Gaunerinnen

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Es schien, als ob Artschick Natalja absichtlich zu den Kunden dieser Art schickte, weil sie Narben im Gesicht hatte.

Eines Tages kam sie zu einem Mann namens Slawik. Er arbeitete bei der Präsidialverwaltung. Natalja atmete erleichtert auf. Er sah zwar nicht schön aus, hatte aber ein ganz nettes Gesicht, nicht wie ein Perversling. Der dicke Familienvater fragte die Schöne nach ihrem Leben aus, warum sie sich gerade für diese Arbeit entschieden hatte, und erzählte ihr von vornehmeren Möglichkeiten, Geld zu verdienen.

„Ein redseliger Kauz“, dachte sie, „aber ein sehr netter!“

Sie plauderte gerne mit ihm über die verschiedensten Ideen und Unternehmungen. Irgendwann fragte er sie, ob sie nicht Lust hätte, eine seiner Bekannten mit dem Namen Stella kennenzulernen. Sie sei ein außergewöhnliches Mädchen, eine zielbewusste Persönlichkeit, besitze eine Heiratsvermittlungsagentur in Kiew und studiere außerdem an der Fakultät für Fremdsprachen der Nationalen Linguistischen Universität Kiew.

„So jung, und hat schon eine eigene Agentur?“

„Ja, sie ist ein ungewöhnliches Mädchen. Ich könnte euch zusammenbringen. Damit du dich nicht langweilst, ohne Freundinnen. Vielleicht macht ihr gemeinsam ein Geschäft auf und du kannst aufhören, als Callgirl zu arbeiten.“

Natalja mochte eigentlich keine weiblichen Wesen, schon gar nicht solche, die ihr irgendetwas voraushatten. Aber diese Frau erweckte ihr Interesse, weil sie Zugang zu ausländischen Männern hatte. Also genau das, was Natalja sich so sehr wünschte.

Außerdem organisierte Stella Einsätze im Ausland, in verschiedenen Schweizer Klubs.

Natalja schrieb sich die Telefonnummer auf. Sie wusste nicht, dass diese Nummer der einzigen Freundin gehörte, die sie in ihrem ganzen Leben haben würde.

Ohne lange zu überlegen, rief sie Stella am nächsten Morgen an. Aber anscheinend war diese Dame ständig beschäftigt. Sie verwies auf ihre hohe Arbeitsbelastung und machte einen Termin in einer Woche. An Stellas Stimme hörte Natalja gleich, dass diese ein ganz gerissenes Luder war und dieser Termin nicht zufällig zustande kam.

Einige Tage später, als sie gerade mit Saweli in einem Restaurant war, hörte sie ihr Handy klingeln. Stella rief an. Natalja dachte zuerst, Stella rede Unsinn, als sie ihr eine Arbeit vorschlug, die mit ihrem derzeitigen Gewerbe nicht zu tun hatte. Es handelte sich um eine Arbeit, bei der es eher um Schauspielerei ging und für die ein ziemlich hohes Honorar vorgesehen war.

Natalja stimmte dem Treffen am gleichen Abend gerne zu. Sie entschuldigte sich bei Saweli, der an Streiche seiner Geliebten schon gewöhnt war, und verabschiedete sich mit einem Winken.

Stella war erfüllt von Lebenskraft und Emotionen. Sie strahlte eine unglaubliche Energie aus, war Flut, Sturm und Hagel gleichzeitig. Ihre Augen funkelten wie Sterne. Sie erzählte Natalja die überaus verlockende Geschichte, wie sie in der Heiratsvermittlungsagentur die Ausländer ausnahm.

Der Kern der Sache bestand darin, dass ein Ausländer, der potenzielle Bräutigam, auf der Suche nach einer Frau auf die Webseite von Stellas Agentur ging. Anschließend schrieb er Briefe zu verschiedenen Themen: Kennenlernen, Treffen, gemeinsame Freizeit, Hochzeit usw. Ein Brief an das von ihm ausgewählte Mädchen kostete zwanzig Dollar.

Die Agentur erhielt die Briefe, übersetzte sie ins Russische oder Ukrainische und leitete sie weiter an die Auserwählte. Das Mädchen konnte in ihrer Muttersprache antworten. Diese Antwort wurde dann übersetzt und an den Auftraggeber, den Bräutigam geschickt. Die meisten Einwohner der Ukraine beherrschten keine Fremdsprache. Dieser Umstand ermöglichte es der Agentur, im Geschäft zu bleiben und Steuern zu zahlen. So konnte schon allein der Briefwechsel mehrere Tausend Dollar Gewinn bringen, bis der Mann die Entscheidung traf, das Mädchen persönlich kennenzulernen und zu diesem Zweck in die ukrainische Hauptstadt kam.

