Zu den Klippen von Vanikoro

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DRITTES KAPITEL

Die Bucht von La Concepción ist eine der bequemsten, die man in irgendeinem Teil der bekannten Welt antrifft. Das Meer ist hier meistens sehr ruhig, und man hat wenig von der Brandung zu fürchten, obgleich die Flut sechs Fuß und drei Zoll hoch steigt. Zur Zeit des Vollmonds erreicht sie um Viertel vor zwei Uhr ihre stärkste Höhe. Der einzige Wind, gegen den die Bucht keine Sicherheit gewährt, ist der Nordwind, doch weht er unter diesem Himmelsstrich nur von Ende Mai bis in den Oktober. Dies ist die Regenzeit. Sobald der Monsun sich legt, stellen sich Südwinde ein, die das ganze Jahr über anhalten und das schönste Wetter mit sich bringen. Der einzige Ankerplatz, an dem man während des Winters gegen die Nordostwinde geschützt ist, befindet sich vor dem Dorf Talcahuana an der südwestlichen Küste. Dieses Dorf ist die einzige Niederlassung, die die Spanier derzeit in der Bucht besitzen, seitdem die Stadt La Concepción, wie ich bereits gesagt habe, im Jahr 1751 durch ein Erdbeben zerstört wurde. Nach dem Untergang von La Concepción, das nicht durch die Stöße des Erdbebens zugrunde gerichtet, sondern vom Meer verschlungen wurde, zerstreuten sich die Bewohner und kampierten auf den umliegenden Anhöhen. Erst im Jahr 1763 kamen sie auf den Gedanken, sich einen neuen Wohnort auszusuchen, der eine Viertelmeile vom Río Bío Bío und drei Meilen von der ehemaligen Stadt entfernt ist. Hier legten sie eine Siedlung an, in der sich dann der Bischof, das Domkapitel und andere geistliche Stiftungen niederließen. Die neue Stadt hat einen ungewöhnlich großen Umfang, weil die Häuser durchgehend nur ein Stockwerk hoch sind, damit sie weniger unter den Erderschütterungen leiden, die fast jährlich wiederkehren.

Die neue Stadt La Concepción zählt ungefähr zehntausend Einwohner und ist der gewöhnliche Aufenthaltsort des Bischofs und des Militärgouverneurs. Gegen Norden grenzt das Erzbistum an das Bistum von Santiago; Santiago ist die Hauptstadt von Chile und Sitz des Generalgouverneurs. Gegen Osten stößt es an die Kordilleren, und gegen Süden erstreckt es sich bis zur Magellan-Straße. Seine wahre Grenze ist indessen der eine Viertelmeile von der Stadt entfernte Río Bío Bío. Das ganze Land südlich des Bío-Bío-Flusses gehört Indianern, mit Ausnahme der Insel Chiloé und eines kleinen Bezirks um Valdivia. Man kann diese Völkerschaften kaum Untertanen des Königs von Spanien nennen, weil sie fast immer Krieg mit ihm führen. Eben daher kommt es, dass das Amt des Militärkommandanten von äußerster Wichtigkeit ist. Dieser Offizier befehligt sowohl die regulären Truppen wie die Milizen, und dieser Umstand verschafft ihm ein erhebliches Übergewicht über alle anderen Bürger, wiewohl diese eigentlich dem Befehl eines Corregidor unterstehen. Der Militärbefehlshaber hat allein die Aufgabe, das Land zu verteidigen, und muss daher ohne Unterlass kämpfen oder verhandeln. Zurzeit zieht man in Erwägung, die bisherigen Kompetenzen neu aufzuteilen, und zwar so, wie es in unseren Kolonien üblich ist: Kommandant und Intendant sollen sich den Oberbefehl teilen. Indes ist die Bemerkung angebracht, dass es in den spanischen Kolonien keinen souveränen Obersten Rat gibt; diejenigen, denen der König die oberste Gewalt verliehen hat, sind zugleich auch Richter in Zivilsachen. Sie bedienen sich bei Prozessen zwar der Hilfe rechtskundiger Assessoren, allein da die Männer, die als Richter tätig sind, einander an Rang und Würden nicht gleich sind, kann man fast mit Gewissheit annehmen, dass die rangniedrigeren Richter sich das Urteil ihres Vorgesetzten zu eigen machen. Daraus folgt, dass die Rechtsprechung der Willkür eines Einzelnen unterliegt, und dieser Einzelne müsste nicht nur frei sein von Vorurteilen und Leidenschaften, sondern auch die ausgedehntesten Kenntnisse und Einsichten haben, wenn sich hieraus nicht nachteilige Konsequenzen ergeben sollen.

