Mr. Bennets gesamtes Vermögen bestand fast ausschließlich aus einem Landgut, das zweitausend Pfund im Jahre abwarf. Da die Erbordnung nur männliche Erben berücksichtigte, fiel einmal der Besitz nicht an seine Töchter, sondern an einen entfernten Verwandten. Und das Vermögen seiner Frau war, wenn auch an sich nicht klein, doch nicht groß genug, um diesen Verlust auszugleichen. Mrs. Bennets Vater war Anwalt in Meryton gewesen und hatte ihr viertausend Pfund vermacht.
Ihre einzige Schwester war mit einem Mr. Philips verheiratet, der Rechtsbeistand ihres Vaters gewesen war und nach seinem Tode die Praxis übernahm. Und ihr einziger Bruder lebte in London als vermögender Kaufmann.
Longbourn lag nur eine Meile von Meryton entfernt; eine sehr bequeme Entfernung für die jungen Mädchen, die wenigstens drei- bis viermal in der Woche unbedingt hinüber mussten, um ihre Tante zu besuchen oder die Schneiderin; die schräg gegenüber wohnte. Die beiden jüngsten, Catherine und Lydia, empfanden besonders häufig das Bedürfnis zu einem solchen Besuch; ihre Köpfe hatten noch weniger Raum für Gedanken als die ihrer Schwestern, und wenn sich nichts Besseres finden ließ, bot immer der Spaziergang nach Meryton einen Zeitvertreib für den Vormittag und ein Gesprächsthema für den Abend; es mochte noch so wenig Erwähnenswertes in der engeren oder weiteren Nachbarschaft vorgekommen sein, sie brachten es doch fertig, irgendeine Neuigkeit von ihrer Tante mit nach Hause zu bringen. Und gegenwärtig bot sich eine besonders reiche Ernte an Neuigkeiten aller Art und an Jungmädchen-Glückseligkeit dar; denn ein ganzes Regiment war vor kurzem in die Nachbarschaft gelegt worden, und Meryton beherbergte das Hauptquartier und damit die Offiziere.
Die Besuche bei Mrs. Philips wurden jetzt zu einem Quell ständig wechselnder und immer gleichbleibend spannender Mitteilungen. Kein Tag verging, der ihrem Wissen nicht einen neuen Namen, eine neue Wichtigkeit aus dem Offizierskorps hinzugefügt hatte. Wer bei wem wohnte, blieb ihnen nicht lange verborgen, und bald lernten sie die Offiziere auch selbst kennen. Mr. Philips machte bei allen einen Besuch, und dies eröffnete seinen Nichten Möglichkeiten, wie sie sie nie auch nur erträumt hatten. »Offizier« wurde ihr zweites Wort. Mr. Bingleys großer Reichtum, der ihre Mutter so sehr begeistern konnte, erschien ihnen im Vergleich mit einem bunten Rock völlig unbedeutend.
Nachdem Mr. Bennet sich eines Morgens die Ergüsse seiner beiden jüngsten Töchter eine Weile hatte mit anhören müssen, meinte er: »Soweit ich nach eurem Gerede schließen kann, dürftet ihr die beiden dümmsten Mädchen im ganzen Land sein. Den Verdacht hatte ich schon längere Zeit, aber jetzt weiß ich es mit aller Gewissheit.«
Catherine wurde verlegen und antwortete nichts darauf; Lydia dagegen ließ sich keineswegs in ihrem Vergnügen stören, unbekümmert weiter ihrer Bewunderung für Hauptmann Carter Ausdruck zu geben, zugleich mit der Hoffnung, ihn heute noch einmal zu treffen, da er morgen nach London fahre.
