Das große Buch vom Krafttraining

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Durch Umfangsmessungen der Muskulatur an den Gliedmaßen (ungenau!) bzw. Muskelquerschnittsmessungen durch Ultraschalluntersuchungen kann das Kraftpotential eines Muskels zwar abgeschätzt werden [97], nie jedoch die Fähigkeit des Probanden, dieses Potential zu nutzen. Daher sind diese Methoden als Krafttest im eigentlichen Sinne ebenso wenig anwendbar wie die Elektromyographie.

Zuletzt noch ein kurzer Blick auf eine im medizinisch-therapeutischen Bereich übliche Einteilung der Kraftfähigkeiten eines bestimmten Muskels bzw. einer Muskelgruppe.

Es handelt sich hierbei um einen Test, der vom Arzt oder Physiotherapeuten am Patienten vorgenommen wird und eine grobe Orientierung über die Muskelkraft erlaubt. Das Ergebnis wird in Kraftgraden notiert, die von 0–5 reichen. Soll z.B. der Patient den Arm anbeugen, ist aber nicht in der Lage, eine sichtbare oder (durch Anfassen) spürbare Muskelkontraktion in der Armbeugemuskulatur zu produzieren, entspricht dies dem Kraftgrad »0«. Ist eine Kontraktion gegen starken oder maximalen Widerstand erfolgreich, spricht man vom Kraftgrad »5«. Beim Kraftgrad »5« geht man von einem normalen Kraftniveau des Muskels aus. Die verschiedenen Stufen mit einer kurzen Beschreibung der Bewertungskriterien finden sich in Tab. 3. Dieser Test eignet sich natürlich nur für Patienten, bei denen erhebliche Muskeldefizite vermutet werden. Im Sport und bei Gesunden sind die weiter oben ausgeführten Testmöglichkeiten (A–D) relevant.

Tab. 3: Kraftgrade und Darstellung der Einteilungskriterien (in Anlehnung an Janda 1994)


KraftgradKriterien der Einteilung% der normalen Muskelkraft
0Beim Bewegungsversuch des Patienten ist kein Anzeichen einer Muskelkontraktion zu erkennen.0%
1Der Muskel spannt sich beim Bewegungsversuch spürbar an, kann den Körperteil aber nicht bewegen.10%
2Der Muskel kann eine Bewegung des Körperteils durchführen, aber nicht gegen dessen volles Eigengewicht, sondern nur unter Reduktion der Schwerkraft.25%
3Der Muskel kann den Körperteil in vollem Bewegungsausmaß gegen die Schwerkraft, d.h. das volle Eigengewicht, bewegen.50%
4Der Muskel kann die Bewegung in vollem Ausmaß durchführen und dabei noch einen mittelgroßen äußeren Widerstand überwinden.75%
5Der Muskel kann die Bewegung in vollem Ausmaß durchführen und dabei einen sehr großen äußeren Widerstand überwinden.100%

Zum Teil wird noch ein 7. Kraftgrad (Kraftgrad 6) verwendet, der das mehrmalige Kontrahieren (mind. 10 Wiederholungen) gegen einen maximalen (vom Therapeuten gesetzten) Widerstand ermöglicht. Der Sinn des 7. Kraftgrads wird mancherorts angezweifelt [176]. In der Praxis überwiegt die Anwendung der »klassischen« 6er-Einteilung nach Vladimir Janda [102].

1.2Ermittlung der Kraftfähigkeit zur Festlegung der Trainingslast

In der Praxis ist es häufig notwendig einen Krafttest durchzuführen, um die optimale Trainingslast festzulegen. Geeignet und ohne größeren Geräteaufwand durchführbar sind folgende Tests:

Dynamischer Maximalkrafttest (= 1-RM)

Dynamischer Wiederholungen-Maximum-Test (= X-RM)

Beim dynamischen Maximalkrafttest wird dasjenige Gewicht ermittelt, das bei der Zielbewegung, die trainiert werden soll (z.B. Beinstrecken an der Beinpresse) gerade ein einziges Mal in der gewünschten Bewegungsamplitude bewältigt werden kann.

Dieses Gewicht gilt als »One-Repetition-Maximum« (1-RM), also als das Höchstgewicht (100%) der Einer-Wiederholung. In den Vorgaben für die Belastungshöhe wird in der Trainingslehre häufig das empfohlene Gewicht in Prozent der dynamischen Maximalkraft angegeben. Diese wird in der wissenschaftlichen Literatur meist mit MVC (= Maximal Voluntary Contraction = höchstmögliche willentliche Muskelanspannung) bezeichnet. Liegt ein Testergebnis vor, z.B. 100% 1-RM = 80 Kilogramm, dann wird eine Vorgabe von 80% MVC wie folgt errechnet:

Trainingslast = 1-RM : 100 × 80% Im Beispiel: 80 kg : 100 × 80% = 64 kg Somit würde das Training mit 64 kg Gewichtslast durchgeführt werden.