Dieser Teil Chiles ist fruchtbarer als jeder andere auf der Welt. Die Getreidesaat erbringt sechzigfachen Ertrag (ein ausgesätes Korn erbringt sechzig Körner, d. Hrsg.); ebenso ergiebig sind die Weinberge; auf den Feldern weiden riesige Herden, das Vieh vermehrt sich über alle Maßen, ohne dass man sich darum kümmern muss. Die einzige Arbeit der Herdenbesitzer besteht darin, die Tiere in abgezäunte Pferche zu treiben, wo Ochsen, Pferde, Maultiere und Schafe dann beieinanderbleiben. Ein feister Ochse kostet gewöhnlich acht Piaster, einen Hammel bekommt man für dreiviertel Piaster. Trotz dieser niedrigen Preise findet man keine Käufer. Die Einwohner schlachten jährlich eine große Anzahl Ochsen nur der Häute und des Talgs wegen; diese beiden Produkte werden nach Lima gebracht. Man räuchert auch etwas Fleisch. Es dient dem Verbrauch durch die Seeleute, die mit kleinen Schiffen einige Häfen der Südsee anlaufen.

In diesem Land tritt keine einzige Krankheit auf, die daselbst heimisch wäre. Eine trifft man dort häufig an; ich möchte ihren Namen nicht nennen. Diejenigen, die das Glück haben, ihr zu entgehen, erreichen ein sehr hohes Alter. Es leben in La Concepción mehrere Hundertjährige.

Trotz der günstigen Verhältnisse macht das Land infolge des dort in krasser Form praktizierten Prohibitivsystems nicht die geringsten wirtschaftlichen Fortschritte. Chile, dessen Erzeugnisse halb Europa ernähren, das mit seiner Wolle allen Fabriken Frankreichs und Englands die benötigten Rohstoffe liefern und das ungeheure Mengen Pökelfleisch exportieren könnte, treibt so gut wie keinen Handel. Vier oder fünf kleine Schiffe, die aus Lima kommen, führen Jahr für Jahr etwas Zucker, Tabak und einige europäische Fabrikwaren ein, die die bedauernswerten Einwohner somit nur aus zweiter oder dritter Hand beziehen und auf denen die in Cádiz, Lima und endlich auch in Chile erhobenen Abgaben lasten. Sie können im Austausch nichts liefern außer Getreide, dessen Preis so elend niedrig ist, dass der Bauer gar nicht daran interessiert ist, mehr zu ernten, ferner Talg, Häute und Holzbretter. Demzufolge ist die chilenische Handelsbilanz stets negativ. Mit dem Gold, das hier gefunden wird, und einigen geringfügigen Tauschobjekten lassen sich die eingeführten Waren, der Zucker, der Mate-Tee, der Tabak, Wollstoffe, Leinen und Batist sowie die im täglichen Leben unentbehrlichen Eisen- und Kurzwaren schlechterdings nicht bezahlen.

Aus dieser sehr kurzen Darstellung geht deutlich hervor, dass das Königreich Chile nie denjenigen Wohlstand erreicht, den es aufgrund seiner Lage erwarten könnte, wenn Spanien sein bisheriges Wirtschaftssystem nicht abändert und die Einfuhrzölle auf ausländische Waren senkt. Ein geringer Zoll auf Konsumgüter bringt dem Fiskus größeren Profit als ein zu hoher Zoll, der den Konsum auf null reduziert.

Unglücklicherweise bringt dieses Land etwas Gold hervor. Fast alle Bergbäche enthalten ein wenig von diesem Metall, und würden die Einwohner die Mühe nicht scheuen, es auszuwaschen, so könnten sie täglich einen halben Piaster verdienen. Da es hier jedoch Lebensmittel im Überfluss gibt, fehlt der Anreiz zur Arbeit, und da die Chilenen nicht den geringsten Umgang mit Ausländern haben, lernen sie weder Kunst noch Luxus kennen und verspüren nicht den Antrieb, ihre Untätigkeit zu überwinden. Sie lassen ihre Ländereien unangebaut, und diejenigen unter ihnen sind noch die tätigsten, die mitunter einige Stunden auf Goldsuche gehen. Einen Beruf zu erlernen ist ihnen in den meisten Fällen zu anstrengend. So kommt es, dass selbst die Wohnungen der reichsten Leute keine Möbel enthalten. Die in La Concepción tätigen Arbeiter sind allesamt Ausländer.