»Ich muss mich wundern, mein Lieber«, erwiderte Mrs. Bennet für ihre Töchter, »dass du so leichthin unsere Kinder für dumm erklärst. Wenn du schon von Kindern etwas Schlechtes denken musst, warum fängst da dann bei deinen eigenen an?«
»Da meine Kinder aber nun einmal so beschränkt sind, würde ich ja selber dumm sein, wenn mir das nicht auffiele.«
»Sehr wohl – aber zufällig sind sie alle äußerst klug!«
»Das wäre dann der einzige Punkt, in dem wir nicht einer Meinung sind. So sehr ich es wünschte, dass wir in jeder Kleinigkeit übereinstimmten, ich muss in diesem Falle auf meiner Ansicht bestehen bleiben, dass meine beiden jüngsten Töchter ganz ungewöhnlich albern und töricht sind.«
»Mein lieber Bennet, du kannst nicht erwarten, dass Mädchen in diesem Alter die Vernunft ihres Vaters oder ihrer Mutter besitzen. Wenn sie in unser Alter kommen, dann werden sie schon ebensowenig an Offiziere denken wie wir. Ich kann mich noch sehr gut an die Zeit erinnern, als ich selbst für bunte Röcke eine Schwäche hatte – und offen gestanden, daran hat sich auch heute noch nichts geändert. Sollte ein forscher junger Oberst mit fünf bis sechstausend im Jahr um die Hand einer meiner Töchter anhalten, ich würde nicht nein sagen. Oberst Forster sah doch neulich auf der Abendgesellschaft bei den Lucas sehr gut in seiner Uniform aus.«
»Mutter«, rief Lydia, »Tante erzählte uns, Oberst Forster und Hauptmann Carter seien nicht mehr so oft wie früher bei Miss Watson; sie hat die beiden letzthin häufiger in der Buchhandlung von Clark getroffen.«
Bevor Mrs. Bennet hierzu etwas erwidern konnte, betrat ein Diener das Zimmer und überreichte Jane ein Schreiben. Ein Bote von Netherfield habe es gebracht und warte draußen auf eine Antwort. Mrs. Bennets Augen leuchteten vor Vergnügen, und während Jane das Papier entfaltete, rief sie aufgeregt: »Nun, Jane, von wem ist es? Was steht darin? Was will er? Beeile dich, Jane! Mach doch schnell, Liebling!«
»Von Miss Bingley«, sagte Jane und las dann vor:
»Liebe Freundin!
Wenn Sie ein mitleidiges Herz besitzen, dann kommen Sie und speisen mit mir und meiner Schwester Louisa zu Abend; sonst laufen wir Gefahr, uns unser Leben lang zu hassen; Sie wissen, wenn zwei Frauen einen ganzen Tag miteinander verbringen, das muss zwangsläufig mit einem Streit enden. Kommen Sie, sobald Sie können. Mein Bruder und die beiden Herren sind bei den Offizieren zu Gast.
Es begrüßt Sie Ihre Caroline Bingley«
»Bei den Offizieren?« rief Lydia erstaunt. »Merkwürdig, dass Tante uns das nicht erzählt hat!«
»Die Herren sind eingeladen«, meinte Mrs. Bennet, »so ein Pech!«
»Kann ich den Wagen bekommen?« fragte Jane.
»Nein, meine Liebe, ich finde, du reitest besser hin; es sieht nach Regen aus, und dann musst du dort übernachten.«
»Eine großartige Idee«, sagte Elisabeth, »außer wenn es den Bingleys einfallen sollte, sie in ihrem Wagen nach Hause zu bringen.«
»Ach so – aber nein, die Herren werden ja in Mr. Bingley’s Wagen nach Meryton gefahren sein; und Mr. Hurst hat zwar einen Vierspänner, aber keine Pferde dazu.«
»Ich möchte aber viel lieber dorthin fahren, wenn es geht.«
»Unmöglich, Liebling, dein Vater wird die Pferde bestimmt nicht entbehren können. Sie werden doch bei der Feldarbeit benötigt, nicht wahr, Bennet?«
»Ich brauche sie dort sehr viel öfter, als ich sie von euch freibekommen kann.«
»Aber wenn du sie ausgerechnet heute brauchst«, sagte Elisabeth, »dann unterstützt du doch nur Mutters Plan.«
Es stellte sich dann aber heraus, dass die Pferde schon auf den Äckern bei der Arbeit waren, und Jane blieb nichts anderes übrig, als das Reitpferd zu nehmen. Ihre Mutter begleitete sie zur Tür und verabschiedete sich von ihr in der aufgeräumtesten Laune mit der Prophezeiung, dass es bestimmt bald anfangen werde zu regnen. Ihre Erwartungen wurden auch nicht enttäuscht: Jane war noch nicht lange unterwegs, als es vom Himmel herab zu gießen begann. Die Schwestern waren etwas in Sorge ihretwegen, aber Mrs. Bennet strahlte. Der Himmel machte keine Anstalten, freundlicher zu werden; Jane konnte bei dem Wetter unmöglich nach Hause kommen.
