er dessen ungeteilte Liebe gegen das gesamte weibliche Geschlecht, ob er gleich ein Bräutigam sei, und besonders die frühere gegen seine in Verhaft und auf den Tod sitzende Vor-Braut nach Vermögen pries; aber er nahm sie eher wider den Venner ein. »So treu bleibe dir und mir immer, du gute Seele«, sagte er, sie ans Herz nehmend; aber sie wußte nicht, daß sie treu geblieben, und fragte: »wem sollt' ich denn untreu sein?«

 

– Von diesem Tage bis zum Michaelistage, in welchen die Messe oder Kirmes der Reichsstadt fiel, scheint das Glück den Weg bis dahin ohne besondere Blumenbeete – nämlich für mich und Leser – bloß mit reinem platten englischen Rasengrün fast nur in der Absicht angelegt zu haben, damit der Michaelis- und Kirmestag vor uns auf einmal wie eine schillernde blendende Stadt aus dem Tal aufspränge. In der Tat fiel wenig vor; wenigstens nimmt meine Feder, die nur wichtigern Ereignissen dienstbar ist, das kleine nicht gern auf, daß der Venner Meyern oft beim Buchbinder, der mit Siebenkäsen unter demselben Dach-Himmelstriche wohnte, vorgesprochen; er sah bloß nach, ob die »Gefährlichen Bekanntschaften« (liaisons) gebunden waren.

Aber der Michaelistag! – Wahrlich die Welt wird daran denken. Und ist denn nicht schon selber der Rüsttag vorher so auserlesen und ausgestattet, daß man ihn der Welt ohne Sorge schildern kann?

Wenigstens lese sie die Schilderung vom Rüsttage und gebe dann ihre Stimme! –

An diesem Tage oder dem Vorsabbate der Kirmes war wie überall das ganze Kuhschnappel ein Arbeit- und Raspelhaus für Weiber; eine sitzende oder friedliche oder reingekleidete war im ganzen Orte nicht zu haben – die belesensten Mädchen machten kein Buch auf als die Vexierbücher, um Seide daraus zu nehmen, und die einzigen Blätter, die sie durchgingen, waren die der Schuhe und des Blätterteigs – mittags aß fast keine – die Kirmes- oder Messe-Kuchen waren das eigentliche Räderwerk der weiblichen Maschinen und ihrer künftigen Lustbarkeit.

An einer Kirchweihe müssen die Weiber ihre Gemäldeausstellung haben, und die Kuchen sind die Altarblätter. – Jede benaget und beschauet diese gebacknen Silhouettenbreter und Gedächtniswappen des Adels der andern, der Kuchen hängt an jeder als Medaillon oder, wie Bleistücke am Tuche, als Siegel des Wertes herab. Sie essen und trinken wahrlich fast nichts; aber dicker Kaffee ist ihr gesegneter Abendmahl-Wein und durchsichtiges, dünnes Gebackenes ihr gesegnetes Oblaten-Brot; nur daß bei ihren Freundinnen und Wirtinnen das letzte ihnen dann am besten schmeckt und sie es fast vor Liebe fressen, wenn es versteinert sitzen geblieben und schuß- und stichfest oder zu Beinschwarz verkohlt oder sonst erbärmlich ist; sie erkennen willig alle Fehler, welche ihre innigsten Freundinnen begangen, und suchen die Scharten auszuwetzen, indem sie sie einladen und viel anders abspeisen. – Was unsere Lenette anlangt, so buk sie von jeher so, beste Leserin, daß Kenner ihre Kruste, und Kennerinnen ihre Krume vorzogen und beide beteuerten: »Nur Sie, Beste, könnten etwas Ähnliches backen.« Das Kochfeuer war das zweite Element dieser Salamanderin; denn das erste der guten Nixe war das Wasser. So in einer vollen Haushaltung – wie Siebenkäsens seine war, der alle Ephraimiten von Leibgeber der Kirchweihe geweihet hatte – sich wie in Sand zu baden, zu plätschern, zu scharren, zu schnattern, das war ihr Fach. Es war heute ihrem glühenden Gesichte kein Kuß zu applizieren, aber die Frau hatte auch zu tun; denn um 10 Uhr kam gar eine neue Arbeit hinter dem neuen Arbeiter, dem Fleischer.

