Das große Buch vom Krafttraining

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Neben einer verbesserten Blutversorgung des Gehirns durch moderate Muskelaktivität spielen in der Beziehung zwischen Sport und Gehirnleistungsfähigkeit auch positive Effekte auf das Wachstum von Nervenzellen und deren Verschaltung untereinander eine Rolle [4, 29, 98]. Hierbei haben erhöhte koordinative Anforderungen offenbar eine stimulierende Wirkung. Durch Muskelaktivität und Bewegung wird auch der Nervenwachstumsfaktor BDNF ausgeschüttet, der den Aufbau neuer Nervenzellen im Gehirn fördert. Dies soll im Alter einer Demenz und einer Alzheimer-Erkrankung entgegenwirken [H 11].

Generell ist der positive Effekt von Training auf die Gehirnleistungsfähigkeit insbesondere im höheren Alter konkret nachweisbar [4, 40]. In einer Studie mit älteren Menschen stellte man fest, dass von verschiedenen Bewegungsaktivitäten die Kombination von Ausdauer- und Krafttraining die besten Ergebnisse auf die Verbesserung der Gehirnleistungen erzielte [40]. Die erhöhte Leistungsfähigkeit zeigt sich vor allem in so genannten »exekutiven Fähigkeiten«, d.h. beim Koordinieren und Planen von Handlungen, beim Multitasking und bei Gedächtnisleistungen [4, 29].

Für ein »Gehirntraining« durch kräftigende Übungen empfehlen sich insbesondere mittlere Intensitäten ohne Ausbelastung, z.B. ein Kraftausdauertraining im Sinne eines »sanften Krafttrainings« (Kap. 8.4.1), sowie das Einbeziehen mehrgelenkiger, koordinativ anspruchsvoller Kraftübungen, das regelmäßige Ändern von Trainingsplänen und das Erlernen neuer Übungen und Bewegungstechniken.

2.5Die Wirkung auf die Beweglichkeit

Dass Krafttraining unbeweglich mache, ist ein altes Vorurteil. Ein einseitiges, fehlerhaft durchgeführtes Krafttraining kann durchaus die Beweglichkeit herabsetzen. Ein starkes Muskelwachstum vermehrt die parallel geschalteten Titinfilamente und andere elastische Komponenten, die einer Muskeldehnung Widerstand entgegensetzen. Zudem begrenzt die so genannte Weichteilhemmung ab einem gewissen Grad der Muskeldicke bestimmte Gelenkbewegungen, z.B. die Bein- und Armbeugung oder den Griff zwischen die Schulterblätter. Wer nicht den vollen Bewegungsumfang einer Übung durchführt, sondern nur im angenäherten Winkelbereich trainiert (z.B. isometrisches Training, Endkontraktionen oder Spitzenkontraktionsprinzip) beeinflusst negativ die funktionelle und strukturelle Länge der Muskulatur, die sich an die Erfordernisse ihrer Hauptarbeitslänge anzupassen versucht [185]. Hingegen führt ein ausgewogenes Krafttraining über den vollen Bewegungsumfang eines Gelenks in keinem Fall zu einer alltagsrelevanten, physiologisch ungünstigen Unbeweglichkeit. Dies beweisen eindrucksvoll Leistungsturner, die trotz großer Muskelmasse eine imposante Beweglichkeit zeigen (und benötigen). Auch Gewichtheber müssen im Schultergürtel, Hüftgelenk, Lenden- und Brustwirbelbereich sowie im Sprunggelenk sehr beweglich sein, um die anspruchsvolle Bewegungstechnik ihres Sports bewältigen zu können. Bei unsportlichen Menschen führt ein Krafttraining sogar in der Regel zu einer Beweglichkeitssteigerung, da viele Übungen Gelenkwinkelstellungen erfordern, die im Alltag nicht (oder selten) vorkommen, was immer zu einem Beweglichkeitsgewinn führt. Zudem erleichtert eine kräftige Muskulatur die Überwindung elastischer Dehnungswiderstände der Gewebe, so dass eine größere Bewegungsamplitude erreicht wird. Ein Krafttraining kann also für jede Sportart, die nicht auf eine extreme Muskelmasse angewiesen ist, so durchgeführt werden, dass die Beweglichkeit nicht negativ beeinflusst wird.

Zudem sind Sportler, die eine hohe Beweglichkeit benötigen und Nichtsportler, die anlagebedingt eine übermäßige Beweglichkeit (Hypermobilität) besitzen, auf eine kräftige Muskulatur angewiesen, die endgradige Bewegungen stabil führen und sichern kann, wodurch Überlastungen (Mikrotraumata) an passiven Bewegungsstrukturen vermieden werden. Unter dem Aspekt der Beweglichkeit und der Bewegungssicherung sollte ein Krafttraining immer über den vollen Gelenkwinkel ausgeführt werden.

