Zu den Klippen von Vanikoro

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VIERTES KAPITEL

Die Cook Bay auf der Osterinsel liegt unter 27 Grad 11 Minuten südlicher Breite und 111 Grad 55 Minuten 30 Sekunden westlicher Länge. Gleich mit Anbruch des Tages ließ ich alles für unsere Landung vorbereiten. Ich durfte hoffen, auf der Insel Freunde zu finden, weil ich alle diejenigen, die tags zuvor an Bord gekommen waren, reichlich beschenkt hatte. Indes war mir aus den Berichten anderer Seefahrer sattsam bekannt, dass man diese Indianer als große Kinder ansehen muss, in denen beim Anblick europäischer Gerätschaften so heftige Begierden entstehen, dass sie sich alles Mögliche einfallen lassen, um ihrer habhaft zu werden. Ich hielt es daher für ratsam, mir rechtzeitig bei ihnen Respekt zu verschaffen, und traf deshalb die Anordnung, unsere Landung mit kriegerischem Pomp zu inszenieren. Diese Wirkung erreichten wir dadurch, dass wir mit vier Booten unter einer Bedeckung von zwölf bewaffneten Soldaten an Land gingen. Herr de Langle und ich hatten ein Gefolge von ungefähr siebzig Personen: Es begleiteten uns alle an Bord befindlichen Wissenschaftler, alle Offiziere außer den diensttuenden sowie die Mannschaften unserer Ruderboote. Am Ufer erwarteten uns vierhundert oder fünfhundert Indianer; sie waren unbewaffnet, einige hatten sich mit einzelnen Stücken gelben oder weißen Stoffs geschmückt, die meisten aber waren vollständig nackt. Mehrere dieser Leute trugen Tätowierungen und hatten ihre Gesichter mit roter Farbe bemalt. Ihr Geschrei und ihr Mienenspiel bekundeten Freude. Sie kamen uns bis ins Wasser entgegen und reichten uns die Hand, um uns beim Aussteigen aus den Booten zu helfen.

Die Höhe der Insel beträgt in dieser Gegend ungefähr zwanzig Fuß; die Berge liegen sieben- bis achthundert Klafter landeinwärts; vom Fuß dieser Berge an fällt das Land sanft zum Meer ab. Diese Fläche ist von einer Grasart bedeckt, die, wie ich glaube, ein gutes Rinderfutter abgäbe. Im Gras liegen obenauf große Wackersteine, die mit denjenigen absolut identisch sind, die man auf Île-de-France8 Giraumons oder Flaschenkürbisse nennt, weil sie in Form und Umfang an diese erinnern. Diese Steine hinderten uns zwar am Gehen, sind aber eine Wohltat der Natur; sie erhalten nämlich den Boden immer feucht und kühl und ersetzen auf diese Weise erquickenden Schatten der Bäume, die die Inselbewohner unbedachterweise schon vor undenklichen Zeiten gefällt haben, mit dem Resultat, dass ihr Land von der heißen Sonne ausgedörrt wird und sie ohne Wassergräben, Bäche und Quellen auskommen müssen. Diese unwissenden Leute hatten nicht herausgefunden, dass es auf kleinen, in einem unermesslichen Ozean liegenden Inseln die Vegetation ist, die die Wolken anzieht und in bergigen Gegenden jene starken Regenfälle hervorruft, die dann in der Form von Quellen und Bächen ein ganzes Eiland bewässern. Darum herrscht auf Inseln ohne hohe, schattenspendende Bäume eine fürchterliche Dürre. Herr de Langle war ganz meiner Meinung, dass dieses Volk seine jetzige traurige Lage bloß der Unwissenheit seiner Vorfahren zuzumessen hat. Auch ist es sehr wahrscheinlich, dass es anderen Südseeinseln nur darum nicht an Wasser gebricht, weil sie glücklicherweise sehr hohe und unzugängliche Gebirge besitzen, in denen es schlechterdings nicht möglich war, alle Bäume abzuholzen. Während meines langen Aufenthalts auf Île-de-France, einer Insel, die mit der Osterinsel eine auffällige Ähnlichkeit aufweist, konnte ich beobachten, dass Bäume, die nicht durch andere Bäume oder durch steinerne Mauern gegen die Seewinde geschützt sind, nicht wachsen können; diese Erfahrung gilt auch für die Osterinsel und erklärt deren Verwüstung. Die Bewohner der Insel sollten sich, statt über ihre längst erloschenen Vulkane, über ihren unklugen Umgang mit der Natur beklagen. Da sich der Mensch aber besser als jedes andere Lebewesen den einmal gegebenen Umständen anpasst, kamen mir diese Insulaner bei Weitem nicht so unglücklich vor, wie Kapitän Cook und der Deutsche Förster sie geschildert haben. Diese kamen freilich nach einer langen, mühseligen Reise hier an, litten Mangel an allem und waren skorbutkrank; sie konnten weder Wasser noch Holz oder Schweine bekommen, einige wenige Hühner, Bananen und Süßkartoffeln halfen ihnen auch nicht viel weiter. So spiegeln ihre Reiseberichte im Grunde nur ihre schlimme Lage. Die unsrige war weitaus günstiger. Die Mannschaft beider Schiffe war kerngesund, wir hatten uns in Chile auf mehrere Monate mit allen nur erdenklichen Vorräten versehen und begehrten von den Bewohnern der Osterinsel weiter nichts als die Erlaubnis, ihnen Wohltaten erweisen zu dürfen. Wir überbrachten diesem Völkchen Schafe, Ziegen und Schweine sowie die Samen von Orangen- und Zitronenbäumen, Baumwolle, Mais und anderen Pflanzenarten, die im dortigen Klima gedeihen konnten.