Die Frauen tragen einen Faltenrock aus altmodischem Gold- oder Silberstoff, wie man ihn ehemals in Lyon herstellte. Diese Röcke, die man nur bei Feierlichkeiten trägt, werden in den Familien wie Juwelen vererbt und gelangen so aus dem Besitz der Großmütter in den der Enkelinnen. Die Zahl der Bürgerinnen, die derlei Prachtkleider ihr eigen nennen, ist beschränkt; alle anderen Frauen sind kaum imstande, ihre Blöße zu bedecken.

Die Faulheit ist, mehr noch als Bigotterie und Aberglauben, daran schuld, dass es in diesem Land eine ungeheure Menge von Mönchen und Nonnen gibt. Erstere genießen weit mehr Freiheiten als anderswo. Da sie nichts zu tun haben und ohne Familienanhang in ehelosem Stand leben, ohne aber der Welt entsagt und sich in eine Zelle zurückgezogen zu haben, gehören sie zu den verdorbensten Menschen in ganz Amerika. Ihr freches Betragen lässt sich mit Worten schlechterdings nicht beschreiben. Ich sah mit eigenen Augen mehrere Mönche, die bis Mitternacht einen Ball besuchten; sie saßen allerdings, von der guten Gesellschaft weit entfernt, bei den Lakaien. Statt die jungen Männer vom Betreten schlechter Häuser abzuhalten, teilen sie ihnen deren genaue Adresse mit. Die einfachen Leute in La Concepción besitzen einen starken Hang zum Stehlen, und die Weiber sind äußerst willfährig. Sie gehören einer degenerierten, mit Indianern vermischten Rasse an. Die Angehörigen der Oberschicht hingegen sind reinblütige Spanier und ungemein höflich und artig. Ich schildere ihr Benehmen am besten, indem ich wiedergebe, was wir in La Concepción erlebt haben.



Kleidung der Einwohner von La Concepción

Kaum hatten wir vor dem Dorf Talcahuana Anker geworfen, als mir auch schon ein Dragoner ein Schreiben des stellvertretenden Kommandanten, Herrn Quexada, überbrachte. Er teilte mir mit, man würde uns empfangen, als ob wir Spanier, also Landsleute, seien. Besonders liebenswürdig war der Zusatz, er sei glücklich darüber, dass sich die Befehle, die er erhalten habe, mit seinen Gefühlen wie auch mit der Gesinnung aller Bewohner von La Concepción deckten. Im Ort selbst stiegen wir beim Platzmajor ab, Herrn Sabatero, der uns auch zu einem sehr guten Abendessen einlud. Spätabends fand uns zu Ehren ein großer Ball statt, an dem die vornehmsten Damen der Stadt teilnahmen.

 

Herr Duché de Vancy zeichnete die Kleidung dieser Damen, die sich von der in Frankreich üblichen stark unterscheidet. Der Faltenrock enthüllt das halbe Bein und wird von einem weit unterhalb der Taille angebrachten Gürtel zusammengehalten. Dazu tragen die Chileninnen Strümpfe mit roten, blauen und weißen Streifen und Schuhe, die so knapp bemessen sind, dass man nur mit gekrümmten Zehen in sie hineinschlüpfen kann. Die Füße wirken auf diese Weise fast kreisförmig! Sie pudern ihr Haar nicht und flechten es am Hinterkopf in schmale Zöpfe, die auf die Schultern herabfallen. Den Oberkörper bedeckt ein Mieder aus Gold- oder Silberstoff. Darüber schlingt man zwei Mantillen, die eine aus Musselin, die andere aus gefärbter gelber, blauer oder rosa Wolle. Die Wollmantille dient den Frauen von La Concepción als Kopfbedeckung, wenn sie bei kühlem Wetter über die Straße gehen; bei sich zu Hause legen sie sie auf den Schoß. Mit der Mantille aus Musselin wird gespielt, sie wird unablässig hin und her geschoben; bei diesem Spiel zeigen die Damen von La Concepción eine ganz besondere Anmut. Auch sind sie im Allgemeinen hübsch und ausnehmend höflich. In Europa dürfte es keine Hafenstadt geben, in der der Fremde so freundlich aufgenommen wird wie hier.