Führt ein Krafttraining langfristig zu eher positiven Effekten hinsichtlich der Beweglichkeit, so ist direkt nach einer intensiven Kraftbelastung die Muskulatur in der Regel weniger dehnfähig. Die energetische Erschöpfung, eine Tonuserhöhung sowie Mikrorisse im Sinne eines Muskelkaters setzen die Beweglichkeit vorübergehend herab [222].

2.6Die Wirkung auf Koordination und Körperbeherrschung

Koordination meint »das geordnete Zusammenwirken von Zentralnervensystem und Skelettmuskulatur bei der Ausführung von Bewegungen« [157, S.264].

Koordination und Körperbeherrschung nehmen durch ein Krafttraining zu, da die Koordination im Wesentlichen von einem gezielten und optimal abgestimmten Anspannen der Muskulatur abhängt. Krafttraining fördert sowohl die intermuskuläre Koordination, d.h. das fein abgestimmte Zusammenspiel der Muskeln untereinander, als auch die intramuskuläre Koordination, d.h. das Ausmaß der Aktivierung der Muskelfasern innerhalb eines Muskels, was die Voraussetzung für dessen maximale Kraftentwicklung ist. Die Wahrnehmung für Muskelanspannung und -entspannung verbessert sich durch Training und der Sportler lernt, einzelne Muskeln bzw. Muskelgruppen bewusst und isoliert anzuspannen. Eindrucksvoll lässt sich die isolierte Muskelbeherrschung bei einem gekonnten Posing im Bodybuilding nachvollziehen. Eine hohe koordinative Kunst im Zusammenspiel von inter- und intramuskulärer Koordination ist z.B. das Olympische Gewichtheben, das ein jahrelanges intensives Techniktraining erfordert, bevor die erstaunlichen Gewichte sicher zur Hochstrecke gebracht werden können.


Abb. 7: Compound-Moves sind Kombinationen von zwei oder mehr Einzelübungen, die erhöhte koordinative Anforderungen an den Trainierenden stellen. Hier werden Ausfallschrittkniebeuge und Schulterdrücken kombiniert.

Natürlich werden Körperbeherrschung und Koordination vor allem durch technisch anspruchsvolle Übungen entwickelt. Diesbezüglich ist das Training an Krafttrainingsmaschinen weniger vorteilhaft. Komplexe Freihantelübungen, turnerische Kraftübungen und sensomotorisches Krafttraining (Kap. 6.4.1) verbessern die koordinativen Grundfähigkeiten besonders wirkungsvoll. Kraftübungen mit hohem koordinativen Anspruch sind z.B. einarmiges Reißen, beidarmiges Reißen und Stoßen, einarmige Liegestütz, Überkopfübungen im Stand, explosives Umsetzen der Langhantel oder Kniebeugen auf instabilen Unterlagen. Auch sog. Compound-Moves, also zusammengesetzte Bewegungen, die mehrere Einzelübungen verbinden, erweitern das koordinative Potenzial des Trainierenden. Koordination ist im Leistungssport allerdings nie Selbstzweck, sondern zielt auf eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit durch die sportartspezifische Koordination ab.

2.7Krafttraining und äußere Erscheinung

Krafttraining bewirkt ein Dickenwachstum der Muskulatur, eine Reduzierung des Körperfettanteils und erhöht den Energieverbrauch des Körpers. Dadurch hat Krafttraining einen direkten Einfluss auf die Körperform und die Körperzusammensetzung, d.h. auf den Anteil von Fett zu fettfreier Körpermasse. Von den formgebenden Strukturen des Körpers sind vor allem Fettgewebe und Muskulatur die beeinflussbaren Größen. Durch Krafttraining kann Körperfett reduziert und Muskelmasse aufgebaut werden. Diese Effekte machen auch einen gewichtigen Teil der Motivation vieler Fitness-Trainierender aus, während die Männer überwiegend Muskelaufbau anstreben, die Frauen eher eine Gewichtsreduktion [22]. Der Körperformungsaspekt rangiert hinter dem Wunsch nach »allgemeiner Fitness« in Umfragen häufig auf dem zweiten Platz der Gründe für ein Fitness-Training [11, 22].