„Was für ein Blödsinn! Du hast ein Büro im Stadtzentrum, am Chreschtschatyk. Kann man mit den Briefen denn so viel Kohle verdienen?“

„Hör nur weiter zu! Fragen kannst du hinterher stellen.“

„Okay.“

Der Kern des Geschäfts beruhte keineswegs auf den Briefen. Mit diesen kamen Blumen und Geschenke für die Mädchen – verschiedene Kosmetiksets und Accessoires aller Art. Diese schönen, teuren Sachen wurden in Geschäften gemietet, nur zu dem Zweck, das Mädchen mit dem Geschenk in der Hand bei einem Luftkuss zu fotografieren, um dem Mann zu bestätigen, was sie sich von seinem Geld gekauft hat. Danach nahm der Verkäufer sämtliche Fotorequisiten zurück und erhielt seine Belohnung.

Die Ausländer überwiesen das Geld auf das Konto der Firma und bekamen glänzende Fotos der glücklichen Schönheiten mit Blumen und Geschenken. Natürlich bedankten sie sich beim jeweiligen Bräutigam mit einem Brief, der auf seine Kosten verschickt wurde. So bekam der Mann seine Portion Komplimente im Stil von: „Oh Gott! Was für ein Mann!“

Aber Natalja überraschten die Storys, die diesen Ausländern in der Ukraine passierten.

Bei ihrem Aufenthalt in Kiew erwarteten sie die unglaublichsten Abenteuer und zahlreiche unvorhergesehene Situationen, die Natalja den Atem verschlugen.

Zum Beispiel erfuhr der Ausländer gleich am Flughafen, dass das Mädchen, dem er das ganze Jahr über Briefe geschrieben hatte und das er nun heiraten wollte, aus einer ehrbaren, kirchentreuen Familie stammte, womit er natürlich nicht gerechnet hatte. Natalja schmunzelte.

„Da müsste ich nichts vortäuschen, ich komme tatsächlich aus so einer Familie.“

„Und gehst anschaffen“, stichelte Stella, die eine scharfe Zunge hatte.

„Und du siehst aus wie eine, die sich ganz ehrbar flachlegen lässt, oder?“

„Mein Rollenfach ist die gewöhnliche Gaunerin, keine Nutte.“

„Ich habe jetzt von dir geredet, nicht von deiner Show.“

„Ich rede ausschließlich von der Arbeit. Ich habe nicht vor, über mein Privatleben sprechen, schon gar nicht mit dir.“

Während Stella die Stirn runzelte, zeigte ihr Natalja ihr rosiges Züngchen.

Sie brachen in Gelächter aus. In diesem Augenblick schlossen sie Frieden. Man könnte sogar sagen, dass hier die Beziehung der beiden frischgebackenen Freundinnen entstand.

„Und jetzt erzähl weiter. Was passiert dann? Raus damit!“

„Also, der Ausländer wird von der ganzen Familie empfangen. Der Vater in Popenkutte, Mutter mit Kopftuch und die Tochter als potentielle Braut.“ Manchmal spielte Stella selbst die Rolle der Tochter und der Braut. Wenn nun der Bräutigam einem anderen Glauben angehörte und zum Beispiel Katholik, Protestant oder Jude war, forderten die Eltern der Braut nachdrücklich, dass der Bräutigam seinen Glauben ablegte und ein orthodoxer Christ würde. Die potenziellen Ehegatten erwarteten diese Wendung natürlich nicht. Sie reagierten geschockt und ratlos. Aber wenn man schon da war, was wollte man da machen, es musste eben sein. Besonders, wenn die Braut hübsch und jung war. Was tat man nicht alles für so ein nettes Kind. Die Bräutigame selbst waren meistens 50 oder älter. Mit ihnen gab es wenig Probleme. Die Alten stimmten allem zu, glaubten an Märchen und die wahre Liebe. Aufgedunsene Kinderschänder, Geschiedene oder einfach in ihrer Heimat ausrangierte, gewissenlose alte Arschlöcher. Sie nutzten die schwierige Situation im Land aus und kamen, um schöne zwanzigjährige Mädchen zu heiraten.

Nach dem Empfang im Flughafen lief eine ganze Theateraufführung ab. Stella mietete ein Haus, das das Haus der Eltern darstellen sollte und für die Unterbringung des Bräutigams während seines Aufenthalts vorgesehen war. Es lag weit außerhalb der Stadt, neben einem vergessenen, verfallenen Kirchlein, in dem die armen Ausländer den Glauben wechseln mussten, weil die Eltern auf einer kirchlichen Trauung vor der standesamtlichen bestanden. Um diesen Wunsch der Familie nach religiöser Einigkeit wurde nicht gestritten. Schließlich waren Forderungen dieser Art im Lauf der Kirchengeschichte keine Ausnahme.