Beim dynamischen Wiederholungen-Maximum-Test wird dasjenige Gewicht ermittelt, das in der jeweiligen Kraftübung gerade noch die Durchführung der gewünschten, gemäß dem Trainingsziel festgelegten Wiederholungszahl ermöglicht. Soll z.B. Muskelaufbau mit 10 Wiederholungen pro Serie trainiert werden, so wird das Gewicht ermittelt, mit dem der Trainierende 10 saubere Wiederholungen durchführen kann (die elfte aber nicht mehr). Dieses Gewicht gilt als »10-Repetition-Maximum«, d.h. als Höchstgewicht bei zehn Wiederholungen. Es gilt als 100% 10-RM.

Beide Tests funktionieren nach dem Prinzip »Versuch-und-Irrtum«, d.h. Trainer und Trainierender suchen durch Ausprobieren das entsprechende Gewicht.

Von einem Wiederholungen-Maximum aus die Maximalkraft zu berechnen – wie manchmal vorgeschlagen wird – ist unzulässig. Ebenso problematisch ist es, von der Maximalkraft auf die maximale Wiederholungszahl in niedrigeren Intensitätsbereichen zu schließen. Zusammenhänge sind zwar vorhanden, jedoch zu ungenau, um als exakte Berechnungsgrundlage zu dienen [34, 146]. Für eine korrekte Analyse muss der jeweilige spezifische Test durchgeführt werden.

Neben diesen Krafttests ist es in der Praxis häufig üblich, das Trainingsgewicht nach dem subjektiven Belastungsempfinden festzulegen. So soll der Trainierende am Ende einer Übung sein subjektives Belastungsempfinden in der letzten Übungswiederholung (z.B. 10. Wiederholung in der letzten von zwei Serien) auf einer Skala einschätzen. Es gibt zahlreiche dieser Bewertungsskalen, die man als RPE-Skala (RPE = »Rate of Perceived Exertion« = Grad der empfundenen Anstrengung) bezeichnet. Die »Urskala« dieser Bewertungsskalen ist die Borg-Skala mit ursprünglich 20 Stufen, die für die bessere Anwendbarkeit auf 15 reduziert wurden (Tab. 4). Zur weiteren Vereinfachung werden 6er [60], 7er [20] oder auch 10er Skalen [170] eingesetzt. Entscheidend ist dabei weniger, welche Skala verwendet wird, als vielmehr, dass der Trainierende den Sinn und die Bedeutung der Einschätzung verstanden hat.

Tab. 4: Borg-Skala zur Einschätzung des subjektiven Belastungsempfindens (nach Löllgen 2004).


6
7Sehr, sehr leicht
8
9Sehr leicht
10
11Recht leicht
12
13Etwas anstrengender
14
15Anstrengend
16
17Sehr anstrengend
18
19Sehr, sehr anstrengend
20

Das subjektive Belastungsempfinden ist ein effektives Mittel zur Belastungssteuerung. Es gibt jedoch Studien, die bei einem Vergleich verschiedener Verfahren der Belastungsbestimmung eine leichte Überlegenheit von Leistungstests (z.B. 1-RM oder Wiederholungen-Maximum-Test) gegenüber einer subjektiven Selbsteinschätzung feststellten, insbesondere bei wenig erfahrenen Trainierenden [110].

Die folgende Tabelle zeigt die Zielsetzung des Trainings und die jeweils geeigneten Methoden zur Ermittlung der Trainingslast:

Tab. 5: Geeignete Testverfahren gemäß der Zielsetzung des Krafttrainings


Trainingsziel / MethodeGeeignete Steuerungsverfahren
MuskelaufbautrainingWiederholungen-Maximum-Test (Dynamischer Maximalkrafttest) RPE-Skala
Innervationstraining (Maximalkraft)Dynamischer Maximalkrafttest
Schnellkrafttraining an KraftmaschinenDynamischer Maximalkrafttest
KraftausdauertrainingWiederholungen-Maximum-Test (Dynamischer Maximalkrafttest) RPE-Skala
Reaktivkrafttraining (Sprungkraft)Maximale Sprunghöhe*
Rehabilitatives Training nach Verletzungen und OperationenWiederholungen-Maximum-Test RPE-Skala

* Hierbei geht es nicht um die Trainingslast, sondern die Sprunghöhe, die im Training vorgeben werden soll (Kap. 6.3.2: Reaktivkraftmethoden)

 

Abb. 5: In der physiotherapeutischen Diagnostik wird die Muskelkraft eines Patienten nach Kraftgraden beurteilt. Der hier gezeigte Test wird für die Kraftgrade 4 und 5 der Kniestreckmuskulatur (M. quadriceps femoris) verwendet.