Die Schwerpunktsetzung hinsichtlich der trainierten Körperpartien ist bei Männern und Frauen ebenfalls unterschiedlich: Während Männer eher den Oberkörper trainieren, liegt der Schwerpunkt bei den Frauen häufig auf dem Training der unteren Extremität [22]. Die verbreitete »Angst« vieler trainierender Frauen, zuviel Muskeln aufzubauen ist in der Regel unbegründet, da Frauen aufgrund der hormonellen Situation nicht in dem Maße Muskelmasse aufbauen wie Männer und durch die Wahl der Trainingsmethodik das Ausmaß des Massezuwachses kontrolliert werden kann. Ein 8-wöchiges Krafttraining führte in einer Studie bei den Frauen eher zu einer Verschlankung der Umfänge von Oberarmen und Oberschenkeln, während die Männer in diesen Bereichen deutliche Zuwächse verzeichneten. Der Körperfettanteil sank bei beiden Geschlechtern [20].

Natürlich spielt neben dem Training die Ernährung eine tragende Rolle bezüglich Fettabbau, Muskelaufbau und der Regulierung des Wassergehalts des Körpers. So kann z.B. das ungeliebte Fettpolster am Bauch nicht durch Bauchmuskelübungen abgebaut werden, da der Körper sein Speicherfett nicht am Ort des muskulären Energieverbrauchs verstoffwechselt. Vielmehr sollte die Fettschicht, die über den Muskeln unter der Haut liegt, durch einen hohen Energieverbrauch, am besten in Verbindung mit einer langfristigen Umstellung der Ernährung, abgebaut werden. Bauchmuskelübungen sorgen dann dafür, dass sich das unter dem Fett zum Vorschein kommende Muskelgewebe in »guter Form präsentiert«.

 

Zu dem Aspekt der Körperformung tritt im äußeren Erscheinungsbild eines Krafttrainierenden häufig auch eine veränderte Körperhaltung. Eine schlaffe Körperhaltung lässt den Bauch stärker hervortreten, die Brust verschwinden und den Nackenbereich in eine »Geierhals-Stellung« fallen. Eine aufrechte Haltung fördert hingegen eine Annäherung an heutzutage vielfach als »attraktiv« eingeschätzte Körperproportionen. Eine aufrechte Haltung ist allerdings nur möglich, wenn die Rückenmuskeln kräftig ausgebildet sind. Da der Schwerpunkt des Oberkörpers vor der Wirbelsäule liegt, müssen sich die Rückenmuskeln ständig anspannen, um ein nach vorn Kippen des Oberkörpers, also eine Rundrückenhaltung zu verhindern. Die Aufrichtung der Brustwirbelsäule stellt in der Regel auch die Halswirbelsäule physiologisch ein, so dass dadurch die bei Haltungsschwächen typische »Geierhals-Stellung« mit gebeugter unterer und überstreckter oberer Halswirbelsäule verhindert wird. Die Stellung des Beckens als »Basis der Wirbelsäule«, ist ebenfalls für die Wirbelsäulenhaltung von entscheidender Bedeutung. Schwache Gesäß- und Bauchmuskeln oder muskuläre Verkürzungen der Oberschenkelmuskulatur verhindern eine günstige Einstellung der Beckenposition in verschiedenen Haltungssituationen. Die Beckenstellung ist wiederum abhängig von »stabilen« Verhältnissen vom Fuß aufwärts über das Knie und die Hüftgelenke. Haltungstraining fängt also beim Fuß an und hört erst beim Kopf auf. Die Folge von Fehlhaltungen, Muskelschwächen und muskulären Verkürzungen am Becken oder in der Lenden-, Brust- und Halswirbelsäule sind häufig schmerzhafte Rücken- und Nackenverspannungen. Diesen kann man durch Krafttraining entgegenwirken.


Abb. 8: Der körperformende Effekt von Krafttraining wird von Frauen häufig für die untere Extremität, von Männern eher für den Oberkörper genutzt.

Neben den Aspekten von Gesundheit und körperlicher Attraktivität kann eine aufrechte Körperhaltung in der Außenwirkung auch Selbstbewusstsein, Gesundheit und positive Lebensenergie vermitteln.

Natürlich ist die Ausgewogenheit des Krafttrainings eine entscheidende Voraussetzung für eine günstige Wirkung auf die Körperhaltung. Es gibt Kraftsportler, die fast nur beim Bankdrücken (Brustmuskeltraining) zu sehen sind. Ein solches einseitiges Training fördert die Entstehung muskulärer Ungleichgewichte und kann Fehlhaltungen begünstigen.

