Siebenkäs

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Das Publikum sieht, wie wenig der Kauf- und Hauptmann auf mich hielt, weil ich statt der Geschäfte nur Werke machte, ob ich ihm gleich sonst als sächsischer Vikariat-Notarius bei Tag und Nacht beigesprungen war zum Wechselprotest. Ich weiß, wie außerordentliche Professoren der Sittenlehre denken; aber nach einer solchen Mißhandlung getrau' ich mirs bei ihnen zu verantworten, daß ich auf der Stelle wild wurde und die Unhöflichkeiten des Mannes ohne alle Schonung – ob er gleich seiner fünf Sinne nicht mehr mächtig blieb – mit nichts Gelinderm erwiderte als mit einem treuen Vorsagen der – Extrablätter im Hesperus.

Daran mußt' er versterben – ich meine entschlafen...

Dann gingen tausend Glücksterne für Autor und Tochter auf – dann brach unser Fest der süßen Brote an – dann konnt' ich mich ans Vorfenster mit ihr stellen und ihr alles erzählen, was das Publikum nun längst in Händen hat. Ich ließ nichts weg als aus guten Gründen das letzte Kapitel des Hesperus, worin ich, wie bekannt, gefürstet werde. Wahrlich, Süßeres gibt es nichts, als einem eingekerkerten, von Predigten belagerten, weichen, frommen Herzen, das sich auf keinem Geburttagsball – und wär' es der des Superintendenten und seiner Frau – und an keinem Romane – hätt' ihn auch der eigne Gerichthalter verfaßt – erwärmen darf; so linde wie Honigseim ist es, dem belagerten ausgehungerten Herzen einen allmächtigen Entsatz zu schicken und der verhüllten Seele eine Masche in den dicken Nonnenschleier größer zu reißen und ihr dadurch ein blühendes glimmendes Morgenland zu zeigen – die Tränen ihrer Träume aus aufgeschlossnen Augen zu locken – sie über ihre Wünsche zu heben und das weiche, von einem langen Sehnen gepreßte und in harte Ketten gelegte Herz auf einmal losgebunden im Frühlingwehen der Dichtkunst auf und ab zu wiegen und in ihm sanft durch einen feucht-warmen Lenz einen bessern Blumensamen aufzuschwellen, als in dem nächsten Boden aufgeht...

Um 1 Uhr war ich schon fertig und stand im 44ten Kapitel; denn ich hatte zu drei Teilen nur drei Stunden gebraucht, weil ich alle Extrablätter aus dem Buche als Sprecher der Weiber herausgerissen hatte. »Ist der Vater das Kauf-, so ist die Tochter das Lese-Publikum, und man muß sie mit nichts abmartern, was nicht rein historisch ist«, sagt' ich und opferte meine liebsten Ausschweifungen auf, für welche überhaupt eine so reizende Nachbarschaft die Wildbahn nicht ist...

Dann hustete der Alte – fuhr aus dem Sessel – fragte nach der Uhr – wünschte zuerst gute Nacht – schickte mich, der eben dadurch eine einbüßte, fort und sah mich nicht wieder als acht Tage darnach am hl. Abend vor dem Neujahr.

Es wird noch meinen Lesern beifallen, daß ich an diesem Abende wiederzukommen verheißen, weil ich dem Prinzipal einen kurzen Bericht über die Blumenstücke – es ist eben gegenwärtiges Buch – erstatten wollte und sollte.

Ich beteure dem geneigten Leser, daß ich ihm jetzo die Sache nicht anders berichte, als sie war.