Die Firma besorgte dem Bräutigam einen Dolmetscher und, wenn er wollte, einen Leibwächter – gegen angemessene Bezahlung. Auch sie waren Schauspieler und Betrüger.

Alle Teilnehmer der Aufführung begaben sich ins Dorf, um die Hochzeit zu feiern. Zuerst überreichte der Vater seinem angehenden Schwiegersohn ein Gebetbuch auf Englisch oder gegebenenfalls in einer anderen Sprache. Der musste es durchlesen und mit aller Ernsthaftigkeit zum Kern der Sache vorstoßen. Das Beten dauerte ein paar Tagen und alle kirchlichen Regeln wurden eingehalten. Bald verging dem Bräutigam alle Freude. Schlafen musste er ja auch allein und zuvor noch im Gebet versinken. Es war außerdem streng verboten, die Braut vor der Hochzeit zu berühren.

Dabei träumte von nichts anderem als davon, die prallen Titten anzufassen. Der Teufel sollte sie holen, diese verdammten Frömmler! Hätte er das vorher gewusst, hätte er eine andere ausgewählt.

„So ein Reinfall!“, fluchte der Ausländer beim Abendgebet und sein Doppelkinn wabbelte wie Sülze. Dabei wusste der arme Kerl noch gar nicht, dass die Überraschungen in der Ukraine für ihn gerade erst begonnen hatten. Nach der erfolgreichen Konversion fingen die Hochzeitvorbereitungen an. Einladungen wurden an arme Verwandten der Braut geschickt, von denen viele keine Möglichkeit hatten, Flugtickets zu kaufen, um bei der langersehnten Feier dabei zu sein. Das Geld für die Tickets musste natürlich das junge Paar schicken. Das Kleid und das Festessen für hundert Personen, dazu eine Limousine, waren ebenfalls zu bezahlen, achtzig Prozent des Preises sofort als Vorschuss. Die Geldangelegenheiten erledigte die Agentur. Sie hob die erforderlichen Summen vom Bankkonto des Ausländers gegen Unterschrift ab. In puncto Geld vertrauten die Ausländer der Agentur mehr als den zukünftigen Verwandten. Sie dachten, diese seien als Gottesdiener zu weit von weltlichen Sorgen entfernt.

 

Und so kam der Tag der Hochzeit. Der Brillantring am Finger. Der Bräutigam mit dem Spitznamen „Sülze“ hat sich Viagra besorgt, um die ganze Nacht fit zu sein und der jungen Frau zu beweisen, dass er noch ein ganzer Kerl war. Ein altes Sprichwort lautet: „Mit einem alten Hund hat man sicherste Jagd!“ Wenn er seine Tabletten bekommt, wird er schon wenigstens ein Mal im Monat seine Gattenpflicht erfüllen können.

Natalja saß da wie versteinert, auch wenn sie nicht wusste, warum, und hörte der lebhaften Stella zu. Ihr fiel auf, wie diese das Wort „Gattenpflicht“ aussprach und dabei das Gesicht verzogt und die Nase rümpfte! Es war ihr klar, dass Stella die alten Idioten ohne weiteres bestrafte, und das von ganzem Herzen und mit Eifer.

„Warum sprichst du über dich in der dritten Person?“

„Ich versuche, dir ein Bild der Situation zu vermitteln, und so geht es einfacher.“

„Bisher gefällt mir das alles schon sehr!“

„Also. Die Hochzeit ist jetzt für morgen angesetzt“, setzte Stella ihre unglaubliche Erzählung fort. „Aber es kommt anders! Es stirbt die Mutter der Braut, oder der Vater, die Schwester, der Bruder. Egal wer. Kommt bei einem Autounfall um oder ertrinkt, stirbt bei einem Brand, es spielt keine Rolle.

Trauer! Hochzeit wird abgesagt! Welch ein Kummer! Und zu so einem Zeitpunkt kann doch kein Bräutigam seine Braut im Stich lassen. Da muss man sich um die Beerdigung kümmern, was denn sonst! Die Beerdigung geht auch auf Kosten des Bräutigams, dieses Mal mit Tränen in den Augen aller Verwandten, mit der Bitte, ihnen Geld zu borgen, und Versprechungen wie: ‚Wir schwören, ein Päckchen mit Bündeln voller Geld aus Wladiwostok an Ihre Adresse zu schicken. Ganz bestimmt, irgendwann‘. Der Ausländer stellt gewöhnlich die Bedingung an die Agentur, dass die Hochzeit unbedingt gleich nach dem Begräbnis stattzufinden hat, weil er wieder zur Arbeit muss.