»Das war wirklich eine ganz vorzügliche Idee von mir«, sagte Mrs. Bennet mehr als einmal im Laufe des Abends; als ob der Regen ausschließlich ihr Werk sei.
Aber erst am nächsten Morgen durfte sie alle Früchte ihrer weisen Vorbedacht ernten. Man hatte gerade das Frühstück beendet, als ein kurzes Schreiben von Netherfield für Elisabeth gebracht wurde:
»Liebste Lizzy!
Mir geht es heute Morgen gar nicht gut, wahrscheinlich, weil ich gestern bis auf die Haut durchnässt hier ankam. Die lieben Freunde hier wollen von meiner Rückkehr nichts hören, bis ich mich nicht wohler fühle. Sie haben auch darauf bestanden, Doktor Jones zu holen; beunruhigt euch also nicht, wenn ihr hört, er habe mich untersucht; bis auf ein wenig Hals- und Kopfschmerzen fehlt mir bestimmt nichts.
Deine Schwester J.«
Elisabeth fühlte sich aber ernstlich besorgt und war fest entschlossen, zu ihrer Schwester zu gehen, obgleich der Wagen nicht zur Verfügung stand; und da sie nicht reiten konnte, hatte sie keine andere Wahl, als den Weg zu Fuß zu machen. Sie teilte ihrer Familie ihren Entschluss mit.
»Wie kannst du so töricht sein«, rief ihre Mutter aus, »bei diesem schmutzigen Wetter auch nur daran zu denken! Stell’ dir vor, wie du ausschauen wirst, wenn du dort anlangst! Du wirst dich nicht sehen lassen können!«
»Vor Jane werde ich es wohl können; und nur ihrethalben gehe ich ja hin.«
»Das soll wohl ein Wink sein«, sagte Mr. Bennet, »dass ich eigentlich die Pferde von der Arbeit holen könnte.«
»Nein, bestimmt nicht, Vater! Ich mache gern den Weg. Es ist ja gar keine Entfernung, nur drei Meilen. Zum Essen bin ich sicher wieder zurück.«
»Obzwar ich deiner tatkräftigen Nächstenliebe meine Bewunderung nicht versagen möchte«, bemerkte Mary, »so kann ich dennoch nicht billigen, dass du deine Gefühle deiner gesunden Vernunft überordnen willst. Meiner Meinung nach ist jede Handlung ungerechtfertigt, wenn sie in einem Missverhältnis zum gewünschten Ergebnis steht.«
Es störte Mary gar nicht, dass, während sie noch dozierte, Lydia und Catherine der älteren Schwester ihre Begleitung bis Meryton angeboten hatten und dass die drei sich schon zum Gehen fertig machten.
»Wenn wir uns ein wenig beeilen«, meinte Lydia, als sie aufbrachen, »treffen wir vielleicht noch Captain Carter, ehe er nach London fährt.«
In Meryton trennten sich die Geschwister; die beiden jüngeren besuchten eine der Offiziersdamen, und Elisabeth setzte ihren Weg allein fort; ein Feld, eine Wiese nach der anderen musste sie überqueren, hier einen Zaun nehmen, da über eine Pfütze springen, alles in ungeduldiger Eile, bald an ihr Ziel zu gelangen, bis sie endlich mit müden Füßen, beschmutzten Strümpfen und erhitztem, glühendem Gesicht vor Netherfield anlangte.