Karte und Ansichten der Osterinsel – aufgenommen im April 1786 an Bord der französischen Fregatten La Boussole und L’Astrolabe

Nachdem wir uns ausgeschifft hatten, stellten sich die mich begleitenden bewaffneten Soldaten auf mein Geheiß in einem weiten Kreis auf. Wir gaben den Inselbewohnern zu verstehen, dass sie die Kreisfläche nicht betreten dürften. Hier schlugen wir ein Zelt auf. Als dies geschehen war, ließ ich die für sie bestimmten Geschenke an Land schaffen. Da ich ausdrücklich befohlen hatte, dass keiner von unseren Leuten Schüsse abgeben, ja selbst die zudringlichsten Indianer nicht mit dem Flintenkolben zurückstoßen solle, kamen wir rasch in arge Verlegenheit. Das Gedränge wuchs, es kam zu Rangeleien, denn die Begierde der Insulaner ließ sich kaum mehr eindämmen. Zuletzt umringten uns mindestens achthundert Personen, darunter bestimmt hundertfünfzig Weiber. Viele von ihnen waren hübsch und äußerst entgegenkommend, sie boten ihre Gunst jedem an, der ihnen etwas dafür geben wollte. Die Indianer bedeuteten uns, dass wir uns dieser Frauen und Mädchen bedienen sollten. Einige von ihnen boten uns sogar eine Demonstration der Vergnügen, die uns erwarteten; von den Gaffern, die uns bedrängten, waren diese Paare nur durch eine einfache Decke aus einheimischem Stoff getrennt. Während uns die Weiber mit ihren Liebkosungen heimsuchten, wurden uns die Hüte von den Köpfen und die Schnupftücher aus den Taschen gestohlen. Dass diese Diebstähle verabredet und alle Komplizen waren, konnte man daraus ersehen, dass alle nach vollbrachter Tat im selben Augenblick die Flucht ergriffen und wie ein Vogelschwarm aufflogen. Als sie sahen, dass wir von unseren Gewehren keinen Gebrauch machten, kamen sie nach einigen Minuten wieder zurück. Die Weiber fingen erneut an, mit uns zu schmusen, die Männer passten einen günstigen Augenblick ab, um wieder etwas zu stibitzen. Dieses Spiel wiederholte sich den ganzen Vormittag über.