Die Firma stellt ihm ein Dokument aus, in dem seine Forderung vereinbart und niedergeschrieben wird. Er beruhigt sich und beschäftigt sich mit dem Begräbnis.

‚Was habe ich mir da nur eingebrockt!‘, denkt Sülze und weiß nicht, dass er noch nicht alle Geschenke im Rahmen dieses ukrainischen Spektakels bekommen hat.

Währenddessen werden im Theater die Leidenschaften angefacht. Stella bestellt einen Sarg. Gewöhnlich ist er geschlossen. Das wird damit erklärt, dass die Leiche verstümmelt und die zerfetzten Fleischstücke nicht schön anzuschauen wären. Bei diesen Worten gefriert Sülze das Blut in den Adern. Er ist überaus froh, dass der Sarg geschlossen ist.“ So war es möglich, eine Kiste mit oder noch besser ohne Ziegelsteine zu begraben, denn die Dorfalkis, die die Verwandten der Braut aus Nowosibirsk oder Wladiwostok spielten, die auf Kosten des Bräutigams zur Hochzeit gekommen waren, hatten in der Regel nicht genug Kraft, um einen Sarg mit Ziegelsteinen hochzuheben. Das hätte die tadellos durchdachte Aufführung der talentierten Regisseurin vollkommen ruinieren können!

Wowan, der Friedhofswächter, hielt immer ein Erdloch für das Begräbnis parat. Dafür bekam er ein Honorar, das aus drei Kisten Schnaps für ihn und ein paar Tüten Süßigkeiten für seine Kinder bestand. Und Blumen für seine Frau konnte er, sobald die Zeremonie vorbei war, ganz nach Geschmack auswählen, bitte sehr! Frische Blumen! Er hatte überhaupt nichts dagegen, eines guten Menschen zu gedenken. Nur die angeheuerten Klageweiber nervten ihn. Sie brachten den sensiblen, besoffenen Wowan jedes Mal fast zum Herzinfarkt.

„Ja, ich weiß doch, dass ihr Betrügerinnen seid! Abzockerinnen! Und dass der Sarg leer ist! Die Weiber heulen aber so bitterlich zur Musik, dass mir selber ohne Ende die Tränen kommen! Ich versteh gar nicht, warum. Ich bin wohl zu empfindlich geworden auf meine alten Tage.

„Du solltest nicht so viel trinken, Onkel Wowa!“, lachte Stella.

„Wie nicht so viel trinken? Ihr macht doch hier die üppigen Gelage! Die Tische sind übervoll. Töchterchen, bitte! Lad diese unerträglichen alten Weiber nicht mehr ein“, flehte Wowan sie an. „Für eine Kiste Wodka heule ich dir selber wie ein Wolf, zwei Stunden am Stück, wenn es sein muss! Schau, euer Amerikaner, der vorige Bräutigam, hat lauthals geweint. Ihr habt sogar diesen zwei Meter hohen Kampfstier fertiggemacht!“

„Hahaha!

Geh nach Hause, du bist schon ganz blau! Laberst Unsinn! Deck morgen das Erdloch ab, dass es niemand sieht.“

„Wer soll das sehen? Das ganze Dorf feiert morgen bei eurem Begräbnis! Sie wachen erst nächste Woche wieder auf.“

„Hahaha!“, lachte Natalja. Sie hörte Stella gespannt zu. Sie sah in ihr einen starken Menschen, der vor nichts Angst hatte und kämpferisch durchs Leben ging. Sie verdiente ihr Geld als Gaunerin und nicht als Nutte. Sie hatte keine ausgeprägte Sexualität. Die spitze Habichtsnase bezeugte ihren unerschütterlichen Charakter. Helles Haar, direkter Blick, schöne große, braune Augen und ein schlanker Körper.

Unwillkürlich dachte Natalja: „Was findet er an ihr, dieser Slawik aus der Präsidentenadministration? Er sprach von ihr mit so viel Begeisterung und Respekt.“

Die beiden Mädchen saßen sich gegenüber und begriffen, dass sie sich gegenseitig ergänzen könnten. In ihrem Inneren erkannten sie, dass dies eine schicksalhafte Begegnung für sie beide war. Sie waren absolut unterschiedliche und doch vollkommen gleich eiskalte Luder.

„Und was passiert dem Ausländer als nächstes?“, fragte Natalja. Sie brannte darauf, auch den Rest zu hören.