Kurz vor dem Abendessen hatten wir den Honoratioren von La Concepción sowie dem Bischof unseren Besuch abgestattet. In der Person dieses Letzteren lernten wir einen Mann kennen, der ungemein viel Geist, die Gabe einer angenehmen Unterhaltung und dazu jene Milde des Charakters besitzt, die man an spanischen Bischöfen nicht selten beobachtet. Er ist ein Kreole aus Peru, war nie in Europa und verdankt seine hohe Würde allein seinen Tugenden. Er versicherte uns unter anderem, dass es dem Gouverneur, Don Antonio O’Higgins, sehr leidtue, uns nicht begrüßen zu können, da er sich derzeit noch zu wichtigen Verhandlungen mit den Indianern im Grenzgebiet aufhalte.

Die Indianer Chiles sind nicht mehr die Amerikaner von ehedem, denen die Waffen der Europäer Furcht und Schrecken einjagten. Die Pferde haben sich in der unermesslichen Wildnis des inneren Amerika ebenso rapide wie die Rinder und die Schafe vermehrt; mit der Folge, dass sich jene Völkerschaften in wahre Beduinen verwandelt haben, die man in allem denen vergleichen kann, die in den Wüsten Arabiens zu Hause sind. Da sie fast immer zu Pferd sitzen, sind Streifzüge von zweihundert und mehr Meilen für sie kaum mehr als Spazierritte. Mit ihren Herden ziehen sie von einem Ort zum anderen; sie nähren sich vom Fleisch dieser Tiere, von der Milch und bisweilen von deren Blut, auch kleiden sie sich in deren Häute, aus denen sie Helme, Brustharnische und Schilde verfertigen. So hat die Einführung europäischer Haustierrassen auf die Stämme zwischen Santiago und der Magellan-Straße den nachhaltigsten Einfluss ausgeübt. Sie haben ihre alten Bräuche aufgegeben, nähren und kleiden sich anders, kurz, haben heute mehr Ähnlichkeit mit den Tataren oder den Anrainern des Roten Meeres als mit ihren eigenen Vorfahren von vor zweihundert Jahren.

Es ist leicht einzusehen, dass die Spanier alle Ursache haben, diese Leute zu fürchten. Sie können ihnen nach einem Überfall über so riesige Distanzen nicht nachsetzen. Und ebenso wenig ist es ihnen möglich, die einzelnen Stämme, die vierhundert Meilen weit auseinanderwohnen, daran zu hindern, sich zusammenzurotten und ein Heer von dreißigtausend Mann aufzustellen.

Herrn O’Higgins ist es jedoch gelungen, sich die Zuneigung dieser Stämme zu erwerben und dadurch der Nation, die ihn aufgenommen hat, einen sehr wesentlichen Dienst zu erweisen. Dazu muss man wissen, dass er irischer Herkunft ist und aus einer Familie stammt, die wegen ihres Glaubens und ihrer Anhänglichkeit an das Haus Stuart verfolgt wurde. Ich muss gestehen, dass ich einen unwiderstehlichen Trieb in mir fühlte, diesen loyalen Kriegsmann, von dem alle nur Gutes erzählten, kennenzulernen. Schon nach einer Stunde Unterhaltung schenkte ich ihm, gleich den Indianern, mein Vertrauen. Seine Rückkehr nach La Concepción erfolgte kurz, nachdem ich den Brief erhalten hatte, der mir von ihr Mitteilung machte; ein Kavalleriebefehlshaber kommt schneller voran als ein französischer Seefahrer. Seine Höflichkeitsbezeigungen gingen noch weiter als die des Herrn Quexada und waren so aufrichtig und herzlich, dass wir Franzosen kaum Worte fanden, ihm unsere Dankbarkeit zu bekunden. Da wir allen Bewohnern Dank schuldeten, beschlossen wir, noch vor unserer Abreise ein Fest zu veranstalten und alle Damen von La Concepción dazu einzuladen. Dazu schlugen wir am Meeresufer ein großes Zelt auf, in dem ein Essen stattfand, an dem einhundertfünfzig Personen männlichen und weiblichen Geschlechts teilnahmen. Nach dem Essen veranstalteten wir einen Ball, dann brannten wir ein kleines Feuerwerk ab, und zu guter Letzt ließen wir einen Luftballon aufsteigen, der zwar nur aus Papier war, aber doch groß genug, um Aufsehen zu erregen.