Ich benies' es jetzo selber, daß die Welt für einen kurzen Bericht von der Sache mir – und wer kann ihn weiter geben – am Ende danken wird. Es wurde nämlich schon in Sommers Anfang eine schöne dürre Kuh, zu deren Kaufschilling die vier Haushaltungen zusammenschossen, auf die Mastung eingestellet. Der Buchbinder, der Schuhflicker, der Armenadvokat und der Haarkräusler – der sich von seinen Mietleuten nur darin unterschied, daß sie bei ihm, er aber bei seinen Gläubigern zur Miete wohnten – ließen von einer geschickten Hand – sie saß an Siebenkäsens Armröhre – ein authentisches Instrument – der sprachreinigende Kolbe schnauzet hier nach seiner Gewohnheit mich Unschuldigen über fremde Wörter in einem ja römisch-juristischen Aktus an – Lebens und Sterbens der Kuh halber verfertigen und aufsetzen, worin sämtliche Kontrahenten – sie standen alle aufmerksam um das leere Dokument, den ausgenommen, der saß und es fertigte – sich anheischig machten, daß

1 jeder der vier Interessenten am Rinde das besagte Rind alternierend melken sollte und dürfte –

2 daß das Küchen- oder Mast-Personale aus einer gemeinschaftlichen Kriegkasse das Kostgeld, den Küchenwagen und überhaupt den Unterhalt des besagten Rinds bestreiten sollte und dürfte – und

3 daß die Alliierten besagtes Maststück nicht nur den Tag vor Michaelis, den 28. Sept. 1785, totschlagen, sondern auch jedes Viertel desselben wieder in vier Viertel nach dem Ackergesetz (lex agraria) für die vier Teilhaber zerhacken sollten und dürften.

Siebenkäs fertigte vier vidimierte Kopeien vom Partagetraktat aus, für jeden eine; und nie schrieb er etwas mit ernsthafterer Lust. Heute war bloß noch der 3te Artikel von dem friedsamen Hausverein von vier Evangelisten zu erfüllen, welche sämtlich zum Wappentiere nur ein Kompagnie-Tier und noch dazu nur das weibliche des Lukas genommen.

Aber die Gelehrten lechzen nach meiner Kirmes – ich werfe also mein Tier- und Menschenstück nur flüchtig her. Kolbe fährt natürlich fort und fährt mich an. Der Septembrisierer, der Fleischer, tat noch am Ende des Fruktidors seine Pflicht gut – die Vierfürsten von Konviktoristen standen bei allem, und selber die alte Sabine tat viel und zog einiges. – Die Quadrupelalliance speisete sich wie den erschlagnen Viehstand mit einem zusammengeschossenen Pickenick, bloß um den Metzgermeister gratis hineinzuziehen; und allerdings erschien ein Liguist, den ich unten nennen werde, in einer Verfassung und Kleidung am Tische, die nicht ernsthaft genug für das Einschlachten vorkam – die Schlacht-Hansa machte sich dann ans Divisionexempel nach der Gesellschaftrechnung, und das goldene Kalb, um das sie tanzten, wurde mit verschiedenen heraldischen Schnitten, wovon ich keine namhaft machen will als den Wellenschnitt, den Klee-, den Haupt-, den Zahn-, den Stufen- und den Querschnitt, gerecht zerschnitzt – – und dann wars vorbei. Ich denke, ich kann keinem etwas Rühmlichers von der ganzen zootomischen Teilung sagen, als was der Teilhaber Siebenkäs selber sagte: »Zu wünschen wär' es, die zwölf Stämme und in den neuern Zeiten das römische Kaisertum wäre so redlich oder vielfach zerteilt worden als unsere Kuh und Polen.«