Ich erschien denn am letzten Abend des Jahres 1794 wieder, auf dessen rotgefärbten Wellen so viele verblutete Leichname ins Meer der Ewigkeit hineingetrieben wurden. Der Prinzipal empfing mich mit einer Kälte, die ich halb der physischen draußen – denn die Menschen und die Wölfe erbosen sich im Frostwetter am stärksten – zuschrieb, halb auch den Wiener Briefen, d.h. dem Mangel derselben, und ich hatte überhaupt heute nichts beim Manne zu tun. Da ich aber ohnehin am Neujahrtage mit einer Donnerstag-Post aus Scheerau gehen und da ich der guten geliebten Pauline so gern noch einige Paulina, nämlich diese Aufsätze, erzählen wollte, weil ich wußte, sie bekomme eher alle andre Ware auf ihre Ladenbank als diese: so kann doch wahrhaftig kein Redakteur, der Grundsätze hat, darüber hitzig werden, daß ich wieder erschien. Ein solcher hitziger Kopf höre wenigstens den Plan, den ich hatte: ich wollte der stillen Seelenblume erstlich die Blumenstücke als zwei aus Blumen musivisch zusammengelegte Träume geben – dann das DornenstückSo wurden wirklich alle Stücke im ersten Bande der ersten, unverbesserten Auflage geordnet; aber der guten Pauline verschlägt es gewiß nichts, daß ich in der zweiten, so sehr verbesserten mehr an ganz Deutschland denke und alles viel anders reihe. , von dem ich die Dornen, nämlich die Satiren, wegzubrechen hatte, damit für sie nichts übrig bliebe als eine sonderbare Geschichte – und endlich sollte das Fruchtstück zuletzt (wie im Buche selber) aufgetragen werden als ein süßer Frucht-Nachtisch; und in dieser reifen Frucht (vorher hätt' ich mündlich allen philosophischen kühlenden Eisapfelsaft ausgepreßt, den nachher die Presse darin gelassen) – wollt' ich am Ende selber sitzen als Apfelwurm. Dies wäre ein schöner Übergang gewesen zu meinem Abgang oder Abschied; denn ich wußte nicht, ob ich Paulinen, diesen Blumenpolypen mit seinen zuckenden markweichen Fühlfäden, die sich ohne Augen nur aus Gefühl nach dem Lichte wenden, je wieder sehen oder wieder hören würde, sobald mein neuer Fürstenstand auskäme. Mit dem alten faulen Holze, worauf der Polype blühte, hatt' ich ohnehin ohne Wiener Briefe wenig zu verkehren.

Aber das alte Jahr sollte sich, so nahe neben richtigen Wünschen des neuen, noch mit unerfüllten schließen.

Ich habe mir jedoch wenig vorzuwerfen; denn ich suchte dem lebendigen ostindischen Hause sogleich Langweile und Schlaf zu machen, als ich kam und dasselbe nur saß. Das einzige Angenehme, was ich ihm sagte, war, daß ich, da der Gerichtherr einige Injurien gegen meinen Nachfahrer, seinen jetzigen Gerichthalter, ausgestoßen, diese ausdehnte auf alle Juristen und dadurch das Pasquill zur edlern Satire erhob und versüßte: »Ich kann mir die Advokaten und die Klienten als zwei Reihen bei einer Löschanstalt des Gelddurstes vorstellen; die eine Reihe, die der Klienten, steht mit leeren Eimern oder Beuteln hinab, die andre, anwaltende Reihe reicht sich einander die vollen hinauf«, sagt' ich. Das wars.

Ich denke, es war nicht unüberlegt, daß ich ihm das große Kauf-Publikum, da er ein kleineres, nur etliche Fuß langes und dickes ist, mit Zügen vorschilderte, die auf ihn selber paßten; es wurde ja eigentlich an ihm damit bloß der Versuch gemacht, was das Kauf-Publikum selber sagen würde zu folgenden Gedanken: »Das jetzige Publikum, Hr. Hauptmann, wird nach und nach eine solide nord-indische Kompagnie und macht jetzo, dünkt mich, einige Figur neben den Holländern, bei welchen Butter und Bücher bloß ein Artikel des aktiven Handels sind und die für das attische Salz Geschmack haben, womit Beukelszoon die Fische einpökelte, und die ich, ob sie gleich dem Erasmus, der keine aß, für ein besseres eine Statue schenkten, doch damit rechtfertige, daß sie dem obigen Einsalzer noch früher eine haben meißeln lassen. Selber Campe, welcher die Verfasser des Spinnrades und der braunschweigischen Mumme den Formern und Braumeistern der Heldengedichte keinesweges unterordnet, wird mir recht geben, wenn ich sage, daß jetzo aus dem Deutschen etwas werde – nämlich ein gesetzter gründlicher Mann – ein Handelmann – ein Geschäftmann – ein Mann von Jahren, der Eßbares von Denkbarem zu sichten und dieses wegzuschaffen weiß, der Nachdrucker von Verlegern, und die Manufakturisten von beiden unterscheidet und reinigt – ein Spekulant, der, so wie die Hühner vor den mit Fuchsdärmen bezognen Harfen davonfliegen, seinerseits gar keine poetische Harfe hören kann, und hätte sie der Harfener mit seinem eignen Gedärm besaitet – der nun bald keine zeichnende Künste mehr dulden wird als auf WarenballenIch bitte inständig denjenigen Teil des Publikums, mit dessen Schilderung es auf den Haupt- und Kaufmann gemünzt ist, solche nicht auf sich zu beziehen; ich scherze oben offenbar, und meine Absicht ist ja klar. keine Druckerei als auf Kattun.« – – –

