Rabenschreie

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hören und sie zitterte am ganzen Leib. Aniola hatte noch

immer ihre Hand auf Sayas Schulter und streichelte ihr jetzt

beruhigend über den Rücken.

»Ganz ruhig, meine Liebe. Alles ist gut. Erzähl mir doch

bitte ganz langsam, worum es hier geht. Was weißt du? Gibt

es einen Grund, wieso Shania verschwunden ist? Ich meine,

einen ernsthaften Grund?«

»Sie wurde tatsächlich entführt, habe ich nicht Recht?«

Bevor Saya etwas dazu sagen konnte, meldete sich Aleksiel

zu Wort. Die beiden Frauen sahen erstaunt auf. »Ich

vermute, es hat mit dem Fall zu tun, den ihr als letztes

bearbeitet habt. Den, mit den Vampiren und den Kindern.

Wurde sie deswegen entführt? Ist einer übrig geblieben, den

wir nicht zur Strecke gebracht haben und der Rache wollte?«

Saya seufzte laut auf.

»Ganz so einfach ist es nicht, Alex.« Saya nannte den

gefallenen Engel, der mittlerweile ihr bester Kumpel war,

meist einfach nur Alex. Aleksiel wurde ihr auf die Dauer zu

lange und da sein Name doch sehr an Alexander erinnerte,

wählte sie diese Kurzform für ihn.

»Im Grunde hast du schon Recht. Es hat tatsächlich mit

diesem Fall vor einem halben Jahr zu tun. Mit den

Vampiren. Doch, es ist nicht einfach nur ein anderer

Vampir, der Rache will. Es steckt etwas viel Größeres

dahinter.« Shina, die sich die gerade von der Toilette kam

und die letzten Wortfetzen mitbekommen hatte, stieß einen

spitzen Schrei aus. Aniola erschauderte. Die Vorstellung,

dass eine noch stärkere Macht hinter all dem stecken könnte,

jagte ihr einen eiskalten Schauer den Rücken hinunter. »Du

meinst, so eine Art Mafia?« Die polnische Vampirin wollte

es nun genau wissen. Saya nickte nur und wandte sich ihr

zu. »So etwas in der Richtung, ja.« Sie wirkte bedrückt. »Als

ich mit dem letzten Vampir gekämpft hatte, hat dieser mir

gesagt, dass sie nur angeheuert wurden und jemand hinter

allem steckt, der viel stärker ist, als sie, oder auch wir.« Nun

drehte sie sich wieder zu Aleksiel um. »Verstehst du, Alex?

Es ist eine Nummer zu groß für uns. Shania wurde entführt,

weil sie bei der ganzen Sache mitgemischt hatte. Ich bin

schuld an all dem. Sie wollte mir nur helfen und ich habe sie

in alles hineingezogen. Ich habe sie in diese Lage gebracht.

Was bin ich nur für eine Freundin?« Tränen rannten ihr die

Wangen hinab, die junge Vampirin vergrub ihr Gesicht in

ihren Händen und weinte. Aniola nahm sie ganz fest in den

Arm und versuchte sie zu trösten, aber Saya hörte nicht auf

zu schluchzen. Aleksiel sah sie voller Sorge an und ging

einen Schritt auf die beiden Frauen zu. »Saya, du darfst dir

auf keinen Fall die Schuld daran geben. Sie hat dir doch

freiwillig geholfen. Ihr habt ihr doch auch schon oft

geholfen. Als Hexe gerät sie immer zwischen die Fronten

und hatte schon einige Situationen, die gefährlich waren. Du

kannst nichts dafür. Es war richtig, den Kindern zu helfen

und ihr habt es doch auch geschafft. Jetzt gilt es die

Hintermänner zu finden und sie dingfest zu machen, damit

so etwas nicht noch einmal geschehen kann und damit

Shania in Sicherheit ist. Wir werden sie finden und retten

und dann vernichten wir diejenigen, die ihr das angetan

haben.«

Saya hob langsam ihren Kopf und sah ihn dankend an. Sie

schien seine Worte zu schätzen, doch Aniola sah, dass noch

immer Verzweiflung in ihren Augen lag. »Das ist lieb, dass

du das sagst, Alex, aber so einfach ist das wirklich nicht.