Ihr Erscheinen im Wohnzimmer, wo alle außer Jane versammelt waren, rief beträchtliches Erstaunen hervor. Dass sie so früh am Tage, bei solchem Wetter und dazu noch allein den weiten Weg gemacht haben sollte, kam Mrs. Hurst und Caroline fast unglaublich vor; und Elisabeth merkte, dass sie deshalb in der Achtung der beiden Damen gesunken war. Immerhin, sie wurde sehr höflich empfangen; und in der Art, wie Mr. Bingley sich um sie kümmerte, lag mehr als bloße Höflichkeit, lagen Anerkennung und Freundlichkeit. Mr. Darcy sagte sehr wenig und Mr. Hurst gar nichts. Jener bewunderte wohl die strahlende Frische des jungen Gesichts, bezweifelte aber andererseits die Notwendigkeit, nur einer erkälteten Schwester wegen allein einen so weiten Weg zu machen, und er war sich nicht recht einig, welcher Regung er den Vorzug geben sollte. Mr. Hurst dagegen dachte ausschließlich an sein Frühstück.
Die Antworten auf ihre Fragen nach Janes Befinden klangen nicht sehr beruhigend. Miss Bennet habe eine unruhige Nacht verbracht, sei jetzt zwar auf, fühle sich aber fieberig und nicht wohl genug, um herunterzukommen. Elisabeth war es sehr recht, dass sie sogleich hinaufgeführt wurde; und Jane, die nur aus Besorgnis, ihre Familie könne sich ängstigen, in ihrem Brief nicht den Wunsch nach Besuch geäußert hatte, lächelte der Eintretenden hocherfreut entgegen. Sprechen strengte sie jedoch zu sehr an, sodass sie, nachdem Miss Bingley wieder gegangen war, sich darauf beschränkte, leise für die große Freundlichkeit zu danken. Elisabeth setzte sich schweigend zu ihr.
Nach dem Frühstück machten die beiden Gastgeberinnen einen Besuch bei der Kranken. Elisabeth fing an, einiges Gefallen an ihnen zu finden, als sie sah, mit welcher Liebe und Besorgnis sie sich um Jane bemühten. Später kam auch der Landarzt und stellte nach der Untersuchung, wie zu erwarten war, die Diagnose auf eine schwere Erkältung; er empfahl, alles anzuwenden, was zur Besserung beitrage. Vor allen Dingen müsse sie das Bett hüten; eine Medizin werde er schicken. Jane folgte willig seinem Rat; denn das Fieber hatte zugenommen, und ihr Kopf schmerzte zum Zerspringen. Elisabeth verließ das Zimmer nicht einen Augenblick. Auch die beiden Damen waren nicht oft abwesend; denn da die Herren ausgeritten waren, langweilten sie sich ohnehin.
Als die Uhr drei schlug, erklärte Elisabeth sehr widerstrebend, nun gehen zu müssen. Caroline bot ihr den Wagen an, und sie hätte das freundliche Anerbieten auch gern angenommen, aber Jane zeigte sich so betrübt über ihr Weggehen, dass Caroline sich wohl oder übel dazu entschließen musste, ihr statt des Wagens die Gastfreundschaft auf Netherfield für einige Tage anzubieten. Elisabeth nahm voll Dankbarkeit an, und ein Diener wurde nach Longbourn geschickt, um die Familie zu benachrichtigen und um einige Kleidungsstücke zu holen.