– Hier sah ich zu meinem Erstaunen, der Handelmann sei schon eingeschlafen und habe seinen Sinnen-Kaufladen geschlossen. Es ärgerte mich, ihn so lange umsonst gefürchtet und angeredet zu haben; ich war nichts als der Teufel gewesen und er der König Salomo, welchen der Böse für lebendig gehalten.Die Teufel mußten, sagt der Koran, dem Salomo dienen. Nach seinem Tode wurd' er ausgestopft und durch einen Stab in der Hand und durch einen andern, ans Steißbein gestemmten auf einen so scheinbar-lebendigen Fuß gesetzt, daß es die Teufel selber nicht früher merkten, als bis die Hinterachse von Würmern zernagt wurde und der Souverän umkugelte. S. Boysens Koran in Michaelis' Orientalischer Bibliothek.

Inzwischen, um ihn nicht aufzuwecken durch einen schnellen Tonwechsel, setzt' ich ruhig das Gespräch mit ihm fort; redete ihn aber, immer weiter gegen das Fenster fortrückend und wegschleichend, mit folgendem leisen diminuendo der Stimme an: »und von einem solchen Publikum erwart' ich sehr, daß es einmal über Altarblätter Schuhblätter setzen lernt, und daß es bei dem moralischen und philosophischen Kredit eines Professors vor allen Dingen fragt: ›Ist der Mann gut?‹ – Und ferner ist zu erwarten, daß ich jetzo, teuerste Zuhörerin (setzt' ich in unverändertem Torte dazu, um dem Schläfer dasselbe Geräusch vorzumachen), Ihnen die Blumenstücke vorerzählen werde, die ich gar noch nicht einmal zu Papier gebracht und die ich leicht heute zu Ende führe, wenn Sie dort (der Vater Jakobus) so lange schlafen.«

Ich fing also folgendergestalt an:

N.S. Es wäre jedoch lächerlich, wenn ich die ganzen Blumen- und Dornenstücke, da sie schon sogleich im Buche selber auftreten, wieder in die Vorrede wollte hereindrucken lassen. Aber zu Ende dieses Buchs will ich das Ende der Vorrede und dieses hl. Abends beifügen und mich dann an das zweite Bändchen machen, damit es zu Ostern zu haben ist.

Hof, den 7. Nov. 1795.

Jean Paul Friedr. Richter.

Ehestand, Tod und Hochzeit
des
Armenadvokaten F. St. Siebenkäs
im
Reichsmarktflecken Kuhschnappel

*

 
Ein treues Dornenstück

Erstes Kapitel

Hochzeittag nach dem Respittage – die beiden Ebenbilder – Schüsseln-Quintette in zwei Gängen – Tischreden – sechs Arme und Hände

Der Armenadvokat Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel hatte den ganzen Montag im Dachfenster zugebracht und sich nach seiner Braut umgesehen; sie sollte aus Augsburg früh ein wenig vor der Wochenbetstunde ankommen, damit sie etwas Warmes trinken und einmal eintunken könnte, ehe die Betstunde und die Trauung angingen. Der Schulrat des Orts, der gerade von Augsburg zurückfuhr, hatte versprochen, die Verlobte als Rückfracht mitzunehmen und ihren Kammerwagen oder Mahlschatz hinten auf seinen Koffer zu binden. Sie war eine geborne Augsburgerin – des verstorbenen lutherischen Ratkopisten Egelkraut einzige Tochter –, wohnte in der Fuggerei in einem geräumigen Hause, das vielleicht größer war als mancher Salon, und war überhaupt nicht unbemittelt, da sie nicht wie pensionierte Hof-Soubretten von fremder Arbeit lebte, sondern von eigner; denn sie hatte die neuesten Kopf-Trachten früher als die reichsten Fräulein in den Händen (wiewohl in einem Formate, daß keine Ente den Putz aufsetzen konnte) und führte nach dem kleinen Baurisse die schönsten Hauben im großen aus, wenn sie einige Tage vorher bestellt waren.