Wir wissen nicht, in welches Wespennest wir gestochen

haben. Wir wissen nicht, was uns erwartet, mit welchen

Gegnern wir es hier zu tun haben.« Aniola spürte bei diesen

Worten den Kloß in ihrem Hals. Es machte ihr ein wenig

Angst, trotz allem wollte sie ihre Freundin nicht so ohne

weiteres im Stich lassen. »Das wissen wir doch nie, Say.«

Sie versuchte, ihrer Freundin wieder ein wenig Mut zu

machen, auch wenn sie selbst nicht ganz von dem überzeugt

war, was sie ihr dann sagte. »Wir haben schon so viel

überstanden, schon so viel gesehen. Kann es wirklich

schlimmer werden, als all das, was wir bis jetzt erlebt

haben? Und selbst wenn die Hintermänner mächtiger sind,

als all diejenigen, die wir bisher besiegt haben, sind wir es

nicht mittlerweile auch? Wir sind doch auch stärker

geworden, haben uns entwickelt. Ich denke, wir können es

mit einem starken Gegner aufnehmen. Wenn wir

zusammenhalten, schaffen wir alles und wir haben

schließlich auch noch einen dunklen Engel, der uns hilft.«

Als sie Aleksiel ansprach, zwinkerte sie ihm zu. Der

Exengel grinste sie verschmitzt an und schien sich innerlich

schon auf das neue Abenteuer vorzubereiten. Saya trocknete

ihre Tränen und machte dann einen entschlossenen

Eindruck. »Du hast Recht, Aniola! Egal, was uns erwartet,

wir schaffen das und wir müssen Shania zuliebe dieses

Risiko in Kauf nehmen!.« So schnell konnte die Vampirin

gar nicht schauen, war Saya aus dem Sessel aufgestanden

und stand nun kampfbereit da, so als erwarte sie ihre Gegner

bereits. Aniola konnte sich nur mit Mühe ein Lachen

unterdrücken. Sie war von der Mission zwar nicht mehr ganz

so überzeugt, wie sie es vor Sayas Geschichte war, aber

immerhin hatte sie es geschafft, ihre Freundin wieder ein

wenig aufzumuntern und zu motivieren. Das war schließlich

die Hauptsache. Doch nun sollten sie keine Zeit mehr

verschwenden und mit der Suche anfangen. Wenn sie doch

nur einen Anhaltspunkt hätten, wo sich Shania aufhalten

könnte. Wo die Entführer sie versteckt haben könnten.

Aniola verabschiedete sich nach einer Weile und ging nach

Hause. Shina begleitete sie ein Stück, bis sich ihre Wege

schließlich trennten und auch Aleksiel verschwand. Wohin,

wusste keiner.

Als die Vampirin zuhause ankam, ging bereits die Sonne auf

und sie verzog sich schleunigst in ihr abgeschottetes

Schlafgemach, wo sie Schutz fand und legte sich hin.

5

Ein Schrei hallte durch den Raum und mit einem Satz stand

Aniola kerzengerade auf beiden Beinen neben ihrem Bett.

Glücklicherweise hatte sie beim Aufstehen ihre Bettdecke

mitgerissen, so dass sie darin eingehüllt da stand und nicht

splitterfasernackt, wie sie unter dieser Decke nun einmal

war. Ihre Augen waren noch immer vor Schreck geweitet

und ihr Herz pochte so laut, dass sie das Gefühl hatte, es

würde jeden Moment aus ihrem Brustkorb springen. Sie

versuchte, ruhig zu atmen und sah sich dann langsam im

Raum um. Sie wurde von einem Geräusch geweckt und

wollte nun herausfinden wer oder was- ihr stockte der Atem

und ihr Kopf lief von jetzt auf gleich knallrot an. Einerseits,

weil sie peinlich berührt war, andererseits vor Zorn. »Wer

hätte gedacht, dass du so schrill schreien kannst.« Hörte sie

die Person sagen, die im Dunkeln vor ihr stand. Sie musste

kein Licht anmachen, um ihn zu erkennen, denn ihre

Vampirsinne erlaubten es ihr, in der Nacht perfekt sehen zu

können. Sie kniff ihre Augen wütend zusammen und

funkelte ihren unverhofften Besucher an. »Was machst du

hier?« Ihre Stimme war noch höher und schriller, als der

Schrei zuvor. Sie war außer sich und konnte sich kaum

beherrschen. Am liebsten hätte sie irgendetwas nach ihm

geworfen. »Wieso werde ich eigentlich immer so begrüßt?«

Er wirkte schon fast beleidigt, doch Aniola empfand

keinerlei Mitgefühl. Wie konnte er es wagen, einfach in

ihrem Schlafzimmer aufzutauchen und dann auch noch,

während sie schlief? Sie zog ihre Augenbrauen nach oben.