2Welche Wirkungen hat Krafttraining auf den Organismus?

Krafttraining hat zahlreiche positive Effekte für den Trainierenden, die weit über den eigentlichen Zweck von Kraftzuwachs und Muskelaufbau hinausgehen. In diesem Kapitel werfen wir einen Blick auf diejenigen Effekte, die langfristig durch ein regelmäßiges Krafttraining zu erreichen sind. Sie erstrecken sich auf den Bewegungsapparat, den Stoffwechsel, das Herz-Kreislaufsystem, das Hormonsystem sowie auf Wohlbefinden und äußere Erscheinung. Sie sind zudem zur Prävention, Heilung oder Linderung einiger Erkrankungen und gesundheitlicher Beeinträchtigungen geeignet.

2.1Die Wirkung auf die Muskulatur

Das Kernziel eines Krafttrainings ist in der Regel ein Kraftzuwachs der Muskulatur. Je nach Ausrichtung des Trainings erreicht man eine Steigerung der Maximalkraft, Kraftausdauer, Schnellkraft oder Reaktivkraft.

Die Steigerung der Maximalkraft befähigt dazu, schwere Lasten bewegen zu können, erhöht die Gelenkstabilität und bringt eine Verbesserung der Ergebnisse in vielen Wettkampfsportarten, da eine enge Beziehung zwischen Maximalkraft und Schnellkraft besteht. Die Maximalkraft lässt sich in den ersten Monaten eines Trainings durchschnittlich pro Trainingseinheit um ca. 0,5–2% steigern. Bei Untrainierten ist die Zuwachsrate gemeinhin etwas höher als bei Trainierten. So lag der Maximalkraftzuwachs in Studien zum Training der Beinmuskulatur bei untrainierten Testpersonen zwischen 0,39 und 0,64% pro Trainingseinheit, bei trainierten nur zwischen 0,16 und 0,33% [Werte errechnet aus Quelle 80, Tab. 13, S.114]. Für untrainierte Rückenpatienten berichtet Achim Denner von einer Zuwachsrate von 1–2% pro Trainingseinheit [47]. Erstaunliche Maximalkraftgewinne wurden bei gezieltem Krafttraining mit Senioren (über 60 Jahre) erhoben. Hier lagen die Zuwächse nach 6–12 Wochen Training z.T. bei über 50%. In einigen Studien konnte die Kraft mehr als verdoppelt werden [53, 66]. Die Zuwachsraten pro Trainingseinheit betrugen bei dynamischen Krafttests in dieser Altersgruppe zwischen 2 und 5% [53, 66, 210].

Neben dem Trainingszustand hängt der Kraftzuwachs auch von der Intensität des Trainings ab. So profitierten die Trainierenden bei einer Studie der Universität Bayreuth bei einem 8-wöchigen Training mit drei Einheiten pro Woche in Form eines durchschnittlich 14,2%igen Maximalkraftgewinns, wenn bis zur Muskelerschöpfung trainiert wurde. Wurde die Serie bei mittlerer Beanspruchung abgebrochen, lag der Gewinn im Mittel nur noch bei 8,7% [20].

Ein weiterer Einflussfaktor für Zuwachsraten in Krafttests liegt im koordinativen Anspruch der Testbewegung: je höher der koordinative Anspruch einer Testbewegung (und somit der mögliche koordinative Lerneffekt bei Ungeübten), desto größer fallen die Zugewinne an Kraft im Testergebnis aus. Bei hohen koordinativen Lerneffekten sind zum Teil Steigerungen von 3% oder mehr pro Trainingseinheit möglich.

Beeindruckende Maximalkraftleistungen sind im Kraft-Dreikampf oder auch im Gewichtheben zu finden, wo von Spitzenathleten eine Hantel von über 400 kg aus der Kniebeuge gehoben oder ein Gewicht von über 230 kg beidarmig über den Kopf gebracht wird.

