Das große Buch vom Krafttraining

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3Zur Geschichte von Krafttraining und Kräftigungsgymnastik

3.1Frühzeit und Antike

Das Bewegen schwerer Gegenstände gehört zum Menschen, da er seine Umwelt gestaltet und dabei seit ewigen Zeiten Steine, Holz und Erde als Werk- und Baustoffe benutzt. Auch Schnellkraftleistungen, wie Springen, Sprint oder Werfen gehören zum Bewegungsverhalten des Jägers und Sammlers auf der Jagd, auf der Nahrungssuche oder auf der Flucht vor Feinden. Das Heben schwerer Gewichte, um die Kraft spielerisch zu erproben bzw. im Vergleich mit anderen die Kräfte zu messen, ist sicher so alt wie die menschliche Kultur selbst. Aus allen Zeiten und rund um die Welt gibt es Belege für sportliche Ringkämpfe, für Tauziehen und andere Schiebe- und Ziehwettkämpfe, in denen die Körperkraft die zentrale Rolle spielt. Aus dem alten Ägypten gibt es Zeugnisse, wo schwere Sandsäcke gehoben werden, und aus dem antiken Griechenland stammen einige Funde von Steinen, die zu sportlichen Zwecken gestemmt wurden [49]. Als früheste Zeugnisse gelten Überlieferungen, aus denen hervorgeht, dass am Hofe chinesischer Kaiser Gewichte gehoben wurden, u.a. um die Eignung angehender Rekruten zu erproben, die in die kaiserlichen Truppen aufgenommen werden sollten [114]. Im alten China sind auch die Anfänge einer Heilgymnastik erstmals beschrieben [196]. Kraftsport und Gewichtheben sind also mit Sicherheit uralte sportliche Betätigungen des Menschen. Wann jedoch Krafttraining im eigentlichen Sinne aufkam, dass heißt das Heben, Tragen, Werfen, Schieben oder Ziehen schwerer Gegenstände mit dem ausschließlichen Ziel die Muskelkraft zu entwickeln, bleibt im Dunkeln.

Erste umfangreiche Zeugnisse für Krafttraining zur Leistungssteigerung und Gesunderhaltung finden wir in Bilddarstellungen und Schriften des antiken Griechenland, wo zum ersten Mal eine entwickelte Trainingskultur mit Gewichten fassbar wird. Seit dem 5.Jh.v.Chr. blühte eine umfangreiche trainingswissenschaftliche Literatur. Ärzte, Trainingswissenschaftler und Übungsleiter versuchten, die Sportler für die heiligen Spiele in Olympia, Korinth, Nemea oder Delphi fit zu machen. Erhalten ist die Schrift des Philostratos aus dem 3.Jh.n.Chr. Hier wird zur Kräftigung das Tragen schwerer Lasten, das Biegen von Eisenplatten, das Ziehen des Pfluges oder auch das Bändigen von Stieren und Löwen empfohlen [45]. Umfangreiche Darstellungen von sportlichen Aktivitäten findet man aus jener Zeit auf Alltagsgegenständen wie Vasen oder anderen Gefäßen. Im Innenbild einer Schale um 500 v.Chr. sieht man einen Athleten, der zu Trainingszwecken zwei schwere Steine vom Boden hebt. Aus dem 6.Jh.v.Chr. stammen Funde von Hanteln sowie der Stein des Bybon. Eine Inschrift besagt, dass der 143 kg schwere Stein vom besagten Bybon mit einer Hand über den Kopf gestemmt worden sei. Eine unglaubliche Leistung, wobei hierdurch belegt wird, dass Steine als Sportgerät für Kraftleistungen benutzt wurden. Der berühmteste Kraftathlet der Antike war der Ringer Milon von Kroton, der sechsfacher Olympiasieger wurde und 25 weitere Siege bei bedeutenden Wettkämpfen verzeichnen konnte. Er dominierte die Schwerathletik im antiken Griechenland über 30 Jahre. Zahlreiche Legenden werden über seine Kraftfähigkeiten und seinen ungeheuren Appetit erzählt. Viel zitiert ist auch seine überlieferte Trainingsmethode, täglich ein Stierkalb getragen zu haben, bis aus dem Kalb ein erwachsener Stier und aus Milon der stärkste Mann seiner Zeit geworden war.

Neben dem sportlichen, wettkampforientierten Training entwickelte sich im antiken Griechenland auch eine medizinische Heilgymnastik, die kräftigende Übungen einschloss. Als ihr Begründer gilt Herodikos von Selymbria (5.Jh.v.Chr.), ein Lehrer des berühmten Arztes Hippokrates, der ebenfalls gymnastische Übungen als Therapie einsetzte.