2.8Krafttraining und Psyche

Sport und Bewegung, und somit auch Krafttraining, haben Einfluss auf das psychische Befinden des Menschen. Zahlreiche Untersuchungen bestätigen z.B., dass Sport, Ausdauertraining und Krafttraining (letztere besonders in der Kombination) wirksam in der Therapie depressiver Erkrankungen sind [6; H 13]. Auch Angststörungen sind durch Krafttraining (und Ausdauertraining) positiv beeinflussbar. Allerdings scheint diesbezüglich vor allem ein moderates Krafttraining ohne Ausbelastung effektiv zu sein [124]. Doch auch beim Gesunden gelten Sport und Training als ein wichtiger Einflussfaktor für Wohlbefinden und eine positive Stimmung [97]. Es werden verschiedene Ursachen für den Zusammenhang von Sport und Psyche diskutiert: Die vermehrte Ausschüttung von Botenstoffen wie Serotonin, Dopamin, Adrenalin und Noradrenalin könnte durch deren Wirkung im Gehirn die Psyche günstig beeinflussen [98], ebenso vom Körper produzierte Endorphine und Cannabinoide, die neben einer Schmerzhemmung die Stimmung heben sollen und die bei intensiver Belastung ebenfalls ansteigen [H 2]. Die Thermoregulationshypothese besagt, dass die Durchblutungs- und Stoffwechselsteigerung in Verbindung mit einem Anstieg der Körpertemperatur das Wohlbefinden erhöht [H 7]. Dies kennt der Kraftsportler in Form des angenehmen Gefühls »aufgepumpt« zu sein. Die Hypofrontalitätstheorie erklärt das gesteigerte Wohlgefühl hingegen über eine Veränderung der Hirnaktivität. Stress und Sorgen werden durch die gesteigerte Aktivität motorischer Hirnareale verdrängt [H 7]. Andere Ursachen könnten eine Steigerung des Selbstwertgefühls und Stärkung des Selbstkonzepts sein [124; H 7], die auf sportlichen Erfolgserlebnissen, einem gestiegenen Körpergefühl, einer verbesserten Haltung sowie einer erhöhten Körperkraft und Attraktivität basieren [75]. Andererseits können sportliche Misserfolge und sportinduzierter Stress (z.B. hoher Leistungsdruck) auch negative psychische Effekte haben. Häufig zeigen sich auch Essstörungen (z.B. Magersucht) bei exzessiver Sportausübung (H 7).

2.9Krafttraining in der Therapie körperlicher Erkrankungen

Krafttraining wird in einigen Fachbereichen der modernen Medizin als ein therapeutisches Mittel eingesetzt, um Schmerzen, Funktionseinschränkungen und andere negative Krankheitsfolgen zu lindern oder zu beseitigen. Im Falle von Bewegungsmangelerkrankungen, wie Diabetes Typ II, Adipositas (Fettleibigkeit), Herz- und Gefäßerkrankungen, Osteoporose, Rückenschmerzen und Muskel- und Gelenkbeschwerden kann Krafttraining an den wesentlichen Ursachen der Entstehung ansetzen und dadurch den Gesundungsprozess maßgeblich beeinflussen und sogar eine präventive Funktion erfüllen. Eine besonders hohe Bedeutung in der Linderung der Krankheitsfolgen und Beeinflussung der Symptome kommt dem Krafttraining im orthopädisch-traumatologischen Bereich zu, da die hier auftretenden Erkrankungen, meist direkt mit einer (zumindest zeitweiligen) Einschränkung von Bewegung und Belastung einhergehen und damit zu einem Funktionsverlust der Muskulatur führen. Krafttraining ist daher mittlerweile ein fester Bestandteil in der Therapie chronischer Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen sowie im Aufbautraining nach Verletzungen und Operationen. Dies gilt für jedes Alter und nahezu jeden Körperstatus. Der enorme Kraftverlust, der nach akuten Verletzungen oder Operationen durch die notwendige Ruhigstellung von Gelenken eintritt (z.T. über 50% nach 4 Wochen vollständiger Schonung), sollte durch ein gezieltes Krafttraining möglichst bald behoben werden, da hierdurch ein schnellerer Wiedereinstieg ins Alltagsleben inklusive beruflicher Tätigkeit ermöglicht und Folgeproblemen am Bewegungsapparat vorgebeugt wird.