Alles, was Siebenkäs unter dem Warten tat, waren einige Eidschwüre, daß der Teufel das Suchen und seine Großmutter das Warten ausgesonnen. Endlich erhielt er noch früh genug statt der Braut einen Nachtboten mit einem Schreiben des Schulrats: er und die Verlobte könnten unmöglich vor Dienstags eintreffen, sie arbeite noch an ihrem Brautkleide, und er noch in den Bibliotheken der Exjesuiten und des Geheimen Rat Zapf und der Gebrüder Veith und an einigen Stadttoren. Letzte bewahren bekanntlich uns noch römische Altertümer. Indes Siebenkäsens Schmetterlingrüssel fand in jeder blauen Distelblüte des Schicksals offne Honiggefäße genug; er konnte doch am leeren Montag die letzte Arm-Feile und den Glättzahn an seine Stube legen, mit Schreibfedern den Streusand und den Staubpuder vom Tische fegen, das papierne Geniste hinter dem Spiegel ausreuten, das Dintenfaß von Porzellan mit unsäglicher Mühe weißer wischen und die Butterbüchse und die Kaffeetäßchen auf dem Throngerüste eines Schrankes mehr weiter hervor in Reih und Glied stellen und die Messingnägel am ledernen Großvaterstuhl blitzgelb scheuern. Er unternahm die neue Tempelreinigung seiner Stube nur aus Langweile; denn ein Gelehrter hält bloß Ordnung der Bücher und Papiere für eine; zweitens behauptete der Armenadvokat: »Ordnungliebe ist, geschickt erklärt, nichts als die schöne Fertigkeit des Menschen, ein Ding noch zwanzig Jahre lang immer an den alten Ort zu setzen, der Ort selber kann sitzen, wo er will.« – Er hatte nicht nur eine schöne Stube, sondern auch einen langen roten Eßtisch zur Miete, den er an einen niedrigen gestoßen, desgleichen hohe Kröpel-Stühle; auch die Mietherren der Möbeln und der Stube, die sämtlich in diesem Hause wohnten, hatt' er sich auf seinen blauen Montag geborgt gehabt; es wäre sonach herrlich an diesem abgelaufen, weil die meisten Hausleute Handwerker waren und also ihrer in seinen fiel; denn bloß der Mietherr war etwas Bessers, nämlich ein Perückenmacher.

Ich müßte mich schämen, einen Armenadvokaten, der selber einen bedürfte, mit meinen kostbaren historischen Farbestoffen abzufärben, wenn hier der Fall wirklich so wäre; aber ich habe die Vormundschaft-Rechnungen meines Helden unter den Händen gehabt, aus denen ich stündlich vor Gericht erweisen kann, daß er ein Mann von wenigstens zwölfhundert Gulden rhnl. war, ohne die Interessen. Nur hatt' er leider aus den Alten und aus seinem Humor eine unleugbare Verachtung gegen das Geld, dieses metallne Räderwerk des menschlichen Getriebes, dieses Zifferblattrad an unserm Werte, geschöpft, indes doch vernünftige Menschen, z.B. die Kaufleute, einen Mann ebenso hoch schätzen, der es einnimmt, als den, der es wegschenkt, wie ein Elektrisierter den leuchtenden Heiligenschein um den Kopf bekömmt, der Äther mag in ihn ein- oder aus ihm ausströmen. Ja Siebenkäs sagte sogar – vorher tat ers –, man müsse den Bettelsack zuweilen aus Spaß überhängen, um den Rücken für ernsthafte Zeiten daran zu gewöhnen; und er glaubte sich zu retten und zu loben, wenn er fortfuhr: es sei leichter, die Armut zu tragen wie Epiktet, als sie zu wählen wie Antonin, so wie es leichter sei , als Sklave das eigne Bein zum Zerschlagen hinzuhalten, als andern Sklaven ihres ganz zu lassen, wenn man einen ellenlangen Zepter führt. Daher behalf er sich zehn Jahre außer Landes und ein halbes im Reichsmarktflecken, ohne nur einen Kreuzer Zinsen seiner Erbschaftmasse seinem Vormund abzufordern. Da er nun seine eltern- und geldlose Braut auf einmal als Steigerin in ein ausgezimmertes Silberbergwerk fahren lassen wollte – dafür hielt er seine zwölfhundert Gulden mit rückständigen Zinsen –: so flößte er ihr gern im Vorbeigehen in Augsburg den Glauben ein, er habe bloß das liebe Brot, und das wenige, was er erschwitze, gehe von der Hand in den Mund und Magen, nur arbeit' er wie einer und frage wenig nach einem Großen und Kleinen Rate. »Ich will verdammt sein«, hatt' er längst gesagt, »wenn ich eine heirate, die weiß, was ich rentiere; die Weiber halten ohnehin einen Ehemann für den lebendigen Teufel, dem sie ihre Seele – oft ihr Kind – verschreiben, damit der Böse ihnen Hecktaler und Eßwaren zutrage.« –