Das Training der Kraftausdauer bewirkt eine erhöhte Widerstandsfähigkeit der Muskulatur gegen Ermüdung bei Alltagsbelastungen wie Treppensteigen, Bergwandern oder Lasten tragen sowie bei Sportarten mit Kraftausdaueranteilen, z.B. Kanufahren, Rudern, Crossläufe, Mountain-Biking, Alpinski oder Schwimmen. Die Zuwachsraten pro Trainingseinheit liegen beim Kraftausdauertraining etwas höher als beim Training der Maximalkraft. Gewinne zwischen 50 und 70% nach 24 Trainingseinheiten in 8 Wochen berichtet die bereits oben erwähnte Bayreuther Studie [20]. Das entspricht 1,7–2,2% Kraftausdauerzuwachs pro Trainingseinheit. Natürlich gilt dies nur, wenn Trainingsmethoden gewählt werden, die eine effektive Verbesserung der Kraftausdauer bewirken (Kap. 6.2).

Beeindruckende Kraftausdauerleistungen sind die Weltrekorde im Liegestütz oder auch im Klimmzug, wo in 5 Minuten 441 (Liegestütz) bzw. in 1 Minute 51 (Klimmzüge) korrekte Wiederholungen erreicht wurden.

Verbesserungen der Schnellkraft wirken sich im Alltag meist weniger bedeutend aus, im Sport hingegen umso mehr. Wer die höhere Schnellkraft besitzt, kann höher springen, weiter werfen und kommt beim Sprint schneller »aus den Startlöchern«. Somit sind die Kraftgewinne auf diesem Gebiet u.a. leistungsrelevant für Leichtathleten und viele Spielsportler (Fußball, Handball, Volleyball usw.).

Durch so genannte plyometrische Übungsformen (Kap. 6.3.2) konnte die vertikale Sprunghöhe als Maß für die Schnellkraftfähigkeit der unteren Extremität in verschiedenen Untersuchungen um durchschnittlich 4,7–8,7% gesteigert werden [145]. Nach 24 Trainingseinheiten in 8 Wochen erhoben Malisoux und Kollegen eine 13%ige Verbesserung der Sprunghöhe im Counter-Movement-Jump [141]. Bezüglich der Geschwindigkeit der Kraftentwicklung wurden Zuwächse in der Explosivkraft nach einem 4–6-wöchigen dynamischen Schnellkrafttraining von 44 bis 55% berichtet (194). Beeindruckende Schnellkraftleistungen sind z.B. die Sprungfähigkeiten moderner Spitzenathleten. Im Weitsprung springen die weltbesten Frauen über 7,00 m, die Männer über 8,30 m weit. Im Hochsprung liegen die Spitzenwerte bei über 2,05 m (Frauen) bzw. 2,40 m (Männer). Im Kugelstoßen imponieren Wurfleistungen von über 20 Metern bei Männern (7,257 kg) wie Frauen (4 kg).

Ein Kraftzuwachs bringt nicht nur im Leistungsalter Vorteile. Insbesondere im höheren Lebensalter bedeutet er längere Selbständigkeit, Unfallprophylaxe und einen Zugewinn an Lebensqualität. Im Kindes- und Jugendalter sind gezielte Kraftreize in unserer bewegungsarmen Gesellschaft heutzutage oft notwendig, um den Körper belastbar und stabil zu machen, da die natürlichen Kraftreize (Klettern, Ringen, Springen, Bauen und Graben) immer seltener abgefordert werden.

In der medizinischen Rehabilitation spielt der Rückgewinn einer optimalen Kraft nach Verletzungen, Operationen sowie bei chronischen Schmerzerkrankungen der Gelenke und Wirbelsäule eine wichtige Rolle, um erfolgreich in den Beruf zurückzukehren, Freizeit- und Haushaltsaktivitäten wieder aufzunehmen sowie negative Langzeitfolgen aufgrund von Kraftmangel und Schonverhalten zu verhindern.

Die erhöhte Kraftfähigkeit der Muskeln wird im Wesentlichen durch Anpassungen des Nervensystems, des Stoffwechsels und der Muskelstruktur erreicht. Das Nervensystem lernt, das Zusammenspiel der Skelettmuskeln zu optimieren und die Muskelfasern eines Muskels weitgehend vollständig, gleichzeitig und mit einer hohen Frequenz zu aktivieren. Diese Anpassungseffekte machen einen Großteil des Maximalkraftzuwachses von Trainingsanfängern aus. Durch eine vermehrte Einlagerung von Energieträgern und eine Umstrukturierung relevanter Zellbestandteile wird der Energiestoffwechsel an die krafttrainingsspezifischen Anforderungen angepasst: So kommt es zu einer vermehrten Einlagerung von energiereichen Substanzen (ATP, Kreatinphosphat, Glykogen) in der Muskulatur bei gleichzeitiger Abnahme des Myoglobingehalts und der Mitochondriendichte [97]. Dies fördert die (Kurzzeit-)Ausdauerfähigkeit unter hoher Belastung (Kraftausdauer, Maximalkraftausdauer). Der sichtbarste Anpassungseffekt an ein Krafttraining ist allerdings die Dickenzunahme der Muskulatur. Diese wird vor allem durch eine Verdickung der einzelnen Muskelfasern erreicht. Die schnell zuckenden weißen Muskelfasern hypertrophieren vor allem bei schnellkräftigen Bewegungen gegen hohe Lasten, die langsam zuckenden, roten Muskelfasern bei länger andauernden, mittelstarken Kontraktionen und bei statischem Krafttraining mit längeren Haltephasen.