»Das fragst du noch? Von Privatsphäre hast du auch noch

nie etwas gehört, oder?« Empört schnaubte sie auf, doch der

Mann, der im Schatten ihres Zimmers verborgen stand

zuckte nur unbekümmert mit den Achseln. »Weißt du, Saya

ist es mittlerweile von mir gewöhnt.« Aniola verschränkte

ihre Arme und sah ihn eindringlich an. »Wie Saya damit

umgeht ist mir vollkommen egal, Aleksiel, aber bei mir hast

du gefälligst durch die Vordertür zu kommen-« Der

Vampirengel öffnete den Mund, um etwas darauf zu sagen,

doch Aniola ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. »-und

selbst dann hast du nicht um diese Uhrzeit aufzukreuzen. Ich

brauche auch meinen Schlaf. Du bist doch auch ein Vampir.

Du solltest das doch eigentlich verstehen.« Wieder bekam

sie nur ein Achselzucken als Antwort. Das regte die

Vampirin noch mehr auf. Nun war ihr alles egal. Sie wollte

ihn einfach nur aus ihrem Zimmer haben. Doch solange sie

in ihre Bettdecke gehüllt dastand, konnte sie sich nicht

bewegen, geschweige denn einen starken groß gewachsenen

Kerl aus ihrem Schlafgemach werfen. Sie fackelte nicht

 

lange und ließ ihre Hüllen fallen. Aleksiel klappte der

Unterkiefer herunter und starrte sie an, jedoch ließ sie ihn

nicht genügend Zeit, sie intensiv zu mustern, denn im

nächsten Augenblick stand sie schon neben ihm, hatte ihn

am Arm gepackt und schleifte ihn nach außen. Im

Normalfall hätte er sich ohne weiteres dagegen zu Wehr

setzen können, doch so schnell wie Aniola handelte, konnte

er gar nicht reagieren. Darauf war er nicht gefasst gewesen

und noch immer starrte er sie an. Sie spürte seine Blicke auf

ihrem Körper und sie wusste nicht, ob sie sich geschmeichelt

fühlen, oder sich über seine Spannerei ärgern sollte.

Andererseits hatte sie es provoziert, weswegen sie sich kaum

aufregen konnte, wenn er Blicke riskierte. Er war schließlich

auch nur ein Mann und sie wusste nicht, wie es bei Engeln

mit Sex und alldem aussah. Andererseits mussten andere

Engel auch irgendwie entstehen. Immerhin wusste sie, dass

er der Sohn von Gabriel war, was bedeutete, dass Gabriel

mit einer anderen Frau, beziehungsweise ein anderer Engel

vermutlich- Nein, eigentlich wollte sie diesen Gedanken

nicht weiterspinnen, denn das wollte sie dann doch nicht so

genau wissen. Sie schüttelte all das ab und konzentrierte sich

wieder auf das hier und jetzt. Kaum hatte sie Aleksiel aus

der Tür befördert, huschte sie auch schon wieder ins

Schlafzimmer und zog sich schnell etwas über. Sie zog ein

kurzes dunkelblaues Sommerkleid aus ihrem Schrank. Das

war für diese Jahreszeit zwar noch nicht ganz passend, aber

besser als nackt und in ihren vier Wänden war es schließlich

angenehm warm. So leicht fror sie als Vampir auch nicht,

das war ein weiterer Vorteil. Sie war froh, dass sich der

gefallene Engel nicht einfach wieder ins Zimmer

materialisiert hatte. Vermutlich war er von ihrer Reaktion

noch zu sehr geschockt. Das schadete ihm nichts. Was fiel

dem Kerl auch ein, einfach so im Schlafzimmer einer Frau

aufzutauchen? Bei Saya schien er das ja öfters zu machen,

was er erwähnt hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass

Kris das sonderlich gefiel, wenn ein anderer Mann

auftauchte und seine Freundin womöglich noch nackt sah.