Auf den längsten Sommer- und Montag folgte eine längste Winternacht, was bloß astronomisch unmöglich ist. Am frischen Morgen fuhr der Schulrat Stiefel vor und hob aus der Kutschenarche (feine Lebensart ziert einen gelehrten Mann doppelt) einen Haubenkopf statt der Braut aus dem Wagen und befahl, das übrige Eingebrachte derselben, das in einem weißverblechten Reisekasten bestand, abzuladen, indes er mit dem Kopfe unter dem Arme zum Advokaten hinauflief: »Ihre werte Verlobte«, sagt' er, »muß gleich nachkommen; sie putzt sich draußen im Vorwerk für das heilige Werk an und bat mich, vorauszufahren, damit Sie nicht ungeduldig würden. Eine wahre Frau nach Salomons Sinn, zu der ich höchlich gratuliere!«

– – »Der Herr Advokat Siebenkäs, meine Schönste? – zu dem kann ich Sie führen, er sitzt bei mir selber, meine Beste, und ich werde Sie den Augenblick bedienen«, sagte der Perückenmacher unten an der Türe und wollte sie an der Hand hinauf geleiten; aber da sie ihren zweiten Haubenkopf noch in der Kutsche sitzen sah, nahm sie ihn wie ein Kind auf den linken Arm (der Haarkräusler wollte den Kopf vergeblich tragen) und stieg ihm wankend in das Männerzimmer nach. Sie reichte mit einem tiefen Kniebeugen und leisen Grüßen dem Bräutigam bloß die rechte Hand hin, und auf dem vollen runden Gesichtchen – alles ründete sich daran, Stirn, Auge, Mund und Kinn – blühten die Rosen weit über die Lilien hinüber, waren aber desto lieblicher zu schauen unter dem großen schwarzen Seidenhute, und das schneefarbige Mousselinkleid mit einem vielfarbigen Strauße welscher Blumen und mit den weißen Schuhspitzen gaben der schüchternen Gestalt Reize über Reize. Sie band sogleich – weil nicht mehr Zeit zum Kopulieren und Frisieren übrig war – ihren Hut los und legte das Myrtenkränzchen darunter, das sie im Vorwerke der Leute wegen versteckt, auf den Tisch, damit ihr Kopf gehörig wie der Kopf anderer Honoratioren für die Trauung zurechtgemacht und gepudert würde durch den schon passenden Mietherrn.

Du liebe Lenette! Eine Braut ist zwar viele Tage lang für jeden, den sie nicht heiratet, ein schlechtes, mageres hl. Schaubrot, und für mich vollends; aber eine Stunde nehm' ich aus – nämlich die am Morgen des Hochzeittages –, worin die bisherige Freiin in ihrem dicken Putze zitternd, mit Blumen und Federn bewachsen, die ihr das Schicksal mit ähnlichen bald ausreißet, und mit ängstlichen andächtigen Augen, die sich am Herzen der Mutter zum letzten und schönsten Mal ergießen; mich bewegt diese Stunde, sag' ich, worin diese Geschmückte auf dem Gerüste der Freude so viele Trennungen und eine einzige Vereinigung feiert, und worin die Mutter vor ihr umkehrt und zu den andern Kindern geht und die Ängstliche einem Fremden überlässet. Du froh pochendes Herz, denk' ich dann, nicht immer so wirst du dich unter den schwülen Ehejahren heben, dein eignes Blut wirst du oft vergießen, um den Weg ins Alter fester herabzukommen, wie sich die Gemsenjäger ans Blut ihrer eignen Fersen halten. – – Dann möcht' ich zu den zuschauenden und neidischen Jungfrauen auf dem Wege zur Kirche hinaustreten und sagen: mißgönnt der Armen die Wonne einer vielleicht flüchtigen Täuschung nicht so sehr – ach ihr sehet wie sie heute den Zank- und Schönheitapfel der Ehe nur in der Sonnenseite der Liebe hangen, so rot und so weich; aber die grüne, saure, im Schatten versteckte Seite des Apfels sieht niemand. – Und wenn ihr jemals eine verunglückte Ehegattin herzlich bedauert habt, welche den veralteten Brautputz nach zehn Jahren von ungefähr aus dem Kleiderfache zog, und in deren Augen auf einmal alle Tränen über die süßen Irrtümer drangen, die sie in zehn Jahren verloren, wißt ihr denn das Gegenteil von der Beneideten so gewiß, die vor euch glänzend vorüberzieht? –