In einer Inschrift auf einem etwa 240 kg schweren, würfelähnlichen Stein mit Griff findet man die Inschrift, dass Hermodikos aus Lampsakos dem griechischen Heilgott Asklepios dafür dankt, dass das Heben dieses Steins ihn von seiner Lähmung geheilt habe [49]. Nun scheint dieses Gewicht (240 kg) für einen »Kranken« kaum zu bewältigen. Doch wenn man die Möglichkeit einschließt, dass der Stein nur einseitig hochgehoben wurde, erscheint es bereits wesentlich glaubhafter.

Schließlich finden wir im antiken Griechenland auch die ersten öffentlichen Trainingszentren, die wohl als erste »Fitness-Studios« der Geschichte gelten können. Das Gymnasium (griech. »gymnasion«) war eine Sportstätte, die im gesamten Einflussbereich der antiken griechischen Kultur seit Beginn des 6.Jh.v.Chr. zu finden war. Von Sizilien im Westen bis Afghanistan im Osten; von der nördlichen Schwarzmeerküste bis zum Nil [45]. Das Gymnasium war ursprünglich ein Ort des körperlichen Trainings, um die Wehrhaftigkeit der jungen Männer zu fördern. Daher liegt der Anfang dieser Sportanlagen vermutlich in jener Zeit, als durch eine Änderung der Kriegführung nicht mehr nur der Adel, sondern ein großer Teil des Volkes einer Polis (Stadtstaat) in den Kampf zog [45]. Das Gymnasium gehörte seit jener Zeit quasi zur architektonischen Grundausstattung jeder griechischen Polis. Es bestand in seiner Blütezeit aus einer Laufbahn, einem Ringplatz, großen Freiflächen für Wurfübungen (Speer, Diskus), einem Badebecken und weiteren Räumen. Teile des Gymnasiums waren überdacht, so dass bei jedem Wetter trainiert werden konnte. Da eine Laufbahn (»Stadion«) zwischen 167 und 192 Meter lang war und der Ringplatz Seitenlängen von über 60 Metern haben konnte, war ein Gymnasium eine überaus imposante Anlage.

Im Laufe der Zeit entwickelte sich das Gymnasium zu einem sozialen Treffpunkt, wo gerungen, gelaufen, gesprungen, geworfen und mit Gewichten trainiert wurde. Sportlehrer und Übungsleiter überwachten das Training, das ausschließlich nackt (»gymnos«) betrieben wurde. Das Gymnasium war allerdings eine Männerdomäne und nur in Sparta trieben auch die Frauen intensives, körperliches Training. In späteren Zeiten wurde das Gymnasium auch zunehmend ein Ort der geistigen Bildung: Philosophen wie Sokrates, Platon oder Aristoteles lehrten die Jugend in Gymnasien. Daher wurde es im 16.Jh. üblich, geistliche Schulen für den kirchlichen Nachwuchs, in denen auch Griechisch und Latein gelehrt wurde, als Gymnasium zu bezeichnen. Hier liegt der Ursprung für die heutige Bezeichnung der höheren Bildungsanstalten in unserem Lande, die mit dem ursprünglichen sportlichen Grundgedanken nichts mehr gemein haben. Im Englischen hat die Bezeichnung allerdings ihren ursprünglichen Charakter bewahrt. Turnhallen und Fitness-Studios bezeichnet man als »gym« bzw. »gymnasium«.


Abb. 9: Der mythologische Inbegriff von Körperkraft war für die antiken Griechen der Held Herkules.

Trotz einer entwickelten Trainingskultur mit Kraftübungen und Hanteln hatte das berühmteste Sportereignis der Antike, die Olympischen Spiele, als Wettkampfdisziplinen nur wenige »echte« Kraftsportarten im Programm. Im Wesentlichen sind hier die Kampfsportarten wie Ringen, Boxen und der Allkampf zu nennen.

Das Gewichtheben oder Steinstoßen fand keinen Eingang in diese berühmten kultischen Spiele, die seit 776 v.Chr. regelmäßig zu Ehren des Göttervaters Zeus abgehalten wurden. Man könnte vielleicht noch das Diskuswerfen zu den Kraftsportarten zählen, da das Wurfgerät mit ca. 5 kg erheblich schwerer war als der heutige Diskus der Männer mit 2 kg [45].