„Nach der Beerdigung gehen alle zum Bräutigam schlafen. Nachts kommt eine Prostituierte, angeblich um mit ihm zu reden, und verführt ihn im Schlafzimmer. Die Nutte spielt, sagen wir mal, die Rolle einer unverheirateten Cousine der Braut. Laut Textbuch versucht sie bereits beim Begräbnis, mit Sülze zu flirten. Bei ihren üppigen Kurven schmilzt er dahin. Später am Abend kommt die Braut plötzlich herein, um ihrem Geliebten gute Nacht zu sagen und ertappt ihn mit der nackten Cousine. Der treulose Möchtegern-Ehemann bekommt seine wohlverdiente Ohrfeige. Allerdings darf man sie nicht zu fest schlagen. Die Armen haben schon genug Angst vor den unsrigen. Der Bräutigam darf uns nicht ins Gras beißen. Gott bewahre, dann müssten wir doch noch einen echten Toten begraben! Im Endeffekt ist die Braut geschockt, hat einen Nervenzusammenbruch. In diesem Fall braucht sie dann von ihm unbedingt noch eine Kurreise nach Truskawez, für mindestens drei Wochen. Um die Nerven ein wenig zu regenerieren.“

Natalja hielt sich den Bauch vor Lachen.

„Du, Stella, nicht einmal die vom Bolschoi-Theater machen dir Konkurrenz!“

„Ich bin keine talentierte Schauspielerin, ich bin Dramaturgin… In solchen Fällen ist die Agentur nicht verpflichtet, dem Bräutigam sein Geld zu erstatten. Der Typ wird zum Flughafen begleitet und muss ledig nach Hause fliegen. Natürlich ist er empört und droht der Agenturdirektorin, sie zu verklagen. ‚Verfluchte Deppen! Warum habt ihr mir nicht gesagt, dass sie aus einer Idiotenfamilie stammt?‘

‚Sie wollten ein Mädchen aus einer anständigen Nichttrinkerfamilie kennenlernen! Entsprachen die Gottesdiener etwa nicht Ihren Anforderungen?‘

‚Mal haben sie Feier, mal ein Begräbnis! Wofür habe ich eigentlich bezahlt? Und was jetzt?‘

‚Laut Aussage der Verwandten, haben Sie Ihre Auswahl zugunsten der Cousine der Braut geändert. Die Braut musste einen Psychiater aufsuchen. Sie haben ihr ein schweres seelisches Trauma zugefügt. Die Genesung wird lange dauern. Seien Sie froh, dass sie mit Ihnen nichts zu tun haben will und sie nicht vor Gericht verklagt hat, wie es die Verwandten der vor dem Altar verlassenen Märtyrerin ohne Zweifel wünschen.‘

‚Was sagen Sie? Märtyrerin? Ich habe dieser frommen Schlampe und ihren bettelarmen Verwandten Kleidung und Schuhe gekauft! Einige von ihnen betteln mich jeden Morgen um Geld an!‘

‚Diese verdammten hirnlosen Dorfalkis! Die kriegen auch nie genug!‘, dachte die Agenturdirektorin, sagte aber kein Wort.

‚Es tut mir sehr leid, aber Ihre Schuld ist offensichtlich, deshalb steht Ihnen keine Rückzahlung zu. Apropos: Sie können den Kontakt zu der nackten Person, die in Ihrem Zimmer angetroffen wurde, weiter pflegen. Wir bieten Ihnen die Dienstleistungen unserer Agentur auch zu diesem Zweck an.‘

‚Oh no! Thanks! Ich habe die Nase voll von Ihren anständigen Prostituierten! Sie ist schnurstracks nackt in mein Schlafzimmer gekommen! Gotteslästerin!‘

‚Augenzeugen berichten, Sie wären gar nicht abgeneigt gewesen, diese Gotteslästerin in Ihrem Schlafzimmer zu sehen, eher im Gegenteil… hm. Sie hätten sie ja aus Ihrem Schlafzimmer werfen und sich bei Hochwürden über das verirrte Schaf beschweren können. Der hätte sie ordentlich verprügelt.‘

‚Solche Schäfchen wirft man nicht aus dem Schlafzimmer!‘, lächelt Sülze über das ganze Gesicht voll künstlicher Zähne, als in seinem Gedächtnis jene verhängnisvolle Nacht aufscheint, die seine einzige angenehme Erinnerung an diese Reise auf der Suche nach reiner Liebe darstellt.