Sie öffnete die Tür und ging wieder nach draußen, wo

Aleksiel ungeduldig auf sie wartete, als wäre nichts

geschehen. Aniola hatte sich mittlerweile wieder

einigermaßen beruhigt, ihr Herz schlug wieder normal – im

Vergleich zu einem Menschen, war normal in dem Fall eher

ziemlich langsam. Das Herz eines Menschen schlug zehnmal

schneller, als das eines Vampirs – und war bereit, ein

vernünftiges Gespräch mit dem Exengel zu führen. Sie

hoffte nur, dass er auch einen guten Grund hatte, bei ihr

aufzutauchen. »Also, Aleksiel-«

»Alex.«

»Was?« Die engelsgleiche Vampirin sah ihn verwirrt an.

»Nenn mich doch einfach Alex, so wie Saya. Aleksiel ist

doch so förmlich und ein Engel bin ich eigentlich sowieso

nicht mehr. Also, nicht mehr so richtig.«

Aniola schaute ihn nur fassungslos an. Ihre Augenbrauen

wanderten noch weiter nach oben, dass sie schon fast ihre

Haarspitzen berührten. Nach einigen Sekunden fand sie dann

ihre Sprache wieder.

»Wenn, dann nenn ich die Alek, das gefällt mir besser.

Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich nach deinem

Verhalten auf gut Freund mit dir machen soll.«

Aleksiel lächelte sie charmant an und seine rehbraunen

Augen funkelten, als wären alle Sterne darin gefangen. Er

setzte fast schon einen Hundeblick auf und schaute ihr ganz

tief in die Augen. Aniola spürte die Gänsehaut, die sich auf

ihrem ganzen Körper bildete, all ihre Haare stellten sich auf,

ein warmer Schauer durchfuhr sie und ihr stockte der Atem.

Sein Lächeln war bezaubernd und seine Augen – ein Traum.

Sie musterte ihn heimlich, versuchte aber sich nichts

anmerken zu lassen. Vorsichtig ließ sie ihren Blick seinen

Oberkörper entlang schweifen. Er hatte starke

durchtrainierte Arme, die beide komplett tätowiert waren.

Die Tattoos standen ihm wirklich sehr gut. Sie mochte

Tätowierungen. Sie selbst besaß auch eines, auf dem linken

Schulterblatt. Dann spähte sie weiter hinunter und bemerkte

in der engen schwarzen Hose, die er anhatte, eine eindeutige

Beule. Wieder spürte sie die Röte in ihrem Gesicht und ihre

Augen fixierten wieder sein Gesicht. Noch immer hatte er

dieses Lächeln aufgesetzte. Ein Lächeln, das selbst das

kälteste Herz zum Schmelzen brachte. Er hätte damit Nord-

und Südpol binnen Sekunden schmelzen können. Sein

langes Haar war wie üblich zu einem Pferdeschwanz

gebunden, was ihm wirklich sehr gut stand, wie Aniola

dachte. Sie mochte langes Haar und sie verspürte das

Bedürfnis, seinen Haargummi zu lösen und durch sein

langes leicht welliges Haar zu fahren. Sie wollte es

berühren. Nur mit größter Mühe, konnte sie sich davon

abhalten. Sie spürte ein leichtes Zucken zwischen ihren

Schenkeln, doch versuchte sich weiterhin

zusammenzureißen. Ihr Herz begann erneut zu pochen und

ihre Atmung wurde flacher. Hätte sie nicht so eine große

Beherrschung, würde sie vermutlich anfangen zu sabbern.

Das wäre peinlich geworden. Sie bemerkte, dass eine

unangenehme Stille zwischen ihnen herrschte und versuchte

sich zu erinnern, worüber sie als letztes geredet hatten. Es

ging darum, wie sie ihn nennen sollte. Sie schob alle

erotischen Gedanken beiseite und all das, was sie sich

bereits ausgemalt hatte, mit ihm zu machen – sie wusste jetzt

schon, was sie träumen würde, sobald sie zu Bett ging – und

sah ihn mit ernster Miene.

»Na, schön, dann nenn ich dich Alek, in Ordnung?« Sie

seufzte. Aleksiel nickte zufrieden »Nun, gut, Alek. Dann

erklär mir doch bitte mal, was es so Wichtiges gibt.« Jetzt

wollte die Vampirin natürlich auch wissen, weswegen er

eigentlich hier war. Hoffentlich nicht nur, um sie zu

verführen, denn wenn er so weitermachen würde, gelänge

ihm das noch und das wollte sie im Grunde genommen

eigentlich nicht. Das würde alles nur unnötig komplizieren

und da sie in der Zukunft sicher öfter miteinander zu tun

hatten, wäre es eine unangenehme Situation für beide – nun

gut, zumindest für sie.