Da wir uns vorgenommen hatten, in der Nacht wieder abzureisen und folglich die Zeit viel zu kurz war, als dass wir uns hätten darauf einlassen können, den Insulanern ihre Unarten abzugewöhnen, hielten wir es für das Beste, uns an ihren Diebereien zu belustigen. Um aber jedem Akt der Gewalttätigkeit vorzubeugen, der schlimme Folgen hätte haben können, ließ ich den Soldaten und Matrosen mitteilen, dass ich ihnen die gestohlenen Hüte und Mützen ersetzen würde. Fast alle Indianer waren unbewaffnet; drei oder vier von ihnen trugen eine Art Streitkolben, die aber einen nicht eben sehr gefährlichen Eindruck machten. Einige Inselbewohner schienen über die anderen eine gewisse, wiewohl wenig ins Gewicht fallende, Autorität auszuüben. Ich hielt sie für die Häuptlinge und verteilte unter sie Medaillen, die ich ihnen mit einer Kette um den Hals hängte. Bald allerdings merkte ich, dass just sie die abgefeimtesten Spitzbuben waren. Sie stellten sich zwar, als ob sie denen, die uns die Schnupftücher entwendet hatten, nachjagen wollten, doch konnte man ihnen leicht ansehen, dass sie dies mit dem festen Vorsatz taten, die Übeltäter nicht einzuholen.

Da wir nur acht bis zehn Stunden auf der Insel bleiben konnten, mussten wir jeden Augenblick zu nutzen suchen, ich vertraute daher meinem Ersten Schiffsleutnant, Herrn d’Escures, die Bewachung unseres Zeltes und aller mitgeführten Gegenstände an und übertrug ihm zugleich das Kommando über die gelandeten Matrosen und Schiffssoldaten. Als dies geschehen war, teilten wir uns in zwei Haufen. Der eine, unter dem Befehl des Kapitäns de Langle, erhielt den Auftrag, so weit wie möglich in das Innere der Insel vorzustoßen und an jedem dazu geeigneten Ort einige Samenkörner zu pflanzen; auch sollte er den Boden, die Pflanzen, die Gärten der Wilden, sie selbst sowie die berühmten Denkmäler der Osterinsel untersuchen. Zu diesem Haufen gesellten sich alle diejenigen, die sich zutrauten, eine große Strecke zu gehen. Er bestand unter anderem aus Herrn Dagelet, Herrn de Lamanon, Herrn Duché de Vancy, Herrn de La Martinière, Pater Receveur, Abbé Mongès und dem Gärtner. Der zweite Haufen, an den ich mich hielt, begnügte sich damit, die Denkmäler, ihre Sockel, die Häuser und die Pflanzungen in einer Gehstunde Entfernung von unserem Zelt in Augenschein zu nehmen. Die Ansichten der Denkmäler9, die Herr Hodges für Cooks Reisen gezeichnet hat, geben den Gesamteindruck nur unvollkommen wieder. Herr Förster vermutet, sie seien von einem Volk verfertigt worden, das ehedem viel zahlreicher war als heute; ich kann nicht einsehen, worauf sich diese Meinung gründet. Die größte dieser plump gearbeiteten Statuen, die wir auf den steinernen Plattformen aufgestellt sahen, war nur vierzehn Fuß und sechs Zoll hoch. Quer über die Schulter betrug ihre Breite sieben Fuß und sechs Zoll; am Unterleib war sie drei Fuß dick, ganz zuunterst aber fünf Fuß dick und sechs Fuß breit. Diese Statuen können, möchte ich behaupten, von der jetzigen Generation verfertigt worden sein, die sich ohne Übertreibung auf zweitausend Seelen beläuft. Die Zahl der Frauen auf der Insel scheint mit der der Mannsleute so ziemlich gleich zu sein; auch sah ich nirgendwo mehr Kinder herumstrolchen. Und wiewohl ich unter den beinahe zwölftausend Inselbewohnern, die unsere Landung an der Bay angelockt hatte, nicht mehr als höchstens dreihundert Weiber wahrnahm, so konnte ich daraus doch nichts anderes folgern, als dass die übrigen Weiber zu Hause geblieben waren – weil sie mehr Zurückhaltung übten oder weil sie mit ihrem Haushalt und ihren Kindern beschäftigt waren –, sodass wir nur diejenigen sahen, die unweit der Bucht wohnten. Diese Vermutung konnte Herr de Langle bestätigten, er berichtete, dass er im Inneren der Insel eine große Anzahl Frauen und Kinder angetroffen habe. Auch begaben wir uns allesamt zu den Höhlen, wo sich die Weibspersonen, wie Herr Förster und einige von Cooks Offizieren anfänglich glaubten, vor ihnen versteckt hatten. Diese Höhlen sind unterirdische Wohnungen; sie sind nicht anders geformt als diejenigen, die ich sogleich beschreiben werde und in denen wir kleine Bündel Reisigholz fanden. Der größte Wohnplatz war nur fünf Fuß lang und hatte einen Durchmesser von knapp sechs Zoll. Warum die Inselbewohner ihre Frauen und Kinder hier verbargen, als Kapitän Cook sie im Jahre 1772 besuchte, kann ich nicht erklären. Ich habe alle Ursache zu vermuten, dass das Vertrauen, das uns die Inselbewohner entgegenbrachten und das uns gestattete, sie gründlicher zu studieren, das Resultat von Cooks Diplomatie und Großzügigkeit war.