Dem Embonpoint der letzten wird man sein Recht gegeben haben, wenn man folgendes Lob des Schuhflickers Fecht anführt: »Daß dich alle Schock Kreuz-Mohren-Schwerenot! Du Schwerenöterin! – (Nun auf einmal mit herabgesunkener frommer Stimme:) Nun der liebe Gott hat dem lieben Vieh recht sein Gedeihen geschenkt und uns unwürdige arme Sünder über alle Maßen gesegnet.« Er hatte sich als ein lustiger Springinsfeld ins schwere pietistische Kutschenzeug eingeschirrt und mußte immer seine alten Flüche mit neuen Seufzern versüßen. Und eben auf dieses Fechtes nicht ganz würdige Verfassung und Kleidung zielt' ich oben, da er leider an dem ganzen Einschlacht-Tage keine Hosen anhatte, sondern bloß im weißen Fries-Rock seines Weibes das Zergliederhaus auf- und abrennte und so seine eigne eheliche Hälfte vorstellte; aber die Sozietät verdachte ihm nichts; er konnte nicht anders, denn seine schwarzledernen Bein-Düten wurden, solange als er sich im demi-negligé einer Amazone aufhielt und wie ein Hermaphrodit aussah, im Färbekessel neu aufgelegt oder gedruckt.

Aber endlich wird Kolbe mein Freund, denn ich fahre deutsch fort wie folgt.

Der Armenadvokat hatte Lenetten gebeten, abends 4½ Uhr sich zu ihm zu setzen und sich nicht mehr abzuarbeiten, etwan mit dem Abendessen, er wolle sich heute eines abkargen und nichts genießen als für einen halben Taler Kuchen: die Flinke rannte und fegte; und wirklich schon um 6 Uhr lagen beide in den weiten ledernen Armen – eines breiten Großvaterstuhls (denn er hatte kein Fleisch, sie keine Knochen) und schaueten ruhig-beglückt wie Kinder, welche essen, die meßkünstlerisch-geordnete Stube an und das allgemeine Gleißen und die Kuchen-Mondsicheln in ihren Händen und das flüssige Glanz- oder vielmehr Zwischgold der tiefen Sonne, das sich an dem blinkenden Zinn-Gerät immer höher rückend anlegte – und ihr Ausruhen wurde wie der Schlaf eines Wiegenkindes von den schreienden klappernden zwölf herkulischen Abendarbeiten der andern Leute im Hause umgeben – und der hellere Himmel und die neugewaschenen Fenster setzten der Länge des Tages eine halbe Stunde zu – und der Glocken- oder Stimmhammer des Abendgeläutes stimmte die melodischen Wünsche sanft hinauf, bis sie – Träume wurden. – Um 10 Uhr wachten sie auf und gingen zu Bette...

Ich habe selber eine Freude an diesem kleinen gestirnten Nachtstück, das mein Kopf so glimmend und verschoben gab, wie die vergoldete Halbkugel meiner Uhr tut, wenn ich sie gegen die Abendsonne halte. – Auf den Abend will der gejagte ermattete Mensch in Ruhe sein; für den Abend eines Tages, für den Abend eines Jahrs (für den Herbst) und für den Abend seines Lebens trägt er seine mühseligen Ernten ein, und da hofft er so viel! – Hast du aber nie dein Bild auf abgeernteten Auen gesehen, die Herbstblume oder Zeitlose, welche ihr Blühen auf den Nachsommer verschiebt und die ohne Frucht der Winter überschneiet und die keine erzeugt als im – Frühling darauf? –