Tags darauf benutzten wir dasselbe Zelt für ein Festessen, zu dem die Besatzung der beiden Fregatten geladen wurde. Wir speisten alle an einem Tisch; oben saßen Herr de Langle und ich, dann folgten sämtliche Offiziere bis herab zum letzten Matrosen; als Tafelgeschirr dienten hölzerne Schüsseln. Unsere Seeleute waren so vergnügt, dass man ihnen die Freude an den Augen ansah. Sie schienen insgesamt gesünder und tausendmal glücklicher als am Tag unserer Abfahrt in Brest.

Da nun der Gouverneur geäußert hatte, dass er uns zu Ehren ebenfalls eine Lustbarkeit zu geben gedächte, verfügten wir uns alle mit Ausnahme der diensttuenden Offiziere nach La Concepción. Herr O’Higgins kam uns entgegengeritten und begleitete uns in seine Residenz, wo uns eine Tafel mit hundert Gedecken erwartete, an der alle Offiziere und die vornehmsten Einwohner der Stadt sowie mehrere Damen Platz nahmen. Vor jedem Gang, der serviert wurde, deklamierte ein Franziskaner aus dem Stegreif Verse, die das Bündnis zwischen Spanien und Frankreich feierten. In der nächstfolgenden Nacht war wiederum großer Ball, zu dem die Damen in ihren schönsten Kleidern erschienen und auf dem einige maskierte Offiziere ein Ballett tanzten.

Alle diese Vergnügungen und der überschwängliche Empfang, der uns zuteilwurde, hielten mich nicht davon ab, meine Aufgaben im Auge zu behalten. Am Tag unserer Ankunft hatte ich bekanntgegeben, dass ich am 15. März wieder in See stechen würde. Der Mannschaft gab ich die Erlaubnis, sich an Land nach Belieben zu vergnügen, sobald die Schiffe ausgebessert und Lebensmittel, Holz und Wasser an Bord geschafft seien. Diese Anordnung wirkte Wunder: Rascher wurden zwei Fregatten noch nie instand gesetzt und beladen. Vor den Folgen meines Versprechens war mir ein wenig bange, da es gar zu sehr den Wünschen der Matrosen entsprach und der Wein in Chile sehr billig ist; jedes Haus in Dorf Talcahuana ist eine Schenke, und die Frauen aus dem Volk sind fast ebenso willig wie die auf Tahiti. Indessen kam es nicht zu Unmäßigkeiten, und unser Schiffschirurg musste mir nicht mitteilen, dass die Vergünstigung nachteilige Auswirkungen gehabt habe.

Am 15. gab ich bei Tagesanbruch das Signal, die Anker zu lichten; in ebendiesem Augenblick sprang der Wind nach Nord. Von dorther stürmte es sehr heftig, auch setzte in der Nacht vom 15. auf den 16. starker Regen ein. Am 17., gegen Mittag, erhob sich ein gelinder Südwestwind, mit dem ich unter Segel ging; er war aber so schwach, dass er uns nur zwei Meilen aus der Bucht führte, dann kamen wir, da völlige Windstille eintrat, nicht mehr von der Stelle. Die ganze Nacht tummelten sich rings um uns her mehrere Wale, die unseren Fregatten bisweilen so nahe kamen, dass sie das Wasser aus ihren Nasenlöchern über Bord spritzten.

Am 19. gelang es mir mithilfe des Südwindes, mich von der Küste zu entfernen. Ich nahm Kurs auf die Juan-Fernández-Insel7, an der wir östlich vorbeisegelten. Am 3. April, als wir uns unter der südlichen Breite von 27 Grad 5 Minuten und unter der westlichen Länge von 101 Grad befanden, bekamen wir Wind, der von Nordost nach Nordwest drehte. Wir sahen jetzt einige Vögel, und zwar die ersten, die uns begegneten, seitdem wir Juan Fernández hinter uns gelassen hatten. Ich zähle nicht eine oder zwei Seemöwen, die uns auf einer Fahrt von sechshundert Meilen kurze Zeit begleitet hatten. Windwechsel ist das sicherste Zeichen für nahes Land; aber die Naturforscher werden vielleicht einige Mühe haben, zu erklären, wie es zugeht, dass sich der Einfluss einer kleinen Insel mitten im unermesslichen Ozean auf hundert Meilen im Umkreis bemerkbar macht. Überdies genügt es nicht, dass ein Seefahrer den Abstand zu einer Insel richtig schätzt; er muss auch die Windverhältnisse in ihrem Bereich erraten. Der Flug der Vögel nach Sonnenuntergang sagt über Windverhältnisse nichts aus, ihre Beobachtung war mir nie hilfreich. Ich bin davon überzeugt, dass die Flugrichtung der Vögel stets nur von dem Appetit auf Beute bestimmt wird. Oft sah ich Seevögel bei Einbruch der Nacht so häufig die Richtung wechseln, dass auch der enthusiastischste Augur nicht imstande gewesen wäre, hieraus bestimmte Folgerungen zu ziehen.