 


Die Osterinsel: Bewohner und Denkmäler

Man nimmt an, dass alle Denkmäler auf der Insel aus uralten Zeiten stammen. Herr Duché de Vancy hat sie sehr genau gezeichnet. Sie stehen im Freien, und man findet in ihrer Nähe eine große Menge Knochen, was darauf hindeutet, dass sie Begräbnisstätten waren. Heutigentags errichtet man statt dieser Kolosse kleine, pyramidenförmige Steinhaufen, deren Spitze mit Kalkwasser angestrichen wird. Diese Mausoleen, die ein einzelner Mann in einer Stunde auftürmen kann, trifft man besonders häufig in Ufernähe an. Ein Indianer legte sich auf den Boden, um uns dadurch zu verstehen zu geben, dass diese Steine ein Grab seien; dann hob er beide Hände gen Himmel, um anzuzeigen, dass er an ein künftiges Leben glaube. Anfangs wollte mir diese Deutung nicht einleuchten, und ich muss zugeben, dass ich den Inselbewohnern eine Vorstellung dieser Art nicht zutraute. Als ich aber nachher mehrere von ihnen dieses Zeichen wiederholen sah, und als mir Herr de Langle erzählte, dass er auf seinem Streifzug durch das Innere der Insel dieselbe Beobachtung gemacht habe, blieb mir diesbezüglich kein Zweifel mehr übrig. Im Übrigen nahmen wir auf der Insel keine Spur von Gottesdienst wahr; ich glaube, niemand wird die bereits erwähnten Statuen für Götzenbilder halten, obschon die Indianer für sie eine gewisse Ehrerbietung zeigen. Die kolossalen Bildsäulen, deren Dimensionen ich bereits angegeben habe, bestehen aus eisenhaltigem Tuff, einer vulkanischen Steinart, die den Naturforschern unter der Benennung Lapillo bekannt ist. Der Stein ist so fein und leicht, dass einige von Cooks Offiziere auf den Einfall kamen, ihn für ein Kunstprodukt zu halten, das aus einer Art von Mörtel hergestellt und dann unter der Einwirkung der Luft hart wird. Noch hat man keine Erklärung dafür, wie eine so schwere Last ohne die dazu erforderlichen Richtkeile aufgerichtet werden konnte. Wir sind aber, wie gesagt, davon überzeugt, dass die Bildsäulen aus sehr leichtem Vulkanstein bestehen. Schon Kapitän Cook hat sehr gut erklärt, dass man mit fünf bis sechs Ruten langen Hebeln, wenn man nur Steine unter sie schiebt, noch weit schwerere Lasten stemmen kann; eine Arbeit, die hundert Männer bequem verrichten können. Bei einer größeren Anzahl würde nur einer dem anderen im Weg stehen. Demzufolge fällt alles Wunderbare gänzlich weg, erklärt man den Lapillo nur für ein Naturprodukt. Auch hat man allen Grund anzunehmen, dass es auf dieser Insel nur darum keine neuen Denkmäler gibt, weil hier alle Stände einander gleich sind und weil es niemandem einfällt, sich zum König eines Volkes aufzuwerfen, das beinahe ganz nackt einhergeht und sich von nichts als Süßkartoffeln und Jamswurzeln nährt. In Ermangelung benachbarter Volksstämme, die sie in Kriege verwickeln könnten, haben die Bewohner der Osterinsel es nicht nötig, sich einem Anführer mit beträchtlicher Autorität zu unterwerfen.