Das historisch belegte, systematische Krafttraining begann also spätestens in der griechischen Antike. Ab dem 2.Jh.v.Chr., als die Römer die griechische Staatenwelt unterwarfen, wurden die Eroberer stark vom griechischen Sport beeinflusst und übernahmen im Laufe der Zeit neben Sportarten wie Diskuswerfen, Weitsprung oder Ballspielen auch das Hanteltraining, die Trainingslehre und Diätvorschriften. Ein Fußbodenmosaik um 300 n.Chr. zeigt Frauen bei sportlichen Aktivitäten, wobei eine von ihnen mit zwei Kurzhanteln trainiert [217]. Dennoch gab es immerwährend konservative Bestrebungen in Rom, die Leibesertüchtigung auf den militärischen Zweck zu reduzieren und die neuen Strömungen aus dem Osten nicht Fuß fassen zu lassen [49]. In Rom gab es Berufsathleten für Wagenrennen, Gladiatorenkämpfe, Ringen und Boxen. Der »normale« römische Bürger verbrachte die »Freizeit« eher in den Badeanstalten (Thermen) oder als Zuschauer bei den Zirkusspielen. Eine Sport- und Trainingskultur für breite Schichten der (männlichen) Bevölkerung, wie in Griechenland, konnte sich in Rom nicht durchsetzen. Die Heilgymnastik wurde allerdings nach griechischem Vorbild weitergeführt. Insbesondere der aus Pergamon stammende Arzt Galenus (129–199 n.Chr.) hinterließ ein umfangreiches Werk, in dem auch der Heilgymnastik, inklusive Widerstandsübungen, eine bedeutende Rolle zugewiesen wurde [196]. Neue Kraftsportarten wurden in Rom nicht erfunden, weshalb wir uns als Nächstes dem Mittelalter zuwenden.

3.2Mittelalter

Durch die Völkerwanderung kam das Römische Weltreich ins Wanken und die gewohnten kulturellen Bräuche, so auch die Sportausübung, unterlagen europaweit großen Veränderungen. Die Zeugnisse von Kraftsportarten sind dünn gesät. Insbesondere wurde das Steinstoßen und -werfen und das Ringen praktiziert. Die Schotten maßen sich in ihren »Highland Games« (Ursprünge im 10. oder 11. Jahrhundert) neben dem Werfen und Stoßen von Steinen in einer Art Hammerwerfen (mit festem Stil bzw. Seil oder Kette) und im »Cabertossing« [49]. »Cabertossing« ist ein Baumstammwurf, bei dem heutzutage ein 4,5–5,7 m hoher und etwa 30–60 kg schwerer Stamm (Pfahl) geworfen wird. Entscheidend ist nicht die Weite, sondern der Winkel, in dem der Stamm nach seiner Überkopflandung zum Werfer liegen bleibt. Das Baumstammwerfen (»Bengel zucken«) wird im Mittelalter auch aus deutschen Landen berichtet [49].

 

Auf größeren mittelalterlichen Märkten waren zudem fast immer Gaukler- und Artistengruppen zu sehen, die die Marktbesucher neben zahlreichen anderen Darbietungen auch mit Kraftleistungen und kraftakrobatischen Kunststücken unterhielten [82].

Ansonsten finden wir in mittelalterlichen Quellen natürlich Beschreibungen des allgemeinen sportlichen Treibens der Ritterschaft sowie mit dem Aufblühen des Bürgertums in den Städten auch des nichtadeligen Volkes. Aus England werden Übungen wie die »Brücke«, eine Rumpfrückbeuge oder Handstände in verschiedenen Varianten sowie unterschiedliche Liegestütze überliefert. In den Quellen handelt es sich hierbei allerdings offenbar eher um »Kunststücke« als um eine gezielte (Kraft-)Gymnastik [49]. Die adlige Oberschicht vergnügte sich mit Jagen, Reiten, Schwimmen und dem Waffenhandwerk. Letzteres war insbesondere im späteren Mittelalter eine Art Schwerathletik, da eine Rüstung zwischen 25 und 35 Kilogramm wiegen konnte. Die schwere Lanze wurde mit einem Arm balanciert, zur Entlastung auch mitunter in eine Ausparung des Schildes oder in den Rüsthaken der spätmittelalterlichen Rüstung eingelegt. Das Schwingen von Kriegskolben oder Streitaxt erforderte eine kräftige Arm- und Schultergürtelmuskulatur. Gelegentlich stellten die Adligen ihre Körperkraft öffentlich unter Beweis, so z.B. Herzog Christoph der Starke von Bayern, der bei einem Schützenfest in Augsburg (1470) einen Stein von 182 Kilogramm hob [49].