‚Da Sie selbst zugeben, dass Sie der Unzucht und der Untreue schuldig sind, können Sie keinerlei Ansprüche gegenüber unserer Agentur erheben. Außerdem wurden alle diese Punkte vertraglich vereinbart und von Ihnen persönlich unterzeichnet. Nicht wahr?‘

‚Ich weiß nicht mehr, was da stand. Sobald ich in den USA lande, zeige ich Ihre Dokumente meinem Rechtsanwalt!‘

‚Gut, Mister Cloud. Ich wünsche ihnen einen angenehmen Flug.

‘Auf Wiederhören.‘“

„Ihr seid wirklich unglaublich!“, schrie Natalja. „Es war echt super! Als ob ich mit dir einen Krimi geschaut hätte! Einfach toll!“

„Und das war nur einer von mehreren Fällen. Die Aufführungen sind immer unterschiedlich, werden für jedes einzelne Opfer extra entwickelt. Wir untersuchen Gewohnheiten, Horoskop, Hobbys und Charakter im Laufe seines Briefwechsels mit der Braut.“

„Du bist eine wahre Psychologin, verdammt! Bravo!“

„Danke.“ Stella lächelte nett. Aufmerksam betrachtete sie die ideale Kandidatin für ihren nächsten genialen Plan, die ihr gerade gegenübersaß.

Stella war eine gute Menschenkennerin, deswegen weihte sie Natalja in ihre hinterhältigen Spiele ein. Es fehlte ihr eine kluge professionelle Nutte an ihrer Seite. Lange hatte sie eine berechnende Nymphomanin gesucht, denn diese sind sehr selten anzutreffen. Mädchen, die der Prostitution nachgehen, zeichen sich oft nicht durch Intelligenz aus. Mit einer wie Natalja dagegen ließ sich jede Sache flott und raffiniert deichseln. Für den vollen Erfolg fehlte Stella die erforderliche Hemmungslosigkeit in Beziehungen mit Männern. Im Unterschied zu Natalja hatte sie keine Affären. Vielleicht wollte sie tief im Innersten welche haben, aber die Männer reagierten anders auf sie. Sie verwickelten Stella in längere Liebesbeziehungen, die zur Familiengründung führen sollten. Stella brauchte genau diese Art von Partnerin, keine ordinäre Straßenschlampe. Sie erkannte in Natalja sofort jene Züge, die Männer anlockten, und die sie selbst nicht hatte.

Stella war von der Krim zum Studium nach Kiew gekommen, genau wie Natalja. Zuerst wohnte sie in einem Studentenwohnheim, später zog sie zusammen mit ihrer Freundin aus dem Kinderheim Olja in eine Mietwohnung. Gemeinsam betrieben sie dubiose Geschäfte.

In Stellas Umgebung waren immer viele Jungen, aber die betrachteten sie eher als Kumpel oder Kameraden. Sie war eine freche Göre. Die Jungen hatten Respekt vor ihr und hörten auf ihre Meinung wie auf eine Führungsperson. Sie hielt Wort wie ein Junge und folgte harten, gerechten Lebensgrundsätzen, sowohl in der Freundschaft als auch in der Liebe. Deshalb konnte sie nicht viele ihrer eigenen Schranken übertreten, die das Leben und erst recht das Überleben eigentlich nur komplizierter machten.

Natalja zum Beispiel war sich sicher, dass jeder Mann auf dem Weg durch das Bett zu kriegen ist. Stella dagegen benutzte andere Tricks, um hochwertige Männer in die Finger zu bekommen. Sie drückte sich klar und redegewandt aus, schaute den Männern direkt in die Augen, sagte in einfachen, gut verständlichen Sätzen, was sie brauchte und wie sie sich ihr Ideal vorstellte.

Die Männer verfingen sich leicht in ihrem Netz, wie unter Hypnose. Sie sahen in ihr eine Seelenverwandte, die unkompliziert und ungezwungen war. Sie erfüllten alle ihre Wünsche, trugen sie auf Händen. Dieses Mädchen besaß eine unglaubliche Macht über Männer. Viele von ihnen litten nach der Trennung mit ihr so schwer, dass sie jahrelang keinen Ersatz finden konnten.