Aber wie schlägt die brausende schwellende Flut des Kirchweih-Morgens an die Bettpfosten unsers Helden! Er tritt in die weiße leuchtende Stube, die seine diebisch aufstehende Lenette vor Mitternacht unter seinem ersten Schlafe gewaschen und zu einem Arabien versandet oder überpudert hatte; auf diese Weise hatte sie ihren und er seinen Willen gehabt. An einem Kirmesmorgen rat ich jedem, das Fenster aufzumachen und den Kopf hinauszulegen wie Siebenkäs, um den flüchtigen Bauten und Mieten der kleinen hölzernen Börsen auf dem Markte zuzusehen und dem Fallen der ersten Tropfen des ganzen Wolkenbruchs von Leuten. Nur bemerke der Leser, daß es nicht auf meinen Rat geschah, daß mein Held im Übermute des Reichtums – denn die Musterkarte aller Kuchen im Hause lag freilich hinter seinem Rücken – zu manchem grünen Patrizier-Räupchen, das noch übermütiger vorüberlief und dessen Naturgeschichte er gern aus dessen Gesichte selber lernen wollte, herunterrief: »Ich bitte Sie, betrachten Sie einmal das Haus da: finden Sie nichts?« Hob das Räupchen die Physiognomie empor und streckte sie abschüssig aus: so konnt' er – das wollt' er ja – letzte bequem studieren und durchlaufen. »Gar nichts finden Sie?« fragt' er. Wenn das Kerbtier den Kopf schüttelte: so fiel er oben bei und sagte: »Ganz natürlich! ich gucke seit Jahr und Tag heraus und finde auch nichts, aber ich wollte meinen Augen nicht trauen.«

Unbedachtsamer Firmian! dein gärender Schaum der Lust kann leicht – wie an jenem Sonnabend, wo du Visitenkarten abgabest – zerfallend niedersinken. – Aber vorher schäumte sein Tropfen Most, den er aus den Vormittagstunden auskelterte – alles war frisch und feurig. – Der galoppierende Hausherr warf mit der Puder-Säemaschine Samen auf gutes Land. – Der Buchbinder brachte seine Güter, die teils in leeren Schreibbüchern, teils in noch leerern Gesangbüchern, teils in Novitäten, in Kalendern, bestanden, auf der Achse zu Markt und mußte zweimal fahren mit dem Schiebkarren; aber abends nur einmal zurück, weil er die Kalender (die eigentlichen größten Novitäten oder Neuigkeiten, da im ganzen langen Laufe der Zeiten nichts so neu ist als ein neues Jahr) an Käufer und Verkäufer abgesetzt. – Die alte Sabel hatte ihr ostindisches Haus, ihre Obstkammer und ihr Ringkabinett aus Zinn unter dem Tore geöffnet; sie hätte ihr Warenlager ihrem eignen Bruder nicht für sechs Gulden abgelassen und war überhaupt eine Stadt-, aber keine Landkrämerin. – Der Altreis flickte heute am hl. Michaelistag keinem Menschen einen Schuh als seiner Frau. –

Sauge dich immer voraus, Held, an diesen feinen Raffinad-Zucker des Lebens an und leere den vormittägigen Konfekt-Teller ab; frage nichts nach dem Teufel und dessen Großmutter, sollten beide auch ihrer Natur nach darauf sinnen, irgend einen Sauertopf und Brechbecher, ja Giftbecher aufzutreiben und dir ihn einzugeben.

Des Mannes größte Lust ist aber noch rückständig – nämlich das unzählige Bettelvolk. Ich will die Lust beschreiben und dadurch austeilen.

Eine Kirmes ist überhaupt die Messe, die Bettler jedes Standes jährlich beziehen; schon ein paar Tage vorher drehen sich alle Fußsohlen, die auf nichts zu fußen haben als auf milde Herzen, als Radien nach dem Orte, aber am Morgen der Kirchweih selber kommt erst der bettelnde Jahrgang und die Krüppelkolonne ordentlich in Gang. Ein Mann, der Fürth gesehen, oder der in Ellwangen unter Pater Gaßners Regierung gewesen, der kann diese Blätter aus seinem Exemplar herausschneiden; aber ein anderer hat nicht eher einen Begriff von allem, als bis ich weiter gehe und ihn zum kuhschnappelischen Tore hineinführe.