Die Heilgymnastik, die in der griechischrömischen Antike ein wichtiger Bestandteil der Medizin gewesen war, spielte im europäischen Mittelalter nahezu keine Rolle. Die Behandlung Kranker war überwiegend auf die Klostermedizin beschränkt und in der »leibfeindlichen« Einstellung des geistlichen Ideals fanden Leibesübungen keinen Platz. Die Rückkehr der Heilgymnastik ließ bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts auf sich warten [196].

3.3Frühe Neuzeit

In der frühen Neuzeit gewannen Körperübungen, Spiele und sportliche Wettbewerbe wieder stärker an Bedeutung. Auch die medizinische Heilgymnastik tauchte wieder auf, gefördert insbesondere durch die Person des italienischen Arztes Hieronymus Mercurialis (1530–1606), der nach dem Studium der alten antiken Gymnastikschriften 1573 die »Ars gymnastica« verfasste, die die präventive und heilende Kraft von Leibesübungen wieder »in den Gesichtskreis der ganzen gebildeten Welt« rückte [49]. Neben Hanteln empfahl er als Trainingsgeräte schwere, sandgefüllte Bälle [E 9].

Seit Ende des 15. Jahrhunderts empfahlen Erziehungstheoretiker und Philosophen immer wieder, die Körperkraft zu entwickeln, um zu einer vollendeten Ausbildung des Menschen zu gelangen. Neben Martin Luther, der Ringen empfahl, sind auch der schweizer Reformator Ulrich Zwingli, der französische Schriftsteller und Philosoph Michel de Montaigne und der englische Humanist Thomas Elyot (1490–1546) zu nennen. Letzterer schrieb ein viel beachtetes Buch über einen gesunden Lebensstil und hielt zu diesem Zweck körperliche Ertüchtigung, u.a. das Training mit Hanteln sowie das Heben schwerer Steine und Stangen für dienlich [E 9]. Zahlreiche Ärzte, u.a. in England, Frankreich und Deutschland, befürworteten seit Mitte des 16. Jahrhunderts Körperübungen zur Behandlung verschiedener Erkrankungen. 1728 veröffentlichte John Paugh »Eine physiologische, theoretische und praktische Abhandlung über den Nutzen von Muskelübungen zur Wiederherstellung der Kraft der Körperglieder«, wo er Kurzhantelübungen zu rehabilitativen Zwecken beschreibt. Diese einflussreiche Schrift entsprach nicht nur dem zunehmenden Interesse an Kräftigungsübungen in der Medizin zu jener Zeit, sondern förderte auch die Verbreitung von Hanteltraining in Europa und den USA. Etwa 50 Jahre später proklamierte der französische Militärarzt Joseph Clément Tissot (1747–1826) in seinem Werk »Medicinische und Chirurgische Gymnastik« Bewegung und Kräftigung zur Rehabilitation nach Verletzungen und Schlaganfall sowie bei Rheuma, Haltungsfehlern und Körperdeformitäten. Übungen wie Wasser aus einem Brunnen zu ziehen, Glockenläuten, Klettern oder das Tragen schwerer Gegenstände sollten therapeutisch dienlich sein [201].

Neben diesen zweckorientierten Aspekten körperlichen Trainings werden von europäischen Herrscherhöfen aus der frühen Neuzeit häufig auch Berichte über Kraftsport und Kraftakrobatik gefunden: Von dem englischen König Heinrich VIII. (Regierungszeit 1509–1547) wird erzählt, er habe sich von Jugend an täglich mit leicht- und schwerathletischen Übungen fit gehalten, u.a. Gewichtstoßen und Hammerwerfen. Er beschäftigte auch einen Hofringer, mit dem er jederzeit trainieren konnte [49, 217]. Am Herzoglich Pommerschen Hofe zeigte der aus dem Adel stammende Kraftakrobat Dinnies von Kleist seine enormen Kräfte, in dem er Münzen verbog und Pokale zerdrückte [82]. Ein Ausbund an Kraft war der König von Polen und Kurfürst von Sachsen August der Starke (1670–1733). Auch er konnte Münzen verbiegen und Becher zerdrücken, zerbrach Hufeisen und kämpfte mit Bären. Er soll am ausgestreckten Arm einen Trompeter über die Brüstung des Wiener Stephansdoms gehalten haben, der dabei noch ein Musikstück blasen musste [82]. In Preußen begeisterte der »Kraftmensch« Johann Carl von Eckenberg König Friedrich Wilhelm I. mit seinen Darbietungen derart, dass er in Berlin ein eigenes Theater eröffnen durfte, das vom König durch Privilegien gefördert wurde und in dem neben seinen Kraftkunststücken auch andere schaustellerische Präsentationen stattfanden [82]. Für die breite Bevölkerung gab es weiterhin auf den Jahrmärkten zahlreiche Kraftdarbietungen, bis die Verbreitung des Zirkus in der Mitte des 18. Jahrhunderts ihnen den Rang ablief [82].