Um fünf Uhr zogen sich Caroline und ihre Schwester zurück, um sich umzukleiden, und um halb sieben rief der Gong Elisabeth zu Tisch. Auf die höflichen Nachfragen, die sich überstürzten und unter denen sie zu ihrer Freude die aufrichtige Besorgnis Mr. Bingleys herauszuhören vermochte, konnte sie keine befriedigende Antwort geben. Janes Befinden hatte sich in keiner Weise gebessert. Die beiden Schwestern versicherten hierauf drei- oder viermal, wie sehr es sie bekümmere, das zu hören, wie scheußlich es sei, eine Erkältung zu haben, und wie ungern sie selber krank seien; und damit hatte sich das Thema für sie erschöpft. Diese Gleichgültigkeit gegen Jane, sobald sie sie nicht vor Augen hatten, erlaubte Elisabeth, ihrer Abneigung, die sie von Anfang an gegen die beiden Damen empfunden hatte, wieder unvermindert Raum zu geben.
Mr. Bingley war tatsächlich der einzige von der ganzen Tischgesellschaft, den sie mit freundlichen Augen betrachten mochte. Seine Sorge um Jane war ganz offensichtlich und seine Aufmerksamkeit ihr selbst gegenüber äußerst wohltuend, zumal sie ihr darüber hinweg half, sich wie ein lästiger Eindringling vorzukommen, als den die anderen – davon war sie überzeugt – sie betrachteten. Das heißt, man beachtete sie gar nicht. Caroline hatte nur Augen und Ohren für Darcy; ihre Schwester, Mrs. Hurst, nicht weniger; und Mr. Hurst, neben dem Elisabeth saß, war ein stumpfsinniger Mensch, der sich für nichts als Essen, Trinken und Karten interessierte; nachdem er erfahren hatte, dass sie gewöhnliche Hausmannskost französischer Küche vorzog, wurde zwischen ihnen kein weiteres Wort mehr gewechselt.
Nach dem Essen kehrte sie sogleich zu Jane zurück. Kaum hatte sie das Zimmer verlassen, begann Caroline sich höchst abfällig über sie zu äußern. Ihr Benehmen müsse wirklich als sehr schlecht bezeichnet werden, es sei eine Mischung von Hochmut und Ungezogenheit; sie verfüge weder über Unterhaltungsgabe, noch über Manieren oder Geschmack. Und schön sei sie auch nicht.
Mrs. Hurst war derselben Meinung und fügte noch hinzu: »Kurz gesagt; es fehlt ihr jede Eigenschaft, die sie liebenswert machen könnte, falls man nicht ihre Vorliebe für Fußmärsche als eine solche bezeichnen will. Ich werde mein Leben lang nicht den Anblick von heute Morgen vergessen; sie sah aus wie eine Wilde!«
»Ja, unglaublich«, pflichtete ihr Caroline bei. »Ich konnte kaum an mich halten, etwas zu sagen. Wie töricht von ihr, überhaupt herzukommen! Was braucht sie durch den Regen und Schmutz herzuwaten, bloß weil ihre Schwester eine kleine Erkältung hat? Wie ihr Haar aussah, zerweht und unordentlich!«
»Ja, und erst ihr Rock! Den hast du doch gesehen! Von oben bis unten eingeschmutzt! Sie versuchte es mit ihrem Mantel zu verdecken. Aber es ging nicht!«
»Deine Beschreibung mag sehr zutreffend sein, Louisa«, sagte Mr. Bingley, »aber mir ist das alles gar nicht aufgefallen. Ich fand, Miss Bennet sah ungewöhnlich nett aus, als sie heute Morgen hier hereinkam. Den schmutzigen Rock habe ich überhaupt nicht bemerkt.«
»Aber Ihnen ist er bestimmt nicht entgangen; nicht wahr, Mr. Darcy?« sagte Caroline, »und ich glaube, Sie würden Ihre Schwester höchst ungern in einem solchen Aufzug sehen!«
»Allerdings!«
»Zwei, drei Meilen oder vier oder wie viele es nun sein mögen, knöcheltief im Matsch herumzulaufen und dazu noch allein ganz allein! Was kann sie sich nur dabei gedacht haben! Ich kann es mir nur so erklären, dass sie ihre eingebildete Selbstständigkeit zur Schau stellen wollte, die in Wirklichkeit nur einen bäuerlichen Mangel an Anstand beweist!«
»Ich sollte meinen, dass es eine große schwesterliche Zuneigung beweist«, meinte Bingley.