Über die Sitten und Bräuche dieses Volkes, dessen Sprache mir ganz unbekannt war und das ich nur einen einzigen Tag vor Augen hatte, darf ich weiter nichts als bloße Vermutungen wagen; doch konnte ich die Erfahrungen anderer Reisender verwerten, die schon früher dagewesen waren und deren Berichte ich genau studiert hatte. Ich bin also in der Lage, ihre Beobachtungen durch eigene Überlegungen zu ergänzen.

Auf der Insel wird kaum der zehnte Teil des Bodens bearbeitet. Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder Indianer nur drei Tage zu arbeiten braucht, um sich alles das zu verschaffen, was er das ganze Jahr hindurch für seinen Lebensunterhalt nötig hat. Die Leichtigkeit, mit der hier jeder seine Bedürfnisse befriedigen kann, lässt mich vermuten, dass die Insulaner die Produkte der Erde unter sich aufteilen, wie ich auch fast mit Gewissheit annehme, dass sie – mindestens in ihrem Dorf oder ihrem Distrikt – in Gemeinschaftshäusern leben. Ich maß eins dieser Häuser aus. Es stand nicht weit von der Stelle entfernt, an der wir Posten gefasst hatten, war dreihundertzehn Fuß lang, zehn Fuß breit und in der Mitte zehn Fuß hoch. Im Aussehen glich es einer umgestülpten Piroge. Es besaß nur zwei Türen, die gerade zwei Fuß hoch waren, sodass man auf Händen und Füßen hineinkriechen musste, aber das Ganze konnte mehr als zweihundert Personen fassen. Dem Oberhaupt dieses Volks konnte das Haus nicht als Aufenthaltsort dienen, denn es enthielt keinerlei Gerätschaften, auch hätte ihm seine riesige Ausdehnung keinen Vorteil gebracht. Es bildete vielmehr mit zwei benachbarten kleineren Hütten ein eigenes Dorf.

Wahrscheinlich verfügt jeder Distrikt auf der Osterinsel über einen eigenen Häuptling, dem die Aufsicht über die Pflanzungen anvertraut ist. Kapitän Cook glaubte, dieser Häuptling sei der Eigentümer. Wenn es aber den berühmten Seefahrer einige Mühe kostete, sich mit einer hinlänglichen Menge Süßkartoffeln und Jamswurzeln zu versorgen, so war dieser Umstand durchaus nicht auf Lebensmittelmangel zurückzuführen, sondern er rührte daher, dass diese Naturprodukte nur mit Zustimmung nahezu aller an Fremde verkauft werden dürfen.

Was die Frauen angeht, so getraue ich mich nicht zu entscheiden, ob sich die Einwohner eines Bezirks derselben gemeinschaftlich bedienen und ob ihre Kinder der Gemeinschaft gehören. So viel ist richtig, dass es ganz so aussah, als ob kein einziger Indianer über irgendeine Frau die Autorität des Ehemanns ausüben dürfe. Sollten die Inselbewohner aber ihre Ehehälften als ihr Privateigentum betrachten, dann gehen sie auf jeden Fall sehr verschwenderisch mit ihm um.