Auch aus dem asiatischen Raum gibt es frühneuzeitliche Zeugnisse von Kraftdarbietungen und Widerstandstraining: Von türkischen Sultanen wird beispielsweise berichtet, dass sie Hanteln und schwere Keulen aus Stein und Bronze benutzten, um ihre Körperkraft zu entwickeln. Derartiges Krafttraining hatte auch im Iran und in Indien eine lange Tradition. Aus der Zeit um 1800 berichtet Carl Diem von Kraftübungen im Iran, wo größere Gruppen von Männern sich in einem speziellen Trainingsgebäude versammelten, um Hanteln zu stemmen, Steine und Keulen zu schwingen oder Sprünge und Kniebeugen zu vollführen. Auch Trainingsbänke als Hilfsmittel für unterschiedliche Positionierungen des Körpers beim Krafttraining wurden hier bereits eingesetzt [49].

Mit dem Zeitalter der Aufklärung, die die Vernunft über den Glauben und die Tradition setzte und dadurch gesellschaftliche Umwälzungen, u.a. im Menschenbild bewirkte, trat der Körper und dessen Pflege in der Erziehung nochmals vermehrt in den Vordergrund. Jean-Jaques Rousseau (1712–1778), dessen philosophisches Ideal von der »Rückkehr zur Natur« mit einer ganzheitlichen Sicht des Menschen verbunden war, betonte eindringlich die Notwendigkeit körperlicher (Kraft-)Entwicklung für die Gesundheit von Geist und Seele [142]. Er empfahl u.a. Schwimmen, Baumklettern, Weit- und Hochsprung, Gewichtheben, Steinstoßen, Drängelkämpfe und Gleichgewichtsübungen [49]. Die Reformpädagogen der Philantropie, die Rousseau zu ihren geistigen Vätern zählten, versuchten Ende des 18. Jahrhunderts verstärkt, Körperübungen und Gymnastik in den Schulen zu etablieren und fanden in dem deutschen Körpererzieher Johann C.F.GuthsMuths einen ihrer berühmtesten Vertreter.

3.4Das 19. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert fand das Krafttraining endgültig eine weite Verbreitung im europäischen und amerikanischen Kulturraum. Neben dem Kurzhanteltraining und gymnastischen Übungen hielt auch die Keule als Trainingsgerät zur Kräftigung Einzug. Britische Militärs brachten sie Ende des 18. Jahrhunderts aus Indien mit und integrierten sie in das Training der Armee [E 9]. Später fanden Keulen zwischen 4 und 50 Pfund (2 bis 23 kg) im Training breiter Bevölkerungsschichten Verwendung. In den Vereinigten Staaten erfreute sich das Kurzhanteltraining seit den 30er Jahren des Jahrhunderts großer Beliebtheit und das Interesse an verschiedenen Formen des Krafttrainings nahm bis in die 70er Jahre dort derart zu, dass man vom »First American Weight Training Boom« sprechen kann [E 7, E 9]. Gesundheitserzieher und Ärzte wie Diocletian Lewis, Dudley Allen Sargent oder George Barker Windship halfen durch Schriften, öffentliche Veranstaltungen und Trainingskonzepte, Krafttraining einer breiten Bevölkerung zugänglich zu machen. Sie empfahlen diese Form des Trainings für Männer, Frauen und Kinder. In dieser Zeit wurden auch zahlreiche Trainingsgeräte entwickelt und vermarktet. Ein erfolgreicher Geschäftsmann war David P. Butler aus Boston, der eigene Fitness-Studios und ein Franchise-Unternehmen für seine Übungskonzepte und Trainingsmaschinen unterhielt [163, E 7]. In Europa wurde 1840 in Frankreich (Paris) eine riesige Trainingshalle für Krafttraining eröffnet, in der sogar Balkons für Zuschauer vorgesehen waren. Von dort werden in den 50er Jahren erstmals Langhanteln bezeugt, d.h. Stangen mit je einer Kugel am Ende, um das Gewicht der Stange zu erhöhen. Diese Kugeln wurden in späteren Jahren mit Sand oder Blei gefüllt oder in einem Stück gegossen, bis 1910 der variabel bestückbaren Scheibenhantel der Durchbruch gelang [E 9].