Über das Wachstum der krafterzeugenden Proteinstrukturen hinaus, kommt es auch zu einer Verdickung des Muskels durch eine Vermehrung des so genannten Sarkoplasmas. Das Sarkoplasma ist eine eiweißhaltige Flüssigkeit zwischen den Muskelfibrillen innerhalb der einzelnen Muskelfaser. Hier befinden sich u.a. Enzyme und gespeicherte Energieträger (z.B. Glykogen). Je nach Trainingsmethode findet neben der Vermehrung der krafterzeugenden Muskelfibrillen (myofibrilläre Hypertrophie) auch eine mehr oder weniger ausgeprägte Sarkoplasmazunahme statt (sarkoplasmatische Hypertrophie). Letztere wird vor allem durch ein volumenorientiertes Krafttraining erzeugt, wie es z.B. im Bodybuilding betrieben wird. Daher ist ein dicker Muskel des Bodybuilders zwar stark, häufig aber nicht so stark wie der Muskel eines Gewichthebers von gleicher Dicke, da bei letzterem die Dichte der Myofibrillen, die die Kraft erzeugen, höher ist [97, 230].

Der Anteil der Muskulatur an der Gesamtkörpermasse liegt bei Frauen bei ca. 25–35%, bei Männern bei ca. 40–45% [97]. Damit ist die Muskulatur das größte Stoffwechselorgan des Körpers. Eine erhöhte Muskelmasse erhöht den Gesamtenergieverbrauch des Körpers, formt (in gewissen Grenzen) den Körper ästhetisch und ist letztendlich der wichtigste Weg zu einer langfristigen, deutlichen Kraftzunahme. Zudem hat eine hohe Muskelmasse Schutzfunktion bei Stürzen und anderen Unfällen sowie bei Krafteinwirkungen von außen auf den Körper (Schläge, Tritte, Gegenstände), da die Muskulatur nicht nur ein passives Polster darstellt, sondern ein aktives, das eine hohe Schutzspannung und Gelenksicherung erzeugen kann.

Durch ein 6-wöchiges Krafttraining ließ sich der Querschnitt der Muskelfasern in der trainierten (Bein-)Muskulatur um 15–28% steigern. Bei einem 20-wöchigen Training hypertrophierten die schnellzuckenden, weißen Fasern sogar um 57% [205]. Eine neuere Studie fand nach einem 8-wöchigen Krafttraining der Oberarmmuskulatur einen Muskelzuwachs von durchschnittlich 5,3% (Fortgeschrittene) bzw. 7,4% (Anfänger) bei drei Trainingseinheiten pro Woche [228]. Auch ein 8-wöchiges Sprungkrafttraining führte zu signifikanten Querschnittszuwächsen von durchschnittlich 15% in den Muskelfasern, allerdings vor allem in den schnellzuckenden Fasern. Die langsamen Fasertypen zeigten keine relevante Veränderung [222].

Extremes Muskelwachstum findet man vor allem bei Bodybuildern, die bei einem Körperfettanteil von 6–10% [212] häufig über 100 durchtrainierte Kilos auf die Waage bringen. Arnold Schwarzenegger wog in seiner aktiven Zeit bei 1,88 m Körpergröße 109 Kilogramm. Lee Haney, Star der 80er Jahre im Bodybuilding, brachte bei 1,80 m etwa 112 Kilogramm Wettkampfgewicht auf die Waage.

Gewichtheber haben ebenfalls einen sehr hohen Anteil an Muskelmasse, der durchaus im Bereich von 55% der Körpermasse liegen kann. Der Körperfettanteil liegt bei Gewichthebern der unteren Gewichtsklassen häufig unter 10%, in den höchsten Klassen, insbesondere im Superschwergewicht, z.T. deutlich höher. Dies ist der Hebeleistung allerdings nicht abträglich. Die höchsten absoluten Maximalkraftleistungen zeigen ohnehin normalerweise die endomesomorphen Konstitutionstypen, d.h. Sportler, die eine eher massive Gestalt mit einer Neigung zu einer großen Muskelmasse und gleichzeitig einem erhöhten Körperfettanteil aufweisen [215].