»Ich fürchte«, wandte sich Caroline halblaut an Darcy, »dass Ihre Bewunderung für ein Paar dunkle Augen jetzt doch etwas gelitten hat!«
»Im Gegenteil«, erwiderte er, »die Augen glänzten besonders schön in dem erhitzten Gesicht.«
Diese Antwort kam so unerwartet, dass die Gesellschaft für kurze Zeit schwieg, bis Mrs. Hurst wieder begann: »Ich mag Jane Bennet wirklich ungewöhnlich gut leiden; sie ist ein sehr liebes Mädchen, und ich wünsche ihr von ganzem Herzen eine gute und glückliche Ehe. Aber mit dem Vater und mit der Mutter, ganz abgesehen von der übrigen zweifelhaften Verwandtschaft, sehe ich gar keine Möglichkeiten für sie.«
»Ich dachte, du sagtest, ihr Onkel sei Anwalt in Meryton.« »Das stimmt auch; aber sie hat noch einen, der irgendwo mitten im Geschäftsviertel von London wohnt.«
»Das ist doch fabelhaft«, fügte ihre Schwester hinzu, und beide mussten herzlich lachen.
»Und wenn das ganze Geschäftsviertel voll von ihren Verwandten wäre«, rief Bingley, »das sagt doch nichts gegen Jane und ihre Schwester.«
»Nein, aber nüchtern gesehen, setzt es ihre Aussichten, einen auch nur einigermaßen annehmbaren Mann zu bekommen, erheblich herab«, erwiderte Darcy.
Bingley antwortete nicht darauf; doch seine Schwestern stimmten Darcy eifrig bei und spannen dann das erheiternde Thema der Bennetschen Verwandtschaft noch eine ganze Weile aus.
Sie vergaßen jedoch darüber nicht ihre zärtlich empfundene Freundschaft zu ihrem Gast und machten Jane kurz vor dem Tee wieder einen kleinen Besuch. Es ging ihr immer noch nicht gut, und Elisabeth blieb bei ihr, bis sie endlich spät abends in einen ruhigen Schlaf fiel; erst dann entschloss sich Elisabeth, allerdings mehr aus Höflichkeit, wieder nach unten zu gehen, denn irgendein Vergnügen versprach sie sich nicht davon. Ihre Gastgeber waren beim Kartenspiel, und sie wurde sogleich aufgefordert, sich zu beteiligen. Sie lehnte es indessen ab, da sie fürchtete, es könne zu hoch gespielt werden, und bat, sich für die kurze Zeit, die sie ihre Schwester allein lassen wollte, mit einem Buch beschäftigen zu dürfen. Mr. Hurst blickte sie mit unverhohlenem Erstaunen an.
»Ziehen Sie etwa ein Buch einem Kartenspiel vor?« fragte er. »Wie merkwürdig!«
»Miss Bennet«, sagte Caroline, »mag die Karten nicht. Sie ist eine große Bücherfreundin und hat an etwas anderem keinen Spaß.«
»Ich weiß nicht, ob das ein Lob oder ein Tadel sein soll«, antwortete Elisabeth, »aber ich verdiene beides nicht. Ich bin kein Bücherwurm, und es gibt noch viele andere Dinge, die mir Vergnügen machen!«
»Sie werden gewiss eine große Befriedigung darin finden, Ihre Schwester zu pflegen«, sagte Bingley freundlich. »Ich hoffe nur, dass Sie auch bald die Freude haben werden, sie wieder gesund und wohlauf zu sehen.«
Elisabeth lächelte ihm dankbar zu und wandte sich dann zu einem Tisch, auf dem ein paar Bücher lagen. Bingley erbot sich sogleich, ihr weitere zu holen, seine Bibliothek stehe ihr ganz zur Verfügung.