Aleksiel, noch immer mit einem Lächeln auf den Lippen,

öffnete seinen Mund und begann ihr die Situation zu

schildern.

»Es geht um die Idee, nach Shania zu suchen. Nachdem, was

Saya erzählt hatte, scheint die kleine Hexe in großeer Gefahr

zu schweben, weswegen wir uns umgehend auf die Suche

machen sollten.« Zustimmend nickte Aniola. Da war sie voll

und ganz seiner Meinung. Sie durften keine Zeit mehr

verschwenden, wenn sie ihre Freundin heil und gesund

zurück haben wollten. »Das sehe ich auch so, aber wo ist das

Problem? Dann machen wir uns bei Anbruch der Nacht

gleich auf den Weg.« Aleksiel schüttelte leicht betrübt den

Kopf. »Es ist so, dass Saya nicht mitkommen kann?«

»Was?« Aniola starrte ihn ungläubig an. »Das glaube ich

nicht. Für sie ist es doch genauso wichtig, Shania zu finden,

wenn nicht sogar wichtiger, wie für uns alle.« Kopfnicken

von Aleksiels Seite. »Ja, das stimmt, aber sie kann ihre

Schützlinge nicht solange alleine lassen. Die Suche ist ja

nicht nach einem Tag abgeschlossen. Wir werden vermutlich

Wochen, wenn nicht Monate nach ihr suchen müssen, bis

wir eine konkrete Spur haben und sie tatsächlich finden.

Shania wollte Saya beim Unterrichten eigentlich

unterstützen und was soll aus den Kindern denn werden,

wenn Saya auch noch weg wäre.« Das leuchtete Aniola

durchaus ein. Die Kinder wurden von gewissenlosen

Vampiren gefoltert und gewandelt und dann einfach

zurückgelassen. Sie brauchten ein stabiles Umfeld und

Unterstützung, um sich richtig zu entwickeln und sich

kontrollieren zu können. Somit fiel Saya für die Suchaktion

tatsächlich schon einmal weg. »Und was ist mit Raven?«

Shanias frisch gebackener Ehemann machte sich die größte

Sorgen um seine Frau und gerade ihm müsste die Suche sehr

am Herzen liegen. Doch auch da schüttelte Aleksiel seinen

Kopf. »Leider geht auch das nicht. Er ist der Anführer des

Rabenclans. Er ist zwar noch nicht offiziell gekrönt worden,

da er auf die Rückkehr seiner Frau warten möchte, aber

dennoch braucht der Clan sein Oberhaupt. Stell dir vor, was

für ein Chaos herrschen würde, wenn er weg wäre und was

würde erst werden, wenn ihm bei der Suche womöglich

noch etwas zustoßen würde.« Daran hatte die Vampirlady

noch überhaupt nicht gedacht. Sein Bruder Kris konnte ihn

schließlich auch nicht vertreten, da er nicht der Anführertyp

war und es hatte schon für große Aufregung gesorgt, als er

ursprünglich zum Nachfolger ernannt hätte werden sollen.

Nun, dann blieben nicht mehr viele Personen übrig, die bei

der Suche helfen konnten und Aniola traute sich gar nicht,

nachdem restlichen zu fragen, da sie befürchtete, dass auch

da die Antwort negativ ausfallen würde. Statt noch weitere

Personen ihres Umkreises aufzuzählen, entschied sie sich

also dafür, Aleksiel ganz direkt zu fragen. »Nun, Alek, da

ich befürchte, dass du mir bei allen anderen Leuten, die ich

kenne, die gleiche Antwort geben wirst, nämlich, dass sie

nicht helfen können, sag mir doch bitte einfach, wer denn

übrig ist. Wer kann und wird sich auf die Suche nach Shania

begeben?« Aleksiel atmete tief ein, doch sagte keinen Ton.