Bald wurde aus Freundschaft und gemeinsamem Geschäft ein Duell zweier heimtückischer Persönlichkeiten. Natalja beneidete Stella darum, dass die Männer sie fast wie eine Königin behandelten. Sie dagegen wollten alle gleich flachlegen. Von Eifersucht und Neid erfüllt, versuchte sie, alle Männer in Stellas Umfeld durchzuficken, als ob sie der Freundin ihre Überlegenheit beweisen wollte. Stella ärgerte sich natürlich, zeigte es aber nicht, sondern blieb kalt und beobachtete schweigend die Geschehnisse. „Ein Mann, der den Reizen dieser Schnalle nicht standhalten kann, ist bestimmt nicht mein Mann“, redete sich Stella ein. Ihre Lebenseinstellung war idealistisch und ihr Mann sollte treu und würdig sein. Wenn nicht, wollte sie lieber alleine bleiben. Besser allein, als mit dem nächsten Besten zusammen sein. Es wäre unerträglich, jeden Augenblick nur den einen Gedanken im Kopf zu haben: „Hat mein lieber Ehemann vielleicht irgendwo unterwegs eine sexgierige Nymphomanin getroffen, die mein Familienidyll zur Hölle machen wird? Einen Ehebruch könnte ich einfach nicht verzeihen, niemandem, niemals. Aber meinen Mann beschatten will ich auch nicht. Das ist schäbig, das machen nur Feiglinge.“

 

Natürlich verbarg Stella, dass Nataljas Verhalten sie kränkte, und äußerte keine Ansprüche an Natalja. Sie wusste, dass diese nur darauf wartete, dass sie aufgab, wütend wurde und ihr alles ins Gesicht sagte. Stella wollte Natalja blamieren. Dafür war sie bereit, alles zu tun, sogar zuzugeben, dass sie einem Vergleich mit Freundin nicht standhalten würde. Sie war der Meinung, dass nur ein starker Mensch seine Schwäche zugeben kann.

Einmal versuchte sie, Kleider mit größerem Ausschnitt zu tragen, obwohl sie sich darin unwohl fühlte. Doch ihr Charakter setzte sich durch. Stella wurde schnell wieder sie selbst. Sie lernte, diese für sie so beleidigende Situation auszunutzen. Sie brachte jeden Typen, der mit ihr ausgehen wollte, zu Natalja.

Sie tat so, als ob sie bei einer Freundin kurz vorbeischauen müsste, um etwas zu holen. Sie hätte am Tag zuvor ihre Sachen dort liegen lassen. Sie hatte es satt, von Menschen enttäuscht zu werden und darunter leiden zu müssen. Stella entschloss sich, die Männer gleich sozusagen auf Zuverlässigkeit zu prüfen, bevor eine Bindung mit ihnen entstand, und brachte sie direkt zu Nata. Kaum jemand konnte ihr widerstehen, deshalb fing Stella an, Leute auszusuchen, die sie für sich und ihr Geschäft gebrauchen könnte. Zum Beispiel den Besitzer eines Autohauses, der sie um ein Date bat. Schnell fand er sich in den Armen der Verführerin, oder besser gesagt, im Maul des Hais. Dieser Einsatz half Stella aber sehr beim Autokauf. Danach fühlten sich die Männer schuldig ihr gegenüber und halfen ihr danach bei allem. Stella mit ihrem analytischen Verstand war damit zufrieden, und manchmal machte es ihr sogar Spaß. Natalja dagegen war überrascht, dass ihre Freundin so viele gutaussehende Verehrer hatte, die außerdem aus guten und wohlhabenden Familien stammten. Als ein weiterer süßer Junge mit Stella vor ihrer Tür stand, lächelte sie über das ganze Gesicht und bat die beiden auf ein Glas Sekt herein. Etwas später fand Stella einen Grund, für eine Weile fortzugehen, und ließ den Jungen allein mit ihrer geilen Freundin. Je länger diese Weile dauerte, desto besser. Jedes Mal gab es eine Überraschung für sie. Ein Typ zum Beispiel lag splitternackt auf Natalja, den Pimmel an Ort und Stelle, als Stella zurückkam. Danach besaß er noch die Frechheit, Stella nachzurennen und sie um Verzeihung zu bitten. Dabei rechtfertigte er sich damit, dass er es mit dem Alkohol übertrieben habe. Es war für Stella wie für jede andere Frau sehr unangenehm und kränkend, aber auf diese Weise konnte sie Zeit sparen und die Idioten gleich aussieben.

Für all diese Leiden wurde sie durch einen interessanten Fall entschädigt. Stella lernte einen jungen Mann namens Sergej kennen. Sie mochte ihn so gern, dass sie sich nicht dazu durchringen konnte, ihn zu Natalja, dem ausgekochten Luder, zum Testen zu bringen.

Bald schöpfte Natalja Verdacht, dass Stella jemanden hatte. Sie überschüttete die Freundin mit Fragen:

„Stella! Du verhältst dich irgendwie merkwürdig! Da stimmt doch etwas nicht!“

„Wie kommst du denn darauf? Ich habe einfach geschäftlich viel zu tun.“

„Ja, ja! Alte Märchentante!“

„Was willst du denn? Langweilst du dich oder was?“

„Oh nein! Mit einer Freundin wie dir langweile ich mich doch nie!“

„Dann ist doch alles bestens.“

Eines schönen Morgens brauchte Natalja dringend den Büroschlüssel.