»Ich wünschte, meine Sammlung wäre vollständiger; aber ich bin so faul, dass ich nicht einmal die wenigen, die sie enthält, alle gelesen habe.«
Elisabeth versicherte ihm, dass sie sehr wohl mit den Bänden auf dem Tisch auskommen könne.
»Merkwürdig«, sagte Caroline, »dass unser Vater uns nicht eine größere Bibliothek hinterlassen hat, so eine wie Ihre, Mr. Darcy, auf Pemberley, das ist wirklich eine großartige Sammlung!«
»Kein Wunder!« erwiderte er, »da ja Generationen sich an dem Sammeln und Zusammentragen beteiligt haben.«
»Und Sie selbst setzen die Arbeit daran noch fort; Sie kaufen doch ständig neue Werke hinzu.«
»Man darf eben einen solchen Familienschatz nicht verkommen lassen.«
»Verkommen! Weiß Gott, dass Sie nichts unterlassen, was zur Vervollkommnung Ihres schönen alten Besitztums beitragen kann. Charles, wenn du dir erst dein Haus erbaust, kannst du froh sein, wenn es nur halb so großartig wird wie Pemberley.«
»Sicher würde ich froh sein!«
»Nein, wirklich, Charles, ich gebe dir den guten Rat, versuch dich in der Nähe von Pemberley anzukaufen und lass dein Haus nach diesem Muster bauen. Außerdem ist Derbyshire die schönste Landschaft in ganz England.«
»Natürlich will ich das tun, Caroline, vielleicht kann ich sogar Pemberley selbst kaufen!«
»Ich wollte dir doch nur einen möglichen Vorschlag machen!« »Mir erscheint die Möglichkeit, Pemberley zu kaufen, weitaus größer als die, es nachzuahmen.«
Elisabeths Aufmerksamkeit wurde durch das lebhaft geführte Gespräch so stark in Anspruch genommen, dass für das Buch wenig übrig blieb. Sie legte es bald ganz aus der Hand und nahm zwischen Bingley und seiner älteren Schwester Platz, um dem Spiel zuzuschauen.
»Ist Ihre Schwester eigentlich seit dem letzten Frühjahr viel gewachsen?« fragte Caroline zu Darcy gewandt. »Ob sie schon so groß ist wie ich?«
»Ich glaube wohl. Sie wird jetzt etwa Miss Bennets Größe haben, vielleicht sogar noch ein wenig mehr.«
»Wie ich mich darauf freue, sie wiederzusehen! Ich bin noch nie einem Menschen begegnet, von dem ich gleich so eingenommen war. In ihrem Alter schon eine solche Haltung, ein so sicheres Auftreten zu haben – und dazu noch so viel zu können! Ihr Klavierspiel ist wirklich ein Genuss!«
»Mich wundert es immer wieder«, sagte Bingley, »dass die jungen Mädchen heutzutage die Zeit und die Geduld haben, so viel zu lernen.«
»So viel zu lernen? Mein lieber Charles, was meinst du damit?«
»Nun ja, alle können sie doch malen, Lampenschirme basteln und Stricksachen anfertigen. Und damit fängt es erst an – man trifft doch kein junges Mädchen mehr, ohne erfahren zu müssen, was sie alles kann und gelernt hat.«
»Und leider genügen schon die paar Beispiele, die du da eben aufzähltest, um für gebildet zu gelten«, meinte Darcy. »Nach allgemeiner Auffassung besteht Bildung für Frauen darin, eine Handtasche stricken zu können oder einen Lampenschirm zu beziehen. Aber ich schließe mich ganz entschieden von dieser allgemeinen Auffassung aus. Ich kenne nicht ein halbes Dutzend Damen in meiner ganzen Bekanntschaft, denen ich die Bezeichnung ›gebildet‹ zugestehen würde.«
»Weiß Gott, ich auch nicht«, bestätigte Caroline.
»Dann muss nach Ihrer Ansicht eine gebildete Frau über sehr viele Fähigkeiten verfügen«, fiel Elisabeth ein.