Stattdessen streckte er seinen rechten Arm aus und deutete

auf sie. Ja, genau, sein Finger zeigte eindeutig in ihre

Richtung. Aniola sah sich um, ob nicht hinter ihr noch

irgendwer stand, aber das war eigentlich unsinnig, denn wer

sollte denn da stehen? Sie sah wieder zu Aleksiel und ihre

Augen waren weit aufgerissen. »Ich?« Um diese Frage noch

zu verdeutlichen, zeigte sie nun selbst mit dem Finger auf

sich. Aleksiel nickte bloß. »Ich bin die Einzige, die nach

Shania suchen wird?« Ein erneutes Kopfnicken bestätigte

ihre Vermutung. »Ja, so ist es.«, erwiderte der schwarze

Engel. »Naja, eigentlich wir beide. Schließlich brauchst du

mich für die Materialisierung.«

Wunderbar, das hatte ihr noch gefehlt. Alleine mit diesem

starken, gutaussehenden Macho. Sie schrie innerlich auf,

doch ließ sich nach außen nichts anmerken. Sie setzte ein

gespieltes Lächeln auf, als wäre alles in Ordnung. »Nun, gut,

dann machen nur wir uns auf die Suche. Wir werden sie

schon finden!« Diese Entschlossenheit war nur gespielt, aber

sie versuchte dennoch ein wenig optimistisch zu sein.

Immerhin hatte sie zusammen mit dem ehemaligem Engel

und Sohn eines Erzengels eine Chance – wenn auch nur eine

geringe – ihre verschwundene Hexenfreundin zu finden.

*

Aniola saß am Küchentisch bei ihrer Freundin Saya und

schlürfte seit einer gefühlten Stunde an einem Glas A

Positiv. Sie fuhr sich mit ihrer rechten Hand durch ihr seidig

glänzendes Haar und kräuselte es immer wieder mit ihren

Fingern zu kleinen Löckchen. Saya und sie wollten einen

Plan ausarbeiten, wo sie mit dem Suchen anfangen sollte.

Ihre Vampirfreundin musste bald in die Schule und somit

hatten sie nicht mehr lange Zeit. Aleksiel wollte schon in

 

dieser Nacht mit ihr aufbrechen. Bei dem Gedanken bekam

sie weiche Knie. Alleine mit diesem umwerfenden dunklen

Engel. Eine wirklich heiße Vorstellung. Sie schüttelte

innerlich den Kopf. Sie durfte sich dadurch auf keinen Fall

von der Mission ablenken lassen. Shania war wichtiger.

Aniola fasste sich an die Ohren, an denen Flügel

herabhingen. Silberne Flügel als Ohrringe, die zudem noch

von einer großen schwarzen Perle geschmückt wurden. Die

gleichen schwarzen Perlen zierten auch Sayas Ohren.

Dazwischen waren noch silberne Anhänger in S-Form

angebracht. Shania hatte ihnen diese Ohrringe zu

Weihnachten geschenkt. Nicht dieses Weihnachten, sondern

das davor. Schließlich war sie seit Herbst verschwunden und

sie mussten das Fest ohne sie feiern. Es gab eigentlich keine

richtige Feier, denn alle waren zu traurig, über das

Verschwinden der Hexe und alles andere, als in

Partystimmung. Aniola seufzte und nahm den letzten

Schluck. Sie stellte das leere Glas in die Spüle und sah zu

Saya, die ebenfalls mit leerem Blick am Tisch saß.

»Nun, was meinst du? Wo könnte sie versteckt sein?«

Die junge Vampirin zuckte mit den Achseln, sah nun

allerdings auf. »Ich weiß es nicht, Ani. Ich-« Sie stockte.

Plötzlich schien der blutsaugenden Brünette – eigentlich war

ihr Haar eher rotbraun – etwas eingefallen zu sein. Ihre

Augen funkelten und ein zufriedenes Grinsen huschte über

ihr Gesicht. »Das könnte es sein!« Fragend sah Aniola ihre

Freundin an. »Ich habe dir doch erzählt, dass ich mit dem

einen der drei Vampire gesprochen habe und dass er mir von

Hintermännern erzählt hat, die sie engagiert hatten, ja?«

Aniola nickte lautlos. »Hör zu! Mir ist gerade wieder

eingefallen, dass er eine Kette mit Runen um den Hals hatte.

Ich hatte die Runen entziffert. Es war sein Name. Er war-«

Saya machte ein nachdenkliches Gesicht und rieb sich das

Kinn. »Moment. Mir fällt es sicher gleich wieder ein.