Ich wäre aber nicht unerwartet in diese fremde Tonart von Rührung ausgewichen, wenn ich mir nicht Lenettens Myrtenkränzchen unter dem Hute (ich wollte nur oben nichts von meiner Empfindung sagen) und ihr Alleinsein ohne eine Mutter und ihr angepudertes weißes Blumengesichtchen zu lebhaft vorgestellt hätte und vollends dazu die Bereitwilligkeit, womit sie ihre jungen weichen Arme (sie war schwerlich über neunzehn Jahre) in die polierten Handschellen und Kettenringe der Ehe steckte, ohne nur umzuschauen, an welche Plätze man sie daran führen würde ... Ich könnte hier die Finger aufheben und einen Schwur ableisten, daß der Bräutigam so gerührt war wie ich, wo nicht stärker; zumal wie er den Aurikeln-Puder aus dem Blüten-Gesichte gelind abstrich und die Blumen darin nackt aufblühen ließ. Aber er hatte sein mit Liebetränken und Freudentränen vollgegossenes Herz sehr behutsam herumzutragen, wenn es nicht überlaufen sollte zu seiner Schande vor dem lustigen Haarkräusler und dem ernsten Schulrate. Auch litt er das Überlaufen nicht an sich. Er versteckte, ja verhärtete gern die reinste Erweichung, weil er immer an die Poeten und Schauspieler dachte, welche die Wasserwerke ihrer Empfindung zur Schau springen lassen; und weil er überhaupt über niemand so oft lachte als über sich. Deshalb war heute sein Gesicht von einer sonderbaren lächelnden Verlegenheit, die nur von den naßschimmernden Augen die bessere Bedeutung erhielt, durchzogen und ausgezackt. Da er bald merkte, daß er sich noch nicht genug verberge, wenn er bloß den Handlanger des Perückenmachers und den Proviantkommissarius des Frühstücks vorstelle: so griff er zu einem stärkern Mittel und fing an, sich und seine bewegliche Habe vor Lenetten in ein schönes Licht zu setzen, und fragte: »Liegt meine Stube nicht artig genug, Mademoiselle? – Von hier aus kann ich grade in die Rathaus-Fenster auf den Sitztisch und die Dintenfässer gucken. – Viele von den Stühlen wurden im Frühjahr um vierthalbes Geld erstanden, und sind solche vielleicht niedlich. – Aber mein alter guter Großvaterstuhl« (er hatte sich hineingesetzt und auf dessen gepolsterten Arme seine magern hingestreckt) »geht den Stühlen vielleicht im Großvatertanz voran; wie sie so sanft ruhen, Arm auf Arm. – Mein Tischteppich hat gutgewirkte Blumen, aber das Kaffeebrett wird, hör' ich, wegen seiner lackierten Flora vorgezogen; in jedem Falle tragen beide das Ihrige in Blumen auf. – Mein Leyser ziert mit seinen schweinledernen Meditationen das Zimmer sehr – in der Küche sieht es noch schöner aus, ein Topf steht am andern und das übrige daneben, sogar der Hasenbrecher und die Hasengabel, zu denen sonst mein seliger Vater die Hasen geschossen.«

Die Braut lächelte so vergnügt ihn an, daß ich fast glauben soll, sie hat bis in ihre Fuggerei durch 20 aneinander gestellte Hör- und Sprachröhre fast alles von seinen 1200fl. rhnl. und den Interessen erhorcht; um so leichter begreif' ichs, wenn sich die Welt die Stunde zu erleben sehnt, wo er ihrs einhändige.

Es wird meinen Leserinnen nicht unangenehm zu erfahren sein, daß der Bräutigam jetzo einen leberfarbenen Ehren-Frack antat, und daß er ohne Halsstrang oder Binde und ohne Haarstrang oder Zopf zum hl. Werke in den Frühgottesdienst mit seiner Putzmacherin schritt, unterweges zu seinem eignen satirischen Vergnügen sich die verleumderischen Augen der Kuhschnapplerinnen vorstellend, womit sie der guten Fremden über den Markt bis zum Opferaltare ihres väterlichen Namens nachliefen. »Mäßiges Verleumden«, sagt' er von jeher, »sollte man einer Ehefrau, als einen geringen Ersatz ihrer verlornen Schmeicheleien, eher erleichtern als versalzen.- Der Schulrat Stiefel hütete die Hochzeitstube und entwarf auf dem Schreibtische eine kurze Rezension von einem Programm. – Ich sehe zwar jetzo das geliebte Paar am Altargeländer knieen und könnte dasselbe wieder mit meinen Wünschen, wie mit Blumen, bewerfen, besonders mit dem Wunsche, daß beide den Eheleuten im Himmel ähnlich werden, die allemal, nach Swedenborgs Vision, in einen Engel verschmelzen – wiewohl sie auf der Erde oft in der Hitze auch zu einem Engel, und zwar zu einem gefaltnen einkochen, woran des Weibes Haupt, der Mann, den stößigen Kopf des Bösen vorstellt – noch einmal wünschen könnt' ich, sag' ich; aber meine Aufmerksamkeit wird, so wie die aller Trauzeugen, auf eine außerordentliche Begebenheit und Vexiergestalt hinter der Liedertafel des Chors gelenkt. – –