 

2.2Die Wirkung auf Knochen, Sehnen und Gelenke

Auch die Knochen, der Kapsel-Bandapparat der Gelenke, Knorpelstrukturen und die Sehnen, die die Verbindung zwischen Muskel und Knochen darstellen, zeigen Anpassungen an ein Krafttraining. Der Knochen erhöht, ausgelöst durch die Zug- und Druckspannungen, die bei einem Krafttraining über die Muskeln und die Schwerkraft auf ihn einwirken, seine Mineraldichte und seinen Durchmesser. Daraus resultiert eine erhöhte Knochenfestigkeit und -stabilität. Ferner organisiert sich die Knochenbinnenstruktur entsprechend der Richtung der auf sie einwirkenden Kräfte. Dieser Einfluss auf die Knochenstabilität macht Krafttraining zu einer geeigneten therapeutischen Maßnahme bei einem Knochenfestigkeitsverlust in Form einer Osteopenie oder Osteoporose (Kap. 9.5). In einer Vergleichsstudie von sieben Sportarten zeigten Gewichtheberinnen mit Squashspielerinnen die höchsten Knochendichtewerte. Die mechanischen Belastungsspitzen in diesen Sportarten bewirkten bei den Sportlerinnen eine erhöhte Knochenstabilität, während bei Ausdauersportarten (Radfahren, Aerobic, Skilanglauf) keine oder nur geringe Erhöhungen gefunden wurden [88]. Unter Umständen halten die positiven Effekte auf das Knochensystem noch viele Jahre nach Absetzen des Trainings an. Man fand bei ehemaligen Gewichthebern eine erhöhte Knochenmasse gegenüber einer Vergleichsgruppe bis ins siebte Lebensjahrzehnt hinein [108]. Messbare Anpassungen der Knochenstruktur an ein Krafttraining benötigen allerdings mehrere Monate [42].

Die erhöhte Festigkeit der Sehnen durch Training resultiert ebenfalls aus einer Zunahme ihrer Dicke und einer Verdichtung ihrer inneren Struktur. Die Vermehrung des für hohe Zugbelastungen ausgerichteten Kollagens, dem Hauptbaustoff der Sehnen, spielt hierbei die wesentliche Rolle [42]. Ferner führt die Beanspruchung der Sehne durch körperliche Aktivität zu einer massiven Steigerung der Durchblutung und des Sehnenstoffwechsels [117]. Bei Ultraschalluntersuchungen fand man im Schulterbereich bei Bodybuildern eine ausgeprägte Verdickung der Sehnen der sog. Rotatorenmanschette. Je öfter die Sportler den Schulterbereich pro Woche trainierten, desto deutlicher war die Dickenzunahme der Sehnen [105]. Auch für die Bänder und die Gelenkkapsel, die ebenfalls im Wesentlichen aus Kollagen aufgebaut sind, erhöht sich die Festigkeit durch ein Krafttraining. Diese erhöhte Stabilität des Sehnen- und Kapsel-Bandapparates schützt den Sportler vor Verletzungen.

Knorpelgewebe, das alle Gelenkflächen im Körper überzieht, durchläuft ebenfalls Anpassungen an die mechanische Belastung durch ein Krafttraining. Während eine Ruhigstellung von Gelenken (z.B. Gipsverband) aufgrund der speziellen Ernährung des Knorpels durch Wechseldruck zum Absterben von Knorpelzellen und somit zur Knorpelzerstörung führt, löst die Belastung durch Training eine Zunahme der Knorpelzellen an Zahl und Größe sowie eine Zunahme der Interzellularsubstanz aus. Diese Hypertrophie des Gelenkknorpels führt zu einer besseren Druckverteilung und zu einer erhöhten »Pufferfunktion« (Absorption von Energie) bei mechanischer Belastung [42]. Neben dem Gelenkknorpel, der auch als hyaliner Knorpel bezeichnet wird, gibt es Faserknorpelstrukturen, die einen hohen Gehalt an Kollagenfasern aufweisen und eher für Zugbelastungen ausgelegt sind. Dies sind z.B. die Menisken im Knie und der Knorpelring der Bandscheibe. Durch Belastung, z.B. Krafttraining, erhöhen auch die faserknorpeligen Strukturen ihre Festigkeit. Dadurch ist es erklärbar, dass Gewichtheber und Kraft-Dreikämpfer enorme Lasten heben können, ohne dass die Bandscheiben unter dieser extremen Belastung zerstört werden.


Abb. 6: Die knochenaufbauende Wirkung eines Krafttrainings kann in der Prävention und Therapie von Osteoporose genutzt werden.