Abb. 10: Der Begründer der Schwedischen Gymnastik Pehr Henrik Ling (1776–1839)

Generell waren im 19. Jahrhundert drei große Strömungen prägend für den weiteren Aufstieg der Körperkultur in Europa: Der englische Sport, das deutsche Turnen und die schwedische Gymnastik. Die Entwicklung des Sports in England brachte jene Charakteristika hervor, die noch heute den modernen Sport prägen, d.h. öffentliche Wettkämpfe mit Leistungscharakter, festgelegten Regeln, zugleich allerdings spielerisch ohne einen »höheren« Nutzen als den Sport selbst (nichtsdestotrotz begann damals schon die kommerzielle Verwertung des Sports). Dem gegenüber steht das deutsche Turnen, das zunächst vor allem den Zweck hatte, wehrhafte und patriotische deutsche Männer hervorzubringen, die Napoleon die Stirn bieten und einen deutschen Nationalstaat gründen sollten [10]. Als »Vater« der Turnbewegung gilt Friedrich Ludwig Jahn, der 1811 in Berlin den ersten Turnplatz eröffnete. Aufgrund der politischen Ausrichtung durchlief das deutsche Turnen das Jahrhundert hindurch immer wieder Höhen und Tiefen, hielt sich aber doch letztendlich (wenn auch weitgehend unpolitisch) bis in unsere Zeit. Das Turnen stand in Deutschland fortwährend im Antagonismus zum »Sport« aus England und zur Schwedischen Gymnastik, die in der späten ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland Fuß fasste.

 

Der schwedische Gymnastiklehrer Pehr Henrik Ling gründete ein gymnastisches System, das vier Hauptrichtungen umfasste: pädagogische, militärische, medizinische und ästhetische Gymnastik [196]. Sein Zentralinstitut für Gymnastik in Stockholm (seit 1813) wurde staatlich anerkannt und gefördert und bildete alsbald alle Gymnastiklehrer in Schweden für Schulen, Armee, Marine und Medizin aus. Lings Ansätze verbreiteten sich von Schweden aus in zahlreichen europäischen Ländern. Widerstandsübungen gehörten in wesentlichem Umfang zum Inhalt der Schwedischen Gymnastik. Allerdings waren den deutschen Kritikern die medizinischen Übungen häufig zu wenig intensiv und zu wenig aktiv (die Widerstände wurden in der Regel durch die Therapeuten gesetzt), so dass Konkurrenzsysteme auftauchten, wie z.B. das Heilturnen (Kinesiatrik) von Daniel Gottlieb Moritz Schreber (1808–1861). Er setzte die typisch deutschen Geräte wie Barren, Ringe, Horizontalleitern und Reckstangen für seine »rein activ« kräftigenden Übungen ein und entwickelte neben einem heilgymnastischen Ansatz ein Heimtrainingsprogramm für Gesunde zur Prävention [196]. Durch Gegner aus der Turnbewegung und der deutschen Ärzteschaft vorübergehend zurückgedrängt, erfuhr die schwedische Gymnastik in Deutschland eine Wiederaufwertung, als der Arzt Gustaf Jonas Wilhelm Zander die ersten Krafttrainingsmaschinen mit variablen Widerständen für die Heilbehandlung konstruierte. Die Apparate wurden 1865 in Stockholm erstmals eingesetzt und fanden ab 1884 auch in Deutschland Verbreitung. Die Zander-Apparate waren 1911 in 206 Instituten weltweit vertreten und brachten das Gerätekrafttraining erstmals in großem Umfang in die Medizin.