 

Droben guckt nämlich herunter – und wir sehen alle in der Kirche hinauf – Siebenkäsens Geist, wie der Pöbel sagt, d.h. sein Körper, wie er sagen sollte. Wenn der Bräutigam hinauf schauet: so kann er erblassen und denken, er sehe sich selber. – – Die Welt irrt; rot wurd' er bloß. Sein Freund Leibgeber stand droben, der schon seit vielen Jahren ihm geschworen hatte, auf seinen Hochzeittag zu reisen, bloß um ihn zwölf Stunden lang auszulachen. Einen solchen Fürstenbund zweier seltsamer Seelen gab es nicht oft. – Dieselbe Verschmähung der geadelten Kinderpossen des Lebens, dieselbe Anfeindung des Kleinlichen bei aller Schonung des Kleinen, derselbe Ingrimm gegen den ehrlosen Eigennutz, dieselbe Lachlust in der schönen Irrenanstalt der Erde, dieselbe Taubheit gegen die Stimme der Leute, aber nicht der Ehre, dies waren weiter nichts als die ersten Ähnlichkeiten, die sie zu einer in zwei Körper eingepfarrten Seele machten. Auch dieses, daß sie Milchbrüder im Studieren waren und einerlei Wissenschaften, bis auf die Rechtsgelehrsamkeit, zu Ammen hatten, rechn' ich, da oft gerade die Gleichheit der Studien ein auflösendes Zersetzmittel der Freundschaft wird, nicht am höchsten an. Ja nicht einmal die bloße Unähnlichkeit ihrer ungleichnamigen Pole (denn Siebenkäs verzieh, Leibgeber bestrafte lieber, jener war mehr eine horazische Satire, dieser mehr ein aristophanischer Gassenhauer mit unpoetischen und poetischen Härten) entschied ihr Anziehen. Aber wie Freundinnen gern einerlei Kleider, so trugen ihre Seelen ganz den polnischen Rock und Morgenanzug des Lebens, ich meine zwei Körper von einerlei Aufschlägen, Farben, Knopflöchern, Besatz und Zuschnitt: beide hatten denselben Blitz der Augen, dasselbe erdfarbige Gesicht, dieselbe Länge, Magerheit und alles; wie denn überhaupt das Naturspiel ähnlicher Gesichter häufiger ist, als man glaubt, weil man es nur bemerkt, wenn ein Fürst oder ein großer Mann einen körperlichen Widerschein wirft. Daher wollt' ich ordentlich, Leibgeber hätte nicht gehinkt, damit man ihn nicht daran von Siebenkäsen unterscheiden können, zumal da dieser auch sein Kennzeichen, das ihn von jenem absondern konnte, geschickt wegradiert und weggeätzt hatte durch eine lebendige Kröte, die er auf dem Kennzeichen krepieren lassen; es war nämlich ein pyramidalisches Muttermal neben dem linken Ohr gewesen, von der Gestalt eines Triangels oder des Zodiakalscheins oder eines aufgestülpten Kometenschwanzes, eigentlich eines Eselohrs. Halb aus Freundschaft, halb aus Neigung zu tollen Szenen, die ihre Verwechslung im gemeinen Leben gab, wollten sie ihre algebraische Gleichung noch weiter fortsetzen – sie wollten nämlich einerlei Vor- und Zunamen führen. Aber sie gerieten darüber in einen schmeichelnden Hader: jeder wollte der Namenvetter des andern werden, bis sie den Hader endlich dadurch schlichteten, daß beide die eingetauschten Namen behielten und also die Otaheiter nachahmten, bei denen Liebende auch die Namen mit den Herzen wechseln. Da es schon mehre Jahre her ist, daß mein Held durch den befreundeten Namendieb um seinen ehrlichen Namen gekommen und dafür den andern ehrlichen eingewechselt: so kann ichs nicht anders machen in meinen Kapiteln, ich muß ihn als Firmian Stanislaus Siebenkäs in der Liste fortführen, wie ich ihn bei der Schwelle vorstellte – und den andern als Leibgeber –, ob mir gleich kein Kunstrichter zu sagen braucht, daß der mehr komische Name Siebenkäs besser für den mehr humoristischen Ankömmling passe, den einmal die Welt noch genauer kennen lernen soll als mich selber.»Und zwar in der längsten, aber besten Biographie, die ich je geschrieben und zu welcher mir täglich ganze Karren mit Aktenstücken, Urkunden, Attestaten u.s.w. vor die Tür geschoben werden, weil ich kein Wort schreiben will, das ich nicht verbriefen kann.« – Diese ganze Note stand in der frühern Auflage; ist aber wohl in der gegenwärtigen entbehrlich, da der Titan längst in aller Händen ist. – –