Am 4. April war ich nur noch sechzig Meilen von der Osterinsel entfernt; es kamen mir keine Vögel zu Gesicht, der Wind blies aus Nordnordwest, und wenn mir die Lage der Insel nicht so genau bekannt gewesen wäre, hätte ich höchstwahrscheinlich in der sicheren Annahme, sie verfehlt zu haben, einen anderen Kurs eingeschlagen. Dies waren meine Gedanken an Ort und Stelle. Ich sehe mich gezwungen zuzugeben, dass die Entdeckung von Inseln bloß auf Zufall beruht. Sehr häufig steuern die Seefahrer gerade aufgrund scharfsinniger Berechnungen an ihnen vorbei.

In der Nacht vom 8. auf den 9. April segelten wir an der Küste der Osterinsel in einer Entfernung von drei Meilen vorüber. Es herrschte klares Wetter, und der Wind hatte in weniger als drei Stunden von Nord auf Südost gedreht. Als es Tag wurde, steuerte ich auf die Cook Bay zu; von allen Buchten der Insel bietet sie den meisten Schutz gegen Winde aus Nord, Ost und Süd, nur der Westwind hat Zugang. Das Wetter war so schön, dass ich annahm, dieser Wind werde vielleicht mehrere Tage nicht wehen. Gegen elf Uhr morgens befand ich mich nur noch eine Meile vom Ankerplatz; die Astrolabe hatte bereits ihren Anker geworfen, und ich legte mich dicht neben sie; die Meeresströmung war aber so stark, dass die Anker beider Schiffe keinen Grund fanden und wir genötigt waren, sie wieder zu lichten und unsere Fahrzeuge zwei Mal zu wenden, bevor wir einen günstigeren Platz fanden.

Diese Widrigkeiten schreckten die Indianer nicht davon ab, uns ihren Besuch abzustatten. Sie schwammen uns wohl eine Meile in die offene See nach, kletterten zu uns an Bord, lachten und zeigten so viel Selbstbewusstsein, dass sie mir eine sehr vorteilhafte Meinung von ihrem Charakter beibrachten. Wären sie argwöhnisch gewesen, so würden sie, als wir wieder unter Segel gehen mussten, unfehlbar befürchtet haben, dass wir sie vielleicht entführen und aus ihrem Vaterland fortschleppen wollten. Allein die Idee einer solchen Perfidie lag ihnen gänzlich fern. Sie kamen nackt und ohne Waffen zu uns, ohne mehr auf dem Leib zu haben als eine um die Lenden gebundene Schnur, an welcher sie ein Büschel Kräuter befestigt hatten, um ihre Blöße zu verhüllen.

Der Maler Hodges, der Kapitän Cook auf seiner zweiten Reise begleitet hat, hat die Physiognomie der Insulaner ganz falsch wiedergegeben. Sie ist durchweg angenehm, aber verschiedenartig. Sie bilden keine Rasse mit charakteristischen Merkmalen wie die Malaien, die Chinesen oder die Chilenen.

Ich beschenkte diese Indianer mit allerlei Dingen. Kleine Stückchen bunter Leinwand, die ungefähr eine halbe Elle lang waren, schienen ihnen lieber zu sein als Nägel, Messer und Glasperlen. Noch weit begieriger waren sie nach Hüten, von denen wir leider eine zu geringe Anzahl an Bord hatten, als dass wir viele davon hätten abgeben können. Abends um acht Uhr nahm ich von meinen neuen Gästen Abschied, indem ich ihnen durch allerlei Zeichen zu verstehen gab, dass ich am folgenden Morgen in aller Frühe an Land kommen würde. Unter Hüpfen und Tanzen stiegen sie darauf wieder in ihr Kanu und setzten ab. Als sie noch etwa zwei Büchsenschuss vom Ufer entfernt waren, an welches die Brandung mit dem größten Ungestüm anschlug, sprangen sie in die See. Vorher hatten sie vorsichtigerweise aus meinen Geschenken kleine Bündel gemacht und sich auf den Kopf gebunden, damit sie nicht nass würden.

 

7Heute Isla Robinson Crusoe.