Letztens wusste ich seinen Namen noch. Ich hatte es Raven

erzählt. Vielleicht weiß er ihn noch. Oder, warte, ich glaube,

sein Name war Sven, oder so ähnlich. Jedenfalls war es ein

nordischer Name. Ich bin mir ziemlich sicher. Ich hatte mit

Raven schon darüber gesprochen, dass er aus Skandinavien

gewesen sein und Shania auch dort versteckt sein könnte.

Das würde auch zu seinem Äußeren und seinem Akzent

passen. Er hatte ganz komisch reagiert, als ich ihn darauf

angesprochen hatte und ich denke wirklich, dass sich in der

Gegend die Hintermänner aufhalten könnten. Und wenn

diese Leute Shania haben, dann ist sie mit Sicherheit dort.«

Aniolas Augen weiteten sich vor Erstaunen und sie ging

einige Schritte auf Saya zu. »Du meinst-« Sie redete nicht

weiter, denn sie verstanden sich auch so. Saya nickte und

Aniola lächelte zuversichtlich. Nun hatten sie einen

Anhaltspunkt. Sie würden nach Skandinavien reisen. »Ich

würde in deine Suche aber auch Deutschland

miteinbeziehen.« Erstaunt über diese Aussage, schaute

Aniola ihre Vampirgenossin fragend an. Ihre Augenbrauen

waren leicht nach oben gezogen. »Sven ist ein Name, der

auch in Deutschland weit verbreitet ist. Schließlich ist es

nicht so weit von den skandinavischen Inseln fort und der

Akzent unterscheidet sich auch nicht großartig. Zumindest

nicht für unser Gehör. Sicher ist sicher.« Aniola stimmte ihr

voll und ganz zu. Irgendwie breitete sich etwas in ihr aus,

das ihr mehr und mehr das Gefühl gab, dass sie Shania in

Deutschland finden würde. Vielleicht wäre es sinnvoll dort

mit der Suche zu beginnen. Es schien ihr eine kluge

Entscheidung zu sein, aber das musste sie erst mit Aleksiel

besprechen.

»Ich hoffe, wir werden sie bald finden« Die

zweihundertfünfzig-jährige Vampirin starrte mit leerem

Blick in das Glas, das vor ihr stand. Saya nickte nur, stand

dann auf und ging Richtung Wohnzimmer. Aniola schaute

ihrer Freundin nach, bis diese im Raum verschwunden und

nicht mehr zu sehen war. Nur einige Augenblicke später,

kehrte sie wieder zurück, ein neues Smartphone in der Hand.

»Sag bloß, du hast dir schon wieder ein neues Handy

geholt?« Aufgeregt nickte die junge Vampirin und ihr

Gesicht strahlte nur so. Aniola schüttelte fassungslos den

Kopf. Woher sie nur immer das Geld für all die Sachen

nahm. Schließlich verdiente sie mit ihrem Internat nichts, da

die Schüler ihr sicher nichts bezahlen konnten. Als hätte

Saya ihre Gedanken mitbekommen, erläuterte sie ihr sofort,

woher sie das Geld nahm. »Weißt du, ich habe neue Schüler

bekommen.« Fragend und neugierig drehte sich Aniola nun

zu ihr um und sah ihr direkt in die Augen, gespannt darauf,

was sie ihr als nächstes erzählen würde. »Einige Eltern von

Gestalwandlerkindern sind auf mich zugekommen und-»

»Gestaltwandler?« Aniola klappte der Unterkiefer weg. Sie

hatte ihre Freundin nicht einmal aussprechen lassen, doch

das verschlug ihr wirklich die Sprache. »Aber ich dachte,

das sei ein Vampirinternat?« Kopfnicken. >Ja, du hast ja

Recht, so war es ursprünglich geplant, aber offensichtlich

gibt es unter den Gestaltwandlern auch einige Kinder, die

nicht so ganz mit ihren Kräften und ihrer Verwandlung

umgehen können-« Wieder ließ sie Saya nicht zu Ende

erzählen.

»Dafür sind doch aber ihre Eltern da.« Auch jetzt erhielt

Aniola ein Kopfnicken als Antwort.

»Das stimmt, aber viele sind damit überfordert oder haben

keine Zeit, deswegen haben sie mich gefragt, ob ich das

nicht übernehmen könnte, da ich den Job mit den

Vampirkindern so gut mache.»