Bei den Anpassungen der beschriebenen Gewebe an Krafttrainingsreize ist zu berücksichtigen, dass diese Gewebe unterschiedliche Stoffwechselgeschwindigkeiten und damit unterschiedliche Geschwindigkeiten der Anpassung an Belastungsreize zeigen. Die Muskulatur hat einen sehr hohen Stoffwechsel im Gegensatz zu Sehnen- oder Knorpelgewebe. Deshalb wächst die Muskelkraft wesentlich schneller als die Festigkeit der übrigen Bewegungsstrukturen. Die Sehne beispielsweise braucht etwa das Dreifache an Zeit für ihre Anpassung an Belastungsreize wie der Muskel [69]. Knorpelgewebe hat sogar einen noch langsameren Stoffwechsel als die Sehne. Daher darf sich die Planung der Trainingsbelastung nicht nur an der muskulären Leistungsfähigkeit orientieren, sondern muss auch die Regenerations- und Anpassungsfähigkeit der übrigen Bewegungsstrukturen berücksichtigen.

2.3Die Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System

Während eines Krafttrainings steigt der Puls (= Herzschläge pro Minute) deutlich an, da der Organismus mehr Blut in die arbeitende Muskulatur befördern muss, denn Blut transportiert u.a. Sauerstoff und Energieträger, die von der Muskulatur für die Kontraktion benötigt werden. Die Blutpumpe des Körpers, der Herzmuskel, muss beim Training also mehr arbeiten als in Ruhe. Bei der Übungsdurchführung sind Pulsschläge im Bereich von 135 bis 170 nicht ungewöhnlich [61, 80, 138]. Diese Pulsfrequenzen entsprechen durchaus denen, die bei einem effektiven Herz-Kreislauf-Training, z.B. beim Jogging, erreicht werden mit dem entscheidenden Unterschied, dass beim Ausdauertraining der Puls ständig auf hohem Niveau bleibt, während er beim Krafttraining in den Pausen wieder deutlich abfällt. Häufig sinkt der Puls nach 30–60 Sekunden wieder auf sein Ausgangsniveau vor der Serie ab. Hohe Pulsfrequenzen werden vor allem bei Kraftübungen erreicht, die große Muskelgruppen beanspruchen (z.B. Beinpressen, Kniebeugen oder Kreuzheben), aber nur dann, wenn die Serie der Wiederholungen einen längeren Zeitraum beansprucht, wie beim Muskelaufbau- oder Kraftausdauertraining.

Weil der Puls beim Krafttraining nicht konstant auf höherem Niveau gehalten wird, sind die typischen Anpassungen, die das Herz-Kreislauf-System bei Ausdauersport (Jogging, Radfahren, Schwimmen) durchläuft, beim Kraftsportler nur sehr gering ausgeprägt.

Die Sauerstofftransportkapazität (bestimmt als maximale Sauerstoffaufnahme) steigt nach einem mehrwöchigen Krafttraining nur um wenige Prozent (3–4%) an. Beim Zirkelkrafttraining ist der Effekt aufgrund der höheren Belastungsdichte erwartungsgemäß etwas größer. In einer Studie von Gettmann und Mitarbeitern stieg die Herz-Kreislauf-Kapazität nach einem 12-wöchigen Zirkeltraining um 12% an [70]. Ansonsten wird bei einem Krafttraining nach dem Prinzip des Zirkeltrainings von Steigerungen der aeroben Kapazität von 5–8% ausgegangen [80]. Für höhere Effekte auf die maximale Sauerstoffaufnahme sollten die Pausenzeiten zwischen den Serien möglichst kurz (z.B. 10 sec.) gehalten und die Belastungsintervalle hochintensiv (große Muskelgruppen, hohe Intensität) gestaltet werden [211]. Eine solche globale Anstrengung des Gesamtkörpers behindert allerdings die lokale Leistungsoptimierung des Einzelmuskels in Hinblick auf die Steigerung von Muskelmasse und Kraftausdauer.

Als weiterer Anpassungseffekt an langfristiges Krafttraining sinkt der Ruhepuls als Zeichen einer ökonomischeren Herzarbeit geringfügig ab (ca. 10%). Das Herz verbraucht dadurch weniger Energie und Sauerstoff und wird durch eine verlängerte Erschlaffungsphase besser durchblutet [46]. Ausdauersport lässt den Ruhepuls allerdings wesentlich stärker absinken. Vergleicht man z.B. das Herzvolumen von 18 unterschiedlichen Sportarten, so schneiden Gewichtheber sehr schlecht ab und belegen mit leichtathletischen Werfern (Kugel, Diskus, Speer) und Sportschützen die letzten Plätze. Langstreckenläufer, Radrennfahrer, Skilangläufer oder auch Bundesligafußballer sind hingegen auf den obersten Rängen zu finden [136].