 

Der Straßen-Gottesdienst und die Sing-Ständchen heben nun an. – Blinde singen, wie geblendete Finken, besser, aber lauter – die Lahmen gehen – die Armen predigen das Evangelium selber – die Taubstummen lärmen sehr und läuten die Messe ein mit einem Glöckchen – einer fähret mitten in die Arie des andern mit seiner eignen hinein – vor jeder Haustüre klappert ein Vaterunser, und drinnen in der Stube kann niemand mehr sein eignes Fluchen hören – einerseits werden ganze Heller-Kabinetter verspendet, anderseits eingesteckt – die einbeinige Soldateska wirft in ihre Stoßgebete Flüche als Pfeffer und sakramentiert entsetzlich, weil man ihr so wenig verehrt – kurz, der Marktflecken, der sich heute letzen wollte, ist fast mit Sturm eingenommen vom Bettelpack.

Jetzo erscheinen erst die Krüppel und Preßhaften. Wer ein verholztes Ersatz- oder Vexierbein unter dem Leibe hält und wem eine katholische Wallfahrt-Kapelle zu weit abliegt, der setzt das Nachbein samt dem langen Drittbein und Mitarbeiter, der Krücke, in Gang nach Kuhschnappel und pfählt und pflanzt den spitzigen Fuß nahe am dortigen Tore in nasses Land und wartet, ob das Holz gedeiht und trägt. Wer keine Arme oder doch keine Hände mehr hat, der strecket beide dort aus nach einer geringen Gabe. Wen der Himmel mit dem Talente der Bettler, mit Krankheit, besonders mit den Bettler-Vapeurs, mit Gicht, mäßig ausgesteuert hat, der nimmt sein Pfund und seinen zur Krankheit gehörigen Körper und erhebt damit seine Römermonate von Gesunden. – Wer nur überhaupt als Kupferstich vorn vor Krankheitlehren ebensogut stehen könnte wie vor Toren: der tritt unter diese und berichtet, was ihm fehlet, und das ist vorderhand das fremde Geld. – Es sind viele Beine, Nasen, Arme in Kuhschnappel zu haben, aber doch noch viel mehr Menschen; jedoch angestaunet, obwohl nicht erreicht, sondern nur beneidet – wiewohl bloß von Makulaturseelen, die keinen Vorzug, ohne ihn zu fodern, sehen können – wird ein außerordentlicher Kerl, der nur halb noch da ist, weil seine andere Hälfte schon im Grabe liegt und ihm alles, ist, was Schenkel heißt, weggeschossen ist; denn diese Schüsse setzen ihn in Stand, das Primat und Generalat der Krüppel an sich zu reißen und sich überhaupt als einen Halbgott, dessen Geist statt eines Körperkleides nur noch ein Kollet, ein kurzes Wams, umhat, auf einem Triumph-Karren vor allen herumschieben zu lassen. »Ein Soldat«, sagte Siebenkäs, »der noch mit einem Beine behaftet ist und der deshalb mit dem Schicksal rechten will und es wohl gar fragt: ›warum bin ich nicht zusammengeschossen wie dieser Krüppel und erfecht' ein so schmales Almosen?‹ der bedenkt nicht, daß auf der einen Seite noch tausend andere Krieger neben ihm sind, die nicht einmal ein hölzernes Bein besitzen (geschweige mehre) und die diesen Brand- und Bettelbrief gänzlich entbehren, und daß er auf der andern Seite, wenn ihm die Kugeln noch so viele Glieder abgenommen, immer noch fragen könnte: ›warum nicht mehr?‹« –

Siebenkäs machte sich lustig über das Elend, weil dieses selber sich lustig macht; aber er schlug auf der andern Seite keinen staatswissenschaftlichen Lärm darüber auf, wenn das Elend zuviel soff und fraß – wenn einmal vor einem Hirtenhause der ganze Lazarettwagen ausstieg, und wenn drinnen die Zugpflaster, die Märtererkronen, die Stachelgürtel und Härenhemden abfielen und nichts übrig blieb als ein frisches menschliches Wesen, das eine Minute aufhörte zu seufzen – und wenn, da alle Menschen nicht bloß um zu leben, sondern um zuweilen besser zu leben, arbeiten, auch der Bettler etwas Besseres haben will als sein tägliches Auskommen, und wenn der Krüppel die Göttin der Freude, die unsere Tanzsäle nur en masque besucht, in seine getäfelte Tanzscheune als Mittänzerin hineinzieht, und wenn ihr im Walzen mit dem Krüppel die schwüle Maske abfällt. – –