Man findet auf der Insel, wie ich schon gesagt habe, einige unterirdische Wohnungen; andere sind aus Binsen verfertigt, was beweist, dass es im Inneren der Insel sumpfige Gegenden gibt. Diese Binsen sind auf eine sehr künstlerische Art ineinandergeflochten und bieten einen vollkommenen Schutz gegen Regen. Die Binsenhütten ruhen auf einem Sockel von Hausteinen von achtzehn Fuß Dicke, in den man in regelmäßigen Abständen Löcher gebohrt hat. In den Löchern stecken Stangen, die, bogenförmig gekrümmt, das Dach tragen. Es besteht, wie die Seitenwände, aus Binsenmatten.

An der Verwandtschaft der Bewohner der Osterinsel mit den Bewohnern anderer Südseeinseln kann man, wie schon Kapitän Cook festgestellt hat, nicht zweifeln. Sie sprechen dieselbe Sprache und gleichen einander im Aussehen. Ihre Stoffe verfertigen sie aus der Rinde des Maulbeerbaums. Auf der Osterinsel sind diese Bäume sehr selten, weil sie zumeist der Dürre zum Opfer gefallen sind. Diejenigen, die man noch antrifft, sind nie über drei Fuß hoch, und man muss Mauern aufführen, um sie gegen den Wind zu schützen. Merkwürdig ist es, dass die Maulbeerbäume nie höher werden als die Mauern, die ihnen als Schutzwehr dienen.

In älteren Zeiten dürften sich die Insulaner derselben Landesprodukte erfreut haben wie die Bewohner der Gesellschaftsinseln. Die Obstbäume sind infolge der Trockenheit zugrunde gegangen, der auch die Schweine und die Hunde erlagen; diese Tiere können sich ohne viel Wasser schlechterdings nicht behelfen. Der Mensch aber, der in der Hudson Bay Waltran zu sich nimmt, gewöhnt sich an alles. Ich habe auf der Osterinsel Einheimische beobachtet, die, gleich den Albatrossen von Kap Hoorn, Meerwasser tranken. Wir kamen in der feuchten Jahreszeit an; in den Löchern und Vertiefungen am Strand gab es ein wenig Brackwasser, das die Indianer in Kalebassen füllten und uns zum Trinken anboten; aber selbst den Durstigen unter unseren Leuten ekelte davor. Ich bezweifle daher, dass die Schweine, die ich den Insulanern zum Geschenk machte, sich hier fortpflanzen werden, aber ich hoffe, dass die Schafe und die Ziegen gedeihen, die wenig Flüssigkeit zu sich nehmen und gern Salz lecken.

Nachmittags um ein Uhr ging ich wieder zu unserem Zelt zurück, in der Absicht, mich an Bord zu begeben, damit mein Zweiter Schiffsleutnant, Herr de Clonard, auch einmal Landluft schnuppern könne. Bei meiner Rückkehr stellte sich heraus, dass fast alle unsere Leute keine Hüte und keine Schnupftücher mehr besaßen. Unsere Nachsicht hatte die Diebe immer dreister gemacht, die auch mir eins auswischten. Ein Indianer, der mir geholfen hatte, von einer Plattform herabzusteigen, riss mir den Hut vom Kopf und lief aus Leibeskräften davon; der ganze Haufen rannte ihm, wie üblich, nach. Ich ließ ihn entwischen, weil ich nicht als Einziger das Vorrecht haben wollte, mich gegen die Sonnenstrahlen zu schützen, gingen mittlerweile doch alle unsere Leute mit unbedecktem Haupt herum. Stattdessen widmete ich meine Aufmerksamkeit erneut besagter steinerner Erhöhung, um sie noch genauer zu untersuchen. Ich muss gestehen, da mir dieses Monument eine sehr hohe Meinung von der Begabung beigebracht hat, die dieses Volk in älterer Zeit für Bauarbeiten besessen hat. Das pompöse Wort Baukunst wäre hier fehl am Platz. Man ersieht aus allem, dass dieses Volk nie einen Begriff von irgendeiner Art Mörtel hatte, sich aber sehr wohl darauf verstand, Steine nach allen Regeln der Kunst zu spalten, zuzuhauen und aneinanderzufügen.