Sie rief Stella an und diese nannte im Halbschlaf die Adresse, wo sie gerade war.

„Was ist das denn für eine Adresse?“

„Von Sergej.“

„Aha! Jetzt hab ich dich! Ich wusste doch, dass du mir etwas verbirgst!“

Das Treffen mit der Freundin verhieß für Stella nichts Gutes. Natalja stürmte wie eine Furie in das Haus und betrachtete den Burschen wie ein Stück frisches Fleisch. Stella wollte ihn unwillkürlich schützend an ihren Busen drücken. Sergej begrüßte den Gast und bot eine Tasse Kaffee an. Ohne den Blick von ihm zu wenden, leerte Natalja auf einen Zug eine Tasse Espresso, nahm die Schlüssel und fuhr wieder weg. Stella wurde schwer ums Herz. Der letzte Rest ihrer Seelenruhe verließ sie, als sie sich vorstellte, wie die beiden zusammen im Bett lagen und einander liebkosten.

„Stella? Stella?“, hörte sie eine Stimme. Sie klang, als ob der Sprecher sehr weit weg wäre.

„Was?“

„Bist du in Ordnung? Du starrst die Wand an und bist ganz grün geworden!“

„Ich? Grün geworden? Wo?“

„Na ja, blass-grün. Du bist doch nicht etwa schwanger?“ Mit kindischem Lächeln und Grübchen in den Wangen schaute Sergej ihr aus drei Zentimetern Entfernung direkt in die Augen.

„Ich hoffe nicht“, antwortete Stella kalt.

„Warum nicht?“ Er rückte beiseite, als ob sie ihn mit kaltem Wasser begossen hätte. Seine Frage klang still und enttäuscht. Er hat keine solche Antwort erwartet.

Stella strömten die Tränen aus den Augen wie ein Platzregen.

„Weil ich keine alleinerziehende Mutter sein will!“, schrie sie. Ihre Wangen waren schwarz vor verschwommener Wimperntusche.

„Was redest du da? Was ist los mit dir?“

„Ihr seid doch alle abgefuckte untreue Schweinehunde! Sobald ihr einen geilen Arsch seht, vergesst alles um euch herum!“

„Halt den Mund! Du bist ja hysterisch!“

Stella rannte aus dem Haus. Wie sie am helllichten Tag mitten auf der Straße so bitterlich weinte, wurden unweigerlich Passanten auf sie aufmerksam. Einige fragten, ob sie Hilfe bräuchte, andere zeigten ihr einen Vogel, wieder andere schlugen vor, psychiatrische Hilfe zu holen.

„Die Leute wieder! Jeder weiß was zu sagen!“

Sie schämte sich sehr für ihr Verhalten, für diese Reaktion. Dabei brach in diesem Augenblick die ganze Bitterkeit aus ihr heraus, die sich in der Zeit angehäuft hatte, als sie vorgab, dass alles in Ordnung wäre, und sich zwang, die entstandene Situation auszunutzen, nur um sich irgendwie zu beruhigen. Aber gerade ihn wollte sie nicht testen! Sie wünschte, sie könnte sich mit ihm vor ihrer verfaulten Welt verstecken…

Nach dem, was geschehen war, trafen sich Sergej und Stella nicht wieder und telefonierten nicht einmal mehr miteinander. Was hatte sie sich da wieder für ein Zeug vorgestellt! „Mit wem und wo? Und wie? Und warum?“ Ihr Gedankengang wurde unterbrochen. Ihr Handy meldete sich mit dem Spruch: „Was für eine hässliche Fresse“, dem Filmzitat, das sie Sergejs Nummer als Klingelton zugewiesen hatte. Sie blickte kalt auf das Handy und wartete eine Weile, bevor sie annahm:

„Hallo!“

Seine kalte Stimme am Apparat machte sie nervös.

„Kannst du jetzt zu mir kommen?“

„Ist was passiert?“

„Nicht am Telefon. Ich muss persönlich mit dir reden. Diese Freundin von dir ist übrigens hier.“

Stella legte auf.

„Oh Gott! Nicht das, bitte!“ Das Herz blieb ihr fast stehen. Hatte Natalja ihn doch in die Finger gekriegt? Es war ein Schlag ins Gesicht! So eine Hure!

Sie rief schnell ein Taxi. Eigentlich hätte sie vom Büro aus zu Fuß zu seinem Haus gehen können, aber sie zitterte viel zu sehr. Sie war außer sich vor Wut.