Um 11 Uhr warf der Teufel, wie ich halb vermutet, eine Hand voll Brummfliegen in Firmians Brautsuppe – nämlich einen Bräutigam selber, den Hrn. Rosa v. Meyern, der seinen Besuch auf nachmittags (statt einer Realterrition) anbot, weil er da den Marktplatz besser überschauen könne, hatt' er als Patrizier sagen lassen. Arme Honoratioren, die in keinem andern Hause etwas zu befehlen haben als in ihrem eigenen, machen in ihres leicht Schießscharten, um daraus zu feuern auf den Feind, der von – innen angreift. Der Advokat hatte in jede Schale seiner Themiswaage eine Unhöflichkeit gegen den Venner zu werfen und suchte bloß die kleinste herauszufinden – die eine war, ihm sagen zu lassen, er möge bleiben, wo er wäre, die andere war, ihn hereinzulassen und übrigens zu tun, als sitze der Kauz im Monde. – Siebenkäs wählte die letzte als die kleinste.

Die guten Weiber müssen immer die Himmelleiter tragen und halten, auf der die Männer ins Himmelblau und in die Abendröte steigen; diese Visite wurde als eine neue Landfracht auf die zwei Tragestangen der Arme Lenettens geworfen. Die Schwemme aller beweglichen Habe und der Weihwedel aller unbeweglichen kamen wieder in Gang. Lenette war Meyern, dem Bräutigam der Kindermörderin, von Herzen gram: gleichwohl wurden alle Glättmaschinen an die Stube angesetzt; ja ich glaube, Weiber putzen sich für Feindinnen noch besser an als für Freundinnen. – Der Advokat ging mit langen Schlußketten wie ein Gespenst behangen einher und wollt' ihr den Gedanken beibringen, sich um den Hasen nichts zu scheren – es half nichts, sie sagte: »Was würd' er von mir denken!« Bloß als sie seinen alten Dintenkopf, worin er erst Dintenpulver für die Auswahl aus des Teufels Papieren zergehen ließ, als eine Krudität der Stube vertrieben, und als sie an die heilige Arche seines Schreibtisches greifen wollte: dann richtete sich der Ehevogt auf und setzte sich auf die Hinterfüße und zeigte mit den vordern auf die Demarkationlinie.

Rosa erschien! – Verfluchen oder totprügeln konnte den Jüngling eigentlich keine nur ein wenig weiche Seele; man gewann ihn vielmehr allezeit in dem Zwischenraum seiner Streiche lieb. Er hatte weißes Haar an Kopf und Kinn und war überhaupt sanft und hatte wie die Insekten fast Milch statt des Blutes in den Adern, so wie die Pflanzen, die vergiften, meistens weiße Milchsäfte haben. Er vergab leicht, ausgenommen den Mädchen, und vergoß abends im Theater oft mehr Tränen, als er mancher Verführten abgedrücket hatte – sein Herz war überhaupt nicht von Stein oder Höllenstein, und wenn er lange betete, wurd' er andächtig und suchte die ältesten Glaubenlehren hervor, um ihnen beizufallen. – Der Donner war für ihn eine Nachtwächterschnarre, die ihn aufweckte aus dem leisen Schlafe der Sünde. – Dürftigen griff er gern unter die Arme, zumal unter schöne. – Im ganzen genommen kann er selig werden, zumal da er nicht, wie etwan die Schuldner der großen Welt, seine Spielschulden bezahlt, und da er in seinem Herzen ein angebornes Duellmandat gegen Schießen und Hauen besitzt. Sein Wort hält er freilich noch nicht; auch würd' er, wenn er ärmer wäre, ohne Bedenken stehlen. Gewichtigen Leuten legt' er sich wedelnd zu Füßen, aber die Weiber zerrt' er wie ein Schoßhund an der Schleppe oder setzte sich mit entblößtem Gebisse zur Wehre.