Der eigentliche Kraftsport und die Kraftakrobatik erhielten ebenfalls gegen Ende des 19. Jahrhunderts neue Impulse. Kannte das Boxen als schwerathletische Disziplin schon seit dem 18. Jahrhundert ein eigenes Regelwerk und organisierte Wettkämpfe und Meisterschaften, brauchten Ringer und Gewichtheber deutlich länger. 1893 fand die erste deutsche Meisterschaft im Gewichtheben statt, 1898 die erste Weltmeisterschaft. Die deutschen Ringer organisierten sich ab 1879 in Vereinen und traten später dem 1891 gegründeten Deutschen-Athleten-Verband bei. Gewichtheben und Ringen waren schließlich auch bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit 1896 in Athen als zwei der insgesamt neun Sportarten vertreten. Vor der Organisation in Vereinen und der Herausbildung sportlich-geregelter Stilarten waren die Ringer als Kraftmenschen vor allem in Zirkussen und Varietés aufgetreten oder hatten privat organisierte Turniere und Schaukämpfe ausgetragen. Als Auslöser für den Aufschwung des Ringens in Deutschland gilt die Popularität des Mecklenburgers Carl Abs (1851–1895). Abs begann seinen Aufstieg als Ringer in den 70er Jahren. Nachdem er in Deutschland keine Gegner mehr gefunden hatte, besiegte er Champions in den USA, Frankreich und England und galt 1884 nach seinem Sieg gegen den US-Ringer William Muldoon als Weltmeister im Ringen. Sein Erfolg und seine Popularität lösten in Deutschland (und Europa) eine bislang nicht dagewesene Begeisterung für die Schwerathletik und Kraftakrobatik aus [82]. Passend hierzu ging auch die erste olympische Goldmedaille im Ringen 1896 an den Deutschen Carl Schumann [49].

Im gleichen Zuge des Aufblühens der Schwerathletik erlebte eine aktivitätsorientierte Körperkultur eine Blüte, die schließlich zu den Anfängen des modernen Bodybuildings führte. Die Zeit zwischen 1880 und 1930 wurde die »Ära der Kraftmenschen« [217] und des Muskelkults. Die starken Männer stemmten schwere Hanteln und andere Eisengewichte, verbogen Eisenstangen und hoben mittels Gerüsten und anderen Hebevorrichtungen Pferde, Ochsen und sogar Elefanten. Der Kraftakrobat Apollo trug 1892 in Berlin ein Klavier samt Pianist über die Bühne und sein Kollege Gottfried Rasso hob drei Jahre später im Zirkus Renz ein zwölfköpfiges Orchester, das währenddessen die Begleitmusik spielte [217]. Da es keine Regeln oder Standardisierungen der gezeigten Kraftakte gab, war die Ermittlung des wahrhaft stärksten Mannes nicht möglich und so blieb es stets Show und Geschäft und war kein sportlicher Wettkampf [221]. Dies änderte sich erst am 15. März 1930, als die erste Weltmeisterschaft der stärksten Männer aus 16 Nationen in Paris stattfand. Sieger wurde der im tschechischen Alt-Rothwasser geborene Emil Bahr, genannt Milo Barus (1906–1977), der mehrmals den Titel gewann [82].

Analog zu den stärksten Männern gab es vermehrt auch »stärkste Frauen«, die sich auf der Bühne präsentierten. Um 1830 erschien mit Elise Serafin Luftmann die »erste berufsmäßige Athletin Deutschlands« [82]. Sie hob schwere Gewichte und Hanteln und jonglierte mit Kanonenkugeln. Die Kraftakrobatin Athleta stemmte 1890 90 Kilogramm beidarmig, hob Pferde, Fässer und Männer hoch und trug mit ihnen Ringkämpfe aus [221]. Kathi Brumbach (genannt »Katharina die Große«, später Sandwina) jonglierte mit schweren Stahlkugeln, die sie mit dem Nacken auffing, zerriss Ketten und ließ sich eine Brücke auf den Brustkasten legen, über die Menschen, Pferde und Autos passierten [82].

Natürlich wurde bei diesem Treiben, wie auch im heutigen Showbusiness der Magier, häufig mit Tricks gearbeitet, so dass nicht alle gezeigten Kraftleistungen für bare Münze genommen werden müssen [221]. Einige Athleten ließen jedoch ihre verwendeten Materialien und Gewichte von unabhängiger Seite prüfen, um ihre Leistungen dem Publikum zu beweisen [82].

Ende des 19. Jahrhunderts wurden für Hobbysportler auch Trainingsanleitungen in Buchform populär. Als Beispiele seien das »Hantel-Büchlein für Zimmerturner« von Moritz Kloss (Leipzig 1886) und das »Lehrbuch der Kraft- und Muskelausbildung durch Hantel und Gewichts-Übungen. Auf Grund gesundheitlicher und schönheitlicher Prinzipien« von Albert Stolz (München vor 1904) erwähnt.