Der Blutdruck steigt während Kraftübungen deutlich an, da die Gefäße durch die Muskelkontraktion komprimiert werden. Hierbei ist entscheidend, wie groß die eingesetzte Muskelmasse, wie hoch die relative Ausbelastung des Trainierenden durch Last und Übungsdauer ist und ob eine Pressatmung (Valsalva-Manöver) stattfindet oder nicht. Bei hochintensivem, beidbeinigem Beinpressen mit Pressatmung wurden bei Bodybuildern Durchschnittswerte von 320/250 mm Hg gemessen. Beim einarmigen Bizepscurl lagen die Werte immerhin noch bei 255/190 mm Hg [138]. Zum Vergleich: Ein normaler Blutdruck in Ruhe beträgt durchschnittlich 120/80 mm Hg. Die höchsten Blutdruckanstiege finden sich in einem Intensitätsbereich, in dem Lasten von 70–95% der Maximalkraft über mehrere Wiederholungen bis zur Erschöpfung der Muskulatur bewegt werden [17].

Trotz der hohen Blutdruckwerte, die während eines Trainings auftreten können, führt Krafttraining langfristig zu einer Senkung des Blutdrucks. Dieser Effekt liegt normalerweise im Bereich von 3–4% [229]. Nach 4 Monaten intensivem und umfangreichem Krafttraining fanden Cauza und Mitarbeiter allerdings eine Blutdrucksenkung von 138 auf 119 mm/Hg (systolisch) bzw. 84 auf 76 mm/Hg (diastolisch), was einer 13,8%igen bzw. 9,5%igen Absenkung entspricht [38]. Das frühere Vorurteil, Krafttraining könnte zu Bluthochdruck führen, ist mittlerweile klar widerlegt [212]. Eine kräftige Muskulatur verringert zudem den Blutdruckanstieg (und somit die Herzbelastung) bei Alltagstätigkeiten mit Kraftbeanspruchung, wie z.B. Treppe steigen [17].

Ein weiterer positiver Effekt für das Gefäßsystem, der durch langfristiges Krafttraining nachweisbar ist, ist die günstige Beeinflussung des Cholesterinspiegels: Gesamtcholesterin und (das schädliche) LDL-Cholesterin sinken ab. Dies führt zu einer Verringerung des Risikos einer Arteriosklerose [38, 75, 80].

Abschließend kann man also sagen, dass Krafttraining keinesfalls schädlich für das Herz-Kreislauf-System ist, dass sogar einige gesundheitlich sehr positive Effekte durch langfristiges Training zu erreichen sind. Dennoch wirkt sich ein Ausdauertraining auf einige wichtige, gesundheitsrelevante Herz-Kreislauf-Funktionen stärker aus als Krafttraining, so dass es ergänzend betrieben werden sollte. Der ambitionierte Kraftsportler profitiert von einer guten, aeroben Grundlagenausdauer auch dadurch, dass er längere Trainingseinheiten besser durchsteht, sich schneller vom Training erholt und durch eine Verbesserung des Immunsystems seltener Trainingsausfälle aufgrund von Erkrankungen hinnehmen muss [222].

Somit empfiehlt sich aus gesundheitlicher wie aus leistungsphysiologischer Sicht ein ergänzendes Ausdauertraining für den Kraftsportler.

Krafttraining hat mittlerweile auch einen hohen Stellenwert in der Rehabilitation von Herzpatienten, was in Kap. 9.1 ausführlicher dargestellt wird.

2.4Die Wirkung auf das Gehirn

Sport und moderates Krafttraining wirken sich günstig auf die Gehirnleistungsfähigkeit aus [124]. Bei dynamischer Muskelaktivität steigt die Gehirndurchblutung deutlich an: bei einer Fahrradergometrie von 25 Watt um 20%, bei 100 Watt bereits um 30% [98]. Diese Wattleistungen werden auch beim normalen Fitnesskrafttraining von Männern und Frauen erreicht, wenn größere Muskelgruppen beim Beinpressen, Rudern oder Latissimusziehen im Einsatz sind, sofern die Lastintensitäten im mittleren Bereich angesiedelt sind. Bei isometrischer Belastung, also Muskelaktivität ohne Bewegung, fehlt allerdings eine gesteigerte Gehirndurchblutung [97]. Beim Bewegen extrem hoher Lasten mit Valsalva-Atemmanöver (Pressatmung) ist die Gehirndurchblutung sogar herabgesetzt.