Chronische Wirbelsäulenleiden können durch ein gezieltes Krafttraining bereits nach 8–12 Wochen bzw. 12–24 Trainingseinheiten deutlich gelindert bzw. bis zur Schmerzfreiheit therapiert werden [47, 114, 165]. Die Optimierung der Muskelfunktion (Koordination und Kraft) sowie die gezielte Stoffwechselsteigerung im Beschwerdebereich, die durch ein Krafttraining bewirkt werden, sind therapeutisch relevante, physiologische Komponenten einer erfolgreichen Therapie. Daneben stärkt ein Krafttraining auch das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit, was das Krankheitserleben von Patienten mit chronischen Schmerzen positiv beeinflusst, Bewegungsängste abbaut und dadurch mehr Lebensqualität und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Bei einer Arthrose, d.h. einem Knorpelverschleiß, der insbesondere an Hüft- und Kniegelenken im fortgeschrittenen Lebensalter auftritt und häufig mit erheblichen Schmerzen und Funktionseinschränkungen einhergeht, kann Krafttraining durch eine gezielte Anregung des Gelenk- und Knorpelstoffwechsels und durch den Aufbau einer leistungsfähigen Muskulatur die Schmerzsymptome und Funktionseinschränkungen vermindern [57]. Eine leistungsstarke Muskulatur kann eine günstigere Verteilung von Beanspruchungen im Gelenk herstellen und Belastungsspitzen reduzieren. Sie wirkt in zahlreichen Bewegungssituationen des Alltags als »Stoßdämpfer«. Wie bei anderen chronisch-degenerativen Erkrankungen am Bewegungsapparat kann Krafttraining eine Arthrose nicht heilen, aber die negativen Folgen für den Patienten deutlich lindern.

Neben dem orthopädischen Bereich hat sich Krafttraining mittlerweile auch in anderen Fachbereichen der Medizin etabliert: Seine die Blutgefäße trainierende Wirkung wird neben dem Kraft- und Leistungsaufbau im Training mit Herzpatienten (kardiologische Rehabilitation) genutzt (Kap. 9.1). In der Diabetes-Therapie erhöht Krafttraining die Sensivität der Muskelzelle für Insulin und hilft Folgeerkrankungen präventiv entgegenzuwirken (Kap. 9.4). Jüngst hat auch die Krebstherapie das Krafttraining entdeckt. Studien mit Brustkrebspatientinnen zeigen, dass sich Krafttraining positiv auf die körperliche Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität auswirkt [51]. Aber auch bei der Behandlung anderer Krebsarten sind bewegungstherapeutische Maßnahmen und Muskeltraining auf dem Vormarsch [9, H 3, H 16].

So verbreitet Krafttraining als Therapieform oder Therapieergänzung mittlerweile auch ist – es gehört immer in die Hände medizinisch geschulter Trainer, damit die gewünschten Effekte erzielt und schädigende Einflüsse vermieden werden können. Medizinisches Krafttraining wird üblicherweise in Rehabilitationseinrichtungen, Arzt- und Physiotherapiepraxen und von speziell anerkannten Trainingsinstituten durchgeführt.

2.10Myokine

Ein noch relativ junges Forschungsfeld zur gesundheitlichen Wirkung von Bewegung, Sport und Krafttraining ist das so genannte Myokin-Konzept, das vor allem durch Publikationen der dänischen Professorin Bente Pedersen und ihres Teams bekannt geworden ist.

Myokine sind hormonähnliche Botenstoffe, die bei körperlicher Aktivität vom (trainierenden) Muskel produziert werden und die zahlreiche Stoffwechselvorgänge im Organismus beeinflussen. Es sind erst wenige dieser Myokine in ihrer Wirkung und Wechselwirkung erforscht worden, aber sie sollen vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes-Typ II, Darm- und Brustkrebs sowie vor chronischen Entzündungen schützen und den Energie- und Baustoffwechsel des Körpers positiv beeinflussen.

Einige Beispiele: Interleukin-6 fördert die Fettverbrennung und reguliert den Zuckerstoffwechsel. Interleukin-15 soll speziell den Abbau von Bauchfett fördern, Muskelaufbau stimulieren und das Immunsystem stärken. Interleukin-8 fördert die Gefäßneubildung und wirkt einer Arteriosklerose entgegen [H 11]. Irisin steigert den Energieverbrauch, verbessert die Glukosetoleranz und soll inaktives Fett in aktives umwandeln [H 5]. Das Myokin SPARC soll vor Darmkrebs schützen [H 1].

Nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung sind die Blutspiegel der Myokine nur während (und kurz nach) der körperlichen Aktivität erhöht, nicht langfristig, so dass längere Belastungszeiten und häufige, möglichst tägliche Bewegungseinheiten eine besonders hohe Myokinversorgung garantieren. Es ist bislang nicht bekannt, ob eine dauerhafte, hochdosierte Myokinausschüttung eventuell auch negative Auswirkungen haben könnte. Jedoch scheint das Myokin-Konzept geeignet, für einige positive Sportwirkungen, die zwar bekannt sind, jedoch bislang nicht wissenschaftlich erklärt werden konnten, die fehlenden Antworten zu liefern.