»Ganz richtig, über sehr viele.«
»Man kann doch niemanden wirklich mit Recht als gebildet bezeichnen«, erläuterte seine Sekundantin, »der nicht bedeutend über dem Durchschnitt steht. Eine Frau muss mindestens gut Klavier spielen, singen, zeichnen und tanzen können und dazu eine gründliche Kenntnis verschiedener Sprachen besitzen, bevor sie als gebildet gelten darf. Und außerdem gehört natürlich noch ein gewisses Etwas in ihrem ganzen Benehmen dazu, in der Art, wie sie geht, wie sie spricht, in der Wahl ihrer Ausdrücke, oh, noch sehr vieles gehört dazu – oder sie darf keinerlei Anspruch auf Bildung erheben!«
»Das alles gehört dazu«, fügte Darcy hinzu, »und dabei darf der Geist nicht vergessen werden, das Wissen, das durch mannigfaltige Lektüre eine ständige Erweiterung erfahren muss.«
»Jetzt wundere ich mich nicht mehr darüber, dass Sie kaum sechs gebildete Frauen kennen; eher, dass Sie überhaupt auch nur eine einzige kennen.«
»Beurteilen Sie Ihre Geschlechtsgenossinnen nicht allzu streng?«
»Mir ist noch nie eine solche Frau vor Augen gekommen. Ich habe noch nirgends solche Fähigkeiten und solchen Geschmack und Verstand mit einem solchen Talent, wie Sie es fordern, vereint gesehen.«
Mrs. Hurst und Caroline protestierten laut gegen Elisabeths unberechtigten Zweifel und erboten sich, eine Vielzahl von Bekannten zu nennen, die allen Forderungen entsprächen; aber Mr. Hurst unterbrach sie entrüstet und beklagte sich bitterlich über die Unaufmerksamkeit, die das Spiel aufhalte. Damit fand die Diskussion ihr Ende, und Elisabeth zog sich bald darauf zurück.
»Lizzy Bennet«, begann Caroline, sobald die Tür sich geschlossen hatte, »gehört zu den jungen Mädchen, die dem anderen Geschlecht zu gefallen versuchen, indem sie ihr eigenes schlecht machen; zweifellos in vielen Fällen eine erfolgreiche Methode, aber dafür nicht weniger verwerflich und verächtlich!«
»Andererseits«, entgegnete ihr Darcy, an den diese Bemerkung hauptsächlich gerichtet war, »sind alle Methoden, zu denen die Frauen beim Männerfang ihre Zuflucht nehmen, verwerflich und verächtlich. Weil sie alle eine große Ähnlichkeit mit gemeiner Hinterlist haben.«
Caroline schien durch diese Antwort nicht ganz so befriedigt, wie sie vielleicht gehofft hatte, und so ließ sie denn das Thema fallen.
Elisabeth kam nach kurzer Zeit wieder herunter: der Zustand ihrer Schwester habe sich verschlimmert, sie könne sie nicht lange allein lassen. Bingley drang darauf, dass Dr. Jones sofort geholt werden solle, während seine Schwestern in der Überzeugung, dass ein Landarzt nicht viel taugen könne, empfahlen, auf schnellstem Wege einen Spezialisten aus London zu rufen. Doch davon wollte Elisabeth nichts hören; sie nahm aber dankbar Bingleys Vorschlag an, und man entschloss sich, Dr. Jones am nächsten Morgen zu holen, falls es Jane dann nicht besser gehen sollte. Bingley war offensichtlich beunruhigt, und seine Schwestern erklärten, untröstlich zu sein. Nach dem Essen bemühten sie sich immerhin, ihren Kummer durch Singen zu beschwichtigen, während ihr Bruder seiner Besorgnis keinen besseren Ausdruck zu geben vermochte, als die Wirtschafterin ständig von Neuem zu ermahnen, es der kranken Dame und ihrer Schwester ja an nichts fehlen zu lassen.