Um zwei Uhr ging ich an Bord, und Herr de Clonard begab sich an Land. Bald darauf wurde mir von zwei Offizieren der Astrolabe die Nachricht überbracht, die Indianer hätten abermals einen Diebstahl verübt und seien dabei mit der Mannschaft heftiger als bisher aneinandergeraten. Einige Taucher hatten vom Boot, das zur Astrolabe gehört, unterhalb der Wasserfläche das Tau durchgeschnitten und den daranhängenden Anker gestohlen. Man bemerkte es nicht eher als zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Diebe schon weit landeinwärts befanden. Da wir diesen Anker nicht entbehren konnten, verfolgten zwei Offiziere und mehrere Soldaten die Übeltäter. Sie wurden von den Indianern mit einem Steinregen empfangen. Ein Gewehrschuss in die Luft blieb ohne Erfolg. Das Kommando sah sich gezwungen, mit Schrot zu feuern; einige Schrotkörner trafen wohl einen der Insulaner, denn die Steinwürfe hörten auf. Unsere Offiziere erreichten unbehelligt unser Zelt. Die Diebe waren nicht mehr einzuholen, und sie werden sich nicht wenig darüber gewundert haben, dass wir sie im ungestörten Besitz ihres Raubes ließen.

Bald darauf näherten sie sich wieder unseren Posten und boten ihnen ihre Frauen an; wir waren also wieder gut Freund wie bei unserer ersten Begegnung. Abends um sechs Uhr war endlich wieder alles eingeschifft, und nachdem man unsere Boote an Bord gehievt hatte, gab ich das Signal zur Vorbereitung der Abfahrt. Bevor wir unter Segel gingen, erstattete mir Herr de Langle einen ausführlichen Bericht über seinen Streifzug durch das Innere der Insel. Er hatte auf seinem ganzen Weg Samen gepflanzt und den Insulanern zahlreiche Beweise seines Wohlwollens gegeben. Nur um das Charakterbild der Inselbewohner abzurunden, sei erwähnt, dass ein Häuptling, den Herr de Langle mit einem Bock und einer Ziege beschenkte, dieses Präsent mit der einen Hand annahm und ihm mit der anderen sein Schnupftuch stahl.

 

Gewiss ist, dass diese Völkerschaften zum Stehlen eine ganz andere Einstellung haben als wir. Sehr wahrscheinlich finden sie es nicht entehrend, einem anderen etwas wegzunehmen, jedoch wissen sie ganz genau, dass sie Unrecht begehen, da sie ja allemal gleich nach verübter Tat die Flucht ergreifen. Dies deutet darauf hin, dass sie eine Bestrafung fürchten. Diese Strafe, in einem angemessenen Verhältnis zum Vergehen, wäre auch ihnen zuteilgeworden, wenn wir uns noch längere Zeit auf der Insel aufgehalten hätten, denn unsere allzu große Nachsicht trug uns ersichtlich nur Ärger ein.

Keiner, der neuere Reiseberichte gelesen hat, wird die Bewohner der Südseeinseln für Wilde halten. Sie haben ganz im Gegenteil in der Zivilisation große Fortschritte gemacht; ich halte sie für so verdorben, wie sie in Anbetracht ihrer Lebensumstände nur sein können. Mein Urteil gründet sich nicht darauf, dass sie uns zu wiederholten Malen bestahlen, sondern auf die Art und Weise, wie sie sich bei diesen Diebstählen verhielten. Die abgefeimtesten Gauner bei uns in Europa sind keine so argen Heuchler wie die Bewohner der Osterinsel. Alle ihre Schmeicheleien und Zärtlichkeiten waren Verstellung. Ihr Mienenspiel drückte kein einziges Mal echtes Gefühl aus, und unter allen Indianern durften wir denen am wenigsten trauen, die wir gerade beschenkt hatten und die mit Feuereifer taten, als wollten sie sich mit tausend kleinen Gefälligkeiten revanchieren.