»Du bist ja auch ein Vampir.«

»Ja, aber durch Kris, Shania und Shina habe ich auch viel

Erfahrung mit anderen übernatürlichen Wesen. Jedenfalls

soll ich diese unterrichten. Neue Vampirkinder kamen im

Übrigen auch dazu.«

Bei der letzten Bemerkung runzelte Aniola ihre Stirn. »Wie

das? Die kinderschändenden Monster haben wir doch

erledigt.« Saya zuckte unbekümmert mit den Achseln. »Das

hat auch mit dieser Sache nichts zu tun.» Ihre Stimme klang

bedrückt. »Es gibt wohl ab und an auch Unfälle, wo

Vampire Kinder unfreiwillig verwandeln.« Aniola konnte

nicht glauben, was sie da hörte. »Unfreiwillig? Du willst mir

tatsächlich erzählen, dass das Verwandeln von Kindern ein

Unfall ist? Du scherzt, nicht wahr?« Saya schüttelte den

Kopf. »Leider nein. Es kommt immer wieder vor, dass sie

im Blutrausch erst gar nicht bemerken, was sie da tun und

dass es sich um ein Kind handelt und andere wollen den

Kindern nur helfen.« »Wie wollen sie ihnen so denn

helfen?« Nun schaute Saya ihrer Freundin tief in die Augen,

ihr Blick war ernster, als je zuvor. »Was würdest du tun,

wenn ein Kind, womöglich noch ein engeres

Familienmitglied aus deinem vorherigen Leben im Sterben

liegen würde? Wenn es todkrank wäre, oder verbluten

würde?« Mehr musste Saya nicht sagen. Aniola verstand

sofort und ihre Miene wurde ebenfalls ernst. Sie war über

zweihundert Jahre alt, von ihrer Familie, die sie einst hatte,

war kein einziger mehr übrig. Sie war lange vorher fort

gegangen. Sie hätte es nicht ertragen, mitansehen zu müssen,

wie sie vor ihren Augen starben und sie alle überlebte. Der

Gedanke stimmte sie sehr traurig und ihr Magen zog sich

zusammen. Sie kämpfte gegen Tränen an, die sich in ihren

Augen zu bilden drohten. Ja, vermutlich hätte sie in diesem

Fall auch ein Tabu gebrochen. Hätte sie gesehen, wie ihre

Schwester, oder einer ihrer Brüder gelitten hätte und im

Sterben lag, hätte sie höchstwahrscheinlich auch gegen den

Codex verstoßen und ihr Vampirgift eingesetzt, um sie zu

wandeln. Sie bekam kein Wort heraus und ihr Hals brannte.

So ging es ihr immer, wenn sie etwas zutiefst mitnahm.

Anstatt zu antworten, nickte sie Saya nur verständnisvoll zu,

die sie nun voller Sorge ansah. Natürlich hatte ihre Freundin

die plötzliche Veränderung wahrgenommen, die Trauer und

der Schmerz, der in ihr hochkroch. All das war ihr

anzusehen, zumindest für diejenigen, die sie kannten. Sie

nahm ihre Freundin in den Arm und sie redeten die ganze

Nacht lang, bis die Sonne aufging.

6

Es war eine angenehme Frühjahrsnacht, der Wind flüsterte,

die Bäume tanzten sachte und es duftete nach frisch

blühenden Blumen. Die kühle Luft wehte durch sein

Gefieder, während er immer weiter himmelwärts flog und

die Erde hinter sich ließ. Die Häuser und Bäume wurden

immer kleiner und er fühlte sich so unendlich frei. Er flog

immer weiter und weiter, der Wind wurde stärker, je näher

er der Themse kam und als er das Gewässer unter sich

schimmern sah, ließ Raven sich langsam wieder

hinuntergleiten. Es war Vollmond und die Nacht war hell

erleuchtet. Das Licht des Mondes reflektierte in der Themse

und ließ diese erstrahlen, als wären alle Sterne darin

gefangen. Raven landete auf der Tower Bridge, der Ort, wo

sein Vater tot aufgefunden wurde und genau der Ort, wo er

Shania das erste Mal getroffen hatte. Bedrückt starrte er

hinunter zum Fluss und dachte an seine verschwundene

Frau. Er wusste, dass Aniola sich auf die Suche machen

würde und hoffte, dass sie sie finden und heil zu ihm

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