– Als beide Ebenbilder einander in der Kirche erblickten, lockerten und kräuselten sich ihre errötenden Gesichter sonderbar, über die der Zuschauer so lange lächelte, bis er sie mit den im flüssigen Feuer der gerührtesten Liebe schwimmenden Augen zusammenhielt. Leibgeber zog im Chore unter dem Ringwechsel eine Schere und ein schwarzes Quartblatt aus der Tasche und schnitt von ferne das Gesicht der Braut in sein Schattenpapier hinein. Die Schattenreißerei gab er gewöhnlich für die Proviantbäckerei auf seinen ewigen Reisen aus, und ich führe – da der seltsame Mann, wie es scheint, nicht entdecken will, auf welchen Höhen sich die Quellen sammeln, die ihm unten in den Tälern springen – lieber gutmütig und gläubig an, daß er oft über seine Schattenreißerei zu sagen pflegte: fallen doch schon vom Beschneiden für den Buchbinder, den Briefsteller, den Advokaten Brotschnitte mit den weißen Papierschnitzeln ab; mit schwarzen aber, es sei von Schattenrissen oder von weißen Trauerbriefen mit schwarzen Rändern, falle noch mehr ab, und verstehe man vollends die freie Kunst, seinen Nebenchristen vermittelst mehrer Glieder schwarz abzubilden, z. B. vermittelst der Zunge, was er ein wenig könne, so läute die Fortuna – diese wahre babylonische Hure – sich an der Eßglocke und dem Wandelglöckchen eines solchen Mannes halb lahm. –

Noch unter dem Händeauflegen des Diakonus kam Leibgeber herunter und trat hart an den rotsamtnen Altarschemel und hielt, als es aus war, nach einer halbjährigen Trennung und bei einer solchen Verbindung folgende etwas lange Anrede: »Guten Morgen, Siebenkäs!« – Mehr sagten sie einander nach Jahren nie; und so wird ihm bei der Auferstehung der Toten Siebenkäs auch gerade so repartieren wie heute: »Guten Morgen, Leibgeber!« – Das zwölfstündige Auslachen aber, das oft Freunde einander leicht in der Ferne drohen, wurde dem mit allem Humor vereinbarlichen Zartgefühl durch die Rührung unmöglich, womit man seinen Freund in den Vorhof eines neuen labyrinthischen Gebäudes unseres unterirdischen Daseins treten sieht. –

Ich bekomme jetzo vor meinen Schreibtisch die lange Hochzeittafel gestellt, bei welcher zu bedauern ist, daß kein Gemälde davon an den mit Herkulaneum untergesunknen Vasen steht – man hätt' es mit herausgescharrt und in den herkulanischen Zeichnungen matt kopieret – – und diese Nachzeichnung könnt' ich dann statt alles hersetzen. Wenige haben eine bessere Meinung von dem Vermögen meiner Feder als ich selber; aber ich sehe völlig, daß es meines und ihres übersteigt, nur zur Hälfte und schlecht in schwarzer Manier darzustellen, wie es den Gästen schmeckte (es waren fast so viele da als Stühle) – wie noch dazu kein einziger Schelm unter den ehrlichen Leuten saß (denn der Vormund des Bräutigams, der Heimlicher von Blaise, hatte sich entschuldigen und sagen lassen, er vomiere) – wie der Haus- oder Mietherr, ein lustiger, schwindsüchtiger Sachse, durch sein Pudern und Trinken nicht in die Welt hinein lebte, sondern aus ihr hinaus – wie man an die Gläser mit der Gabel und auf die Teller mit den Markknochen schlug, um jene zu füllen, um diese zu leeren – wie im ganzen Hause niemand, weder der Schuster, noch der Buchbinder, arbeitete, außer unter dem Essen, und wie sogar die alte unter dem mausfarbnen Tore verhökende Sabel (Sabine) heute ihren Kramladen nicht erst mit dem Tore geschlossen, sondern vorher – wie nicht bloß ein Gang aufgetragen wurde, sondern ein zweiter, ein Doppelänger. Wer freilich an großen Tafeln gegessen und da gesehen hat, wie fünf Schüsseln, wenn zwei Gänge sind, sich nach Ranggesetzen stellen müssen: dem ist es nichts Unerhörtes oder Überprächtiges, daß Siebenkäs – die Perückenmacherin hatte alles gemacht – beim ersten Gange stellen ließ