Sie packten Mädchen von dreizehn bis vierzehn Jahren und schleppten sie, in der Hoffnung auf einen guten Lohn, bis zu uns. Die jungen Indianerinnen sträubten sich so sehr, dass deutlich genug zu sehen war, wie hier das Gesetz des Landes verletzt wurde. Übrigens machte kein Franzose von dem barbarischen Recht, das man ihm nahelegte, Gebrauch. Wenn die natürlichen Triebe gestillt wurden, dann nur mit dem Einverständnis der einheimischen Frauen, und stets taten die den ersten Schritt.

Die Meeresküste um die Insel scheint nicht besonders reich an Fischen zu sein. Ich glaube, die Bewohner der Osterinsel nähren sich fast alle von pflanzlicher Kost. Sie leben von Süßkartoffeln, Jamswurzeln, Bananen, Zuckerrohr und von einer kleinen Frucht, die unweit der Küste auf den Felsen wächst und mit den Trauben Ähnlichkeit hat, die man am Ufer des Atlantik auf der Höhe des Wendekreises sieht. Hühner sind sehr selten und als Nahrungsmittel allenfalls eine Zutat. Die Mitglieder unserer Expedition erblickten keinen einzigen Landvogel, und auch die Seevögel waren nicht zahlreich vertreten. Der Feldbau wird mit viel Einsicht betrieben. Die Insulaner rupfen Gras aus, zerstückeln und verbrennen es und düngen mit der Asche ihre Felder. Ihre Bananenbäume pflanzen sie nach der Schnur. Sie bauen auch Solanum an; zu welchem Zweck, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Hätte ich feuerfeste Gefäße bei ihnen bemerkt, so würde ich annehmen, dass sie es, wie die Bewohner von Madagaskar und Île-de-France, anstelle von Spinat kochen. Zurzeit scheint ihnen jedoch noch keine andere Art bekannt zu sein, Speisen zuzubereiten, als die, der man auch auf den Gesellschaftsinseln begegnet: Sie graben ein Loch in die Erde, tun Süßkartoffeln oder Jamswurzeln hinein, decken das Loch mit glühenden Steinen oder mit Kohle zu, unter die sie Erde gemischt haben. So kommen alle ihre Gerichte weich und gar wie aus einem Backofen.

Mein Schiff maßen sie mit der äußersten Sorgfalt aus. Dies bewies mir, dass sie nicht als unvernünftige Geschöpfe an die Erzeugnisse unseres Kunstfleißes herangehen. Sie prüften unser Tauwerk, unsere Anker, unseren Kompass, unser Steuerrad. Tags darauf kamen sie wieder und brachten eine Schnur mit, um alles noch einmal gehörig auszumessen. Offenbar hatten sie an Land über unser technisches Gerät diskutiert, und es waren ihnen einige Zweifel gekommen. Sie verloren meine Sympathie gerade darum, weil sie mir des Nachdenkens fähig scheinen. Ich bot ihnen Gelegenheit, eine Betrachtung anzustellen, die sie sich vielleicht erspart haben; die Betrachtung nämlich, dass wir uns ihnen gegenüber unserer weit überlegenen Kräfte kein einziges Mal bedient haben. Dass sie sich unserer Überlegenheit bewusst waren, konnte man daraus ersehen, dass sie auf der Stelle davonrannten, wenn einer von uns seine Flinte auf sie anlegte. Wir gingen bloß deswegen vor ihrer Insel vor Anker, weil wir ihnen Gutes erweisen wollten. Wir beschenkten sie reichlich und behandelten geradezu zärtlich alle schwachen und hilflosen Inselbewohner, besonders die kleinen Kinder, die von ihren Müttern noch gestillt wurden. Wir pflanzten auf ihren Feldern die verschiedenartigsten Nutzpflanzen und ließen in ihren Hütten Schweine, Ziegen und Lämmer zurück, die sich wahrscheinlich bald vermehren werden, wir verlangten für all dies keine Gegenleistung. Dennoch bewarfen sie uns mit Steinen und stahlen alles, was sie nur fortschleppen konnten.

8Die Insel Mauritius im Indischen Ozean, die bis 1814 in französischem Besitz war.

9Die viel untersuchten steinernen Moais.