Am Ende des 19. Jahrhunderts bis etwa 1930 entwickelte sich in Deutschland und Europa eine blühende Kultur um Männer, die im Krafttraining und Bodybuilding einen wesentlichen Schwerpunkt einer gesunden und natürlichen Lebensweise sahen und diese Lebensphilosophie mit Trainingsanleitungen in zahlreichen Schriften verbreiteten. Hierzu gehörten u.a. der »Athletenvater« Theodor Siebert, Max Sick, Karl Friedrich Müller (genannt Eugen Sandow) und Max Unger (genannt Lionel Strongfort). Sie wurden z.T. internationale Stars und verbrachten viele Jahre im Ausland, insbesondere in England und Amerika [220]. Hervorzuheben ist hier die Trainingsmethodik von Max Sick, der zunächst nicht mit äußeren Widerständen (Hanteln, Gewichte) trainierte, sondern nur über die willkürliche, isometrische Anspannung der Muskulatur in genau beschriebenen Körperposen [E 3]. Durch dieses System der »Muskelbeherrschung« gilt er als der Urvater des isometrischen Trainings [27]. Auch haben seine Methoden der gezielten Anspannung bestimmter Muskeln und Muskelgruppen große Ähnlichkeit mit dem »Posing« im modernen Wettkampfbodybuilding. Später integrierte auch er zunehmend das Heben von Gewichten in sein Training und zeigte seine Kraftleistungen auf der Bühne. Bei nur knapp 70 Kilogramm Körpergewicht brachte er immerhin 137 Kilogramm zur Hochstrecke [E 3].

3.4.1Sandow und Hackenschmidt: Archetypen der »Kraftmenschen«

Zwei weitere Männer aus dem Kreis der Trainingspublizisten und Kraftphilosophen jener Zeit sollen hier kurz näher vorgestellt werden: Der erste ist der bereits erwähnte Karl Friedrich Müller, besser bekannt als Eugen Sandow. Er stand für jenen neuen Typus des starken Mannes, bei dem nicht nur Kraftleistungen erstaunten, sondern der auch in körperlicher Ästhetik überzeugte und im Prinzip das moderne Bodybuilding vorweg nahm.

Sandow wurde 1867 als Sohn eines Königsberger Gemüsehändlers geboren. Schon mit 15 Jahren schloss er sich einem Wanderzirkus an und präsentierte sich dort als Kraftakrobat. Als der Zirkus Pleite ging, verdiente er etwas Geld als Körpermodell für Kunststudenten. Er lebte damals in Brüssel und traf dort auf den Sportlehrer und Kraftathleten Louis Dürlacher, der ihn fortan trainierte. In dieser Zeit gab sich Müller den Künstlernamen Eugen Sandow.

1889 besiegte Sandow bei einem Schaukampf in London den berühmten Berufsringer Franz »Cyclops« Bienkowski und wurde mit einem Schlag berühmt. Er ging 1894 nach Amerika und gab fortan jen- und diesseits des Atlantiks Vorstellungen auf öffentlichen Großveranstaltungen mit Kraftakten und »Posing-Kür«, verkaufte Postkartenserien mit seinem Motiv und verfasste Trainingsanleitungen. Gern präsentierte er sich seinen zahlreichen Fans nur mit einem Feigenblatt aus Stoff bekleidet. In seinem 1904 erschienenen Buch »Kraft und wie man sie erlangt« finden sich Abhandlungen über Körperkultur im Allgemeinen, Anatomie, Krafttrainingslehre und die Sandow’sche Lebensphilosophie. Nebenbei prangert er die ungesunde Lebensweise des hektischen und körperfeindlichen Arbeitslebens der damaligen Zeit an und empfiehlt auch Frauen ein Krafttraining für Gesundheit und Attraktivität. Dem Buch lag eine Tafel mit 19 verschiedenen Übungen zu Atmung, Beweglichkeit und vor allem Kräftigung bei, wo sich u.a. Bizepscurls und Frontheben mit Kurzhanteln, zwei Kniebeugen-Varianten und Liegestütze finden. Ferner beschreibt der 1,74 m große und ca. 91 kg schwere Sandow seine Kraftleistungen, darunter interessanterweise auch ein Ringkampf mit einem Löwen (dem Handschuhe und ein Maulkorb angelegt wurden), und betreibt Werbung für die von ihm erfundenen Krafttrainingsgeräte, den »Muskelstärker« und die »Sandow-Griffhantel« [187]. 1901 richtete Sandow in der Royal Albert Hall in London den ersten Wettbewerb aus, in dem es im Wesentlichen um die Präsentation eines muskulösen Körpers ging, der von vielen als erster Bodybuilding-Wettkampf der Geschichte angesehen wird.

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